Language of document : ECLI:EU:C:2014:2392

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 20. November 2014(1)

Rechtssache C‑533/13

Auto- ja Kuljetusalan Työntekijäliitto AKT ry

gegen

Öljytuote ry,

Shell Aviation Finland Oy

(Vorabentscheidungsersuchen des Työtuomioistuin [Finnland])

„Leiharbeit – Richtlinie 2008/104/EG – Art. 4 Abs. 1 – Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 28 – Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen – Kontrolle der Vereinbarkeit einer Tarifvertragsbestimmung mit dem Unionsrecht – Rolle des nationalen Richters – Horizontaler Rechtsstreit zwischen Privatpersonen“





I –    Einleitung

1.        Die vorliegende Rechtssache gibt dem Gerichtshof erstmals Gelegenheit zur Auslegung der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit(2).

2.        In der beim Työtuomioistuin (Arbeitsgericht, Finnland) anhängigen Rechtssache begehrt die finnische Gewerkschaft der Transportarbeiter mit ihrer Klage, ein Unternehmen dieser Branche sowie einen Arbeitgeberverband wegen Verletzung geltender Tarifvertragsbestimmungen, insbesondere einer Bestimmung über den Einsatz von Leiharbeitnehmern, zu verurteilen. Das finnische Gericht möchte wissen, ob diese Tarifvertragsbestimmung eine ungerechtfertigte Einschränkung des Einsatzes von Leiharbeitnehmern darstellt, die mit Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 unvereinbar ist und deshalb unberücksichtigt bleiben muss.

3.        Der Ausgangsrechtsstreit betrifft systemübergreifende Aspekte des Unionsrechts. Zum einen geht es darum, einen Ausgleich zwischen dem Sozialrecht der Union und dem Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs zu finden. Zum anderen könnte der Gerichtshof dazu veranlasst sein, über die Direktwirkung der Richtlinie 2008/104 im Rahmen eines horizontalen Rechtsstreits zwischen einem Unternehmen und einer Gewerkschaft zu befinden.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

1.      Charta der Grundrechte der Europäischen Union

4.        Art. 28 („Recht auf Kollektivverhandlungen und Kollektivmaßnahmen“) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) lautet:

„Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder ihre jeweiligen Organisationen haben nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht, Tarifverträge auf den geeigneten Ebenen auszuhandeln und zu schließen sowie bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen, einschließlich Streiks, zu ergreifen.“

2.      Richtlinie 2008/104

5.        Art. 4 („Überprüfung der Einschränkungen und Verbote“) der Richtlinie 2008/104 lautet:

„(1)      Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit sind nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt; hierzu zählen vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten.

(2)      Nach Anhörung der Sozialpartner gemäß den nationalen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen und Gepflogenheiten überprüfen die Mitgliedstaaten bis zum 5. Dezember 2011 die Einschränkungen oder Verbote des Einsatzes von Leiharbeit, um festzustellen, ob sie aus den in Absatz 1 genannten Gründen gerechtfertigt sind.

(3)      Sind solche Einschränkungen oder Verbote durch Tarifverträge festgelegt, so kann die Überprüfung gemäß Absatz 2 von denjenigen Sozialpartnern durchgeführt werden, die die einschlägige Vereinbarung ausgehandelt haben.

(5)      Die Mitgliedstaaten informieren die Kommission über die Ergebnisse der Überprüfung gemäß den Absätzen 2 und 3 bis zum 5. Dezember 2011.“

B –    Finnisches Recht

1.      Gesetzesvorschriften

6.        Die Richtlinie 2008/104 ist in finnisches Recht durch Änderungen der Gesetze 55/2001 über den Arbeitsvertrag (Työsopimuslaki [55/2001]) und 1146/1999 über entsandte Arbeitnehmer (Lähetetyistä työntekijöistä annettu laki [1146/1999]) umgesetzt worden.

7.        Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts geht aus der Begründung des Entwurfs des Änderungsgesetzes hervor, dass die finnische Regierung die in Art. 4 der Richtlinie 2008/104 vorgesehene Pflicht zur Überprüfung als eine punktuelle Verpflichtung der Verwaltungsbehörden betrachtete, die Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit zu überprüfen und die Kommission über die Ergebnisse zu informieren. Wie das vorlegende Gericht weiter ausführt, geht der Gesetzentwurf davon aus, dass Art. 4 den Mitgliedstaaten nicht auferlege, ihre Gesetzgebung zu ändern, auch wenn sich ergebe, dass eine Einschränkung des Einsatzes von Leiharbeit nicht aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei.

8.        Am 29. November 2011 teilte die finnische Regierung der Kommission die Ergebnisse der in Art. 4 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2008/104 vorgesehenen Überprüfung mit.

2.      Tarifverträge

9.        Der im Jahr 1997 zwischen den die Arbeitgeber und die Gewerkschaften vertretenden Dachverbänden geschlossene Rahmentarifvertrag(3) bestimmt in Ziff. 8.3:

„Unternehmen haben den Einsatz von Leiharbeitnehmern auf den Ausgleich von Arbeitsspitzen oder sonst auf zeitlich oder ihrer Art nach begrenzte Aufgaben zu beschränken, die wegen der Dringlichkeit, der begrenzten Dauer der Arbeit, erforderlicher beruflicher Kenntnisse und Spezialgeräte oder aus vergleichbaren Gründen eigenen Arbeitnehmern nicht übertragen werden können.

Die Entleihung von Arbeitnehmern ist unlauter, wenn die von einem Leiharbeit in Anspruch nehmenden Unternehmen beschäftigten Leiharbeitnehmer während eines längeren Zeitraums normale Arbeiten des Unternehmens neben dessen Stammarbeitnehmern und unter derselben Leitung ausführen.

…“

10.      Der Tarifvertrag der Tankwagen- und Ölproduktebranche (im Folgenden: Branchentarifvertrag) enthält in Paragraf 29 Abs. 1 eine entsprechende Regelung.

III – Ausgangsrechtsstreit

11.      Die Gewerkschaft Auto- ja Kuljetusalan Työntekijäliitto AKT ry (im Folgenden: AKT) vertritt insbesondere die Beschäftigten der Tankwagen- und Ölproduktebranche.

12.      Die Shell Aviation Finland Oy (im Folgenden: Shell) beliefert 18 finnische Flughäfen mit Treibstoff. Sie ist Mitglied des Arbeitgeberverbands der Treibstoffbranche namens Öljytuote ry (im Folgenden: Öljytuote).

13.      Mit ihrer beim vorlegenden Gericht erhobenen Klage beantragt AKT, Öljytuote und Shell wegen eines Verstoßes gegen Paragraf 29 Abs. 1 des Branchentarifvertrags zu einer Strafzahlung nach Art. 7 des Gesetzes 36/1946 über den Tarifvertrag (Työehtosopimuslaki [36/1946]) zu verurteilen. In ihrer Klage macht AKT geltend, Shell setze seit dem Jahr 2008 in erheblichem Umfang Leiharbeitnehmer zur Erledigung von Aufgaben ein, die mit denen der eigenen Arbeitnehmer des Unternehmens identisch seien. Diese Verwendung von Leiharbeitnehmern stelle ein unlauteres Verhalten im Sinne der fraglichen Tarifvertragsbestimmung dar.

14.      Die Beklagten wenden ein, der Einsatz von Leiharbeit sei aus berechtigten Gründen gerechtfertigt, da mit diesem hauptsächlich Urlaubs- und Krankheitsvertretungen von Arbeitnehmern sichergestellt werden sollten. Darüber hinaus machen sie geltend, Paragraf 29 Abs. 1 des Branchentarifvertrags enthalte eine Einschränkung, die nicht durch die in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 vorgesehenen Gründe gerechtfertigt werden könne. Das nationale Gericht müsse die der Richtlinie 2008/104 widersprechenden Tarifvertragsbestimmungen unangewendet lassen.

15.      Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts ist zwar die Tragweite der von Art. 4 der Richtlinie 2008/104 den Mitgliedstaaten auferlegten Verpflichtungen zweifelhaft, doch könne diese Vorschrift dahin ausgelegt werden, dass sie den Mitgliedstaaten die Pflicht auferlege, sicherzustellen, dass ihre Rechtsordnungen keine ungerechtfertigten Einschränkungen im Bereich der Leiharbeit enthielten. Nach Ansicht des vorlegenden Gericht verfolgt Paragraf 29 Abs. 1 des Branchentarifvertrags jedoch einen anderen als den von der Richtlinie 2008/104 vorgesehenen Ansatz, insofern er den Einsatz von Leiharbeit bis auf bestimmte, näher bezeichnete Fälle mit dem Ziel beschränke, die Stammarbeitnehmer des Unternehmens zu schützen.

16.      Darüber hinaus fragt das vorlegende Gericht nach den Folgen, die sich in Rechtssachen wie der vorliegenden, der ein Rechtsstreit zwischen Privatpersonen zugrunde liegt, aus einer eventuellen Unvereinbarkeit der nationalen Bestimmung mit der Richtlinie 2008/104 ergeben.

IV – Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

17.      Unter diesen Umständen hat das Työtuomioistuin beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen, dass den nationalen Stellen einschließlich der Gerichte die dauerhaft geltende Verpflichtung auferlegt wird, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln sicherzustellen, dass keine innerstaatlichen Vorschriften oder Tarifvertragsbestimmungen in Kraft sind oder angewandt werden, die einer Vorschrift der Richtlinie zuwiderlaufen?

