Language of document : ECLI:EU:C:2017:134

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 16. Februar 2017(1)

Rechtssache C‑36/16

Minister Finansów

gegen

Posnania Investment SA

(Vorabentscheidungsersuchen des Naczelny Sąd Administracyjny [Oberstes Verwaltungsgericht, Polen])

„Vorabentscheidungsersuchen – Steuerrecht – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Steuerpflichtige Umsätze – Lieferung gegen Entgelt – Handeln eines Steuerpflichtigen als solchem – Steuerpflicht der Hingabe eines Gegenstands an Zahlungs statt zur Tilgung einer Steuerschuld“






I.      Einleitung

1.        Ist die Hingabe von Gegenständen an Zahlungs statt zur Begleichung von Steuerschulden ein mehrwertsteuerpflichtiger Umsatz, wenn der Steuerschuldner zugleich auch ein Steuerpflichtiger im Sinne des Mehrwertsteuerrechts ist? Diese bisher ungeklärte Frage liegt dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zugrunde.

2.        Im Ausgangsverfahren hat eine Gesellschaft von einer solchen, im polnischen Steuerverfahrensrecht eingeräumten, Möglichkeit zur Begleichung von Steuerrückständen durch Naturalien Gebrauch gemacht, indem sie das Eigentum an einem Grundstück auf den Staat übertragen hat. Allerdings war diese Gesellschaft u. a. auch als Immobilienhändlerin tätig.

3.        Die Frage, ob ein Vorgang der Steuerbegleichung erneut besteuert werden kann, mutet dabei eigentümlich an. Auch im Hinblick auf den indirekten Charakter der Mehrwertsteuer, bei der die Steuerlast auf den Empfänger – hier den Staat – übergewälzt werden soll, erscheint die Annahme einer Mehrwertsteuerpflicht merkwürdig.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

4.        Den unionsrechtlichen Rahmen des Falles liefert Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(2) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie). Danach unterliegen der Mehrwertsteuer:

„Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt …“.

5.        Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie definiert den Steuerpflichtigen wie folgt:

„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt.

Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

6.        Art. 16 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie regelt außerdem:

„Einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellt ist die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen privaten Bedarf oder für den Bedarf seines Personals oder als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben.“

B.      Nationales Recht

7.        Die Vorgaben der Mehrwertsteuerrichtlinie hat der polnische Gesetzgeber insoweit umgesetzt. Darüber hinaus räumt nach Angaben des vorlegenden Gerichts Art. 66 § 1 der als Gesetz vom 29. August 1997 ergangenen Abgabenordnung dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit ein, Rückstände bei der Steuerschuld durch die Übertragung von Eigentum an den Fiskus oder u. a. eine Gemeinde zu begleichen, sofern dieser das Aufkommen der entsprechenden Steuer zugutekommt. Nach Art. 66 § 2 der polnischen Abgabenordnung erfolgt diese Übertragung und das damit einhergehende Erlöschen der Steuerschuld auf der Grundlage eines Vertrags zwischen der Gemeinde (bzw. dem Fiskus etc.), dessen Modalitäten Art. 66 §§ 2 und 3 der polnischen Abgabenordnung näher regeln. Der Zeitpunkt, in dem die Steuerschuld erlischt, ist nach Art. 66 § 4 der polnischen Abgabenordnung der Moment des Eigentumsübergangs an dem hingegebenen Gegenstand.

III. Ausgangsrechtsstreit

8.        Die Klägerin im Ausgangsverfahren, Posnania Investment SA (im Folgenden: Gesellschaft oder Klägerin), ist eine u. a. im Immobilienhandel tätige Gesellschaft polnischen Rechts. Um Steuerrückstände zu begleichen, machte sie von der Möglichkeit des Art. 66 § 1 der polnischen Abgabenordnung Gebrauch und schloss mit der zuständigen Gemeinde am 5. Februar 2013 einen Vertrag über die Übertragung des Eigentums an einem unbebauten Grundstück. Dies hat zu einem teilweisen Erlöschen der Steuerschuld geführt.

