Language of document : ECLI:EU:C:2011:810

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

8. Dezember 2011(*)

„Rechtsmittel – Wettbewerb – Kartelle – Markt für Kupfer-Industrierohre – Geldbußen – Größe des Marktes, Zuwiderhandlungsdauer und Zusammenarbeit, die berücksichtigt werden können – Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz“

In der Rechtssache C‑272/09 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 15. Juli 2009,

KME Germany AG, vormals KM Europa Metal AG, mit Sitz in Osnabrück (Deutschland),

KME France SAS, vormals Tréfimétaux SA, mit Sitz in Courbevoie (Frankreich),

KME Italy SpA, vormals Europa Metalli SpA, mit Sitz in Florenz (Italien),

Prozessbevollmächtigte: M. Siragusa, avvocato, A. Winckler, avocat, G. C. Rizza, avvocato, T. Graf, advokat, und M. Piergiovanni, avvocato,

Rechtsmittelführerinnen,

andere Verfahrensbeteiligte:

Europäische Kommission, vertreten durch E. Gippini Fournier und J. Bourke als Bevollmächtigte im Beistand von C. Thomas, Solicitor, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richter U. Lõhmus, A. Rosas (Berichterstatter), A. Ó Caoimh und A. Arabadjiev,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 2010,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. Februar 2011

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die KME Germany AG, vormals KM Europa Metal AG, die KME France SAS, vormals Tréfimétaux SA, und die KME Italy SpA, vormals Europa Metalli SpA (im Folgenden zusammen: KME-Gruppe), das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 6. Mai 2009, KME Germany u. a./Kommission (T‑127/04, Slg. 2009, II‑1167, im Folgenden: angefochtenes Urteil), aufzuheben, mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbußen abgewiesen hat, die gegen sie gemäß Art. 2 Buchst. c bis e der Entscheidung C(2003) 4820 endg. der Kommission vom 16. Dezember 2003 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E-1/38.240 – Industrierohre) (im Folgenden: streitige Entscheidung) verhängt worden waren.

 Rechtlicher Rahmen

2        Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81] und [82] des Vertrags (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204) bestimmte:

„Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen in Höhe von eintausend bis einer Million Rechnungseinheiten oder über diesen Betrag hinaus bis zu zehn vom Hundert des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig:

a)      gegen Artikel [81] Absatz (1) [EG] oder Artikel [82 EG] verstoßen,

b)      einer nach Artikel 8 Absatz (1) erteilten Auflage zuwiderhandeln.

Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist neben der Schwere des Verstoßes auch die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.“

3        Art. 17 der Verordnung Nr. 17 bestimmte:

„Bei Klagen gegen Entscheidungen der Kommission, in denen eine Geldbuße oder ein Zwangsgeld festgesetzt ist, hat der Gerichtshof die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Entscheidung im Sinne von Artikel [229 EG]; er kann die festgesetzte Geldbuße oder das festgesetzte Zwangsgeld aufheben, herabsetzen oder erhöhen.“

4        Die Verordnung Nr. 17 wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1), die seit dem 1. Mai 2004 gilt, aufgehoben und ersetzt. Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 entspricht Art. 17 der Verordnung Nr. 17.

5        In der Präambel der Mitteilung der Kommission „Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden“ (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), die zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Entscheidung galt, heißt es:

„Die in diesen Leitlinien dargelegten Grundsätze sollen dazu beitragen, die Transparenz und Objektivität der Entscheidungen der Kommission sowohl gegenüber den Unternehmen als auch gegenüber dem Gerichtshof zu erhöhen, sowie den Ermessensspielraum bekräftigen, der vom Gesetzgeber der Kommission bei der Festsetzung der Geldbußen innerhalb der Obergrenze von 10 % des Gesamtumsatzes der Unternehmen eingeräumt wurde. Dieser Ermessensspielraum muss jedoch nach zusammenhängenden, nicht diskriminierenden Leitlinien ausgefüllt werden, die im Einklang mit den bei der Ahndung der Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln verfolgten Zielen stehen.

Das neue Verfahren für die Festsetzung des Betrags der Geldbuße beruht auf folgendem Schema, dem die Errechnung eines Grundbetrags zugrunde liegt, wobei Aufschläge zur Berücksichtigung erschwerender und Abzüge zur Berücksichtigung mildernder Umstände berechnet werden können.“

6        Gemäß Nr. 1 der Leitlinien wird „[d]er Grundbetrag … nach Maßgabe der Schwere und Dauer des Verstoßes als den einzigen Kriterien von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 errechnet“.

7        Bei der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes sind gemäß Nr. 1 A der Leitlinien seine Art und die konkreten Auswirkungen auf den Markt, sofern diese messbar sind, sowie der Umfang des betreffenden räumlichen Marktes zu berücksichtigen. Die Verstöße werden in folgende drei Gruppen unterteilt: minder schwere, schwere und besonders schwere Verstöße.

8        Nach den Leitlinien sind besonders schwere Verstöße u. a. horizontale Beschränkungen wie z. B. „Preiskartelle“ und Marktaufteilungsquoten. Der voraussichtliche Grundbetrag liegt „oberhalb von 20 Millionen [Euro]“. Bei der Festlegung des Grundbetrags ist den Leitlinien zufolge eine Differenzierung notwendig, um Folgendes zu berücksichtigen: die Art des begangenen Verstoßes, die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße, Wettbewerber und den Verbraucher wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen, die abschreckende Wirkung der Geldbuße sowie der wirtschaftliche Sachverstand und Ressourcen der Unternehmen, anhand deren sie erkennen können, in welchem Maß ihre Vorgehensweise einen Verstoß darstellt. Weiter ist bei Verstößen, an denen mehrere Unternehmen beteiligt sind, das jeweilige Gewicht und damit die tatsächliche Auswirkung des Verstoßes jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen, vor allem, wenn an einem Verstoß derselben Art Unternehmen von sehr unterschiedlicher Größe beteiligt waren.

9        Hinsichtlich der Dauer des Verstoßes wird in den Leitlinien unterschieden zwischen Verstößen von kurzer Dauer – in der Regel weniger als ein Jahr –, Verstößen von mittlerer Dauer – in der Regel zwischen einem und fünf Jahren – und solchen von langer Dauer – in der Regel mehr als fünf Jahre. Bei den Letztgenannten kann ein Aufschlag auf die Geldbuße erfolgen, der für jedes Jahr des Verstoßes bis zu 10 % des für die Schwere des Verstoßes ermittelten Betrags ausmachen kann. Die Leitlinien sehen außerdem eine Erhöhung der Aufschläge bei Verstößen von langer Dauer vor, um die Wettbewerbsbeschränkungen, die sich auf die Verbraucher dauerhaft schädlich ausgewirkt haben, wirksam zu ahnden und den Anreiz zu erhöhen, den Verstoß anzuzeigen oder mit der Kommission zusammenzuarbeiten.

10      Gemäß Nr. 2 der Leitlinien kann der Grundbetrag der Geldbuße bei erschwerenden Umständen wie z. B. einem erneuten, gleichartigen Verstoß des/derselben Unternehmen(s) erhöht werden. Gemäß Nr. 3 der Leitlinien kann dieser Grundbetrag bei mildernden Umständen wie z. B. ausschließlich passive Mitwirkung oder reines Mitläufertum, tatsächliche Nichtanwendung der Vereinbarungen oder aktive Mitwirkung des Unternehmens an dem Verfahren außerhalb des Anwendungsbereichs der Mitteilung der Kommission über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 1996, C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit) verringert werden.

11      Die Leitlinien wurden mit Wirkung vom 1. September 2006 ersetzt durch die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2).

12      In der Mitteilung über Zusammenarbeit sind die Voraussetzungen festgelegt, unter denen Geldbußen für Unternehmen, die während der Untersuchung eines Kartellfalls mit der Kommission zusammenarbeiten, entweder nicht oder niedriger festgesetzt werden können. Nach Abschnitt B dieser Mitteilung wird u. a. gegenüber einem Unternehmen, das die Absprache der Kommission anzeigt, bevor diese eine Nachprüfung vorgenommen hat und bereits über ausreichende Informationen verfügt, um das Bestehen des angezeigten Kartells zu beweisen, oder das als Erstes Angaben macht, die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung sind, die Höhe der Geldbuße um mindestens 75 % niedriger festgesetzt, und es kann auf die Festsetzung der Geldbuße ganz verzichtet werden. Nach Abschnitt D dieser Mitteilung kann eine Geldbuße um 10 % bis 50 % niedriger festgesetzt werden, insbesondere wenn ein Unternehmen der Kommission vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte Informationen, Unterlagen oder andere Beweismittel liefert, die zur Feststellung eines Verstoßes beitragen.

