Language of document : ECLI:EU:C:2013:32

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

24. Januar 2013(*)

„Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Erlass von 65 % einer Steuerschuld im Rahmen eines Insolvenzverfahrens – Entscheidung, mit der die Beihilfe für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt und ihre Rückforderung angeordnet wird – Kriterium des privaten Gläubigers – Grenzen der gerichtlichen Überprüfung – Ersetzung der Begründung in der streitigen Entscheidung durch die eigene Begründung des Gerichts – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Verfälschung von Beweisen“

In der Rechtssache C‑73/11 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 17. Februar 2011,

Frucona Košice a.s. mit Sitz in Košice (Slowakei), Prozessbevollmächtigte: P. Lasok, QC, J. Holmes und B. Hartnett, Barristers, sowie Rechtsanwalt O. Geiss,

Rechtsmittelführerin,

andere Parteien des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch K. Walkerová, L. Armati und B. Martenczuk als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

unterstützt durch

St. Nicolaus – trade a.s. mit Sitz in Bratislava (Slowakei), Prozessbevollmächtigter: N. Smaho, avocat,

Streithelferin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas in Wahrnehmung der Aufgaben der Präsidentin der Zweiten Kammer sowie der Richter U. Lõhmus, A. Ó Caoimh, A. Arabadjiev (Berichterstatter) und C. G. Fernlund,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juli 2012,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 6. September 2012

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Frucona Košice a.s. (im Folgenden: Frucona Košice) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 7. Dezember 2010, Frucona Košice/Kommission (T‑11/07, Slg. 2010, II‑5453, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung 2007/254/EG der Kommission vom 7. Juni 2006 über die staatliche Beihilfe C 25/2005 (ex NN 21/2005), gewährt durch die Slowakische Republik zugunsten von Frucona Košice a.s. (ABl. 2007, L 112, S. 14, im Folgenden: streitige Entscheidung), abgewiesen hat.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

2        Frucona Košice ist eine Gesellschaft slowakischen Rechts, die u. a. alkoholische Getränke und Spirituosen herstellte.

3        Am 25. Februar 2004 konnte Frucona Košice, der in der Vergangenheit mehrfach ein Steueraufschub gewährt worden war, die für Januar 2004 geschuldeten Verbrauchsteuern nicht entrichten.

4        Am 6. März 2004 wurde ihr deshalb die Lizenz zur Herstellung und Verarbeitung von alkoholischen Getränken und Spirituosen entzogen. Seither hat sie sich darauf beschränkt, Spirituosen unter der Marke „Frucona“ zu vertreiben, die sie bei einem Unternehmen kaufte, das diese gemäß einer Vereinbarung in den Fabriken von Frucona Košice unter Lizenz produzierte.

5        Außerdem trat die Überschuldung von Frucona Košice im Sinne des Gesetzes Nr. 328/1991 über Insolvenz- und Vergleichsverfahren (zákon č. 328/1991 Zb. o konkurze a vyrovnaní) ein.

6        Aus der streitigen Entscheidung geht hervor, dass die Insolvenz- und Vergleichsverfahren der Kontrolle eines Gerichts unterliegen mit dem Ziel, die finanzielle Situation überschuldeter Unternehmen zu regeln. Während die Insolvenz das Ende des überschuldeten Unternehmens herbeiführt, kann es seine Tätigkeit bei einem Vergleich fortsetzen, wenn eine Vereinbarung dahin gehend erreicht wird, dass das überschuldete Unternehmen einen Teil seiner Schulden begleicht und ihm dafür der Rest erlassen wird.

7        Der Generaldirektor von Frucona Košice hatte sich am 16. Dezember 2003 sowie am 23. und 30. Januar 2004 mit Vertretern der slowakischen Generaldirektion für Steuern und dem slowakischen Finanzminister getroffen, um ihnen insbesondere vorzuschlagen, die steuerlichen Verpflichtungen des Unternehmens durch einen Vergleich festzulegen.

8        Am 8. Januar 2004 war Frucona Košice hierzu auch an das für sie zuständige Amt in Košice IV (im Folgenden: örtliche Steuerbehörde) herangetreten, das nichts gegen einen Vergleich einzuwenden hatte.

9        Am 8. März 2004 reichte Frucona Košice beim Krajský súd v Košiciach (Bezirksgericht Košice) (Slowakei) einen Antrag auf Eröffnung eines Vergleichsverfahrens ein und schlug ihren Gläubigern vor, jedem von ihnen 35 % des geschuldeten Betrags zu zahlen (im Folgenden: Vergleichsvorschlag). Die gesamten Schulden von Frucona Košice beliefen sich auf etwa 644,6 Mio. SKK; davon waren etwa 640,8 Mio. SKK Steuerschulden.

10      Mit Beschluss vom 29. April 2004 genehmigte das Krajský súd v Košiciach die Eröffnung des Vergleichsverfahrens und gab insbesondere den Vergleichsvorschlag wieder.

11      Frucona Košice legte der örtlichen Steuerbehörde am 26. April 2004 einen von ihrer internen Prüferin erstellten Prüfbericht (im Folgenden: Bericht K) und am 7. Juli 2004 einen von einer unabhängigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft erstellten Prüfbericht (im Folgenden: Bericht E) vor, damit sie beurteilen konnte, welche Vorteile der Vergleichsvorschlag, das gerichtliche Insolvenzverfahren und die Steuereinziehung jeweils boten.

12      Am 21. Juni 2004 nahm die slowakische Steuerverwaltung in den Räumen der Rechtsmittelführerin eine Betriebsrevision vor, bei der festgestellt wurde, dass sie am 17. Juni 2004 u. a. über liquide Mittel in Höhe von 161,3 Mio. SKK verfügte.

13      Mit Schreiben vom 6. Juli 2004 forderte die Generaldirektorin der slowakischen Generaldirektion für Steuern die örtliche Steuerbehörde auf, den Vergleichsvorschlag abzulehnen, weil dieser für die Slowakische Republik von Nachteil sei.

14      Am 9. Juli 2004 stimmten die Gläubiger von Frucona Košice einschließlich der örtlichen Steuerbehörde in einer Vergleichsverhandlung dem Vergleichsvorschlag zu.

15      Mit Beschluss vom 14. Juli 2004 bestätigte das Krajský súd v Košiciach den Vergleich und stellte insbesondere fest, dass er eine Rückzahlung der Forderung der slowakischen Steuerverwaltung in Höhe von 35 %, d. h. von etwa 224,3 Mio. SKK, vorsehe.