9.        In der Folge ersuchte die Gesellschaft den Finanzminister um die Beantwortung der Frage, ob die Eigentumsübertragung an die Gemeinde der Mehrwertsteuer unterliege. Nach ihrer Ansicht konnte dies nicht der Fall sein. Dazu führte sie insbesondere die Rechtsprechung des Obersten Verwaltungsgerichts an, wonach die Eigentumsübertragung auf den Fiskus als Ausgleich für Steuerrückstände bei Steuern, die dem Staatshaushalt zugutekämen, nicht der Mehrwertsteuer unterliege.

10.      Demgegenüber war der Finanzminister in seiner Auskunft vom 10. Mai 2013 der Ansicht, dass die Eigentumsübertragung seitens der Gesellschaft eine grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegende Lieferung sei. Dagegen klagte die Gesellschaft.

11.      Das erstinstanzliche Gericht hob mit Urteil vom 13. Februar 2014 die Auskunft des Finanzministers unter Verweis auf die genannte Rechtsprechung des Obersten Verwaltungsgerichts auf. Insbesondere habe das Vorgehen der Finanzverwaltung gegen den „Grundsatz der Vertrauensbildung“ verstoßen. Gegen dieses Urteil legte der Finanzminister Kassationsbeschwerde ein.

IV.    Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

12.      Mit Beschluss vom 21. September 2015 hat das nun mit der Sache befasste Oberste Verwaltungsgericht dem Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stellt die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück (einer Sache) durch den Mehrwertsteuerpflichtigen auf

a)      den Fiskus – als Ausgleich für Steuerrückstände bei Steuern, die dem Staatshaushalt zugutekommen – oder

b)      die Gemeinde, den Kreis oder die Woiwodschaft – als Ausgleich für Steuerrückstände bei Steuern, die deren Haushalten zugutekommen –,

was zum Erlöschen der Steuerschuld führt, eine steuerpflichtige Handlung (Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt) im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dar?

13.      Zu dieser Frage haben im Verfahren vor dem Gerichtshof die Republik Polen und die Europäische Kommission schriftlich Stellung genommen.

V.      Rechtliche Würdigung

14.      Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält für die Steuerentstehung fünf Voraussetzungen. Es muss eine Lieferung oder Dienstleistung (1) vorliegen, die ein Steuerpflichtiger (2) als solcher (3) gegen Entgelt (4) im Gebiet eines Mitgliedstaats (5) ausführt. Von diesen Voraussetzungen liegen drei unstreitig vor. Die Übertragung eines Grundstücks ist eine Lieferung. Diese Lieferung erfolgte auch durch einen Steuerpflichtigen und im Gebiet eines Mitgliedstaats.

15.      Die Beantwortung der Vorlagefrage setzt nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie daher die Prüfung voraus, ob in diesem Fall eine Lieferung „gegen Entgelt“ angenommen werden kann (dazu unter A), bei der der Steuerpflichtige „als solcher“ gehandelt hat (dazu unter B).

A.      Lieferung eines Steuerpflichtigen im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt

16.      Die Überlassung des Grundstücks im Rahmen der Steuertilgung erfolgte in Übereinstimmung mit der Kommission und der Republik Polen gegen Entgelt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie. Der Erlass einer Geldverbindlichkeit im Zuge einer Lieferung kann nicht anders als die Begründung einer Geldforderung aufgrund einer Lieferung behandelt werden.

17.      Fraglich könnte allenfalls sein, ob der Lieferung und dem Erlass der Steuerschulden ein gegenseitiges Rechtsverhältnis zugrunde liegt. Ein solches hat der Gerichtshof in der Tat in seinen Entscheidungen für notwendig erachtet. Eine Lieferung von Gegenständen werde nur dann im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie „gegen Entgelt“ erbracht, wenn zwischen dem Lieferer und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Lieferer empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für den an den Leistungsempfänger gelieferten Gegenstand bilde(3).

