Language of document : ECLI:EU:C:2013:248

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Juliane Kokott

vom 18. April 2013(1)

Rechtssache C‑501/11 P

Schindler Holding Ltd u. a.

gegen

Europäische Kommission u. a.

„Rechtsmittel – Wettbewerb – Kartelle – Art. 81 EG – Markt für die Montage und Wartung von Aufzügen und Fahrtreppen – Haftung der Muttergesellschaft für die Kartellvergehen ihrer Tochtergesellschaft – Holdinggesellschaft – Unternehmensinternes Befolgungsprogramm (‚Compliance-Programm‘) – Grundrechte – Rechtsstaatliche Grundsätze bei der Verhängung von Geldbußen – Gewaltenteilung, Bestimmtheitsgrundsatz, Rückwirkungsverbot, Vertrauensschutz und Verschuldensprinzip – Gültigkeit von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Rechtmäßigkeit der Leitlinien der Kommission von 1998“





 Inhaltsverzeichnis


I – Einleitung

II – Hintergrund des Rechtsstreits

III – Verfahren vor dem Gerichtshof

IV – Würdigung des Rechtsmittels

A – Zu den Grundsätzen der Gewaltenteilung, der Rechtsstaatlichkeit und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (erster und zweiter Rechtsmittelgrund)

1. Zur Verhängung von kartellrechtlichen Geldbußen durch die Kommission (erster Rechtsmittelgrund)

a) Vorbemerkung

b) Keine grundrechtlichen Bedenken gegen die Verhängung von Geldbußen durch die Kommission

c) Zur Entkräftung einiger weiterer Argumente der Rechtsmittelführerinnen

2. Zu den Anforderungen an die Beweiserhebung des Gerichts bei Überprüfung von Bußgeldentscheidungen der Kommission (zweiter Rechtsmittelgrund)

a) Zulässigkeit

b) Begründetheit

3. Zwischenergebnis

B – Zur Haftung eines Unternehmens für die in seinem Verantwortungsbereich begangenen Kartellvergehen

1. Zur Mithaftung der Holdinggesellschaft (siebter Rechtsmittelgrund)

a) Zur grundlegenden Kritik Schindlers an der 100%-Vermutung (erster Teil des siebten Rechtsmittelgrundes)

i) Zum gesellschaftsrechtlichen Grundsatz der Haftungstrennung

ii) Zum behaupteten Eingriff in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten

iii) Zur behaupteten Verletzung des Wesentlichkeitsvorbehalts

iv) Zwischenergebnis

b) Zur Kritik Schindlers an der konkreten Anwendung der 100%-Vermutung (zweiter Teil des siebten Rechtsmittelgrundes)

i) Zur Bedeutung des „Compliance-Programms“ der Schindler Holding

ii) Zum Erfordernis der „Offenlegung der Konzernbeziehungen“

iii) Zum Begriff der „Geschäftspolitik“ im Rahmen der 100%-Vermutung

2. Zum Verschuldensgrundsatz (sechster Rechtsmittelgrund und Teile des siebten)

a) Zum Vorwurf, die 100%-Vermutung führe zu einer verschuldensunabhängigen Haftung

b) Zum Vorwurf, es genüge nicht, dass irgendwelche Mitarbeiter gegen das Kartellverbot verstoßen haben

3. Zwischenergebnis

C – Zu einigen weiteren Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Verhängung und Berechnung von Geldbußen für Kartellvergehen

1. Gültigkeit von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz (dritter Rechtsmittelgrund)

a) Zur behaupteten Unbestimmtheit des Unternehmensbegriffs (erster Teil des dritten Rechtsmittelgrundes)

b) Zur behaupteten Unbestimmtheit des Bußgeldrahmens (zweiter Teil des dritten Rechtsmittelgrundes)

c) Zwischenergebnis

2. Rechtmäßigkeit der Leitlinien von 1998 (vierter und fünfter Rechtsmittelgrund)

a) Zuständigkeit der Kommission zum Erlass der Leitlinien (vierter Rechtsmittelgrund)

b) Rückwirkungsverbot und Vertrauensschutz (fünfter Rechtsmittelgrund)

3. Der Grundbetrag der Geldbuße und die behaupteten Gründe für eine Minderung der Geldbuße (zehnter, elfter und zwölfter Rechtsmittelgrund)

a) Zur Einstufung der Zuwiderhandlungen als „besonders schwer“ (zehnter Rechtsmittelgrund)

b) Zu den mildernden Umständen (elfter Rechtsmittelgrund)

c) Zu den Bußgeldnachlässen für Zusammenarbeit mit der Kommission (zwölfter Rechtsmittelgrund)

i) Zur Zusammenarbeit im Rahmen der Mitteilung von 2002 (erster Teil des zwölften Rechtsmittelgrundes)

ii) Zur Zusammenarbeit außerhalb der Mitteilung von 2002 (zweiter Teil des zwölften Rechtsmittelgrundes)

iii) Zusammenfassung

4. Die 10%ige Obergrenze für die Höhe der Geldbuße (achter Rechtsmittelgrund)

5. Das Eigentumsrecht (neunter Rechtsmittelgrund)

a) Vorbemerkung

b) Zur gerügten Verletzung des Eigentumsrechts als Unionsgrundrecht

6. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (dreizehnter Rechtsmittelgrund)

D – Zusammenfassung

V – Kosten

VI – Ergebnis

I –    Einleitung

1.        Der vorliegende Fall wirft eine Reihe grundlegender Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Ahndung von Kartellvergehen auf. Die Schindler Holding Ltd und mehrere ihrer Tochtergesellschaften (im Folgenden auch gemeinsam als „Schindler“ bezeichnet) stellen das in der Europäischen Union bestehende System zur Durchsetzung des Kartellrechts einschließlich der institutionellen Rolle der Europäischen Kommission als Wettbewerbsbehörde grundsätzlich in Frage.

2.        Insbesondere zweifelt Schindler die Rechtmäßigkeit von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 und der Leitlinien der Kommission von 1998(2) als Grundlagen für die Verhängung von Geldbußen an. Überdies weigert Schindler sich, die von den Unionsgerichten anerkannten Grundsätze der gemeinsamen Haftung von Muttergesellschaften und Tochtergesellschaften für die in ihrem Verantwortungsbereich begangenen Kartellvergehen zu akzeptieren.

3.        Die genannten Rechtsprobleme stellen sich im Zusammenhang mit dem in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union operierenden „Aufzugskartell“, das die Kommission vor einigen Jahren aufgedeckt und am 21. Februar 2007 zum Gegenstand einer Bußgeldentscheidung gemacht hat (im Folgenden auch: streitige Entscheidung)(3). Neben vier anderen Unternehmen legte die Kommission mehreren Gesellschaften der Schindler-Gruppe, bis hin zur Holdinggesellschaft an der Konzernspitze, eine Beteiligung am Aufzugskartell zur Last und belegte sie mit Geldbußen, berechnet auf der Grundlage des Konzernumsatzes.

4.        In erster Instanz war den Angriffen von Schindler gegen die streitige Entscheidung kein Erfolg beschieden; ihre Nichtigkeitsklage hat das Gericht mit Urteil vom 13. Juli 2011 (im Folgenden auch: angefochtenes Urteil oder Urteil des Gerichts) abgewiesen(4). Nunmehr verfolgt Schindler ihr Rechtsschutzbegehren im Rechtsmittelverfahren vor dem Gerichtshof weiter und beruft sich dabei u. a. auf ihre Grundrechte sowie auf rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung, den Bestimmtheitsgrundsatz, das Rückwirkungsverbot, den Vertrauensschutz und das Verschuldensprinzip.

II – Hintergrund des Rechtsstreits

5.        Schindler ist eine der weltweit führenden Unternehmensgruppen, die Aufzüge und Fahrtreppen anbieten. Ihre Muttergesellschaft ist die Schindler Holding Ltd (im Folgenden: Schindler Holding) mit Sitz in der Schweiz. Schindler übt ihre Tätigkeiten im Aufzug- und Fahrtreppengeschäft durch nationale Tochtergesellschaften aus(5).

6.        Im Sommer 2003 wurde die Kommission darüber informiert, dass möglicherweise ein Kartell zwischen den vier größten europäischen Herstellern von Aufzügen und Fahrtreppen mit Geschäftstätigkeit in der Union, namentlich Kone, Otis, Schindler und ThyssenKrupp, bestehe(6).

7.        Die umfangreichen Ermittlungen der Kommission führten schließlich zu dem Ergebnis, dass die genannten Hersteller von Aufzügen und Fahrtreppen „an vier einzelnen, vielschichtigen und fortgesetzten Zuwiderhandlungen gegen Art. 81 Abs. 1 EG in vier Mitgliedstaaten teilgenommen haben, indem sie die Märkte durch Absprachen und/oder Abstimmung zum Zweck der Zuweisung von Angeboten und Aufträgen für Verkauf, Montage, Wartung und Modernisierung von Aufzügen und Fahrtreppen untereinander aufgeteilt haben“(7). Im Einzelnen handelt es sich dabei um das belgische, das deutsche, das luxemburgische und das niederländische Aufzugskartell. Die Dauer von Schindlers Beteiligung an diesen Kartellen variierte je nach Mitgliedstaat, betrug aber in jedem Fall mehrere Jahre(8).

8.        Für jedes einzelne der vier Kartellvergehen hat die Kommission die jeweils kartellbeteiligten Unternehmen in der streitigen Entscheidung mit Geldbußen belegt, zu deren Berechnung sie sich auf ihre Leitlinien von 1998 stützte.

9.        Im Fall von Schindler wurde die Schindler Holding jeweils zusammen mit ihrer nationalen Tochtergesellschaft gesamtschuldnerisch in die Haftung genommen(9). Insgesamt summieren sich die dergestalt gegen Schindler verhängten Geldbußen für alle vier Zuwiderhandlungen zusammen auf gut 143 Mio. Euro.

10.      Gegen die streitige Entscheidung suchten mehrere ihrer Adressaten in erster Instanz vor dem Gericht im Wege von Nichtigkeitsklagen Rechtsschutz(10).

11.      Was die Schindler-Gruppe betrifft, so haben Schindler Holding, Schindler Management AG, Schindler SA (Belgien), Schindler Deutschland Holding GmbH (Deutschland), Schindler Sàrl (Luxemburg) und Schindler Liften BV (Niederlande) in erster Instanz gemeinsam mit Schriftsatz vom 4. Mai 2007 vor dem Gericht Klage erhoben.

12.      In seinem Urteil vom 13. Juli 2011 erklärte das Gericht den Rechtsstreit für erledigt, soweit die Klage von der Schindler Management AG erhoben wurde(11). Im Übrigen wies es die Klage kostenpflichtig ab.

III – Verfahren vor dem Gerichtshof

13.      Gegen das Urteil des Gerichts haben Schindler Holding und alle ihre Mitstreiterinnen aus erster Instanz (im Folgenden auch: Rechtsmittelführerinnen) mit Schriftsatz vom 27. September 2011 gemeinsam das vorliegende Rechtsmittel eingelegt. Sie beantragen,

1)      das Urteil des Gerichts aufzuheben,

2)      die Entscheidung der Kommission für nichtig zu erklären,

hilfsweise, die in dieser Entscheidung gegen die Rechtsmittelführerinnen verhängten Geldbußen für nichtig zu erklären oder herabzusetzen,

3)      hilfsweise zu den Anträgen Ziff. 1 und Ziff. 2, die Sache zur Entscheidung im Einklang mit der rechtlichen Beurteilung im Urteil des Gerichtshofs an das Gericht zurückzuverweisen und

4)      in jedem Fall die Kommission zu verurteilen, die Kosten der Rechtsmittelführerinnen für die Verfahren vor dem Gericht und dem Gerichtshof zu tragen.

14.      Die Kommission ersucht ihrerseits den Gerichtshof,

1)      das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen und

2)      den Rechtsmittelführerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

15.      Der Rat, der sich am erstinstanzlichen Verfahren als Streithelfer auf Seiten der Kommission beteiligt hatte, beantragt schließlich,

1)      das Rechtsmittel hinsichtlich der Einrede der Rechtswidrigkeit in Bezug auf die Verordnung Nr. 1/2003 zurückzuweisen und

2)      eine angemessene Kostenentscheidung zu treffen.

16.      Vor dem Gerichtshof wurde über das Rechtsmittel schriftlich und, am 17. Januar 2013, mündlich verhandelt. Der Rat beschränkte sich dabei auf eine Stellungnahme zu der vor allem im ersten und dritten Rechtsmittelgrund von Schindler aufgeworfenen Frage der Gültigkeit der Verordnung Nr. 1/2003.

IV – Würdigung des Rechtsmittels

17.      Die Rechtsmittelführerinnen bringen insgesamt 13 Rechtsmittelgründe vor, mit denen sie zum Teil sehr grundlegende Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldbußen für Kartellvergehen durch die Europäische Kommission aufwerfen. Es empfiehlt sich, diese Rechtsmittelgründe thematisch zu gruppieren und dementsprechend in leicht veränderter Reihenfolge zu prüfen.

A –    Zu den Grundsätzen der Gewaltenteilung, der Rechtsstaatlichkeit und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (erster und zweiter Rechtsmittelgrund)

18.      Mit ihrem ersten und zweiten Rechtsmittelgrund hinterfragt Schindler grundsätzlich die Vereinbarkeit des auf Unionsebene bestehenden Systems zur Ahndung von Kartellvergehen mit elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen.

19.      Zum einen ist Schindler der Meinung, kartellrechtliche Geldbußen dürften nicht von der Kommission als Verwaltungsbehörde, sondern müssten von einem unabhängigen Gericht verhängt werden (erster Rechtsmittelgrund, vgl. dazu unten Abschnitt 1). Zum anderen kritisiert Schindler die Art der Feststellung des Sachverhalts durch die Kommission und das Gericht, die ihrer Meinung nach gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstößt (zweiter Rechtsmittelgrund, vgl. dazu unten Abschnitt 2).

1.      Zur Verhängung von kartellrechtlichen Geldbußen durch die Kommission (erster Rechtsmittelgrund)

20.      Zunächst verstößt es nach Auffassung von Schindler gegen die Grundsätze der Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit, dass kartellrechtliche Geldbußen auf Unionsebene von der Kommission als Wettbewerbsbehörde des Europäischen Binnenmarkts und nicht von einem unabhängigen Gericht verhängt werden.

a)      Vorbemerkung

21.      Obgleich Schindler sich allgemein auf die Grundsätze der Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit bezieht, zeigen doch ihre schriftlichen und mündlichen Ausführungen im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes, dass im Kern ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK(12) gerügt wird, also eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht.

22.      Hierzu ist anzumerken, dass Art. 6 EMRK – entgegen der anderslautenden Behauptung von Schindler – auf Unionsebene bis auf Weiteres keine direkte Geltung hat. Denn die Union ist der EMRK bislang nicht beigetreten, sondern Art. 6 Abs. 2 EUV muss erst noch umgesetzt werden(13).

23.      Gleichwohl haben die in Art. 6 EMRK verankerten Grundrechte schon heute auf Unionsebene erhebliche praktische Bedeutung. Zum einen kommen in ihnen allgemeine Rechtsgrundsätze zum Ausdruck, die auch im Unionsrecht anerkannt sind (Art. 6 Abs. 3 EUV)(14), zum anderen sind sie Maßstab für die Auslegung derjenigen Bestimmungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die ihnen inhaltlich entsprechen (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV in Verbindung mit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 der Charta)(15).

24.      Vor diesem Hintergrund kommt Art. 6 EMRK und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EGMR(16) bei der Beantwortung der von Schindler erhobenen Rügen ein nicht zu unterschätzender Stellenwert zu, weshalb ich darauf im Folgenden schwerpunktmäßig eingehen werde. Formal betrachtet bilden aber nicht Art. 6 EMRK als solcher, sondern Art. 47 der Charta der Grundrechte, insbesondere dessen Abs. 2, sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts im Sinne von Art. 6 Abs. 3 EUV den Anknüpfungspunkt für die Prüfung der von Schindler behaupteten Verstöße gegen die Grundsätze der Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit(17).

b)      Keine grundrechtlichen Bedenken gegen die Verhängung von Geldbußen durch die Kommission

25.      Anerkanntermaßen hat das Wettbewerbsrecht zwar strafrechtsähnlichen Charakter(18), es gehört jedoch nicht zum Kernbereich des Strafrechts(19).

26.      Außerhalb des „harten Kerns“ des Strafrechts müssen die in Art. 6 EMRK niedergelegten strafrechtlichen Garantien nach der Rechtsprechung des EGMR nicht notwendigerweise in ihrer vollen Strenge zur Anwendung kommen(20).

27.      Für das Wettbewerbsrecht bedeutet dies, dass Geldbußen zur Ahndung von Kartellvergehen nicht zwingend von einem unabhängigen Gericht verhängt werden müssen, vielmehr darf die Befugnis hierzu grundsätzlich auch einer Verwaltungsbehörde übertragen werden. Den Anforderungen von Art. 6 EMRK ist dabei genügt, sofern das betroffene Unternehmen gegen jede ihm gegenüber ergangene kartellrechtliche Bußgeldentscheidung ein Organ der Rechtsprechung mit vollumfänglicher Prüfungsbefugnis (Französisch: „pleine juridiction“, Englisch: „full jurisdiction“) anrufen kann(21).

28.      Das zur Kontrolle von kartellrechtlichen Bußgeldentscheidungen berufene Gericht muss nach der Rechtsprechung des EGMR(22) die Befugnis haben, die Entscheidung der Verwaltungsbehörde in allen Punkten, sowohl auf tatsächlicher als auch auf rechtlicher Ebene, „abzuändern“(23). Entgegen dem ersten Anschein bedeutet dies nicht notwendigerweise, dass das Gericht selbst in jedem Punkt inhaltliche Änderungen an der Bußgeldentscheidung vornehmen können muss (Französisch: „réformer“). Vielmehr genügt es, dass das Gericht befugt ist, alle für die bei ihm anhängige Streitigkeit relevanten Tatsachen- und Rechtsfragen zu prüfen(24) und die angefochtene Entscheidung in jeder Beziehung aufzuheben (Englisch: „to quash“)(25).

29.      Diesen Anforderungen genügt das auf Unionsebene eingerichtete Rechtsschutzsystem, in dessen Rahmen Bußgeldentscheidungen der Kommission in Wettbewerbssachen von den betroffenen Unternehmen angefochten werden können. Es entspricht nämlich gefestigter Rechtsprechung unseres Gerichtshofs, dass der Unionsrichter in Bezug auf solche Entscheidungen über zweierlei Befugnisse verfügt(26):

–        Zum einen nimmt der Unionsrichter eine Rechtmäßigkeitskontrolle vor (Art. 263 Abs. 1 AEUV). Entgegen dem ersten Anschein ist er in diesem Rahmen nicht auf bloße Rechtsfragen beschränkt, sondern kann auch die sachliche Richtigkeit der angeführten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz prüfen; außerdem ist er dazu berufen, zu prüfen, ob die von der Kommission herangezogenen Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen waren, ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse untermauern können und ob die Kommission ihre Entscheidung diesbezüglich hinreichend begründet hat. Ein Beurteilungsspielraum der Kommission, der der gerichtlichen Kontrolle entzogen wäre, besteht in dieser Hinsicht nicht(27).