2.      Ist Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach der Einsatz von Leiharbeitnehmern nur in den eigens aufgeführten Fällen wie dem Ausgleich von Arbeitsspitzen oder bei Arbeiten, die nicht durch eigene Arbeitnehmer eines Unternehmens erledigt werden können, zulässig ist? Kann der längerfristige Einsatz von Leiharbeitnehmern neben den eigenen Arbeitnehmern eines Unternehmens im Rahmen der gewöhnlichen Arbeitsaufgaben des Unternehmens als verbotener Einsatz von Leiharbeitskräften eingestuft werden?

3.      Welche Mittel stehen, wenn die nationale Regelung als mit der Richtlinie 2008/104 unvereinbar angesehen wird, dem Gericht zur Verfügung, um die Ziele der Richtlinie zu erreichen, wenn es sich um einen von Privaten einzuhaltenden Tarifvertrag handelt?

18.      Die Vorlageentscheidung mit Datum vom 4. Oktober 2013 ist am 9. Oktober 2013 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen. AKT, Öljytuote und Shell, die finnische, die deutsche, die französische, die ungarische, die polnische, die schwedische und die norwegische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

19.      Die Parteien und Beteiligten haben mit Ausnahme der französischen, der ungarischen und der polnischen Regierung auch an der mündlichen Verhandlung teilgenommen, die am 9. September 2014 stattgefunden hat.

V –    Würdigung

20.      Die Fragen des vorlegenden Gerichts betreffen drei mit der Auslegung des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 verbundene Problembereiche:

–        erstens die Tragweite der den Mitgliedstaaten durch diese Vorschrift auferlegten Pflichten,

–        zweitens die Möglichkeit, im Branchentarifvertrag vorgesehene Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit im Hinblick auf diese Vorschrift zu rechtfertigen, und

–        drittens die Frage, ob die Vorschrift der fraglichen Richtlinie in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen geltend gemacht werden kann.

21.      Ich werde die fraglichen Punkte in obiger Reihenfolge prüfen.

A –    Zur Tragweite der sich aus Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 ergebenden Pflichten (erste Frage)

1.      Vorbemerkungen

22.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs.1 der Richtlinie 2008/104 den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit aufzuheben, soweit diese nicht durch Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden können.

23.       Die Parteien des Ausgangsverfahrens und die Beteiligten sind hinsichtlich der Auslegung dieser Vorschrift unterschiedlicher Ansicht.

24.      Einige der Beteiligten sind der Ansicht, dass die fragliche Vorschrift die Mitgliedstaaten verpflichte, Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit, die nicht gerechtfertigt werden können, zu beseitigen(4).

25.      Andere Beteiligte(5) vertreten demgegenüber die Ansicht, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 sehe keine materielle Verpflichtung vor, sondern sei im Zusammenhang mit Abs. 2 dieser Vorschrift zu verstehen. Dieser sehe die Pflicht der Mitgliedstaaten vor, bis zum Endtermin für die Umsetzung der Richtlinie die Einschränkungen oder Verbote des Einsatzes von Leiharbeit zu überprüfen, um festzustellen, ob sie aus „den in Abs. 1 genannten Gründen“ gerechtfertigt seien. Die Tragweite von Abs. 1 sei somit darauf begrenzt, den Gegenstand dieser Überprüfung festzulegen. Abs. 1 dieses Artikels stelle an die Mitgliedstaaten insbesondere keine Erfolgsanforderung in Bezug auf die Verpflichtung, sicherzustellen, dass die in ihren Rechtsordnungen bestehenden Einschränkungen tatsächlich aus Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt seien.

2.      Wörtliche und teleologische Auslegung

26.      Nach dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 sind Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit „nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt“; es folgt eine Liste mit Beispielen solcher Gründe.

27.      Ich möchte darauf hinweisen, dass diese Formulierung eine Auslegung der Vorschrift stützt, nach der Einschränkungen, die nicht aus Gründen des Allgemeininteresses – zu denen eine Liste mit Beispielen aufgeführt ist(6) – gerechtfertigt sind, mit dem Unionsrecht unvereinbar sind. Wenn die fragliche Vorschrift nämlich in keiner Weise zur Vereinbarkeit der Einschränkungen mit dem Unionsrecht eine Feststellung hätte treffen wollen, wäre die Wendung „nur [aus Gründen des Allgemeininteresses] gerechtfertigt“ sinnlos.

28.      Aus diesen Worten ergibt sich eindeutig eine materielle Regelung, die das Verbot ungerechtfertigter Einschränkungen beinhaltet. Entgegen der von mehreren Beteiligten(7) vertretenen Ansicht scheint es meines Erachtens nur schwer möglich, hier von einer rein prozessualen Vorschrift auszugehen, ähnlich denjenigen, die auch in den folgenden Absätzen des Art. 4 enthalten seien.

29.      Eine solche Auslegung wird meiner Ansicht nach durch die der Vorschrift zugrunde liegenden teleologischen Erwägungen gestützt.

30.      Keiner der Beteiligten bestreitet, dass die Richtlinie 2008/104 zum einen die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer und zum anderen die für den Einsatz von Leiharbeit geltenden Bedingungen betrifft.

31.      Diese zweifache Zielsetzung – die auch der Titel der Richtlinie 2008/104(8) widerspiegelt – wird von Art. 2 der Richtlinie aufgegriffen, der zum einen auf die Notwendigkeit Bezug nimmt, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen und die Qualität der Leiharbeit zu verbessern, indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern gesichert wird, zum anderen die Notwendigkeit berücksichtigt, dass ein angemessener Rahmen für die den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen(9).

32.      Beide Seiten dieses Ziels ergänzen einander, so dass es unstimmig wäre, sie voneinander zu trennen. Ein höheres Schutzniveau der Leiharbeitnehmer könnte nämlich die Notwendigkeit bestehender Verbote und Einschränkungen fraglich werden lassen, was eine größere Öffnung gegenüber dieser Arbeitsform ermöglichen sollte(10).

33.      In gewissem Maß handelt es sich um einen gemeinsamen Aspekt der drei die atypische Beschäftigung betreffenden Rechtsakte der Europäischen Union, die die Teilzeit- bzw. Zeitarbeit regeln(11). Die Maßnahmen der Union in diesem Bereich hatten die Entwicklung flexibler Formen der Arbeit zum globalen Ziel, wobei ein neuer Grad von Harmonisierung des Sozialrechts erreicht werden sollte(12). Das diesen Maßnahmen zugrunde gelegte Regelungsmodell, das auf der Suche nach einem Ausgleich zwischen Flexibilität und Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt basiert, wurde „Flexicurity“ genannt(13).

34.      Der Einsatz flexibler Arbeitsformen soll nach diesem Modell ermöglichen, die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarkts zu stärken, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und den Zugang bestimmter prekärer Gruppen – wie jungen Arbeitnehmern – zu unbefristeter Arbeit zu verbessern. Manchen könnte diese Beschäftigungsform als Sprungbrett – „stepping stone“ – für den Arbeitsmarkt dienen(14).

35.      Die zweifache Zielsetzung findet sich im Aufbau der Richtlinie 2008/104 wieder, der, von deren einleitenden Bestimmungen (Anwendungsbereich, Ziel, Begriffsbestimmungen) und Schlussbestimmungen abgesehen, durch zwei Achsen charakterisiert ist, nämlich sein Kapitel II, das vollständig den Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer gewidmet ist, und sein Art. 4, der in sein Kapitel I eingefügt ist und die Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit regelt.

36.      Ich vermag nicht zu erkennen, inwieweit dieser Art. 4 die Ziele der Richtlinie 2008/104 fördern könnte, wenn er nur eine einfache Pflicht der Mitgliedstaaten vorsähe, Hemmnisse der Leiharbeit zu identifizieren, ohne daran auch nur die geringste verbindliche Folge zu knüpfen.

37.      Art. 4 ist meiner Ansicht nach im Licht seiner Zielsetzung dahin auszulegen, dass er nicht nur prozessuale Pflichten (Abs. 2 bis 5), sondern auch eine materielle Regelung (Abs. 1) vorsieht. Diese materielle Regelung verbietet die Beibehaltung von Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit, wenn diese insbesondere unter Berücksichtigung der Harmonisierung der Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen nicht gerechtfertigt sind(15).

38.      Die Abs. 2 bis 5 des Art. 4 sehen einen prozessualen Mechanismus vor, der helfen soll, dieses Verbot im Wege einer Überprüfung der auf nationaler Ebene bestehenden Einschränkungen durchzusetzen, indem er die üblichen Mittel der Durchsetzung des Unionsrechts ergänzt. Wenn Abs. 1 dieses Artikels nicht ein Verbot ungerechtfertigter Einschränkungen umfasste, hätte dieser prozessuale Mechanismus keinen Existenzgrund.

39.      Die Annahme, der Unionsgesetzgeber habe nur dafür sorgen wollen, dass die Mitgliedstaaten eine unverbindliche Bestandsaufnahme von Einschränkungen vornehmen, die rein informativen Charakter habe, erscheint mir nicht vernünftig und ergibt meines Erachtens keinen Sinn. Das Recht, solche Informationen einzuholen, steht der Kommission im Rahmen der ihr von den Verträgen zugewiesenen generellen Aufgabe zu, für die Anwendung des Unionsrechts zu sorgen.

40.      Die Lehre ist fast einhellig der Meinung, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 sei dahin auszulegen, dass er den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlege, ungerechtfertigte Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit aufzuheben(16). Einige Verfasser führen aus, diese Vorschrift verfolge offensichtlich den Zweck, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Freiheiten des Binnenmarkts und dem Sozialrecht zu finden, und dass ihr die praktische Wirksamkeit fehlte, wenn sie als bloße Empfehlung verstanden würde(17).

