Language of document : ECLI:EU:C:2013:471

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NIILO JÄÄSKINEN

vom 11. Juli 2013(1)

Rechtssache C‑22/12

Katarína Haasová

gegen

Rastislav Petrík und Blanka Holingová

(Vorabentscheidungsersuchen des Krajský súd v Prešove [Slowakei])

Rechtssache C‑277/12

Vitālijs Drozdovs, vertreten durch Valentīna Balakireva,

gegen

AAS „Baltikums“

(Vorabentscheidungsersuchen des Augstākās tiesas Senāts [Lettland])

„Angleichung der Rechtsvorschriften – Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung – Durch diese Versicherung gedeckte Schäden – Richtlinie 72/166/EWG – Art. 3 Abs. 1 – Richtlinie 84/5/EWG – Art. 1 Abs. 1 und 2 – Richtlinie 90/232/EWG – Art. 1 – Begriff ‚Personenschäden‘ – Einbeziehung eines immateriellen Schadens – Schadensersatz für den immateriellen Schaden, der durch den Tod einer nahestehenden Person bei einem Verkehrsunfall entstanden ist – Mindestdeckungssummen“





I –    Einleitung

1.        Die beiden Rechtssachen, die Gegenstand dieser Schlussanträge sind, betreffen den eventuellen Ersatz des durch den Tod einer nahestehenden Person bei einem Verkehrsunfall entstandenen Schadens durch die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung(2). In Anbetracht der Gemeinsamkeiten, die zwischen diesen beiden Rechtssachen bestehen, insbesondere des Umstands, dass die in ihnen aufgeworfene zentrale Rechtsfrage identisch ist, sind gemeinsame Schlussanträge zu diesem Thema meines Erachtens zweckmäßig, auch wenn der Gerichtshof es wegen des fehlenden tatsächlichen Zusammenhangs zwischen ihnen nicht in Betracht gezogen hat, sie zu verbinden.

2.        Die erste Rechtssache, die unter der Nr. C‑22/12 in das Register eingetragen wurde (im Folgenden: Rechtssache Haasová), betrifft das Vorabentscheidungsersuchen des Krajský súd v Prešove (Slowakei), das auf die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht(3) (im Folgenden: Erste Richtlinie) und von Art. 1 Abs. 1 der Dritten Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung(4) (im Folgenden: Dritte Richtlinie) gerichtet ist.

3.        Die zweite Rechtssache, die die Nummer C‑277/12 trägt (im Folgenden: Rechtssache Drozdovs), betrifft das Vorabentscheidungsersuchen des Augstākās tiesas Senāts (Lettland), das ebenfalls die Auslegung von Art. 3 der Ersten Richtlinie sowie die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und 2 der Zweiten Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung(5) (im Folgenden: Zweite Richtlinie) bezweckt.

4.        Betrachtet man die Fragen, die dem Gerichtshof in den Rechtssachen Haasová und Drozdovs vorgelegt wurden, gemeinsam, so zeigen sich drei Problembereiche.

5.        Erstens geht es bei dem vergleichbaren Hauptproblem dieser beiden Rechtssachen um die Frage, ob Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie, Art. 1 Abs. 1 und 2 der Zweiten Richtlinie sowie Art. 1 Abs. 1 der Dritten Richtlinie(6) dahin auszulegen sind, dass ein Nichtvermögensschaden oder moralischer Schaden (im Folgenden: immaterieller Schaden)(7) wie der Schaden, der aus dem Tod eines Elternteils oder des Ehegatten bei einem Verkehrsunfall folgt, ein Teil der Schäden ist, die von der obligatorischen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung gedeckt sein müssen. Dies erfordert insbesondere, den Umfang des Begriffs „Personenschäden“ in den beiden letztgenannten Bestimmungen zu definieren, um festzustellen, ob dieser Begriff einen immateriellen Schaden umfassen kann, der den Personen, die einer unter diesen Umständen getöteten Person nahestanden und die nicht unmittelbar in den Unfall verwickelt waren, entstanden ist.

6.        Zweitens ist der Gerichtshof mit der zweiten Frage, die in der Rechtssache Drozdovs gestellt wurde, aufgerufen, zu entscheiden, ob die Mitgliedstaaten in dem Fall, dass sie zweckmäßige Maßnahmen im Hinblick darauf zu erlassen haben, dass der Schadensersatz für einen solchen Schaden von der in Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie und in Art. 1 Abs. 1 und 2 der Zweiten Richtlinie vorgesehenen Pflichtversicherung gedeckt ist, berechtigt sind, eine Regelung zu erlassen, in der die Schadensdeckung des Versicherers begrenzt wird, und zwar in einer Höhe, die deutlich unter den in diesen Richtlinien vorgesehen Mindestdeckungssummen liegt.

7.        Drittens betrifft die zweite Frage in der Rechtssache Haasová im Wesentlichen den umgekehrten Fall, d. h. dass eine nationale Regelung, die keinen Ersatz des betreffenden Schadens vorsieht, als mit Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie und Art. 1 Abs. 1 der Dritten Richtlinie vereinbar angesehen wird. Der Gerichtshof hat darüber zu entscheiden, ob ein Gericht eines Mitgliedstaats die genannte Regelung im Licht dieser Bestimmungen des Unionsrechts so auslegen kann, dass sie einen solchen Schadensersatz gewährt, obwohl der Wortlaut des anwendbaren nationalen Rechts entgegensteht.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht(8)

1.      Erste Richtlinie

8.        In den Erwägungsgründen 1 bis 3 der Ersten Richtlinie heißt es zum einen, dass jede Grenzkontrolle der Pflicht zur Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung die Wahrung der Interessen von Personen, die möglicherweise bei einem Unfall, der von diesen Fahrzeugen verursacht wird, geschädigt werden, bezweckt, und zum anderen, dass die Unterschiede in den einzelstaatlichen Vorschriften auf diesem Gebiet geeignet sind, den freien Verkehr von Kraftfahrzeugen und Personen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu behindern, und sich daher unmittelbar auf die Errichtung und das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken.

9.        Nach Art. 1 Nr. 2 dieser Richtlinie ist unter „Geschädigter“ im Sinne dieser Richtlinie „jede Person, die ein Recht auf Ersatz eines von einem Fahrzeug verursachten Schadens hat“, zu verstehen.

10.      Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor, dass „[j]eder Mitgliedstaat … alle zweckdienlichen Maßnahmen [trifft], um sicherzustellen, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt ist. Die Schadensdeckung sowie die Modalitäten dieser Versicherung werden im Rahmen dieser Maßnahmen bestimmt.“

2.      Zweite Richtlinie

11.      Nach dem dritten Erwägungsgrund der Zweiten Richtlinie wirken sich die großen Unterschiede, die nach wie vor bezüglich des Umfangs dieser Versicherungspflicht zwischen den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten bestehen, unmittelbar auf Errichtung und Funktionieren des Gemeinsamen Marktes aus.

12.      In den Erwägungsgründen vier und fünf dieser Richtlinie heißt es weiter, dass „[e]s … insbesondere gerechtfertigt [ist], die Versicherungspflicht auch auf Sachschäden zu erstrecken“, und dass „[d]ie Summen, bis zu denen die Versicherungspflicht besteht, … in jedem Fall gestatten [müssen], den Unfallopfern eine ausreichende Entschädigung zu sichern, gleichgültig, in welchem Mitgliedstaat sich der Unfall ereignet hat“.

13.      Art. 1 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1) Die in Artikel 3 Absatz 1 der [Ersten] Richtlinie … bezeichnete Versicherung hat sowohl Sachschäden als auch Personenschäden zu umfassen.

(2) Unbeschadet höherer Deckungssummen, die von den Mitgliedstaaten gegebenenfalls vorgeschrieben werden, fordert jeder Mitgliedstaat für die Pflichtversicherung folgende Mindestbeträge:

–        für Personenschäden 350 000 ECU bei nur einem Unfallopfer; bei mehreren Opfern ein und desselben Unfalls wird dieser Betrag mit der Anzahl der Opfer multipliziert;

–        für Sachschäden ungeachtet der Anzahl der Geschädigten 100 000 ECU.

Die Mitgliedstaaten können statt der vorgenannten Mindestbeträge für Personenschäden – bei mehreren Opfern ein und desselben Unfalls – einen Mindestbetrag von 500 000 ECU oder für Personen- und Sachschäden – ungeachtet der Anzahl der Geschädigten und der Art der Schäden – einen globalen Mindestbetrag von 600 000 ECU je Schadensfall vorsehen.“(9)

3.      Dritte Richtlinie

14.      Der vierte Erwägungsgrund der Dritten Richtlinie lautet: „Den bei Kraftfahrzeug-Verkehrsunfällen Geschädigten sollte unabhängig davon, in welchem Land der Gemeinschaft sich der Unfall ereignet, eine vergleichbare Behandlung garantiert werden.“ Nach dem fünften Erwägungsgrund „[bestehen] Lücken … insbesondere in einigen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Versicherungspflicht für die Fahrzeuginsassen; sie sollten geschlossen werden, um diese besonders stark gefährdete Kategorie potenzieller Geschädigter zu schützen.“

15.      Art. 1 der Dritten Richtlinie sieht insbesondere vor, dass „die in Art. 3 Abs. 1 der [Ersten] Richtlinie … genannte Versicherung die Haftpflicht für aus der Nutzung eines Fahrzeugs resultierende Personenschäden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers [deckt]“.

B –    Nationales Recht

1.      Tschechisches Recht (Rechtssache Haasová) 

16.      Auch wenn sich die Vorlagefragen in der Rechtssache Haasová sowohl auf tschechisches Recht als auch auf slowakisches Recht beziehen(10), wird hier nur Ersteres erwähnt, da es nach dem Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht von Den Haag vom 4. Mai 1971(11) (im Folgenden: Haager Übereinkommen von 1971) auf die Haftpflicht, die durch den betreffenden Unfall entstanden ist, sachlich anwendbar ist, wobei jedoch zu ergänzen ist, dass dies keinen Hinweis auf das im Übrigen auf den Versicherungsvertrag anwendbare Recht gibt(12).

a)      Tschechisches Bürgerliches Gesetzbuch

17.      Art. 11 des Gesetzes Nr. 40/1964(13), Bürgerliches Gesetzbuch (im Folgenden: tschechisches Bürgerliches Gesetzbuch), bestimmt insbesondere, dass „die natürliche Person … Anspruch auf Schutz der eigenen Person, insbesondere auf Schutz des Lebens [hat]“.

18.      Art. 13 dieses Gesetzbuchs lautet:

„(1) Die natürliche Person hat insbesondere Anspruch darauf, dass rechtswidrige Verhaltensweisen, die gegen die Persönlichkeitsrechte verstoßen, unterbleiben, dass die Folgen dieser Verhaltensweisen beseitigt werden und dass der betreffenden Person ein angemessener Schadensersatz zuerkannt wird.

(2) Ist eine angemessene Erfüllung gemäß Abs. 1 nicht möglich, insbesondere weil die Würde einer natürlichen Person oder deren gesellschaftliches Ansehen erheblich verletzt wurde, kann diese auch Ersatz des Nichtvermögensschadens in Geld verlangen.

(3) Die Höhe des Schadensersatzes im Sinne des Abs. 2 bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Schwere des entstandenen Nichtvermögensschadens sowie der die Rechtsverletzung begleitenden Umstände.“

19.       Art. 444 Abs. 3 Buchst. a dieses Gesetzbuchs sieht vor, dass die Hinterbliebenen bei einem Todesfall Anspruch auf eine pauschale Entschädigung in Höhe von 240 000 tschechische Kronen (CZK), d. h. ungefähr 9 300 Euro, im Fall des Verlusts des Ehegatten haben.

b)      Tschechisches Pflichtversicherungsgesetz

20.      Art. 6 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 168/1999(14) über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (im Folgenden: tschechisches Pflichtversicherungsgesetz) bestimmt u. a., dass diese Versicherung „anwendbar [ist] auf jeden, der für einen durch den Gebrauch des im Versicherungsvertrag bezeichneten Kraftfahrzeugs verursachten Schaden haftet“.

