Language of document : ECLI:EU:C:2012:80

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

16. Februar 2012(*)

„Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Glücksspiele – Annahme von Sportwetten – Erfordernis einer Konzession – Folgen einer Verletzung des Unionsrechts bei der Vergabe von Konzessionen – Vergabe von 16 300 zusätzlichen Konzessionen – Grundsatz der Gleichbehandlung und Transparenzgebot – Grundsatz der Rechtssicherheit – Schutz für Inhaber von früher erteilten Konzessionen – Nationale Regelung – Verbindliche Mindestabstände zwischen Wettannahmestellen – Zulässigkeit – Grenzüberschreitende Tätigkeiten, die mit den konzessionierten vergleichbar sind – Verbot durch eine nationale Regelung – Zulässigkeit“

In den verbundenen Rechtssachen C‑72/10 und C‑77/10

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Corte suprema di cassazione (Italien) mit Entscheidungen vom 10. November 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Februar 2010, in den Strafverfahren gegen

Marcello Costa (C‑72/10),

Ugo Cifone (C‑77/10)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Richter K. Schiemann (Berichterstatter) und L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Costa, vertreten durch D. Agnello, avvocatessa,

–        von Herrn Cifone, vertreten durch D. Agnello, R. Jacchia, A. Terranova, F. Ferraro, A. Aversa, A. Piccinini, F. Donati und A. Dossena, avvocati,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Arena, avvocato dello Stato,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaemminck, advocaat, und A. Hubert, avocat,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch F. Diéz Moreno als Bevollmächtigten,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und P. Mateus Calado als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Traversa und S. La Pergola als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Oktober 2011

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 43 EG und 49 EG.

2        Sie ergehen im Rahmen von Strafverfahren gegen Herrn Costa und Herrn Cifone, die Datenübertragungszentren (im Folgenden: DÜZ) betreiben und vertraglich an die Gesellschaft englischen Rechts Stanley International Betting Ltd (im Folgenden: Stanley) gebunden sind, wegen Verstoßes gegen die italienischen Rechtsvorschriften über die Annahme von Wetten, insbesondere das Regio Decreto Nr. 773, Testo Unico delle Leggi di Pubblica Sicurezza (Testo Unico der Gesetze auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit), vom 18. Juni 1931 (GURI Nr. 146 vom 26. Juni 1931) in der durch Art. 37 Abs. 4 des Gesetzes Nr. 388 vom 23. Dezember 2000 (GURI Nr. 302 vom 29. Dezember 2000, Supplemento ordinario) geänderten Fassung (im Folgenden: Regio Decreto). Die Ersuchen stehen in einem rechtlichen und tatsächlichen Rahmen, der demjenigen ähnlich ist, in dem die Urteile vom 21. Oktober 1999, Zenatti (C‑67/98, Slg. 1999, I‑7289), vom 6. November 2003, Gambelli u. a. (C‑243/01, Slg. 2003, I‑13031), vom 6. März 2007, Placanica u. a. (C‑338/04, C‑359/04 und C‑360/04, Slg. 2007, I‑1891), sowie vom 13. September 2007, Kommission/Italien (C‑260/04, Slg. 2007, I‑7083), ergangen sind.

 Rechtlicher Rahmen

3        Die italienische Regelung sieht im Wesentlichen vor, dass die Tätigkeiten des Sammelns und der Verwaltung von Wetten nur von Personen ausgeübt werden, die aufgrund einer Ausschreibung eine Konzession erlangt und ferner eine ordnungspolizeiliche Genehmigung erhalten haben. Ein Verstoß gegen diese Vorschriften ist strafbar.

 Konzessionen

4        Bis zur Änderung der Rechtsvorschriften im Jahr 2002 durfte Wirtschaftsteilnehmern mit der Rechtsform von Kapitalgesellschaften, deren Anteile auf reglementierten Märkten gehandelt werden, keine Glücksspielkonzession erteilt werden. Diese Wirtschaftsteilnehmer waren daher von den 1999 durchgeführten Verfahren zur Vergabe von Konzessionen ausgeschlossen. Die Rechtswidrigkeit dieses Ausschlusses im Hinblick auf die Art. 43 EG und 49 EG wurde u. a. im Urteil Placanica u. a. festgestellt.

