Language of document : ECLI:EU:C:2015:479

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

16. Juli 2015(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen – Zuständigkeit in Unterhaltssachen – Verordnung (EG) Nr. 4/2009 – Art. 3 Buchst. c und d – Antrag in Bezug auf eine Unterhaltspflicht gegenüber den minderjährigen Kindern, der parallel zu einem Verfahren auf Trennung der Eltern in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen gestellt wurde, in dem die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben“

In der Rechtssache C‑184/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Italien) mit Entscheidung vom 25. Februar 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 14. April 2014, in dem Verfahren

A

gegen

B

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von A, vertreten durch C. Rimini, avvocato,

–        von B, vertreten durch S. Callegaro, avvocato,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Palatiello, avvocato dello Stato,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch M. Germani und I. Kotsoni als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Moro und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. April 2015

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Buchst. c und d der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABl. 2009, L 7, S. 1).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen A und seiner Ehefrau B wegen eines Antrags in Bezug auf eine Unterhaltspflicht gegenüber ihren beiden minderjährigen Kindern, der parallel zu einem Verfahren auf Trennung der Eltern ohne Auflösung des Ehebandes in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen gestellt wurde, in dem die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.

 Unionsrecht

 Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen

3        In der Präambel des am 23. November 2007 in Den Haag geschlossenen Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen (im Folgenden: Haager Übereinkommen von 2007), das durch den Beschluss 2011/432/EU des Rates vom 9. Juni 2011 (ABl. L 192, S. 39) im Namen der Europäischen Union genehmigt wurde, wird darauf hingewiesen, dass bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

4        Art. 20 Abs. 1 Buchst. f dieses Übereinkommens sieht vor:

„Eine in einem Vertragsstaat (‚Ursprungsstaat‘) ergangene Entscheidung wird in den anderen Vertragsstaaten anerkannt und vollstreckt, wenn

f)      die Entscheidung durch eine Behörde ergangen ist, die ihre Zuständigkeit in Bezug auf eine Frage des Personenstands oder der elterlichen Verantwortung ausübt, es sei denn, diese Zuständigkeit ist einzig auf die Staatsangehörigkeit einer der Parteien gestützt worden.“

 Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

5        Art. 5 Nr. 2 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der durch das Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) bestimmte:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden,

2.      wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder im Falle einer Unterhaltssache, über die im Zusammenhang mit einem Verfahren in Bezug auf den Personenstand zu entscheiden ist, vor dem nach seinem Recht für dieses Verfahren zuständigen Gericht, es sei denn, diese Zuständigkeit beruht lediglich auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien;

…“

 Verordnung (EG) Nr. 44/2001

6        Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) enthält Art. 5 Nr. 2. Dieser Artikel bestimmt:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

2.      wenn es sich um eine Unterhaltssache handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder im Falle einer Unterhaltssache, über die im Zusammenhang mit einem Verfahren in Bezug auf den Personenstand zu entscheiden ist, vor dem nach seinem Recht für dieses Verfahren zuständigen Gericht, es sei denn, diese Zuständigkeit beruht lediglich auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien;

…“

 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003

7        Die Erwägungsgründe 5 und 12 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1) lauten:

„(5)      Um die Gleichbehandlung aller Kinder sicherzustellen, gilt diese Verordnung für alle Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, einschließlich der Maßnahmen zum Schutz des Kindes, ohne Rücksicht darauf, ob eine Verbindung zu einem Verfahren in Ehesachen besteht.

(12)      Die in dieser Verordnung für die elterliche Verantwortung festgelegten Zuständigkeitsvorschriften wurden dem Wohle des Kindes entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe ausgestaltet. Die Zuständigkeit sollte vorzugsweise dem Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes vorbehalten sein außer in bestimmten Fällen, in denen sich der Aufenthaltsort des Kindes geändert hat oder in denen die Träger der elterlichen Verantwortung etwas anderes vereinbart haben.“

8        Art. 1 („Anwendungsbereich“) dieser Verordnung bestimmt:

„(1) Diese Verordnung gilt, ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit, für Zivilsachen mit folgendem Gegenstand:

a)      die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und die Ungültigerklärung einer Ehe,

b)      die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung.

(3) Diese Verordnung gilt nicht für:

e)      Unterhaltspflichten,

…“

9        In Art. 2 Nr. 7 dieser Verordnung wird die elterliche Verantwortung definiert als „die gesamten Rechte und Pflichten, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen wurden“, wobei diese Rechte und Pflichten „insbesondere das Sorge- und das Umgangsrecht“ umfassen.