21.      Abs. 2 dieses Artikels bestimmt weiter, dass, sofern in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, „das Versicherungsunternehmen dem Versicherungsnehmer gegenüber verpflichtet [ist], dem Geschädigten dem Umfang und der Höhe nach gemäß den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs für den Versicherungsnehmer die folgenden Schäden zu ersetzen: [u. a.] den Schaden wegen Verletzung der Gesundheit oder den durch Tod verursachten Schaden, … sofern der Geschädigte seinen Anspruch geltend gemacht und belegt hat und das schädigende Ereignis, durch das der Schaden verursacht wurde und für das der Versicherungsnehmer haftet, in dem Zeitraum eingetreten ist, in der die Haftpflichtversicherung in Kraft und nicht unterbrochen war.“

2.      Lettisches Recht (Rechtssache Drozdovs)

a)      Lettisches Gesetz über die Pflichtversicherung

22.      Das lettische Gesetz über die Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeugeigentümer(15), genannt „OCTA“, (im Folgenden: lettisches Pflichtversicherungsgesetz) hat u. a. die Erste, die Zweite und die Dritte Richtlinie umgesetzt. Im maßgeblichen Zeitraum galt der Inhalt der folgenden Vorschriften.

23.      Art. 15 („Grenzen der Haftung des Versicherers“) dieses Gesetzes bestimmt:

„(1)      Beim Eintritt des Versicherungsfalls leistet der Versicherer, mit dem der Eigentümer des Fahrzeugs, das den Schaden verursacht hat, den Haftpflichtversicherungsvertrag abgeschlossen hat, … Schadensersatz in einer Höhe, die die gesetzliche Haftungsgrenze für den Versicherer nicht überschreitet:

1. als Schadensersatz für Personenschäden: bis 250 000 lats (LVL) für jedes Opfer;

2. als Schadensersatz für Vermögensschäden bis 70 000 LVL, unabhängig von der Anzahl geschädigter Dritter;

(2)      Dritte haben einen Anspruch auf Ersatz der Schäden, die nicht Gegenstand des Schadensersatzes nach diesem Gesetz sind oder die die nach Maßgabe der gesetzlich geregelten Verfahren festgelegte Haftungsgrenze des Versicherers übersteigen.“

24.      Art. 19 des genannten Gesetzes enthält die Liste der unter das Gesetz fallenden – materiellen oder immateriellen – Schäden, die Unfallopfern bei einem Verkehrsunfall entstehen können. Unter den immateriellen Schäden, die als „Schäden, die dem Opfer Schmerzen und seelische Leiden verursachen“, definiert werden, nennt Abs. 2 Nr. 3 dieses Artikels insbesondere den „Tod des Versorgers der Familie“. Art. 19 Abs. 3 bestimmt, dass „der Ministerrat … die Höhe der Versicherungsleistung für materielle und immaterielle Personenschäden und die Modalitäten ihrer Berechnung fest[legt]“.

25.      Art. 23 Abs. 1 Buchst. a dieses Gesetzes sieht vor, dass minderjährige Kinder, auch wenn sie adoptiert sind, im Fall des Todes ihres Versorgers einen Anspruch auf Schadensersatz von der Versicherung haben.

b)      Das lettische Dekret Nr. 331

26.      Das Dekret Nr. 331 des Ministerrats vom 17. Mai 2005 über die Höhe und die Modalitäten der Berechnung der Versicherungsleistungen für immaterielle Personenschäden(16) (im Folgenden: lettisches Dekret Nr. 331) wurde zur Durchführung von Art. 19 Abs. 3 des lettischen Pflichtversicherungsgesetzes erlassen.

27.      Die Art. 7 und 10 des genannten Dekrets bestimmen, dass die Höhe der Versicherungsleistung für Schmerzen oder seelische Leiden infolge des Todes des Versorgers der Familie für jeden Antragsteller 100 LVL pro Person im Sinne von Art. 23 Abs. 1 des lettischen Pflichtversicherungsgesetzes beträgt und dass der Gesamtbetrag der Versicherungsleistungen für jedes Verkehrsunfallopfer 1 000 LVL nicht übersteigt, wenn für die in den Abschnitten 3, 6, 7 und 8 des Dekrets genannten Schäden Ersatz geleistet worden ist.

III – Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

A –    Rechtssache Haasová (17)

28.      Am 7. August 2008 kam Herr Haas im Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik bei einem Verkehrsunfall, der von Herrn Petrík verursacht worden war, ums Leben. Letzerer fuhr ein in der Slowakei zugelassenes und versichertes Automobil, das Frau Holingová gehörte. Herr Haas war Insasse des Fahrzeugs, das mit einem in der Tschechischen Republik zugelassenen LKW zusammenstieß. Er war verheiratet mit Frau Haasová und hatte eine Tochter, die am 22. April 1999 geboren war; sie waren am Unfallort nicht anwesend. Alle Beteiligten waren oder sind slowakische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Slowakei.

29.      Mit Strafurteil des Okresný súd Vranov nad Topľou (Slowakei) wurde Herr Petrík, der u. a. eines Vergehens der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden worden war, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, wobei der Bewährungszeitraum auf zwei Jahre festgesetzt wurde. In Anwendung des slowakischen Strafgesetzbuchs und der slowakischen Strafprozessordnung wurde ihm auch auferlegt, im genannten Zeitraum und entsprechend seinen Möglichkeiten Ersatz für die verursachten Schäden zu leisten, und zwar u. a. den Schaden von Frau Haasová, der auf 1 057,86 Euro festgesetzt wurde.

30.      Frau Haasová erhob auf der Grundlage von Art. 13 Abs. 2 und 3 des slowakischen Zivilgesetzbuchs in ihrem Namen und im Namen ihrer minderjährigen Tochter eine zivilrechtliche Klage gegen Herrn Petrík und Frau Holingová auf finanzielle Entschädigung für den als „Nichtvermögensschaden“ bezeichneten und durch den Verlust des Ehegatten und Vaters entstandenen Schaden. Im ersten Rechtszug wurden der Fahrer und die Eigentümerin des Fahrzeugs verurteilt, Schadensersatz in Höhe von 15 000 Euro für den genannten Schaden zu zahlen.

31.      Alle Parteien haben Berufung beim Krajský súd v Prešove eingelegt. Letzteres führt aus, dass der Versicherer von Frau Holingová, die Gesellschaft Allianz – Slovenská poisťovňa a.s., als Streithelfer in dem Verfahren es abgelehnt habe, Schadensersatz für den in Rede stehenden Schaden zu zahlen, mit der Begründung, dass der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nach tschechischem und slowakischem Recht betreffend die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung vom Versicherungsvertrag nicht gedeckt sei.

32.      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist in Anbetracht der tatsächlichen Umstände des Ausgangsverfahrens gemäß Art. 3 des Haager Übereinkommens von 1971 und insbesondere Art. 444 Abs. 3 des tschechischen Bürgerlichen Gesetzbuchs das materielle tschechische Recht anwendbar, das im Gegensatz zum slowakischen Bürgerlichen Gesetzbuch ausdrücklich Ersatz für Nichtvermögensschäden im Rahmen des Schadensersatzes für die Hinterbliebenen in Höhe der gesetzlich festgelegten Beträge vorsieht, insbesondere eine pauschale Entschädigung in Höhe von 240 000 CZK, d. h. ungefähr 9 300 Euro für den Verlust des Ehegatten.

33.      Darüber hinaus ist dieses Gericht der Ansicht, dass zum einen der Schadensersatzanspruch hinsichtlich des Nichtvermögensschadens aus dem vom Pflichtversicherungsvertrag gedeckten Schadensersatzanspruch abgeleitet werden sollte und dass sich zum anderen die Forderungen von Frau Haasová auf einen vom Verkehrsunfallopfer abgeleiteten Anspruch stützten, da das Leben des verstorbenen Herrn Haas durch Art. 11 des tschechischen Bürgerlichen Gesetzbuchs geschützt gewesen sei.

34.      Unbeschadet dieser Erwägungen fragt das Krajský súd v Prešove nach der Angemessenheit des in Rede stehenden Schadensersatzes im Hinblick auf das Unionsrecht und weist darauf hin, dass Entscheidungen slowakischer Gerichte widersprüchliche Gesichtspunkte in diesem Bereich enthielten, was das slowakische Recht angehe. Es führt weiter aus, die Antwort des Gerichtshofs sei entscheidend für die Beurteilung, ob das Auftreten des Versicherers als Streithelfer im Ausgangsverfahren rechtmäßig gewesen sei und folglich, ob die künftige Entscheidung in dem genannten Verfahren für ihn verbindlich sei.

35.      In diesem Zusammenhang hat das Krajský súd v Prešove beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.       Ist Art. 1 Abs. 1 der Dritten Richtlinie in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie dahin auszulegen, dass er einer Bestimmung des nationalen Rechts (wie der des Art. 4 des slowakischen Pflichtversicherungsgesetzes [(18)] und des Art. 6 des tschechischen Pflichtversicherungsgesetzes) entgegensteht, wonach die Kraftfahrzeughaftpflicht nicht den – in Geld ausgedrückten – Nichtvermögensschaden deckt, den die Hinterbliebenen des Opfers eines durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs verursachten Verkehrsunfalls erlitten haben?

2.       Falls die erste Frage dahin zu beantworten ist, dass die vorstehend genannte Vorschrift des innerstaatlichen Rechts nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt: Sind die Bestimmungen des Art. 4 Abs. 1, 2 und 4 des slowakischen Pflichtversicherungsgesetzes und Art. 6 Abs. 1 bis 3 des tschechischen Pflichtversicherungsgesetzes dahin auszulegen, dass sie es einem nationalen Gericht nicht verwehren, nach Art. 1 Abs. 1 der Dritten Richtlinie in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie den Hinterbliebenen des Opfers eines durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs verursachten Verkehrsunfalls als Geschädigten einen Anspruch auf Ersatz des Nichtvermögensschadens auch in Geld zuzuerkennen?

36.      Die slowakische, die deutsche und die estnische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof abgegeben(19). Eine mündliche Verhandlung hat nicht stattgefunden.

B –    Die Rechtssache Drozdovs

37.      Am 14. Februar 2006 kamen die Eltern von Vitālijs Drozdovs, geboren am 25. August 1995, bei einem Verkehrsunfall in Riga (Lettland) ums Leben. Da das Kind minderjährig war, wurde es unter die Vormundschaft seiner Großmutter, Frau Balakireva (im Folgenden: Vormundin von Vitālijs Drozdovs) gestellt.

38.      Der Unfall war von dem Fahrer eines Automobils verursacht worden, das bei der Versicherungsgesellschaft AAS Baltikums (im Folgenden: Baltikums) versichert war. Mit einem Strafurteil, das in der Berufungsinstanz bestätigt wurde, wurde er zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, und seine Fahrerlaubnis wurde für fünf Jahre ausgesetzt(20).

39.      Am 13. Dezember 2006 teilte die Vormundin von Vitālijs Drozdovs dem Versicherer das Schadensereignis mit und forderte ihn auf, Schadensersatz an Vitālijs Drozdovs zu zahlen, insbesondere für seinen als „immateriell“ eingestuften Schaden, der auf 200 000 LVL geschätzt wurde. Am 29. Januar 2007 zahlte Baltikums nach Art. 7 des lettischen Dekrets Nr. 331 200 LVL für seelische Leiden des Kindes(21), sowie Schadensersatz in Höhe von 4 497,47 LVL für seinen Vermögensschaden, ein Betrag, der nicht streitig ist.

40.      Am 13. September 2007 erhob die Vormundin Klage gegen Baltikums auf Zahlung von 200 000 LVL als Schadensersatz für den immateriellen Schaden des Vitālijs Drozdovs wegen des Todes seiner Eltern in seinen jungen Jahren. Diese Klage war auf Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1, Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 3 und Art. 39 Abs. 1 und 6 des lettischen Pflichtversicherungsgesetzes sowie auf Art. 1 Abs. 2 der Zweiten Richtlinie gestützt.

41.      Die Klage und die Berufung der Vormundin von Vitālijs Drozdovs wurden mit Beschlüssen vom 27. November 2008 und vom 16. November 2010 mit der Begründung ab- bzw. zurückgewiesen, dass Baltikums den in Art. 7 des lettischen Dekrets Nr. 331 festgelegten Betrag beachtet habe.