41.      Diese Argumentation scheint auch die gemeinsame Erklärung der Sozialpartner auf europäischer Ebene im Bereich der Leiharbeit inspiriert zu haben, die kurz vor der förmlichen Annahme der Richtlinie 2008/104 veröffentlicht wurde. Diese Erklärung erkennt einerseits die Notwendigkeit an, den Einsatz von Leiharbeit bestimmten Beschränkungen zu unterwerfen, um Missbräuche zu verhindern, stellt aber andererseits fest, dass ungerechtfertigte Beschränkungen zu beseitigen sind(18).

3.      Vorarbeiten

42.      Die Vorarbeiten scheinen ebenfalls für einen zwingenden Charakter von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 zu sprechen.

43.      Einige der Beteiligten sind gegenteiliger Ansicht(19) und machen geltend, der von der Kommission dem Rat der Europäischen Union unterbreitete Vorschlag habe in seinem Art. 4 Abs. 2 eine ausdrückliche Vorschrift enthalten, wonach die Mitgliedstaaten die Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit überprüfen, um festzustellen, ob sie noch gerechtfertigt seien, und, wenn „dies nicht der Fall [sei,] sie aufheben [müssten]“(20). Dass der letzte Satz bei den Beratungen des Rates(21) entfernt worden sei, bedeutet nach Ansicht dieser Beteiligten, dass der Rat ungerechtfertigte Einschränkungen nicht habe verbieten wollen.

44.      Diese Argumentation liegt meines Erachtens neben der Sache.

45.      Zunächst betrifft die vom Rat im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens vorgenommene Änderung den das Überprüfungsverfahren regelnden Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2008/104. Demgegenüber ist der im vorliegenden Fall relevante Abs. 1 dieses Artikels unverändert in den vom Rat verabschiedeten Gemeinsamen Standpunkt aufgenommen worden.

46.      Des Weiteren ist die in diesem Abs. 1 enthaltene Liste der Gründe des Allgemeininteresses im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ausführlich diskutiert worden(22). Warum sollten die Organe dieser Vorschrift eine solche Bedeutung beigemessen haben, wenn ihr jeglicher zwingende Charakter fehlte?

47.      Die Gründe für die Streichung der betreffenden Textstelle von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2008/104, wonach die Mitgliedstaaten die Einschränkungen zu „beseitigen“ hatten, lassen sich somit nicht mit Sicherheit feststellen. Die plausibelste Erklärung scheint jedoch, dass der Rat diese Passage entfernt hat, weil das Verbot ungerechtfertigter Einschränkungen bereits in Abs. 1 enthalten war, der unverändert blieb.

48.      In der Begründung des Gemeinsamen Standpunkts führt der Rat aus, dass er „der Abänderung 34 des Parlaments dem Sinne nach zwar weitgehend gefolgt“ sei(23), jedoch „die Beibehaltung eines ausdrücklichen Verweises darauf, dass ungerechtfertigte Einschränkungen und Verbote aufzuheben sind, … für unnötig“ gehalten habe(24). In ihrer Mitteilung zum Gemeinsamen Standpunkt an das Parlament hat die Kommission ausgeführt, Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2008/104 folge der Abänderung 34 des Parlaments „mit Ausnahme der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Einschränkungen oder Verbote aufzuheben …, da es der Rat nicht für notwendig hielt, die Wirkung des Verbots gemäß Artikel 4 Absatz 1 noch einmal anzuführen, und es auch nicht als angebracht ansah, das Ergebnis der Überprüfung festzulegen“(25). Der Gemeinsame Standpunkt ist anschließend vom Parlament auf der Grundlage dieser Erwägungen gebilligt worden(26).

49.      Die Entstehungsgeschichte des Erlasses der Richtlinie 2008/104 stützt somit eine Auslegung, wonach Art. 4 Abs. 1 die Beibehaltung von nicht durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigten Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit verbietet.

4.      Rechtsgrundlage

50.      Schließlich wirft die deutsche Regierung die Frage auf, ob die Rechtsgrundlage der Richtlinie 2008/104 die Einführung einer materiell-rechtlichen Vorschrift erlaubt, die vorsieht, Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit zu beseitigen.

51.      Ich möchte feststellen, dass die Rechtsgrundlage eines Rechtsakts insoweit für seine Auslegung erheblich ist, als sie in gewissem Umfang über die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele Aufschluss geben kann. Darüber hinaus ist sie zu berücksichtigen, um unter den verschiedenen möglichen Auslegungen diejenigen auszuschließen, die zur Ungültigkeit des Rechtsakts führen könnten.

52.      Die Richtlinie 2008/104 beruht auf dem ehemaligen Art. 137 Abs. 1 und 2 EG, der den Organen die Befugnis verlieh, insbesondere in Bezug auf „Arbeitsbedingungen … durch Richtlinien Mindestvorschriften [zu] erlassen, die schrittweise anzuwenden sind“.

53.      Einige der Beteiligten(27) sind der Ansicht, diese Rechtsgrundlage schließe die Möglichkeit aus, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen, dass dieser ungerechtfertigte Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit untersage. Nach ihrer Ansicht unterfällt ein solches Verbot nicht den „Arbeitsbedingungen“ und stellt darüber hinaus keine „Mindestvorschrift“ im Sinne des ehemaligen Art. 137 EG dar.

54.      Die Logik dieser Argumentation überzeugt mich nicht.

55.      Meines Erachtens steht fest, dass die Richtlinie 2008/104 ein zweifaches Ziel verfolgt, insofern sie nicht nur die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer regelt, sondern auch die Einschränkungen, denen der Einsatz dieser Arbeitsform unterworfen wurde. Andernfalls ergäbe ihr Art. 4, unabhängig von seiner Auslegung, keinen Sinn.

56.      Nach der Argumentation der genannten Beteiligten widerspricht es dem ehemaligen Art. 137 EG nicht, dass mit der Richtlinie 2008/104 auch die Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit geregelt werden. Diese Rechtsgrundlage gestatte jedoch ausschließlich, den Mitgliedstaaten hinsichtlich solcher Einschränkungen sehr „begrenzte“ oder „rein prozessuale“ Verpflichtungen aufzuerlegen.

57.      Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass sich nach ständiger Rechtsprechung die Wahl der Rechtsgrundlage eines gemeinschaftlichen Rechtsakts auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen muss, zu denen insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören(28). Ich vermag jedoch kein objektives Element zu erkennen, das im Rahmen des früheren EG-Vertrags rechtfertigen könnte, zwischen materiellen und prozessualen Vorschriften zu unterscheiden, wenn es darum geht, Beschränkungen des Einsatzes einer bestimmten Form von Arbeit zu beseitigen.

58.      Geht man davon aus, dass die für die Richtlinie 2008/104 gewählte Rechtsgrundlage nicht erlaubt, Vorschriften über den Einsatz von Leiharbeit einzuführen, führt dieser Ansatz zur Ungültigkeit ihres Art. 4, ohne dass es darauf ankäme, ob dieser prozessuale oder materielle Pflichten für die Mitgliedstaaten vorsieht.

59.      Das Argument, der ehemalige Art. 137 EG erlaube nur die Einführung bestimmter prozessualer Pflichten, überzeugt mich deshalb nicht.

60.      Sodann ist zu prüfen, ob die Auslegung, wonach Art. 4 der Richtlinie 2008/104 das Verbot ungerechtfertigter Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit beinhaltet, nicht die Gültigkeit dieser Vorschrift in Frage stellt.

61.      Nach ständiger Rechtsprechung ist, wenn die Prüfung eines Gemeinschaftsrechtsakts ergibt, dass er zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, und sich eine von ihnen als die hauptsächliche oder überwiegende ausmachen lässt, während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, der Rechtsakt nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf die, die die hauptsächliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente erfordert.

62.      Steht ausnahmsweise fest, dass gleichzeitig mehrere Ziele verfolgt werden, die untrennbar miteinander verbunden sind, ohne dass das eine gegenüber dem anderen zweitrangig ist und mittelbaren Charakter hat, so kann ein solcher Rechtsakt auf die verschiedenen einschlägigen Rechtsgrundlagen gestützt werden(29).

63.      Den Hauptbestandteil der Richtlinie 2008/104 bilden die Vorschriften im Bereich der Arbeitsbedingungen, gegenüber denen ihr Art. 4 eindeutig eine akzessorische Stellung einnimmt. Diese Relation ergibt sich zum einen aus der Struktur der Richtlinie 2008/104 (ein ganzes Kapitel wird den Arbeitsbedingungen gewidmet) und zum anderen aus der Argumentation, der bei ihrer Annahme gefolgt wurde: Erst wenn eine Harmonisierung der Arbeitsbedingungen vollzogen worden sei, könne sich eine gewisse Liberalisierung der Leiharbeit als gerechtfertigt erweisen.

64.      Die Tatsache, dass die Richtlinie 2008/104 mit den Sozialvorschriften des Vertrags in Zusammenhang steht, hindert also nicht, die Beseitigung bestimmter Einschränkungen der Leiharbeit als akzessorisches Ziel zu verfolgen.

65.      Beispielsweise verfolgt die Richtlinie 97/81 über die Teilzeitarbeit, die auf der Grundlage der Sozialvorschriften des Vertrags erlassen wurde, ebenfalls ein zweifaches Ziel, das zum einen darin besteht, die Teilzeitarbeit zu fördern, und zum anderen, die Diskriminierungen von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten zu beseitigen. Darüber hinaus enthält diese Richtlinie eine Vorschrift, die die Beseitigung der Hindernisse für die Teilzeitarbeit vorsieht(30).