18.      Dass der Lieferung des Grundstücks und dem Erlöschen der Steuerschulden im vorliegenden Fall ein Rechtsverhältnis zugrunde liegt, folgt schon aus Art. 66 § 1 der polnischen Abgabenordnung. Dieser normiert ein gesetzliches Rechtsverhältnis. Es wird auch durch den in Art. 66 § 2 der polnischen Abgabenordnung vorgesehenen öffentlich-rechtlichen Vertrag bestätigt. Fraglich ist allenfalls, ob bei einem gesetzlichen Erlöschen der Steuerschuld (Art. 66 § 4 der polnischen Abgabenordnung) aufgrund der Hingabe eines Gegenstands an Zahlungs statt tatsächlich ein gegenseitiges oder nur ein einseitiges Rechtsverhältnis vorliegt. Letztendlich kann dies aber offenbleiben.

19.      Die Mehrwertsteuer ist eine allgemeine Verbrauchsteuer(4), welche den Aufwand des Leistungsempfängers für den Empfang eines verbrauchbaren Vorteils (Lieferung oder Dienstleistung) besteuert. Daher muss der Begriff eines dafür für notwendig erachteten Rechtsverhältnisses sehr weit verstanden werden. Weder kann es auf die zivilrechtliche Gültigkeit noch auf die zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Grundlage noch auf die Gegenseitigkeit dieser Grundlage ankommen. Entscheidend ist allein, ob der Empfänger für einen verbrauchbaren Vorteil (eine Lieferung oder Dienstleistung), der ihm durch einen Steuerpflichtigen zugewendet wird, Vermögen aufwendet(5). Maßgebend ist mithin die Gegenseitigkeit zwischen dem Aufwand und dem verbrauchbaren Vorteil und nicht die Gegenseitigkeit der zivil- oder öffentlich-rechtlichen Grundlagen.

20.      Bei diesem verbrauchsteuerrechtlich gebotenen weiten Verständnis eines entgeltlichen Umsatzes ist im vorliegenden Fall – in Übereinstimmung mit der Kommission und der Republik Polen – eine Lieferung gegen Entgelt zu bejahen. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerschulden kraft Gesetzes mit Übertragung des Eigentums an dem Grundstück (Art. 66 § 4 der polnischen Abgabenordnung) erlöschen.

B.      Handeln eines Steuerpflichtigen als solchem

1.      Bezahlung von Steuerschulden als wirtschaftliche Tätigkeit?

21.      Darüber hinaus ist zu klären, ob ein Mehrwertsteuerpflichtiger, der als Steuerschuldner seine Steuern nicht mit Geld, sondern mit Naturalien bezahlt, insoweit auch als Mehrwertsteuerpflichtiger, d. h. „als solcher“, im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie handelt.

22.      Ein Steuerpflichtiger handelt in dieser Eigenschaft („als solcher“) nur, wenn er Umsätze im Rahmen seiner steuerbaren Tätigkeit ausführt(6). Wie sich des Weiteren aus Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergibt, genügt dafür allein eine entgeltliche Tätigkeit nicht. Vielmehr verlangt die Richtlinie eine gewisse Qualität, nämlich eine wirtschaftliche Tätigkeit im Moment des Handelns.

23.      Damit ist die hier entscheidende Frage, ob die Begleichung von Steuerschulden eine wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerschuldners im Sinne des Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellt. Wenn dies verneint wird, dann wäre noch zu fragen, ob sich daran etwas ändert, wenn die Steuerschulden nicht mittels Geld, sondern mittels Naturalien beglichen werden.

24.      Der Begriff „wirtschaftliche Tätigkeiten“ umfasst nach Art. 9 Abs. 1 Satz 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden und schließt nach der Rechtsprechung sämtliche Stadien der Erzeugung, des Handels und der Erbringung von Dienstleistungen ein(7).