42.      Die Vormundin erhob Kassationsbeschwerde beim Augstākās tiesas Senāts mit dem Ziel der Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts und der Zurückverweisung der Rechtssache an dieses Gericht zur erneuten Prüfung. Sie macht geltend, das Gericht habe Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 des lettischen Pflichtversicherungsgesetzes falsch angewandt, weil diese Vorschrift in Übereinstimmung mit der Ersten und der Zweiten Richtlinie auszulegen sei. Letzteren sei aber zu entnehmen, dass der Mitgliedstaat den Schadensersatz nicht in einer Höhe begrenzen könne, die unter den im Unionsrecht vorgesehenen Mindestbeträgen liege. Daraus folge, dass Art. 7 des lettischen Dekrets Nr. 331 gegen die Grenzen, die in der genannten Vorschrift des lettischen Pflichtversicherungsgesetzes und in den oben genannten Richtlinien, die dieses Gesetz umsetze, festgelegt seien, verstoße.

43.      Unter diesen Umständen hat das Augstākās tiesas Senāts beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.       Ist der Ersatz des immateriellen Schadens von dem in Art. 3 der Ersten Richtlinie und Art. 1 Abs. 1 und 2[(22)] der Zweiten Richtlinie vorgesehenen Mindestbetrag für Personenschäden umfasst?

2.       Sollte die erste Frage bejaht werden: Sind Art. 3 der Ersten Richtlinie sowie [Art. 1 Abs. 1 und 2][(23)] der Zweiten Richtlinie dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, durch die die in diesem Staat bestehende Haftung – der Höchstbetrag für die Entschädigung für nicht materielle (immaterielle) Schäden – beschränkt wird, indem eine Grenze eingeführt wird, die substanziell unter der in den Richtlinien und dem nationalen Recht vorgesehenen Haftungsgrenze liegt?

44.      Schriftliche Erklärungen wurden beim Gerichtshof abgegeben von der Vormundin von Vitālijs Drozdovs, von Baltikums, von der lettischen, der deutschen und der litauischen Regierung sowie von der Kommission.

45.      In der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2013 waren die Vormundin von Vitālijs Drozdovs, Baltikums, die lettische und die deutsche Regierung sowie die Kommission vertreten.

IV – Würdigung

A –    Vorbemerkungen zum anwendbaren Recht

46.      Die Feststellung des Rechts, das auf einen grenzüberschreitenden Rechtsstreit anwendbar ist, ist eine Vorstufe jeder materiell-rechtlichen Untersuchung. Sie ist im vorliegenden Fall in Anbetracht der Unterschiede zwischen den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich des Schadensersatzes auf der Grundlage der obligatorischen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung von besonderer Bedeutung(24).

47.      Dies bereitet in der Rechtssache Drozdovs keine Schwierigkeiten, da sich aus den Akten keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass ein Auslandsbezug dazu führen könnte, dass der in Rede stehende Sachverhalt mit einem anderen Mitgliedstaat als Lettland in Verbindung gebracht wird.

48.      Dagegen kann sich dieses Problem in der Rechtssache Haasová in Anbetracht der tatsächlichen Umstände des Verkehrsunfalls, der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt, mit dem ein slowakisches Gericht befasst ist, stellen. Der Unfallort liegt nämlich im Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik und eines der in den Unfall verwickelten Fahrzeuge ist dort zugelassen, während die anderen Anknüpfungspunkte, nämlich der Ort der Zulassung des Fahrzeugs, in dem sich der unmittelbar Geschädigte befand, sowie die Staatsangehörigkeit und der Wohnsitz der betroffenen Personen den Rechtsstreit mit der Slowakischen Republik verknüpfen.

49.      Art. 28 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007(25) sieht vor, dass diese Verordnung nicht die Anwendung der internationalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung angehörten und die Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten, berührt, während diese Verordnung in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten Vorrang vor den ausschließlich zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkommen hat, soweit diese Bereiche betreffen, die in dieser Verordnung geregelt sind.

50.      Was die außervertragliche Haftpflicht aufgrund eines Verkehrsunfalls betrifft, müssen die Kollisionsnormen in dem Haager Übereinkommen von 1971, an das zum Zeitpunkt der Annahme der genannten Verordnung sowohl die Mitgliedstaaten als auch Drittstaaten gebunden waren, in allen Staaten, die dieses Übereinkommen ratifiziert haben, was insbesondere bei der Slowakischen Republik der Fall ist, Vorrang vor dieser Verordnung haben(26).

51.       Gemäß Art. 3 des Haager Übereinkommens ist das anzuwendende Recht(27) das innerstaatliche Recht des Staates, in dessen Hoheitsgebiet sich der Unfall ereignet hat. Somit ist in der Rechtssache Haasová das vorlegende Gericht zutreffend der Ansicht, dass diese Vorschrift zur Bestimmung des tschechischen Rechts führt(28). Ich weise darauf hin, dass Art. 4 dieses Übereinkommens Abweichungen von der lex loci delicti zugunsten des Rechts des Zulassungsstaats vorsieht. Insbesondere wird unter Buchst. b des genannten Artikels der Fall erfasst, dass mehrere Fahrzeuge an dem Unfall beteiligt sind und dass alle im selben Staat zugelassen sind. Diese letztgenannte Bedingung ist offenbar im Ausgangsverfahren nicht erfüllt(29).

52.      Es ist klarzustellen, dass diese Erwägungen zur Anwendung des tschechischen Rechts auf die außervertragliche Haftpflicht aufgrund des in Rede stehenden Unfalls keinen Hinweis auf die Bestimmung des Rechts geben kann, das bei einer Kollision von Gesetzen für die Rechte und die Pflichten aus dem Kraftfahrzeug-Versicherungsvertrag maßgeblich ist(30).

B –    Zur Einbeziehung des Schadensersatzes für den immateriellen Schaden eines indirekt Geschädigten in den Anwendungsbereich der obligatorischen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (die ersten Fragen in den Rechtssachen Haasová und Drozdovs)

53.      In der Rechtssache Haasová möchte das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie und Art. 1 der Dritten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer Vorschrift des nationalen Rechts entgegenstehen, die dazu führt, dass die finanzielle Entschädigung für den Nichtvermögensschaden der Hinterbliebenen eines Verkehrsunfallopfers nicht von der Pflichtversicherung gedeckt ist, die die Person abgeschlossen hat, die zivilrechtlich haftet.

54.      Die erste Vorlagefrage in der Rechtssache Drozdovs ist ähnlich, wobei darauf hinzuweisen ist, dass sie in einem ähnlichen sachlichen Kontext erfolgt(31), auch wenn die bezeichneten Vorschriften und der Wortlaut nicht völlig identisch sind, denn das vorlegende Gericht möchte wissen, ob Art. 3 der Ersten Richtlinie und Art. 1 Abs. 1 und 2 der Zweiten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass die Schadensersatzpflicht für Personenschäden auch den im nationalen Recht vorgesehenen immateriellen Schaden umfasst.

55.      Da die Fragen sehr ähnlich sind, werden sie in diesen Schlussanträgen gemeinsam behandelt, woraus sich ergibt, dass die oben genannten Vorschriften der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie in der vorgeschlagenen Auslegung gleichzeitig behandelt werden.

56.      Die Meinungen, die dazu in den dem Gerichtshof vorgelegten Erklärungen geäußert werden, gehen auseinander. Die Vormundin von Vitālijs Drozdovs und die Kommission sind der Ansicht, diese Vorschriften verlangten, dass der immaterielle Schaden einer Person, die eine nahestehende Person durch einen Verkehrsunfall verloren habe, unter die in diesen Vorschriften vorgesehene Pflichtversicherung für die zivilrechtliche Haftung fallen müsse, im Gegensatz zu Baltikums und den Regierungen, die sich an dem Verfahren beteiligt haben, nämlich die slowakische, die deutsche und die estnische Regierung in der Rechtssache Haasová sowie die lettische, die deutsche und die litauische Regierung in der Rechtssache Drozdovs.

57.      Zwar können einige Antwortelemente leicht der Rechtsprechung entnommen werden, die nachstehend angeführt ist; zwei Aspekte des hier aufgeworfenen Problems sind jedoch vollkommen neu und müssen meines Erachtens getrennt geprüft werden. Es handelt sich zum einen darum, ob der immaterielle Schaden in das System der Pflichtversicherung, das in den genannten Richtlinien vorgesehen ist, einbezogen wird, und zum anderen, ob dies dann auf Personen ausgedehnt werden kann, die nicht selbst an dem Verkehrsunfall beteiligt waren, aus dem ihnen ein solcher Schaden entstanden ist.

1.      Allgemeine Erwägungen nach dem Stand der Rechtsprechung

58.      Vorab merke ich an, dass meines Erachtens in den vorliegenden Rechtssachen nicht nur auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu verweisen ist, sondern auch auf diejenige des Gerichtshofs der Europäischen Freihandelsassoziation(32) (im Folgenden EFTA-Gerichtshof), der u. a. ein Urteil (im Folgenden: Urteil Nguyen des EFTA-Gerichtshofs) erlassen hat(33), auf das sich die Parteien und die übrigen Beteiligten in diesen Verfahren in großem Umfang beziehen und das die hier in Rede stehende Problematik betrifft(34).

59.      Wie der Gerichtshof wiederholt hervorgehoben hat, wird in den Präambeln der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie darauf hingewiesen, dass diese zum einen(35) den freien Verkehr sowohl der Fahrzeuge mit gewöhnlichem Standort im Gebiet der Europäischen Union als auch der Fahrzeuginsassen gewährleisten und zum anderen(36) den bei durch diese Fahrzeuge verursachten Unfällen Geschädigten unabhängig davon, an welchem Ort innerhalb der Gemeinschaft sich der Unfall ereignet, eine vergleichbare Behandlung garantieren sollen(37), um den Gemeinsamen Markt zu verwirklichen.

60.      Der Gerichtshof hat aus diesem Wortlaut geschlossen, dass die Erste Richtlinie in der durch die Zweite und die Dritte Richtlinie erläuterten und ergänzten Fassung den Mitgliedstaaten vorschreibt, sicherzustellen, dass die zivilrechtliche Haftpflicht bei Kraftfahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt ist, und namentlich angibt, welche Arten von Schäden diese Versicherung zu decken hat und welchen geschädigten Dritten sie Ersatz zu gewähren hat.(38).

61.      Er hat jedoch darauf hingewiesen, dass zwischen der Pflicht zur Deckung von Schäden, die Dritten durch Kraftfahrzeuge entstehen, durch die Haftpflichtversicherung auf der einen und dem Umfang ihrer Entschädigung im Rahmen der Haftpflicht des Versicherten auf der anderen Seite zu unterscheiden ist. Erstere ist nämlich durch die Unionsregelung festgelegt und garantiert, Letztere hingegen im Wesentlichen durch das nationale Recht geregelt(39).

62.      Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits festgestellt, dass sich aus dem Zweck der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie und aus ihrem Wortlaut ergibt, dass sie nicht die Haftpflichtregelungen der Mitgliedstaaten harmonisieren sollen und dass es diesen beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nach wie vor freisteht, die Haftpflicht für Schäden aus Verkehrsunfällen mit Kraftfahrzeugen selbst zu regeln(40).

63.      Er hat festgestellt, dass die Mitgliedstaaten jedoch verpflichtet sind, sicherzustellen, dass die nach ihrem nationalen Recht geltende Kraftfahrzeug-Haftpflicht durch eine Versicherung gedeckt ist, die mit den Bestimmungen der erwähnten drei Richtlinien im Einklang steht(41).

64.      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich schließlich, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Befugnisse in diesem Bereich das Unionsrecht beachten müssen und dass die nationalen Vorschriften über den Ersatz von Verkehrsunfallschäden die Erste, die Zweite und die Dritte Richtlinie nicht ihrer praktischen Wirksamkeit berauben dürfen(42).

65.      Aus Gründen, die nachstehend dargelegt werden, würden die Richtlinien meines Erachtens ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt, wenn ein Anspruch auf Schadensersatz, wie er in den Ausgangsverfahren(43) in Rede steht, durch nationale versicherungsrechtliche Vorschriften, die die Deckung der Kraftfahrzeughaftpflicht begrenzen, beeinträchtigt würde. Dagegen wäre dies nicht der Fall, wenn der in Rede stehende Schadensersatzanspruch nicht aufgrund versicherungsrechtlicher Vorschriften begrenzt würde, sondern aufgrund der nationalen Regelung der Haftpflicht für Verkehrsunfälle(44).