16      Am selben Tag suspendierte und ersetzte die slowakische Generaldirektion für Steuern den Direktor der örtlichen Steuerbehörde. Am 14. Dezember 2004 wurde er aufgrund der Annahme des Vergleichsvorschlags durch die örtliche Steuerbehörde wegen Betrugs und Veruntreuung angeklagt. Mit Urteil vom 6. März 2006 sprach ihn das Špeciálny súd v Pezinku (Sondergericht Pezinok) (Slowakei) in allen Anklagepunkten frei.

17      Mit Schreiben vom 20. Oktober 2004 teilte die örtliche Steuerbehörde Frucona Košice mit, dass die Modalitäten des Vergleichs eine mittelbare staatliche Beihilfe darstellten, die der Genehmigung durch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften bedürfe.

18      Am 17. Dezember 2004 zahlte Frucona Košice u. a. der örtlichen Steuerbehörde einen Betrag in Höhe von 224,3 Mio. SKK, d. h. 35 % ihrer gesamten Schulden. Mit Beschluss vom 30. Dezember 2004 verkündete das Krajský súd v Košiciach die Einstellung des Vergleichsverfahrens. Am 18. August 2006 setzte das Krajský súd v Košiciach den der örtlichen Steuerbehörde zu zahlenden Betrag auf 224,1 Mio. SKK herab.

19      Am 15. Oktober 2004 wurde bei der Kommission eine Beschwerde wegen einer vermutlich rechtswidrigen Beihilfe zugunsten von Frucona Košice eingereicht.

20      Mit Schreiben vom 4. Januar 2005 teilte die Slowakische Republik der Kommission auf deren Auskunftsverlangen hin mit, dass Frucona Košice möglicherweise eine rechtswidrige Beihilfe erhalten habe, und bat sie, diese Beihilfe als Rettungsbeihilfe für ein in Schwierigkeiten befindliches Unternehmen zu genehmigen.

21      Nach der Einholung zusätzlicher Informationen teilte die Kommission der Slowakischen Republik mit Schreiben vom 5. Juli 2005 ihre Entscheidung mit, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG in Bezug auf die fragliche Maßnahme einzuleiten. Diese Entscheidung wurde im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. 2005, C 233, S. 47) veröffentlicht.

22      Am 7. Juni 2006 erließ die Kommission die streitige Entscheidung. Gemäß Art. 1 ihres verfügenden Teils ist die staatliche Beihilfe der Slowakischen Republik zugunsten von Frucona Košice in Höhe von 416 515 990 SKK nicht mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar. In Art. 2 wird die Rückforderung dieser Beihilfe angeordnet.

23      In dem die Beurteilung des Vorliegens einer staatlichen Beihilfe betreffenden Teil dieser Entscheidung stellte die Kommission fest, der Vergleich enthalte gleiche Bedingungen des Schuldausgleichs für die privaten Gläubiger wie auch für die Steuerverwaltung, obwohl sich Letztere aufgrund ihrer Stellung als bevorrechtigte Gläubigerin im Insolvenzverfahren in einer günstigeren rechtlichen und ökonomischen Position als die privaten Gläubiger befunden habe.

24      Die Kommission führte ferner aus, bei der Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers sei zu prüfen, ob die örtliche Steuerbehörde „– verglichen mit dem möglichen Ergebnis eines Insolvenzverfahrens oder einer Steuereinziehung – mehr erreicht hat, als [sie] die Bedingungen des [von Frucona Košice] beantragten Vergleichs annahm“.

25      Bei der Prüfung des Erlöses aus einer Insolvenz vertrat die Kommission die Auffassung, der Bericht E stelle keine vertrauenswürdige Grundlage dar, da er auf dem Stand des Vermögens von Frucona Košice zum 31. März 2004 beruhe und insbesondere nicht auf dem zum 17. Juni 2004. Daher seien die im Bericht E genannten Verwertungskoeffizienten zu niedrig. Außerdem werde die Methode ihrer Ermittlung nicht erläutert. Überdies bestünden im Hinblick auf andere zur Verfügung stehende Schätzungen Zweifel an der Berechnung der verschiedenen Gebühren im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren, die vom Gesamterlös aus dem Verkauf der Aktiva abgezogen werden müssten.

26      Auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Belege kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass „der Verkauf der Aktiva im Insolvenzverfahren aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem höheren Erlös … geführt hätte“ als der Vergleich und dass in Anbetracht der bevorrechtigten Stellung der örtlichen Steuerbehörde nahezu der gesamte Erlös aus der Insolvenz an sie gegangen wäre. In Bezug auf den Erlös aus einer Steuereinziehung kam sie zum selben Ergebnis.

27      Weiter führte die Kommission aus, die Generaldirektion für Steuern der Slowakischen Republik sei gegen den beantragten Vergleich, und schloss bei der Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers die Relevanz etwaiger langfristiger staatlicher Interessen, wie z. B. die Fortsetzung der Steuereinnahmen des Staates aus der Tätigkeit von Frucona Košice, aus.

28      Die Kommission kam zu dem Schluss, das Kriterium des marktwirtschaftlich handelnden privaten Gläubigers sei nicht erfüllt; die geprüfte Maßnahme stelle daher eine staatliche Beihilfe dar, die dem von der örtlichen Steuerbehörde erlassenen Forderungsbetrag entspreche. Schließlich vertrat sie die Ansicht, dass diese Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sei.

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

29      Mit Klageschrift, die am 12. Januar 2007 bei der Kanzlei des Gerichts einging, beantragte Frucona Košice die Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung.

30      Mit Schriftsatz, der am 8. Juni 2007 bei der Kanzlei des Gerichts einging, beantragte die St. Nicolaus – trade a.s. (im Folgenden: St. Nicolaus – trade), im Verfahren zur Unterstützung der Anträge der Kommission als Streithelferin zugelassen zu werden. Diesem Antrag wurde mit Beschluss des Präsidenten der Zweiten Kammer des Gerichts vom 11. Oktober 2007 stattgegeben.