13      Die Mitteilung über Zusammenarbeit wurde mit Wirkung vom 14. Februar 2002 durch die Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3) ersetzt. Die Kommission wandte jedoch in der vorliegenden Rechtssache die Mitteilung über Zusammenarbeit an, da die Unternehmen diese zugrunde legten, als sie mit ihr zusammenarbeiteten.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

14      Die Rechtsmittelführerinnen waren zusammen mit anderen Herstellern von Halbfertigerzeugnissen aus Kupfer und Kupferlegierungen, nämlich der Wieland-Werke AG sowie der Outokumpu Oyj und der Outokumpu Copper Products Oy (im Folgenden zusammen: Outokumpu-Gruppe), an einem Kartell zur Preisfestsetzung und Marktaufteilung im Sektor Industrierohre, insbesondere Kupferrohre in gespulten Coils (LWC), beteiligt.

15      Am 16. Dezember 2003 erließ die Kommission, nachdem sie Nachprüfungen und Untersuchungen durchgeführt hatte, die streitige Entscheidung, von der eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union vom 28. April 2004 (ABl. L 125, S. 50) veröffentlicht ist.

16      Für das vorliegende Rechtsmittel sind insoweit folgende Randnummern des angefochtenen Urteils relevant, in denen das Gericht den Teil der streitigen Entscheidung über die Berechnung der Geldbuße zusammengefasst hat:

„11      In einem ersten Schritt stufte die Kommission zur Festsetzung des Ausgangsbetrags der Geldbuße die Zuwiderhandlung, die hauptsächlich in der Festsetzung von Preisen und der Aufteilung von Märkten bestanden habe, als eine ihrem Wesen nach besonders schwere Zuwiderhandlung ein (Randnr. 294 der [streitigen] Entscheidung).

12      Bei der Feststellung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigte die Kommission auch, dass das Kartell das gesamte Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) betreffe (Randnr. 316 der [streitigen] Entscheidung). Sie untersuchte ferner die tatsächlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung und stellte fest, die Vereinbarung habe ‚unter dem Strich Marktwirkungen gezeitigt‘ (Randnr. 314 der [streitigen] Entscheidung).

14      Schließlich berücksichtigte die Kommission im Rahmen der Feststellung der Schwere der Zuwiderhandlung noch, dass die Branche der Kupfer-Industrierohre einen wichtigen Industriezweig darstelle, dessen Marktwert bezogen auf den EWR mit 288 Millionen Euro veranschlagt werde (Randnr. 318 der [streitigen] Entscheidung).

15      Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände stellte die Kommission fest, dass die in Rede stehende Zuwiderhandlung besonders schwer sei (Randnr. 320 der [streitigen] Entscheidung).

19      In einem vierten Schritt bewertete die Kommission die Zuwiderhandlung, die sich über einen Zeitraum vom 3. Mai 1988 bis 22. März 2001 erstreckte, im Hinblick auf ihre Dauer als ‚lang‘. Unter Berücksichtigung der Dauer der Zuwiderhandlung hielt sie es für angemessen, den Ausgangsbetrag der gegen die betreffenden Unternehmen verhängten Geldbußen für jedes Jahr der Teilnahme am Kartell um 10 % zu erhöhen. …

21      In einem sechsten Schritt berücksichtigte die Kommission als mildernden Umstand, dass sie ohne die Zusammenarbeit von Outokumpu das rechtswidrige Verhalten nur für einen Zeitraum von vier Jahren hätte beweisen können, und reduzierte daher den Grundbetrag ihrer Geldbuße um 22,22 Millionen Euro, so dass der Grundbetrag der Geldbuße entspricht, die für einen solchen Zeitraum gegen sie verhängt worden wäre (Randnr. 386 der [streitigen] Entscheidung).

22      In einem siebten Schritt schließlich ermäßigte die Kommission gemäß Abschnitt D der Mitteilung … über Zusammenarbeit den Betrag der Geldbußen für Outokumpu um 50 %, für Wieland [Werke AG] um 20 % und für die KME-Gruppe um 30 % (Randnrn. 402, 408 und 423 der [streitigen] Entscheidung).“

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

17      Die Rechtsmittelführerinnen stützten ihre Klage auf fünf Klagegründe, die sich alle auf die Festsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße bezogen. Mit ihnen beanstandeten sie eine nicht angemessene Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen des Kartells bei der Berechnung des Ausgangsbetrags der Geldbuße, eine unzutreffende Beurteilung der Größe des von der Zuwiderhandlung betroffenen Sektors, eine fehlerhafte Erhöhung des Ausgangsbetrags der Geldbuße aufgrund der Dauer der Zuwiderhandlung, die Nichtberücksichtigung bestimmter mildernder Umstände und eine unzureichende Herabsetzung der Geldbuße gemäß der Mitteilung über Zusammenarbeit.

18      Das Gericht hat diese Klagegründe zurückgewiesen und die Klage insgesamt abgewiesen.

 Anträge der Verfahrensbeteiligten

19      Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die KME-Gruppe,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben;

–        soweit dies auf der Grundlage des dem Gerichtshof vorliegenden Sachverhalts möglich ist, die streitige Entscheidung teilweise für nichtig zu erklären und die gegen die KME-Gruppe verhängte Geldbuße herabzusetzen;

–        der Kommission die Kosten des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens vor dem Gericht aufzuerlegen;

–        hilfsweise, das angefochtene Urteil einschließlich der vom Gericht erster Instanz ausgesprochenen Verurteilung der KME-Gruppe zur Tragung der Kosten aufzuheben und die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen.

20      Die Kommission beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        der KME-Gruppe die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

21      Die KME-Gruppe macht fünf Rechtsmittelgründe geltend, mit denen sie Rechtsfehler in Bezug auf die Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt, die Berücksichtigung des Umsatzes, die Dauer der Zuwiderhandlung und die Mitwirkung der Rechtsmittelführerinnen sowie eine Verletzung des Anspruchs auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz rügt.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler in Bezug auf die Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

22      Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, ihr erster Rechtsmittelgrund richte sich gegen die Randnrn. 60 bis 74 des angefochtenen Urteils. Diesen Randnummern geht eine Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien sowie eine Stellungnahme des Gerichts zur Zulässigkeit von zwei wirtschaftswissenschaftlichen Berichten voraus, die die Rechtsmittelführerinnen als Beweis dafür vorgelegt hatten, dass sich die Zuwiderhandlung nicht tatsächlich auf den Markt ausgewirkt habe; das Gericht gelangt in Randnr. 59 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis, dass die Vorlage dieser Berichte zulässig sei.

23      Die Randnrn. 60 bis 74 des angefochtenen Urteils lauten wie folgt:

„60      Zur Begründetheit dieses Klagegrundes ist festzustellen, dass die Klägerinnen damit sowohl die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung … durch die Kommission als auch die von ihr vorgenommene differenzierte Behandlung auf der Grundlage der Marktanteile der betroffenen Unternehmen … rügen.

61      Was zunächst die differenzierte Behandlung der in Rede stehenden Unternehmen angeht, bringt die hierzu von der Kommission in der [streitigen] Entscheidung ausgeführte Begründung u. a. das Bestreben zum Ausdruck, ‚das Gewicht jedes einzelnen Unternehmens und damit die tatsächliche Auswirkung des individuellen rechtswidrigen Verhaltens auf den Wettbewerb‘ zu berücksichtigen (Randnr. 322 der [streitigen] Entscheidung). Allerdings ist zu betonen, dass die Kommission selbst dann, wenn es an einem Nachweis für konkrete Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt fehlt, zu einer differenzierten Behandlung nach Maßgabe der Anteile am betreffenden Markt berechtigt ist, wie sie in den Randnrn. 326 bis 329 der [streitigen] Entscheidung vorgenommen wird.

62      Nach der Rechtsprechung stellt nämlich der Anteil jedes der betreffenden Unternehmen an dem Markt, der Gegenstand einer beschränkenden Verhaltensweise war, ein objektives Kriterium dar, das zutreffend die Verantwortung jedes der Unternehmen an der Schädlichkeit dieser Verhaltensweise auf den normalen Wettbewerb angibt (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission, T‑236/01, T‑239/01, T‑244/01 bis T‑246/01, T‑251/01 und T‑252/01, Slg. 2004, II‑1181, Randnr. 197).

63      In gleicher Weise ist auch in Bezug auf die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung festzustellen, dass es keinen Einfluss auf die Qualifizierung der Zuwiderhandlung als ‚besonders schwer‘ und damit auf den Betrag der Geldbuße gehabt hätte, wenn die Kommission nicht nachgewiesen hätte, dass das Kartell konkrete Auswirkungen auf den Markt hatte.