2.      Zur Einbeziehung des immateriellen Schadens in das System der Pflichtversicherung, das die Erste, die Zweite und die Dritte Richtlinie vorsehen

66.      In seinem Urteil Nguyen wurde der EFTA-Gerichtshof mit einer Frage betreffend die Vereinbarkeit einer nationalen, in diesem Fall norwegischen(45), Regelung mit der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie befasst, in der der Schadensersatz für einen immateriellen Schaden(46) (Schmerzen und Leiden oder pretium doloris) vom innerstaatlichen System der Pflichtversicherung ausgeschlossen wurde. Er hat diese Richtlinien dahin ausgelegt, dass ein solcher Ausschluss in Anbetracht der Tatsache, dass der Schadensersatz für einen immateriellen Schaden eine Form der zivilrechtlichen Haftung ist, mit ihnen nicht vereinbar ist (47).

67.      Der EFTA-Gerichtshof hat diese Entscheidung nicht nur auf allgemeine Erwägungen auf der Grundlage der oben genannten Präzedenzfälle in der Rechtsprechung gestützt, sondern auch auf die folgenden Gründe, die mich in allen Punkten überzeugen.

68.      Vorab hat der EFTA-Gerichtshof zutreffend ausgeführt, dass die genannten Richtlinien keine Bestimmung enthalten, die Schadensersatz für den immateriellen Schaden aus ihrem Anwendungsbereich ausdrücklich ausschließt. In diesem Sinne hat er darauf hingewiesen, dass Art. 1 Nr. 2 der Ersten Richtlinie, der den Begriff „Geschädigter“ definiert, auf „jede Person, die ein Recht auf Ersatz eines von einem Fahrzeug verursachten Schadens hat“, verweist. Art. 1 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie und Art. 1 der Dritten Richtlinie beziehen sich insbesondere auf „Personenschäden“ oder „personal injuries“ in der englischen Sprachfassung(48), um zu definieren, was der Pflichtversicherung unterliegen muss. Der EFTA-Gerichtshof hat festgestellt, dass die oben genannte Formulierung alle Schadensarten erfasst, unabhängig davon, ob es sich um einen materiellen oder immateriellen Schaden handelt und somit nicht die Ansicht unterstützt, dass der letztgenannte Schaden nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinien fällt(49).

69.      Er hat daraus den Schluss gezogen, dass die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und 2 der Zweiten Richtlinie sowie denen des Art. 1 der Dritten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie sowohl den materiellen als auch den immateriellen Schaden, einschließlich Schmerzen und seelische Leiden abdecken. Eine andere Auslegung würde den Zielen dieser Richtlinien zuwiderlaufen, die darin bestehen, den freien Verkehr sicherzustellen und zu gewährleisten, dass die Geschädigten eine vergleichbare Behandlung erhalten, unabhängig davon, an welchem Ort im EWR der Unfall sich ereignet(50).

70.      Der EFTA-Gerichtshof hat zutreffend hinzugefügt, dass ein Schadensersatz wie derjenige, der im Ausgangsverfahren in Rede steht, seiner Natur nach einer Person einen Anspruch auf eine Kompensation von Seiten einer anderen Person verleiht und somit eine Form der zivilrechtlichen Haftung darstellt. Aus der oben genannten Rechtsprechung(51) folgt außerdem, dass die betreffenden Richtlinien nicht bestimmte Formen der Haftung vorschreiben wollen, sondern verlangen, dass jede zivilrechtliche Haftung im Zusammenhang mit dem Kraftfahrzeugverkehr durch eine Versicherung gedeckt ist, wobei es unerheblich ist, ob diese Haftung auf Verschulden oder Gefährdung beruht. Jede andere Auslegung würde nämlich Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie in der durch die Zweite und die Dritte Richtlinie ergänzten und geänderten Fassung seiner praktischen Wirksamkeit berauben, die darin besteht, Verkehrsunfallgeschädigte mittels einer Pflichtversicherung für die zivilrechtliche Haftung zu schützen(52).

71.      Meines Erachtens müsste auf die Fragen in den Rechtssachen Haasová und Drozdovs in Anbetracht sowohl des Wortlauts als auch des Zwecks und der praktischen Wirksamkeit der betreffenden Richtlinien entsprechend geantwortet werden, so dass entschieden würde, dass der Schadensersatz für einen immateriellen Schaden unter das System der obligatorischen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung fällt, das von der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie vorgesehen ist.

72.      In der Rechtssache Drozdovs möchte das vorlegende Gericht insbesondere wissen, ob die Pflichtversicherung für „Personenschäden“, die u. a. in Art. 1 der Zweiten Richtlinie gefordert wird, den immateriellen Schaden mit einschließen kann. Insoweit betone ich, dass der Begriff „dommages corporels“, der unter anderem(53) in der französischen Fassung der Zweiten und der Dritten Richtlinie verwendet wird, als solcher kein Hindernis für die hier vorgeschlagene weite Auffassung ist.

73.      Der in mehreren anderen Sprachfassungen(54) verwendete Ausdruck erlaubt meines Erachtens nämlich den Hinweis auf einen sehr weiten Begriff, der nicht nur Beeinträchtigungen des Körpers, also die körperliche Unversehrtheit des Geschädigten umfasst, sondern auch jeden die „Person“ betreffenden, d. h. nicht materiellen Schaden, was sowohl körperliche als auch seelische Leiden mit einschließt(55). Dies muss sich meines Erachtens zum einen aus der Unterscheidung in Art. 1 der Zweiten Richtlinie zwischen dieser Art von Schäden und den „materiellen Schäden“, d. h. denjenigen, die Güter oder das Vermögen des Beteiligten betreffen(56), ergeben und zum anderen das Bemühen, den Schutz der Geschädigten zu stärken, das die Entwicklung dieses Artikels deutlich geprägt hat(57).

74.      Ein erster Teil der Antwort ist somit sehr leicht zu geben, sofern der Gerichtshof einverstanden ist, wie von mir vorgeschlagen, dem Weg zu folgen, der durch seine frühere Rechtsprechung vorgezeichnet ist, und der Argumentation zuzustimmen, die der EFTA-Gerichtshof dementsprechend in seinem Urteil Nguyen vertreten hat.

75.      Selbst wenn meines Erachtens aus diesen Präzedenzfällen in der Rechtsprechung folgt, dass die betreffenden Richtlinien dahin auszulegen sind, dass die von ihnen vorgesehene obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung den immateriellen Schaden einer Person decken muss, die an einem Verkehrsunfall beteiligt war, wie dies in der Rechtssache der Fall war, die zum Urteil Nguyen geführt hat(58), ist noch zu prüfen, ob dieser Ansatz auch für Geschädigte gilt, die nicht unmittelbar betroffen waren, wie dies in den Rechtsstreitigkeiten der Fall ist, die zu den Rechtssachen Haasová und Drozdovs geführt haben.

3.      Zur Erstreckung der Einbeziehung des immateriellen Schadens auf indirekt durch einen Verkehrsunfall Geschädigte

76.      In den Ausgangsverfahren ist der nichtmaterielle Schaden, den die Kläger geltend machen, Personen entstanden, die nicht selbst an den in Rede stehenden Unfällen beteiligt waren, nämlich in der Rechtssache Haasová der Ehefrau und der Tochter des Mannes, der unmittelbar Geschädigter ist und in der Rechtssache Drozdovs dem Kind der Eheleute, die unmittelbare Unfallgeschädigte sind. Der Tod eines Menschen, insbesondere unter solchen Umständen, führt zu grundlegenden Veränderungen der Lebensführung und erschüttert das Gefühlsleben der Menschen, denen er tatsächlich nahestand. Um zu bestimmen, ob ein solcher Schaden unter die in den Vorlagefragen genannten Richtlinien fallen kann, sind meines Erachtens die oben angewandten Beurteilungskriterien anzuwenden, indem man eine zugleich wörtliche, teleologische und auf die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmungen gestützte Auslegung vornimmt.

77.      Erstens erlaubt die Analyse des Wortlauts der maßgeblichen Bestimmungen nicht, den Schadensersatz für den in Rede stehenden Schaden von der Deckung durch die Haftpflichtversicherung, die in der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie vorgesehen ist, auszuschließen. Die Definition des „Geschädigten“ in Art. 1 Nr. 2 der Ersten Richtlinie ist nämlich weit genug, um indirekt Geschädigte zu umfassen, da die einzige Voraussetzung ist, dass sie nach den geltenden nationalen Bestimmungen ein „Recht auf Ersatz eines von einem Fahrzeug verursachten Schadens“ haben.

78.      Es trifft zu, dass Art. 1 der Dritten Richtlinie die in den vorausgehenden Richtlinien verwendete Terminologie(59) nicht weiterverwendet und auf „die Personenschäden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers“ gerichtet ist, was zu der Ansicht führen könnte, dass eine Person, die nicht an einem Unfall beteiligt war, nicht durch die obligatorische Haftpflichtversicherung gedeckt sein dürfte. Diese Vorschrift ist jedoch im Licht der Erwägungsgründe vier und fünf dieser Richtlinie auszulegen, denen zu entnehmen ist, dass Geschädigte im Sinne der Schutzbestimmungen des Unionsrechts nicht nur die Fahrzeuginsassen sind; diese sind offensichtlich nur eine bestimmte Kategorie aller Dritten, die durch die Versicherung des Eigentümers des Fahrzeugs, das den Unfall verursacht hat, geschützt werden(60). Dieser Artikel ist dazu bestimmt, den persönlichen Anwendungsbereich der durch die Pflichtversicherung angebotenen Gewährleistung explizit zu nennen und keinesfalls, ihn auf die genannten Fahrzeuginsassen zu beschränken(61). Diese Analyse wird durch die in diesem Bereich erfolgte Entwicklung untermauert(62).

79.      Zweitens ist die Deckung des immateriellen Schadens der durch einen Verkehrsunfall indirekt geschädigten Personen durch die Haftpflichtversicherung im Hinblick auf die in der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie genannten Ziele, die darin bestehen, die Verkehrsfreiheit zu fördern und den Geschädigten unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat sich der Unfall ereignet hat, durch den ihnen der Schaden entstanden ist, eine vergleichbare Behandlung zu gewährleisten, zwingend geboten(63). Würden Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie, Art. 1 Abs. 1 und 2 der Zweiten Richtlinie sowie Art. 1 der Dritten Richtlinie anders ausgelegt, wären diese Personen dem Zufall der nationalen versicherungsrechtlichen Regeln unterworfen, die mangels einer unionsrechtlich auferlegten Angleichung abhängig vom Ort des Unfalls inhaltlich ganz verschieden sein könnten.

80.      Drittens folgt aus der oben genannten ständigen Rechtsprechung(64), dass zwar die Erste, die Zweite, und die Dritte Richtlinie nicht die in den Mitgliedstaaten geltenden Regelungen der Kraftfahrzeughaftpflicht harmonisieren wollen, sie verpflichten diese jedoch, zu gewährleisten, dass die nach ihrem nationalen Recht bestehende zivilrechtliche Haftung durch eine Versicherung gedeckt ist, die den genannten Richtlinien entspricht. Somit muss, wenn nach geltendem nationalem Recht ein Schadensersatzanspruch aufgrund der Haftpflicht eines Versicherten entstanden ist(65), die in den genannten Richtlinien vorgeschriebene Deckung durch eine obligatorische Haftpflichtversicherung Anwendung finden.

81.      Ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens, der aufgrund des Verlusts einer nahestehenden Person durch einen Verkehrsunfall entstanden ist, wird in den Rechtsordnungen vieler Mitgliedstaaten anerkannt(66), auch wenn die Möglichkeiten, dieses Recht in Anspruch zu nehmen, verschieden sind, da einige der Mitgliedstaaten einen solchen Schadensersatz nur bei außergewöhnlichen Umständen ermöglichen(67), während andere eine erleichterte Beweislast vorsehen(68). Da die Zuständigkeit für den Bereich der zivilrechtlichen Haftung bei den Gesetzgebern der Mitgliedstaaten verblieben ist, ist es ihre Sache, zu bestimmen, ob ein Recht auf Ersatz eines solchen Schadens im Grundsatz zugelassen wird, und wenn dies der Fall ist, unter welchen Voraussetzungen. Insbesondere liegt es in ihrem Ermessen, ob es sich um einen eigenen indirekten Anspruch des Geschädigten handelt oder um einen Anspruch, der von dem der getöteten Person abgeleitet wird.