5        Durch das Decreto-legge Nr. 223 vom 4. Juli 2006, disposizioni urgenti per il rilancio economico e sociale, per il contenimento e la razionalizzazione della spesa pubblica, nonché interventi in materia di entrate e di contrasto all’evasione fiscale (Sofortmaßnahmen für den wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufschwung und zur Eindämmung und Begrenzung der öffentlichen Ausgaben sowie mit Maßnahmen im Bereich der Steuereinnahmen und zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung), umgewandelt in das Gesetz Nr. 248 vom 4. August 2006 (GURI Nr. 18 vom 11. August 2006) (im Folgenden: Dekret Bersani), wurde der italienische Glücksspielsektor reformiert, um ihn an die Anforderungen des Unionsrechts anzupassen.

6        Nach Art. 38 („Maßnahmen gegen illegales Spielen“) Abs. 1 des Dekrets Bersani waren bis zum 31. Dezember 2006 eine Reihe von Vorschriften zu erlassen, „um der Ausbreitung des regelwidrigen und illegalen Spielens sowie der Steuerumgehung und ‑hinterziehung im Bereich des Spiels entgegenzuwirken und den Schutz des Spielers sicherzustellen“.

7        In den Abs. 2 und 4 dieses Artikels sind die neuen Modalitäten des Vertriebs von Glücksspielen zum einen bei anderen Ereignissen als Pferderennen und zum anderen bei Pferderennen geregelt. Darunter sind hervorzuheben:

–        Es sind mindestens 7 000 neue Annahmestellen für Glücksspiele mit Bezug auf andere Ereignisse als Pferderennen und mindestens 10 000 neue Annahmestellen für Glücksspiele mit Bezug auf Pferderennen vorgesehen;

–        die Höchstzahl der Annahmestellen je Gemeinde wird nach der Einwohnerzahl und unter Berücksichtigung der Annahmestellen, für die bereits nach der Ausschreibung von 1999 eine Konzession vergeben wurde, festgelegt;

–        die neuen Annahmestellen müssen Mindestabstände zu den Annahmestellen, für die bereits nach der Ausschreibung von 1999 eine Konzession vergeben wurde, einhalten;

–        die Amministrazione Autonoma dei Monopoli di Stato (Autonome Staatsmonopolverwaltung, im Folgenden: AAMS), die dem Ministero dell’Economia e delle Finanze untersteht, legt die „Modalitäten des Schutzes“ der Inhaber von nach der Ausschreibung von 1999 vergebenen Konzessionen fest.

 Polizeiliche Genehmigungen

8        Dem Konzessionssystem stellt das Regio Decreto ein System von Kontrollen der öffentlichen Sicherheit zur Seite. Nach Art. 88 des Regio Decreto wird eine polizeiliche Genehmigung ausschließlich Inhabern einer Konzession oder denjenigen erteilt, die von einem Ministerium oder einer anderen gesetzlich zur Organisation oder Veranstaltung von Wetten befugten Einrichtung eine entsprechende Erlaubnis erhalten haben.

 Strafrechtliche Sanktionen

9        Die Organisation von Spielen, auch auf elektronischem Weg oder über Telefon, ohne die erforderliche Konzession oder polizeiliche Genehmigung ist in Italien eine Straftat, die gemäß Art. 4 der Legge, n. 401, recante interventi nel settore del giuoco e delle scommesse clandestini e tutela della correttezza nello svolgimento di manifestazioni sportive (Gesetz Nr. 401 über Interventionen auf dem Gebiet des heimlichen Spiels und der heimlichen Wetten und zum Schutz des ordnungsgemäßen Ablaufs sportlicher Wettkämpfe) vom 13. Dezember 1989 (GURI Nr. 294 vom 18. Dezember 1989) in der durch Art. 37 Abs. 5 des Gesetzes Nr. 388 vom 23. Dezember 2000 (GURI Nr. 302 vom 29. Dezember 2000, Supplemento ordinario) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 401/89) mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden kann.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

 Stanley und ihre Situation in Italien

10      Stanley besitzt aufgrund einer von den Behörden in Liverpool erteilten Konzession die Genehmigung, im Vereinigten Königreich als Buchmacher tätig zu sein. Stanley bietet Wetten zu festen Quoten auf eine breite Palette von nationalen und internationalen Sport- und anderen Ereignissen an.