31      Frucona Košice stützte ihre Klage auf zehn Gründe. Mit dem vierten Klagegrund wurde gerügt, die Kommission, die bei der Einstufung der fraglichen Maßnahme als staatliche Beihilfe die Ansicht vertreten habe, ein Insolvenzverfahren wäre günstiger gewesen als der Vergleich und daher sei das Kriterium des vorsichtigen privaten Gläubigers nicht erfüllt, habe in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht einen Fehler begangen.

32      Mit diesem Klagegrund machte Frucona Košice im Wesentlichen geltend, die Kommission habe insbesondere angesichts der von ihr vorgelegten Beweise die Dauer des Insolvenzverfahrens und ihre Auswirkung auf die von einem privaten Gläubiger in der Lage der Steuerverwaltung zu treffende Entscheidung unberücksichtigt gelassen.

33      Das Gericht hat zunächst festgestellt, dass sich die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung, da die Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers mit komplexen wirtschaftlichen Beurteilungen verbunden sei, auf die Prüfung beschränken müsse, ob die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe.

34      Sodann hat es die Ansicht vertreten, im vorliegenden Fall seien bei dieser Kontrolle die Stellung der slowakischen Steuerverwaltung als bevorrechtigte Gläubigerin, die besondere Vorsicht, mit der die Kommission den Erlös einer Veräußerung der Aktiva von Frucona Košice in einem Insolvenzverfahren beurteilt habe und die Tatsache zu berücksichtigen, dass bei der Insolvenz, im Gegensatz zum Vergleich, kein Schuldenerlass vorgesehen sei.

35      Im Licht dieser Erwägungen hat das Gericht in den Randnrn. 123 bis 129 des angefochtenen Urteils ausgeführt:

„123      Erstens ist zu dem Argument [von Frucona Košice], dass die Dauer des Insolvenzverfahrens in der Slowakei und die von dritter Seite hierzu erstellten Berichte nicht berücksichtigt worden seien, zunächst zu bemerken, dass die Kommission entgegen dem Vorbringen [dieses Unternehmens] nicht nur im 54. Erwägungsgrund der [streitigen] Entscheidung darauf hingewiesen hat, dass nach Auffassung der Slowakischen Republik ein Insolvenzverfahren unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles kürzer als im Durchschnitt gewesen wäre, sondern im 40. Erwägungsgrund auch erwähnt hat, dass das Insolvenzverfahren in der Slowakei nach Ansicht [von Frucona Košice] durchschnittlich drei bis sieben Jahre dauere. Außerdem hat die Kommission vorgetragen, dass sich [Frucona Košice] auf Belege, Statistiken und das Beispiel einer slowakischen Gesellschaft stütze, die sich in einer ähnlichen Situation wie sie befinde. Demzufolge kann der Kommission nicht der Vorwurf gemacht werden, dass sie diese Frage und den Standpunkt [von Frucona Košice] dazu außer Acht gelassen habe.

124      Außerdem ist zu den Beweisen, über die die Kommission verfügte, zu bemerken, dass die von [Frucona Košice] zur Verfügung gestellten Daten ihrerseits nicht den Anforderungen an Zuverlässigkeit und Kohärenz genügen. Die von [Frucona Košice] der Kommission zur Verfügung gestellten Schätzungen der Dauer eines Insolvenzverfahrens in der Slowakei waren nämlich allgemeiner Art und berücksichtigten nicht die Besonderheiten des vorliegenden Falles. Des Weiteren handelte es sich bei diesen Schätzungen in einigen Fällen um Näherungswerte, und sie stimmten teilweise nicht miteinander überein. So verweist [Frucona Košice] auf vier Berichte, die vorstehend in Randnr. 96 angeführt sind und in denen die Dauer eines Insolvenzverfahrens auf vier Jahre und acht Monate, auf drei bis sieben Jahre bzw. auf mehr als sechs Jahre geschätzt wird.

125      Ferner nimmt [Frucona Košice] auf Berichte der Kommission von 2002 und 2003 über die Fortschritte der Slowakischen Republik im Hinblick auf ihren Beitritt zur Union Bezug. Nach Ansicht [dieses Unternehmens] weist die Kommission in diesen Berichten auf die Schwierigkeiten und die erforderlichen Verbesserungen bei Insolvenzverfahren in der Slowakei hin. Diese Berichte betreffen jedoch Insolvenzverfahren in der Slowakei im Allgemeinen, ohne die Besonderheiten des vorliegenden Falles zu berücksichtigen.

126      Außerdem hat [Frucona Košice] nicht erwähnt, zu welchem Ergebnis der Bericht K in Bezug auf die Dauer eines sie betreffenden Insolvenzverfahrens gelangt ist. [Im Bericht K], den [Frucona Košice] in dieser Rechtssache selbst vorgelegt hat, wurde die Dauer auf ‚etwa zwei Jahre (je nach den Umständen und der Arbeit des Treuhänders)‘ geschätzt. Diese Schätzung der Dauer eines Insolvenzverfahrens ist nicht nur offensichtlich viel optimistischer als die anderen von [Frucona Košice] vorgelegten Schätzungen, sondern bezieht sich speziell auf [dieses Unternehmen].

127      Darüber hinaus ist, wie die Kommission geltend macht, zu berücksichtigen, dass das Insolvenzverfahren kürzer als im Durchschnitt sein kann, wenn die Gläubigerzahl wie im vorliegenden Fall gering und Vermögen mit positivem Liquidationswert vorhanden ist. Dies gilt umso mehr für den vorliegenden Fall, in dem zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die Forderungen der slowakischen Steuerverwaltung gegenüber [Frucona Košice] etwa 99 % ihrer Passiva darstellten und dass die Verwaltung bevorrechtigte Gläubigerin war. Demzufolge hätte diese maßgeblichen Einfluss auf die Dauer des Insolvenzverfahrens gehabt. [Frucona Košice] behauptet zwar, dass die Besonderheiten, der Standort und der veraltete Zustand der meisten ihrer Vermögenswerte die Suche nach einem Käufer erschwert hätten und ein Insolvenzverfahren deshalb länger gedauert hätte. Diese Behauptung … ist jedoch, wie die Kommission im 88. Erwägungsgrund der [streitigen] Entscheidung bemerkt, in mehrfacher Hinsicht, insbesondere aber deshalb unbegründet, weil ein Teil der Produktionsanlagen [von Frucona Košice] nach dem Entzug der Lizenz für die Herstellung und Verarbeitung von Alkohol und Spirituosen einen neuen Verwender fand.