10      Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“

 Verordnung Nr. 4/2009

11      Nach den Erwägungsgründen 1 bis 3 der Verordnung Nr. 4/2009 sind diese sowie u. a. die Verordnungen Nrn. 44/2001 und 2201/2003 darauf gerichtet, Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen zu erlassen, die u. a. die Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und der Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten betreffen.

12      Im achten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 4/2009 wird darauf hingewiesen, dass im Rahmen der vorliegenden Verordnung u. a. dem Haager Übereinkommen von 2007 Rechnung zu tragen ist.

13      Im 15. Erwägungsgrund derselben Verordnung heißt es:

„Um die Interessen der Unterhaltsberechtigten zu wahren und eine ordnungsgemäße Rechtspflege innerhalb der Europäischen Union zu fördern, sollten die Vorschriften über die Zuständigkeit, die sich aus der Verordnung [Nr. 44/2001] ergeben, angepasst werden. …“

14      Der in Abschnitt II („Zuständigkeit“) enthaltene Art. 3 dieser Verordnung bestimmt:

„Zuständig für Entscheidungen in Unterhaltssachen in den Mitgliedstaaten ist

a)      das Gericht des Ortes, an dem der Beklagte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder

b)      das Gericht des Ortes, an dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder

c)      das Gericht, das nach seinem Recht für ein Verfahren in Bezug auf den Personenstand zuständig ist, wenn in der Nebensache zu diesem Verfahren über eine Unterhaltssache zu entscheiden ist, es sei denn, diese Zuständigkeit begründet sich einzig auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien, oder

d)      das Gericht, das nach seinem Recht für ein Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung zuständig ist, wenn in der Nebensache zu diesem Verfahren über eine Unterhaltssache zu entscheiden ist, es sei denn, diese Zuständigkeit beruht einzig auf der Staatsangehörigkeit einer der Parteien.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

15      A und seine Ehefrau B sowie ihre beiden minderjährigen Kinder sind italienische Staatsangehörige und haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in London (Vereinigtes Königreich). Die Kinder wurden am 4. März 2004 bzw. am 5. August 2008 in London geboren.

16      Mit Klageschrift vom 28. Februar 2012 erhob A beim Tribunale di Milano (Italien) gegen seine Ehefrau B eine Klage, mit er beantragte, die Trennung von seiner Ehefrau mit Zuweisung der Schuld auf diese auszusprechen, den Eheleuten das gemeinsame Sorgerecht für ihre minderjährigen Kinder zu übertragen und festzulegen, dass die Kinder bei ihrer Mutter leben, wobei er anbot, sich monatlich mit 4 000 Euro an den Kosten für Erziehung und Betreuung der Kinder zu beteiligen.

17      B erhob eine Widerklage, mit der auch sie beantragte, die Trennung von ihrem Ehemann – mit Zuweisung der Schuld auf diesen – auszusprechen. Außerdem beantragte sie, ihr eine monatliche Unterstützung in Höhe von 18 700 Euro zuzuerkennen. Sie bestritt jedoch die Zuständigkeit der italienischen Gerichte in Bezug auf die Regelung des Sorgerechts, der Unterbringung, des Umgangs und des Beitrags zum Unterhalt der Kinder, da hierfür die britischen Gerichte im Sinne der Verordnung Nr. 2201/2003 zuständig seien, weil A und B immer in London gelebt hätten, wo auch ihre minderjährigen Kinder geboren und wohnhaft seien.

18      Mit Beschluss vom 16. November 2012 erklärte sich das Tribunale di Milano gemäß Art. 3 der Verordnung Nr. 2201/2003 für zuständig, über den Antrag auf Trennung ohne Auflösung des Ehebandes zu entscheiden.

19      Hingegen leitete das Tribunale di Milano aus Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 ab, dass ausschließlich britische Gerichte zuständig seien, über die Fragen in Bezug auf die „elterliche Verantwortung“ im Sinne von Art. 2 Nr. 7 dieser Verordnung zu entscheiden, da die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in London hätten.

20      Im Übrigen erhob A beim High Court of Justice (England & Wales), Family Division (Hoher Gerichtshof [England und Wales], Familienabteilung, Vereinigtes Königreich), in London eine Klage, mit der er beantragte, die Ausgestaltung der Ausübung der elterlichen Verantwortung festzulegen.