25.      Art. 9 Abs. 1 Satz 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie umschreibt die wirtschaftlichen Tätigkeiten mit Berufsbildern. Hierbei handelt es sich bei genauer Betrachtung um eine typologische Umschreibung, indem Typen (Berufsbilder) von Unternehmen aufgezählt werden. Im Gegensatz zu einem abstrakten Begriff ist eine typologische Umschreibung offener. Die Zugehörigkeit zum Typus muss nicht durch logisch-abstrakte Subsumtion, sondern kann nach dem Grad der Ähnlichkeit mit dem Urbild (Muster) bestimmt werden. Die für den Typus charakteristischen Merkmale müssen nicht alle vorliegen, sondern das eine oder andere Merkmal kann im Einzelfall fehlen. Der zu beurteilende Einzelfall wird lediglich dem Typus im Wege des Ähnlichkeitsvergleichs wertend zugeordnet. Diese Zuordnung verlangt eine Gesamtbildbetrachtung im Einzelfall, die die Verkehrsanschauung berücksichtigt und auf den Grad der Ähnlichkeit mit dem Typus (Urbild) abstellt.

26.      Auch wenn der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit weit auszulegen ist(8), ist die Bezahlung von Steuerschulden keine solche wirtschaftliche Tätigkeit. Vielmehr ist die Steuerzahlung schlicht die Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen, persönlichen Pflicht, die für jeden Steuerschuldner besteht, selbst wenn er keine mehrwertsteuerpflichtige Person ist. Dabei bleibt es auch dann, wenn es sich um Steuern aufgrund einer wirtschaftlichen Tätigkeit – wie z. B. der Bezahlung von Mehrwertsteuerschulden – handelt.

27.      An diesem Befund ändert sich auch nichts, wenn die Steuerschuld durch Naturalien bezahlt wird. Die Hingabe der Naturalien stellt letztendlich nur einen besonderen Zahlungsmodus im Rahmen der Steuererhebung dar. Wie in einem normalen Steuerverfahren auch wird die gesetzlich entstandene Steuerschuld statt durch Geld durch einen Naturalgegenstand in Höhe von dessen objektivem Wert – und nicht in Höhe eines Kaufpreises – bezahlt. Ein solches Handeln im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Steuererhebung kann daher nicht als wirtschaftliche Tätigkeit bezeichnet werden. Mit der Tätigkeit eines typischen Mehrwertsteuerpflichtigen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie (z. B. mit einem Händler, der Gegenstände ankauft, um sie zu verkaufen) ist die Hingabe von Vermögensgegenständen zur Bezahlung der eigenen Steuerschuld nicht ansatzweise vergleichbar.

28.      Daran ändert auch der in der polnischen Abgabenordnung vorgesehene öffentlich-rechtliche Vertrag nichts. Er sichert lediglich das Einverständnis der Beteiligten über diese besondere Zahlungsmodalität ab. Der Steuergläubiger erklärt damit nur sein Einverständnis, dass die Steuerschuld mit diesen Naturalien getilgt werden kann.

29.      Darüber hinaus enthält das Vorabentscheidungsersuchen auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass das nationale Recht es dem Fiskus erlauben würde, auf den Steuerschuldner zuzugehen und ihm anzubieten, statt die Steuern mittels Geld zu bezahlen, doch lieber ein bestimmtes Grundstück zu übereignen, was man andernfalls käuflich erwerben müsste. Allein der Steuerschuldner hat es in der Hand, ob und durch welche Naturalien er seine Steuern bezahlen möchte. Der Fiskus kann sich dann allenfalls damit einverstanden erklären, nicht aber eine solche Bezahlung verlangen.

30.      Insbesondere erlischt die Steuerschuld kraft Gesetzes mit der Übertragung in Höhe des Wertes des Gegenstands. Sie ist nicht von dem Willen bzw. der Verhandlung der Parteien des öffentlich-rechtlichen Vertrags abhängig. Der Wert des Gegenstands wird in einem rechtsstaatlichen Steuerstaat wohl anhand abstrakter – für alle Steuerschuldner geltender – Bewertungsmaßstäbe bestimmt werden. Unter diesen Prämissen – die allerdings das vorlegende Gericht zu überprüfen hat – kann bei der Bezahlung von Steuerschulden durch Hingabe eines Gegenstands grundsätzlich nicht von einer (typischen) wirtschaftlichen Tätigkeit gesprochen werden.