11      Stanley ist in Italien durch mehr als 200 Agenturen tätig, die als DÜZ betrieben werden. DÜZ sind öffentlich zugängliche Räumlichkeiten, in denen Wettteilnehmer elektronisch unter Zugriff auf einen Server von Stanley im Vereinigten Königreich oder in einem anderen Mitgliedstaat Sportwetten abschließen, ihre Einsätze zahlen und gegebenenfalls ihre Gewinne vereinnahmen können. Die DÜZ werden von unabhängigen Wirtschaftsteilnehmern betrieben, die vertraglich an Stanley gebunden sind. Stanley ist in Italien ausschließlich durch diese physischen Wettbüros tätig und daher kein Anbieter von Internet-Glücksspielen.

12      Im Hinblick auf ihre Arbeitsweise steht fest, dass eigentlich Stanley verpflichtet ist, für die Ausübung der Tätigkeiten des Sammelns und der Verwaltung von Wetten in Italien eine Konzession einzuholen, woraufhin die DÜZ ihren Tätigkeiten nachgehen dürften.

13      Stanley, die zu einer Unternehmensgruppe gehörte, deren Anteile auf reglementierten Märkten gehandelt wurden, war von dem Verfahren im Jahr 1999, bei dem 1 000 Konzessionen für den Vertrieb von Sportwetten auf andere Ereignisse als Pferderennen vergeben wurden, die sechs Jahre gültig waren und um weitere sechs Jahre verlängert werden konnten, unionsrechtswidrig ausgeschlossen worden.

14      Das Dekret Bersani wurde durch Ausschreibungsverfahren durchgeführt, die das AAMS im Jahr 2006 eröffnete. Am 28. August 2006 wurden mit zwei Bekanntmachungen gemäß Art. 38 Abs. 2 und 4 des Dekrets Bersani Konzessionen für 500 auf Pferderennen spezialisierte Annahmestellen und für 9 500 nicht auf Pferderennen spezialisierte Annahmestellen zusätzlich zur Einrichtung von Netzen für Online-Pferderennwetten sowie Konzessionen für 1 900 auf Sportereignisse spezialisierte Annahmestellen und für 4 400 nicht auf Sportereignisse spezialisierte Annahmestellen zusätzlich zur Einrichtung von Netzen für Online-Sportwetten ausgeschrieben. Diese Bekanntmachungen wurden außerdem am 30. August 2006 im Amtsblatt der Europäischen Union (Verfahren Nrn. 2006/S‑163‑175655 und 2006/S‑164‑176680) veröffentlicht. Als Frist für die Angebotsabgabe wurde für alle Konzessionsarten der 20. Oktober 2006 festgesetzt.

15      Die Ausschreibungsunterlagen umfassten u. a. eine Leistungsbeschreibung mit acht Anhängen sowie das Muster für einen Vertrag zwischen der AAMS und dem Zuschlagsempfänger über die Konzession betreffend Glücksspiele mit Bezug auf andere Ereignisse als Pferderennen (im Folgenden: Mustervertrag).

16      Nach der genannten Leistungsbeschreibung setzte die Teilnahme an der Ausschreibung zum einen gemäß ihrem Art. 13 die Stellung einer vorläufigen Bankgarantie und zum anderen gemäß ihrem Art. 14 die Zusage voraus, für die Verpflichtungen aus der Konzession eine endgültige Bankgarantie zu stellen.

17      Nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. a des Mustervertrags muss die AAMS die Konzession entziehen, wenn „gegen den Konzessionär, seinen gesetzlichen Vertreter oder Mitglieder seiner Geschäftsleitung Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden oder der zuständige Richter um Entscheidung in der Sache ersucht wird wegen eines im Gesetz Nr. 55 vom 19. Mai 1990 genannten Straftatbestands oder sonstiger Straftatbestände, die geeignet sind, die vom Vertrauen getragenen Beziehungen mit der AAMS zu zerrütten“.

18      Ferner muss die AAMS nach Art. 23 Abs. 3 des Mustervertrags „die Konzession, nachdem sie diese vorsorglich mit sofortiger Wirkung ausgesetzt hat, entziehen, wenn der Konzessionär selbst oder durch eine mit ihm verbundene Gesellschaft – ungeachtet der Natur dieser Verbindung – auf italienischem Gebiet oder über Server, die sich außerhalb des Staatsgebiets befinden, Glücksspiele anbietet, die mit öffentlichen Glücksspielen oder anderen von der AAMS verwalteten Glücksspielen oder nach italienischem Recht verbotenen Glücksspielen vergleichbar sind“.