82.      Nach der Rechtsprechung(69) müssen die Mitgliedstaaten jedoch bei der Ausübung dieser Zuständigkeit das Unionsrecht beachten und u. a. die praktische Wirksamkeit der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie bewahren. Diese Wirksamkeit wäre meines Erachtens erheblich beeinträchtigt, wenn es möglich wäre, dass die durch einen Verkehrsunfall indirekt Geschädigten, wie diejenigen, die in den Ausgangsverfahren betroffen sind, nicht über die obligatorische Haftpflichtversicherung geschützt wären, obwohl die Haftung des Versicherten ihnen gegenüber eindeutig gegeben ist.

83.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie, Art. 1 Abs. 1 und 2 der Zweiten Richtlinie sowie Art. 1 der Dritten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass, soweit ein Versicherter nach dem anwendbaren nationalen Recht für den immateriellen Schaden einer Person, die eine nahestehende Person bei einem Verkehrsunfall verloren hat, haftet, ein solcher Schadensersatz durch die Pflichtversicherung, wie sie in den Richtlinien vorgeschrieben ist, gedeckt sein muss.

C –    Zum Umstand, dass es den Mitgliedstaaten nicht möglich ist, Höchstbeträge für die Versicherungsleistungen festzusetzen, die niedriger sind als die im Unionsrecht vorgesehenen Mindestdeckungssummen (zweite Frage in der Rechtssache Drozdovs)

1.      Zum genauen Inhalt der Vorlagefrage

84.      In der Rechtssache Drozdovs stellt das vorlegende Gericht hilfsweise für den Fall, dass der Gerichtshof die erste Frage bejaht, d. h. in dem Sinn antwortet, dass die in Art. 3 der Ersten Richtlinie und in Art. 1 Abs. 1 und 2 der Zweiten Richtlinie vorgeschriebene obligatorische Haftpflichtversicherung auch den Ersatz eines immateriellen Schadens, wie er von der Klägerin des Ausgangsverfahrens geltend gemacht wird, umfasst, eine zweite Vorlagefrage.

85.      Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob die oben genannten Bestimmungen einer nationalen Regelung entgegenstehen, die für Versicherungsleistungen für immaterielle Schäden einen Höchstbetrag vorsieht, der deutlich niedriger ist als die in der Zweiten Richtlinie vorgeschriebenen Mindestbeträge und als die im nationalen Recht festgelegten Haftungsgrenzen des Versicherers.

86.      Der Vorlageentscheidung ist nämlich zu entnehmen, dass der Gerichtshof mit der Frage aufgefordert wird, über die Zulässigkeit der in Art. 7 des lettischen Dekrets Nr. 331(70) vorgesehenen Obergrenze für Versicherungsleistungen für einen immateriellen Schaden, wie ihn Vitālijs Drozdovs erlitten hat, nicht nur im Hinblick auf die in Art. 1 Abs. 2 der Zweiten Richtlinie festgelegten Mindestdeckungssummen(71) zu entscheiden, sondern auch hinsichtlich des in Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 1 des lettischen Pflichtversicherungsgesetzes(72), das u. a. diese Richtlinie umgesetzt hat, genau festgelegten Betrags.

87.      Dieser letzte Teil des Vorabentscheidungsersuchens knüpft an die von der Vormundin von Vitālijs Drozdovs vorgetragenen Rechtsmittelgründe der Kassationsbeschwerde an, mit denen u. a. geltend gemacht wird, die Grenze für Versicherungsleistungen, die das lettische Dekret Nr. 331 vorsehe, sei lächerlich und verstoße gegen das lettische Pflichtversicherungsgesetz, das durch das genannte lettische Dekret umgesetzt werden solle(73). Der Gerichtshof ist jedoch nicht zuständig, über die Verfassungsmäßigkeit oder die Rechtmäßigkeit innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu entscheiden, insbesondere darüber, ob nationale Verwaltungsvorschriften mit den nationalen Gesetzen vereinbar sind. Dieser Aspekt der Frage wird somit nicht geprüft.

2.      Zur Verbindlichkeit der in der Zweiten Richtlinie festgelegten Haftpflicht-Mindestdeckungssummen

88.      Sowohl die Vormundin von Vitālijs Drozdovs als auch die Kommission sind der Ansicht, dass Art. 3 der Ersten Richtlinie und Art. 1 der Zweiten Richtlinie einer Begrenzung der Leistungen der obligatorischen Haftpflichtversicherung für einen immateriellen Schaden auf einen Betrag, der unter der in diesen Vorschriften festgelegten Haftungsgrenze des Versicherers liegt, entgegenstehen. Ich teile diesen Standpunkt aus folgenden Gründen.

89.      Der Ursprung, die Entstehung und die Entwicklung der in der zweiten Vorlagefrage des Augstākās tiesas Senāts genannten Vorschriften des Unionsrechts sind sehr lehrreich im Hinblick auf ihre Auslegung.

90.      Wie der Gerichtshof bereits ausgeführt hat, überließ es Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Ersten Richtlinie in seiner ursprünglichen Fassung den Mitgliedstaaten, die Schadensdeckung sowie die Modalitäten der obligatorischen Haftpflichtversicherung zu bestimmen(74). Nach dem dritten Erwägungsgrund der Zweiten Richtlinie wurde mit Art. 1 dieser Richtlinie in Bezug auf die zivilrechtliche Haftung eine zwingend vorgeschriebene Deckung der Sach- und Personenschäden in Höhe bestimmter Beträge eingeführt, um fortbestehende Unterschiede bezüglich des Umfangs der Versicherungspflicht zwischen den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zu verringern, wobei diese Mindestbeträge den durch Kraftfahrzeugunfällen Geschädigten ein Mindestschutzniveau garantieren(75).

91.      Eine Prüfung der Arbeiten, die zum Erlass der Zweiten Richtlinie geführt haben, zeigt, dass ihr Art. 1 Abs. 2, der die Mindestdeckungssummen festlegt, eine der im Verlauf des ursprünglichen Gesetzgebungsverfahrens am häufigsten geänderte Vorschrift war(76). Dies war auch bei den schrittweise durchgeführten Überprüfungen der genannten Richtlinie der Fall(77), wobei meines Erachtens diese späteren Bestimmungen als Orientierung, die in ihnen sichtbar wird, zu beachten sind(78), selbst wenn sie in der Rechtssache Drozdovs zeitlich nicht anwendbar sind. Nach alledem hat Art. 1 der Zweiten Richtlinie eine besondere Aufmerksamkeit des europäischen Gesetzgebers erfahren. Außerdem zeigt die Entwicklung dieser Bestimmung in Richtung einer zunehmenden Verstärkung der Voraussetzungen, die sie nennt, ein immer größeres Bemühen um den Schutz der Geschädigten. Wie der Gesetzgeber ausdrücklich ausgeführt hat, ist „[d]ie Verpflichtung der Mitgliedstaaten, den Versicherungsschutz zumindest für bestimmte Mindestdeckungssummen zu gewährleisten, … ein wichtiger Aspekt“ für die Erreichung dieses Ziels(79).

92.      Diesem Ansatz folgend hat der Gerichtshof eindeutig entschieden, dass Art. 1 Abs. 2 der Zweiten Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, die unter den durch diesen Artikel festgesetzten Mindestdeckungssummen liegende Höchstbeträge für den Schadensersatz vorsieht (80).

93.      Zur Begründung der in diesem Sinn ergangenen Entscheidungen, hat er festgestellt, worauf ich bereits zur Beantwortung der ersten Vorlagefragen hingewiesen habe, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, sicherzustellen, dass die Haftpflicht, die nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats für Verkehrsunfälle mit Kraftfahrzeugen besteht, durch eine Versicherung gedeckt ist, die den Bestimmungen der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie entspricht. Die Mitgliedstaaten müssen ihre Zuständigkeit in diesem Bereich unter Beachtung des Unionsrechts ausüben, was insbesondere dazu führt, dass die Deckung der zivilrechtlichen Haftung durch die Versicherung die Mindestdeckungssummen einhält, die in der Zweiten Richtlinie festgelegt sind, und dass folglich keine nationale Vorschrift den sich daraus ergebenden Schutz begrenzen kann, indem sie darunter liegende Höchstbeträge für die Versicherungsleistungen festlegt(81).

94.      Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt, dass „[j]ede andere Auslegung … den Artikeln 3 Absatz 1 der Ersten Richtlinie und 1 Absatz 2 der Zweiten Richtlinie ihre praktische Wirksamkeit [nähme]. Diese besteht darin, die Verkehrsunfallopfer durch eine Haftpflichtversicherung zu schützen, und wäre gefährdet, wenn die Deckung dieser Haftung durch die Versicherung in das Ermessen des nationalen Gesetzgebers gestellt wäre“(82).

95.      All diese Erwägungen gelten meines Erachtens auch für Vorschriften wie diejenigen des lettischen Dekrets Nr. 331, die eine zu niedrige Deckungsobergrenze festlegen, insbesondere für den immateriellen Schaden aufgrund des Todes des Versorgers einer Person, unter Berücksichtigung dessen, dass die Beachtung sowohl der Zielsetzung als auch der praktischen Wirksamkeit erfordern, den Verkehrsunfallopfern einen ausreichenden Schadensersatz zu gewährleisten, unabhängig von dem Mitgliedstaat, in dem sich der Unfall ereignet hat(83). Somit ist die zweite Frage des Augstākās tiesas Senāts zu bejahen.

96.      Ergänzend stelle ich fest, dass es meines Erachtens nicht entscheidend ist, ob die im nationalen Recht festgelegte zu geringe Höhe die in den Richtlinien festgelegte Haftungsgrenze der Versicherer nur leicht unterschreitet oder deutlich darunter liegt, wie das vorlegende Gericht in seiner Vorlagefrage angibt(84). Es genügt, dass die Mindestdeckung nicht erreicht wird, damit eine Rechtsnorm des nationalen Rechts diese unionsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Dagegen erlaubt der Vorbehalt zu Beginn von Art. 1 Abs. 2 der Zweiten Richtlinie(85) den Mitgliedstaaten, über die vorgesehenen Mindestbeträge der Deckung hinauszugehen, wobei sie entweder eine unbegrenzte Deckung verlangen oder Beträge festsetzen können, bis zu deren Höhe eine Versicherungspflicht besteht, unter der einzigen Bedingung, dass diese die genannten Mindestbeträge nicht unterschreiten dürfen(86).

97.      In Anbetracht der Gefahr von Widersprüchlichkeiten, erkennbar an den dem Gerichtshof vorgelegten Erklärungen, lege ich Wert auf die Klarstellung, dass meines Erachtens nicht die Begrenzung der Deckungssummen als solche mit dem Unionsrecht unvereinbar ist (87), sondern die Tatsache, dass ein Mitgliedstaat den Schadensersatz auf eine Höhe begrenzt, die unter den von den Richtlinien festgesetzten Mindestbeträgen liegt.

98.      Nach ständiger Rechtsprechung muss jede nach nationalem Recht geltende Kraftfahrzeug-Haftpflicht durch eine Versicherung gedeckt sein. Dieser Grundsatz ist meines Erachtens jedoch nur so zu verstehen, dass eine nationale versicherungsrechtliche Vorschrift bestimmte Schadensarten oder bestimmte Kategorien geschädigter Personen nicht von der Deckung ausschließen kann, wenn die Geschädigten sich auf die Haftpflicht des Versicherten berufen können, um auf deren Grundlage Schadensersatz zu erhalten. Die Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, Deckungssummen einzuführen, die sich „mindestens“ auf die Höhe der Beträge belaufen, die die betreffenden Richtlinien vorsehen, macht nur Sinn, wenn anerkannt wird, dass diese es dagegen erlauben, dass die Mitgliedstaaten höhere Obergrenzen festlegen und dass somit die Haftpflicht, die über diese nationalen Obergrenzen hinausgeht, nicht von der Pflichtversicherung gedeckt sein muss(88). Folglich können die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, in denen die allgemeinen Rechtsvorschriften betreffend die Haftpflicht keine Obergrenzen für den Schadensersatz enthalten, dennoch dessen Deckung durch die Pflichtversicherung begrenzen, indem sie Obergrenzen einführen, die über den in den Richtlinien vorgesehenen Mindestbeträgen liegen.