2.      Ausnahme aufgrund der Nähe zur steuerpflichtigen Haupttätigkeit?

31.      Allerdings erfolgte hier die Übertragung des Grundstücks z. B. nicht durch einen Rechtsanwalt oder einen Arzt, sondern durch einen Grundstückshändler. Damit ist eine gewisse Nähe der Tätigkeit (Hingabe des Grundstücks an Zahlungs statt) zu der ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit (dem Grundstückshandel) nicht von der Hand zu weisen.

32.      Mit einer ähnlichen Konstellation hatte sich der Gerichtshof in der Rechtssache Kostov(9) befasst. Hier hatte ein Steuerpflichtiger (ein selbständiger Gerichtsvollzieher) einzelne Geschäftsbesorgungsverträge zur Ersteigerung von Grundstücken für Dritte abgeschlossen, die in einer gewissen inhaltlichen Nähe zu seiner Haupttätigkeit (Versteigerung) standen. Der Gerichtshof bejahte deren Steuerpflichtigkeit.

33.      Der Gerichtshof führte aus, „dass Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass eine natürliche Person, die bereits für ihre Tätigkeit als selbständiger Gerichtsvollzieher mehrwertsteuerpflichtig ist, für jede weitere, gelegentlich ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit als „Steuerpflichtiger“ anzusehen ist, sofern diese Tätigkeit eine Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellt“(10).

34.      Dies kann aber nicht dahin gehend verstanden werden, dass alle Handlungen eines Steuerpflichtigen gegen Entgelt plötzlich auch in seiner Eigenschaft als Steuerpflichtiger erfolgen. In dem konkret entschiedenen Fall bestand nämlich ein enger Zusammenhang der „Nebentätigkeit“ des Gerichtsvollziehers mit seiner steuerpflichtigen Haupttätigkeit. Daher war bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise die dort streitige, nur gelegentlich ausgeübte Geschäftsbesorgung für fremde Dritte in der Tat auch eine wirtschaftliche Tätigkeit.

35.      Dagegen liegt bei der Bezahlung von Steuerschulden eines Grundstückshändlers durch die Hingabe eines Grundstücks an Zahlungs statt bei typisierender Betrachtung keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie vor.

36.      Zwar verlangt das Gebot der Wettbewerbsneutralität – wie die Kommission sinngemäß geltend macht –, dass alle konkurrierenden Verbraucherversorger in gleicher Weise der Mehrwertsteuer unterliegen. Bei der Bezahlung von Steuerschulden durch Naturalien liegt aber gar keine Konkurrenzsituation mit anderen Steuerschuldnern vor. Der seine Steuerschuld bezahlende Steuerschuldner konkurriert in diesem Moment auch nicht mit einem anderen Mehrwertsteuerpflichtigen (z. B. anderen Grundstückshändlern). Er besitzt nämlich keine Verhandlungsmacht bei der „Kaufpreisfindung“ des hinzugebenden Gegenstands. Vielmehr erfolgt die Bewertung des hinzugebenden Grundstücks im Rahmen der Steuererhebung wohl nach objektiven Kriterien. Damit kann ein Wettbewerb über den Preis gerade nicht stattfinden.

37.      Die Hingabe eines Gegenstands zur Begleichung von Steuerschulden findet insofern außerhalb eines jeden Marktes statt. Dies gilt für „normale“ Steuerschuldner gleichermaßen wie für Steuerschuldner, die zugleich auch mehrwertsteuerpflichtige Personen sind. Auch der Staat hat als Leistungsempfänger keine Wahlmöglichkeit, ob er dieses Grundstück oder ein anderes „erwirbt“. Er hat nur die Wahl, ob er statt Geldmittel auch Naturalien in Höhe deren objektiven Wertes zur Steuertilgung akzeptiert.