–        Zum anderen verfügt der Unionsrichter im Hinblick auf finanzielle Sanktionen über die Befugnis zur unbeschränkten Ermessensnachprüfung (Art. 261 AEUV in Verbindung mit Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003), die man zur Vermeidung von Verwechslungen am besten als „pleine juridiction“ (französisch) oder „full jurisdiction“ (englisch) im engeren Sinne bezeichnen sollte. Diese Befugnis ermächtigt den Richter über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit hinaus dazu, die Beurteilung der Kommission durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen(28).

30.      Damit verfügen die Unionsgerichte in Bezug auf kartellrechtliche Bußgeldentscheidungen sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht über die „vollumfängliche Prüfungsbefugnis“ (Französisch: „pleine juridiction“, Englisch: „full jurisdiction“) im weiteren Sinne, wie sie Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte – ausgelegt und angewandt im Lichte von Art. 6 EMRK und der Rechtsprechung des EGMR – erfordert(29).

31.      Die Entgegnung von Schindler, „nach der derzeitigen Praxis“ würden Entscheidungen der Kommission in Kartellverfahren keiner vollen gerichtlichen Prüfung unterzogen, ist nicht mehr als eine bloße Behauptung, die in keiner Weise mit Blick auf den vorliegenden Fall substantiiert wurde(30). In Wirklichkeit ist das Gericht allen Tatsachenfragen, die von Schindler im erstinstanzlichen Verfahren aufgeworfen wurden, nachgegangen und hat diese eingehend geprüft.

32.      Alles in allem ist somit die auf Art. 6 EMRK gestützte Rüge einer Verletzung der Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit wegen der Verhängung von kartellrechtlichen Geldbußen durch die Kommission haltlos.

c)      Zur Entkräftung einiger weiterer Argumente der Rechtsmittelführerinnen

33.      Die Rechtsmittelführerinnen bringen vor, angesichts der schieren Höhe der auf Unionsebene verhängten kartellrechtlichen Geldbußen dringe die Kommission in den „harten Kern“ des Strafrechts vor, in dem die Verhängung von Sanktionen nach Art. 6 EMRK unabhängigen Gerichten vorbehalten sei.

34.      Dieses Argument überzeugt nicht. Ob eine Materie zum „harten Kern“ des Strafrechts im Sinne von Art. 6 EMRK gehört, kann nicht allein nach der Höhe der verhängten Sanktionen beurteilt werden, erst recht nicht, wenn dabei die Größe und Leistungsfähigkeit der betroffenen Unternehmen ausgeblendet wird und lediglich die nominalen Geldbeträge Gegenstand der Erörterung sind.

35.      Es kommt nicht allein auf eine quantitative Betrachtung an, sondern ganz entscheidend auch auf eine qualitative Betrachtung der verhängten Sanktionen. Auch übersieht Schindler, dass von den auf Unionsebene verhängten kartellrechtlichen Sanktionen – unabhängig von ihrer nominalen Höhe – stets Unternehmen betroffen sind. Die Verordnung Nr. 1/2003 kennt keine strafrechtlichen oder strafrechtsähnlichen Sanktionen gegen natürliche Personen, erst recht keine freiheitsentziehenden Sanktionen. All dies stellt einen erheblichen qualitativen Unterschied zum „harten Kern“ des Strafrechts dar, auf den der EGMR in seiner Rechtsprechung(31) anzuspielen scheint.

36.      Des Weiteren meinen die Rechtsmittelführerinnen der Rechtsprechung des EGMR entnehmen zu können, dass außerhalb des Bereichs der „kleinen Delikte“ und der „Massenverfahren“ eine Übertragung der Sanktionsbefugnis auf eine Verwaltungsbehörde nicht mit den Anforderungen von Art. 6 EMRK im Einklang stehe(32).

37.      Dazu genügt der Hinweis, dass nach der jüngsten Rechtsprechung des EGMR in der Verhängung einer kartellrechtlichen Geldbuße in erheblicher Höhe durch eine Wettbewerbsbehörde kein Verstoß gegen Art. 6 EMRK liegt(33). Dies mussten auch die Prozessvertreter von Schindler in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof einräumen.

38.      Ich füge hinzu, dass die Verhängung von Geldbußen für Kartellvergehen durch Wettbewerbsbehörden jedenfalls in Kontinentaleuropa einer durchaus verbreiteten Tradition entspricht.

39.      Schließlich sind die Rechtsmittelführerinnen der Ansicht, der Vertrag von Lissabon zwinge zu einer Neubewertung der Frage, ob kartellrechtliche Geldbußen von der Kommission als Wettbewerbsbehörde verhängt werden dürfen.

40.      Auch dieses Argument geht jedoch fehl. Zum einen ist die Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ergangen ist, am Maßstab der damals geltenden Rechtslage zu messen. Zum anderen hat sich mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 an den hier maßgeblichen grundrechtlichen Vorgaben nichts Wesentliches geändert. Zwar hat dieser Vertrag die Charta der Grundrechte nunmehr in den Rang von verbindlichem Unionsprimärrecht erhoben und angeordnet, dass die Charta und die Verträge rechtlich gleichrangig sind (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV). Der Inhalt des auf Unionsebene anerkannten Grundrechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht ist jedoch stark von Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie von der Rechtsprechung des EGMR und der Unionsgerichte zu dieser Thematik geprägt. Mit dem Vertrag von Lissabon hat dieser Grundrechtsinhalt keine wesentlichen Änderungen erfahren(34).

41.      Sicherlich bleibt es nach Art. 52 Abs. 3 Satz 2 der Charta der Grundrechte möglich, im Unionsrecht über den Standard der EMRK hinauszugehen. Der Vertragsgesetzgeber hat allerdings klargestellt, dass die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben durch die Bestimmungen der Charta in keiner Weise geändert werden (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 51 Abs. 2 der Charta). Vor diesem Hintergrund können Grundrechte der Charta, namentlich das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht gemäß Art. 47 der Charta, nicht als Stütze für eine grundlegende Änderung der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Europäischen Kommission als Wettbewerbsbehörde des Europäischen Binnenmarkts und dem Gerichtshof der Europäischen Union als gerichtlicher Kontrollinstanz dienen.

2.      Zu den Anforderungen an die Beweiserhebung des Gerichts bei Überprüfung von Bußgeldentscheidungen der Kommission (zweiter Rechtsmittelgrund)

42.      Neben ihrer grundsätzlichen Kritik an der institutionellen Rolle der Kommission bei der Verhängung von Geldbußen für Kartellvergehen rügen die Rechtsmittelführerinnen eine Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Weder die Kommission noch das Gericht habe den Sachverhalt im vorliegenden Fall durch eine „unmittelbare Beweisaufnahme“ festgestellt. Insbesondere habe sich die Kommission nur auf schriftliche Beweise gestützt, nicht aber auf Zeugenaussagen natürlicher Personen. Ferner seien Kronzeugen nicht unter Wahrheitspflicht und in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten vernommen worden. Darin liege ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. d EMRK(35). Das Gericht habe die rechtsstaatliche Pflicht, in Fällen wie dem vorliegenden eigene Tatsachenermittlungen durchzuführen.

a)      Zulässigkeit

43.      Die Kommission zweifelt die Zulässigkeit dieses Rechtsmittelgrundes an. Dieser Einwand bedarf einer differenzierten Betrachtung.

44.      Soweit Schindler der Kommission vorwirft, sie habe ihre Beweisführung auf die schriftlichen, nicht weiter verifizierten Angaben von Kronzeugen gestützt, ist ihr Vorbringen unzulässig. Wie nämlich die Kommission zu Recht anmerkt, handelt es sich um einen neuen Rechtsgrund, der in dieser Form vor dem Gericht nicht vorgebracht worden war. In erster Instanz hatte Schindler zwar andere rechtliche Aspekte des Kronzeugenbeweises thematisiert(36), nicht aber die fehlende Verifizierung der Angaben von Kronzeugen, auf die sie nunmehr ihr Vorbringen konzentriert. Damit erweitert Schindler in unzulässiger Weise den Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits im Verhältnis zum erstinstanzlichen Verfahren(37).

45.      Anders verhält es sich mit dem zusätzlichen Vorwurf Schindlers, auch das Gericht habe bei seiner Überprüfung der streitigen Entscheidung den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung verletzt. Mit dieser Rüge übt Schindler konkret Kritik am angefochtenen Urteil, die es naturgemäß erst im Stadium des Rechtsmittelverfahrens vorbringen kann. Soweit er also die Vorgehensweise des Gerichts in Beweisfragen zum Gegenstand hat, ist der zweite Rechtsmittelgrund zulässig.

b)      Begründetheit

46.      In der Sache überzeugt allerdings das Vorbringen von Schindler nicht.

47.      Das Direktklageverfahren vor den Unionsgerichten ist von der Dispositionsmaxime und vom Beibringungsgrundsatz geprägt. Dementsprechend kann vom Kläger verlangt werden, dass er die beanstandeten Punkte der angefochtenen Entscheidung bezeichnet, insoweit Rügen formuliert und Beweise oder zumindest ernsthafte Indizien für deren Begründetheit beibringt(38).

48.      Wie die Rechtsmittelführerinnen in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof einräumen mussten, hat Schindler zu keinem Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens die Richtigkeit des von der Kommission ermittelten Sachverhalts in Frage gestellt und auch keine Anträge auf Zeugenvernehmung gestellt, obwohl dazu vor Gericht völlig unstreitig hinreichend Gelegenheit bestand. Im Gegenteil hat Schindler nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen des Gerichts ausdrücklich den Sachverhalt, wie er in der Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegt worden ist, anerkannt(39).

49.      Unter diesen Umständen kann Schindler nunmehr, im Stadium des Rechtsmittelverfahrens, schwerlich den Vorwurf erheben, das Gericht habe seine Pflichten hinsichtlich der Aufklärung des Sachverhalts vernachlässigt.

50.      Ohnehin ist es nach ständiger Rechtsprechung allein Sache des Gerichts, zu entscheiden, ob die ihm vorliegenden Informationen der Ergänzung bedürfen(40). Dies hängt nicht zuletzt davon ab, ob das Gericht eine Aufklärung bestimmter Aspekte des Sachverhalts für seine Entscheidung überhaupt für erforderlich hält.

51.      Nur höchst ausnahmsweise wird man annehmen können, dass sich das weite Ermessen des Gerichts, zu beurteilen, welche Beweismittel zum Nachweis einer bestimmten Tatsache geeignet und notwendig sind, zu einer Pflicht verdichtet, aus eigener Initiative weitere Beweise zu erheben, selbst wenn keine der Parteien dies beantragt hat. Dies gilt umso mehr, wenn die Verfahrensbeteiligten – wie hier – große Unternehmen mit einiger Erfahrung in wettbewerbsrechtlichen Fragen sind und durch spezialisierte Rechtsanwälte vertreten werden.

52.      Der Umstand allein, dass sich die Kommission in einer kartellrechtlichen Bußgeldentscheidung maßgeblich auf die Stellungnahme eines Kronzeugen gestützt hat, ist jedenfalls für sich genommen nicht geeignet, das Gericht zu weiteren Beweiserhebungen aus eigener Initiative zu verpflichten.

53.      Ich füge hinzu, dass den schriftlichen Stellungnahmen von Unternehmen im Kartellverfahren nicht von vornherein ein geringerer Beweiswert zugemessen werden kann als den mündlichen Aussagen natürlicher Personen. Im Gegenteil ist es angesichts der Komplexität vieler Kartellverfahren nahezu unausweichlich, jedenfalls aber äußerst zweckdienlich für die Aufklärung und Feststellung des Sachverhalts, wenn auf schriftliche Unterlagen zurückgegriffen werden kann, einschließlich solcher, die kartellbeteiligte Unternehmen freiwillig eingereicht haben.

54.      Sicherlich ist in jedem Einzelfall sorgsam zu prüfen, ob die Stellungnahme eines Unternehmens, zumal die eines kartellbeteiligten Unternehmens mit Kronzeugenstatus, sich womöglich durch eine einseitige, lückenhafte oder unrichtige Darstellung der Geschehnisse auszeichnet oder von Belastungseifer gegenüber den sonstigen Kartellbeteiligten geprägt ist. Es geht aber nicht an, den Wahrheitsgehalt und den Beweiswert der schriftlichen Stellungnahmen von Kronzeugen in Kartellverfahren von vornherein pauschal in Frage zu stellen oder ihn allgemein geringer einzuschätzen als den von anderen Beweismitteln.

55.      Dies gilt umso mehr, als die anderen Kartellbeteiligten schon im Verwaltungsverfahren Gelegenheit erhalten, die Beweise einzusehen, auf die sich die Kommission stützt, sowie der Kommission ihre gegebenenfalls anderslautende Einschätzung des Sachverhalts vorzutragen (Art. 27 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1/2003) und so bei Bedarf den auf der Stellungnahme eines Kronzeugen fußenden Sachverhaltsfeststellungen zu widersprechen oder sie jedenfalls in ein anderes Licht zu rücken.

56.      Hat aber keiner der Verfahrensbeteiligten den auf die Stellungnahme eines Kronzeugen zurückgehenden Sachverhaltsfeststellungen der Kommission inhaltlich widersprochen und bestehen auch sonst keine Anhaltspunkte für deren Einseitigkeit, Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit, so gibt es für das Gericht keinen Anlass, zusätzliche Nachprüfungen anzustellen und weitere Beweise aus eigener Initiative zu erheben.

57.      Ganz allgemein kann das Gericht nicht verpflichtet sein, zu allen möglichen Detailfragen am Rande eines von der Kommission ermittelten, im Kern unstreitigen Sachverhalts – etwa zu den von Schindler in ihrer Replik im Rechtsmittelverfahren genannten Details(41) – Beweis zu erheben, wenn diese, wie hier, für die Entscheidung des Rechtsstreits keine oder allenfalls marginale Bedeutung haben. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wenn es für die Einstufung der Schwere der Zuwiderhandlung von Rechts wegen keinen Unterschied macht, ob ein Kartell erhebliche oder nur geringe Auswirkungen auf den Markt hatte, dann braucht über diese Auswirkungen auch nicht Beweis erhoben zu werden(42).

3.      Zwischenergebnis

58.      Alles in allem sind die von Schindler erhobenen Vorwürfe einer Verletzung elementarer rechtsstaatlicher Grundsätze haltlos. Folglich sind der erste und der zweite Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

B –    Zur Haftung eines Unternehmens für die in seinem Verantwortungsbereich begangenen Kartellvergehen

59.      Mit dem sechsten und dem siebten Rechtsmittelgrund werden die in ständiger Rechtsprechung anerkannten unionsrechtlichen Grundsätze der Haftung eines Unternehmens für die in seinem Verantwortungsbereich begangenen Kartellvergehen thematisiert. Zum einen rügen die Rechtsmittelführerinnen, das Gericht habe rechtsfehlerhaft die Mithaftung von Schindler Holding für die Kartellvergehen ihrer vier nationalen Tochtergesellschaften angenommen (siebter Rechtsmittelgrund, vgl. dazu unten Abschnitt 1). Zum anderen machen sie ganz allgemein einen Verstoß gegen den Verschuldensgrundsatz geltend (sechster und teilweise auch siebter Rechtsmittelgrund, vgl. dazu unten, Abschnitt 2).

1.      Zur Mithaftung der Holdinggesellschaft (siebter Rechtsmittelgrund)

60.      Gegenstand des siebten Rechtsmittelgrundes sind die Grundsätze, nach denen im Unionsrecht Muttergesellschaften für Kartellvergehen ihrer 100%igen Tochtergesellschaften in die Mithaftung genommen werden. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei die sogenannte „100%-Vermutung“. Sie besagt, dass im Falle der 100%igen (oder fast 100%igen) Beteiligung der Muttergesellschaft an ihrer Tochtergesellschaft widerleglich zu vermuten ist, dass die Muttergesellschaft bestimmenden Einfluss auf das Marktverhalten der Tochtergesellschaft ausübt. Dies gilt auch für den Fall, dass die Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft vermittelt über eine zwischengeschaltete Gesellschaft kontrolliert, wobei die Muttergesellschaft 100 % (oder fast 100 %) der Anteile an der Zwischengesellschaft und die Zwischengesellschaft ihrerseits 100 % (oder fast 100 %) der Anteile an der Tochtergesellschaft hält. Die 100%ige oder fast 100%ige Beteiligung reicht dann nach der Rechtsprechung aus, um Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft als einheitliches Unternehmen anzusehen, was zur Folge hat, dass die Muttergesellschaft gesamtschuldnerisch für die Kartellvergehen ihrer jeweiligen Tochtergesellschaft zur Verantwortung gezogen wird.

61.      Völlig unstreitig wird diese 100%-Vermutung in ständiger Rechtsprechung der Unionsgerichte – der sogenannten Rechtsprechung Akzo Nobel(43) – angewandt und wurde in jüngerer Zeit allein zwei Mal in Urteilen der Großen Kammer des Gerichtshofs bestätigt(44).

62.      Gleichwohl sind die Rechtsmittelführerinnen der Auffassung, das Gericht habe zu Unrecht unter Rückgriff auf die 100%-Vermutung die Mithaftung von Schindler Holding als Muttergesellschaft der Schindler-Gruppe für die von ihren vier nationalen Tochtergesellschaften in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg begangenen Kartellvergehen im Rahmen des Aufzugskartells angenommen. Sie stellen einerseits die Rechtmäßigkeit der 100%-Vermutung als solcher in Frage (vgl. dazu sogleich, Abschnitt a) und kritisieren andererseits die konkrete Anwendung dieser 100%-Vermutung durch das Gericht im vorliegenden Fall (vgl. dazu unten, Abschnitt b).

a)      Zur grundlegenden Kritik Schindlers an der 100%-Vermutung (erster Teil des siebten Rechtsmittelgrundes)

63.      Im ersten Teil des siebten Rechtsmittelgrundes übt Schindler grundlegende Kritik an der 100%-Vermutung als solcher. Diese Kritik stützt sich im Wesentlichen auf drei Rügen, denen ich mich im Folgenden nacheinander zuwenden werde.

i)      Zum gesellschaftsrechtlichen Grundsatz der Haftungstrennung

64.      Zunächst behauptet Schindler, wie schon im erstinstanzlichen Verfahren, die 100%-Vermutung verstoße gegen das im Gesellschaftsrecht vorherrschende Trennungsprinzip, nach dem juristische Personen grundsätzlich eigenständig sind und getrennt haften, wohingegen ein Rückgriff auf ihre Anteilseigner nicht zulässig sei. Eine etwaige Durchbrechung dieses „Grundsatzes der Haftungstrennung“ komme nur ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen in Betracht, namentlich, wenn eine Muttergesellschaft die Haftung für Schulden ihrer Tochtergesellschaft bewusst übernommen habe oder ihr ein eigenes Fehlverhalten zur Last zu legen sei.

65.      Zugegebenermaßen handelt es sich beim Trennungsprinzip um einen weit verbreiteten Grundsatz im Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten, der vor allem für Fragen der zivilrechtlichen Haftung im Zusammenhang mit Handelsgesellschaften – etwa Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder Aktiengesellschaften – von nicht zu unterschätzender praktischer Bedeutung ist.

66.      Bei der Beurteilung der kartellrechtlichen Verantwortlichkeit eines Unternehmens kann aber nicht ausschlaggebend sein, ob zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft ein „corporate veil“ besteht. Vielmehr kommt es entscheidend auf die wirtschaftlichen Realitäten an, denn das Wettbewerbsrecht orientiert sich nicht an Formalien, sondern am tatsächlichen Verhalten von Unternehmen(45) auf dem Markt. Für die kartellrechtliche Beurteilung des Marktverhaltens eines Unternehmens auf den Wettbewerb spielt es keine Rolle, welche rechtlichen Konstrukte die hinter dem Unternehmen stehenden natürlichen oder juristischen Personen jeweils zur Regelung ihrer Rechtsverhältnisse gewählt haben.