129      Nach alledem hat die Kommission hinsichtlich der Dauer des Insolvenzverfahrens keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen.“

36      Anschließend hat das Gericht auch die weiteren von Frucona Košice erhobenen Klagegründe zurückgewiesen, ihre Klage daher abgewiesen und ihr die Kosten auferlegt.

 Anträge der Parteien

37      Frucona Košice beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit darin der vierte und der sechste Klagegrund zurückgewiesen wurden;

–        diese Klagegründe für begründet zu erklären;

–        den Rechtsstreit zur Entscheidung über den fünften, den sechsten, den siebten, den achten und den neunten Klagegrund, soweit sie das Steuereinziehungsverfahren betreffen, an das Gericht zurückzuverweisen, und

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

38      Die Kommission beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        Frucona Košice die Kosten aufzuerlegen.

39      St. Nicolaus – trade beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen, das angefochtene Urteil zu bestätigen und Frucona Košice die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

40      Frucona Košice stützt ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund wird ein Rechtsfehler des Gerichts bei der Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers geltend gemacht. Dieser Rechtsmittelgrund besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen, wobei der erste Teil die Dauer eines Insolvenzverfahrens und der zweite Teil die Relevanz von Sachverständigengutachten bei der Bestimmung der Verwertungskoeffizienten betrifft.

41      Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund wirft Frucona Košice dem Gericht vor, es habe die Argumentation in der streitigen Entscheidung durch seine eigene ersetzt und Beweise verfälscht. Dieser Rechtsmittelgrund besteht im Wesentlichen aus vier Teilen. Der erste Teil betrifft die Kosten eines Insolvenzverfahrens, der zweite die Dauer eines solchen Verfahrens, der dritte den vorsichtigen Bewertungsansatz der Kommission und der vierte die Relevanz einer nach der Insolvenz verbleibenden Restschuld.

42      Zunächst sind der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes und der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes, die sich auf die Dauer eines Insolvenzverfahrens beziehen, zusammen zu prüfen.

 Vorbringen der Parteien

43      Mit dem ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht Frucona Košice geltend, das Gericht habe bei der Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers einen Rechtsfehler begangen.

44      Frucona Košice ist der Ansicht, das Gericht habe die Situation im Rahmen seiner Beurteilung nicht in gleicher Weise geprüft, wie es ein privater Gläubiger in Anbetracht der ihm beim Abschluss des Vergleichs zur Verfügung stehenden Informationen getan hätte. Das Gericht habe eine nachträgliche Beurteilung der Kommission bestätigt, die bestimmte Risiken und Fristen nicht berücksichtige, die die Entscheidung eines privaten Gläubigers bei der Prüfung, welche Vorteile ein gerichtliches Insolvenzverfahren und ein Vergleich jeweils böten, beeinflusst hätten.

45      Das Gericht habe sich insbesondere darauf beschränkt, zu prüfen, ob die von der Kommission vorgenommene Beurteilung Fehler aufweise, und nicht, ob bei dieser Beurteilung der Standpunkt eines vorsichtigen privaten Gläubigers berücksichtigt worden sei.

46      Nach diesem Kriterium sei zu prüfen, ob die fragliche Maßnahme unter Berücksichtigung der beim Abschluss des Vergleichs vernünftigerweise verfügbaren Informationen einen deutlich größeren Vorteil gebracht habe als die von einem in einer ähnlichen Situation befindlichen privaten Gläubiger gewählte Lösung.

47      Das Gericht hätte daher zunächst feststellen müssen, ob die Informationen zur Dauer eines Insolvenzverfahrens den Entscheidungsprozess eines hypothetischen privaten Gläubigers hätten beeinflussen können. Sodann hätte es prüfen müssen, ob die Kommission diese Informationen berücksichtigt habe. Schließlich hätte das Gericht prüfen müssen, ob sie diesen Informationen die Bedeutung beigemessen habe, die sie verdienten.

48      Ein vorsichtiger privater Gläubiger hätte bei seiner Entscheidung zwischen den verschiedenen Möglichkeiten der Beitreibung einer Schuld die verschiedenen im vorliegenden Fall verfügbaren Informationen über die Dauer eines Insolvenzverfahrens sowie die damit verbundenen Unsicherheiten berücksichtigt. Die verschiedenen Berichte und Unterlagen zum vorausgegangenen Insolvenzverfahren der Gesellschaft Liehofruct im selben Wirtschaftszweig enthielten mithin rechtlich relevante Informationen, die die Kommission hätte berücksichtigen müssen, was sie nicht getan habe. Sie habe daher einen Rechtsfehler begangen, den das Gericht nicht beanstandet habe.

49      Soweit das Gericht die Ansicht vertreten habe, die Beurteilung der Berichte durch die Kommission betreffe eine Tatsachenfrage, und zwar die Dauer der Insolvenzverfahren, für die sie über einen Ermessensspielraum verfüge, habe es einen Rechtsfehler begangen, da die aufgeworfene Frage die der Auswirkung dieser Informationen auf die Beurteilung gewesen sei, die ein vorsichtiger privater Gläubiger vorgenommen hätte.

50      Mit dem zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes macht Frucona Košice geltend, das Gericht habe in Bezug auf die Dauer eines Insolvenzverfahrens insbesondere die fehlende Prüfung dieser Gesichtspunkte durch die Kommission mit seiner eigenen Begründung gerechtfertigt.

51      Das Gericht habe nämlich in Randnr. 123 des angefochtenen Urteils den Inhalt der streitigen Entscheidung verkannt, da in den Erwägungsgründen, auf die es in dieser Randnummer Bezug nehme, nicht der Standpunkt der Kommission zur Dauer der verschiedenen Verfahren dargestellt werden solle, sondern die Standpunkte von Frucona Košice und der Slowakischen Republik beschrieben würden.

52      Das Gericht habe dadurch, dass es in Randnr. 124 des angefochtenen Urteils entschieden habe, dass die von Frucona Košice zur Verfügung gestellten Daten nicht den Anforderungen an Zuverlässigkeit und Kohärenz genügten, rechtswidrig der in der streitigen Entscheidung dargelegten Argumentation neue Gründe hinzugefügt, um dieses Vorbringen zurückzuweisen. Außerdem werde die Feststellung des Gerichts, die Kommission verfüge über mehrere Schätzungen zur wahrscheinlichen Dauer eines Insolvenzverfahrens in der Slowakei, nicht der von Frucona Košice dargelegten Argumentation gerecht.