38.      Entsprechend hält der Gerichtshof sogar einen unumstritten wirtschaftlichen und entgeltlichen Vorgang (den Verkauf von Drogen) für nicht steuerbar, wenn jeder (legale) Wettbewerb innerhalb eines Wirtschaftssektors ausgeschlossen ist(11). Dieser Gedanke kann für die vorliegende Konstellation fruchtbar gemacht werden. Bei dem Erlöschen der persönlichen Steuerschuld durch die Übereignung von Naturalien auf den Steuergläubiger (d. h. bei der Steuererhebung) ist ebenfalls jeder Wettbewerb der Steuerpflichtigen untereinander ausgeschlossen.

39.      Entscheidend ist, ob es das nationale Recht (hier über den vorgesehenen öffentlich-rechtlichen Vertrag) im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Steuererhebung den Beteiligten erlaubt, den hinzugebenden Gegenstand und den Preis – wie bei einem Kauf –einvernehmlich zu bestimmen. Solange dies nicht der Fall ist, handelt der Mehrwertsteuerpflichtige bei der Begleichung seiner Steuerschuld nicht im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit. Er handelt dann nicht „als solcher“ im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie. Das gilt auch, wenn der Mehrwertsteuerpflichtige ein Grundstückshändler ist und statt Geld ein Grundstück an Zahlungs statt übereignet.

3.      Charakter der Mehrwertsteuer

40.      Der Charakter der Mehrwertsteuer als indirekte Verbrauchsteuer bestätigt dieses Ergebnis. Die Mehrwertsteuer ist vom Endverbraucher zu tragen(12), wobei der Steuerpflichtige „nur“ als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates(13) agiert. Auch dies spricht im vorliegenden Fall gegen die Annahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit. Eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie geht erkennbar davon aus, dass der Steuerpflichtige mittels seiner Gegenleistung – die er mit seinem Vertragspartner aushandelt – die Mehrwertsteuer auf den Leistungsempfänger überwälzen und von diesem einsammeln kann. Dieser Gedanke verträgt sich nicht mit einem kraft Gesetzes erlöschenden Steueranspruch und der Tatsache, dass der empfangende Staat Steuer einnehmen und nicht weitere Steuern (hier die auf ihn überzuwälzende Mehrwertsteuer) tragen will.

4.      Gefahr der Bevorteilung des Staates als „Konsument“?

41.      Die von der Kommission dagegen geäußerten Bedenken bezüglich der Gefahr einer Bevorteilung des Steuerschuldners bzw. des Staates vermag ich dabei nicht zu erkennen. Der Steuerschuldner erhält keinen Vorteil, da die Hingabe eines Gegenstands zum Zweck der Steuerzahlung von einer Mehrwertsteuerpflicht nicht tangiert würde. Denn eine solche Pflicht würde sich wie folgt auswirken: Wenn ein Steuerschuldner eine Steuer in Höhe von X schuldet, das Grundstück einen Wert von X besitzt und der Vorgang steuerbar ist, dann würde die Steuer in Höhe von X erlöschen und der Staat müsste dem Steuerschuldner noch die Mehrwertsteuer zusätzlich zahlen, damit der Steuerpflichtige sie (wieder an den Staat) abführen kann. Der Staat hingegen würde auch keine Mehrwertsteuer sparen, da er die Naturalien unabhängig von seinem eigenen Konsumbedarf erhält, mithin nicht anderweitige, mit Mehrwertsteuer belastete Aufwendungen erspart.

42.      Entgegen der Auffassung der Kommission besteht vielmehr die Gefahr, dass die Annahme eines steuerbaren Vorgangs den Vorsteuerabzug sogar für den Erwerb privat genutzter Vermögensgegenstände eröffnet, weil diese möglicherweise einmal zur Begleichung von Steuerschulden verwendet werden sollen(14).