67.      Ob eine Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft(en) auf dem Markt als einheitliches Unternehmen auftreten, kann also nicht anhand einer rein formaljuristischen Betrachtung beurteilt werden. Ebenso wenig lässt sich allein nach Maßgabe des Gesellschaftsrechts beurteilen, ob eine Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten autonom bestimmen kann oder aber dem bestimmenden Einfluss ihrer Muttergesellschaft ausgesetzt ist. Ansonsten wäre es den betroffenen Muttergesellschaften ein Leichtes, sich der Verantwortung für Kartellvergehen ihrer 100%igen Tochtergesellschaften unter Berufung auf rein gesellschaftsrechtliche Begebenheiten zu entziehen(46).

68.      Vor diesem Hintergrund hat das Gericht den ausschließlich gesellschaftsrechtlich motivierten Einwand Schindlers gegen die 100%-Vermutung und – allgemeiner – gegen die unionsrechtlichen Grundsätze der Mithaftung von Muttergesellschaften für die Kartellvergehen ihrer Tochtergesellschaften zu Recht zurückgewiesen(47).

ii)    Zum behaupteten Eingriff in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten

69.      Des Weiteren bringt Schindler vor, die Rechtsprechung der Unionsgerichte zur Mithaftung von Muttergesellschaften für die Kartellvergehen ihrer Tochtergesellschaften greife in mitgliedstaatliche Kompetenzen ein. Nach Ansicht Schindlers fällt es nämlich allein in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, festzulegen, wann die grundsätzlich bestehende Haftungstrennung zwischen einer Muttergesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft aufgehoben werden kann.

70.      Wie die Kommission zu Recht ausführt, handelt es sich bei dieser Rüge um ein neues Angriffsmittel, das erstmals im Stadium des Rechtsmittelverfahrens geltend gemacht wird. Dieser Teil des siebten Rechtsmittelgrundes ist somit bereits unzulässig(48).

71.      Auch in der Sache überzeugt das Vorbringen von Schindler nicht.

72.      Selbstverständlich wird die Union nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 EUV, ehemals Art. 5 Abs. 1 EG). Jedes Unionsorgan handelt überdies nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse (Art. 13 Abs. 2 Satz 1 EUV), und alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben bei den Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 Satz 2 EUV).

73.      Allerdings entbehrt die Behauptung, die Union verfüge nicht über die Zuständigkeit, Muttergesellschaften und ihre 100%igen Tochtergesellschaften gemeinsam für begangene Kartellvergehen zur Rechenschaft zu ziehen, jeder Grundlage.

74.      Denn gemäß Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 ist die Sanktionsbefugnis der Kommission nicht auf Maßnahmen gegen spezifische juristische Personen – etwa die direkt in ein Kartell verstrickten Gesellschaften innerhalb eines Konzerns – beschränkt, sondern gestattet der Kommission die Verhängung von Geldbußen gegenüber dem Unternehmen, das ein Kartellvergehen begangen hat. Diese Sanktionsbefugnis findet in Art. 83 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Buchst. a EG (nunmehr Art. 103 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Buchst. a AEUV) eine ausdrückliche primärrechtliche Verankerung.

75.      Der Unternehmensbegriff als solcher ist ebenfalls im Unionsprimärrecht verankert, genießt also in der Unionsrechtsordnung Verfassungsrang (vgl. insbesondere Art. 81 EG, 82 EG, 86 EG und 87 EG, nunmehr Art. 101 AEUV, 102 AEUV, 106 AEUV und 107 AEUV). Seinen Inhalt und seine Reichweite durch Auslegung zu bestimmen, gehört zu den ureigensten Aufgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union, der zur Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge berufen ist (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV).

76.      Als Kernelement der für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Wettbewerbsregeln muss der Unternehmensbegriff in der gesamten Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden und kann nicht von den Besonderheiten des nationalen Gesellschaftsrechts der Mitgliedstaaten abhängen. Ansonsten könnte für die auf dem Binnenmarkt tätigen Unternehmen kein einheitlicher rechtlicher Rahmen („level playing field“) sichergestellt werden.

77.      Selbst wenn die Zuständigkeit für die Regelung des Gesellschaftsrechts beim gegenwärtigen Stand weitgehend in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verblieben ist, haben die Mitgliedstaaten doch ihrerseits bei der Ausübung dieser Zuständigkeit(49) – wie auf anderen Rechtsgebieten auch(50) – das einschlägige Unionsrecht zu beachten und die Zuständigkeiten der Union zu respektieren.

78.      Insgesamt ist also die auf Unzuständigkeit der Union gestützte Argumentation der Rechtsmittelführerinnen als unzulässig, jedenfalls aber als unbegründet zurückzuweisen.

iii) Zur behaupteten Verletzung des Wesentlichkeitsvorbehalts

79.      Schließlich macht Schindler geltend, die Festlegung der Grundsätze der Mithaftung einer Muttergesellschaft für Kartellvergehen ihrer Tochtergesellschaft könne nicht der Praxis der Kommission und der Unionsgerichte überlassen werden, sondern sei dem Unionsgesetzgeber vorbehalten. Dies folge aus dem Wesentlichkeitsvorbehalt, wie er seit dem Vertrag von Lissabon in Art. 290 Abs. 1 AEUV niedergelegt sei.

80.      Auch diese Rüge stellt im Vergleich zum erstinstanzlichen Verfahren ein neues Angriffsmittel dar und ist somit aus demselben Grund unzulässig wie die zuvor erörterte Rüge des Eingriffs in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten(51).

81.      Inhaltlich ist anzumerken, dass Art. 290 Abs. 1 AEUV als solcher für die hier interessierende Frage überhaupt nicht einschlägig ist, weil er nur den Fall der delegierten Rechtsetzung durch die Kommission in Ergänzung oder Änderung von Gesetzgebungsakten der Unionsorgane betrifft. Hingegen fällt die Verfolgung von Kartellvergehen auf Unionsebene in die originäre Kompetenz der Kommission als Wettbewerbsbehörde, die ihr nicht vom Europäischen Parlament oder vom Rat der Europäischen Union verliehen wurde, sondern ihr auch unabhängig von der Verordnung Nr. 1/2003 kraft Primärrechts zusteht (Art. 105 AEUV, ehemals Art. 85 EG).

82.      Selbst wenn man aber annimmt, dass Schindler auf Art. 290 Abs. 1 AEUV nur insoweit Bezug nimmt, als darin ein allgemeiner Verfassungsgrundsatz zum Ausdruck kommt, wonach die wesentlichen Regelungen einer Materie von der Legislative zu erlassen sind und nicht auf die Exekutive delegiert werden können, ist ihre Argumentation nicht zielführend.

83.      Anknüpfungspunkt für die Mithaftung einer Muttergesellschaft für die Kartellvergehen ihrer 100%igen oder fast 100%igen Tochtergesellschaften ist, wie bereits erwähnt, der wettbewerbsrechtliche Unternehmensbegriff, der sich von dem der juristischen Person unterscheidet. Das Unternehmen ist Kartellbeteiligter, und das Unternehmen wird mit einer Geldbuße belegt, gleichviel, ob eine oder mehrere juristische Personen dieses Unternehmen verkörpern.

84.      Entgegen der Behauptung von Schindler beruht die Eigenständigkeit des Unternehmensbegriffs nicht auf einer bloßen Praxis der Kommission als Exekutivorgan oder des Gerichtshofs als Rechtsprechungsorgan, sondern ist in den Verträgen selbst verankert. So unterscheidet bereits das Primärrecht der Union sorgsam zwischen dem Begriff der juristischen Person (vgl. etwa Art. 15 Abs. 3 AEUV, 54 Abs. 2 AEUV, 75 Abs. 1 AEUV, 263 Abs. 4 AEUV und 265 Abs. 3 AEUV), dem Begriff der Gesellschaft (vgl. Art. 50 Abs. 2 Buchst. g AEUV und 54 Abs. 2 AEUV) und dem vor allem im Wettbewerbsrecht anzutreffenden Begriff des Unternehmens (vgl. etwa Art. 101 AEUV, 102 AEUV, 106 AEUV und 107 AEUV).

85.      Mit anderen Worten lässt es sich auf eine originäre Festlegung des Vertragsgesetzgebers zurückführen, dass für ein Kartellvergehen nicht notwendig nur eine einzelne juristische Person oder Handelsgesellschaft zur Verantwortung gezogen werden kann, sondern eine wirtschaftliche Einheit sui generis, nämlich das kartellbeteiligte Unternehmen.

86.      Folglich ist die auf den Wesentlichkeitsvorbehalt gestützte Argumentation Schindlers nicht stichhaltig.

87.      Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Unionsgesetzgeber in Art. 23 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 eine spezifische Regelung getroffen hat, wonach die gegen Unternehmensvereinigungen verhängten Geldbußen unter bestimmten Umständen auch gegen deren Mitglieder vollstreckt werden können. Die genannte Vorschrift befasst sich nämlich gar nicht mit der Verantwortlichkeit von Unternehmen für die von ihnen selbst begangenen Kartellvergehen, sondern mit der Verantwortlichkeit von Unternehmen für Kartellvergehen einer größeren Einheit, die ihrerseits keinen Unternehmensstatus hat, sondern nur aus mehreren Unternehmen zusammengesetzt ist. Wenn man also überhaupt aus Art. 23 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 irgendeine Schlussfolgerung im Zusammenhang mit dem Wesentlichkeitsvorbehalt ziehen mag, dann jene, dass eine besondere gesetzliche Regelung nur für Fälle erforderlich ist, in denen der Kreis der für ein Kartellvergehen Haftenden über die Grenzen des Unternehmensbegriffs hinaus ausgedehnt wird.

88.      Insgesamt ist das Vorbringen von Schindler zum Wesentlichkeitsvorbehalt als unzulässig, jedenfalls aber als unbegründet zurückzuweisen.

iv)    Zwischenergebnis

89.      Alles in allem ist somit der erste Teil des siebten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

b)      Zur Kritik Schindlers an der konkreten Anwendung der 100%-Vermutung (zweiter Teil des siebten Rechtsmittelgrundes)

90.      Im zweiten Teil des siebten Rechtsmittelgrundes übt Schindler Kritik an der konkreten Anwendung der 100%-Vermutung durch das Gericht, insbesondere mit Blick auf die Anforderungen an die Widerlegung dieser Vermutung. Die Rechtsmittelführer meinen, zu Unrecht sei das Gericht im vorliegenden Fall von der Mithaftung von Schindler Holding als Muttergesellschaft(52) für die von ihren vier nationalen Tochtergesellschaften in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg begangenen Kartellvergehen ausgegangen.

91.      Bei vordergründiger Betrachtung könnte man meinen, dass mit dieser Rüge lediglich die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Gerichts hinterfragt und der Gerichtshof aufgefordert wird, seine eigene Einschätzung an die Stelle der Beurteilung des Gerichts zu setzen. Dies wäre im Rechtsmittelverfahren unzulässig(53). In Wahrheit geht es aber hier um die Frage, ob das Gericht bei seiner Tatsachen- und Beweiswürdigung die richtigen Kriterien und Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage, die vom Gerichtshof als Rechtsmittelinstanz überprüft werden kann(54).

92.      Zu klären ist insbesondere, ob das bloße Bestehen eines „Compliance-Programms“ (zu Deutsch auch „Befolgungsprogramm“ genannt)(55) ausreicht, um die Muttergesellschaft von ihrer Mithaftung zu befreien. Daneben streiten die Parteien auch darüber, inwieweit die „Konzernbeziehungen“ zwischen der Muttergesellschaft und ihren Tochtergesellschaften offenzulegen sind, um die 100%-Vermutung zu entkräften.

i)      Zur Bedeutung des „Compliance-Programms“ der Schindler Holding

93.      Zunächst ist Schindler der Auffassung, eine Muttergesellschaft sei immer schon dann aus der Mithaftung für die von ihren 100%igen Tochtergesellschaften begangenen Kartellvergehen zu entlassen, wenn sie ihre Sorgfaltspflichten erfüllt und insbesondere ein „Compliance-Programm“ ins Werk gesetzt habe. Schindler meint, einer Muttergesellschaft könne nicht mehr abverlangt werden als der Nachweis eines „funktionierenden“ Compliance-Programms.

94.      Diese Argumentation greift zu kurz. Sie beruht ersichtlich auf der irrigen Vorstellung, dass die Mithaftung einer Muttergesellschaft für die Kartellvergehen ihrer 100%igen Tochtergesellschaft(en) auf dem Vorwurf eines irgendwie gearteten Organisationsverschuldens beruhe, also auf der Verletzung bestimmter der Muttergesellschaft obliegender Sorgfaltspflichten. Dies ist jedoch nicht der Fall.

95.      Anknüpfungspunkt für die Haftung der Muttergesellschaft ist nicht eine mangelhafte Organisation oder Überwachung der Arbeitsabläufe innerhalb des Konzerns, sondern vielmehr allein der Umstand, dass die Muttergesellschaft zum Zeitpunkt des Kartellvergehens bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik ihrer Tochtergesellschaft ausgeübt hat. Diese bestimmende Einflussnahme – und nicht etwa ein irgendwie geartetes Organisationsverschulden – wird vermutet, wenn die jeweilige Tochtergesellschaft zu 100 % oder zu fast 100 % ihrer Muttergesellschaft gehört (100%-Vermutung).

96.      Dementsprechend ist es für eine Entkräftung der 100%-Vermutung auch ohne Belang, ob die Muttergesellschaft über ein Compliance-Programm verfügt. Ein solches Programm mag es zwar erlauben, bestimmte unternehmensinterne Anstrengungen zur Vermeidung von Kartellvergehen (und allgemeiner: von Rechtsverstößen) darzulegen – Anstrengungen, deren Nützlichkeit außer Frage steht. In keiner Weise ist aber ein Compliance-Programm geeignet, das Fehlen bestimmender Einflussnahme der Muttergesellschaft auf die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft nachzuweisen oder auch nur im Ansatz darzutun, dass Mutter und 100%ige Tochter – entgegen dem ersten Anschein – kein gemeinsames Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts bilden.

97.      Selbst wenn man – entgegen dem oben Gesagten – annehmen wollte, dass die Mithaftung der Muttergesellschaft für die Kartellvergehen ihrer 100%igen Tochtergesellschaften auf dem Vorwurf eines Organisationsverschuldens beruht, könnte dieser Vorwurf nicht mit dem lapidaren Hinweis auf ein „funktionierendes Compliance-Programm“ ausgeräumt werden, wie dies Schindler im vorliegenden Fall versucht.

98.      Von einem „funktionierenden“ Compliance-Programm kann nämlich von vornherein nicht ausgegangen werden, wenn sich eine oder mehrere 100%ige Tochtergesellschaften über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg derart schwerwiegender Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln des Europäischen Binnenmarkts schuldig gemacht haben, wie dies im Fall der Beteiligung von Schindler am Aufzugskartell in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg festgestellt wurde.

99.      Es mag sein, dass ein Compliance-Programm vernünftigerweise nicht jeden noch so kleinen Rechtsverstoß verhindern kann. Aber ein Compliance-Programm, das „funktioniert“, muss in der Lage sein, schwerwiegende und lang dauernde Kartellvergehen wirksam zu unterbinden sowie etwa begangene Gesetzesverstöße aufzudecken und sie umgehend abzustellen. Dies kann nach den – im Kern unbestrittenen – Feststellungen des Gerichts zur Dauer und zur Schwere der Beteiligung Schindlers am Aufzugskartell, selbst bei noch so wohlwollender Betrachtung, nicht angenommen werden. Damit kann schlechterdings nicht davon ausgegangen werden, dass Schindler „alles in seiner Macht Stehende unternommen hat“, um die streitigen Kartellvergehen zu verhindern, und auch das Gericht hat dergleichen, entgegen der beharrlichen Behauptung Schindlers, an keiner Stelle des angefochtenen Urteils festgestellt(56).

100. Folglich ist das auf ein „funktionierendes Compliance-Programm“ von Schindler gestützte Vorbringen zurückzuweisen.

ii)    Zum Erfordernis der „Offenlegung der Konzernbeziehungen“

101. Darüber hinaus kritisieren die Rechtsmittelführerinnen die Urteilspassage(57), in der das Gericht das sonstige Vorbringen von Schindler zur Entkräftung der 100%-Vermutung als unzureichend bezeichnet hat.

102. Stein des Anstoßes ist für die Rechtsmittelführerinnen insbesondere Randnr. 90 des angefochtenen Urteils, in der das Gericht sich mit der Qualität von Schindlers Vorbringen zu ihrer internen Verwaltungsstruktur und den Berichtspflichten („reporting lines“ und „reporting obligations“) einzelner Mitarbeiter in den nationalen Tochtergesellschaften auseinandersetzt. Das Gericht stellt dort fest, Schindlers Vorbringen reiche nicht aus, um die 100%-Vermutung zu entkräften, weil die konzerninternen Beziehungen zwischen Schindler Holding und ihren in den betreffenden Ländern tätigen Tochtergesellschaften nicht weiter offengelegt würden(58).

103. Schindler entgegnet, zum Nachweis der Abwesenheit von bestimmendem Einfluss der Muttergesellschaft auf ihre 100%igen Tochtergesellschaften könne es „keineswegs verlangt sein, die Konzernbeziehungen offenzulegen“.

104. Diese Einschätzung ist irrig. Selbstverständlich ist einer Muttergesellschaft, die die 100%-Vermutung widerlegen möchte, abzuverlangen, dass sie über ihre Beziehungen zu den Tochtergesellschaften umfassend Auskunft gibt, zumal die diesbezüglichen Informationen alle aus der unternehmensinternen Sphäre von Mutter- und Tochtergesellschaft stammen.

105. Nur sporadische Hinweise auf das Ausmaß der Berichtspflichten einzelner Mitarbeiter können von diesen unternehmensinternen Beziehungen kein umfassendes, aussagekräftiges Bild zeichnen. Erforderlich wäre es, dass das betroffene Unternehmen sämtliche im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Verbindungen der jeweiligen Tochtergesellschaft zur Muttergesellschaft relevanten Gesichtspunkte beleuchtet(59). Insbesondere muss unter Rückgriff auf konkrete Anhaltspunkte aus dem Unternehmensalltag erläutert werden, ob und inwieweit die Tochtergesellschaft ihre Geschäftspolitik und ihr Auftreten auf dem Markt selbst bestimmte und sich somit autonom, d. h. unabhängig von ihrer Muttergesellschaft, verhielt. Der bloße Verweis auf den Umfang der Berichtspflichten von Mitarbeitern ist offensichtlich ungeeignet, das Fehlen bestimmenden Einflusses auf die Geschäftspolitik von Tochtergesellschaften schlüssig darzulegen.

106. Die Kritik Schindlers an Randnr. 90 des angefochtenen Urteils ist somit haltlos.

iii) Zum Begriff der „Geschäftspolitik“ im Rahmen der 100%-Vermutung

107. Schließlich rügen die Rechtsmittelführerinnen, vor allem mit Blick auf Randnr. 86 des angefochtenen Urteils, das Gericht stütze sich auf ein zu weites Verständnis der „Geschäftspolitik“ der Tochtergesellschaften, deren maßgebliche Beeinflussung durch die Muttergesellschaft bei 100%iger Anteilseignerschaft vermutet wird.