64      Aus dem gemeinschaftsrechtlichen Sanktionssystem für Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln, wie es mit der Verordnung Nr. 17 geschaffen wurde und von der Rechtsprechung ausgelegt wird, ergibt sich, dass Kartelle aufgrund ihres Wesens die schwersten Geldbußen verdienen. Die Frage nach ihren möglichen konkreten Auswirkungen auf den Markt, insbesondere die Frage, inwieweit die Wettbewerbsbeschränkung zu einem höheren Marktpreis geführt hat als dem, der ohne Kartell zu erzielen gewesen wäre, ist für die Bestimmung der Höhe der Geldbußen kein entscheidendes Kriterium (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 7. Juni 1983, Musique Diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnrn. 120 und 129, vom 17. Juli 1997, Ferriere Nord/Kommission, C‑219/95 P, Slg. 1997, I‑4411, Randnr. 33, vom 16. November 2000, Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, C‑286/98 P, Slg. 2000, I‑9925, Randnrn. 68 bis 77, und vom 25. Januar 2007, Dalmine/Kommission, C‑407/04 P, Slg. 2007, I‑829, Randnrn. 129 und 130; Urteil Tokai Carbon u. a./Kommission, … Randnr. 225; vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache C‑283/98 P, Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2000, Mo och Domsjö/Kommission, Slg. 2000, I‑9855, I‑9858, Nrn. 95 bis 101).

65      Zudem ergibt sich aus den Leitlinien, dass Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die – wie im vorliegenden Fall – insbesondere auf die Festsetzung der Preise und die Aufteilung der Kunden abzielen, bereits aufgrund ihres Wesens als ‚besonders schwer‘ eingestuft werden können, ohne dass es erforderlich wäre, dass solche Verhaltensweisen durch eine Auswirkung oder einen besonderen räumlichen Umfang gekennzeichnet sind. Dieses Ergebnis wird dadurch bestätigt, dass zwar in der Beschreibung der ‚schweren‘ Verstöße ausdrücklich erwähnt wird, dass sie Auswirkungen auf den Markt haben und in einem größeren Teil des Gemeinsamen Marktes zum Tragen kommen, die Beschreibung der ‚besonders schweren‘ Verstöße aber kein Erfordernis konkreter Auswirkungen auf den Markt oder auf ein besonderes geografisches Gebiet enthält (Urteil des Gerichts vom 25. Oktober 2005, Groupe Danone/Kommission, T‑38/02, Slg. 2005, II‑4407, Randnr. 150).

66      Vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass nach seiner Auffassung die Kommission eine konkrete Auswirkung des Kartells auf den betreffenden Markt rechtlich hinreichend nachgewiesen hat.

67      In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Prämisse der Klägerinnen, wonach die Kommission, sofern sie sich bei der Festsetzung der Geldbuße auf eine konkrete Auswirkung des Kartells berufe, verpflichtet sei, das Vorliegen einer greifbaren wirtschaftlichen Auswirkung auf den Markt und einen Kausalzusammenhang zwischen der Auswirkung und der Zuwiderhandlung wissenschaftlich nachzuweisen, von der Rechtsprechung zurückgewiesen worden ist.

68      Das Gericht hat nämlich mehrfach entschieden, dass die konkreten Auswirkungen eines Kartells auf den Markt als hinreichend nachgewiesen anzusehen sind, wenn die Kommission in der Lage ist, konkrete und glaubhafte Indizien dafür vorzulegen, dass das Kartell mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Auswirkungen auf den Markt hatte (vgl. u. a. Urteile des Gerichts [vom 18. Juli 2005,] Scandinavian Airlines System/Kommission, [T‑241/01, Slg. 2005, II‑2917,] Randnr. 122, vom 27. September 2006, Archer Daniels Midland/Kommission, T‑59/02, Slg. 2006, II‑3627, Randnrn. 159 bis 161, Jungbunzlauer/Kommission, T‑43/02, Slg. 2006, II‑3435, Randnrn. 153 bis 155, Archer Daniels Midland/Kommission, T‑329/01, Slg. 2006, II‑3255, Randnrn. 176 bis 178, Roquette Frères/Kommission, T‑322/01, Slg. 2006, II‑3137, Randnrn. 73 bis 75).

69      In dieser Hinsicht ist festzustellen, dass die Klägerinnen die oben in Randnr. 13 dargelegten Tatsachen nicht bestritten haben, auf die sich die Kommission für ihre Annahme des Vorliegens konkreter Auswirkungen des Kartells auf den Markt gestützt hat, dass nämlich die Preise in Zeiträumen einer schwächeren Umsetzung der Vereinbarungen gefallen und in anderen Zeiträumen stark gestiegen sind, dass ein System für den Austausch von Daten über Verkaufsvolumen und Preisniveaus geschaffen wurde, dass die Kartellmitglieder insgesamt über einen großen Marktanteil verfügten und dass die jeweiligen Marktanteile der Kartellteilnehmer während der Dauer der Zuwiderhandlung relativ stabil geblieben sind. Die Klägerinnen haben nur geltend gemacht, diese Tatsachen seien nicht als Nachweis dafür geeignet, dass die in Rede stehende Zuwiderhandlung konkrete Auswirkungen auf den Markt gehabt habe.

70      Aus der Rechtsprechung geht jedoch hervor, dass die Kommission auf der Grundlage der in der vorstehenden Randnummer genannten Indizien annehmen darf, dass die Zuwiderhandlung konkrete Auswirkungen auf den Markt hatte (vgl. in diesem Sinne Urteile Jungbunzlauer/Kommission, … Randnr. 159, Roquette Frères/Kommission, … Randnr. 78, vom 27. September 2006, Archer Daniels Midland/Kommission, T‑59/02, … Randnr. 165, Archer Daniels Midland/Kommission, T‑329/01, … Randnr. 181; Urteil des Gerichts vom 14. Dezember 2006, Raiffeisen Zentralbank Österreich u. a./Kommission, T‑259/02 bis T‑264/02 und T‑271/02, Slg. 2006, II‑5169, Randnrn. 285 bis 287).

71      Soweit die Klägerinnen geltend machen, dass die Akte Beispiele für die Nichteinhaltung der Kartellvereinbarungen enthalte, ist dem entgegenzuhalten, dass die Tatsache, dass sich die Kartellmitglieder nicht immer an die Vereinbarungen hielten, nicht ausreicht, um eine Auswirkung auf den Markt auszuschließen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts Groupe Danone/Kommission, … Randnr. 148).

72      Auch dem auf ihr eigenes Verhalten gestützten Vorbringen der Klägerinnen kann nicht gefolgt werden. Das von einem Unternehmen behauptete tatsächliche Verhalten ist nämlich bei der Bewertung der Auswirkungen eines Kartells auf den Markt nicht von Bedeutung; zu berücksichtigen sind lediglich die Wirkungen der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit (Urteil des Gerichts vom 9. Juli 2003, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, T‑224/00, Slg. 2003, II‑2597, Randnr. 167). Ebenso wenig kann beanstandet werden, dass die Kommission in Randnr. 303 der [streitigen] Entscheidung festgestellt hat, dass der ursprüngliche Bericht es nicht erlaube, ihre Feststellungen in Bezug auf die tatsächlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt zu widerlegen. Die in ihm enthaltene ökonometrische Untersuchung verarbeitet nämlich nur Zahlen, die sich auf die Klägerinnen beziehen.

73      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist der vorliegende Klagegrund somit als unbegründet zurückzuweisen.

74      Das Gericht ist ferner im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung und im Licht der vorstehenden Erwägungen der Auffassung, dass die von der Kommission vorgenommene Beurteilung des nach Maßgabe der Schwere festgesetzten Ausgangsbetrags der Geldbuße nicht in Frage zu stellen ist.“

24      Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, die Begründung des angefochtenen Urteils sei unlogisch und unzureichend und das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es davon ausgegangen sei, dass die Kommission bei der Bestimmung des Ausgangsbetrags der Geldbuße anhand der Schwere der Zuwiderhandlung die Auswirkungen des Kartells auf den relevanten Markt habe berücksichtigen dürfen, ohne nachweisen zu müssen, dass die Vereinbarungen tatsächlich solche Auswirkungen gehabt hätten, und indem es jedenfalls diese Auswirkungen aus bloßen Anhaltspunkten hergeleitet habe. Zudem habe das Gericht mit seiner Feststellung, dass die Kommission das Bestehen von Auswirkungen der Vereinbarungen auf den Markt rechtlich hinreichend dargetan habe, die ihm von der KME-Gruppe vorgelegten Tatsachen und Beweise wirtschaftlicher Art offensichtlich verfälscht.