43.      Auch die unterschiedliche Behandlung der Steuerzahlung – je nachdem, ob die Steuern durch Geld (keine Steuerbelastung) oder durch Naturalien (hier volle Steuerbelastung) bezahlt werden – würde nicht einleuchten. Gleiches gilt für die unterschiedliche Behandlung der Steuerzahlungen durch Naturalien, je nachdem, ob sie durch mehrwertsteuerpflichtige oder nicht mehrwertsteuerpflichtige Personen erfolgen. Für die Höhe des Steueraufkommens (aus den anderen Steuerarten, aus denen die Steuerschulden resultieren) kann diese mehrwertsteuerrechtliche Qualifikation keine Rolle spielen.

44.      Insofern verbleibt letztendlich allein die Gefahr eines unversteuerten Letztverbrauchs, wenn die Hingabe von Naturalien an Zahlungs statt nicht als wirtschaftliche Tätigkeit betrachtet werden würde. Diese Gefahr besteht aber nur, wenn der Leistende (hier die Gesellschaft) aufgrund seiner Eigenschaft als Mehrwertsteuerpflichtiger bereits einen Vorsteuerabzug bezüglich des hingegebenen Gegenstands vorgenommen hatte.

45.      Dieser Gefahr beugen jedoch systemkonform die Vorschriften von Art. 16 (und auch Art. 26) der Mehrwertsteuerrichtlinie vor. Wenn die Bezahlung von Steuern mittels Naturalien keine wirtschaftliche Tätigkeit ist, dann werden die Gegenstände mit der Hingabe an Zahlungs statt zu unternehmensfremden Zwecken aus dem Unternehmen entnommen. Über Art. 16 der Mehrwertsteuerrichtlinie wird dann ein vorgenommener Vorsteuerabzug korrigiert und damit ein unversteuerter Letztverbrauch verhindert. Der Mehrwertsteuerpflichtige wird dann so behandelt, wie eine Privatperson, welche einen Gegenstand zur Begleichung von Steuerschulden an den Staat abgibt. Damit wird im Ergebnis eine Gleichbehandlung aller Steuerzahlungen aller Steuerschuldner sichergestellt, unabhängig davon, ob sie (mehr oder weniger zufällig) zugleich auch noch eine mehrwertsteuerpflichtige Person sind.

5.      Ergebnis

46.      Im Ergebnis ist die Hingabe eines Gegenstands aus dem Vermögen des Steuerpflichtigen zur Bezahlung seiner Steuerschulden an Zahlungs statt keine wirtschaftliche Tätigkeit, bei der der Steuerpflichtige „als solcher“ im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie handelt. Das gilt auch dann, wenn er einen Gegenstand hingibt, mit dem er normalerweise im Rahmen seines Unternehmens handeln würde. Insofern fehlt es an einem der Mehrwertsteuer unterliegenden Umsatz im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie.

VI.    Entscheidungsvorschlag

47.      Somit schlage ich vor, auf die Vorlagefrage des Obersten Verwaltungsgerichts wie folgt zu antworten:

Die zum Erlöschen der Steuerschuld kraft Gesetzes führende Übertragung des Eigentums an einem Grundstück durch den Mehrwertsteuerpflichtigen auf den Steuergläubiger stellt keine steuerpflichtige Handlung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie dar. Der Steuerpflichtige handelt insoweit nicht als solcher. Allerdings ist ein vorgenommener Vorsteuerabzug bezüglich des hingegebenen Gegenstands nach Art. 16 der Mehrwertsteuerrichtlinie zu korrigieren.

Voraussetzung ist, dass die Möglichkeit der Zahlung von Steuern mittels Naturalien an Zahlungs statt nur dem Steuerschuldner offensteht und durch den vorgesehenen öffentlich-rechtlichen Vertrag lediglich vollzogen wird. Die Parteien dürfen insoweit keinen Einfluss auf den „Kaufpreis“ haben. Dieser muss vielmehr nach objektiven Bewertungsmaßstäben ermittelt werden, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.