108. Dieses Argument ist ebenfalls zurückzuweisen.

109. Ob eine Tochtergesellschaft hinsichtlich ihres Marktverhaltens unter dem bestimmenden Einfluss ihrer Muttergesellschaft steht, hängt nicht allein davon ab, wer ihre Geschäftspolitik im engeren Sinne bestimmt, also etwa die Preispolitik, die Herstellungs‑ und Vertriebsaktivitäten, die Verkaufsziele, die Bruttomargen, die Verkaufskosten, den Cashflow, die Lagerbestände und das Marketing. Letztlich kann nämlich das Marktverhalten einer Tochtergesellschaft von sämtlichen im Zusammenhang mit ihren wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Verbindungen zur Muttergesellschaft relevanten Gesichtspunkten beeinflusst werden. Dementsprechend hat der Gerichtshof anerkannt, dass es zur Entkräftung der 100%-Vermutung auf alle diese Gesichtspunkte ankommt und somit der Nachweis fehlender Einflussnahme auf die Geschäftspolitik im weiteren Sinne maßgeblich ist(60). Das Gericht hat diese Rechtsprechung korrekt auf den vorliegenden Fall angewandt.

110. Unabhängig von der Kontroverse über die Reichweite des Begriffs der Geschäftspolitik ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht sich in den Randnrn. 84 bis 90 des angefochtenen Urteils mit dem gesamten Vorbringen von Schindler zur Widerlegung der 100%-Vermutung ausführlich auseinandergesetzt und bemängelt hat, dass dieses Vorbringen im Wesentlichen auf Behauptungen beruhte, die nicht näher belegt wurden(61). Völlig zu Recht hat das Gericht solche bloßen Behauptungen nicht ausreichen lassen, um die 100%-Vermutung zu entkräften(62).

2.      Zum Verschuldensgrundsatz (sechster Rechtsmittelgrund und Teile des siebten)

111. Mit ihrem sechsten Rechtsmittelgrund und einzelnen Teilen des siebten Rechtsmittelgrundes machen die Rechtsmittelführerinnen außerdem geltend, die unionsrechtlichen Grundsätze der Haftung eines Unternehmens für die in seinem Verantwortungsbereich begangenen Kartellvergehen verstießen gegen den Verschuldensgrundsatz.

112. Der Vorwurf einer Verletzung des Verschuldensgrundsatzes beruht bei näherer Betrachtung auf zwei getrennten Rügen: Zum einen kritisiert Schindler, das Gericht habe die 100%-Vermutung zulasten von Schindler Holding in einer Weise angewandt, die zu einer verschuldensunabhängigen Haftung führe(63) (vgl. dazu sogleich, Abschnitt a). Zum anderen bemängelt Schindler, das Gericht werde im angefochtenen Urteil „elementaren Zurechnungsgrundsätzen nicht gerecht“, weil es für die kartellrechtliche Haftung ausreichen lasse, dass „bei den Tochtergesellschaften irgendein Mitarbeiter kartellrechtswidrig gehandelt hat“(64) (vgl. dazu unten, Abschnitt b).

a)      Zum Vorwurf, die 100%-Vermutung führe zu einer verschuldensunabhängigen Haftung

113. Der Umstand, dass das Gericht dem Compliance-Programm von Schindler eine exkulpierende Wirkung versagt hat, veranlasst die Rechtsmittelführerinnen zu dem Vorwurf, die 100%-Vermutung führe zu einer verschuldensunabhängigen Haftung von Schindler Holding als Muttergesellschaft.

114. Unzweifelhaft gehört zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die im Kartellverfahren auf Unionsebene zu berücksichtigen sind, der Grundsatz nulla poena sine culpa (keine Strafe ohne Schuld), der sich auf das Rechtsstaatsprinzip und auf das Schuldprinzip zurückführen lässt. Wie ich unlängst an anderer Stelle erläutert habe, handelt es sich um ein Prinzip mit Grundrechtscharakter, das den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten entstammt(65).

115. In der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in der EMRK wird dieses Prinzip zwar nicht ausdrücklich erwähnt, es ist aber notwendige Voraussetzung der Unschuldsvermutung. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass der Grundsatz nulla poena sine culpa implizit sowohl in Art. 48 Abs. 1 der Charta als auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK enthalten ist, die in Kartellverfahren anerkanntermaßen Berücksichtigung finden(66). Letztlich können diese beiden Bestimmungen der Charta und der EMRK als verfahrensrechtliche Ausprägung des Grundsatzes nulla poena sine culpa angesehen werden(67).

116. Im Zusammenhang mit den von der Kommission zu verhängenden kartellrechtlichen Sanktionen findet der Grundsatz nulla poena sine culpa in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 seinen Niederschlag: Nach dieser Vorschrift dürfen kartellrechtliche Geldbußen nur für vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlungen verhängt werden.

117. Völlig zu Recht haben also die Rechtsmittelführerinnen im vorliegenden Fall auf die Geltung des Grundsatzes nulla poena sine culpa hingewiesen, den sie mit dem Begriff „Verschuldensgrundsatz“ umschreiben. Unzutreffend ist jedoch ihre Auffassung, die 100%-Vermutung führe zu einer verschuldensunabhängigen Haftung der Muttergesellschaft und stehe mit dem Grundsatz nulla poena sine culpa in Konflikt, nur weil der Muttergesellschaft versagt werde, sich unter Verweis auf ihr internes Compliance-Programm zu exkulpieren.

118. Mir scheint, die Rechtsmittelführerinnen missverstehen den Inhalt der 100%-Vermutung. Diese Vermutung besagt nichts darüber, ob ein Unternehmen schuldhaft (d. h. vorsätzlich oder fahrlässig) ein Kartellvergehen begangen hat. Es handelt sich um keine Schuldvermutung. Vielmehr gibt die 100%-Vermutung lediglich Auskunft zu der Frage, aus welchen Bestandteilen sich das Unternehmen zusammensetzt, das sich – erwiesenermaßen vorsätzlich oder fahrlässig – an einem Kartell beteiligt hat. Die Feststellung, wie ein Unternehmen zusammengesetzt ist, beinhaltet als solche noch keinen Schuldvorwurf in Bezug auf die rechtswidrigen Machenschaften des Kartells.

119. Gemäß der 100%-Vermutung kann davon ausgegangen werden, dass eine Muttergesellschaft und ihre 100%ige(n) Tochtergesellschaft(en) im Normalfall Teil ein und desselben Unternehmens sind. Denn bei Beteiligungsverhältnissen dieser Art spricht der erste Anschein dafür, dass die Muttergesellschaft bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik ihrer Tochtergesellschaft(en) ausübt.

120. Der Muttergesellschaft steht es frei, diese Vermutung zu widerlegen, indem sie stichhaltige Beweise dafür vorlegt, dass die jeweilige Tochtergesellschaft ihre Geschäftspolitik entgegen dem ersten Anschein autonom bestimmt, so dass sich ihre Situation vom Normalfall einer 100%igen oder fast 100%igen Tochter unterscheidet. Ein solcher Gegenbeweis kann jedoch, wie bereits erwähnt(68), nicht mit dem bloßen Hinweis auf ein Compliance-Programm geführt werden. Denn ein solches Programm ist nicht geeignet, das Fehlen bestimmender Einflussnahme der Muttergesellschaft auf die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft nachzuweisen.

121. Kann die Muttergesellschaft – wie hier – nicht widerlegen, dass sie bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik ihrer Tochtergesellschaft(en) ausgeübt hat, so ist sie eine der Rechtsträgerinnen des Unternehmens, das sich an dem fraglichen Kartell beteiligt hat. Sie ist – zusammen mit der oder den Tochtergesellschaften – die juristische Verkörperung des Unternehmens, dem das Kartellvergehen zur Last gelegt wird(69).

122. Ob dieses Unternehmen, vermittelt durch seine Mitarbeiter, das in Rede stehende Kartellvergehen schuldhaft begangen hat, steht auf einem anderen Blatt. Völlig unstreitig muss im Zweifelsfall die Schuld des Unternehmens bezüglich seiner Teilnahme an den wettbewerbswidrigen Machenschaften des Kartells im Einklang mit dem Grundsatz nulla poena sine culpa gesondert festgestellt werden(70). Die 100%-Vermutung hat mit dieser Schuldfrage aber nichts zu tun.

123. Der Vorwurf, die 100%-Vermutung würde gegen das Verschuldensprinzip verstoßen, ist folglich zurückzuweisen.

124. Sollten die Rechtsmittelführerinnen bestreiten wollen, dass das von ihnen getragene Unternehmen sich schuldhaft an den Machenschaften des Aufzugskartells beteiligt hat, so hätten sie entsprechende Rügen vorbringen müssen. Die hier erhobene Rüge gegen die 100%-Vermutung ist dafür ungeeignet.

b)      Zum Vorwurf, es genüge nicht, dass irgendwelche Mitarbeiter gegen das Kartellverbot verstoßen haben

125. Außerdem bemängeln die Rechtsmittelführerinnen im angefochtenen Urteil das Fehlen von konkreten Feststellungen zu der Frage, welche ihrer Mitarbeiter an den Zuwiderhandlungen des Aufzugskartells beteiligt waren. Damit, so Schindler, werde das Gericht „elementaren Zurechnungsgrundsätzen nicht gerecht“.

126. Wie die Kommission zu Recht hervorhebt, hat Schindler eine vergleichbare Rüge im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgebracht. Folglich handelt es sich um ein neues Angriffsmittel, dessen erstmalige Geltendmachung im Stadium des Rechtsmittelverfahrens unzulässig ist(71).

127. Auch inhaltlich ist diese Rüge alles andere als stichhaltig.

128. Die Rechtsmittelführerinnen haben zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens bestritten, dass es sich bei den Personen, die auf Seiten von Schindler an den wettbewerbswidrigen Machenschaften des Aufzugskartells beteiligt waren, um Mitarbeiter von Schindler handelte. Somit bedurfte es im angefochtenen Urteil von vornherein keiner näheren Ausführungen dazu, wer genau diese Personen waren(72) und ob Schindler sich ihr Verhalten zurechnen lassen muss.

129. Soweit die Rechtsmittelführerinnen mit ihrer Rüge darüber hinaus andeuten wollen, dass Schindler Holding und den vier nationalen Tochtergesellschaften nur das rechtswidrige Verhalten ihrer jeweiligen gesetzlichen Vertreter oder von besonders bevollmächtigten Mitarbeitern zuzurechnen sei, kann ihrem Vorbringen ebenfalls nicht gefolgt werden. Nach ständiger Rechtsprechung setzt nämlich die Anwendung des unionsrechtlichen Kartellverbots keine Handlung und nicht einmal Kenntnisse der Inhaber oder Geschäftsführer des betreffenden Unternehmens voraus. Vielmehr genügt die Handlung einer Person, die berechtigt ist, für das Unternehmen tätig zu werden(73).

130. Wollte man Unternehmen in Kartellverfahren nur das Verhalten derjenigen ihrer Mitarbeiter zurechnen, deren wettbewerbswidrige Machenschaften nachweisbar auf einer konkreten Anweisung oder Bevollmächtigung der Unternehmensleitung beruhten oder von dieser zumindest wissentlich geduldet wurden, so würde das unionsrechtliche Kartellverbot jeglicher praktischen Wirksamkeit beraubt. Es wäre dann für Unternehmen ein Leichtes, sich ihrer Verantwortlichkeit für Kartellvergehen aus rein formalen Gründen zu entziehen.

131. Richtigerweise muss ein Unternehmen sich im Normalfall alle rechtswidrigen Machenschaften zurechnen lassen – auch solche, zu denen es ohne Wissen und ohne ausdrückliche Billigung der Unternehmensleitung kam –, sofern diese Machenschaften sich im Verantwortungsbereich des Unternehmens ereigneten. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn die fraglichen Handlungen von seinen eigenen Mitarbeitern im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit für das Unternehmen vorgenommen wurden.

132. Der bloße Umstand, dass die Mitarbeiter eines Unternehmens im Rahmen eines Compliance-Programms regelmäßig zu rechtmäßigem Verhalten ermahnt werden, kann nicht ausreichen, um das Unternehmen von seiner kartellrechtlichen Verantwortlichkeit freizuzeichnen. Kam es nämlich trotz eines solchen Programms über Jahre hinweg zu schwerwiegenden Kartellvergehen, so kann davon ausgegangen werden, dass die unternehmensinternen Compliance-Anstrengungen nicht ausreichend waren(74) und dass insbesondere keine geeigneten Anreize für die Mitarbeiter des Unternehmens gesetzt wurden, sich rechtswidriger Machenschaften zu enthalten.

3.      Zwischenergebnis

133. Alles in allem greift also das Vorbringen Schindlers zur Mithaftung von Schindler Holding als Muttergesellschaft und zum Verschuldensgrundsatz nicht durch. Der sechste und siebte Rechtsmittelgrund sind folglich zurückzuweisen.

C –    Zu einigen weiteren Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Verhängung und Berechnung von Geldbußen für Kartellvergehen

134. Mit ihren übrigen Rechtsmittelgründen wirft Schindler eine Reihe von Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Verhängung und Berechnung von Geldbußen für Kartellvergehen auf.

1.      Gültigkeit von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz (dritter Rechtsmittelgrund)

135. Im Rahmen des dritten Rechtsmittelgrundes greift Schindler die Gültigkeit von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 als Rechtsgrundlage für die Verhängung von kartellrechtlichen Geldbußen durch die Kommission an. Nach Auffassung von Schindler verstößt diese Vorschrift gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot.

136. Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot, dessen Geltung der Gerichtshof auch in Bezug auf kartellrechtliche Sanktionen anerkannt hat(75), ist Ausfluss des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege). Dieser Grundsatz gehört zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegen(76), und genießt inzwischen gemäß Art. 49 der Charta der Grundrechte den Rang eines Unionsgrundrechts. Gemäß dem Homogenitätsgebot (Art. 52 Abs. 3 Satz 1 der Charta) sind bei der Auslegung von Art. 49 der Charta nicht zuletzt Art. 7 EMRK und die dazu ergangene Rechtsprechung des EGMR zu beachten.

137. Aus dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgebot folgt, dass das Gesetz klar die Straftaten und die für sie angedrohten Strafen definieren muss(77) (nullum crimen, nulla poena sine lege certa).

138. Schindler bringt vor, Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 sei zu ungenau abgefasst, und zwar einerseits im Hinblick auf den dort verwendeten Unternehmensbegriff (vgl. dazu sogleich, Abschnitt a), andererseits in Bezug auf den dort vorgesehenen Bußgeldrahmen (vgl. dazu unten, Abschnitt b).

a)      Zur behaupteten Unbestimmtheit des Unternehmensbegriffs (erster Teil des dritten Rechtsmittelgrundes)

139. Was die behauptete Unbestimmtheit des Unternehmensbegriffs im Rahmen von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 anbelangt, so ist anzumerken, dass Schindler in erster Instanz schon gar keine entsprechende Rüge vorgebracht hat. Damit handelt es sich um ein neues Angriffsmittel, das im Rechtsmittelstadium nicht mehr geltend gemacht werden kann, weil es den Streitgegenstand in unzulässiger Weise erweitern würde(78).

140. Auch in der Sache ist diese Rüge nicht stichhaltig.

141. Zwar wird der Unternehmensbegriff weder im Primärrecht noch im Sekundärrecht genau definiert. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in Rechtsvorschriften – auch als Grundlage für eine Strafbarkeit in Vorschriften, die zum klassischen Strafrecht zählen – ist jedoch nichts Ungewöhnliches(79).

142. Dem Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege certa ist Genüge getan, wenn der Rechtsunterworfene anhand des Wortlauts der einschlägigen Bestimmung und nötigenfalls mit Hilfe ihrer Auslegung durch die Gerichte erkennen kann, welche Handlungen und Unterlassungen seine strafrechtliche Verantwortung begründen(80).

143. Dies ist im Hinblick auf den wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff, wie er im Rahmen des unionsrechtlichen Kartellverbots (Art. 101 AEUV, ehemals Art. 81 EG) und der zugehörigen Sanktionsvorschrift (Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003) verwendet wird, der Fall. Seit Jahrzehnten wird dieser Begriff von den Unionsgerichten immer gleich ausgelegt („jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“)(81).

144. Überdies wird, wie bereits ausgeführt(82), schon auf primärrechtlicher Ebene klar zwischen den Begriffen der juristischen Person, der Gesellschaft und des Unternehmens unterschieden. Es ist also auf eine originäre Festlegung des Vertragsgesetzgebers zurückführen, dass für ein Kartellvergehen nicht notwendig nur eine einzelne juristische Person oder Handelsgesellschaft zur Verantwortung gezogen werden kann, sondern eine wirtschaftliche Einheit sui generis, nämlich das kartellbeteiligte Unternehmen. Auf sekundärrechtlicher Ebene setzt sich die Unterscheidung zwischen dem Begriff der juristischen Person und dem Begriff des Unternehmens fort, wie nicht zuletzt ein Vergleich zwischen Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 und ihrem Art. 23 zeigt.

145. Ferner haben die Unionsgerichte in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass ein an einem Kartell beteiligtes Unternehmen durch mehrere juristische Personen verkörpert werden kann, insbesondere durch eine Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft(en)(83). Die Rechtsprechung hat außerdem klare Kriterien entwickelt, nicht zuletzt die 100%-Vermutung(84), nach denen diese Gesellschaften gegebenenfalls gesamtschuldnerisch zur Verantwortung gezogen werden können.

146. Kein Rechtsunterworfener kann sich unter diesen Umständen ernsthaft auf den Standpunkt stellen, dass der Unternehmensbegriff als Grundlage für die Verhängung kartellrechtlicher Sanktionen zu wenig konkret sei oder dass als Unternehmen im Sinne von Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 immer nur diejenige juristische Person anzusehen sei, die unmittelbar an den Machenschaften eines Kartells beteiligt war.

147. Folglich ist der erste Teil des dritten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

b)      Zur behaupteten Unbestimmtheit des Bußgeldrahmens (zweiter Teil des dritten Rechtsmittelgrundes)

148. Des Weiteren bemängeln die Rechtsmittelführerinnen, Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 ermächtige die Kommission zur Verhängung von Geldbußen, ohne dafür einen hinreichend bestimmten rechtlichen Rahmen vorzugeben.

149. Die Unionsgerichte haben sich schon mehrfach mit vergleichbaren Rügen gegen den unionsrechtlichen Rahmen für die Verhängung von Geldbußen für Kartellvergehen befasst und diese Rügen stets zurückgewiesen(85). Zwar ist die bisherige Rechtsprechung zumeist noch zu Art. 15 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 17 ergangen(86), sie lässt sich jedoch ohne Weiteres auch auf die im Wesentlichen inhaltsgleiche Nachfolgeregelung in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 übertragen.

150. Das Gericht hat diese gefestigte Rechtsprechung im angefochtenen Urteil zutreffend und ausführlich wiedergegeben und angewendet(87), so dass ich von ihrer Darstellung im Folgenden absehe. Nach Prüfung der von Schindler schriftlich und mündlich vorgebrachten Argumente sehe ich keinen Anlass, dem Gerichtshof vorzuschlagen, von dieser Rechtsprechung abzurücken.