3.      Zu den Auswirkungen der vorgeschlagenen Antwort

99.      In der Begründung seines Ersuchens betont der Augstākās tiesas Senāts die Wichtigkeit, ein Gleichgewicht zwischen den einander gegenüberstehenden Interessen zu finden. Er führt aus, dass das Interesse der Geschädigten, das darin bestehe, so vollständig wie möglich Ersatz für ihren Schaden zu erhalten, sich sowohl von dem Interesse des Eigentümers des Fahrzeugs unterscheide, der den Unfall verursacht habe, das darin bestehe, so niedrige Pflichtversicherungsbeiträge wie möglich zu zahlen, als auch von dem Ziel des Versicherers, Einnahmen zu erzielen, die weitgehend von dem Verhältnis der eingenommenen Beiträge zu den gezahlten Schadensersatzleistungen für Unfallschäden abhingen(89). Er ist der Ansicht, um die unterschiedlichen Interessen in Einklang zu bringen, sei es erforderlich, die Grenzen der vom Versicherer geschuldeten Versicherungsleistungen klar zu definieren, damit der genannte Eigentümer eine Versicherung zu einem nicht überhöhten Tarif abschließen könne(90) und der Geschädigte folglich den vorgesehenen Ersatz für seinen Schaden erhalte.

100. Die lettische und die litauische Regierung stimmen dieser Ansicht zu. Sie führen weiter aus, die Festsetzung solcher Grenzen hätte auch den Vorteil, Rechtssicherheit zu gewährleisten, während bei hohen Schadensersatzleistungen für einen immateriellen Schaden die Gefahr bestehe, bei Unfällen mit mehreren Beteiligten, die gerechte Verteilung der zur Verfügung stehenden begrenzten Mittel zu beeinträchtigen(91). Sie schließen daraus, dass die Anwendung der in Art. 1 der Zweiten Richtlinie vorgesehenen Grenzen auf den immateriellen Schaden zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Wirksamkeit des in Rede stehenden Systems der Haftpflichtversicherung führen würde.

101. Es trifft zu, dass, a priori, die Funktionsweise des europäischen Versicherungsmarkts durch die Pflicht der Versicherer, Schäden im Zusammenhang mit Fahrzeugen, die ihren gewöhnlichen Standort im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten haben, in größerem Umfang und auf einem höheren Niveau zu decken, beeinträchtigt werden könnte, was zu einer Erhöhung der von den Versicherten gezahlten Beiträge führen könnte.

102. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat von Anfang an mit „Problemen, die durch die Festsetzung der Mindestbeträge in einigen Mitgliedstaaten zwangsläufig entstehen werden (insbesondere die Erhöhung der aktuellen Versicherungsbeiträge)“ gerechnet, aber er war – meines Erachtens zutreffend – der Ansicht, dass es sich um ein „unerlässliches Bemühen um einen Konsens handele, um das angestrebte Ziel, nämlich einen besseren Opferschutz, zu erreichen“, und er hat somit den Vorschlag unterstützt, Mindestdeckungssummen einzuführen(92). Um der Ausgangssituation hinsichtlich dieser Beträge in einigen Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen, enthält die Zweite Richtlinie Übergangsbestimmungen zur schrittweisen Umsetzung der betreffenden Bestimmungen in diesen Mitgliedstaaten(93).

103. Im Übrigen zeigt die Praxis, dass ein weites Verständnis des Einsatzbereichs der obligatorischen Haftpflichtversicherung sich nicht zwangsläufig so stark auf die Höhe der Versicherungsbeiträge auswirkt, wie erwartet wurde(94). So hat sich in Bulgarien die kürzlich erfolgte Änderung des Gesetzes über die Deckungssummen dieser Versicherung, das auch Schadensersatz für immaterielle Schäden vorsieht(95), nicht erkennbar auf die betreffenden Beiträge ausgewirkt(96). Ebenso dürfte sich in Schweden nach den Vorarbeiten, die zur gesetzlichen Einführung eines Anspruchs auf Schadensersatz für Personenschäden im Falle des Todes einer nahestehenden Person bei einem Verkehrsunfall(97) geführt haben, diese Reform nur unbedeutend auf die Kosten der Versicherungsgesellschaften und folglich auf die Versicherungsbeiträge auswirken, die nur um 1 bis 1,5 %, wenn nicht sogar weniger, ansteigen dürften(98).

104. Außerdem sind die von den am Verfahren beteiligten Regierungen geäußerten Befürchtungen meines Erachtens nicht gerechtfertigt, da, wie bereits gesagt, es meines Erachtens den Mitgliedstaaten nicht verboten ist, Obergrenzen festzulegen, damit die von den Versicherern geschuldete Deckung nicht unbegrenzt ist, wobei die einzige Bedingung nach Art. 1 der Zweiten Richtlinie ist, dass die Obergrenze über den in diesem Artikel festgelegten Mindestbeträgen liegt.

105. Nach alledem ist meines Erachtens auf die zweite Frage in der Rechtssache Drozdovs zu antworten, dass Art. 3 der Ersten Richtlinie sowie Art. 1 Abs. 1 und 2 der Zweiten Richtlinie einer nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, die, um den Schadensersatz, der von der obligatorischen Haftpflichtversicherung für einen immateriellen Schaden zu zahlen wäre, zu begrenzen, Deckungshöchstbeträge vorsieht, die niedriger sind als die in Art. 1 der Zweiten Richtlinie festgelegten Mindestdeckungssummen.

D –    Zur zweiten Frage in der Rechtssache Haasová

106. In der zweiten dem Gerichtshof in der Rechtssache Haasová zur Prüfung vorgelegten Frage geht der Krajský súd v Prešove von der Annahme aus, dass als Antwort auf die erste Frage entschieden wird, dass nationale Versicherungsvorschriften, die keine finanzielle Entschädigung für den immateriellen Schaden der Hinterbliebenen von Verkehrsunfallopfern zulassen, nicht gegen das Unionsrecht verstoßen.

107. Das vorlegende Gericht stützt sich somit auf ein Postulat, das der Antwort, die ich dem Gerichtshof hinsichtlich der ersten Vorlagefrage vorschlage, widerspricht. Im Hinblick auf den genauen Inhalt der Antwort, die meines Erachtens auf diese zu geben ist, bin ich der Meinung, dass die zweite Frage, die nur hilfsweise gestellt ist, nicht beantwortet zu werden braucht.

108. Gleichwohl stelle ich fest, dass das vorlegende Gericht beim Gerichtshof beantragt, eine Auslegung von Vorschriften des nationalen Rechts vorzunehmen (99), was nach ständiger Rechtsprechung ausgeschlossen ist(100).

109. In dem Fall, dass der Gerichtshof meinem Vorschlag nicht folgen sollte, müsste die Frage meines Erachtens in dem Sinne neu formuliert werden, dass sie im Wesentlichen die eventuelle Möglichkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats betrifft, eine nationale Rechtsvorschrift so auszulegen, dass sie mit den betreffenden Vorschriften der Ersten und der Dritten Richtlinie vereinbar ist. Jedenfalls kann der Grundsatz der konformen Auslegung nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen, die in diesem Fall darin bestehen würde, dass der Versicherer entgegen der Bestimmung des nationalen Rechts Leistungen für einen Schaden zu erbringen hätte(101).

V –    Ergebnis

110. In der Rechtsache Haasová (C‑22/12) schlage ich dem Gerichtshof unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen vor, auf die Vorlagefragen des Krajský súd v Prešove wie folgt zu antworten:

1.       Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht zum einen und Art. 1 Abs. 1 der Dritten Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung zum anderen sind dahin auszulegen, dass die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge, die ihren gewöhnlichen Standort im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, den Schadensersatz für immaterielle Schäden deckt, die Personen entstanden sind, die den Unfallopfern nahestanden, die bei einem Verkehrsunfall, der sich in einem solchen Kontext ereignet hat, getötet wurden, soweit dieser Schadensersatz aufgrund der zivilrechtlichen Haftung des Versicherten im nationalen Recht, das auf den Rechtsstreit anwendbar ist, vorgesehen ist.

2.       Die zweite Vorlagefrage braucht nicht beantwortet zu werden.

111. In der Rechtssache Drozdovs (C‑277/12) schlage ich dem Gerichtshof unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen vor, auf die Vorlagefragen des Augstākās tiesas Senāts wie folgt zu antworten:

1.       Art. 3 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht zum einen sowie Art. 1 Abs. 1 und 2 der Zweiten Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug‑Haftpflichtversicherung zum anderen sind dahin auszulegen, dass die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge, die ihren gewöhnlichen Standort im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, den Schadensersatz für immaterielle Schäden deckt, die Personen entstanden sind, die den Unfallopfern nahestanden, die bei einem Verkehrsunfall, der sich in einem solchen Kontext ereignet hat, getötet wurden, soweit dieser Schadensersatz aufgrund der zivilrechtlichen Haftung des Versicherten im nationalen Recht, das auf den Rechtsstreit anwendbar ist, vorgesehen ist.

2.       Art. 3 der Richtlinie 72/166 sowie Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 84/5 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, die für die Versicherungsleistungen, die von einem Versicherer als Ersatz des immateriellen Schadens zu erbringen sind, der aufgrund des bei einem Verkehrsunfall eingetretenen Todes des Versorgers des Betroffenen entstanden ist, Deckungshöchstbeträge vorsieht, die unter den Mindestdeckungssummen liegen, die von letztgenanntem Artikel für den Schadensersatz für Personenschäden festgelegt wurde.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – Die Nähe zu der Person, die durch den Unfall direkt geschädigt wurde, kann sich in manchen Rechtsordnungen nicht nur aus einem Verwandtschaftsverhältnis ergeben, wie dies in den vorliegenden Rechtssachen der Fall ist, sondern auch aus einer engen gefühlsmäßigen Bindung, die insbesondere durch eine tatsächliche Lebensgemeinschaft verwirklicht wird. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, beschränkt sich die in diesen Schlussanträgen verwendete Terminologie nicht allein auf Familienangehörige.


3 – ABl. L 103, S. 1.


4 – ABl. L 129, S. 33.


5 – ABl. 1984, L 8, S. 17.


6 – Die drei betreffenden Richtlinien wurden mit anderen durch die Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. L 263, S. 11) aufgehoben und kodifiziert.


7 – In Anbetracht dessen, dass die beiden vorlegenden Gerichte ebenso wie die nationalen Vorschriften und die Lehre Begriffe wie „Nichtvermögensschaden“ oder „moralischer Schaden“, deren rechtliche Tragweite variieren kann, abwechselnd verwenden, habe ich in diesen Schlussanträgen den Begriff „immaterieller Schaden“ gewählt, der meines Erachtens neutraler ist.


8 – Zur Entwicklung des Unionsrechts in dem betreffenden Bereich vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in der Rechtssache, in der das Urteil vom 23. Oktober 2012, Marques Almeida (C‑300/10, Nrn. 5 f. und die dort angeführte Lehre), ergangen ist.


9 –      Dieser Abs. 2 wurde durch die Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 zur Änderung der Richtlinien 72/166/EWG, 84/5/EWG, 88/357/EWG und 90/232/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. L 149, S. 14) mit einer Frist zur Umsetzung bis zum 11. Juni 2007 geändert, wobei die vorgesehenen Beträge für Personenschäden auf eine Mindestdeckungssumme von 1 Mio. Euro bei nur einem Geschädigten oder auf 5 Mio. Euro pro Unfall unabhängig von der Zahl der Unfallopfer und für Sachschäden auf 1 Mio. Euro pro Unfall, unabhängig von der Zahl der Unfallopfer angehoben wurde.


10 – Insbesondere Art. 4 des slowakischen Gesetzes Nr. 381/2001 über den Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrag (im Folgenden: slowakisches Pflichtversicherungsgesetz).