21      Hinsichtlich der Unterhaltszahlungen zugunsten von B einerseits und der minderjährigen Kinder andererseits nahm das Tribunale di Milano ebenfalls eine Unterscheidung vor. So erachtete es sich als zuständig für die Entscheidung über den Antrag auf Unterhaltsleistung zugunsten von B, weil es sich um eine Frage handle, die zu einem Verfahren in Bezug auf den Personenstand und auch zum Antrag auf Trennung ohne Auflösung des Ehebandes im Sinne von Art. 3 Buchst. c der Verordnung Nr. 4/2009 akzessorisch sei. Dagegen entschied das Tribunale di Milano aufgrund von Art. 3 Buchst. d der genannten Verordnung, dass es nicht zuständig sei, über den Antrag auf Unterhalt für die minderjährigen Kinder zu entscheiden, da dieser Antrag zum Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung akzessorisch sei. Für den zuletzt genannten Antrag seien somit ebenfalls die britischen Gerichte zuständig.

22      A legte gegen diese Entscheidung des Tribunale di Milano Beschwerde bei der Corte suprema di cassazione (Kassationsgerichtshof) ein, die auf einen einzigen Grund gestützt war, nämlich einen Verstoß gegen Art. 3 Buchst. c der Verordnung Nr. 4/2009 insoweit, als die italienischen Gerichte auch für die Fragen zuständig seien, die die Unterhaltspflichten gegenüber den Kindern beträfen.

23      Nach Ansicht von A ist die Auslegung von Art. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 4/2009, die das Tribunale di Milano gewählt und als Begründung für seine Entscheidung herangezogen habe, sich für unzuständig zu erklären, über den Antrag in Bezug auf die Unterhaltspflichten gegenüber den Kindern zu entscheiden, insofern fehlerhaft, als ein solcher Ausschluss der Zuständigkeit nicht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung abgeleitet werden könne.

24      Um über die Beschwerde entscheiden zu können, muss nach Auffassung des vorlegenden Gerichts bestimmt werden, in welchem Verhältnis Art. 8 der Verordnung Nr. 2201/2003 und Art. 3 der Verordnung Nr. 4/2009 – insbesondere im Licht der in Art. 3 Buchst. c und d der Verordnung Nr. 4/2009 aufgezählten Voraussetzungen – zueinander stehen.

25      Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Kann über den im Rahmen eines Verfahrens auf Trennung von Eheleuten ohne Auflösung des Ehebandes gestellten Antrag auf Kindesunterhalt, der zu diesem Verfahren akzessorisch ist, auf der Grundlage des Prioritätskriteriums entweder von dem für das Trennungsverfahren zuständigen Gericht oder von dem Gericht entschieden werden, bei dem ein Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung anhängig ist, oder muss über ihn zwingend von Letzterem entschieden werden, weil die beiden verschiedenen Kriterien in den Buchst. c und d des Art. 3 der Verordnung Nr. 4/2009 einander zwingend ausschließende Alternativen sind?

 Zur Vorlagefrage

26      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Buchst. c und d der Verordnung Nr. 4/2009 dahin auszulegen ist, dass dann, wenn ein Gericht eines Mitgliedstaats mit einem Verfahren betreffend die Trennung oder die Beendigung der ehelichen Verbindung der Elternteile eines minderjährigen Kindes befasst wird und ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats mit einem Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung für dieses Kind befasst wird, ein Antrag in Bezug auf eine Unterhaltspflicht für dieses Kind sowohl von dem Gericht entschieden werden kann, das für die Entscheidung über das Verfahren betreffend die Trennung der Ehe oder die Beendigung der ehelichen Verbindung zuständig ist (als zu dem Verfahren in Bezug auf den Personenstand akzessorischer Antrag im Sinne von Art. 3 Buchst. c dieser Verordnung), als auch von jedem Gericht, das für die Entscheidung über das Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung zuständig ist (als zu dem Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung akzessorischer Antrag im Sinne von Art. 3 Buchst. d dieser Verordnung), oder ob ein solcher Antrag zwingend durch das zuletzt genannte Gericht zu entscheiden ist.

27      Mit anderen Worten begehrt das vorlegende Gericht die Feststellung, ob die in Art. 3 Buchst. c und d der Verordnung Nr. 4/2009 genannten Kriterien für die Zuweisung der Zuständigkeit unter Berücksichtigung des dort verwendeten Bindeworts „oder“ sich gegenseitig ausschließen oder ob dieses Bindewort bedeutet, dass sowohl das Gericht, das zuständig ist, über die Klage auf Trennung ohne Auflösung des Ehebandes zu entscheiden, als auch das Gericht, in dessen Zuständigkeit die Entscheidung über das Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung fällt, rechtswirksam mit einem Antrag in Bezug auf die Unterhaltspflicht für minderjährige Kinder befasst werden können.