66.      Im Hinblick auf diese Erwägungen bin ich der Ansicht, dass die Richtlinie 2008/104 rechtmäßig auf der Grundlage des ehemaligen Art. 137 EG erlassen worden ist, ohne auf die die Dienstleistungen betreffenden ehemaligen Art. 47 Abs. 2 EG und 55 EG Bezug zu nehmen, obwohl sie in ihrem Art. 4 bestimmte Regelungen vorsieht, die auf Einschränkungen in Bezug auf Dienstleistungen auf dem Gebiet der Leiharbeit anwendbar sind.

5.      Vereinbarkeit mit Art. 28 der Charta

67.      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens bestreitet ferner, dass das Verbot ungerechtfertigter Einschränkungen der Leiharbeit auf Tarifvertragsbestimmungen anwendbar sei, indem sie sich auf den Grundsatz der Tarifautonomie der Sozialpartner beruft. Solche Bestimmungen kämen in den Genuss einer sich aus dem in Art. 28 der Charta anerkannten Grundrecht auf kollektive Verhandlungen ergebenden Immunität.

68.      Ich erinnere daran, dass nach ständiger Rechtsprechung die Art. 45 AEUV, 49 AEUV und 56 AEUV nicht nur für Akte der staatlichen Behörden gelten, sondern sich auch auf Regelwerke anderer Art erstrecken, die die abhängige Erwerbstätigkeit, die selbständige Arbeit und die Erbringung von Dienstleistungen kollektiv regeln sollen. Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass Klauseln von Tarifverträgen nicht dem Anwendungsbereich der Vertragsbestimmungen über die Grundfreiheiten entzogen seien(31). Soweit also eine Maßnahme oder ein Tarifvertrag eine Bestimmung enthält, die den Einsatz von Leiharbeitnehmern einschränkt, fällt sie in den Anwendungsbereich des Art. 56 AEUV.

69.      Obwohl die Autonomie der Sozialpartner vom Unionsrecht in vollem Umfang anerkannt wird, muss ihr Recht, Tarifverträge auszuhandeln und zu schließen, im Einklang mit der Rechtsordnung, einschließlich des Rechts der Union, ausgeübt werden(32).

70.      Der Gerichtshof hat entsprechend entschieden, dass die Sozialpartner bei ihren Maßnahmen das das Verbot der Diskriminierung im Bereich von Beschäftigung und Beruf konkretisierende abgeleitete Recht der Union beachten müssen. Die Tatsache, dass das abgeleitete Unionsrecht einer Tarifvertragsbestimmung entgegenstehe, beeinträchtige nicht das in Art. 28 der Charta anerkannte Recht, Tarifverträge auszuhandeln und zu schließen(33). Stehe einer Vorschrift in einem Kollektivvertrag das Unionsrecht entgegen, dürfe das innerstaatliche Gericht diese nicht anwenden(34).

71.      Meines Erachtens gelten diese Erwägungen in gleichem Maß für Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104, da es sich um eine zwingende Vorschrift handelt, mit der die im Vertrag anerkannte Grundfreiheit durchgesetzt wird, zu der keine Ausnahme zugunsten der Tarifverträge vorgesehen ist(35).

72.      Dieser Ansatz steht im Einklang mit der Tatsache, dass die Vorschriften der Richtlinien der Union im Bereich des Arbeitsrechts nicht nur im Wege der Gesetzgebung, sondern auch durch allgemeinverbindliche Tarifverträge umgesetzt werden können. So sind nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 die Mitgliedstaaten verpflichtet, nicht nur die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft zu setzen, um dieser Richtlinie nachzukommen, sondern sich auch zu vergewissern, dass die Sozialpartner die erforderlichen Vorschriften im Wege von Vereinbarungen festlegen.

73.      In dieser Hinsicht sehe ich keinen stichhaltigen Grund für die Annahme, Tarifverträge seien gegenüber den mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften privilegiert und der Anwendung des Unionsrechts entzogen.

74.      Diese Erwägungen bedeuten keineswegs, dass der Dienstleistungsfreiheit gegenüber dem Recht auf Tarifverhandlungen ein Vorrang zukäme. Die Tatsache, dass durch zwingende Vorschriften dem Inhalt von Tarifverträgen bestimmte Grenzen gezogen werden, beeinträchtigt die Ausübung dieses Grundrechts nicht.

75.      Das in Art. 28 der Charta anerkannte Recht auf Kollektivverhandlungen steht einer Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 nicht entgegen, wonach in Tarifverträgen vorgesehene Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein müssen, anderenfalls sie für mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärt werden müssen.

6.      Rolle der nationalen Gerichte

76.      Ich möchte den Gerichtshof auf eine teleologische Auslegung allgemeinerer Bedeutung hinweisen.

77.      Die Rechtsordnung der Union beruht auf dem systemübergreifenden Grundsatz der zentralen Rolle der nationalen Gerichte bei der Durchsetzung ihrer Vorschriften.

78.      Innerhalb des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Systems sind die den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof jeweils übertragenen Aufgaben wesentlich im Hinblick auf die Natur des Unionsrechts. Eine Vorschrift, die den Gerichten der Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeiten zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts nähme sowie dem Gerichtshof seine Zuständigkeit, auf die ihm vorgelegten Fragen zu antworten, verfälschte damit die Zuständigkeiten, die die Verträge den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten zuweisen und die für die Wahrung der Natur des Unionsrechts wesentlich sind(36).

79.      Die von einigen Mitgliedstaaten in der vorliegenden Rechtssache vertretene Auslegung, nach der die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit zu überprüfen, ohne dass sie hinsichtlich der sich aus dieser Prüfung ergebenden Folgen weitere Pflichten träfen, ist meines Erachtens mit diesem Grundsatz unvereinbar.

80.      Nach dieser Auslegung obliegt es allein den Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten, gegebenenfalls unter Einbeziehung der Sozialpartner, die Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit zu identifizieren und das Verfahren durchzuführen, das folgerichtig zur Änderung oder Aufhebung von nicht gerechtfertigten Beschränkungen führen müsse.

81.      In ihren schriftlichen Erklärungen nimmt die deutsche Regierung in dieser Hinsicht auf eine „administrative Überprüfung“ Bezug, wobei sie einräumt, dass der in Frage stehende Art. 4 der Richtlinie 2008/104 nach seinem Sinn und Zweck eine ungeschriebene Verpflichtung enthalten könnte, nicht zu rechtfertigende Beschränkungen aufzuheben oder anzupassen.

82.      Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen(37), eine Auslegung, wonach Art. 4 der Richtlinie 2008/104 ausschließlich prozessuale Pflichten enthalte, nehme dieser nicht die praktische Wirksamkeit. Wann immer, so die Kommission, sie von der Existenz einer Einschränkung Kenntnis erlange, könne sie einen Dialog mit den Behörden des betreffenden Mitgliedstaats in Gang setzen, um das am besten geeignete Mittel zu finden, die Vorschrift mit der Richtlinie in Einklang zu bringen. Sie könne darüber hinaus ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten.

83.      In ähnlicher Weise diskutieren einige Autoren Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104, indem sie ausführen, es sei mit Risiken behaftet, den Gerichten die Aufgabe zu überlassen, die Rechtfertigung und die Verhältnismäßigkeit der Einschränkungen zu beurteilen. Wenn die Anwendung der Gründe des Allgemeininteresses und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in die Hände der Gerichte gelegt werde, werde diese risikoreich und in höchstem Maße unvorhersehbar, bildlich gesprochen „Wanderdünen“ ähnlich(38).

84.      Meines Erachtens widerspräche es jedoch den Grundlagen des Systems des Unionsrechts, Verwaltungsorganen die ausschließliche Zuständigkeit für die Überprüfung der Vereinbarkeit der nationalen Gesetzesvorschriften mit dem Unionsrecht zu übertragen, den nationalen Gerichten diese Zuständigkeit aber zu entziehen.

85.      Ein solcher Ansatz würde nicht nur die nationalen Gerichte von dem in Art. 4 der Richtlinie 2008/104 vorgesehenen Verfahren ausschließen, sondern stellte auch deren Zuständigkeit in Frage, die für Leiharbeit geltenden Einschränkungen im Hinblick auf Art. 56 AEUV zu überprüfen.

86.      Dieser Ansatz scheint mir unvereinbar mit der Zielsetzung des Systems des Unionsrechts, da so den Gerichten der Mitgliedstaaten die zentrale Rolle genommen würde, die ihnen im Hinblick auf die Durchsetzung des Unionsrechts übertragen wurde.

7.      Zwischenergebnis

87.      Nach dem 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/104 ist diese unter Beachtung der Vorschriften des primären Rechts, insbesondere der Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit, umzusetzen. Somit ist der Zusammenhang von Art. 56 AEUV und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 zu untersuchen.

88.      Hierzu möchte ich feststellen, dass die ratio legis von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 mit derjenigen des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit nicht übereinstimmt. Art. 4 Abs. 1 soll nämlich ungerechtfertigte Hemmnisse der Leiharbeit beseitigen, um diese flexible Form der Arbeit zu fördern und zur Schaffung von Arbeitsplätzen und der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt beizutragen.

89.      Da die Leiharbeit die Existenz von Vermittlern (den Leiharbeitsunternehmen) voraussetzt, bedeutet jede Einschränkung dieser Arbeitsform auch die Einschränkung der von diesen Unternehmen erbrachten Dienstleistungen. Die Liberalisierung dieser Form der Arbeit impliziert also die Liberalisierung der die Leiharbeit betreffenden Dienstleistungen, da es sich um zwei Seiten einer Medaille handelt.