11 – Text verfügbar auf der Internetseite der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (www.hcch.net).


12 – Zu dieser Frage vgl. Nrn. 48 ff. dieser Schlussanträge.


13 –      Veröffentlicht am 26. Februar 1964.


14 – Veröffentlicht am 30. Juli 1999.


15 – Sauszemes transportlīdzekļu īpašnieku civiltiesiskās atbildības obligātās apdrošināšanas likums, Latvijas Vēstnesis, 2004, Nr. 65 (3013).


16 – Noteikumi par apdrošināšanas atlīdzības apmēru un aprēķināšanas kārtību par personai nodarītajiem nemateriālajiem zaudējumiem, Latvijas Vēstnesis, 2005, Nr. 80 (3238).


17 – Die Darstellung des genannten Rechtsstreits ergibt sich aus Elementen, die sowohl in der Vorlageentscheidung als auch in den Erläuterungen, die das vorlegende Gericht auf Verlangen des Gerichtshofs vorgenommen hat, enthalten sind.


18 –      In den Erläuterungen, die das vorlegende Gericht im Nachhinein auf Verlangen des Gerichtshofs vorgenommen hat, hat es darauf hingewiesen, dass das materielle Recht der Tschechischen Republik auf das Ausgangsverfahren anwendbar sei. Vgl. hierzu Nrn. 48 ff. dieser Schlussanträge.


19 – Die Erklärungen von Frau Haasová sind nicht zu den Akten genommen worden, da sie nicht fristgerecht vorgelegt worden waren.


20 – Wobei der Unfallverursacher zum Unfallzeitpunkt unter Alkoholeinfluss stand, mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr und ein gefährliches Überholmanöver durchführte, und dies mit einem Fahrzeug, an dem ein Winterreifen fehlte.


21 – Nämlich 100 LVL für jede der beiden getöteten Personen, die Versorger des Betroffenen waren.


22 –      Das vorlegende Gericht nannte die „Art. 1 und 2“ („1. un 2.pantā“) der Zweiten Richtlinie. Da der Begriff „Personenschäden“, der Gegenstand der Frage ist, in Art. 1, namentlich in den Abs. 1 und 2, und nicht in Art. 2 der genannten Richtlinie enthalten ist, ist dieser Schreibfehler meines Erachtens dadurch zu korrigieren, dass man „Art. 1 Abs. 1 und 2“ schreibt.


23 –      Ebd.


24 – Vgl. u. a. Studie zur Rechtsvergleichung, zitiert von Lambert‑Faivre, Y., und Leveneur, L., Droit des assurances, Dalloz, Paris, 12. Ausgabe, 2005, S. 511, Anmerkung 1.


25 – Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (ABl. L 199, S.40).


26 – Dieses Übereinkommen wurde von der Tschechoslowakei ratifiziert. Am 28. Januar 1993 bzw. am 15. März 1993 haben die Tschechische Republik und die Slowakische Republik erklärt, dass sie sich ab dem 1. Januar 1993, dem Zeitpunkt der Teilung dieses Landes, als durch das Übereinkommen gebunden betrachten – einschließlich der Vorbehalte und Erklärungen der Tschechoslowakei.


27 – Art. 8 des Übereinkommens nennt die Bereiche, die unter das für anwendbar erklärte Recht fallen; dies sind u. a. die Festlegung der Voraussetzungen und des Umfangs der Haftung, das Vorhandensein und die Art zu ersetzender Schäden, die Übertragbarkeit des Ersatzanspruchs und die Personen, die Anspruch auf Ersatz des persönlich erlittenen Schadens haben.


28 – Das vorlegende slowakische Gericht, also das Krajský súd v Prešove, hat darauf hingewiesen, dass nach Art. 3 des Haager Übereinkommens von 1971 in Anbetracht dessen, dass sich der Personenschaden am 7. August 2008 im Zusammenhang mit dem Kraftfahrzeugverkehr im Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik ereignet hat, das materielle Recht der Tschechischen Republik anzuwenden sei.


29 – Das vorlegende Gericht hat nämlich ausgeführt, dass das Fahrzeug, das den Unfall verursacht hat, in der Slowakei zugelassen war, während dasjenige, das angefahren wurde, in der Tschechischen Republik zugelassen war.


30 – Dieses Recht ist nach Art. 7 der Zweiten Richtlinie 88/357/EWG des Rates vom 22. Juni 1988 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 73/239/EWG (ABl. L 172, S. 1) zu bestimmen oder für die Verträge, die nach dem 17. Dezember 2009 geschlossen wurden, nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L 177, S. 6).


31 – Gegenstand der beiden Ausgangsrechtsstreitigkeiten ist der Schadensersatz für den immateriellen Schaden, der sich daraus ergibt, dass in der Rechtssache Haasová bei einem Straßenverkehrsunfall ein Mann getötet wurde, dessen Ehefrau und Tochter einen solchen Ersatz fordern, und in der Rechtssache Drozdovs ein Paar, dessen Kind den gleichen Antrag stellt, wobei diese Antragsteller nicht persönlich an dem Unfall beteiligt waren.


32 – Gemäß dem Homogenitätsgrundsatz, der im Recht des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) vorgesehen ist.


33 – Urteil des EFTA-Gerichtshofs vom 20. Juni 2008, Celina Nguyen/Norwegischer Staat, verfügbar auf der Internetseite www.eftacourt.lu. Eine Zusammenfassung des Urteils ist im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. C 263, S. 4) veröffentlicht.


34 – Dieses Urteil betrifft die Auslegung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1995 (ABl. L 1, S. 3), insbesondere die Einbeziehung des Schadensersatzes für einen immateriellen Schaden in den Anwendungsbereich der Rechtsakte, auf die in Anhang IX zu diesem Abkommen Bezug genommen wird, nämlich die Erste, die Zweite und die Dritte Richtlinie über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung.


35 – Vgl. im Einzelnen Erwägungsgründe 1 und 3 der Ersten Richtlinie.


36 – Vgl. fünfter Erwägungsgrund der Zweiten Richtlinie und vierter Erwägungsgrund der Dritten Richtlinie.


37 – Urteile vom 30. Juni 2005, Candolin u. a. (C‑537/03, Slg. 2005, I‑5745, Randnr. 17), sowie Marques Almeida, oben in Fn. 8 angeführt (Randnr. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil Nguyen des EFTA-Gerichtshofs (Randnr. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).


38 – Urteil Marques Almeida, oben in Fn. 8 angeführt (Randnr. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).


39 – Urteil Marques Almeida, oben in Fn. 8 angeführt (Randnr. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).


40 – Urteile vom 14. September 2000, Mendes Ferreira und Delgado Correia Ferreira (C‑348/98, Slg. 2000, I‑6711, Randnr. 23), sowie Marques Almeida, oben in Fn. 8 angeführt (Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil Nguyen des EFTA-Gerichtshofs (Randnr. 24).


41 – Urteile vom 19. April 2007, Farrell (C‑356/05, Slg. 2007, I‑3067, Randnr. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung), und Marques Almeida, oben in Fn. 8 angeführt (Randnr. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil Nguyen des EFTA-Gerichtshofs (Randnr. 25).


42 – Urteile Candolin u. a., oben in Fn. 37 angeführt (Randnrn. 27 f.), und Marques Almeida (Randnr. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil Nguyen des EFTA‑Gerichtshofs (Randnr. 24).


43 – D. h. der immaterielle Schaden der Personen, die mittelbar betroffene Unfallopfer eines Verkehrsunfalls sind, in dem eine nahestehende Person getötet wurde.


44 – In den Randnrn. 34 f. des Urteils Marques Almeida, oben in Fn. 8 angeführt, hat der Gerichtshof in dieser Frage eine deutliche Unterscheidung vorgenommen und festgestellt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Vorschriften, die den Schadensersatz regelten, der aufgrund der zivilrechtlichen Haftung des Versicherten geschuldet wurde, und nicht denjenigen, der vom Versicherer geschuldet werden konnte, mit dem Unionsrecht nicht unvereinbar war, da sie nicht die in diesem Recht vorgesehene Garantie beeinträchtigte, dass diese Haftung, die nach dem nationalen Recht bestimmt wurde, durch eine Versicherung gedeckt war, die mit der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie vereinbar war.


45 – Urteil Nguyen des EFTA-Gerichtshofs (insbesondere Randnrn. 7 und 11).


46 – Im Originalwortlaut dieses Urteils, der auf Englisch verfasst war, hat der EFTA-Gerichtshof den in Rede stehenden Schaden als „non economic injury“ eingestuft, ich habe jedoch die andere Bezeichnung gewählt, da sie neutraler ist, und um für eine Kohärenz mit dem vorstehenden Ausführungen zu sorgen.


47 – Urteil Nguyen des EFTA-Gerichtshofs (Randnr. 29).


48 – Es besteht ein großer Unterschied zwischen der französischen Sprachfassung dieses Ausdrucks und der englischen Sprachfassung, der Verfahrenssprache des EFTA-Gerichtshofs, wobei die Erste enger erscheint als die Zweite.


49 – Urteil Nguyen des EFTA-Gerichtshofs (Randnr. 26).


50 – Ebd. (Randnr. 27).


51 – In dieser Hinsicht bezieht sich der EFTA-Gerichtshof u. a. auf das Urteil Mendes Ferreira und Delgado Correia Ferreira, oben in Fn. 40 angeführt, sowie auf den Beschluss vom 24. Juli 2003, Messejana Viegas (C‑166/02, Slg. 2003, I‑7871, Randnrn. 21 f.).


52 – Urteil Nguyen des EFTA Gerichtshofs (Randnr. 28).


53 – Vgl. auch die griechische („σωματικές βλάβες“), die spanische („daños corporales“), die niederländische („lichamelijk letsel“) und die portugiesische Fassung („danos corporais“).


54 – Vgl. insbesondere die Begriffe „personskade“, „Personenschäden“, „personal injury“, „danni alle persone“, „henkilövahingot“ et „personskador“, die jeweils in der dänischen, der deutschen, der englischen, der italienischen, der finnischen und der schwedischen Fassung verwendet werden.


55 – Im Übrigen wird diese Terminologie selbst im französischen Recht nicht einschränkend verstanden, weil die „Nichtvermögensschäden mittelbar betroffener Unfallopfer im Fall des Todes des unmittelbaren Unfallopfers“ in der Nomenklatur der Personenschäden, die im Juli 2005 in dem Bericht der Arbeitsgruppe vorgeschlagen wurde, die unter der Leitung von J.‑P. Dintilhac mit deren Ausarbeitung beauftragt war, bei den „Personenschäden der mittelbar betroffenen Unfallopfer“ aufgeführt werden (Hervorhebung nur hier) (Bericht verfügbar auf der Internetseite der Documentation française: http://www.ladocumentationfrancaise.fr/var/storage/rapports‑publics/064000217/0000.pdf)


56 – Eine Analyse der Entstehung der Zweiten Richtlinie zeigt, dass die Zweiteilung in Sachschäden und Personenschäden im ursprünglichen Vorschlag der Kommission vom 7. August 1980 nicht enthalten war (ABl. C 214, S. 9), wo sie ein und derselben Regelung unterlagen, sondern aus der Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 25. und 26. Februar 1981 hervorging (ABl. C 138, S. 15, Nr. 2.2), der betont hatte, dass die Wiedergutmachung von Personenschäden von „größerer sozialer Relevanz“ sei als diejenige von Sachschäden.


57 – Vgl. Nr. 91 dieser Schlussanträge.


58 – Im Urteil Nguyen des EFTA-Gerichtshofs (Randnr. 2) wird ausgeführt, dass die Klägerin ihren Ehegatten und ihre beiden Kinder bei einem Verkehrsunfall verloren und sie selbst nur leichte körperliche Verletzungen erlitten habe, dass sie aber seit dem Unfall an seelischen Beschwerden leide.


59 – Der Begriff „Fahrzeuginsasse“ kommt weder in der Ersten noch in der Zweiten Richtlinie vor.