28      Hierzu ist anzumerken, dass sich eine solche Frage jedoch nur stellt, wenn ein Antrag in Bezug auf eine Unterhaltspflicht für ein minderjähriges Kind als Nebensache sowohl zu einem „Verfahren in Bezug auf den Personenstand“ als auch zu einem „Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung“ im Sinne dieser Bestimmungen und nicht zu bloß einem dieser Verfahren angesehen wird.

29      Daher ist die Bedeutung des Begriffs „Nebensache“ in Art. 3 Buchst. c und d der Verordnung Nr. 4/2009 zu bestimmen.

30      Hierzu ist festzustellen, dass diese Bestimmungen es dem nationalen Gericht zwar ausdrücklich gestatten, sich für zuständig zu erklären, über einen Antrag in Bezug auf eine Unterhaltspflicht in einem grenzüberschreitenden Zusammenhang zu entscheiden, wenn sein Recht ihm eine Zuständigkeit zuerkennt, Verfahren in Bezug auf den Personenstand oder Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung zu entscheiden, es jedoch nicht den Gerichten der einzelnen Mitgliedstaaten überlassen werden kann, die Bedeutung des in diesen Bestimmungen enthaltenen Begriffs „Nebensache“ nach dem jeweiligen nationalen Recht zu beurteilen.

31      Aus der Anforderung der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts folgt nämlich, dass dieser Begriff, da Art. 3 Buchst. c und d der Verordnung Nr. 4/2009 für die Ermittlung seines Sinnes und seiner Bedeutung nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten muss (vgl. in diesem Sinne Urteil Kásler und Káslerné Rábai, C‑26/13, EU:C:2014:282, Rn. 37).

32      Diese Auslegung muss unter Berücksichtigung des Wortlauts und des Kontextes der fraglichen Vorschrift und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden (vgl. in diesem Sinne Urteil A, C‑523/07, EU:C:2009:225, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Aufgrund einer Wortauslegung von Art. 3 Buchst. c und d der Verordnung Nr. 4/2009 ist festzustellen, dass diese Bestimmungen zwischen den Verfahren in Bezug auf den Personenstand und den Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung unterscheiden.

34      Wenn die darin vorgesehenen Kriterien für die Erteilung der Zuständigkeit auch alternativ sind, insofern als sie durch das Bindewort „oder“ verknüpft sind, lässt sich anhand dieses Wortlauts jedoch nicht eindeutig feststellen, ob die alternative Natur der Kriterien bedeutet, dass die Anträge in Bezug auf die Unterhaltspflichten für ein Kind nur zu einem Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung akzessorisch sind oder ob diese Anträge auch als akzessorisch zu einem Verfahren in Bezug auf den Personenstand angesehen werden können.

35      Hinsichtlich des Kontextes, in dem diese Bestimmung steht, ist festzustellen, dass die sich aus ihrem Wortlaut ergebende Unterscheidung an jene Unterscheidung anknüpft, die mit der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgenommen wird.

36      Nach ihrem fünften Erwägungsgrund gilt diese Verordnung – um die Gleichbehandlung aller Kinder sicherzustellen – für alle Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, einschließlich der Maßnahmen zum Schutz des Kindes, ohne Rücksicht darauf, ob eine Verbindung zu einem Verfahren in Ehesachen besteht. Sie unterscheidet ausdrücklich zwischen dem Verfahren über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und die Ungültigerklärung einer Ehe einerseits und dem Verfahren über die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung andererseits.

37      Die gerichtliche Zuständigkeit für die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe ist gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 2201/2003 nach Kriterien verteilt, die im Wesentlichen den aktuellen oder ehemaligen Aufenthalt der Eheleute oder eines Ehepartners berücksichtigen, während die für die elterliche Verantwortung festgelegten Zuständigkeitsvorschriften nach dem zwölften Erwägungsgrund der Verordnung dem Wohle des Kindes entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe ausgestaltet wurden.

38      Art. 3 Buchst. c und d der Verordnung Nr. 4/2009 unterscheidet hinsichtlich der darin enthaltenen Kriterien für die Zuweisung der Zuständigkeit die gerichtlichen Verfahren danach, ob sie die Rechte und Pflichten zwischen den Eheleuten oder die Rechte und Pflichten der Eltern gegenüber einem oder mehreren ihrer Kinder betreffen.

39      Ein Antrag in Bezug auf die Unterhaltspflichten für minderjährige Kinder bezieht sich auf die zuletzt genannte Verfahrensart, da er sich auf die Festlegung von Unterhaltspflichten bezieht, die einer der beiden Elternteile gegenüber den Kindern zu tragen hat, um den Unterhalt und die Erziehung der Kinder sicherzustellen.

40      Ein Antrag in Bezug auf die Unterhaltspflichten für minderjährige Kinder ist daher naturgemäß untrennbar mit dem Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung verbunden.