151. Insbesondere gibt das zwischenzeitliche Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon keinen Anlass zu einer grundlegenden Neubewertung der Problematik. Denn der Inhalt des auf Unionsebene anerkannten strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots ist stark von Art. 7 Abs. 1 EMRK sowie von der Rechtsprechung des EGMR und der Unionsgerichte zu dieser Thematik geprägt. Mit dem Vertrag von Lissabon hat dieser Grundrechtsinhalt keine wesentlichen Änderungen erfahren(88). Auch erscheint es nicht geboten, ausgerechnet in einem Bereich wie dem Kartellrecht, der nicht zum Kernbereich des Strafrechts gehört(89), gemäß Art. 52 Abs. 3 Satz 2 der Charta der Grundrechte über den Standard der EMRK hinauszugehen. Dies gilt umso mehr, als selbst im klassischen Strafrecht die gesetzlich vorgegebenen Strafrahmen in der Regel sehr weit gefasst sind und den Strafverfolgungsorganen einen erheblichen Ermessensspielraum in Bezug auf die Festlegung der konkreten Sanktionshöhe in jedem Einzelfall belassen.

152. Der Umstand allein, dass die von der Kommission verhängten Geldbußen für Kartellvergehen im Lauf der Jahre bei nominaler Betrachtung stark gestiegen sind, lässt entgegen der Auffassung von Schindler nicht auf einen zu unbestimmten rechtlichen Rahmen schließen. Es entspricht einer gefestigten Rechtsprechung, dass die Kommission innerhalb der von der Verordnung Nr. 1/2003 (ehemals Verordnung Nr. 17) gezogenen Grenzen berechtigt ist, das Niveau der kartellrechtlichen Geldbußen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der Wettbewerbspolitik der Union sicherzustellen(90).

153. Auch der Grundsatz nulla poena sine lege certa schließt nicht aus, dass die Anwendung einer bestehenden Strafvorschrift an veränderte Umstände – insbesondere die Häufigkeit, Komplexität und Schwere von Zuwiderhandlungen – angepasst wird(91). Erst recht muss dies für strafrechtsähnliche Vorschriften wie Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 gelten(92), auf welche die für den Kernbereich des Strafrechts geltenden Grundrechtsgarantien, wie bereits bemerkt, nicht notwendigerweise in ihrer vollen Strenge zur Anwendung kommen müssen(93).

154. Ebenso wenig stichhaltig ist die Kritik Schindlers an der in Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehenen Bußgeldobergrenze von 10 % des Gesamtumsatzes eines Unternehmens. Zugegebenermaßen handelt es sich bei dieser Obergrenze insoweit um eine variable Größe, als sie nicht an einen absoluten nominalen Höchstbetrag anknüpft, sondern an einen Umsatzanteil. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es der Regelung an Bestimmtheit mangeln würde. Jedes Unternehmen kennt seinen eigenen Umsatz und kann deshalb problemlos abschätzen, welchen Betrag eine etwaige Geldbuße für ein Kartellvergehen höchstens ausmacht. Eine solche Vorhersehbarkeit der zu erwartenden Sanktion genügt den Anforderungen des Grundsatzes nulla poena sine lege certa(94).

155. Ohnehin ist die Berechnung kartellrechtlicher Geldbußen, wie ich jüngst an anderer Stelle ausgeführt habe(95), kein mechanischer Vorgang, in dem sich für jedes Kartell gleichsam im Voraus mathematisch exakt bestimmen ließe, welche Höhe die zu verhängende Sanktion haben wird. Eine solche Vorhersehbarkeit der Sanktion bis hinter die letzte Kommastelle wäre im Übrigen auch gar nicht angemessen, weil sie es den Kartellbeteiligten allzu sehr erleichtern würde, den „Preis“ ihres rechtswidrigen Tuns im Voraus zu berechnen und zu kalkulieren, ob für sie ein rechtswidriges oder ein rechtmäßiges Geschäftsgebaren lohnender ist. Damit würde eine der Grundfunktionen des kartellrechtlichen Sanktionssystems, die Abschreckungswirkung, ernsthaft gefährdet.

156. Aus allen genannten Gründen ist der Vorwurf der Rechtsmittelführerinnen zurückzuweisen, der in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehene Bußgeldrahmen sei mit höherrangigem Recht unvereinbar.

157. Nichts anderes ergibt sich schließlich aus dem Wesentlichkeitsvorbehalt, auf den Schindler ergänzend verweist. Wie bereits in anderem Zusammenhang erwähnt(96), besagt dieser Verfassungsgrundsatz, dass die wesentlichen Regelungen einer Materie von der Legislative zu erlassen sind und nicht auf die Exekutive delegiert werden können. Diesen Anforderungen ist im Fall von Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 genügt, da der Unionsgesetzgeber selbst den Rahmen für die Verhängung von Geldbußen für Kartellvergehen, wie soeben ausgeführt, in hinreichend bestimmter Weise festgelegt hat.

c)      Zwischenergebnis

158. Alles in allem ist somit der dritte Rechtsmittelgrund in seiner Gesamtheit zurückzuweisen.

2.      Rechtmäßigkeit der Leitlinien von 1998 (vierter und fünfter Rechtsmittelgrund)

159. Des Weiteren greifen die Rechtsmittelführerinnen die Leitlinien von 1998 an, deren Rechtmäßigkeit sie in Zweifel ziehen, weil die Kommission zu ihrem Erlass unzuständig gewesen sein soll (vgl. unten, Abschnitt a) und diese Leitlinien hier rückwirkend Anwendung gefunden hätten (vgl. unten, Abschnitt b).

a)      Zuständigkeit der Kommission zum Erlass der Leitlinien (vierter Rechtsmittelgrund)

160. Mit ihrem vierten Rechtsmittelgrund rügt Schindler die „Unwirksamkeit der Bußgeldleitlinien von 1998 mangels Zuständigkeit der Kommission zur Gesetzgebung“.

161. Ich habe erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit dieser Rüge, da sie an keiner Stelle konkret angibt, gegen welchen Teil des angefochtenen Urteils sie sich richtet(97).

162. Selbst wenn man unterstellt, dass sich Schindler gegen Randnr. 133 des angefochtenen Urteils wendet, beruht ihr Vorbringen in der Sache ersichtlich auf der irrigen Vorstellung, bei den Leitlinien von 1998 handle es sich um einen Gesetzgebungsakt oder zumindest um eine verbindliche Rechtsnorm, mit der die „Strafbarkeit“ von Kartellvergehen oder die Sanktionen dafür bestimmt werden.

163. Dies ist jedoch nicht der Fall(98). Rechtsgrundlage für die Verhängung von kartellrechtlichen Geldbußen durch die Kommission ist allein Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003, der, wie bereits ausgeführt(99), den Anforderungen des Wesentlichkeitsvorbehalts und des Grundsatzes nullum crimen, nulla poena sine lege certa vollauf genügt. Dementsprechend kommt den von der Kommission erlassenen Leitlinien zur Festsetzung von Geldbußen, namentlich den Leitlinien von 1998, von vornherein nicht die Aufgabe zu, irgendwelche Regelungslücken in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 zu schließen.

164. Vielmehr ist in den Leitlinien von 1998 zum einen eine Erläuterung der eigenen Verwaltungspraxis der Kommission enthalten(100). Zum anderen gibt die Kommission mittels dieser Leitlinien in ihrer Eigenschaft als Wettbewerbsbehörde der Europäischen Union im Rahmen der ihr übertragenen Verantwortung für die Aufrechterhaltung und Entwicklung eines Systems des unverfälschten Wettbewerbs im Europäischen Binnenmarkt eine allgemeine wettbewerbspolitische Stellungnahme ab(101). Dazu ist sie nach Art. 85 EG in Verbindung mit Art. 211 zweiter Gedankenstrich EG (nunmehr Art. 105 AEUV in Verbindung mit Art. 292 Satz 4 AEUV) befugt.

165. Der vierte Rechtsmittelgrund ist folglich zurückzuweisen.

b)      Rückwirkungsverbot und Vertrauensschutz (fünfter Rechtsmittelgrund)

166. Mit ihrem fünften Rechtsmittelgrund, der sich gegen die Randnrn. 117 bis 130 des angefochtenen Urteils richtet, macht Schindler geltend, die Anwendung der Leitlinien von 1998 auf den vorliegenden Fall verstoße gegen das in Art. 7 Abs. 1 EMRK niedergelegte Rückwirkungsverbot sowie gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Hintergrund dieser Rüge dürfte sein, dass die Aktivität des Aufzugskartells, an dem Schindler sich beteiligte, schon vor 1998 begonnen hat.

167. Wie bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt(102), ist diese Rüge nicht direkt an der EMRK zu messen, sondern an der Charta der Grundrechte – hier an Art. 49 der Charta –, die allerdings im Einklang mit Art. 7 Abs. 1 EMRK auszulegen und anzuwenden ist (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV in Verbindung mit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 der Charta).

168. In der Sache ist das Vorbringen von Schindler nicht stichhaltig.

169. Die Unionsgerichte haben sich schon mehrfach mit vergleichbaren Rügen bezüglich der Praxis der Kommission bei der Verhängung von Geldbußen für Kartellvergehen befasst und diese Rügen stets zurückgewiesen. Sie haben sowohl einen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot als auch einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verneint(103), als die Kommission eine Änderung der von ihr zugrunde gelegten Methode für die Berechnung von Geldbußen vornahm und diese auf zuvor begonnene Kartellvergehen zur Anwendung brachte.

170. Das Gericht hat diese gefestigte Rechtsprechung im angefochtenen Urteil zutreffend und ausführlich wiedergegeben und angewendet(104), so dass ich von ihrer Darstellung im Folgenden absehe. Nach Prüfung der von Schindler vorgebrachten Argumente sehe ich keinen Anlass, dem Gerichtshof vorzuschlagen, von dieser Rechtsprechung abzurücken.

171. Seit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 17 im Jahr 1962 darf die Kommission für Kartellvergehen Geldbußen in Höhe von bis zu 10 % des Gesamtumsatzes eines Unternehmens verhängen.

172. Schindler durfte nicht darauf vertrauen, dass sich während der Lebensdauer des Aufzugskartells die ursprünglich verwendete Methode der Kommission zur Berechnung von Geldbußen und die ursprünglich bekannten Größenordnungen der von der Kommission verhängten Geldbußen in keiner Weise ändern würden. Schon damals war nämlich hinlänglich bekannt, dass die Kommission innerhalb der von der Verordnung Nr. 1/2003 (ehemals Verordnung Nr. 17) gezogenen Grenzen berechtigt ist, das Niveau der kartellrechtlichen Geldbußen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der Wettbewerbspolitik der Union sicherzustellen(105).

173. Auch im allgemeinen Strafrecht kann übrigens niemand darauf vertrauen, dass eine bestehende Strafvorschrift stets in der gleichen Weise und vor allem stets mit der gleichen Milde oder Strenge angewendet wird. Insbesondere kann kein Rechtsunterworfener vernünftigerweise davon ausgehen, dass sich die Praxis der Strafverfolgungsorgane hinsichtlich der Festlegung der Höhe von Sanktionen für ein konkretes Vergehen innerhalb ihres bestehenden, gesetzlich vorgegebenen Ermessensspielraums niemals fortentwickelt. Vielmehr sind Anpassungen dieser Praxis an veränderte Umstände wie die Häufigkeit, Komplexität und Schwere von Zuwiderhandlungen zulässig(106).

174. Ein schutzwürdiges Vertrauen Schindlers kann im vorliegenden Fall umso weniger angenommen werden, als die ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlungen im Rahmen des Aufzugskartells sich größtenteils nach der Veröffentlichung der Leitlinien von 1998 abspielten. Darauf hat zu Recht die Kommission hingewiesen.

175. Alles in allem ist somit auch der fünfte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

3.      Der Grundbetrag der Geldbuße und die behaupteten Gründe für eine Minderung der Geldbuße (zehnter, elfter und zwölfter Rechtsmittelgrund)

176. Gegenstand des zehnten, elften und zwölften Rechtsmittelgrundes sind die Einzelheiten der Berechnung der gegen Schindler verhängten Geldbußen.

a)      Zur Einstufung der Zuwiderhandlungen als „besonders schwer“ (zehnter Rechtsmittelgrund)

177. Mit dem zehnten Rechtsmittelgrund greift Schindler die Einstufung ihrer Zuwiderhandlungen im Rahmen des Aufzugskartells als „besonders schwer“ an. Schindler meint, die Auswirkungen dieser Zuwiderhandlungen auf den Markt seien sehr gering gewesen, und das Gericht habe dies im Hinblick auf die Grundbeträge der festzusetzenden Geldbußen nicht hinreichend berücksichtigt.

178. Dazu genügt der Hinweis, dass nach gefestigter Rechtsprechung die Auswirkungen einer wettbewerbswidrigen Praxis bei der Beurteilung der angemessenen Höhe der Geldbuße kein ausschlaggebendes Kriterium sind. Gesichtspunkte, die die Intention eines Verhaltens betreffen, können größere Bedeutung haben als solche, die dessen Wirkungen betreffen, vor allem, wenn es sich wie hier dem Wesen nach um schwere Zuwiderhandlungen wie eine Marktaufteilung handelt(107).

179. Eben solche Kernbeschränkungen, die eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken, hatte das Aufzugskartell zum Gegenstand. Die Kartellbeteiligten zielten in den vier betroffenen Mitgliedstaaten auf eine Aufteilung von Aufträgen und Märkten untereinander ab. Es ist richtig, solche Zuwiderhandlungen ohne Rücksicht auf ihre konkreten Auswirkungen auf das Marktgeschehen bei der Festlegung der Grundbeträge von Geldbußen als besonders schwer einzustufen.

180. Folglich kann der zehnte Rechtsmittelgrund nicht durchgreifen.

181. Soweit Schindler im Rahmen des zehnten Rechtsmittelgrundes dem Gericht vorwirft, keine eigene Beweiserhebung durchgeführt zu haben, gilt im Übrigen das oben zum zweiten Rechtsmittelgrund Gesagte(108). Ohnehin ist das Gericht in der Regel nicht gehalten, die Abwägung der von der Kommission zur Ermittlung der Höhe der Geldbuße berücksichtigten Faktoren von Amts wegen zu prüfen(109).

b)      Zu den mildernden Umständen (elfter Rechtsmittelgrund)

182. Mit dem elften Rechtsmittelgrund machen die Rechtsmittelführerinnen geltend, das Gericht hätte zum einen die freiwillige Beendigung der Zuwiderhandlung in Deutschland durch Schindler im Jahr 2000 und zum anderen das konzernweite Compliance-Programm von Schindler bußgeldmindernd berücksichtigen müssen.

183. Ein solcher Rechtsanspruch auf Herabsetzung der Geldbuße kann jedoch weder unter dem einen noch unter dem anderen von Schindler angesprochenen Gesichtspunkt angenommen werden.

184. Was zunächst die „freiwillige Beendigung der Zuwiderhandlung“ in Deutschland anbelangt, so hat das Gericht zu Recht dafür keine Herabsetzung der Geldbuße gewährt. Die freiwillige Beendigung einer Zuwiderhandlung kann nicht automatisch zur Herabsetzung der Geldbuße für das Kartellvergehen führen, vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Im vorliegenden Fall hat das Gericht u. a. festgestellt, „dass nach den Akten Schindler das Kartell lediglich wegen fehlenden Einvernehmens mit den anderen Teilnehmern verlassen hat“(110). Unter derartigen Umständen konnte das Gericht rechtsfehlerfrei davon ausgehen, dass es sich mitnichten um die von Schindler beschworene „Rückkehr in die Legalität“ handelte, für die das Unternehmen möglicherweise eine Herabsetzung der Geldbuße verdienen könnte.

185. Was sodann etwaige Compliance-Programme von Unternehmen betrifft, so habe ich bereits ausgeführt, dass diese in Kartellverfahren allenfalls dann Berücksichtigung verdienen können, wenn sie in der Lage sind, schwerwiegende und lang dauernde Kartellvergehen wirksam zu unterbinden sowie etwa begangene Gesetzesverstöße aufzudecken und sie umgehend abzustellen(111). Diese positive Wirkung hat das Compliance-Programm von Schindler im vorliegenden Fall ersichtlich nicht gehabt, vielmehr hat es nach den eigenen Ausführungen von Schindler die Aufdeckung von Zuwiderhandlungen sogar erschwert(112). Es wäre widersinnig, ein Unternehmen für ein derartiges, offensichtlich untaugliches Compliance-Programm auch noch mit einer milderen Geldbuße zu belohnen.

186. Somit ist der elfte Rechtsmittelgrund ebenfalls zurückzuweisen.

c)      Zu den Bußgeldnachlässen für Zusammenarbeit mit der Kommission (zwölfter Rechtsmittelgrund)

187. Der zwölfte Rechtsmittelgrund hat die Herabsetzung der gegen Schindler verhängten Geldbußen für ihre Kartellbeteiligung in Belgien, Deutschland und Luxemburg wegen der Zusammenarbeit des Unternehmens mit der Kommission im Verwaltungsverfahren zum Gegenstand. Schindler meint, das Gericht habe ihren Kooperationsbeiträgen im vorliegenden Fall nicht genügend Gewicht beigemessen.

i)      Zur Zusammenarbeit im Rahmen der Mitteilung von 2002 (erster Teil des zwölften Rechtsmittelgrundes)

188. Im ersten Teil des zwölften Rechtsmittelgrundes macht Schindler geltend, das Gericht habe zu Unrecht der Kommission im Rahmen der Mitteilung über Zusammenarbeit von 2002 (sogenannte „Leniency-Bekanntmachung“)(113) einen erheblichen Wertungsspielraum eingeräumt und sich selbst nur auf eine Kontrolle von offensichtlichen Fehlern zurückgezogen.

189. In der Tat hat das Gericht ausgeführt, die Kommission verfüge über einen „weiten Wertungsspielraum“, wenn sie prüfe, ob die von einem Unternehmen im Rahmen der Mitteilung von 2002 vorgelegten Beweismittel „einen erheblichen Mehrwert im Sinne von Randnr. 21 dieser Mitteilung darstellen“, und es könne „nur ein offensichtliches Überschreiten dieses Spielraums vom Gericht beanstandet werden“(114).

190. Diese Rechtsauffassung des Gerichts ist fehlerhaft. Die Beurteilung des Werts von Beweismitteln, die Unternehmen im Rahmen der Mitteilung von 2002 im Verwaltungsverfahren vorlegen, um mit der Kommission zu kooperieren, findet im Zusammenhang mit der Berechnung der Höhe der Geldbuße statt. Damit fällt sie in den Anwendungsbereich der Befugnis des Gerichts zur unbeschränkten Ermessensnachprüfung (Art. 261 AEUV in Verbindung mit Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003), in der es dem Gericht gestattet ist, über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit hinaus die Beurteilung der Kommission durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen(115). Verweist das Gericht in diesem Zusammenhang gleichwohl auf einen „weiten Wertungsspielraum“ der Kommission, so stellt es das Ausmaß seiner eigenen Befugnisse in rechtsfehlerhafter Weise dar.

191. Gleichwohl muss ein solcher Rechtsfehler nicht zwingend zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen(116). Vielmehr kommt es darauf an, welchen Maßstab das Gericht bei der konkreten Prüfung des Mehrwerts der Zusammenarbeit des betroffenen Unternehmens mit der Kommission angelegt hat.

192. Im vorliegenden Fall hat sich das Gericht dabei keineswegs einer eigenen Wertung enthalten, sondern sich eingehend mit den von Schindler vorgebrachten Argumenten zum Mehrwert ihrer Zusammenarbeit mit der Kommission im Verwaltungsverfahren auseinandergesetzt(117). Damit hat es – trotz seiner rechtsfehlerhaften einleitenden Bemerkungen – im Ergebnis den rechtlichen Anforderungen genügt.