53      Das Gericht habe zudem dadurch, dass es in Randnr. 125 des angefochtenen Urteils die Relevanz der Berichte der Kommission von 2002 und 2003 über die Fortschritte der Slowakischen Republik im Hinblick auf ihren Beitritt zur Union mit der Begründung zurückgewiesen habe, dass sie die Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht berücksichtigten, ein Argument angeführt, auf das sich die Kommission in der streitigen Entscheidung nicht gestützt habe. Darüber hinaus sei diese Begründung nicht stichhaltig, weil sich die Kommission, wenn sie das Kriterium des privaten Gläubigers anwende, häufig teilweise auf allgemeine Informationen über die Wirtschaftsverhältnisse in dem betreffenden Mitgliedstaat stütze.

54      Das Gericht habe dadurch, dass es in Randnr. 126 des angefochtenen Urteils ausgeführt habe, in einem der von Frucona Košice vorgelegten Berichte werde die Dauer eines Insolvenzverfahrens auf etwa zwei Jahre geschätzt, erneut versucht, selbst einen Grund für die fehlende Berücksichtigung der Dauer eines solchen Insolvenzverfahrens anzugeben. Außerdem liege die Dauer von zwei Jahren weit über dem Zeitraum von vier Monaten, der erforderlich sei, um im Rahmen eines Vergleichsverfahrens Mittel zu erhalten.

55      Ferner habe das Gericht in Randnr. 127 des angefochtenen Urteils allein anhand seiner eigenen Begründung festgestellt, dass im vorliegenden Fall ein etwaiges Insolvenzverfahren von kürzerer als der üblichen Dauer eines solchen Verfahrens gewesen wäre.

56      Die Kommission ist in Bezug auf den ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes der Ansicht, für die Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers sei festzustellen, ob die von einem Mitgliedstaat gewährten Zahlungserleichterungen auch von einem privaten Gläubiger gewährt worden wären oder ob offenkundig sei, dass Letzterer keine vergleichbaren Erleichterungen angeboten hätte. Diese Auslegung werde durch das Ermessen der Kommission bei komplexen wirtschaftlichen Beurteilungen, wie sie mit der Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers verbunden seien, bestätigt.

57      Das Gericht habe das zutreffende rechtliche Kriterium angewandt, das darin bestehe, festzustellen, ob die Behörde in gleicher Weise gehandelt habe, wie es ein privater Gläubiger angesichts der Umstände in derselben Situation getan hätte, und zu Recht befunden, dass sich seine Kontrolle darauf beschränke, offensichtliche Fehler der Kommission bei der Beurteilung des Sachverhalts festzustellen.

58      Schließlich beziehe sich das Vorbringen von Frucona Košice zur fehlenden Bezugnahme auf das Kriterium des privaten Gläubigers und zum Umfang der Überprüfung der Beurteilungen der Kommission durch das Gericht auf die Art und Weise, in der die Kommission und das Gericht die Beweise beurteilt hätten, und betreffe daher nicht die Argumentation des Gerichts zum rechtlich relevanten Kriterium.

59      Zum zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes führt die Kommission zunächst aus, die Beurteilung des Sachverhalts müsse im Hinblick auf das Kriterium des privaten Gläubigers auf einer Bewertung aller maßgebenden Faktoren beruhen, während Frucona Košice lediglich die Beurteilung einiger dieser vielen Faktoren beanstandet habe.

60      Zur Dauer des Insolvenzverfahrens habe das Gericht in Randnr. 123 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Kommission diese Frage in der streitigen Entscheidung nicht außer Acht gelassen habe, es aber gleichwohl angesichts der Informationen in den Randnrn. 17, 40 und 54 der streitigen Entscheidung für entbehrlich gehalten, die Dauer des Insolvenzverfahrens als einen dem Abschluss eines solchen Verfahrens entgegenstehenden Faktor zu betrachten.

61      In Randnr. 124 seines Urteils habe das Gericht lediglich die der Kommission zur Verfügung stehenden Beweise bestätigt. Die Bezugnahme des Gerichts in den Randnrn. 125 und 126 des angefochtenen Urteils auf Berichte, die in der streitigen Entscheidung nicht zu finden seien, sei lediglich ein obiter dictum.

62      Auch in Randnr. 127 des angefochtenen Urteils habe sich das Gericht darauf beschränkt, die der Kommission zur Verfügung stehenden Beweise zu prüfen, um zu kontrollieren, ob sie einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe. Die Kommission sei nicht verpflichtet, auf jedes Vorbringen des Empfängers einer behaupteten Beihilfe speziell einzugehen, und sie habe sich mit den Erwägungen zur Dauer des Insolvenzverfahrens nicht aufgehalten, da die Frage insbesondere unter Berücksichtigung der Stellung der örtlichen Steuerbehörde als bevorrechtigte Gläubigerin nicht geeignet gewesen wäre, einen hypothetischen privaten Gläubiger sehr zu beschäftigen.

63      Daher sei das Vorbringen von Frucona Košice im Rahmen des ersten Teils des ersten Rechtsmittelgrundes, mit dem dargetan werden solle, dass das Gericht die Argumentation der Kommission durch seine eigene ersetzt habe, nicht begründet.

64      St. Nicolaus – trade macht geltend, bei der Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers sei zu fragen, ob ein privater Investor den betreffenden Vorgang zu den gleichen Bedingungen durchgeführt hätte, und, wenn dies nicht der Fall sei, zu prüfen, wie diese Bedingungen ausgesehen hätten.

65      Für die örtliche Steuerbehörde sei die sofortige Begleichung ihrer Forderung durch Frucona Košice zu dem Zeitpunkt, als sie dem Vergleichsvorschlag zugestimmt habe, nicht erforderlich gewesen. Ein privater Gläubiger wäre daher in einer ähnlichen Situation wie die örtliche Steuerbehörde nicht geneigt gewesen, auf die Möglichkeit einer höheren als der im Vergleich angebotenen Zahlung zu verzichten.