41      Hinsichtlich der mit der Verordnung Nr. 4/2009 verfolgten Ziele ist darauf hinzuweisen, dass diese Verordnung nach ihrem 15. Erwägungsgrund die Interessen der Unterhaltsberechtigten wahren und eine ordnungsgemäße Rechtspflege innerhalb der Union fördern soll.

42      Zum Ziel der ordnungsgemäßen Rechtspflege ist anzumerken, dass ein Antrag in Bezug auf die Unterhaltspflichten zugunsten minderjähriger Kinder nicht notwendigerweise mit einem Verfahren in Bezug auf die Scheidung oder die Trennung verknüpft ist. Außerdem führt ein solches Verfahren nicht unbedingt zur Festlegung von Unterhaltspflichten für ein minderjähriges Kind.

43      Dagegen ist das für Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung im Sinne von Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 2201/2003 zuständige Gericht in der besten Position, um im Einzelnen die Probleme des Antrags in Bezug auf eine Unterhaltspflicht zugunsten eines Kindes zu beurteilen, den Betrag der Verpflichtung, die zu den Kosten des Unterhalts und der Erziehung des Kindes beitragen soll, festzusetzen und dabei den Betrag je nach – gemeinsamem oder alleinigem – Sorgerecht, Besuchsrecht, dessen Dauer und den anderen dem Gericht zugetragenen tatsächlichen Gegebenheiten in Bezug auf die Ausübung der elterlichen Verantwortung anzupassen.

44      Das Interesse des Unterhaltsberechtigten ist daher auch insofern gewahrt, als zum einen das minderjährige Kind leicht eine Entscheidung über seinen Unterhaltsanspruch durch das Gericht erhalten kann, das die für die Beurteilung seines Antrags wesentlichen Gesichtspunkte am besten kennt.

45      Zum anderen wird der für die Entscheidung über den Antrag in Bezug auf einen solchen Unterhaltsanspruch zuständige Richter nach den unionsrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften bestimmt, die die Verordnung Nr. 2201/2003 für die Bestimmung des Richters vorsieht, der rechtswirksam mit Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung befasst werden kann, die – worauf in Rn. 37 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist – dem Wohle des Kindes entsprechend ausgestaltet sind.

46      Es ist nämlich hervorzuheben, dass bei der Auslegung der in Art. 3 Buchst. c und d der Verordnung Nr. 4/2009 enthaltenen Zuständigkeitsvorschriften das Wohl des Kindes berücksichtigt werden muss. Dies gilt umso mehr, als die Durchführung der Verordnung gemäß Art. 24 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erfolgen muss, nach dem bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss.

47      Daher folgt aus dem Wortlaut von Art. 3 Buchst. c und d der Verordnung Nr. 4/2009, den damit verfolgten Zielen und dem Kontext, in dem diese Bestimmung steht, dass bei Befassung zweier Gerichte – das eine mit einem Verfahren betreffend die Trennung oder die Beendigung der ehelichen Verbindung der Eheleute mit minderjährigen Kindern und das andere mit einem Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung für diese Kinder – ein Antrag auf Unterhaltsleistung für diese Kinder nicht gleichzeitig als akzessorisch zum Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung im Sinne von Art. 3 Buchst. d der genannten Verordnung und zum Verfahren in Bezug auf den Personenstand im Sinne von Art. 3 Buchst. c der Verordnung angesehen werden kann. Der Antrag kann als akzessorisch nur zum Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung angesehen werden.

48      Folglich ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 3 Buchst. c und d der Verordnung Nr. 4/2009 dahin auszulegen ist, dass dann, wenn ein Gericht eines Mitgliedstaats mit einem Verfahren betreffend die Trennung oder die Beendigung der ehelichen Verbindung der Eltern eines minderjährigen Kindes befasst wird und ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats mit einem Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung für dieses Kind befasst wird, ein Antrag in Bezug auf eine Unterhaltspflicht für dieses Kind nur zum Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung im Sinne von Art. 3 Buchst. d dieser Verordnung akzessorisch ist.

 Kosten

49      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 3 Buchst. c und d der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen ist dahin auszulegen, dass dann, wenn ein Gericht eines Mitgliedstaats mit einem Verfahren betreffend die Trennung oder die Beendigung der ehelichen Verbindung der Eltern eines minderjährigen Kindes befasst wird und ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats mit einem Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung für dieses Kind befasst wird, ein Antrag in Bezug auf eine Unterhaltspflicht für dieses Kind nur zum Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung im Sinne von Art. 3 Buchst. d dieser Verordnung akzessorisch ist.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Italienisch.