25      Die Kommission macht zunächst geltend, dass der erste Rechtsmittelgrund ins Leere gehe. Die Rechtsmittelführerinnen hätten nämlich nichts gegen die Randnrn. 60 bis 65 des angefochtenen Urteils vorgebracht, in denen das Gericht festgestellt habe, dass ein Nachweis konkreter Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt nicht erforderlich sei, weder in Bezug auf die differenzierte Behandlung der betroffenen Unternehmen noch in Bezug auf die Schwere der Zuwiderhandlung. Sie rügten lediglich eine Erwägung, die das Gericht in den Randnrn. 67 ff. des angefochtenen Urteils vorsorglich angestellt habe und wonach die Kommission eine konkrete Auswirkung des Kartells auf den betreffenden Markt rechtlich hinreichend nachgewiesen habe.

26      Jedenfalls sei der erste Rechtsmittelgrund unzulässig, da er die Würdigung der Tatsachen und Beweismittel betreffe.

27      Sodann macht die Kommission geltend, dass das Gericht die Beweismittel ordnungsgemäß geprüft habe.

28      Schließlich ist die Kommission der Ansicht, dass das angefochtene Urteil ordnungsgemäß begründet sei, insbesondere dessen Randnr. 72, in der das Gericht das Vorbringen und die Beweismittel der Rechtsmittelführerinnen zurückgewiesen habe.

 Würdigung durch den Gerichtshof

29      Die Rechtsmittelführerinnen beanstanden nicht die Feststellungen des Gerichts betreffend die Einstufung der Zuwiderhandlung als „besonders schwer“ im Sinne der Leitlinien oder betreffend die Differenzierung zwischen den Unternehmen nach den Anteilen auf dem relevanten Markt, um das Gewicht jedes einzelnen Unternehmens und damit die tatsächliche Auswirkung des individuellen rechtswidrigen Verhaltens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen. Sie rügen lediglich die Feststellungen des Gerichts betreffend die Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen des Kartells als Faktor für die Bestimmung des Grundbetrags der Geldbuße.

30      Nach Nr. 1 A der Leitlinien sind bei der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes dessen konkrete Auswirkungen auf den Markt nur insofern zu berücksichtigen, als sie messbar sind.

31      Um die konkreten Auswirkungen eines Kartells auf den Markt zu bestimmen, muss nämlich die sich aus dem Kartell ergebende Marktsituation mit der Marktsituation verglichen werden, die bei freiem Wettbewerb bestanden hätte. Ein solcher Vergleich erfordert angesichts der Vielzahl von Variablen, die sich auf den Markt auswirken können, zwangsläufig die Aufstellung von Hypothesen.

32      Im 300. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung weist die Kommission darauf hin, dass es unmöglich sei, festzustellen, wie sich die Preise während der über zwölfjährigen Dauer der Zuwiderhandlung ohne das Kartell entwickelt hätten. Nach Zurückweisung des Vorbringens der Rechtsmittelführerinnen führt sie Indizien an, aus denen sie im 314. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung den Schluss zieht, dass der wettbewerbswidrige Plan unter dem Strich Marktwirkungen gezeitigt habe, auch wenn diese nicht genau quantifiziert werden könnten.

33      Somit geht aus der streitigen Entscheidung hervor, dass die Kommission es im vorliegenden Fall nicht für möglich hielt, bei der Bemessung der Geldbuße den fakultativen Gesichtspunkt der konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt zu berücksichtigen, weil diese Auswirkungen nicht messbar gewesen seien. Dieses Ergebnis wurde im angefochtenen Urteil nicht in Frage gestellt.

34      Das Gericht hat in den Randnrn. 68 und 70 des angefochtenen Urteils auf die Rechtsprechung über die Anforderungen für den Nachweis der konkreten Auswirkungen eines Kartells auf den Markt verwiesen. Im Übrigen hat es in den Randnrn. 69 und 71 bis 73 des angefochtenen Urteils nachgeprüft, ob die Kommission konkrete Auswirkungen des Kartells auf den Markt rechtlich hinreichend nachgewiesen hat. Es hat diese Nachprüfung jedoch, wie es in Randnr. 66 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, vorsorglich vorgenommen, nachdem es in dessen Randnr. 64 zutreffend darauf hingewiesen hatte, dass die Frage nach den konkreten Auswirkungen von Kartellen auf den Markt für die Bestimmung der Höhe der Geldbußen kein entscheidendes Kriterium ist. Folglich geht der gegen diesen Teil der Begründung des Gerichts gerichtete Rechtsmittelgrund ins Leere.

35      Jedenfalls ist das Gericht in seinen die Begründung der streitigen Entscheidung betreffenden Erwägungen auf das in Randnr. 38 des angefochtenen Urteils zusammengefasste Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen eingegangen, dass Begründung und Ergebnis der streitigen Entscheidung in Bezug auf die konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt fehlerhaft, unbelegt und widersprüchlich seien. Das Gericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die gegebenen Umstände es erlaubten, solche Auswirkungen festzustellen, hat aber nicht in Zweifel gezogen, dass sich diese nicht genau messen ließen.

36      Es ist daher nicht widersprüchlich, dass das Gericht zum einen darauf hingewiesen hat, dass die Frage nach den konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt für die Bestimmung der Höhe der Geldbußen kein entscheidendes Kriterium ist, und zum anderen die Begründung der streitigen Entscheidung in Bezug auf das Bestehen solcher Auswirkungen geprüft hat.

37      Somit leiten die Rechtsmittelführerinnen in ihrem ersten Rechtsmittelgrund zu Unrecht aus der vom Gericht vorgenommenen Nachprüfung her, dass die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt bei der Berechnung des Ausgangsbetrags der gegen sie verhängten Geldbuße hätten berücksichtigt werden müssen. Diesem Vorbringen liegt eine falsche Prämisse zugrunde.

38      Was den Vorwurf angeht, das Gericht habe die von den Rechtsmittelführerinnen vorgelegten wirtschaftlichen Beweise verfälscht, wird nicht behauptet, dass das Gericht die wirtschaftswissenschaftlichen Berichte offensichtlich gegen ihren Wortlaut ausgelegt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Februar 2011, Activision Blizzard Germany/Kommission, C‑260/09 P, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 57), sondern, dass das Gericht den Inhalt dieser Berichte falsch beurteilt habe. Jedenfalls geben die Rechtsmittelführerinnen nicht genau an, hinsichtlich welcher Teile dieser Berichte das Gericht den klaren und eindeutigen Sinn verkannt haben soll. Dieses Vorbringen ist daher unzulässig.

39      Nach alledem ist der erste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler in Bezug auf die Berücksichtigung des Umsatzes

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

40      Der zweite Rechtsmittelgrund betrifft die Randnrn. 85 bis 94 des angefochtenen Urteils. Er ist im Wesentlichen gegen dessen Randnrn. 90 bis 94 gerichtet, die wie folgt lauten:

„90      Die Klägerinnen führen hierzu aus, dass sich der Kupferpreis der Kontrolle der Industrierohrhersteller entziehe, da er an der [London Metal Exchange] festgelegt werde, und dass die Käufer von Industrierohren selbst entschieden, zu welchem Preis das Metall erworben werde. Die Schwankungen des Metallpreises hätten auch keine Auswirkung auf ihren Gewinn.

91      Es gibt jedoch keinen stichhaltigen Grund dafür, dass bei der Berechnung des Umsatzes eines Marktes bestimmte Produktionskosten außer Betracht gelassen werden müssten. Wie die Kommission zu Recht festgestellt hat, gibt es in allen Industriezweigen Kosten des Endprodukts, die der Hersteller nicht beherrschen kann, die aber gleichwohl einen wesentlichen Bestandteil seiner gesamten Tätigkeit bilden und daher im Rahmen der Festsetzung des Ausgangsbetrags der Geldbuße nicht von seinem Umsatz ausgenommen werden dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 15. März 2000, Cimenteries CBR u. a./Kommission, T‑25/95, T‑26/95, T‑30/95 bis T‑32/95, T‑34/95 bis T‑39/95, T‑42/95 bis T‑46/95, T‑48/95, T‑50/95 bis T‑65/95, T‑68/95 bis T‑71/95, T‑87/95, T‑88/95, T‑103/95 und T‑104/95, Slg. 2000, II‑491, Randnrn. 5030 und 5031). Der Umstand, dass der Kupferpreis einen bedeutenden Teil des Endpreises der Industrierohre darstellt oder dass die Preisschwankungen beim Kupfer sehr viel höher sind als bei anderen Rohstoffen, steht diesem Ergebnis nicht entgegen.