90.      Obwohl Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 nur die Einschränkungen des „Einsatzes von Leiharbeit“ und somit in erster Linie die Situation der Leiharbeitnehmer betrifft(39), ist er doch extensiv auch auf Einschränkungen anwendbar, die die Dienstleistungen der Leiharbeitsunternehmen betreffen.

91.      Ich stelle fest, dass sich das Verbot von Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit der Leiharbeitsunternehmen bereits aus Art. 56 AEUV ergibt(40). Soweit Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern zugleich Hindernisse für die von Leiharbeitsunternehmen erbrachten Dienstleistungen darstellen, konkretisiert Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 das sich aus Art. 56 AEUV ergebende Verbot.

92.      Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 präzisiert in dieser Hinsicht die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses, die in besonderem Maß geeignet sind, solche Einschränkungen zu rechtfertigen. Im Übrigen dehnt er die Anwendung des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit auf innerstaatliche Situationen aus, da es sich nunmehr um einen harmonisierten Bereich des Unionsrechts handelt und die Anwendung der Richtlinie 2008/104 nicht die Suche nach einem grenzüberschreitenden Element impliziert.

93.      Abschließend schlage ich vor, die erste Frage dahin zu beantworten, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 die Beibehaltung oder die Einführung von Verboten oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit verbietet, die nicht aus Gründen des Allgemeininteresses, darunter vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarkts zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten, gerechtfertigt sind.

8.      Folgen einer anderen Auslegung

94.      Wenn der Gerichtshof meinem Vorschlag nicht folgen und entscheiden sollte, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 ungültig ist oder keinen verbindlichen normativen Gehalt aufweist, halte ich es für zweckdienlich, dass der Gerichtshof ausdrücklich darauf hinweist, dass Art. 56 AEUV auf Einschränkungen wie die im vorliegenden Fall fragliche in vollem Umfang anwendbar bleibt.

95.      Diese Klarstellung erscheint mir besonders wichtig, da einige der Beteiligten offenbar der Ansicht sind, dass die fraglichen Beschränkungen weder nach Art. 4 der Richtlinie 2008/104 (insofern dieser Artikel nur prozessuale Pflichten ausspreche) noch unter dem Gesichtspunkt von Art. 56 AEUV (da es sich um einen harmonisierten Bereich handele) der Kontrolle der nationalen Gerichte unterlägen(41).

96.      Das abgeleitete Recht kann den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten nicht beschränken. Wenn der Gerichtshof zu der Ansicht gelangen sollte, dass die Richtlinie 2008/104 die Beibehaltung von Einschränkungen der Leiharbeit nicht verbietet, bliebe es doch Sache der nationalen Gerichte, zu überprüfen, ob diese Einschränkungen gemäß Art. 56 AEUV gerechtfertigt wären.

97.      Diesbezüglich stelle ich fest, das die fragliche Regelung offensichtlich geeignet ist, grenzüberschreitende Auswirkungen im Sinne von Art. 56 AEUV zu entfalten, der somit im Ausgangsrechtsstreit potenziell anwendbar bleibt(42).

B –    Rechtfertigung der Einschränkung aus Gründen des Allgemeininteresses im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 (zweite Frage)

1.      Vorbemerkungen

98.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Vorschrift wie die in Paragraf 29 Abs. 1 des Branchentarifvertrags vorgesehene eine Einschränkung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 darstellt und ob diese gegebenenfalls gerechtfertigt werden kann.

99.      Ich möchte daran erinnern, dass nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind; hierzu zählen vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarkts zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten.

100. Wie die Verwendung des Begriffs „vor allem“ zeigt, handelt es sich nicht um eine abschließende Aufzählung. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich nämlich, dass diese die bereits im Rahmen der im Vertrag anerkannten Grundfreiheiten bestehende Möglichkeit eröffnet, unterschiedslos auf inländische Anbieter und solche anderer Mitgliedstaaten anwendbare Einschränkungen zu rechtfertigen.

101. Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung Art. 56 AEUV nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erbringers von Dienstleistungen aufgrund von dessen Staatsangehörigkeit verlangt, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten –, die geeignet sind, die Tätigkeiten von Dienstleistenden, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind und dort rechtmäßig entsprechende Dienstleistungen erbringen, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen(43).

102. Eine solche unterschiedslos anwendbare Beschränkung kann durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, insoweit, als dem Allgemeininteresse nicht bereits durch die Rechtsvorschriften Rechnung getragen ist, denen der Leistungserbringer in dem Staat unterliegt, in dem er ansässig ist, und soweit diese geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist(44).

103. Diese Erwägungen, die grundsätzlich für den noch nicht auf Unionsebene harmonisierten Bereich gelten, sind auch im vorliegenden Fall relevant, denn Art 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 konkretisiert Art. 56 AEUV im Bereich der Leiharbeit.

104. Hierzu stelle ich fest, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 die auf Dienstleistungen von Leiharbeitsunternehmen geltenden Einschränkungen umfasst, soweit diese den Einsatz von Leiharbeit begrenzen. Art. 56 AEUV bleibt somit auf nationale Vorschriften anwendbar, die andere als die den „Einsatz von Leiharbeit“ betreffenden Dienstleistungen von Leiharbeitsunternehmen regeln(45).

105. Die widerspruchsfreie Anwendung der fraglichen Vorschriften verlangt, dass die Anforderungen im Hinblick auf eine Rechtfertigung der in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 vorgesehenen Einschränkungen mit denjenigen identisch sind, die für die Anwendung von Art. 56 AEUV gelten. Diese Erwägung wird gestützt durch die enge Verbindung zwischen beiden Vorschriften sowie durch den 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/104, der auf die Erforderlichkeit hinweist, deren Bestimmungen unter Beachtung des im Bereich der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs geltenden primären Rechts durchzusetzen.

2.      Gegenstand der Einschränkungen

106. Was die Bestimmung betrifft, die Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist, stelle ich fest, dass sie aus zwei unterschiedlichen Vorschriften besteht:

–        Die erste, die die Natur der Aufgaben beschreibt, die den Leiharbeitnehmern übertragen werden können, bezieht sich nur auf Aufgaben, die „zeitlich oder ihrer Art nach [begrenzt]“ sind und die „wegen der Dringlichkeit, der begrenzten Dauer der Arbeit, erforderlicher beruflicher Kenntnisse und Spezialgeräte oder aus vergleichbaren Gründen“ nicht von eigenen Arbeitnehmern des betreffenden Unternehmens ausgeführt werden können, und

–        die zweite, die die Dauer der Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers in einem bestimmten Unternehmen begrenzen soll, stuft Situationen als „unlauter“ ein, in denen Leiharbeitnehmer „im Rahmen der normalen Tätigkeit eines Unternehmens neben dessen Stammarbeitnehmern und über einen längeren Zeitraum unter derselben Leitung beschäftigt werden“.

107. Beide Vorschriften in ihrem Zusammenhang verstanden beschränken somit die Möglichkeit, Leiharbeit einzusetzen, zum einen entsprechend der Natur der ausgeführten Aufgaben, zum anderen entsprechend deren Dauer. Diese Vorschriften begrenzen also den Einsatz dieser Form von Arbeit und weisen auch beschränkende Wirkungen auf die Dienstleistungen der Leiharbeitsunternehmen auf, so dass sie zweifellos Einschränkungen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 darstellen.

3.      Rechtfertigung aus Gründen des Allgemeininteresses

108. Die überwiegende Zahl der Verfahrensbeteiligten mit Ausnahme der Beklagten des Ausgangsverfahrens ist der Ansicht, die fraglichen Einschränkungen seien aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt, die auf der Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarkts zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten, beruhten.

109. Wie die finnische Regierung ausführt, handelt es sich nämlich darum, zu verhindern, dass eine Aufgabe, die den festen Arbeitsverhältnissen zuzuordnen ist, nicht ohne berechtigten Grund Leiharbeitnehmern übertragen wird, um so zu gewährleisten, dass sich der Einsatz von Leiharbeitnehmern als Verlust von Arbeitsplätzen im entleihenden Unternehmen auswirkt.

110. Hierzu weise ich darauf hin, dass, wie sich aus den Erwägungen, die dem Erlass der Richtlinie 2008/104 zugrunde liegen, ergibt, die Leiharbeit nicht als ein Ersatz für feste Formen der Arbeit betrachtet wird.

111. Zum einen beruht die gesetzgeberische Tätigkeit der Union im Bereich des Arbeitsrechts auf dem Grundsatz, dass unbefristete Arbeitsverträge die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses darstellen(46). Die Vorschriften der Richtlinie 2008/104, insbesondere ihr den Zugang der Leiharbeitnehmer zur Arbeit im entleihenden Unternehmen betreffender Art. 6, zeigen ebenfalls, dass die direkte Beschäftigung ein gegenüber der Leiharbeit bevorzugtes Beschäftigungsverhältnis darstellt.

112. Andererseits ergibt sich aus den Begriffsbestimmungen in Art. 3 der Richtlinie 2008/104, dass die Leiharbeit Arbeitsverhältnisse „vorübergehender Art“ impliziert(47). Hieraus lässt sich folgern, dass diese Arbeitsform nicht die für alle Verhältnisse passende ist, insbesondere nicht bei dauerhaftem Bedarf an Arbeitskräften.

113. Allerdings enthält die Richtlinie 2008/104 keine Definition der Leiharbeit und zählt auch nicht abschließend die Fälle auf, die den Einsatz dieser Arbeitsform rechtfertigen. Ihr zwölfter Erwägungsgrund weist im Gegenteil darauf hin, dass sie die Vielfalt der Arbeitsmärkte wahren soll.