193. Zurückzuweisen ist in diesem Zusammenhang insbesondere das Argument, dass die von Kartellbeteiligten im Verwaltungsverfahren vorgelegten Beweise stets einen Mehrwert für die Beweisführung der Kommission haben und zu einer Herabsetzung der Geldbuße führen müssen. Der Wert von Beweisen bemisst sich nicht nach ihrer Zahl („iudex non calculat“) und auch nicht danach, wie oft die Kommission in der streitigen Entscheidung darauf Bezug genommen hat(118).

194. Im Übrigen ist es nicht Aufgabe des Gerichtshofs im Rechtsmittelverfahren, nun seinerseits seine eigene Beurteilung des Mehrwerts der Angaben von Schindler an die Stelle der Beurteilungen der Kommission und des Gerichts zu setzen(119). Dementsprechend erübrigt sich an dieser Stelle eine nochmalige Prüfung, ob die Angaben von Schindler gegenüber der Kommission den gleichen Wert hatten wie die von ThyssenKrupp, Otis und Kone oder gar einen erheblichen Mehrwert für die Beweisführung der Kommission brachten.

ii)    Zur Zusammenarbeit außerhalb der Mitteilung von 2002 (zweiter Teil des zwölften Rechtsmittelgrundes)

195. Im zweiten Teil des zwölften Rechtsmittelgrundes wendet sich Schindler gegen die Randnrn. 350 bis 361 des angefochtenen Urteils und beklagt sich darüber, ihr sei für ihre Zusammenarbeit außerhalb der Mitteilung von 2002 eine zu geringe Herabsetzung der Geldbuße gewährt worden, nämlich nur 1 % für das Nichtbestreiten des Sachverhalts. Unter Berufung auf Ziff. 3 sechster Gedankenstrich der Leitlinien von 1998 meint Schindler, Anspruch auf eine stärkere Herabsetzung ihrer Geldbußen zu haben.

196. Dieses Vorbringen ist nicht stichhaltig.

197. Wie die Kommission zu Recht ausführt, dient die Regelung in Ziff. 3 sechster Gedankenstrich der Leitlinien von 1998 nicht dazu, „unzureichende Kronzeugenanträge gleichwohl zu belohnen“. Für eine Zusammenarbeit wie die von Schindler, die zwar in den Anwendungsbereich der „Kronzeugenregelung“ (d. h. der Mitteilung von 2002) fällt, aber nicht alle ihre Voraussetzungen erfüllt, insbesondere nicht die Voraussetzung eines „erheblichen Mehrwerts“, besteht kein Anspruch auf Herabsetzung der Geldbuße, insbesondere nicht über den Umweg der Ziff. 3 sechster Spiegelstrich der Leitlinien von 1998.

iii) Zusammenfassung

198. Damit ist der zwölfte Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen.

4.      Die 10%ige Obergrenze für die Höhe der Geldbuße (achter Rechtsmittelgrund)

199. Mit ihrem achten Rechtsmittelgrund macht Schindler geltend, bei der Anwendung der 10%igen Obergrenze für Geldbußen gemäß Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 komme es allein auf die Umsätze der jeweiligen nationalen Tochtergesellschaften von Schindler, nicht aber auf den Konzernumsatz der Schindler Holding an.

200. Dieses Vorbringen ist abwegig. Der Unternehmensbegriff in Art. 81 EG (nunmehr Art. 101 AEUV) einerseits und in Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 andererseits ist stets derselbe. Beide Vorschriften müssen kohärent angewendet werden. Für die 10%ige Obergrenze ist deshalb der Umsatz des Unternehmens heranzuziehen, dessen gemeinsame Rechtsträgerinnen die Muttergesellschaft – hier Schindler Holding – und ihre 100%igen Tochtergesellschaften – hier die nationalen Tochtergesellschaften in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg – sind.

201. Nur wenn Schindlers Rügen im Hinblick auf die Anwendung der 100%-Vermutung im vorliegenden Fall – entgegen dem oben Gesagten(120) – durchgreifen würden, könnte der achte Rechtsmittelgrund Erfolg haben. Da dies nicht der Fall ist, ist dieser Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

5.      Das Eigentumsrecht (neunter Rechtsmittelgrund)

202. Gegenstand des neunten Rechtsmittelgrundes ist das Eigentumsrecht. Schindler meint, die Verhängung der Geldbußen gegen Schindler Holding sowie ihre Tochtergesellschaften in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg(121) verstoße „wegen ihrer exorbitanten Höhe“ gegen „elementare, völkerrechtlich verankerte Investitionsschutz- und Eigentumsgarantien der EU gegenüber Schindler als Schweizer Unternehmen“. Dem Gericht wirft Schindler in diesem Zusammenhang insbesondere vor, die einschlägige Rechtsprechung des EGMR zum Eigentumsrecht nicht beachtet zu haben.

a)      Vorbemerkung

203. Das Eigentumsrecht ist ein Grundrecht, das auf Unionsebene gemäß Art. 17 der Charta der Grundrechte wie auch im Rahmen der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts(122) (Art. 6 Abs. 3 EUV) Schutz genießt. Auch private Personen, die nicht Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Union sind, können sich darauf berufen(123).

204. Da die Union noch nicht Mitglied der EMRK ist, kann Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK(124) – entgegen der Auffassung von Schindler – nicht direkt als Grundlage für das Eigentumsrecht herangezogen werden(125); die Vorschrift ist aber, zusammen mit der zugehörigen Rechtsprechung des EGMR, als Maßstab für die Auslegung und Anwendung von Art. 17 der Charta der Grundrechte von Bedeutung (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV in Verbindung mit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 der Charta)(126).

205. Soweit Schindler sich darüber hinaus in ihrer Rechtsmittelschrift auf nicht näher bezeichnete völkerrechtliche Garantien bezieht, ist ihr Vorbringen im vorliegenden Rechtsmittelverfahren nicht hinreichend konkret, als dass es vom Gerichtshof geprüft werden könnte, und damit unzulässig(127).

b)      Zur gerügten Verletzung des Eigentumsrechts als Unionsgrundrecht

206. Zu der von Schindler gerügten Grundrechtsverletzung ist anzumerken, dass es eigentlich nicht zwingend erscheint, die Verhängung einer Geldbuße für ein Kartellvergehen überhaupt als Eingriff in das Eigentumsrecht anzusehen. Denn dem betroffenen Unternehmen wird von den Unionsorganen keine konkrete Eigentumsposition entzogen, sondern lediglich allgemein die Pflicht zur Zahlung einer Geldsumme aus seinem Vermögen auferlegt. In diesem Sinne hat auch das Gericht im angefochtenen Urteil betont, dass die streitige Entscheidung nicht die Eigentumsstruktur bei Schindler tangiert(128).

207. Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK sind jedoch Geldbußen als Eingriffe in das Eigentumsrecht anzusehen, weil sie dem Betroffenen einen Teil seines Eigentums entziehen, und zwar die Geldsumme, die er zu bezahlen hat(129). Das Homogenitätsgebot verlangt, Art. 17 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen, dass das Eigentumsrecht auf Unionsebene die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird (Art. 52 Abs. 3 Satz 1 der Charta).

208. Allerdings wird das Eigentumsrecht nach ständiger Rechtsprechung ohnehin nicht absolut oder schrankenlos gewährleistet, sondern ist im Zusammenhang mit seiner gesellschaftlichen Funktion zu sehen(130).

209. Ferner lässt Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte Einschränkungen der Ausübung der in der Charta verankerten Rechte zu, sofern diese Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind sowie den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen(131).

210. Die Verhängung kartellrechtlicher Geldbußen beruht mit Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 auf einer gesetzlichen Grundlage(132). Mit ihr wird ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgt: Solche Geldbußen dienen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs auf dem Europäischen Binnenmarkt(133), insbesondere, indem sie von der Begehung von Kartellvergehen abschrecken und das Vertrauen aller Marktteilnehmer in die Schlagkraft der Wettbewerbsregeln des Europäischen Binnenmarkts stärken(134).

211. Dass die Verhängung finanzieller Sanktionen grundsätzlich legitim ist, wird im Übrigen auch in Art. 1 Abs. 2 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK ausdrücklich anerkannt. Danach bleibt das Recht des Staates unberührt, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er u. a. zur Sicherung der Zahlung von Geldstrafen für erforderlich hält, wobei ihm nach der Rechtsprechung des EGMR ein Beurteilungsspielraum zusteht(135).

212. Eine Verletzung des Eigentumsrechts kann mit Geldbußen letztlich nur dann einhergehen, wenn sie dem Betroffenen eine übermäßige Belastung auferlegen oder seine finanzielle Situation grundlegend beeinträchtigen; Geldbußen dürfen mit anderen Worten nicht unverhältnismäßig sein(136). An der Verhältnismäßigkeit von Geldbußen fehlt es nach der Rechtsprechung des EGMR, wenn es sich um extrem hohe Summen handelt, mit denen eine derart übertriebene Belastung einhergeht, dass sie faktisch enteignenden Charakter haben(137).

213. Diesem Standard hat das Gericht im vorliegenden Fall voll entsprochen, als es prüfte, ob die verhängten Geldbußen einen unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff darstellen, der das Grundrecht auf Achtung des Eigentums in seinem Wesensgehalt antastet(138).

214. Ob mit einer Geldbuße eine solche unverhältnismäßige Belastung einhergeht, kann nicht allein anhand ihres nominalen Betrags beurteilt werden, sondern hängt entscheidend von der Leistungsfähigkeit des Adressaten ab. Dass der EGMR Geldbußen für diverse Zollvergehen von insgesamt knapp 8 Mio. Euro im Fall einer natürlichen Person als Verletzung ihres Eigentumsrechts angesehen hat(139), lässt für sich genommen keinerlei Rückschlüsse auf den vorliegenden Fall zu, in dem es um schwere und lang dauernde Kartellvergehen eines großen, international operierenden Unternehmens mit Tochtergesellschaften in mehreren Mitgliedstaaten geht.

215. Sicherlich können die von der Kommission nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 verhängten Geldbußen schmerzhaft sein, auch für große Unternehmen wie Schindler. Dies entspricht jedoch ihrer Funktion und ist insbesondere bei schwerwiegenden sowie lang dauernden Kartellvergehen wie dem hier streitigen keineswegs ungerecht. Zu einer unverhältnismäßigen Belastung von Unternehmen mit faktisch enteignendem Charakter kann es ferner angesichts der gesetzlichen Obergrenze von 10% des Vorjahres-Gesamtumsatzes im Normalfall nicht kommen(140).

216. Die von den Rechtsmittelführerinnen erhobene Rüge der Enteignung beruht denn auch weniger auf der Belastung von Schindler als Unternehmen oder Schindler Holding als juristischer Person, als vielmehr auf einer individualisierten Betrachtung der Belastungen, die angeblich aus den verhängten Geldbußen für die drei nationalen Tochtergesellschaften von Schindler in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg entstehen soll. Eine solche individualisierte Betrachtung der Situation einzelner juristischer Personen ist jedoch von vornherein unstatthaft, wenn es um die Verhängung von Geldbußen gegen Unternehmen geht, die eine wirtschaftliche Einheit darstellen und lediglich formal von mehreren juristischen Personen gemeinsam getragen werden(141).

217. Auch die von Schindler Holding beklagte Entwertung der Investitionen in ihren drei nationalen Tochtergesellschaften ist in diesem Zusammenhang kein überzeugendes Argument. Im Innenverhältnis hat Schindler Holding es selbst in der Hand, ob sie die dem Unternehmen auferlegten Geldbußen aus dem Vermögen der jeweiligen Tochtergesellschaften begleichen lassen oder dafür auf ihr eigenes Vermögen als Muttergesellschaft zurückgreifen will. Wie das Gericht zutreffend ausgeführt hat, ist die Bestimmung der jeweiligen Beiträge von Gesellschaften, die zu derselben Gruppe gehören und gesamtschuldnerisch zur Zahlung einer Geldbuße herangezogen werden, deren eigene Angelegenheit(142).

218. Abschließend sei daran erinnert, dass sich die Muttergesellschaft eines Konzerns, die auf die Geschäftspolitik ihrer Tochtergesellschaften bestimmenden Einfluss ausübt und somit innerhalb dieses Konzerns „die Fäden zieht“, ihrer persönlichen Verantwortlichkeit für Kartellvergehen nicht entziehen kann, auch wenn nach außen hin nur die Tochtergesellschaften als Kartellbeteiligte in Erscheinung getreten sind(143). Bei der Berechnung von Geldbußen und bei der Beurteilung der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens ist deshalb die finanzielle Leistungsfähigkeit der Muttergesellschaft mit zu berücksichtigen.

219. Die Wirksamkeit kartellrechtlicher Geldbußen gegen Unternehmen würde erheblich beeinträchtigt, wenn man bei der Berechnung der jeweiligen Sanktion auf die innere Organisation von Konzernen Rücksicht nähme und zuließe, dass die finanzstarke Muttergesellschaft in ihrer Eigenschaft als Holdinggesellschaft den Wertverlust ihrer Investitionen beklagt, ansonsten aber „ihre Hände in Unschuld wäscht“ und die Verantwortung für etwaige Kartellvergehen auf ihre weniger finanzkräftigen Tochtergesellschaften abzuwälzen versucht, obwohl sie auf deren Geschäftspolitik bestimmenden Einfluss ausgeübt hat.

220. Alles in allem hat somit das Gericht bei der Prüfung des Eigentumsrechts die zutreffenden rechtlichen Kriterien zugrunde gelegt und auf dieser Basis völlig zu Recht das Vorliegen einer Verletzung des Eigentums von Schindler verneint(144). Dementsprechend ist der neunte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

6.      Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (dreizehnter Rechtsmittelgrund)

221. Abschließend widmet sich Schindler im dreizehnten Rechtsmittelgrund dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Nach Ansicht von Schindler hat das Gericht diesem Grundsatz in den Randnrn. 365 bis 372 des angefochtenen Urteils nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt.

222. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung bei der Verhängung von Geldbußen für Kartellvergehen zu beachten(145). Gemäß Art. 49 Abs. 3 der Charta der Grundrechte kommt diesem Grundsatz, der besagt, dass das Strafmaß zur Straftat nicht unverhältnismäßig sein darf, nunmehr der Status eines Grundrechts zu.

223. Im Rechtsmittelstadium setzt der Gerichtshof allerdings hinsichtlich der Frage der Verhältnismäßigkeit einer Geldbuße nicht seine eigene Würdigung aus Gründen der Billigkeit an die Stelle der Würdigung des Gerichts, sondern beschränkt sich darauf, zu prüfen, ob dem Gericht bei der Ausübung von dessen Befugnis zur unbeschränkten Ermessensnachprüfung offensichtliche Fehler unterlaufen sind, etwa, weil es nicht alle maßgeblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat(146). Ein Rechtsfehler des Gerichts wegen der unangemessenen Höhe einer Geldbuße könnte im Rechtsmittelverfahren nur ausnahmsweise festgestellt werden, und zwar dann, wenn „die Höhe der Sanktion nicht nur unangemessen, sondern auch dermaßen überhöht ist, dass sie unverhältnismäßig wird“(147).

224. Derartige Rechtsfehler sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.

225. Unhaltbar ist erstens der Vorwurf Schindlers, das Gericht habe sich ohne Einzelfallprüfung mit der bloßen Feststellung begnügt, die 10%ige Obergrenze für Geldbußen gemäß Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 sei nicht überschritten. In Wahrheit hat sich das Gericht äußerst ausführlich mit der Verhältnismäßigkeit der von der Kommission gegen Schindler verhängten Geldbußen befasst, wobei es u. a. auf Gesichtspunkte wie die besondere Schwere der Zuwiderhandlungen, das Erfordernis einer abschreckenden Wirkung der Sanktionen sowie die Größe und die Wirtschaftsmacht der von Schindler als Unternehmen repräsentierten wirtschaftlichen Einheit einging(148).

226. Ebenso wenig überzeugend ist zweitens das Vorbringen Schindlers, bei der Betrachtung der Größe und Wirtschaftsmacht des Unternehmens hätte Schindler Holding nicht berücksichtigt werden dürfen. Ganz im Gegenteil war die Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des gesamten Unternehmens Schindler einschließlich Schindler Holding als Muttergesellschaft, wie bereits ausgeführt(149), rechtlich geboten.

227. Soweit Schindler schließlich die Verhältnismäßigkeit der Geldbußen mit Blick auf ihre rein nominale Höhe anzuzweifeln versucht und sich dabei auf die Rechtsprechung des EGMR beruft(150), ist ihre Argumentation aus denselben Gründen zurückzuweisen, die ich oben bereits im Zusammenhang mit dem Eigentumsrecht dargelegt habe(151).

228. Insgesamt ist also auch der dreizehnte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

D –    Zusammenfassung

229. Da keiner der von den Rechtsmittelführerinnen vorgebrachten Rechtsgründe zum Erfolg führt, ist das Rechtsmittel in seiner Gesamtheit zurückzuweisen.

V –    Kosten

230. Wird das Rechtsmittel, wie ich es im vorliegenden Fall vorschlage, zurückgewiesen, so entscheidet der Gerichtshof gemäß Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung über die Kosten, wobei sich die Einzelheiten aus den Art. 137 bis 146 in Verbindung mit Art. 184 Abs. 1 der Verfahrensordnung ergeben(152).

231. Aus Art. 138 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 184 Abs. 1 der Verfahrensordnung folgt, dass die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen ist; unterliegen mehrere Parteien, so entscheidet der Gerichtshof über die Verteilung der Kosten. Da die Kommission einen entsprechenden Antrag gestellt hat und die Rechtsmittelführerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen die Kosten aufzuerlegen. Diese Kosten haben sie als Gesamtschuldnerinnen zu tragen, weil sie das Rechtsmittel gemeinsam eingelegt haben(153).

232. Zwar wäre es denkbar, den Rat als erstinstanzlichen Streithelfer der Kommission, der sich auch am Rechtsmittelverfahren beteiligt hat, in Anwendung von Art. 184 Abs. 4 Satz 2 der Verfahrensordnung zur Tragung seiner eigenen Kosten zu verurteilen(154). Zwingend ist dies jedoch nicht, wie sich bereits aus dem Wortlaut jener Vorschrift ergibt („kann“). Im vorliegenden Fall bestehen meines Erachtens keine triftigen Gründe dafür, dem Rat seine eigenen Kosten aufzuerlegen. Selbst wenn man nämlich unterstellt, dass der Rat ein erhebliches institutionelles Interesse daran hat, die Gültigkeit der Verordnung Nr. 1/2003 zu verteidigen, ist doch zu bedenken, dass die Rechtsmittelführerinnen mit ihren Angriffen gegen jene Verordnung keine wirklich neuen, bislang ungeklärten Rechtsfragen aufgeworfen haben(155). Vielmehr haben die Rechtsmittelführerinnen in diesem Punkt lediglich den Versuch unternommen, den Gerichtshof zu einer Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung zu bewegen. Es ist gerecht, dass sie dafür das Kostenrisiko tragen. Der Gerichtshof sollte sie deshalb – neben ihren eigenen Kosten – zur Tragung der Kosten des Rates verurteilen, so wie er auch in anderen Fällen dem unterlegenen Rechtsmittelführer die Kosten des gegnerischen Streithelfers aus erster Instanz auferlegte, wenn dieser – wie hier der Rat – im Rechtsmittelverfahren mit seinen Anträgen obsiegt hatte(156).

VI – Ergebnis

233. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1)      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2)      Die Rechtsmittelführerinnen tragen sämtliche Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldnerinnen.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Mitteilung der Kommission – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3); im Folgenden: Leitlinien von 1998.