92      Die verschiedenen Rügen der Klägerinnen schließlich, die darauf abzielen, dass es, statt auf das Kriterium des Umsatzes des relevanten Marktes abzustellen, im Hinblick auf den Abschreckungszweck der Geldbußen und den Grundsatz der Gleichbehandlung zweckmäßiger sei, den Betrag der Geldbußen nach Maßgabe der Rentabilität der betreffenden Branche oder der entsprechenden Wertschöpfung festzusetzen, sind unerheblich. In dieser Hinsicht ist zunächst festzustellen, dass die Schwere der Zuwiderhandlung unter Heranziehung zahlreicher Faktoren zu ermitteln ist, in Bezug auf die die Kommission über ein Ermessen verfügt (Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 2007, BASF/Kommission, T‑101/05 und T‑111/05, Slg. 2007, II‑4949, Randnr. 65), ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (Urteil Dalmine/Kommission, … Randnr. 129); es ist daher nicht Sache des Gemeinschaftsrichters, sondern der Kommission, im Rahmen ihres Ermessensspielraums und innerhalb der sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz und der Verordnung Nr. 17 ergebenden Grenzen die Kriterien und die Zahlen auszuwählen, die sie berücksichtigen will, um eine Politik umzusetzen, die die Einhaltung der in Art. 81 EG genannten Verbote sicherstellt.

93      Sodann ist es unbestreitbar, dass der Umsatz eines Unternehmens oder eines Marktes als Beurteilungskriterium für die Schwere der Zuwiderhandlung zwangsläufig vage und unvollkommen ist. Damit wird nicht zwischen Branchen mit hoher und solchen mit geringer Wertschöpfung oder zwischen profitablen und weniger profitablen Unternehmen unterschieden. Gleichwohl wird der Umsatz trotz seines Näherungscharakters gegenwärtig sowohl vom Gemeinschaftsgesetzgeber als auch vom Gerichtshof als angemessenes Kriterium angesehen, um im Rahmen des Wettbewerbsrechts die Größe und Wirtschaftskraft der betreffenden Unternehmen zu beurteilen (vgl. insbesondere Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, … Randnr. 121, Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17, zehnter Erwägungsgrund und Art. 14 und 15 der Verordnung [EG] Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen [ABl. L 24, S. 1]).

94      Nach alledem ist festzustellen, dass die Kommission zu Recht den Kupferpreis bei der Bestimmung der Größe des betreffenden Marktes berücksichtigt hat.“

41      Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, das Gericht habe gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen und das angefochtene Urteil unzureichend begründet, indem es gebilligt habe, dass die Kommission, um bei der Ermittlung der Schwere als Faktor der Geldbuße die Größe des von der Zuwiderhandlung betroffenen Marktes zu bestimmen, ein Marktvolumen zugrunde gelegt habe, das fälschlicherweise die Verkaufsumsätze auf einem getrennten, dem „Kartellmarkt“ vorgelagerten Markt umfasst habe, obwohl die Mitglieder des Kartells in den vorgelagerten Markt nicht vertikal integriert gewesen seien.

42      Die kupferverarbeitende Industrie weise spezifische Merkmale auf. Insbesondere habe es der Kunde in der Hand, den Zeitpunkt des Einkaufs auf der London Metal Exchange und damit auch den Preis zu bestimmen. Dieser Preis werde zwar vom Rohrhersteller mit der Verarbeitungsspanne dem Kunden in Rechnung gestellt, doch hieße seine Berücksichtigung bei der Ermittlung des Umsatzes des Unternehmens, die wirtschaftliche Realität des Marktes zu verkennen, die insbesondere dadurch gekennzeichnet sei, dass die Rohstoffe einen erheblichen Anteil der Produktkosten ausmachten und ihre Preise stark schwankten. Diesen Sachverhalt habe das Gericht festgestellt.

43      Dem Gericht sei ein Rechtsfehler unterlaufen, indem es außer Acht gelassen habe, dass die Kommission die Rechtsprechung des Gerichts und ihre eigene Entscheidungspraxis hätte berücksichtigen müssen, wonach die Kommission bei der Bestimmung des Ausgangsbetrags der Geldbuße und/oder Anwendung der Obergrenze von 10 % des Umsatzes die Merkmale des betroffenen Marktes zu beachten habe.

44      Im Übrigen habe das Gericht dadurch, dass es zwischen den Rechtsmittelführerinnen und den anderen Unternehmen, deren Umsatz nicht ebenso vom Rohstoffpreis abhänge, keinen Unterschied gemacht habe, gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung verstoßen, wonach unterschiedliche Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln seien.

45      Schließlich beanstanden die Rechtsmittelführerinnen, dass die Rechtsprechung, auf die sich das Gericht gestützt habe, auf den Ermessensspielraum der Kommission abstelle. Das Gericht habe die von der Kommission für die Ermittlung der Schwere des Kartells herangezogenen Kriterien nicht auf ihre Relevanz und Angemessenheit überprüft.

46      Die Kommission hält den Rechtsmittelgrund für unzulässig, da die Rechtsmittelführerinnen den Gerichtshof aufforderten, die Frage, ob die Industrierohrbranche ein Sonderfall sei, anders zu beurteilen als das Gericht. Im Übrigen bestreitet sie den von der KME-Gruppe geschilderten Sachverhalt, dass die Rohrhersteller beim Einkauf von Kupfer häufig als Vertreter der Kunden aufträten, und sie bestreitet, dass sich das Gericht dazu geäußert habe.

47      Jedenfalls habe das Gericht in Randnr. 91 des angefochtenen Urteils zu Recht darauf hingewiesen, dass es in allen Industriezweigen Kosten des Endprodukts gebe, die der Hersteller nicht beherrschen könne, die aber gleichwohl einen wesentlichen Bestandteil seiner gesamten Tätigkeit bildeten und daher im Rahmen der Festsetzung des Ausgangsbetrags der Geldbuße nicht von seinem Umsatz ausgenommen werden dürften.

48      Ebenso habe das Gericht in Randnr. 93 des angefochtenen Urteils zu Recht ausgeführt, dass der Umsatz trotz seines Näherungscharakters gegenwärtig sowohl vom Gemeinschaftsgesetzgeber als auch von der Kommission und vom Gerichtshof als angemessenes Kriterium angesehen werde, um im Rahmen des Wettbewerbsrechts die Größe und Wirtschaftskraft der betreffenden Unternehmen zu beurteilen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

49      Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen, die je nach der Art und den besonderen Umständen der betreffenden Zuwiderhandlung von unterschiedlicher Art und Bedeutung sind. Zu diesen Faktoren können je nach Fall die Menge und der Wert der Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, sowie die Größe und Wirtschaftskraft des Unternehmens und damit der Einfluss gehören, den es auf den Markt ausüben konnte (vgl. in diesem Sinne Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 120).

50      Der Gerichtshof hat daraus zwar geschlossen, dass bei der Festsetzung der Geldbuße sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der etwas über dessen Größe und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Teil dieses Umsatzes berücksichtigt werden darf, der mit den Waren erzielt worden ist, hinsichtlich deren die Zuwiderhandlung begangen wurde, und der somit einen Anhaltspunkt für das Ausmaß dieser Zuwiderhandlung liefern kann, er hat jedoch anerkannt, dass der Gesamtumsatz eines Unternehmens dessen Größe nur annähernd und unvollständig widerspiegeln kann (Urteile Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 121, vom 17. Dezember 1998, Baustahlgewebe/Kommission, C‑185/95 P, Slg. 1998, I‑8417, Randnr. 139, vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 243, vom 18. Mai 2006, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, C‑397/03 P, Slg. 2006, I‑4429, Randnr. 100, sowie vom 19. März 2009, Archer Daniels Midland/Kommission, C‑510/06 P, Slg. 2009, I‑1843, Randnr. 74).

51      Im Übrigen hat der Gerichtshof wiederholt darauf hingewiesen, dass weder dem einen noch dem anderen dieser Umsätze eine im Verhältnis zu den anderen Faktoren der Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung übermäßige Bedeutung zugemessen werden darf (Urteile Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 121, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 243, vom 18. Mai 2006, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnr. 100, sowie vom 19. März 2009, Archer Daniels Midland/Kommission, Randnr. 74).

52      Somit hat das Gericht in Randnr. 93 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei darauf hingewiesen, dass der Umsatz ein zwar vages und unvollkommenes, aber doch angemessenes Kriterium für die Beurteilung der Größe und Wirtschaftskraft der betreffenden Unternehmen ist.