66      Zur Dauer des Insolvenzverfahrens gehe aus Randnr. 123 des angefochtenen Urteils hervor, dass die Kommission diese Frage geprüft habe. Die Kommission verfüge insoweit über einen weiten Beurteilungsspielraum und habe im vorliegenden Fall den Sachverhalt, mit dem sie befasst gewesen sei, hauptsächlich unter Berücksichtigung der Komplexität eines Insolvenzverfahrens, der Zahl der Gläubiger und der Tatsache beurteilt, dass die Steuerverwaltung nicht nur Mehrheitsgläubigerin, sondern auch bevorrechtigte Gläubigerin von Frucona Košice sei. Auf dieser Grundlage seien die Kommission und das Gericht zu Recht zu dem Schluss gekommen, dass das Insolvenzverfahren sehr wahrscheinlich innerhalb kürzerer als der für den Abschluss eines solchen Verfahrens üblicherweise erforderlichen Zeit beendet worden wäre.

 Würdigung durch den Gerichtshof

67      Frucona Košice macht dem Gericht im Wesentlichen zum Vorwurf, dass es sich darauf beschränkt habe, zu prüfen, ob die von der Kommission vorgenommene Analyse offensichtliche Beurteilungsfehler aufweise, und nicht geprüft habe, ob diese Analyse aus der Sicht eines privaten Gläubigers erfolgt sei. Das Gericht habe insbesondere nicht geprüft, ob die zur Dauer eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens verfügbaren Informationen den Entscheidungsprozess eines privaten Gläubigers beeinflussen könnten und ob die Kommission diese Informationen berücksichtigt habe. Statt dies zu prüfen, habe es die fehlende Prüfung dieser Gesichtspunkte in der streitigen Entscheidung mit seiner eigenen Begründung gerechtfertigt.

68      Gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV sind, soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

69      Der Begriff der Beihilfe umfasst nicht nur positive Leistungen wie Subventionen, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die von einem Unternehmen normalerweise zu tragenden Belastungen vermindern und die somit zwar keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen (Urteile vom 1. Dezember 1998, Ecotrade, C‑200/97, Slg. 1998, I‑7907, Randnr. 34, und vom 19. Mai 1999, Italien/Kommission, C‑6/97, Slg. 1999, I‑2981, Randnr. 15).

70      Die Voraussetzungen, die eine Maßnahme erfüllen muss, um unter den Begriff „Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 AEUV zu fallen, sind jedoch nicht erfüllt, wenn das begünstigte Unternehmen denselben Vorteil, der ihm aus Staatsmitteln gewährt wurde, unter Umständen, die normalen Marktbedingungen entsprechen, hätte erhalten können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2012, Kommission/EDF, C‑124/10 P, Randnr. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).

71      Diese Beurteilung erfolgt grundsätzlich unter Anwendung des Kriteriums des privaten Gläubigers, wenn ein öffentlicher Gläubiger Zahlungserleichterungen für eine ihm von einem Unternehmen geschuldete Forderung gewährt. Dieses Kriterium gehört nämlich, wenn es anwendbar ist, zu den Merkmalen, die von der Kommission zu berücksichtigen sind, um das Vorliegen einer solchen Beihilfe festzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. April 1999, Spanien/Kommission, C‑342/96, Slg. 1999, I‑2459, Randnr. 46, vom 29. Juni 1999, DM Transport, C‑256/97, Slg. 1999, I‑3913, Randnr. 24, sowie Kommission/EDF, Randnrn. 78 und 103).

72      Solche Zahlungserleichterungen stellen eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dar, wenn das begünstigte Unternehmen in Anbetracht der Bedeutung des hiermit gewährten wirtschaftlichen Vorteils derartige Erleichterungen offenkundig nicht von einem privaten Gläubiger erhalten hätte, der sich in einer möglichst ähnlichen Lage befindet wie der öffentliche Gläubiger und von einem Schuldner, der sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet, die Zahlung der ihm geschuldeten Beträge zu erlangen sucht (vgl. in diesem Sinne Urteile Spanien/Kommission, Randnr. 46, DM Transport, Randnr. 30, und Kommission/EDF, Randnr. 79).

73      Die Kommission hat deshalb eine Gesamtwürdigung vorzunehmen und dabei jeden im betreffenden Fall erheblichen Anhaltspunkt zu berücksichtigen, der es ihr ermöglicht, festzustellen, ob das begünstigte Unternehmen derartige Erleichterungen offenkundig nicht von einem solchen privaten Gläubiger erhalten hätte (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/EDF, Randnr. 86).

74      Es ist unstreitig, dass die Prüfung der Kommission, ob bestimmte Maßnahmen als staatliche Beihilfe zu qualifizieren sind, weil die Behörden nicht wie ein privater Gläubiger gehandelt haben, eine komplexe wirtschaftliche Beurteilung erfordert (vgl. Urteil vom 22. November 2007, Spanien/Lenzing, C‑525/04 P, Slg. 2007, I‑9947, Randnr. 59).

75      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsrichter im Rahmen der Kontrolle, die die Unionsgerichte in Bezug auf die Würdigung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten durch die Kommission im Bereich der staatlichen Beihilfen ausüben, nicht die wirtschaftliche Beurteilung seitens der Kommission durch seine eigene ersetzen darf (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. September 2010, Kommission/Scott, C‑290/07 P, Slg. 2010, I‑7763, Randnrn. 64 und 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

76      Der Unionsrichter muss jedoch nicht nur die sachliche Richtigkeit, die Zuverlässigkeit und die Kohärenz der angeführten Beweise prüfen, sondern auch kontrollieren, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu stützen vermögen (Urteile vom 15. Februar 2005, Kommission/Tetra Laval, C‑12/03 P, Slg. 2005, I‑987, Randnr. 39, und Kommission/Scott, Randnr. 65).

77      Nach alledem hatte das Gericht in Anbetracht des Vorbringens von Frucona Košice im ersten Rechtszug insbesondere zu prüfen, ob die zur Dauer eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens verfügbaren Informationen im vorliegenden Fall für die Beurteilung unter dem Gesichtspunkt des Kriteriums des privaten Gläubigers erheblich sind, und, wenn dies der Fall ist, ob die Kommission diese berücksichtigt hat.

78      Insoweit ist jede Information als erheblich zu betrachten, die den Entscheidungsprozess eines durchschnittlich vorsichtigen und sorgfältigen privaten Gläubigers, der sich in einer möglichst ähnlichen Lage befindet wie der öffentliche Gläubiger und von einem Schuldner, der sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet, die Zahlung der ihm geschuldeten Beträge zu erlangen sucht, nicht unwesentlich beeinflussen kann.