114. Da der Unionsgesetzgeber sich dazu entschieden hat, die einen Einsatz von Leiharbeit rechtfertigenden Situationen nicht einzugrenzen, haben die Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht einen bedeutenden Wertungsspielraum behalten.

115. Dieser große Wertungsspielraum folgt aus der Befugnis der Mitgliedstaaten, politische Entscheidungen hinsichtlich der Entwicklung des Arbeitsmarkts zu treffen und entsprechende Regelungen zu erlassen, wobei sie das Unionsrecht zu beachten haben. Er wird durch die Existenz des in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2008/104 enthaltenen Verbots sozialer Verschlechterung bestätigt. Die Mitgliedstaaten müssen nämlich über eine wesentliche Handlungsfreiheit verfügen, um sicherzustellen, dass die Beseitigung bestimmter Einschränkungen nicht zu einer Senkung des allgemeinen Niveaus des Arbeitnehmerschutzes in dem betreffenden Bereich führt.

116. Meines Erachtens kann ein Mitgliedstaat, ohne die Grenzen dieses Wertungsspielraums zu überschreiten, vorsehen, dass der Einsatz von Leiharbeit unter Umständen zulässig ist, die der zeitlich beschränkten Natur dieser Arbeitsform entsprechen, vorausgesetzt, dass sie sich nicht nachteilig auf die Direktbeschäftigung auswirkt.

117. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob die im Ausgangsrechtsstreit fragliche Bestimmung des Paragrafen 29 Abs. 1 des Branchentarifvertrags unter Berücksichtigung der letztgenannten Erwägung gerechtfertigt ist.

118. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass der Wortlaut der Bestimmung dies nahelegt.

119. Einerseits scheint mir gerechtfertigt, im Hinblick auf die oben in den Nrn. 111 und 112 beschriebene Natur der Leiharbeit den Einsatz dieser Form der Arbeit zu beschränken, nämlich entsprechend Paragraf 29 Abs. 1 des Branchentarifvertrags auf „den Ausgleich von Arbeitsspitzen oder sonst auf zeitlich oder ihrer Art nach begrenzte Aufgaben … die wegen der Dringlichkeit, der begrenzten Dauer der Arbeit, erforderlicher beruflicher Kenntnisse und Spezialgeräte oder aus vergleichbaren Gründen [von den entleihenden Unternehmen] eigenen Arbeitnehmern nicht übertragen werden können“.

120. Andererseits verfolgt die fragliche Bestimmung, soweit sie den Einsatz von Leiharbeitnehmern neben den eigenen Arbeitnehmern des Unternehmens über „einen längeren Zeitraum“ verbietet, meines Erachtens ein berechtigtes Ziel, nämlich diese Arbeitsform betreffende Missbräuche zu verhüten. Entsprechend den der Regelung der Union zugrunde liegenden Erwägungen darf sich der Einsatz von Leiharbeit nicht zu Ungunsten der direkten Arbeitsverhältnisse auswirken, sondern muss zu sichereren Formen der Arbeit führen.

121. Die Aufrechterhaltung von Leiharbeitsbeziehungen über einen längeren Zeitraum, obwohl diese ihrer Natur nach vorübergehend sein müssten, kann somit ein Indiz für einen Missbrauch dieser Arbeitsform sein.

122. Ich stelle fest, dass bei Fehlen anderweitiger Rechtfertigungsgründe der Erlass von Maßnahmen mit dem Ziel, Missbräuche beim Abschluss von Leiharbeitsverträgen zu verhindern, nicht einen quasigenerellen Ausschluss dieser Arbeitsform, etwa den Ausschluss von Leiharbeit in einem ganzen Wirtschaftszweig oder die Festlegung einer Quote für solche Art Verträge, rechtfertigen kann. Eine Maßnahme, die die missbräuchliche Ausübung eines Rechts verhindern soll, darf nicht einer Versagung des fraglichen Rechts gleichkommen.

123. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da die betreffenden Einschränkungen darauf begrenzt sind, die objektiven Gründe zu beschreiben, die den Einsatz von Leiharbeit rechtfertigen, und nicht den Zweck verfolgen, diese Form der Arbeit abzuschaffen.

124. Meines Erachtens ist somit eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die zum einen den Einsatz von Leiharbeit auf Aufgaben beschränkt, die ihrer Beschaffenheit oder ihrer Dauer nach objektiv dem Bedarf an vorübergehend Beschäftigten entsprechen, und die zum anderen verbietet, Leiharbeitnehmer über einen längeren Zeitraum neben Stammarbeitnehmern des Unternehmens zu beschäftigen, aus Gründen des Allgemeininteresses, die die Notwendigkeit betreffen, das ordnungsgemäße Funktionieren des Arbeitsmarkts sicherzustellen und Missbräuche zu verhindern, gerechtfertigt.

4.      Verhältnismäßigkeit

125. Was die Verhältnismäßigkeit dieser Einschränkungen betrifft, möchte ich hervorheben, dass die schriftlichen Erklärungen zeigen, dass in Bezug auf eventuelle Begrenzungen der Leiharbeit große Unterschiede zwischen den Sichtweisen der Mitgliedstaaten bestehen(48).

126. Die unterschiedliche Intensität der Einschränkungen, denen der Einsatz der Leiharbeit in den Mitgliedstaaten unterworfen wird, ist indessen für die Beurteilung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der geprüften Bestimmungen ohne Belang(49).

127. In dieser Hinsicht ist es zwar Sache des nationalen Gerichts, die Prüfung der Verhältnismäßigkeit vorzunehmen, doch möchte ich darauf hinweisen, dass die von der fraglichen Bestimmung auferlegten Einschränkungen meines Erachtens nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels sicherzustellen.

128. Zum einen sind diese Einschränkungen in hohem Maße an die rechtmäßig verfolgten Ziele gebunden, indem sie nur die vorübergehende Natur der Leiharbeit in konkrete Begriffe fassen und so vermeiden, dass diese Arbeitsform die direkte Beschäftigung ersetzt. Zum anderen scheinen die Einschränkungen ausreichend allgemein gefasst, um die individuellen Merkmale unterschiedlicher entleihender Unternehmen zu berücksichtigen, indem sie insbesondere Wendungen wie „sonst [begrenzte] Aufgaben“ und „über einen längeren Zeitraum“ verwenden.

5.      Zwischenergebnis

129. Ich komme zu dem Ergebnis, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die zum einen den Einsatz von Leiharbeit auf vorübergehende Aufgaben beschränkt, die aus objektiven Gründen nicht durch die vom entleihenden Unternehmen direkt beschäftigten Arbeitnehmer ausgeführt werden können, und die zum anderen den Einsatz von Leiharbeitnehmern neben den vom Unternehmen direkt beschäftigten Arbeitnehmern über einen längeren Zeitraum zur Erledigung von Aufgaben, die mit denen der Letztgenannten identisch sind, verbietet.

C –    Wirkung einer Auslegung der Bestimmung in der nationalen Rechtsordnung (dritte Frage)

130. Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Rolle ihm das Unionsrecht in dem Fall zuweist, dass es die streitige Bestimmung für unvereinbar mit Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 erachtet.

131. In Anbetracht der von mir vorgeschlagenen Antwort auf die zweite Frage ist es nicht erforderlich, auf die dritte Frage zu antworten. Ich werde sie gleichwohl kurz prüfen.

132. Zunächst ist festzustellen, dass sich die Pflicht der nationalen Gerichte zur konformen Auslegung auch auf Tarifvertragsbestimmungen erstreckt(50).

133. Das vorlegende Gericht fragt sich, ob das nationale Recht in einer der Richtlinie 2008/104 konformen Weise ausgelegt werden könne, da diese Richtlinie und der Branchentarifvertrag offensichtlich widersprüchliche Ansätze im Hinblick auf die Leiharbeit verfolgten und da das finnische Recht keine besonderen Vorschriften enthalte, mit denen das sich aus Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 ergebende Verbot umgesetzt werde.

134. Diesbezüglich möchte ich darauf hinweisen, dass sich die Pflicht zur konformen Auslegung nicht auf die zur Umsetzung der Richtlinie 2008/104 erlassenen innerstaatlichen Bestimmungen beschränkt, sondern verlangt, dass das nationale Gericht das gesamte nationale Recht berücksichtigt, um zu beurteilen, inwieweit es so angewendet werden kann, dass es nicht zu einem der Richtlinie widersprechenden Ergebnis führt(51).

135. Das Fehlen von Umsetzungsmaßnahmen hindert also das vorlegende nationale Gericht nicht daran, zu prüfen, ob es im Wege der Auslegung zu einer mit dem Unionsrecht in Einklang stehenden Lösung gelangen kann, indem es das gesamte innerstaatliche Recht berücksichtigt.

136. Wenn eine konforme Auslegung nicht möglich sein sollte, ist zu prüfen, ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 eine Direktwirkung entfaltet.

137. Die fragliche Vorschrift ist im Hinblick auf ihren Inhalt geeignet, eine Direktwirkung zu entfalten. Doch stellt sich die Frage, ob die Beklagte des Ausgangsverfahrens sich gegenüber einer Gewerkschaft auf sie berufen kann.

138. Wenn auch der Gerichtshof eine horizontale Direktwirkung der Richtlinien der Union noch immer nicht anerkannt hat(52), kann doch aus der Rechtsprechung abgeleitet werden, dass die im Vertrag anerkannten Grundfreiheiten mit einer horizontalen Direktwirkung in der Weise ausgestattet sind, dass ein Unternehmen sich gegenüber einer Gewerkschaft oder einer Gruppe von Gewerkschaften direkt auf sie berufen kann(53).