53      Im Übrigen ist auch die Feststellung des Gerichts in Randnr. 91 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei, dass es keinen zwingenden Grund dafür gibt, bei der Berechnung des Umsatzes eines Marktes bestimmte Produktionskosten außer Betracht zu lassen. Wie die Generalanwältin in Nr. 141 ihrer Schlussanträge vorgetragen hat, müsste, sofern in einigen Fällen nicht auf den Bruttoumsatz abgestellt würde, in anderen hingegen schon, ein Schwellenwert, vermutlich in Form einer Verhältniszahl zwischen Netto- und Bruttoumsatz, festgelegt werden, der schwer anwendbar wäre und Anlass zu endlosem und unlösbarem Streit, einschließlich des Vorwurfs der Ungleichbehandlung, gäbe.

54      Schließlich ist das angefochtene Urteil angemessen begründet, und das Gericht hat die ihm obliegende Kontrolle ausgeübt. So hat das Gericht in Randnr. 88 des angefochtenen Urteils das Vorbringen der Kommission, dass der Ausgangsbetrag der gegen die Rechtsmittelführerinnen verhängten Geldbuße nicht notwendigerweise geringer als 35 Mio. Euro gewesen wäre, wenn der Kupferpreis von dem Marktumsatz abgezogen worden wäre, auf den Einwand der Rechtsmittelführerinnen gegen die Heranziehung des Umsatzes für die Bestimmung der Größe des betreffenden Marktes zurückgewiesen. Weiter hat es in den Randnrn. 90 und 91 des angefochtenen Urteils geprüft, ob die Kommission bei der Bestimmung der Größe des Marktes zu Unrecht den Kupferpreis berücksichtigt hat.

55      Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass das Gericht die ihm obliegende Kontrolle ausgeübt hat, auf das Angriffsmittel der Rechtsmittelführerinnen eingegangen ist und in Randnr. 94 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Kommission zu Recht den Kupferpreis bei der Bestimmung der Größe des betreffenden Marktes berücksichtigt hat.

56      Was die Rüge angeht, das Gericht habe die von der Kommission für die Ermittlung der Schwere des Kartells herangezogenen Kriterien nicht auf ihre Relevanz und Angemessenheit überprüft, ist darauf hinzuweisen, dass es bei einer Klage gegen eine wettbewerbsrechtliche Entscheidung Sache des Klägers ist, hiergegen Angriffsmittel vorzubringen, und es dem Gericht nicht obliegt, die Abwägung der von der Kommission zur Ermittlung der Höhe der Geldbuße berücksichtigten Faktoren von Amts wegen zu prüfen.

57      Der zweite Rechtsmittelgrund greift daher nicht durch.

 Zum dritten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler in Bezug auf die Berücksichtigung der Dauer der Zuwiderhandlung

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

58      Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, ihr dritter Rechtsmittelgrund richte sich gegen die Randnrn. 100 bis 105 des angefochtenen Urteils. Das Gericht habe dadurch gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen und diesem Urteil eine unklare, unlogische und unzureichende Begründung gegeben, dass es den Abschnitt der streitigen Entscheidung, in dem die Leitlinien von der Kommission fehlerhaft angewandt würden, bestätigt habe, und es habe gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung verstoßen, als es den Ausgangsbetrag der Geldbuße wegen der Dauer der Zuwiderhandlung um den maximalen Prozentsatz erhöht habe.

59      Aus Nr. 1 B der Leitlinien ergebe sich, dass der Zweck der Erhöhung der Geldbuße wegen der Dauer der Zuwiderhandlung darin bestehe, „die Wettbewerbsbeschränkungen, die sich auf die Verbraucher dauerhaft schädlich ausgewirkt haben, wirksam zu ahnden“. Dass zwischen der Dauer der Zuwiderhandlung und deren schädlicher Auswirkung auf die Verbraucher ein Zusammenhang bestehen müsse, ergebe sich auch aus der Rechtsprechung. Das Gericht habe aber nicht untersucht, ob die Kommission bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung dem Umstand, dass sich die Intensität und Wirksamkeit des Kartells im Laufe der Zeit verändert hätten, gebührendes Gewicht beigemessen habe. Somit habe das Gericht in Randnr. 104 des angefochtenen Urteils die Erhöhung des Ausgangsbetrags der Geldbuße um 125 % zu Unrecht als nicht offensichtlich unverhältnismäßig angesehen.

60      Die Kommission trägt vor, der Gerichtshof sei nicht befugt, seine eigene Würdigung der Höhe der Geldbuße an die Stelle der vom Gericht vorgenommenen Würdigung zu setzen. Der Rechtsmittelgrund sei daher unzulässig.

61      Jedenfalls habe das Gericht eine klare und logische Begründung für seine Würdigung gegeben, in der auf sämtliche von der KME-Gruppe geltend gemachten Rechtsgründe eingegangen werde.

 Würdigung durch den Gerichtshof

62      Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund beanstanden die Rechtsmittelführerinnen sowohl den Grundsatz einer Erhöhung der Geldbuße wegen der Dauer der Zuwiderhandlung als auch das Ergebnis der Anwendung dieses Grundsatzes in ihrem Fall, nämlich die Erhöhung des auf 35 Mio. Euro festgesetzten Ausgangsbetrags der Geldbuße um 125 % für eine Zuwiderhandlungsdauer von zwölf Jahren und zehn Monaten, d. h. um 10 % für jedes Jahr der Beteiligung. Der Grundbetrag sei auf diese Weise auf 56,88 Mio. Euro festgesetzt worden.

63      Wie die Generalanwältin in Nr. 162 ihrer Schlussanträge ausführt, beruht die Beanstandung des Ergebnisses auf der falschen Prämisse, dass der Erhöhungssatz 125 % betragen habe, während er nur 62,51 % (56,88/35 = 1,6251) betrug.

64      Was den Grundsatz der Erhöhung der Geldbuße wegen der Dauer der Zuwiderhandlung angeht, muss nicht materiell dargetan werden, dass zwischen dieser Dauer und einer erhöhten Schädigung der mit den Wettbewerbsregeln verfolgten Ziele der Gemeinschaft ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

65      Bei der Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG brauchen nämlich die tatsächlichen Auswirkungen einer Vereinbarung nicht berücksichtigt zu werden, wenn sich ergibt, dass diese eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 1966, Consten und Grundig/Kommission, 56/64 und 58/64, Slg. 1966, 322). Dies ist u. a. bei Vereinbarungen wie den vorliegenden der Fall, die offenkundige Beschränkungen des Wettbewerbs wie die Festsetzung von Preisen und die Aufteilung des Marktes umfassen. Wird durch ein Kartell der Zustand des Marktes zum Zeitpunkt des Abschlusses der Kartellvereinbarung fixiert, kann seine lange Dauer zu einer Erstarrung der Strukturen führen, wodurch die Kartellbeteiligten weniger Anreiz zu Innovation und Entwicklung erhalten. Die Rückkehr zu einem Zustand des freien Wettbewerbs wird umso schwieriger sein und umso länger dauern, je länger das Kartell selbst gedauert hat.

66      Auch wenn sich die Intensität und Wirksamkeit des Kartells im Laufe der Zeit verändern, besteht das Kartell doch fort und die Erstarrung der Marktstrukturen wird somit weiter zunehmen.

67      Für den Fall, dass eine Kartellvereinbarung überhaupt nicht durchgeführt wurde, ist in Nr. 3 der Leitlinien vorgesehen, dass die tatsächliche Nichtanwendung der Vereinbarungen über Verstöße einen mildernden Umstand darstellen kann, der zu einer Verringerung des Grundbetrags der Geldbuße führt. Dies war hier jedoch offensichtlich nicht der Fall, da die Rechtsmittelführerinnen nicht die Durchführung des Kartells ihrerseits abstreiten, sondern lediglich rügen, dass die wechselnde Intensität dieser Durchführung und der konkreten und objektiven Auswirkungen des Kartells auf die Verbraucher nicht berücksichtigt worden sei.

68      Im Übrigen kann die Bezifferung einer tatsächlichen Schädigung des Verbrauchers angesichts der Vielzahl von Variablen, die u. a. bei der Preisbildung eines Fertigungserzeugnisses einfließen, schwierig sein.

69      Jedenfalls hat der Gesetzgeber die Zuwiderhandlungsdauer als Faktor angeführt, der als solcher bei der Festsetzung von Geldbußen zu berücksichtigen ist.

70      Angesichts dieser Gesichtspunkte hat das Gericht in Randnr. 105 des angefochtenen Urteils den gegen die Erhöhung der Geldbuße nach Maßgabe der Dauer gerichteten Klagegrund zu Recht als unbegründet zurückgewiesen.