3 – Entscheidung der Kommission vom 21. Februar 2007 in einem Verfahren nach Artikel 81 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Fall COMP/E‑1/38.823 – Aufzüge und Fahrtreppen), bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2007) 512 endg., berichtigt durch Entscheidung vom 4. September 2007 und zusammengefasst in ABl. 2008, C 75, S. 19.


4 – Urteil des Gerichts vom 13. Juli 2011, Schindler Holding u. a./Kommission (T‑138/07, Slg. 2011, II‑4819).


5 – Erwägungsgründe 27 bis 32 der streitigen Entscheidung und Randnr. 3 des angefochtenen Urteils.


6 – Erwägungsgründe 3 und 91 der streitigen Entscheidung sowie Randnr. 4 des angefochtenen Urteils.


7 – Erwägungsgründe 3 und 91 der streitigen Entscheidung sowie Randnr. 22 des angefochtenen Urteils.


8 – Art. 1 der streitigen Entscheidung und Randnr. 31 des angefochtenen Urteils.


9 – Art. 2 der streitigen Entscheidung und Randnr. 31 des angefochtenen Urteils.


10 – Vgl. dazu neben dem angefochtenen Urteil drei weitere Urteile des Gerichts vom 13. Juli 2011 in den Rechtssachen General Technic-Otis u. a./Kommission (T‑141/07, T‑142/07, T‑145/07 und T‑146/07, Slg. 2011, I‑4977), ThyssenKrupp Liften Ascenseurs/Kommission (T‑144/07, T‑147/07 bis T‑150/07 und T‑154/07, Slg. 2011, II‑5129) und Kone u. a./Kommission (T‑151/07, Slg. 2011, II‑5313). Das Urteil ThyssenKrupp Liften Ascenseurs/Kommission ist rechtskräftig geworden, nachdem sechs von diversen Gesellschaften der ThyssenKrupp-Gruppe beim Gerichtshof eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen wurden (Rechtssachen C‑503/11 P, C‑504/11 P, C‑505/11 P, C‑506/11 P, C‑516/11 P und C‑519/11 P). Gegen das Urteil Kone u. a./Kommission ist derzeit noch ein Rechtsmittel vor dem Gerichtshof anhängig (Rechtssache C‑510/11 P, Kone u. a./Kommission). Zwei weitere Rechtsmittel gegen das Urteil General Technic-Otis u. a./Kommission hat der Gerichtshof mit Beschlüssen vom 15. Juni 2012, United Technologies/Kommission (C‑493/11 P) und Otis Luxembourg (ehemals General Technic-Otis)/Kommission (C‑494/11 P), zurückgewiesen.


11 – Diese teilweise Erledigung des Rechtsstreits hat das Gericht deswegen angenommen, weil die Kommission die streitige Entscheidung am 4. September 2007 dahin gehend berichtigt hatte, dass Schindler Management AG nicht mehr zu ihren Adressaten gehörte (vgl. Randnrn. 40 bis 44 des angefochtenen Urteils).


12 – Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („EMRK“, unterzeichnet in Rom am 4. November 1950).


13 – In diesem Sinne auch Urteil vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C‑617/10, Randnr. 44, erster Satz).


14 – Urteile vom 17. Dezember 1998, Baustahlgewebe/Kommission (C‑185/95 P, Slg. 1998, I‑8417, Randnr. 21), vom 25. Juli 2002, Unión de Pequeños Agricultores/Rat (C‑50/00 P, Slg. 2002, I‑6677, Randnr. 39), und vom 13. März 2007, Unibet (C‑432/05, Slg. 2007, I‑2271, Randnr. 37).


15 – Im selben Sinne Urteil Åkerberg Fransson (zitiert in Fn. 13, Randnr. 44, erster Satz).


16 – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte.


17 – Im selben Sinne Urteile vom 22. Dezember 2010, DEB (C-279/09 Slg. 2010, I‑13849, Randnrn. 30 bis 33), vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission (C‑386/10 P, Slg. 2011, I‑13085, Randnr. 51), vom 6. November 2012, Otis u. a. (C‑199/11, Randnr. 47), und vom 29. Januar 2013, Radu (C‑396/11, Randnr. 32).


18 – Vgl. dazu meine Schlussanträge vom 3. Juli 2007 in der Rechtssache ETI u. a. (C‑280/06, Slg. 2007, I‑10893, Nr. 71) und vom 8. September 2011 in der Rechtssache Toshiba Corporation u. a. (C‑17/10, Nr. 48), jeweils mit weiteren Nachweisen. Der EGMR erkennt seinerseits im Urteil Menarini Diagnostics/Italien vom 27. September 2011 (Beschwerde-Nr. 43509/08, §§ 38 bis 45) einer von der italienischen Wettbewerbsbehörde verhängten kartellrechtlichen Geldbuße strafrechtlichen Charakter im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK zu. In gleicher Weise verfährt der EFTA-Gerichtshof in seinem Urteil vom 18. April 2012, Posten Norge/EFTA-Überwachungsbehörde („Posten Norge“, E‑15/10, Randnrn. 87 und 88), bezüglich einer von der EFTA-Überwachungsbehörde verhängten kartellrechtlichen Geldbuße.


19 – EGMR, Urteil Jussila/Finnland vom 23. November 2006 (Beschwerde-Nr. 73053/01, Recueil des arrêts et décisions 2006-XIV, § 43).


20 – EGMR, Urteil Jussila/Finnland (zitiert in Fn. 19, § 43); im selben Sinne EGMR, Urteil Menarini Diagnostics/Italien (zitiert in Fn. 18, § 62); vgl. auch EFTA-Gerichtshof, Urteil Posten Norge (zitiert in Fn. 18, Randnr. 89).


21 – EGMR, Urteil Menarini Diagnostics/Italien (zitiert in Fn. 18, § 59).


22 – Ebd.


23 – Französisch: „le pouvoir de réformer en tous points, en fait comme en droit, la décision entreprise, rendue par l’organe inférieur“ (EGMR, Urteil Menarini Diagnostics/Italien, zitiert in Fn. 18, § 59).


24 – Französisch: „compétence pour se pencher sur toutes les questions de fait et de droit pertinentes pour le litige“ (EGMR, Urteil Menarini Diagnostics/Italien, zitiert in Fn. 18, § 59); Englisch: „jurisdiction to examine all questions of fact and law relevant to the dispute“ (EGMR, Beschluss Valico/Italien vom 21. März 2006, Beschwerde-Nr. 70074/01, Recueil des arrêts et décisions 2006-III, S. 20, mit weiteren Nachweisen).


25 – Englisch: „the power to quash in all respects, on questions of fact and law, the challenged decision“ (EGMR, Urteil Janosevic/Schweden vom 23. Juli 2002, Beschwerde-Nr. 34619/97, Recueil des arrêts et décisions 2002-VII, § 81, und Beschluss Valico/Italien, zitiert in Fn. 24, S. 20).


26 – Urteil Chalkor/Kommission (zitiert in Fn. 17, Randnr. 53) sowie Urteile vom 8. Dezember 2011, KME u. a./Kommission (C‑272/09 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 93) und KME Germany u. a./Kommission (C‑389/10 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 120).


27 – Urteile vom 15. Februar 2005, Kommission/Tetra Laval (C‑12/03 P, Slg. 2005, I‑987, Randnr. 39), Chalkor/Kommission (zitiert in Fn. 17, Randnrn. 54, 61 und 62) und Otis u. a. (zitiert in Fn. 17, Randnrn. 59 bis 61).


28 – Urteile Chalkor/Kommission (Randnr. 63) und Otis u. a. (Randnr. 62), zitiert in Fn. 17.


29 – In diesem Sinne auch Urteile Chalkor/Kommission (Randnr. 67) und Otis u. a. (Randnr. 63), zitiert in Fn. 17.


30 – Der Vorwurf von Schindler, das Gericht führe keine eigenen Tatsachenermittlungen durch, überschneidet sich mit dem zweiten Rechtsmittelgrund und wird in dessen Rahmen mit zu erörtern sein (vgl. unten, Nrn. 42 bis 57 dieser Schlussanträge).


31 – EGMR, Urteil Jussila/Finnland (zitiert in Fn. 19, § 43); im selben Sinne EGMR, Urteil Menarini Diagnostics/Italien (zitiert in Fn. 18, § 62).


32 – Die Rechtsmittelführerinnen beziehen sich auf die EGMR-Urteile Öztürk/Deutschland vom 21. Februar 1984 (Beschwerde-Nr. 8544/79, Serie A, Nr. 73, § 56) und Bendenoun/Frankreich vom 24. Februar 1994 (Beschwerde-Nr. 12547/86, Serie A, Nr. 284, § 46).


33 – EGMR, Urteil Menarini Diagnostics/Italien (zitiert in Fn. 18); in jenem Fall ging es um eine kartellrechtliche Geldbuße der italienischen Wettbewerbsbehörde in Höhe von 6 Mio. Euro (vgl. §§ 41 und 42 jenes Urteils).


34 – Die enge Verwandtschaft zwischen Art. 47 der Charta einerseits sowie den Art. 6 und 13 EMRK andererseits kommt in den Erläuterungen zur Charta (ABl. 2007, C 303, S. 17 [29 f.]) deutlich zum Ausdruck. Auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs, in der das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt wurde, stützt sich ganz maßgeblich auf die beiden Bestimmungen der EMRK (vgl. dazu die oben in Fn. 14 angeführten Urteile).


35 – Soweit vergleichbare Vorwürfe schon im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes beiläufig erhoben wurden, werden sie im Folgenden mit erörtert.


36 – In erster Instanz rügte Schindler lediglich die Unvereinbarkeit des Kronzeugenbeweises mit den Grundsätzen nemo tenetur se ipsum accusare, nemo tenetur se ipsum prodere und in dubio pro reo, mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und mit den Grenzen des der Kommission eingeräumten Ermessens (vgl. dazu den vierten Klagegrund aus erster Instanz in den Randnrn. 68 bis 89 der Klageschrift).


37 – Urteile vom 1. Juni 1994, Kommission/Brazzelli Lualdi u. a. (C‑136/92 P, Slg. 1994, I‑1981, Randnr. 59), vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission (C‑97/08 P, Slg. 2009, I‑8237, Randnr. 38), und vom 19. Juli 2012, Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission („AOI“, C‑628/10 P und C‑14/11 P, Randnr. 111).


38 – Urteile Chalkor/Kommission (Randnrn. 64 und 65) und Otis u. a. (Randnr. 61, erster Satz), zitiert in Fn. 17.


39 – Angefochtenes Urteil, Randnr. 57 am Ende.


40 – Urteile vom 10. Juli 2001, Ismeri Europa/Rechnungshof (C‑315/99 P, Slg. 2001, I‑5281, Randnr. 19), vom 16. Juli 2009, Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland/Kommission (C‑385/07 P, Slg. 2009, I‑6155, Randnr. 163), und vom 22. November 2012, E.ON Energie/Kommission (C‑89/11 P, Randnr. 115).


41 – Vgl. dazu Randnr. 17 des Erwiderungsschriftsatzes Schindlers im Rechtsmittelverfahren.


42 – Vgl. dazu auch meine Ausführungen zum zehnten Rechtsmittelgrund (unten, Nrn. 177 bis 180 dieser Schlussanträge).


43 – Urteil Akzo Nobel u. a./Kommission (zitiert in Fn. 37, Randnrn. 58 bis 61); vgl. ergänzend die Urteile vom 16. November 2000, Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission (C‑286/98 P, Slg. 2000, I‑9925, Randnr. 29), vom 20. Januar 2011, General Química u. a./Kommission (C-90/09 P, Slg. 2011, I‑1, Randnrn. 39 und 40 sowie 85 bis 90), und vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission (C-521/09 P, Slg. 2011, I‑8947, Randnrn. 54 bis 60).


44 – Urteile vom 29. März 2011, ArcelorMittal Luxembourg u. a./Kommission u. a. (C‑201/09 P und C‑216/09 P, Slg. 2011, I‑2239, Randnrn. 96 bis 98), und AOI (zitiert in Fn. 37, Randnrn. 46 und 47).


45 – Vgl. meine Schlussanträge vom 29. November 2012 in der Rechtssache Kommission/Stichting Administratiekantoor Portielje („Portielje“, C‑440/11 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Nr. 72).


46 – Vgl. dazu nochmals meine Schlussanträge Portielje (zitiert in Fn. 45, Nr. 71).


47 – Randnrn. 81 bis 83 des angefochtenen Urteils.


48 – Vgl. dazu die oben in Fn. 37 angeführte Rechtsprechung.


49 – Zu den Kompetenzen der Union auf diesem Gebiet vgl. insbesondere Art. 50 Abs. 2 Buchst. g AEUV.


50 – Vgl. statt vieler die Urteile vom 14. Februar 1995, Schumacker (C-279/93, Slg. 1995, I-225, Randnr. 21, zu den direkten Steuern), vom 23. Oktober 2007, Morgan und Bucher (C-11/06 und C-12/06, Slg. 2007, I-9161, Randnr. 24, zur Ausgestaltung der Bildungssysteme und Festlegung der Lehrinhalte), und vom 10. März 2009, Hartlauer (C-169/07, Slg. 2009, I-1721, Randnr. 29, zur Ausgestaltung der Systeme der sozialen Sicherheit).


51 – Vgl. oben, Nr. 70 dieser Schlussanträge und die in Fn. 37 angeführte Rechtsprechung.


52 – Die Muttergesellschaft wird von Schindler auch als „Konzernobergesellschaft“ bezeichnet. Im Folgenden bleibe ich aber aus Vereinfachungsgründen bei der Bezeichnung „Muttergesellschaft“ im Sinne der Rechtsprechung Akzo Nobel.


53 – Urteil vom 15. März 2007, British Airways/Kommission (C-95/04 P, Slg. 2007, I‑2331, Randnr. 137); vgl. außerdem Urteile vom 10. Juli 2008, Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala (C-413/06 P, Slg. 2008, I-951, Randnr. 29), vom 29. März 2011, ThyssenKrupp Nirosta/Kommission (C‑352/09 P, Slg. 2011, I‑2359, Randnr. 180), und Elf Aquitaine/Kommission (zitiert in Fn. 43, Randnr. 68).


54 – Urteile vom 25. Oktober 2011, Solvay/Kommission (C-109/10 P, Slg. 2011, I‑10329,Randnr. 51) und Solvay/Kommission (C‑110/10 P, Slg. 2011, I‑10439, Randnr. 46).


55 – Unter dem Begriff „Compliance“ werden gemeinhin die unternehmensinternen Anstrengungen zusammengefasst, die der Sicherstellung von Regeltreue im Unternehmensalltag dienen. Die Rechtsmittelführerinnen verweisen in ihren Schriftsätzen im Rechtsmittelverfahren wie auch in erster Instanz auf den seit 1996 innerhalb des Schindler-Konzerns geltenden Verhaltenskodex („Code of conduct“) und die zugehörigen Leitlinien („Guidelines“), in denen die Mitarbeiter des Unternehmens u. a. angehalten werden, alle einschlägigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften einzuhalten („comply with all applicable laws and regulations“) und alle Verstöße dagegen anzuzeigen. Sie heben die regelmäßige Information und Schulung des Personals hervor und betonen, dass die Einhaltung der genannten unternehmensinternen Regeln Gegenstand einer fortwährenden Überwachung sei, wobei Verstöße konsequent geahndet würden. Die Rechtsmittelführerinnen sind der Ansicht, das Compliance-Programm von Schindler habe „Modellcharakter“.


56 – In Randnr. 88 des angefochtenen Urteils, auf die Schindler mehrfach Bezug nimmt, hat das Gericht keineswegs eine Tatsachenfeststellung vorgenommen, sondern nur die Hypothese erörtert, „dass Schindler womöglich alles in ihrer Macht Stehende unternommen hat“, allerdings ersichtlich ohne sich als Gericht diese Aussage zu eigen zu machen.


57 – Randnrn. 84 bis 90 des angefochtenen Urteils.


58 – Angefochtenes Urteil, Randnr. 90 am Ende.


59 – Urteile Akzo Nobel u. a./Kommission (zitiert in Fn. 37, Randnrn. 65 und 74) und General Química u. a./Kommission (zitiert in Fn. 43, Randnr. 51); im selben Sinne Urteile Elf Aquitaine/Kommission (zitiert in Fn. 43, Randnr. 54) und AOI (zitiert in Fn. 37, Randnr. 43).


60 – Ebd.


61 – Randnrn. 86, 87 und 90 des angefochtenen Urteils.


62 – Urteil Elf Aquitaine/Kommission (zitiert in Fn. 43, Randnrn. 57 und 61) und Beschluss vom 13. September 2012, Total u. a./Kommission (C‑495/11 P, Randnr. 57).


63 – Diese Rüge wird insbesondere im Rahmen des zweiten Teils des siebten Rechtsmittelgrundes vorgebracht.


64 – Diese Rüge ist Gegenstand des sechsten Rechtsmittelgrundes.


65 – Vgl. meine Schlussanträge vom 28. Februar 2013 in der Rechtssache Schenker u. a. (C‑681/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Nrn. 40 und 41).


66 – Urteile vom 8. Juli 1999, Hüls/Kommission (C‑199/92 P, Slg. 1999, I‑4287, Randnrn. 149 und 150, in Bezug auf Art. 6 Abs. 2 EMRK), und E.ON Energie/Kommission (zitiert in Fn. 40, Randnrn. 72 und 73, bezogen auf Art. 48 Abs. 1 der Charta der Grundrechte); im selben Sinne bereits das Urteil vom 14. Februar 1978, United Brands und United Brands Continentaal/Kommission (27/76, Slg. 1978, 207, Randnr. 265).


67 – Vgl. nochmals meine Schlussanträge in der Rechtssache Schenker u. a. (zitiert in Fn. 65, Nr. 41).


68 – Vgl. oben, Nrn. 93 bis 100 dieser Schlussanträge.


69 – Siehe dazu meine Schlussanträge vom 23. April 2009 in der Rechtssache Akzo Nobel u. a./Kommission (zitiert in Fn. 37, Nr. 98).


70 – Beispielsweise habe ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Schenker u. a. (zitiert in Fn. 65, insbesondere Nrn. 38 bis 48) dargelegt, dass ein Unternehmen wegen eines von ihm begangenen Verstoßes gegen das unionsrechtliche Kartellverbot nicht mit einer Geldbuße belegt werden darf, wenn das Unternehmen über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens geirrt hat (Verbotsirrtum) und ihm dieser Irrtum nicht vorwerfbar ist.


71 – Vgl. dazu die oben in Fn. 37 angeführte Rechtsprechung.


72 – Die Kommission weist zu Recht darauf hin, dass in der streitigen Entscheidung hierzu alle erforderlichen Angaben enthalten sind (vgl. die Erwägungsgründe 157, 224, 311, 347 und 387 jener Entscheidung).


73 – Urteile vom 7. Juni 1983, Musique Diffusion française u. a./Kommission (100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnr. 97), und vom 7. Februar 2013, Slovenská sporiteľňa (C‑68/12, Randnr. 25).


74 – Vgl. dazu bereits oben, Nrn. 97 bis 99 dieser Schlussanträge.


75 – Urteile vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission (C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnrn. 215 bis 223), vom 22. Mai 2008, Evonik Degussa/Kommission (C‑266/06 P, insbesondere Randnrn. 38 bis 40), und vom 17. Juni 2010, Lafarge/Kommission (C‑413/08 P, Slg. 2010, I‑5361, Randnrn. 94 und 95).