139. Ich halte es für folgerichtig, diese Wirkung auch Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 zuzuerkennen, die das Verbot von Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit im spezifischen Bereich der Leiharbeit konkretisiert.

140. Vor dem Erlass der Richtlinie 2008/104 fielen nämlich den Einsatz von Leiharbeitnehmern begrenzende nationale Maßnahmen dadurch, dass sie auch ein Hemmnis für Dienstleistungen in diesem Bereich darstellten, potenziell unter das Verbot des Art. 56 AEUV. Meines Erachtens wäre es inkohärent, solche Maßnahmen allein deswegen diesem Verbot nicht unterfallen zu lassen, weil dieses nun in der Richtlinie 2008/104 seinen besonderen Ausdruck gefunden habe und Richtlinien auf Beziehungen zwischen Privaten grundsätzlich nicht direkt anwendbar seien.

141. Ich möchte klarstellen: Es ist nicht meine Absicht, zu der Diskussion beizutragen, die über die horizontale Direktwirkung geführt wird, die bestimmte Grundsätze des Unionsrechts insbesondere dann zu entfalten vermögen, wenn sie durch Richtlinien konkretisiert werden(54).

142. Die vorliegende Fallgestaltung bietet meiner Ansicht nach sehr viel weniger Anlass zur Kontroverse, da Art. 4 Abs.1 der Richtlinie 2008/104 nicht den materiellen Gehalt von Art. 56 AEUV betrifft, der im Übrigen nach ständiger Rechtsprechung in bestimmten horizontalen Beziehungen mit Direktwirkung ausgestattet ist.

143. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 ist nämlich darauf beschränkt, ein Verbot ungerechtfertigter Einschränkungen der Leiharbeit in einer Norm des abgeleiteten Rechts festzulegen, die diesen Bereich harmonisiert (während solche Einschränkungen zuvor Art. 56 AEUV unterfielen) sowie die Gründe des Allgemeininteresses genauer festzulegen, aus denen solche Einschränkungen gerechtfertigt sein können.

144. Im Übrigen bedeutet die in diesem Bereich erfolgte Harmonisierung, dass es nicht länger erforderlich ist, nach einem grenzüberschreitenden Element zu suchen, das sonst Voraussetzung dafür ist, die Vorschriften über die Grundfreiheiten zur Anwendung zu bringen. Es steht nämlich fest, dass mit der Richtlinie 2008/104 innerstaatliche Sachverhalte geregelt werden.

145. Ich weise allerdings darauf hin, dass die Anwendung von Art. 56 AEUV auf einen Rechtsstreit wie den beim vorlegenden Gericht anhängigen auch unabhängig von der Richtlinie 2008/104 nicht ausgeschlossen ist, obwohl Personen einbezogen sind, die demselben Mitgliedstaat angehören.

146. Die streitige Bestimmung ist nämlich offensichtlich geeignet, grenzüberschreitende Auswirkungen zu entfalten, die im Zusammenhang mit Art. 56 AEUV erheblich sind, insbesondere insofern, als sie geeignet ist, den Zugang von Shell zu Dienstleistungen zu behindern, die von in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Leiharbeitsunternehmen erbracht werden(55). In einer solchen Situation scheint mir nicht erforderlich, ein grenzüberschreitendes, fallspezifisches Element zu suchen, das z. B. in der Frage bestünde, ob Shell im relevanten Zeitraum ein Leiharbeitsunternehmen in Anspruch genommen hat, das außerhalb Finnlands niedergelassen war, oder ob einer der während dieses Zeitraums für Shell arbeitenden Leiharbeitnehmer aus dem Ausland kam.

147. Sollte der Gerichtshof dazu veranlasst sein, sich mit der dritten Frage zu befassen, schlage ich demzufolge vor, sie dahin zu beantworten, dass sich ein Unternehmen gegenüber einer Gewerkschaft auf Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 berufen kann.

VI – Ergebnis

148. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Työtuomioistuin wie folgt zu antworten:

1.      Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über die Leiharbeit ist dahin auszulegen, dass er die Beibehaltung oder die Einführung von Verboten oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit verbietet, die nicht aus Gründen des Allgemeininteresses, darunter vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarkts zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten, gerechtfertigt sind.

2.      Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die zum einen den Einsatz von Leiharbeit auf vorübergehende Aufgaben beschränkt, die aus objektiven Gründen nicht durch die vom entleihenden Unternehmen direkt beschäftigten Arbeitnehmer ausgeführt werden können, und die zum anderen den Einsatz von Leiharbeitnehmern neben den vom Unternehmen direkt beschäftigten Arbeitnehmern über einen längeren Zeitraum zur Erledigung von Aufgaben, die mit denen der Letztgenannten identisch sind, verbietet.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 (ABl. L 327, S. 9).


3 – Am 4. Juni 1997 geschlossener Tarifvertrag zwischen Teollisuuden ja Työnantajain Keskusliitto (jetzt Elinkeinoelämän keskusliitto, Zentrales Bündnis für das Wirtschaftsleben) und dem Suomen Ammattiliittojen Keskusjärjestö (Dachverband der finnischen Gewerkschaften).


4 – Die Beklagten des Ausgangsverfahrens und die ungarische Regierung. Dieselbe Ansicht vertritt auch das vorlegende Gericht. Die französische und die polnische Regierung haben zu dieser Frage keine Stellung genommen.


5 – Die Klägerin des Ausgangsverfahrens sowie die finnische, die deutsche, die schwedische und die norwegische Regierung. Die Kommission, die ihre Haltung im Laufe des Verfahrens vor dem Gerichtshof geändert hat, scheint dieselbe Auslegung geltend zu machen.


6 – Zum nicht abschließenden Charakter dieser Liste vgl. Nr. 100 der vorliegenden Schlussanträge.


7 – Die finnische, die deutsche, die schwedische und die norwegische Regierung sowie – in der mündlichen Verhandlung – die Kommission.


8 – Der im ursprünglichen Gesetzgebungsvorschlag verwendete Titel „Richtlinie … über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern“ wurde in der Lesung im Europäischen Parlament geändert zu „Richtlinie … über die Leiharbeit“, mit der Begründung, dass „Ziel und Inhalt der Richtlinie über die bloßen Arbeitsbedingungen hinaus[gehen] und … auch die Förderung und Regulierung des Leiharbeitssektors [umfassen]“, wodurch sie zugleich in eine Reihe mit den vorangegangenen Richtlinien über die Teilzeitarbeit und die befristeten Arbeitsverträge gestellt wurde (vgl. die Begründung der legislativen Entschließung des Parlaments, A5-0356/2002 vom 23. Oktober 2002, Änderungsantrag 1).


9 – Die Erwägungsgründe 9 bis 11 der Richtlinie 2008/104 betonen die Bedeutung neuer Formen der Arbeitsorganisation für die Schaffung von Arbeitsplätzen, eine der Hauptachsen der Lissabon-Strategie.


10 – Vgl. 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/104.


11 – Neben der Richtlinie 2008/104 handelt es sich um die Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (ABl. 1998, L 14, S. 9) und um die Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. L 175, S. 43).


12 – Dieses Ziel war auch leitendes Motiv der Reihe von Vorschlägen der Kommission im Bereich der atypischen Beschäftigung: des weitgehend gescheiterten Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Ergänzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Zeitarbeitnehmern (KOM[90] 228, von der Kommission vorgelegt am 29. Juni 1990) und des Vorschlags SEC(1995) 1540, der die Anhörung der Sozialpartner initiierte, die zur Annahme zweier Rahmenverträge betreffend die Teilzeitarbeit und die befristeten Arbeitsverträge führte.


13 – Vgl. die vom Rat am 5. und 6. Dezember 2007 angenommenen gemeinsamen Grundsätze für den Flexicurity-Ansatz, die am 14. Dezember 2007 vom Europäischen Rat bestätigt wurden (Dokument Nr. 16201/07 des Rates). Vgl. auch Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Gemeinsame Grundsätze für den Flexicurity-Ansatz herausarbeiten: Mehr und bessere Arbeitsplätze durch Flexibilität und Sicherheit“ (KOM[2007] 359 endgültig vom 27. Juni 2007).


14 – Vgl. Bell, M., „Between flexicurity and fundamental social rights: the EU directives on atypical work“, European law review, 2012, Bd. 37, Nr. 1, S. 36; Davies, A., „Regulating atypical work: beyond equality“, Resocialising Europe in a time of crisis, 2013, S. 237.


15 – Diese Harmonisierung darf nach dem in Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2008/104 enthaltenen Verbot sozialer Verschlechterung nicht zu einer Senkung des allgemeinen Schutzniveaus für Arbeitnehmer in den betreffenden Bereichen führen.


16 –      Vgl. insbesondere Bell, M., a. a. O, S. 36; Davies, A., a. a. O., S. 237; Countouris, N., und Horton, R., „The Temporary Agency Work Directive: Another Broken Promise“, Industrial Law Journal, 2009, Bd. 38, Nr. 3, S. 335; Lhernould, J.‑P., „Le détachement des travailleurs intérimaires dans l’Union européenne“ [„Die Entsendung von Leiharbeitnehmern in der Europäischen Union“], Revue de droit de travail, 2012, S. 308; Weiss, M., „Regulating Temporary Work in Germany“, Temporary agency work in the European Union and the United States, S. 120 bis 122; Rönnmar, M., „The regulation of temporary agency work in Sweden and the impact of the (2008/104/EC) Directive“, European Labour Law Journal (ELLJ), 2010, Bd. 1, Nr. 3, S. 422 bis 429.