60 – Der vierte Erwägungsgrund der Dritten Richtlinie schließt alle „bei Kraftfahrzeug-Verkehrsunfällen Geschädigten“ in den Schutz, den das Unionsrecht bietet, mit ein. Im fünften Erwägungsgrund dieser Richtlinie betonen die Begriffe „insbesondere“ und „besonders“ dass die Fahrzeuginsassen von Kraftfahrzeugen als eine von mehreren „Kategorien“ „potenzieller Geschädigter“ angesehen werden, wobei diese Fahrzeuginsassen aufgrund ihrer Verletzlichkeit besondere Aufmerksamkeit benötigen.


61 – In seiner Stellungnahme vom 26. April 1989 zu dem Vorschlag für eine dritte Richtlinie (ABl. C 159, S. 7) hat der Wirtschafts- und Sozialausschuss in Nr. 1.2 dargelegt, dass die Fahrzeuginsassen von der Haftpflichtversicherung gedeckt sein müssten, mit der Begründung, dass dies damals in einigen Mitgliedstaaten nicht vorgeschrieben war.


62 – Insbesondere Art. 1a der Dritten Richtlinie, der in diese durch die Richtlinie 2005/14 eingefügt worden war, stellt klar, dass andere Kategorien von Unfallopfern wie Fußgänger, Radfahrer und andere nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer auch gedeckt sind, wenn sie „nach einzelstaatlichem Zivilrecht einen Anspruch auf Schadensersatz … haben“.


63 – Vgl. die oben genannte ständige Rechtsprechung, u. a. Urteil Marques Almeida, oben in Fn. 8 angeführt (Randnr. 26), die auf die Erwägungsgründe der genannten Richtlinien verweist.


64 – Siehe Nrn. 59 ff. dieser Schlussanträge.


65 – Es wird darauf hingewiesen, dass sich der Schadensersatzanspruch des Geschädigten aufgrund der Haftpflicht des Versicherten und der Umfang dieses Anspruchs nach dem nationalen Recht und nicht dem Unionsrecht bestimmen (vgl. u. a. Urteil Marques Almeida, oben in Fn. 8 angeführt, Randnr. 35).


66 – Dies ist insbesondere der Fall in Bulgarien, in Deutschland, in Estland, in Irland, in Spanien, in Frankreich, in Italien, in Zypern, in Lettland, in Polen, in Slowenien, in Schweden und im Vereinigten Königreich.


67 – In Deutschland kann der Schaden nur ersetzt werden, wenn er die „normalen“ Reaktionen und Nachteile infolge eines unter solchen Umständen eingetretenen Todes überschreitet. In Estland ist der Schadensersatz grundsätzlich gerechtfertigt, wenn der Angehörige Zeuge des Unfalls war. Im Vereinigten Königreich hat die Rechtsprechung kumulative Bedingungen aufgestellt, nämlich eine psychische Erkrankung, die durch den Schock ausgelöst wurde, eine gefühlsmäßige Bindung zum Unfallopfer, die Nähe des Berechtigten zum Unfall und ein Schock durch die unmittelbare Wahrnehmung des Unfalls.


68 – In Schweden erhält der indirekt Geschädigte in dem Jahr, das auf den Tod einer nahestehenden Person folgt, von Amts wegen eine Entschädigung. Nach einem Jahr muss er durch Vorlage ärztlicher Atteste nachweisen, dass das Leiden weiter andauert.


69 – Vgl. u. a. Urteil Marques Almeida, oben in Fn. 8 angeführt (Randnr. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).


70 – Dieser Artikel sieht vor, dass die Versicherungsleistungen für Schmerzen und seelische Leiden aufgrund des Todes insbesondere des Versorgers einer Person pauschal 100 LVL, das sind etwa 143 Euro pro Antragsteller und pro getöteter Person betragen.


71 – Die in Rede stehenden Deckungssummen, auf die in Nr. 13 dieser Schlussanträge hingewiesen wird, finden sich nunmehr in Art. 9 der Richtlinie 2009/103.


72 – Dieses Gesetz hat die Grenze des Betrags, bis zu dem ein Versicherer möglicherweise Leistungen für Personenschäden zu erbringen hat, auf 250 000 LVL, d. h. etwa 357 283 Euro, festgesetzt.


73 – Art. 19 Abs. 3 des lettischen Pflichtversicherungsgesetzes sah nämlich vor, dass die Höhe und die Art der Berechnung des Schadensersatzes durch die Versicherer für Sachschäden und für immaterielle Schäden, die Personen entstanden sind, vom Ministerrat festgelegt werden.


74 – Urteil vom 28. März 1996, Ruiz Bernáldez (C‑129/94, Slg. 1996, I‑1829, Randnr. 15).


75 – Vgl. Urteil Mendes Ferreira und Delgado Correia Ferreira, oben in Fn. 40 angeführt (Randnr. 26), sowie die Nrn. 8 und 9 der Schlussanträge des Generalanwalts Cosmas in der Rechtssache, die zu diesem Urteil geführt hat.


76 – Dies ergibt sich aus einem Vergleich zwischen dem oben erwähnten ursprünglichen Vorschlag der Kommission vom 7. August 1980, der oben genannten Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 25. und 26. Februar 1981, den Änderungen, die vom Europäischen Parlament am 14. Oktober 1981 vorgeschlagen wurden (ABl. C 287, S. 44), und der Änderung des ursprünglichen Vorschlags, die von der Kommission am 3.März 1982 vorgelegt wurde (ABl. C 78, S. 17).


77 – Diese Beträge wurden beim Erlass der Richtlinie 2005/14 erhöht, und es wurde eine Klausel für regelmäßige Überprüfungen angefügt, um sicherzustellen, dass die Mindestdeckungssummen nicht mit der Zeit an Wert verlieren. Vgl. auch Art. 9 der Richtlinie 2009/103 und die Stellungnahme der Kommission über die Anpassung bestimmter, in der Richtlinie 2009/103 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung festgelegter Beträge an die Inflation (ABl. 2010, C 332, S. 1).


78 – Der Gerichtshof ist auch diesem Ansatz gefolgt, u. a im Urteil vom 17. März 2011, Carvalho Ferreira Santos (C‑484/09, Slg. 2011, I‑1821, Randnr. 45).


79 – Vgl. zehnter Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/14 und zwölfter Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/13.


80 – Vgl. Urteil Mendes Ferreira und Delgado Correia Ferreira, oben in Fn. 40 angeführt (Randnr. 41), sowie Beschluss Messejana Viegas, oben in Fn. 51 angeführt (Randnr. 20), zu den portugiesischen Rechtsvorschriften, die solche Beträge festsetzen, wenn bei fehlendem Verschulden des Fahrers des Fahrzeugs, das den Unfall verursacht hat, nur die Gefährdungshaftung eingreift.


81 – Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Deckung jeglicher zivilrechtlicher Haftung, die sich aus dem Kraftfahrzeugverkehr ergibt, verlangen wollte, auch wenn die Mitgliedstaaten frei sind, die für diese Schadensfälle geltende Regelung der zivilrechtlichen Haftung, basierend auf einer Verschuldens- oder Gefährdungshaftung, zu bestimmen. Vgl. Urteil Mendes Ferreira und Delgado Correia Ferreira, oben in Fn. 40 angeführt (Randnrn. 29 und 40), und Beschluss Messejana Viegas, oben in Fn. 51 angeführt (Randnr. 21).


82 – Beschluss Messejana Viegas, oben in Fn. 51 angeführt (Randnr. 22). Vgl. auch Nr. 48 der Schlussanträge des Generalanwalts Cosmas in der Rechtssache, in der das Urteil Mendes Ferreira und Delgado Correia Ferreira, oben in Fn. 8 angeführt, ergangen ist.


83 – Die Mindestdeckungssummen, die die Richtlinien vorsehen, können de facto zu einer gewissen Harmonisierung der in den Mitgliedstaaten anwendbaren zivilrechtlichen Haftungsregeln führen, da die Mitgliedstaaten dazu neigen, ihre Vorschriften in diesem Bereich anzupassen, auch wenn nach dem jetzigen Stand des Unionsrechts keine rechtliche Verpflichtung dazu für sie besteht (siehe Heiss, H., „Motor vehicle liability insurance between the European directives and national tort law“, Over grenzen: liber amicorum Herman Cousy, Intersentia, Antwerpen‑Cambridge, 2011, S. 127 bis 136, insbesondere S. 133).


84 – Diese Problematik darf nicht verwechselt werden mit der Verhältnismäßigkeitsprüfung, zu der der Gerichtshof bezüglich nationaler Gesetze verpflichtet ist, die dem Geschädigten nur deshalb, weil er zu dem Schaden beigetragen hat, den Anspruch auf Schadensersatz durch die obligatorische Haftpflichtversicherung nehmen oder ihn unverhältnismäßig begrenzen (vgl. u. a. Urteil Marques Almeida, oben in Fn. 8 angeführt, Randnrn. 30 f., sowie Beschluss vom 21. März 2013, Rodrigues Esteves, C‑486/11, Randnrn. 26 f.).


85 –      Nämlich „[u]nbeschadet höherer Deckungssummen, die von den Mitgliedstaaten gegebenenfalls vorgeschrieben sind“.


86 – Dies ist den vorbereitenden Arbeiten zu dieser Vorschrift zu entnehmen (besonders dem ursprünglichen Vorschlag und der oben erwähnten Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses [Nrn. 2.1 und 2.2]).


87 – Wovon das vorlegende Gericht offenbar ausgeht (siehe Nr. 8.1 letzter Absatz seines Beschlusses).


88 – Vgl. Urteil Marques Almeida, oben in Fn. 8 angeführt (Randnr. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung), wo der Gerichtshof festgestellt hat, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … jedoch verpflichtet [sind], sicherzustellen, dass die nach ihrem nationalen Recht geltende Kraftfahrzeug-Haftpflicht durch eine Versicherung gedeckt ist, die mit den Bestimmungen der erwähnten drei Richtlinien im Einklang steht“ (Hervorhebung nur hier).


89 – Siehe Nr. 8.2 des Vorlagebeschlusses.


90 – Er verweist insoweit auf die Randnrn. 77 und 78 des Urteils vom 28. April 2009, Kommission/Italien (C‑518/06, Slg. 2009, I‑3491).


91 – Die geltend gemachte Gefahr könnte bei einem Sachschaden tatsächlich gleich sein.


92 – In Nr. 2.3 seiner oben erwähnten Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Zweite Richtlinie.


93 – Vgl. elfter Erwägungsgrund sowie Art. 5 und 6 der Zweiten Richtlinie.


94 – Der Vorschlag der Kommission vom 19. Juni 2002, der zum Erlass der Richtlinie 2005/14 geführt hat, stellt eine Bilanz auf, nach der mehrere Mitgliedstaaten eine unbegrenzte Deckung gewählt haben und die meisten von ihnen, die Mindestdeckungssummen festgelegt haben, diese höher festgesetzt haben, als in den Richtlinien vorgesehen war, ohne dass die dort niedergelassenen Versicherungsunternehmen darunter gelitten hätten (KOM[2002] 244 endg., S. 6 und 29).


95 – Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Versicherungsgesetzbuchs (DV Nr. 21 vom 13. März 2012).


96 – Siehe den Artikel von Stoyanova, I., „Обезщетенията за неимуществени вреди при ‘Гражданска отговорност’ на автомобилистите“, verfügbar im Internet: www.zastrahovatel.com/statia.php?mysid=3522&t=4.


97 – Dieser Anspruch wurde durch das Gesetz 2001:732, das am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist, in das Allgemeine Gesetz über Schadensersatz eingefügt.


98 – Regeringens proposition 2000/01:68, Ersättning för ideell skada, S. 34 und 63.


99 – Die Frage hat folgenden Wortlaut: „Sind die Bestimmungen des Art. 4 Abs. 1, 2 und 4 des slowakischen Pflichtversicherungsgesetzes und Art. 6 Abs. 1 bis 3 des tschechischen Pflichtversicherungsgesetzes dahin auszulegen …“


100 – Vgl. u. a. Urteil vom 17. Januar 2013, Zakaria (C‑23/12, Randnr. 29).


101 – Vgl. u. a. Urteil vom 24. Januar 2012, Dominguez (C‑282/10, Randnr. 25), sowie Nr. 67 meiner Schlussanträge in der Rechtssache, in der das Urteil vom 24. Juni 2010, Sorge (C‑98/09, Slg. 2010, I‑5837) ergangen ist.