1      Originalsprache: Deutsch.


2 ABl. 2006, L 347, S. 1.


3 Urteile vom 21. November 2013, Dixons Retail (C‑494/12, EU:C:2013:758, Rn. 32), vom 20. Juni 2013, Newey (C‑653/11, EU:C:2013:409, Rn.40), vom 23. März 2006, FCE Bank (C‑210/04, EU:C:2006:196, Rn. 34), vom 17. September 2002, Town & County Factors (C‑498/99, EU:C:2002:494, Rn. 18), und vom 3. März 1994, Tolsma (C‑16/93, EU:C:1994:80, Rn. 14).


4 Urteile vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C‑317/94, EU:C:1996:400, Rn. 19), und vom 7. November 2013, Tulică und Plavoşin (C‑249/12 und C‑250/12, EU:C:2013:722, Rn. 34), sowie Beschluss vom 9. Dezember 2011, Connoisseur Belgium (C‑69/11, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:825, Rn. 21).


5 Auch das nach Erfüllung des Bewirtungsvertrags einseitig und freiwillig gezahlte Trinkgeld in einem Restaurant stellt daher ein Entgelt für eine Dienstleistung dar.


6      Vgl. in diesem Sinne die Urteile vom 4. Oktober 1995, Armbrecht (C‑291/92, EU:C:1995:304, Rn. 17 ff.), vom 29. April 2004, EDM (C‑77/01, EU:C:2004:243, Rn. 66), und vom 12. Januar 2006, Optigen u. a. (C‑354/03, C‑355/03 und C‑484/03, EU:C:2006:16, Rn. 42).


7 Vgl. u. a. Urteile vom 4. Dezember 1990, van Tiem (C‑186/89, EU:C:1990:429, Rn. 17), vom 26. Juni 2003, MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring (C‑305/01, EU:C:2003:377, Rn. 41), und vom 12. Januar 2006, Optigen u. a. (C‑354/03, C‑355/03 und C‑484/03, EU:C:2006:16, Rn. 41).


8 Urteile vom 12. September 2000, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑359/97, EU:C:2000:426, Rn. 39), vom 26. Juni 2003, MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring (C‑305/01, EU:C:2003:377, Rn. 42), vom 26. Juni 2007, T‑Mobile Austria u. a. (C‑284/04, EU:C:2007:381, Rn. 35), und vom 20. Juni 2013, Fuchs (C‑219/12, EU:C:2013:413, Rn. 17).


9 Urteil vom 13. Juni 2013, Kostov (C‑62/12, EU:C:2013:391).


10 Urteil vom 13. Juni 2013, Kostov (C‑62/12, EU:C:2013:391, Rn. 31).


11 Vgl. u. a. Urteile vom 29. Juni 1999, Coffeeshop „Siberië“ (C‑158/98, EU:C:1999:334, Rn. 14 und 21), vom 29. Juni 2000, Salumets u. a. (C‑455/98, EU:C:2000:352, Rn. 19), und vom 12. Januar 2006, Optigen u. a. (C‑354/03, C‑355/03 und C‑484/03, EU:C:2006:16, Rn. 49).


12 Urteile vom 24. Oktober 1996, Elida Gibbs (C‑317/94, EU:C:1996:400, Rn. 19), und vom 7. November 2013, Tulică und Plavoşin (C‑249/12 und C‑250/12, EU:C:2013:722, Rn. 34), sowie Beschluss vom 9. Dezember 2011, Connoisseur Belgium (C‑69/11, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:825, Rn. 21).


13 Urteile vom 20. Oktober 1993, Balocchi (C‑10/92, EU:C:1993:846, Rn. 25), und vom 21. Februar 2008, Netto Supermarkt (C‑271/06, EU:C:2008:105, Rn. 21).


14 Insbesondere dauerdefizitäre Hobbytätigkeiten von Steuerpflichtigen (im Ertragsteuerrecht sind hier häufig selbständige Anwälte und Ärzte mit privaten Weingütern, Pferdegestüten, Segelyachten etc. zu finden) ließen sich dann durch den Vorsteuerabzug sehr effektiv zulasten der Allgemeinheit betreiben.