19      Nach Art. 23 Abs. 6 des Mustervertrags führt der Entzug der Konzession zum Verfall der vom Konzessionär zugunsten der AAMS gestellten Bankgarantie, unbeschadet eines darüber hinausgehenden Schadensersatzanspruchs der AAMS.

20      Nach Veröffentlichung der Vergabebekanntmachungen teilte Stanley erneut ihr Interesse an einer Konzession für das Sammeln und die Verwaltung von Wetten mit und erhielt von der AAMS den für die Einreichung eines Angebots erforderlichen Datenträger. Sodann bat sie die AAMS um Erläuterung einzelner Bestimmungen, die ihrer Teilnahme an der Ausschreibung möglicherweise im Wege stünden und ihr in bestimmter Hinsicht unklar erschienen.

21      Mit Schreiben vom 21. September 2006 fragte Stanley die AAMS, ob das Geschäftsmodell der mit ihr verbundenen DÜZ als Verletzung der Grundsätze und Bestimmungen der Ausschreibungsunterlagen, insbesondere Art. 23 Abs. 3 des Mustervertrags, betrachtet werde, so dass eine Teilnahme an den Verfahren und ihr etwaiger positiver Ausgang der Fortsetzung dieser Tätigkeit im Wege stehen könnten, und ob deren Fortsetzung einen Grund darstellen könnte, etwa vergebene Konzessionen zu widerrufen, zu entziehen oder auszusetzen.

22      Mit Schreiben vom 6. Oktober 2006 antwortete die AAMS, die Teilnahme an den Ausschreibungen setze voraus, dass in Italien auf die Ausübung von grenzüberschreitenden Tätigkeiten verzichtet werde, und bestätigte insbesondere, dass das neue System es den Bewerbern ermögliche, Vertriebsnetze aufzubauen, die auch landesweiten Charakter haben könnten. Sie wies jedoch darauf hin, dass diese Netze „naturgemäß dazu neigen, etwa vorhandene alte Netze zu ersetzen, und in diesem Zusammenhang durch Art. 23 des Mustervertrags ein geeigneter Schutz für die Investitionen geschaffen wird, die diese Konzessionäre getätigt haben“.

23      Auf dieses Schreiben bat Stanley die AAMS am 10. Oktober 2006, ihren Standpunkt zu überprüfen und „die Ausschreibungsbedingungen, insbesondere Art. 23 des Mustervertrags, dahin abzuändern, dass [Stanley] eine Teilnahme an dem Verfahren ermöglicht werde, ohne auf die Ausübung ihrer Grundfreiheit, Dienstleistungen grenzüberschreitend anzubieten, verzichten zu müssen“.

24      Zudem übermittelte Stanley an die AAMS am 12. Oktober 2006 folgende weitere Frage:

„Für den Fall, dass Stanley auf die Erbringung ihrer grenzüberschreitenden Dienstleistungen in Italien verzichten und an den Ausschreibungsverfahren teilnehmen würde, könnten dann die derzeitigen Betreiber ihres Netzes – mit landesweitem Charakter – jeweils ihre eigenen Berechtigungen verlieren; wenn nicht, müssten sie zusätzliche Anforderungen erfüllen oder brauchten sie nur den AAMS-Mustervertrag zu schließen?“

25      Am 17. Oktober 2006 teilte Stanley mit, dass sie auf ihre Rückfragen vom 10. und 12. Oktober 2006 keine Antwort erhalten habe und dass sie diese dringend benötige, um beschließen zu können, ob sie an den Ausschreibungsverfahren teilnehmen werde oder nicht. Am 18. Oktober 2006 wies die AAMS die Rückfragen von Stanley endgültig zurück, woraufhin diese beschloss, nicht an den Verfahren teilzunehmen.

26      Stanley erhob Klage auf Nichtigerklärung der Bekanntmachungen und Rechtsakte betreffend die Ausschreibungsverfahren; ihre insoweit beim Tribunale amministrativo regionale del Lazio am 27. November 2006 eingereichte Klage Nr. 10869/2006 ist noch anhängig.