71      Nach alledem greift der dritte Rechtsmittelgrund nicht durch.

 Zum vierten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler in Bezug auf die Berücksichtigung der Mitwirkung der Rechtsmittelführerinnen

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

72      Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, ihr vierter Rechtsmittelgrund richte sich gegen die Randnrn. 123 bis 134 des angefochtenen Urteils. Das Gericht habe dadurch gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen, dass es den Abschnitt der streitigen Entscheidung bestätigt habe, in dem die Kommission es unter Verstoß gegen Nr. 3 sechster Gedankenstrich der Leitlinien sowie gegen die Grundsätze der Billigkeit und der Gleichbehandlung abgelehnt habe, ihnen wegen ihrer Mitwirkung außerhalb des Anwendungsbereichs der Mitteilung über Zusammenarbeit eine Herabsetzung der Geldbuße zu gewähren.

73      Nur den Rechtsmittelführerinnen hätte die Herabsetzung der Geldbuße gewährt werden dürfen, denn sie hätten einen Nachweis für die Dauer der Zuwiderhandlung beigebracht, während die Outokumpu-Gruppe nur eine Information über die gesamte Dauer des Kartells geliefert habe.

74      Die Kommission hält diesen Rechtsmittelgrund für unzulässig, weil die KME-Gruppe den Gerichtshof auffordere, seine eigene Würdigung an die Stelle der vom Gericht vorgenommenen Würdigung zu setzen.

75      Zudem sei dieser Rechtsmittelgrund unbegründet. Das Gericht habe seine Würdigung der Voraussetzungen für einen Teilerlass klar und logisch dargelegt und sei dabei auf alle Rechtsausführungen der KME-Gruppe eingegangen.

76      Zur Herabsetzung der Geldbuße der Outokumpu-Gruppe weist die Kommission darauf hin, dass sie anhand der von dieser erhaltenen Information Ermittlungen habe durchführen und nach Beweisen habe suchen können. Die Rechtsmittelführerinnen hätten mehr als 16 Monate nach der Outokumpu-Gruppe durch Lieferung von Beweisen lediglich die Aufgabe erleichtert. Anders als von den Rechtsmittelführerinnen in ihrer Rechtsmittelschrift dargestellt, hätte ihnen auch nicht ein Teilerlass nach der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen gewährt werden können, da ein solcher Erlass sich auf Beweismittel für einen Sachverhalt beziehe, „von denen die Kommission zuvor keine Kenntnis hatte“, was bei der Gesamtdauer des Kartells nicht der Fall gewesen sei.

77      Schließlich stehe einem Teilerlass in dem von den Rechtsmittelführerinnen angeführten Fall Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit entgegen, in dem bereits eine Herabsetzung der Geldbuße vorgesehen sei, wenn ein Unternehmen der Kommission Informationen, Unterlagen oder andere Beweismittel liefere, die zur Feststellung des Vorliegens eines Verstoßes beitrügen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

78      Nach der Mitteilung über Zusammenarbeit wird nur gegenüber einem Unternehmen, das als Erstes Angaben macht, die für den Beweis des Bestehens des Kartells von entscheidender Bedeutung sind, auf die Festsetzung der Geldbuße verzichtet oder die Geldbuße wesentlich niedriger festgesetzt.

79      Das Gericht hat in den Randnrn. 144 und 145 des angefochtenen Urteils die Umstände der Mitwirkung der Rechtsmittelführerinnen und der Outokumpu-Gruppe geprüft. Es handelt sich jedoch um tatsächliche Feststellungen und Würdigungen, deren Nachprüfung dem Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels nicht zusteht.

80      Im Übrigen hat das Gericht aus der Feststellung, dass die Rechtsmittelführerinnen später als die Outokumpu-Gruppe mitgewirkt hätten, in Randnr. 147 des angefochtenen Urteils zu Recht den Schluss gezogen, dass sich die Rechtsmittelführerinnen nicht in einer Situation befanden, die mit der der Outokumpu-Gruppe vergleichbar war, und dass sie folglich nicht benachteiligt worden waren.

81      Schließlich geben die Rechtsmittelführerinnen nicht an, inwiefern dem Gericht in der in den Randnrn. 130 und 131 des angefochtenen Urteils enthaltenen Begründung ein Rechtsfehler unterlaufen sein soll, und legen insbesondere nicht dar, inwiefern die Vorlage von Beweismitteln für der Kommission bereits bekannte Tatsachen die Herabsetzung der Geldbuße wegen mildernder Umstände eher rechtfertigen soll als die früher erfolgte Vorlage einer für die Kommission neuen Information. Dieses Vorbringen ist zu unbestimmt und folglich unzulässig.

82      Nach alledem ist der vierte Rechtsmittelgrund teils unzulässig und teils unbegründet.

 Zum fünften Rechtsmittelgrund: Verletzung des Anspruchs auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

83      Die Rechtsmittelführerinnen tragen vor, das Gericht habe dadurch gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen und ihr Grundrecht auf vollständige und effektive gerichtliche Überprüfung verletzt, dass es ihr Vorbringen nicht gründlich und genau geprüft und sich im Übermaß und in vernunftwidriger Weise auf die Wertungen der Kommission verlassen habe.

84      Die Lehre vom „Ermessensspielraum“ und von der „richterlichen Zurückhaltung“ sei nunmehr überholt, da das Gemeinschaftsrecht heute durch die enorme Höhe der von der Kommission verhängten Geldbußen geprägt sei, eine Entwicklung, die häufig als faktische „Pönalisierung“ des europäischen Wettbewerbsrechts bezeichnet werde.

85      Im Übrigen schließe die – durch die Verordnung Nr. 1/2003 anstelle des vorherigen Genehmigungssystems eingeführte – unmittelbare Anwendbarkeit der in Art. 81 Abs. 3 EG vorgesehenen Ausnahme definitionsgemäß einen Ermessensspielraum der Kommission bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln aus und verlange somit von den Gerichten, die deren Anwendung durch die Kommission im Einzelfall kontrollierten, nur ein sehr geringes Maß an richterlicher Zurückhaltung.

86      Zudem sei das Ermessen der Kommission nicht durch ihre angeblich höhere Fachkompetenz bei der Bewertung komplizierter Sachverhalte oder wirtschaftlicher Fragen zu rechtfertigen. Sowohl der Gerichtshof als auch das Gericht hätten in befriedigender Weise eine besonders intensive richterliche Kontrolle in komplizierten Fällen vorgenommen.

87      Ebenso wenig dürfe das Gericht angesichts der ihm durch Art. 229 EG und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 verliehenen Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Kommission ein Ermessen zugestehen, nicht nur, was die Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der Höhe der Geldbuße betrifft, sondern auch hinsichtlich der Vorgehensweise der Kommission bei ihren Berechnungen. Das Gericht müsse prüfen, wie die Kommission im Einzelfall die Schwere und die Dauer eines rechtswidrigen Verhaltens beurteilt habe, und könne somit seine eigene Würdigung an die Stelle derjenigen der Kommission setzen und die Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen.

88      Ferner weisen die Rechtsmittelführerinnen darauf hin, dass für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Durchsetzung des Verwaltungsrechts mittels Entscheidungen der Verwaltung und Geldbußen als solche nicht gegen Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) verstoße. Für diese Durchsetzung müssten jedoch hinreichend wirksame Verfahrensgarantien gelten, und sie müsse durch ein effektives gerichtliches Kontrollsystem flankiert sein, in dem es eine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Verwaltungsentscheidungen gebe. Das Recht, „bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen“, sei auch in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Grundrechtecharta) verankert.

89      Die Kommission trägt zunächst vor, der fünfte Rechtsmittelgrund sei zu allgemein und ungenau, als dass der Gerichtshof ihn prüfen könne. Die KME-Gruppe wende sich nicht gegen die Grundstruktur der richterlichen Nachprüfung von Kommissionsentscheidungen und erläutere nicht, inwiefern die Verweise des Gerichts auf den Ermessensspielraum der Kommission ein Nachweis dafür seien, dass das Gericht die Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung nicht im Licht der von der KME-Gruppe vor dem Gericht vorgetragenen Klagegründe 2 bis 4 angemessen geprüft habe.

90      Schließlich belasse es die KME-Gruppe beim Hinweis auf „strafrechtliche Anklagen“ und Art. 6 Abs. 1 EMRK, untersuche aber nicht die daraus zu ziehenden Folgerungen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

91      Mit ihrem fünften Rechtsmittelgrund beanstanden die Rechtsmittelführerinnen sowohl die Art und Weise, wie das Gericht gemeint habe, das weite Ermessen der Kommission berücksichtigen zu müssen, als auch, wie es die streitige Entscheidung tatsächlich nachgeprüft habe. Sie führen Art. 6 EMRK und die Grundrechtecharta an, ohne jedoch genau anzugeben, ob sie insoweit die Grundsätze einer gerichtlichen Kontrolle oder die Art und Weise, wie das Gericht diese Kontrolle im vorliegenden Fall ausgeübt hat, beanstanden.