76 – Urteile vom 3. Mai 2007, Advocaten voor de Wereld (C‑303/05, Slg. 2007, I‑3633, Randnr. 49), und vom 3. Juni 2008, Intertanko u. a. (C‑308/06, Slg. 2008, I‑4057, Randnr. 70).


77 – Urteile Advocaten voor de Wereld (zitiert in Fn. 76, Randnr. 50), Evonik Degussa/Kommission (zitiert in Fn. 75, Randnr. 39), Intertanko u. a. (zitiert in Fn. 76, Randnr. 71) und Lafarge/Kommission (zitiert in Fn. 75, Randnr. 94); im selben Sinne auch Urteile vom 12. Dezember 1996, X (C‑74/95 und C‑129/95, Slg. 1996, I‑6609, Randnr. 25), und ThyssenKrupp Nirosta/Kommission (zitiert in Fn. 53, Randnr. 80).


78 – Vgl. dazu die in Fn. 37 angeführte Rechtsprechung.


79 – So verhält es sich etwa im deutschen Strafgesetzbuch (StGB) mit der „Erregung oder Unterhaltung eines Irrtums“ im Rahmen des Betrugs (§ 263 StGB), dem „Treueverhältnis“ im Rahmen der Untreue (§ 266 zweite Variante StGB), der „Ausbeutung der erheblichen Willensschwäche eines anderen“ und dem „auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung“ im Rahmen des Wuchers (§ 291 StGB) oder mit dem Straftatbestand der „Nötigung“ (§ 240 StGB).


80 – Urteile Advocaten voor de Wereld (zitiert in Fn. 76, Randnr. 50), Evonik Degussa/Kommission (zitiert in Fn. 75, Randnr. 40), Intertanko u. a. (zitiert in Fn. 76, Randnr. 71) und Lafarge/Kommission (zitiert in Fn. 75, Randnr. 94). Im selben Sinne, zu Art. 7 EMRK, vgl. EGMR, Urteile G/Frankreich vom 27. September 1995 (Beschwerde-Nr. 15312/89, Serie A, Nr. 325-B, § 25) und Coëme u. a./Belgien vom 22. Juni 2000 (Beschwerde-Nrn. 32492/96 u. a., Recueil des arrêts et décisions 2000‑VII, § 145).


81 – Urteile vom 23. April 1991, Höfner und Elser (C‑41/90, Slg. 1991, I‑1979, Randnr. 21), Akzo Nobel u. a./Kommission (zitiert in Fn. 37, Randnr. 54), General Química u. a./Kommission (zitiert in Fn. 43, Randnr. 34), ArcelorMittal Luxemburg u. a./Kommission u. a. (zitiert in Fn. 44, Randnr. 95) und AOI (zitiert in Fn. 37, Randnr. 42); ähnlich bereits Urteil vom 12. Juli 1984, Hydrotherm Gerätebau (170/83, Slg. 1984, 2999, Randnr. 11).


82 – Vgl. oben, Nrn. 84 und 85 dieser Schlussanträge.


83 – Urteile Hydrotherm Gerätebau (zitiert in Fn. 81, Randnr. 11), Akzo Nobel u. a./Kommission (zitiert in Fn. 37, Randnr. 55) und AOI (zitiert in Fn. 37, Randnr. 42).


84 – Vgl. oben, Nr. 60 dieser Schlussanträge.


85 – Urteile Evonik Degussa/Kommission (Randnrn. 36 bis 63) und Lafarge/Kommission (Randnrn. 94 und 95), zitiert in Fn. 75; Urteile des Gerichts vom 19. Mai 2010, Wieland-Werke u. a./Kommission (T‑11/05, Randnrn. 58 bis 73), und vom 28. April 2010, Amann & Söhne und Cousin Filterie/Kommission (T‑446/05, Slg. 2010, II‑1255, Randnrn. 123 bis 152).


86 – Verordnung (EWG) Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962: Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204).


87 – Vgl. insbesondere Randnrn. 97 bis 109 des angefochtenen Urteils.


88 – Die enge Verwandtschaft zwischen Art. 49 der Charta einerseits sowie Art. 7 Abs. 1 EMRK andererseits kommt in den Erläuterungen zur Charta (ABl. 2007, C 303, S. 17 [30 f.]) deutlich zum Ausdruck. Auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs (oben in den Fn. 75 und 76 angeführt), in der der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt wurde, stützt sich ganz maßgeblich auf Art. 7 Abs. 1 EMRK.


89 – Vgl. oben, Nr. 25 dieser Schlussanträge.


90 – Urteile Musique Diffusion française u. a./Kommission (zitiert in Fn. 73, Randnr. 109), Dansk Rørindustri u. a./Kommission (zitiert in Fn. 75, Randnr. 169) und vom 14. Oktober 2010, Deutsche Telekom/Kommission (C‑280/08 P, Slg. 2010, I‑9555, Randnr. 294).


91 – EGMR, Urteil SW/Vereinigtes Königreich vom 22. November 1995 (Beschwerde-Nr. 20166/92, Serie A, Nr. 335-B, § 36), betreffend die Anwendung von Art. 7 Abs. 1 EMRK in Bezug auf eine – nicht ausdrücklich gesetzlich geregelte – Strafe für Vergewaltigung in der Ehe.


92 – Im selben Sinne Urteil des Gerichts vom 8. Juli 2008, AC-Treuhand/Kommission (T‑99/04, Slg. 2008, II‑1501, Randnr. 113).


93 – Vgl. oben, Nr. 26 dieser Schlussanträge.


94 – Urteile Evonik Degussa/Kommission (Randnrn. 44 und 50) und Lafarge/Kommission (Randnr. 95), zitiert in Fn. 75; zum Erfordernis der Vorhersehbarkeit der strafrechtlichen Folgen eines bestimmten Verhaltens im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 EMRK, vgl. EGMR, Urteil M/Deutschland vom 17. Dezember 2009 (Beschwerde-Nr. 19359/04, § 90).


95 – Vgl. meine Schlussanträge vom 13. Dezember 2012 in der Rechtssache Ziegler/Kommission (C‑439/11 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Nr. 120).


96 – Vgl. oben, Nr. 82 dieser Schlussanträge.


97 – Urteil vom 24. März 2011, ISD Polska u. a./Kommission (C‑369/09 P, Slg. 2011, I‑2011, Randnr. 66); vgl. auch Beschluss vom 14. Dezember 1995, Hogan/Gerichtshof (C‑173/95 P, Slg. 1995, I‑4905, Randnr. 20), und Urteil Baustahlgewebe/Kommission (zitiert in Fn. 14, Randnr. 113).


98 – Vgl. dazu meine Schlussanträge vom 6. September 2012 in der Rechtssache Expedia (C‑226/11, Nrn. 26 und 30); im selben Sinne Urteile Dansk Rørindustri u. a./Kommission (zitiert in Fn. 75, Randnrn. 209 und 210), vom 14. Juni 2011, Pfleiderer (C‑360/09, Slg. 2011, I‑5161, Randnrn. 21 und 23), und vom 29. September 2011, Arkema/Kommission (C‑520/09 P, Slg. 2011, I‑8901, Randnr. 88).


99 – Vgl. dazu oben meine Ausführungen zum dritten Rechtsmittelgrund, insbesondere Nrn. 148 bis 157 dieser Schlussanträge.


100 – Urteil Arkema/Kommission (zitiert in Fn. 98, Randnr. 88); vgl. auch Urteil Chalkor/Kommission (zitiert in Fn. 17, Randnr. 60).


101 – Vgl. dazu meine Schlussanträge in der Rechtssache Expedia (zitiert in Fn. 98, Nr. 29). Zur Rolle der Kommission bei der Festlegung der Wettbewerbspolitik der Europäischen Union vgl. außerdem das Urteil vom 14. Dezember 2000, Masterfoods (C-344/98, Slg. 2000, I-11369, Randnr. 46, erster Satz).


102 – Vgl. oben, insbesondere Nrn. 22 bis 24 und 136 dieser Schlussanträge.


103 – Urteile Dansk Rørindustri u. a./Kommission (zitiert in Fn. 75, Randnrn. 217, 218 und 227 bis 231), und vom 8. Februar 2007, Groupe Danone/Kommission (C‑3/06 P, Slg. 2007, I‑1331, Randnrn. 87 bis 94).


104 – Vgl. insbesondere Randnrn. 118 bis 128 des angefochtenen Urteils.


105 – Vgl. dazu die in Fn. 90 angeführte Rechtsprechung.


106 – Siehe auch oben, Nr. 153 dieser Schlussanträge.


107 – Urteile vom 2. Oktober 2003, Thyssen Stahl/Kommission (C‑194/99 P, Slg. 2003, I‑10821, Randnr. 118), vom 3. September 2009, Prym und Prym Consumer/Kommission (C‑534/07 P, Slg. 2009, I‑7415, Randnr. 96), und vom 12. November 2009, Carbone-Lorraine/Kommission (C‑554/08 P, Randnr. 84).


108 – Siehe oben, insbesondere Nrn. 47 bis 50 und 57 dieser Schlussanträge.


109 – Urteil KME u. a./Kommission (zitiert in Fn. 26, Randnr. 56).


110 – Randnr. 276 des angefochtenen Urteils.


111 – Siehe oben, Nrn. 99 und 132 dieser Schlussanträge.


112 – In der Rechtsmittelschrift wird ausgeführt, dass „das Compliance-System Schindlers als Nebeneffekt die interne Aufklärung doch vorgekommener Verstöße erschwert, da den verstoßenden Mitarbeitern empfindliche Sanktionen drohen“ (sic!).


113 – Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3), im Folgenden auch: Mitteilung von 2002.


114 – Randnrn. 295 bis 300 des angefochtenen Urteils, insbesondere Randnrn. 298 und 300.


115 – Urteile Chalkor/Kommission (Randnr. 63) und Otis u. a. (Randnr. 62), zitiert in Fn. 17.


116 – Urteile KME u. a./Kommission (zitiert in Fn. 26, Randnr. 109), KME Germany u. a./Kommission (zitiert in Fn. 26, Randnr. 136) und Chalkor/Kommission (zitiert in Fn. 17, Randnr. 82).


117 – Randnrn. 301 bis 349 des angefochtenen Urteils.


118 – So zu Recht auch das Gericht in Randnr. 346 des angefochtenen Urteils.


119 – Urteile vom 24. September 2009, Erste Group Bank u. a./Kommission (C‑125/07 P, C‑133/07 P, C‑135/07 P und C‑137/07 P, Slg. 2009, I‑8681, Randnr. 256), und KME u. a./Kommission (zitiert in Fn. 26, Randnr. 79).


120 – Vgl. meine Ausführungen zum siebten Rechtsmittelgrund.


121 – Die gegen die deutsche Tochtergesellschaft von Schindler verhängte Geldbuße ist nicht Gegenstand dieses Rechtsmittelgrundes.


122 – Vgl., statt vieler, Urteile vom 14. Mai 1974, Nold/Kommission (4/73, Slg. 1974, 491, Randnr. 14), vom 13. Dezember 1979, Hauer (44/79, Slg. 1979, 3727, Randnr. 17), und vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission („Kadi“, C‑402/05 P und C‑415/05 P, Slg. 2008, I‑6351, Randnr. 355).


123 – So hat der Gerichtshof etwa im Urteil Kadi (zitiert in Fn. 122, Randnrn. 354 bis 371) zugelassen, dass private Personen aus Drittstaaten sich auf das im Unionsrecht als Grundrecht geschützte Eigentumsrecht berufen.


124 – Protokoll vom 20. März 1952 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (ETS Nr. 9).


125 – Vgl. oben, Nr. 22 dieser Schlussanträge.


126 – Die enge Verwandtschaft zwischen Art. 17 der Charta einerseits und Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK andererseits kommt in den Erläuterungen zur Charta (ABl. 2007, C 303, S. 17 [23]) deutlich zum Ausdruck. Auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs, in der das Eigentumsrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt wurde, stützt sich ganz maßgeblich auf das besagte Zusatzprotokoll (vgl. etwa Urteil Kadi, zitiert in Fn. 122, Randnr. 356).


127 – Urteile vom 8. Juli 1999, Hercules Chemicals/Kommission (C‑51/92 P, Slg. 1999, I‑4235, Randnr. 113), und vom 11. September 2007, Lindorfer/Rat (C‑227/04 P, Slg. 2007, I‑6767, Randnr. 83).


128 – Randnr. 192 des angefochtenen Urteils.


129 – EGMR, Urteil Mamidakis/Griechenland vom 11. Januar 2007 (Beschwerde-Nr. 35533/04, § 44); im selben Sinne, bezogen auf Steuern, EGMR, Urteil Buffalo/Italien vom 3. Juli 2003 (Beschwerde-Nr. 38746/97, § 32).


130 – Vgl. aus jüngster Zeit die Urteile vom 6. September 2012, Deutsches Weintor (C‑544/10, Randnr. 54), vom 15. Januar 2013, Križan u. a. (C‑416/10, Randnr. 113), und vom 31. Januar 2013, McDonagh (C‑12/11, Randnr. 60).


131 – Vgl. auch Urteil McDonagh (zitiert in Fn. 130, Randnr. 61).


132 – Dass eine Verordnung als gesetzliche Grundlage anzusehen ist, hat der Gerichtshof im Urteil vom 9. November 2010, Schecke und Eifert (C‑92/09 und C‑93/09, Slg. 2010, I‑11063, Randnr. 66), anerkannt.


133 – Zur primärrechtlichen Verankerung dieses Ziels zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Entscheidung vgl. Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG. Dasselbe lässt sich heute aus dem den Verträgen beigefügten Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb (ABl. 2008, C 115, S. 309; ABl. 2010, C 83, S. 309) entnehmen, wie der Gerichtshof im Zusammenhang mit Art. 102 AEUV bestätigt hat (Urteil vom 17. Februar 2011, TeliaSonera Sverige, C‑52/09, Slg. 2011, I‑527, Randnrn. 20 bis 22). Vgl. außerdem Art. 119 Abs. 1 AEUV (ehemals Art. 4 EG), wonach die Mitgliedstaaten und die Union dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet sind.


134 – Vgl. dazu meine Schlussanträge in der Rechtssache Schenker u. a. (zitiert in Fn. 65, Nr. 114).


135 – EGMR, Urteil Mamidakis/Griechenland (zitiert in Fn. 129, § 48).


136 – EGMR, Urteil Mamidakis/Griechenland (zitiert in Fn. 129, §§ 44 am Ende, 45 und 47); vgl. auch Urteil Phillips/Vereinigtes Königreich vom 5. Juli 2001 (Beschwerde-Nr. 41087/98, Recueil des arrêts et décisions 2001-VII, § 51) und Beschluss Orion Břeclav/Tschechische Republik vom 13. Januar 2004 (Beschwerde-Nr. 43783/98).


137 – EGMR, Urteile Mamidakis/Griechenland (zitiert in Fn. 129, §§ 47 und 48) und Buffalo/Italien (zitiert in Fn. 129, § 32) sowie Beschluss Orion Břeclav/Tschechische Republik (zitiert in Fn. 136).


138 – Vgl. insbesondere Randnrn. 190 und 191 des angefochtenen Urteils.


139 – EGMR, Urteil Mamidakis/Griechenland (zitiert in Fn. 129, §§ 47 und 48).


140 – Etwas anderes mag gelten, wenn außergewöhnliche Umstände die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens zum Zeitpunkt der Verhängung der Geldbuße stark beeinträchtigen. Dafür bestehen aber im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte, und Schindler hat sich nicht auf solche außergewöhnlichen Umstände berufen.


141 – Vgl. dazu meine Ausführungen zum sechsten und siebten Rechtsmittelgrund (oben, Nrn. 60 bis 133 dieser Schlussanträge).


142 – Randnr. 194 des angefochtenen Urteils.


143 – Siehe meine Schlussanträge in der Rechtssache Akzo Nobel u. a./Kommission (zitiert in Fn. 37, Nr. 99).


144 – Randnrn. 185 bis 196 des angefochtenen Urteils.


145 – In diesem Sinne Urteile Dansk Rørindustri u. a./Kommission (zitiert in Fn. 75, Randnr. 319), und vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission (C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 365).


146 – In diesem Sinne Urteile Aalborg Portland u. a./Kommission (zitiert in Fn. 145, Randnr. 365), Dansk Rørindustri u. a./Kommission (zitiert in Fn. 75, Randnrn. 244 und 303) und Baustahlgewebe/Kommission (zitiert in Fn. 14, Randnr. 128).


147 – Urteil E.ON Energie/Kommission (zitiert in Fn. 40, Randnrn. 125 und 126).


148 – Vgl. dazu Randnrn. 367 bis 370 des angefochtenen Urteils.


149 – Vgl. oben, Nrn. 199 bis 201 sowie 218 und 219 dieser Schlussanträge.


150 – Schindler zitiert EGMR, Urteil Mamidakis/Griechenland (oben, Fn. 129, §§ 44).


151 – Vgl. oben, insbesondere Nrn. 214 bis 219 dieser Schlussanträge.


152 – Gemäß dem allgemeinen Grundsatz, dass neue Verfahrensregeln auf alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen Rechtsstreitigkeiten Anwendung finden (ständige Rechtsprechung, vgl. nur Urteil vom 12. November 1981, Meridionale Industria Salumi u. a., 212/80 bis 217/80, Slg. 1981, 2735, Randnr. 9), richtet sich die Kostenentscheidung im vorliegenden Fall nach der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, die am 1. November 2012 in Kraft getreten ist (in diesem Sinne Urteil vom 6. Dezember 2012, Kommission/Verhuizingen Coppens, C-441/11 P, Randnrn. 83 bis 85). Inhaltlich besteht allerdings kein Unterschied zu Art. 69 § 2 in Verbindung mit Art. 118 und Art. 122 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 19. Juni 1991.


153 – Urteil vom 14. September 2010, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission (C‑550/07 P, Slg. 2010, I‑8301, Randnr. 123); im selben Sinne Urteil vom 31. Mai 2001, D und Schweden/Rat (C‑122/99 P und C‑125/99 P, Slg. 2001, I‑4319, Randnr. 65), in letzterem Fall hatten D und das Königreich Schweden sogar zwei getrennte Rechtsmittel eingelegt und wurden dennoch gesamtschuldnerisch zur Tragung der Kosten verurteilt.


154 – So geschehen im Urteil Evonik Degussa/Kommission (zitiert in Fn. 75, Ziff. 3 des Tenors).


155 – Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall grundlegend von der Rechtssache Evonik Degussa/Kommission (zitiert in Fn. 75), in der die Gültigkeit der Verordnung Nr. 17 noch als neue Rechtsfrage mit Grundsatzcharakter angesehen werden konnte. Auch in der Rechtssache Inuit Tapiriit Kanatami u.a./Parlament und Rat (C‑583/11 P) ist eine noch ungelöste Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu klären, weswegen ich dem Gerichtshof vorgeschlagen habe, dort von Art. 184 Abs. 4 Satz 2 der Verfahrensordnung Gebrauch zu machen und der Kommission als Streithelferin aus erster Instanz ihre eigenen Kosten aufzuerlegen (vgl. dazu Nrn. 151 und 152 meiner Schlussanträge vom 17. Januar 2013 in jener Rechtssache).


156 – In diesem Sinne z. B. Urteil vom 19. Juli 2012, Rat/Zhejiang Xinan Chemical Industrial Group (C‑337/09 P, Randnr. 112); in jenem Fall wurden dem Rat als unterlegenem Rechtsmittelführer u. a. die Kosten von Audace als gegnerischer Streithelferin aus erster Instanz auferlegt, die ihrerseits mit ihren Anträgen im Rechtsmittelverfahren obsiegt hatte.