Language of document : ECLI:EU:C:2015:288

Rechtssache C‑528/13

Geoffrey Léger

gegen

Ministre des Affaires sociales, de la Santé et des Droits des femmes
und

Établissement français du sang

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal administratif de Strasbourg)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Gesundheit – Richtlinie 2004/33/EG – Technische Anforderungen für Blut und Blutbestandteile – Blutspende – Eignungskriterien für die Spender – Kriterien für einen Ausschluss oder eine Rückstellung – Personen, deren Sexualverhalten ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt – Mann, der sexuelle Beziehungen zu einem Mann hatte – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 21 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 – Sexuelle Ausrichtung – Diskriminierung – Rechtfertigung – Verhältnismäßigkeit“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 29. April 2015

1.        Recht der Europäischen Union – Auslegung – Vorschriften in mehreren Sprachen – Einheitliche Auslegung – Abweichungen zwischen den verschiedenen Sprachfassungen – Berücksichtigung der allgemeinen Systematik und des Zwecks der fraglichen Regelung

(Richtlinie 2002/98 des Europäischen Parlaments und des Rates, 24. Erwägungsgrund; Richtlinie 2004/33 der Kommission, Anhang III Nrn. 2.1 und 2.2.2)

2.        Recht der Europäischen Union – Auslegung – Methoden – Beachtung der Grundrechte – Gleichbehandlung – Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 20 und 21 Abs. 1)

3.        Öffentliche Gesundheit – Blutprodukte – Richtlinie 2004/33 – Ausschlusskriterien für Fremdblutspender – Nationale Regelung, die eine dauerhafte Kontraindikation bei Blutspenden von Männern vorsieht, die sexuelle Beziehungen zu Männern hatten – Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung – Rechtfertigung – Schutz der öffentlichen Gesundheit – Voraussetzungen – Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Prüfung durch das nationale Gericht

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 21 Abs. 1 und 52 Abs. 1; Richtlinie 2004/33 der Kommission, Anhang II Teil B Nr. 2 und III Nr. 2.1)

1.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 31-38)

2.        Die Mitgliedstaaten haben die Erfordernisse des Schutzes dieser Grundrechte bei der Durchführung der Regelungen der Union zu beachten, so dass sie diese Regelungen so anwenden müssen, dass diese Erfordernisse nicht verkannt werden. In diesem Zusammenhang müssen die Mitgliedstaaten insbesondere darauf achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts stützen, die mit diesen Grundrechten kollidiert.

Insofern bestimmt Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, dass Diskriminierungen insbesondere wegen der sexuellen Ausrichtung verboten sind. Diese Bestimmung ist eine besondere Ausprägung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, der einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt, der in Art. 20 der Charta niedergelegt ist.

(vgl. Rn. 41, 48)

3.        Nr. 2.1 des Anhangs III der Richtlinie 2004/33 zur Durchführung der Richtlinie 2002/98 hinsichtlich bestimmter technischer Anforderungen für Blut und Blutbestandteile ist dahin auszulegen, dass das in dieser Bestimmung enthaltene Kriterium für einen Ausschluss von der Blutspende, nämlich das Sexualverhalten, den Fall erfasst, dass ein Mitgliedstaat im Hinblick auf die in diesem herrschende Situation eine dauerhafte Kontraindikation bei Blutspenden für Männer vorsieht, die sexuelle Beziehungen zu Männern hatten, wenn aufgrund der derzeitigen medizinischen, wissenschaftlichen und epidemiologischen Erkenntnisse und Daten feststeht, dass ein solches Sexualverhalten für diese Personen ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt und dass es unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keine wirksamen Techniken zum Nachweis dieser Infektionskrankheiten oder mangels solcher Techniken weniger belastende Methoden als eine solche Kontraindikation gibt, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau der Empfänger sicherzustellen. Es ist Sache des nationalen Gerichts zu beurteilen, ob diese Voraussetzungen in dem betreffenden Mitgliedstaat erfüllt sind.

Insoweit obliegt es dem nationalen Gericht insbesondere zu prüfen, ob möglicherweise anhand des Fragebogens und der persönlichen Befragung durch einen qualifizierten Angehörigen eines Gesundheitsberufs nach Anhang II Teil B Nr. 2 der Richtlinie 2004/33 die Verhaltensweisen genauer identifiziert werden können, die mit einem Gesundheitsrisiko für die Empfänger verbunden sind, um eine weniger einschränkende Kontraindikation festzulegen als eine dauerhafte für alle Männer, die sexuelle Beziehungen zu Männern hatten.

(vgl. Rn. 66, 69 und Tenor)