27      Die Ausschreibungsverfahren wurden im Dezember 2006 mit der Vergabe von etwa 14 000 neuen Konzessionen abgeschlossen.

 Verfahren, an denen zu Stanley gehörende DÜZ-Betreiber beteiligt sind

28      Obwohl Stanley keine Konzession für das Sammeln und die Verwaltung von Wetten erhalten hatte, beantragten Herr Costa und Herr Cifone für die Ausübung ihrer Tätigkeit als DÜZ-Betreiber die in Art. 88 des Regio Decreto vorgesehene polizeiliche Genehmigung.

 Rechtssache Costa (C‑72/10)

29      Zur im Ausgangsverfahren maßgebenden Zeit war Herr Costa aufgrund eines Vertrags vom 27. Mai 2008 Betreiber eines DÜZ in Rom (Italien).

30      Auf seinen Antrag auf polizeiliche Genehmigung hin nahm die Polizia di Stato di Roma am 8. Oktober 2008 im DÜZ von Herrn Costa Kontrollen vor und stellte fest, dass insbesondere durch Annahme von Sportwetten ohne die erforderliche Konzession und polizeiliche Genehmigung der Tatbestand des Vergehens der unerlaubten Wetttätigkeit nach Art. 4 des Gesetzes Nr. 401/89 erfüllt sei.

31      Mit Entscheidung vom 27. Januar 2009 sprach der Giudice per le indagini preliminari (Ermittlungsrichter) beim Tribunale di Roma Herrn Costa von dem Vorwurf frei, „weil der Tatbestand nicht mehr als Vergehen anzusehen ist“. Nach einem Urteil der Corte suprema di cassazione in einer ähnlichen Sache verstoße die italienische strafrechtliche Vorschrift gegen Unionsrecht und habe daher unangewendet zu bleiben (Urteil vom 27. Mai 2008, Nr. 27532/08).

32      Die Staatsanwaltschaft macht mit ihrer Kassationsbeschwerde bei der Corte suprema di cassazione geltend, dass die nationale Regelung über Konzessionen und polizeiliche Genehmigungen mit dem Unionsrecht vereinbar sei und dass Herr Costa angesichts des Fehlens einer die Konzessionsvergabe ablehnenden Entscheidung der italienischen Behörden, die mit verwaltungsgerichtlichem Rechtsbehelf hätte angefochten werden können, ohnehin nicht berechtigt sei, Verstöße der Italienischen Republik gegen Unionsrecht zu rügen und die Nichtanwendung der Regelung zu fordern, der er sich aus freien Stücken entzogen habe.

 Rechtssache Cifone (C‑77/10)

33      Zur im Ausgangsverfahren maßgebenden Zeit war Herr Cifone Betreiber eines DÜZ in Molfetta, Provinz Bari (Italien). Am 26. Juli 2007 wurde dem Questore (Polizeipräfekt) von Bari eine polizeiliche Genehmigung vorgelegt.

34      Am 7. November 2007 ging bei der Staatsanwaltschaft beim Tribunale di Trani eine Anzeige eines Wettbewerbers ein, der im Besitz einer vom AAMS gemäß dem Dekret Bersani erteilten Konzession war. Die Anzeige war auf die Einleitung von Strafverfahren gegen mehrere in der Provinz Bari tätige Mittelspersonen, darunter Herr Cifone, gerichtet wegen des Tatbestands des Vergehens der unerlaubten Wetttätigkeit nach Art. 4 des Gesetzes Nr. 401/89.

35      Am 20. Oktober 2007 beschlagnahmte die Guardia di finanza di Molfetta (Finanzpolizei Molfetta) aus eigener Initiative die Geräte und Räumlichkeiten des DÜZ von Herrn Cifone.

36      Die Staatsanwaltschaft bestätigte die Rechtmäßigkeit dieser Beschlagnahme und beantragte beim Ermittlungsrichter des Tribunale di Trani, die vorläufige Beschlagnahme der Räumlichkeiten und Geräte aller Beschuldigten, darunter Herr Cifone, im Strafverfahren anzuordnen. Mit Entscheidung vom 26. Mai 2008 ordnete der Richter die vorläufige Beschlagnahme u. a. wegen Verstoßes gegen Art. 4 des Gesetzes Nr. 401/89 an; diese Entscheidung wurde vom Tribunale del riesame di Bari mit Beschluss vom 10. und 14. Juli 2008 bestätigt.