79      Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass ein durchschnittlich vorsichtiger und sorgfältiger privater Gläubiger, der sich in einer möglichst ähnlichen Lage befindet wie die örtliche Steuerbehörde, insbesondere zwischen dem Vergleichsvorschlag von Frucona Košice und dem gerichtlichen Insolvenzverfahren zu wählen hatte, um die Zahlung der ihm geschuldeten Beträge zu erlangen.

80      Um die günstigste Alternative zu ermitteln, müsste ein solcher Gläubiger folglich die Vor- und Nachteile jedes dieser Verfahren beurteilen.

81      Wie Frucona Košice zu Recht geltend macht, handelt es sich jedoch bei der Dauer der vorgenannten Verfahren, da dadurch die Erlangung der geschuldeten Beträge hinausgeschoben wird und daher bei langen Verfahren insbesondere ihr Wert beeinträchtigt werden kann, um einen Gesichtspunkt, der den Entscheidungsprozess eines durchschnittlich vorsichtigen und sorgfältigen privaten Gläubigers der sich in einer möglichst ähnlichen Lage befindet wie die örtliche Steuerbehörde, nicht unwesentlich beeinflussen kann.

82      Das Gericht hatte infolgedessen zu prüfen, ob die Kommission im Rahmen ihrer Beurteilung des Kriteriums des privaten Gläubigers die insbesondere zur Dauer eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens verfügbaren Informationen berücksichtigt hat.

83      Hierzu ergibt sich aus der in Randnr. 35 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Randnr. 123 des angefochtenen Urteils, dass die Kommission nach den Feststellungen des Gerichts im 54. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung auf den Standpunkt der Slowakischen Republik zur Dauer eines solchen Verfahrens hinwies und in ihrem 40. Erwägungsgrund den Standpunkt von Frucona Košice erwähnte. Es hat daraus geschlossen, dass die Kommission „diese Frage … [nicht] außer Acht gelassen“ habe.

84      Zum einen befinden sich die vom Gericht angeführten Erwägungsgründe, wie Frucona Košice zu Recht ausgeführt hat, jedoch in den Titeln IV und V der streitigen Entscheidung, in denen die Erklärungen der Beteiligten und der Slowakischen Republik zusammengefasst werden, und nicht in ihrem Titel VI, der die Beurteilung der Kommission enthält.

85      Zum anderen hatte das Gericht, wie in Randnr. 82 des vorliegenden Urteils ausgeführt, nicht zu prüfen, ob die Kommission die zur Dauer eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens verfügbaren Informationen unberücksichtigt gelassen hatte oder nicht, sondern, ob sie sie im Rahmen ihrer Beurteilung des Kriteriums des privaten Gläubigers berücksichtigt hatte.

86      Das Gericht hätte folglich prüfen müssen, ob die Kommission einen Teil ihrer in Titel VI der streitigen Entscheidung, insbesondere in dessen die Gegenüberstellung von Vergleich und Insolvenzverfahren betreffendem Abschnitt 2.1, wiedergegebenen Erwägungen der Dauer eines Insolvenzverfahrens gewidmet hatte. Eine solche Prüfung ergibt sich aber aus dem angefochtenen Urteil nicht.

87      Soweit das Gericht in den ebenfalls in Randnr. 35 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Randnrn. 125 bis 127 des angefochtenen Urteils verschiedene Gesichtspunkte zur Zuverlässigkeit und Kohärenz der von Frucona Košice während des Verwaltungsverfahrens vorgelegten Informationen geprüft und ausgeführt hat, die Kommission habe die Ansicht vertreten dürfen, dass die Dauer eines Insolvenzverfahrens den Entscheidungsprozess eines privaten Gläubigers nicht beeinflussen könne, ist schließlich festzustellen, dass die Prüfung des Gerichts an keine in der streitigen Entscheidung zu findende Beurteilung anknüpft.

88      Das Gericht hat sich folglich bei der Zurückweisung der von ihm geprüften Klagegründe auf eine Beurteilung der Dauer eines Insolvenzverfahrens gestützt, die eine Lücke in der Begründung der streitigen Entscheidung mit darin nicht zu findenden Gründen schließt. Damit hat das Gericht jedoch die Grenzen seiner Kontrolle überschritten.

89      Der Gerichtshof und das Gericht sind nämlich im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 263 AEUV für Klagen zuständig, die wegen Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung des AEU-Vertrags oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder wegen Ermessensmissbrauchs erhoben werden. Ist die Klage begründet, so ist die angefochtene Handlung nach Art. 264 AEUV für nichtig zu erklären. Der Gerichtshof und das Gericht dürfen somit auf keinen Fall die vom Urheber der angefochtenen Handlung gegebene Begründung durch ihre eigene ersetzen (vgl. Urteile vom 27. Januar 2000, DIR International Film u. a./Kommission, C‑164/98 P, Slg. 2000, I‑447, Randnr. 38, sowie vom 22. Dezember 2008, British Aggregates/Kommission, C‑487/06 P, Slg. 2008, I‑10515, Randnr. 141).

90      Nach alledem hat das Gericht dadurch, dass es nicht geprüft hat, ob die Kommission im Rahmen ihrer Beurteilung des Kriteriums des privaten Gläubigers die Dauer eines Insolvenzverfahrens berücksichtigt hatte, und dass es insoweit eine Lücke in der Begründung der streitigen Entscheidung mit seiner eigenen Begründung gefüllt hat, Rechtsfehler begangen.

91      Somit sind der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes und der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes begründet. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben.

 Zur Entscheidung des Rechtsstreits

92      Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann er, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.

93      Im vorliegenden Fall verfügt der Gerichtshof über die erforderlichen Angaben, um endgültig über den ersten Teil des vierten Klagegrundes zu entscheiden, der sich auf die Dauer eines Insolvenzverfahrens bezieht.

 Vorbringen der Parteien

94      Mit dem ersten Teil des vierten Klagegrundes macht Frucona Košice im Wesentlichen geltend, die Kommission habe die Dauer des Insolvenzverfahrens und die von ihr hierzu im Verwaltungsverfahren vorgelegten Beweise nicht berücksichtigt. Ein privater Gläubiger hätte diese Dauer jedoch berücksichtigt und es daher vorgezogen, dem Vergleichsvorschlag zuzustimmen, da das Insolvenzverfahren viel länger dauere als das Vergleichsverfahren, deshalb einen Verlust von Guthabenzinsen gegenüber dem Vergleichserlös mit sich bringe und damit nicht sichergestellt sei, dass ein höherer als der im Rahmen des Vergleichsvorschlags angebotene Betrag erlangt werde.