92      Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der nunmehr in Art. 47 der Grundrechtecharta zum Ausdruck kommt (vgl. Urteil vom 22. Dezember 2010, DEB, C‑279/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnrn. 30 und 31, Beschluss vom 1. März 2011, Chartry, C‑457/09, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 25, sowie Urteil vom 28. Juli 2011, Samba Diouf, C‑69/10, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 49).

93      Die gerichtliche Kontrolle von Entscheidungen der Organe ist in den Gründungsverträgen geregelt. Über die nunmehr in Art. 263 AEUV vorgesehene Rechtmäßigkeitskontrolle hinaus unterliegen in Verordnungen vorgesehene Zwangsmaßnahmen einer unbeschränkten Nachprüfung.

94      Zur Rechtmäßigkeitskontrolle hat der Gerichtshof entschieden, dass, auch wenn der Kommission in Bereichen, in denen komplexe wirtschaftliche Beurteilungen erforderlich sind, in Wirtschaftsfragen ein Beurteilungsspielraum zusteht, dies nicht bedeutet, dass der Unionsrichter eine Kontrolle der Auslegung von Wirtschaftsdaten durch die Kommission unterlassen muss. Der Unionsrichter muss nämlich nicht nur die sachliche Richtigkeit der angeführten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz prüfen, sondern auch kontrollieren, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu stützen vermögen (vgl. Urteile vom 15. Februar 2005, Kommission/Tetra Laval, C‑12/03 P, Slg. 2005, I‑987, Randnr. 39, sowie vom 22. November 2007, Spanien/Lenzing, C‑525/04 P, Slg. 2007, I‑9947, Randnrn. 56 und 57).

95      Hinsichtlich der Sanktionen für Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht bestimmt Art. 15 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 17, dass bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße neben der Schwere des Verstoßes auch die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen ist.

96      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Festsetzung der Höhe der Geldbußen die Dauer der Zuwiderhandlungen sowie sämtliche Faktoren zu berücksichtigen, die für die Beurteilung der Schwere dieser Zuwiderhandlungen eine Rolle spielen, wie das Verhalten jedes einzelnen Unternehmens, die Rolle, die jedes Unternehmen bei der Abstimmung der Verhaltensweisen gespielt hat, der Gewinn, den die Unternehmen aus diesen Verhaltensweisen ziehen konnten, ihre Größe und der Wert der betroffenen Waren sowie die Gefahr, die derartige Zuwiderhandlungen für die Ziele der Europäischen Gemeinschaft bedeuten (Urteile Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 129, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 242, sowie vom 3. September 2009, Prym und Prym Consumer/Kommission, C‑534/07 P, Slg. 2009, I‑7415, Randnr. 96).

97      Ferner sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs objektive Gesichtspunkte wie Inhalt und Dauer der wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, deren Zahl und Intensität, der Umfang des betroffenen Marktes und die Schädigung der öffentlichen Wirtschaftsordnung einzubeziehen. Bei der Analyse sind auch die relative Bedeutung und der Marktanteil der verantwortlichen Unternehmen sowie ein etwaiger Wiederholungsfall zu berücksichtigen (Urteil vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 91).

98      Diese Vielzahl an Faktoren zwingt die Kommission zu einer gründlichen Prüfung der Umstände der Zuwiderhandlung.

99      Um für Transparenz zu sorgen, hat die Kommission die Leitlinien erlassen, in denen sie darlegt, inwieweit sie die einzelnen Umstände der Zuwiderhandlung berücksichtigt und welche Konsequenzen sich daraus für die Höhe der Geldbuße ergeben.

100    Die Leitlinien – nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Verhaltensnorm, die einen Hinweis auf die zu befolgende Verwaltungspraxis enthält und von der die Verwaltung im Einzelfall nicht ohne Angabe von Gründen, die mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbar sind, abweichen kann (Urteil vom 18. Mai 2006, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, Randnr. 91) – beschreiben lediglich die Vorgehensweise der Kommission bei der Prüfung der Zuwiderhandlung und die Kriterien, zu deren Berücksichtigung sie sich verpflichtet, wenn sie die Höhe der Geldbuße festsetzt.

101    Es ist darauf hinzuweisen, dass Gemeinschaftsrechtsakte mit einer Begründung versehen sein müssen. Dieser Pflicht kommt im vorliegenden Fall eine ganz besondere Bedeutung zu. Die Kommission muss ihre Entscheidung begründen und u. a. darlegen, wie sie die berücksichtigten Faktoren gewichtet und bewertet hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Prym und Prym Consumer/Kommission, Randnr. 87). Das Vorliegen einer Begründung ist vom Richter von Amts wegen zu prüfen.

102    Im Übrigen ist es Sache des Unionsrichters, die ihm obliegende Rechtmäßigkeitskontrolle auf der Grundlage der vom Kläger zur Stützung seiner Klagegründe vorgelegten Beweise vorzunehmen. Bei dieser Kontrolle kann der Richter weder hinsichtlich der Wahl der Gesichtspunkte, die bei der Anwendung der in den Leitlinien genannten Kriterien berücksichtigt wurden, noch hinsichtlich ihrer Bewertung auf den Ermessensspielraum der Kommission verweisen, um auf eine gründliche rechtliche wie tatsächliche Kontrolle zu verzichten.

103    Die Rechtmäßigkeitskontrolle wird ergänzt durch die dem Unionsrichter früher durch Art. 17 der Verordnung Nr. 17, jetzt durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 gemäß Art. 261 AEUV eingeräumte Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung. Diese Befugnis ermächtigt den Richter über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahme hinaus dazu, die Beurteilung der Kommission durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 2002, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis C‑252/99 P und C‑254/99 P, Slg. 2002, I‑8375, Randnr. 692).

104    Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nicht einer Prüfung von Amts wegen entspricht und dass das Verfahren vor den Gerichten der Union ein streitiges Verfahren ist. Mit Ausnahme der Gründe zwingenden Rechts, die der Richter von Amts wegen zu berücksichtigen hat, wie etwa das Fehlen einer Begründung der angefochtenen Entscheidung, ist es Sache des Klägers, gegen die Entscheidung Klagegründe vorzubringen und für diese Beweise beizubringen.

105    Dieses verfahrensrechtliche Erfordernis verstößt nicht gegen den Grundsatz, wonach bei Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht die Kommission die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen zu beweisen und die Beweismittel beizubringen hat, die das Vorliegen der eine Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich hinreichend belegen. Vom Kläger wird nämlich im Rahmen einer Klage verlangt, dass er die beanstandeten Punkte der angefochtenen Entscheidung bezeichnet, insoweit Rügen formuliert und Beweise oder zumindest ernsthafte Indizien für deren Begründetheit beibringt.

106    Die in den Verträgen vorgesehene Kontrolle bedeutet somit, dass der Unionsrichter sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht eine Kontrolle vornimmt und befugt ist, die Beweise zu würdigen, die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären und die Höhe der Geldbußen zu ändern. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die in Art. 263 AEUV vorgesehene Rechtmäßigkeitskontrolle, ergänzt um die in Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehene Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung hinsichtlich der Höhe der Geldbuße, gegen den in Art. 47 der Grundrechtecharta verankerten Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes verstößt.

107    Folglich greift der fünfte Rechtsmittelgrund nicht durch, soweit damit unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes die Grundsätze der gerichtlichen Kontrolle beanstandet werden.

108    Soweit mit dem fünften Rechtsmittelgrund die Art und Weise beanstandet wird, wie das Gericht die streitige Entscheidung nachgeprüft hat, deckt sich dieser Rechtsmittelgrund mit den Rechtsmittelgründen 2 bis 4 und ist somit vom Gerichtshof bereits geprüft worden.

109    Insoweit ist festzustellen, dass das Gericht zwar wiederholt, insbesondere in den Randnrn. 35 bis 37, 92, 103, 115, 118, 129 und 141 des angefochtenen Urteils, auf das „Ermessen“, den „erheblichen Wertungsspielraum“ bzw. das „weite Ermessen“ der Kommission verwiesen hat, doch haben solche Bezugnahmen das Gericht nicht an der Ausübung der umfassenden rechtlichen und tatsächlichen Kontrolle gehindert, zu der es verpflichtet ist.

110    Nach alledem greift der fünfte Rechtsmittelgrund nicht durch.

111    Da folglich keiner der Rechtsmittelgründe durchgreift, auf die die KME-Gruppe ihr Rechtsmittel stützt, ist dieses zurückzuweisen.

 Kosten

112    Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß deren Art. 118 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der KME-Gruppe beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind der KME-Gruppe die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      Die KME Germany AG, die KME France SAS und die KME Italy SpA tragen die Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.