17 – Vgl. Engels, C., „Regulating temporary work in the European Union: The Agency Directive“, Temporary agency work in the European Union and the United States, 2013, Nr. 82, S. 14, Mitrus, L., „Ochrona pracowników tymczasowych w świetle prawa unijnego a prawo polskie“, Sobczyk, A. (Hrsg.), Z problematyki zatrudnienia tymczasowego, Wolters Kluwer Polska, 2011, S. 18.


18 – Gemeinsame Erklärung des Euro CIETT (Europäischer Verband der Zeitarbeitsunternehmen) und des UNI-Europa (Europäischer Gewerkschaftsverband) vom 28. Mai 2008 zur Richtlinie über die Leiharbeit, Nrn. 7 und 14 (http://www.eurociett.eu).


19 – Die Klägerin des Ausgangsverfahrens und die finnische Regierung.


20 – Vgl. geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern (KOM[2002] 701 endgültig vom 28. November 2002), durch den der ursprüngliche Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern (KOM[2002] 149 endgültig vom 20. März 2002) im Anschluss an die erste Lesung im Parlament ersetzt wurde.


21 – Gemeinsamer Standpunkt Nr. 24/2008 des Rates vom 15. September 2008 (ST 10599 2008).


22 – Insbesondere hat das Parlament den ursprünglichen Vorschlag der Kommission dahin geändert, dass drei neue Gründe eingeführt wurden, aus denen Einschränkungen gerechtfertigt sein können (Gesichtspunkte der Gesundheit und Sicherheit und anderer Risiken für bestimmte Kategorien von Arbeitnehmern bzw. in bestimmten Wirtschaftszweigen). Vgl. die legislative Entschließung des Parlaments vom 21. November 2002 (P5_TA[2002]0562) sowie die Begründung (A5-0356/2002 vom 23. Oktober 2002).


23 – Durch die Abänderung 34 wurde der betreffende Teil des Art. 4 in zwei verschiedene Abschnitte geteilt: „Im ersten Teil ist unmissverständlich festgehalten, dass Einschränkungen und Verbote des Einsatzes von Leiharbeit aufrechterhalten und/oder unter bestimmten Umständen erlassen werden können … durch den zweiten Teil wird die Überprüfung derartiger Einschränkungen, Verbote und spezifischer Verwaltungsvorschriften durch die Mitgliedstaaten gestärkt“. Vgl. Begründung der legislativen Entschließung des Parlaments (A5-0356/2002 vom 23. Oktober 2002).


24 – Gemeinsamer Standpunkt Nr. 24/2008, Punkt 2.2 der Begründung.


25 – Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament gemäß Artikel 251 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG-Vertrag zum gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Leiharbeit − Politische Einigung über einen gemeinsamen Standpunkt (QMV) (KOM[2008] 569 endgültig vom 18. September 2008, S. 6).


26 – Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22. Oktober 2008 (P6_TA[2008] 0507).


27 – Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die finnische, die deutsche und die schwedische Regierung sowie – in der mündlichen Verhandlung – die Kommission.


28 – Vgl. insbesondere Urteil Kommission/Parlament und Rat (C‑411/06, EU:C:2009:518, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).


29 – Vgl. u. a. Urteil Huber (C‑336/00, EU:C:2002:509, Rn. 31).


30 – Vgl. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 97/81 sowie Urteile Michaeler u. a. (C‑55/07 und C‑56/07, EU:C:2008:248) und Bruno u. a. (C‑395/08 und C‑396/08, EU:C:2010:329, Rn. 78). Die genannte Richtlinie ist auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 2 des Abkommens über die Sozialpolitik erlassen worden, das dem Protokoll (Nr. 14) über die Sozialpolitik im Anhang zum Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt ist und in der Folge in das die Sozialvorschriften betreffende Kapitel des EG-Vertrags integriert wurde (Art. 139 Abs. 2 EG).


31 – Urteile Laval un Partneri (C‑341/05, EU:C:2007:809, Rn. 98) sowie International Transport Workers’ Federation und Finnish Seamen’s Union (C‑438/05, EU:C:2007:772, Rn. 33 und 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).


32 – Urteile Prigge u. a. (C‑447/09, EU:C:2011:573, Rn. 47) sowie Erny (C‑172/11, EU:C:2012:399, Rn. 50). Diese Erwägung findet sich im 19. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/104.


33 – Urteil Hennigs und Mai (C‑297/10 und C‑298/10, EU:C:2011:560, Rn. 68 und 78).


34 – Vgl. Schlussanträge von Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Österreichischer Gewerkschaftsbund (C‑476/12, EU:C:2014:89, Nr. 51).


35 – Demgegenüber ist in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104 eine Ausnahme in diesem Sinne in Bezug auf den Grundsatz der Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer vorgesehen.


36 – Gutachten 1/09 (EU:C:2011:123, Rn. 85 und 89).


37 – In ihren schriftlichen Erklärungen hat die Kommission eine andere Auslegung vorgeschlagen, indem sie geltend machte, Art. 4 verbiete die Beibehaltung ungerechtfertigter Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit.


38 – Robin-Olivier, S., „A French reading of Directive 2008/104 on temporary agency work“, European labour law journal, 2010, Bd.1, Nr. 3, S. 404.


39 – Zum Beispiel das Verbot, mit einem Leiharbeitnehmer einen unbefristeten Arbeitsvertrag abzuschließen, das Verbot des Einsatzes von Leiharbeit zum Zwecke der Integration in das entleihende Unternehmen oder das Verbot, Behinderte als Leiharbeitnehmer zu beschäftigen (vgl. Bericht der Kommission über die Arbeiten der Expertengruppe zur Umsetzung der Richtlinie 2008/104, August 2011, S. 29 und 31, sowie Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Anwendung der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit, COM(2014) 176 final vom 21. März 2014, S. 12 und 13).


40 – Vgl. z. B. Urteile Kommission/Belgien (C‑397/10, EU:C:2011:444) sowie Strojírny Prostějov und ACO Industries Tábor (C‑53/13 und C‑80/13, EU:C:2014:2011).


41 – Vgl. Nrn. 80 bis 83 der vorliegenden Schlussanträge.


42 –      Vgl. Nrn. 145 und 146 der vorliegenden Schlussanträge.


43 – Urteil Portugaia Construções (C‑164/99, EU:C:2002:40, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).


44 –      Urteile Säger (C‑76/90, EU:C:1991:331, Rn. 15) sowie Strojírny Prostějov und ACO Industries Tábor (EU:C:2014:2011, Rn. 44). Zu den bereits vom Gerichtshof anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehört der Schutz der Arbeitnehmer (vgl. Urteil Portugaia Construções, EU:C:2002:40, Rn. 20).


45 – Vgl. Urteil Strojírny Prostějov und ACO Industries Tábor (EU:C:2014:2011). Entsprechend sind die nationalen Anforderungen hinsichtlich der Eintragung, Zulassung, Zertifizierung, finanziellen Garantie und Überwachung der Leiharbeitsunternehmen gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2008/104 von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen und bleiben deshalb potenziell den Art. 49 AEUV und 56 AEUV unterworfen.


46 – Vgl. 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/104 sowie Nr. 7 der allgemeinen Erwägungen des Rahmenvertrags, auf den die Richtlinie 1999/70 Bezug nimmt. Vgl. auch Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen in der Rechtssache Jansen (C‑313/10, EU:C:2011:593, Nr. 57).


47 – Vgl. die Definitionen der Begriffe „Leiharbeitsunternehmen“, „Leiharbeitnehmer“ und „entleihendes Unternehmen“ in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b bis d der Richtlinie 2008/104.


48 – Dieser Befund wird bestärkt durch den Bericht COM(2014) 176 final, S. 9 und 10.


49 – Urteil Mac Quen u. a. (C‑108/96, EU:C:2001:67, Rn. 33 und 34).


50 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Pfeiffer u. a. (C‑397/01 bis C‑403/01, EU:C:2004:584, Rn. 101 und 119) sowie Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in dieser Rechtssache (C‑397/01 bis C‑403/01, EU:C:2003:245, Nr. 59).


51 – Urteile Marleasing (C‑106/89, EU:C:1990:395, Rn. 8), Pfeiffer u. a. (EU:C:2004:584, Rn. 115) sowie Association de médiation sociale (C‑176/12, EU:C:2014:2, Rn. 38).


52 – Urteile Dominguez (C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 42) sowie Association de médiation sociale (EU:C:2014:2, Rn. 36).


53 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Laval un Partneri (EU:C:2007:809, Rn. 98) sowie Schlussanträge von Generalanwalt Mengozzi in dieser Rechtssache (C‑341/05, EU:C:2007:291, Rn. 159 bis 161) und, die Niederlassungsfreiheit betreffend, das Urteil International Transport Workers’ Federation und Finnish Seamen’s Union (EU:C:2007:772, Rn. 66).


54 – Vgl. vor Kurzem Schlussanträge von Generalanwalt Cruz Villalón in der Rechtssache Association de médiation sociale (C‑176/12, EU:C:2013:491, Rn. 73 bis 80).


55 – Vgl. in dieser Hinsicht Urteil Venturini u. a. (C‑159/12 bis C‑161/12, EU:C:2013:791, Rn. 26) sowie Schlussanträge von Generalanwalt Wahl in dieser Rechtssache (C‑159/12 bis C‑161/12, EU:C:2013:529, Rn. 35).