95      Die Kommission entgegnet, sie habe in den Erwägungsgründen 40 und 54 der streitigen Entscheidung die Dauer eines Insolvenzverfahrens berücksichtigt, und unter den vorliegenden Umständen sei es nicht erforderlich, die voraussichtliche Dauer eines solchen Verfahrens genau zu bestimmen.

96      Zunächst ergebe sich – selbst wenn man unterstelle, dass dieses Insolvenzverfahren lange gedauert hätte, was die Kommission insbesondere in Anbetracht der Ansicht der slowakischen Behörden und der geringen Zahl von Gläubigern bestreite – aus den Feststellungen in der streitigen Entscheidung, dass der Vergleich für den slowakischen Staat in jedem Fall weniger vorteilhaft gewesen sei als das Insolvenzverfahren.

97      Ferner hätten die Forderungen der örtlichen Steuerbehörde als bevorrechtigte Gläubigerin, weil sie durch unbewegliches Vermögen von Frucona Košice gesichert seien, das Letztere auf 194 Mio. SKK und die Behörde auf 397 Mio. SKK geschätzt habe, gemäß dem Gesetz Nr. 328/1991 über Insolvenz- und Vergleichsverfahren während des Insolvenzverfahrens jederzeit durch die Veräußerung der die Sicherheit darstellenden Aktiva beglichen werden können. In Bezug auf diese Aktiva sei die Dauer des Insolvenzverfahrens daher irrelevant.

98      Schließlich beruhe die Berechnung von Frucona Košice auf einem zu erzielenden Endbetrag, der weit unter dem realen, um die Kosten des Insolvenzverfahrens verminderten Wert der Unternehmensaktiva liege. Da die Forderung der örtlichen Steuerbehörde mehr als 99 % der registrierten Schuld darstelle, hätte sie damit rechnen können, im Rahmen dieses Verfahrens mindestens 435 Mio. SKK zu erhalten. Auch unter Berücksichtigung des von Frucona Košice angeführten Kreditzinssatzes wäre ein privater Gläubiger, wenn er einen solchen Betrag hätte erlangen können, bereit gewesen, sich bis zum Abschluss eines Insolvenzverfahrens zu gedulden, selbst wenn dieses sich über den längsten geschätzten Zeitraum erstreckt hätte.

99      St. Nicolaus – trade schließt sich dem Vorbringen der Kommission an.

 Würdigung durch den Gerichtshof

100    Wie sich insbesondere aus den Randnrn. 78 bis 81 des vorliegenden Urteils ergibt, ist die Dauer des Insolvenzverfahrens in einem Fall wie dem vorliegenden ein Gesichtspunkt, der den Entscheidungsprozess eines durchschnittlich vorsichtigen und sorgfältigen privaten Gläubigers, der sich in einer möglichst ähnlichen Lage befindet wie die örtliche Steuerbehörde, nicht unwesentlich beeinflussen kann, so dass die Kommission im Rahmen ihrer Beurteilung des Kriteriums des privaten Gläubigers namentlich die zur Dauer eines solchen Verfahrens verfügbaren Informationen zu berücksichtigen hatte.

101    In Titel VI der streitigen Entscheidung, der die Beurteilung der Kommission enthält, und insbesondere in dessen die Gegenüberstellung von Vergleich und Insolvenzverfahren betreffendem Abschnitt 2.1 fehlt jedoch jede Bezugnahme auf die Dauer eines solchen Verfahrens.

102    Soweit die Kommission geltend macht, sie habe unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles die Ansicht vertreten dürfen, dass die Dauer eines Insolvenzverfahrens den Entscheidungsprozess eines privaten Gläubigers nicht beeinflussen könne, ist festzustellen, dass die Kommission in Anbetracht des Vorbringens von Frucona Košice im Verwaltungsverfahren und der dort von ihr vorgelegten Beweise sowie der Ausführungen in den Randnrn. 78 bis 81 des vorliegenden Urteils gehalten war, in der streitigen Entscheidung zumindest kurz die Erwägungen darzulegen, aufgrund deren sie zu diesem Schluss kam.

103    Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass die Kommission dadurch, dass sie die Dauer des Insolvenzverfahrens im Rahmen ihrer Beurteilung des Kriteriums des privaten Gläubigers nicht berücksichtigt hat, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat. Soweit dieser Gesichtspunkt von der Kommission berücksichtigt worden sein sollte, hat sie ihre Entscheidung nicht in rechtlich hinreichender Weise begründet.

104    Der erste Teil des vierten Klagegrundes ist daher begründet.

105    Da die Kommission in den Erwägungsgründen 93 bis 99 der streitigen Entscheidung die Ansicht vertreten hat, das Steuereinziehungsverfahren sei für einen privaten Gläubiger, der sich in einer möglichst ähnlichen Situation befinde wie die örtliche Steuerbehörde, vorteilhafter als der Vergleichsvorschlag, kann die in der vorstehenden Randnummer getroffene Feststellung für sich genommen gleichwohl nicht zur Nichtigerklärung der Entscheidung führen.

106    Wie das Gericht in Randnr. 92 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, sind nämlich aufgrund dieser Feststellung die weiteren von Frucona Košice erhobenen Klagegründe, über die es nicht entschieden hat, zu prüfen, darunter insbesondere diejenigen, die die Beurteilung des Kriteriums des privaten Gläubigers in Bezug auf das Steuereinziehungsverfahren betreffen.

107    Hinsichtlich dieser Prüfung ist der Rechtsstreit jedoch nicht zur Entscheidung reif. Die Rechtssache ist daher an das Gericht zurückzuverweisen, damit es über die bei ihm erhobenen und von ihm noch nicht geprüften Klagegründe entscheidet.

 Kosten

108    Da die Rechtssache an das Gericht zurückverwiesen wird, ist die Entscheidung über die Kosten vorzubehalten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 7. Dezember 2010, Frucona Košice/Kommission (Rechtssache T‑11/07), wird aufgehoben.

2.      Die Rechtssache wird an das Gericht der Europäischen Union zur Entscheidung über die bei ihm erhobenen und von ihm nicht geprüften Klagegründe zurückverwiesen.

3.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.