37      Am 9. September 2008 legte Herr Cifone Kassationsbeschwerde gegen den Beschluss vom 10. und 14. Juli 2008 ein. Er beantragt, die nationale Regelung einschließlich ihrer strafrechtlichen Wirkungen unangewendet zu lassen, weil sie, indem sie die alten Konzessionen für gültig erkläre, Grenzen für die Einrichtung neuer Annahmestellen vorsehe, um die bestehenden zu begünstigen, und Voraussetzungen für den Entzug der Konzessionen einführe, die stark diskriminierend seien, gegen Unionsrecht verstoße.

 Vorlagefrage

38      Sowohl in der Rechtssache Costa als auch in der Rechtssache Cifone stellt die Corte suprema di cassazione Auslegungszweifel fest in Bezug auf die Reichweite der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit und insbesondere der „Möglichkeit, dass diese Reichweite durch innerstaatliche Rechtsvorschriften beschränkt wird, die … diskriminierende Züge aufweisen oder aufzuweisen scheinen und Ausschlusswirkungen entfalten oder zu entfalten scheinen“.

39      Unter diesen Umständen hat die Corte suprema di cassazione die beiden Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Wie sind die Art. 43 EG und 49 EG in Bezug auf die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit im Bereich der Sportwetten auszulegen, um festzustellen, ob die angeführten Bestimmungen des Vertrags eine nationale Regelung zulassen, die eine Monopolregelung zugunsten des Staates und ein System von Konzessionen und Genehmigungen festlegt, das im Rahmen einer bestimmten Anzahl von Konzessionen Folgendes vorsieht:

a)      eine allgemeine Ausrichtung des Schutzes für die Inhaber von Konzessionen, die früher aufgrund eines Verfahrens erteilt wurden, das rechtswidrig einen Teil der Wirtschaftsteilnehmer ausschloss;

b)      die Geltung von Vorschriften, die praktisch die Aufrechterhaltung von Geschäftspositionen sicherstellen, die aufgrund eines Verfahrens erworben wurden, das rechtswidrig einen Teil der Wirtschaftsteilnehmer ausschloss (wie etwa die Verpflichtung neuer Konzessionäre, bei der Einrichtung ihrer Schalter einen Mindestabstand zu bereits bestehenden Schaltern einzuhalten);

c)      die Festlegung von Tatbeständen des Konzessionsentzugs oder des Verfalls von Sicherheitsleistungen in erheblicher Höhe, darunter den Fall, dass der Konzessionär unmittelbar oder mittelbar grenzüberschreitenden Wetttätigkeiten nachgeht, die mit den konzessionierten vergleichbar sind?

40      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 6. April 2010 sind die Rechtssachen C‑72/10 und C‑77/10 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

 Zur Zulässigkeit der Vorlagefrage

41      Die italienische Regierung bezweifelt die Zulässigkeit der Vorlagefrage.

42      Erstens sei die Vorlagefrage hypothetisch. Eine eventuelle Feststellung der Unvereinbarkeit der neuen italienischen Regelung, wie sie sich aus dem Dekret Bersani ergebe, mit dem Unionsrecht habe keine Folgen für die Beschuldigten der Ausgangsverfahren, denn Stanley habe freiwillig von einer Teilnahme an den Ausschreibungen von 2006 Abstand genommen, die nach dieser neuen Regelung durchgeführt worden seien. Die Merkmale einer Konzessionsregelung, von der kein Gebrauch gemacht worden sei, könnten keinen Einfluss auf die strafrechtliche Situation von Herrn Costa und Herrn Cifone haben.

43      Hierzu geht aus einer ständigen Rechtsprechung hervor, dass ein Mitgliedstaat keine strafrechtlichen Sanktionen wegen einer nicht erfüllten Verwaltungsformalität verhängen darf, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen das Unionsrecht abgelehnt oder vereitelt hat (Urteil Placanica u. a., Randnr. 69). Da es in der Vorlagefrage gerade darum geht, ob die Voraussetzungen, an die die Vergabe einer Konzession nach der nationalen Regelung gebunden ist und die dazu führten, dass Stanley auf die Teilnahme an der in den Ausgangsverfahren fraglichen Ausschreibung verzichtete, unionsrechtswidrig sind, kann die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage für die Ausgangsverfahren nicht in Zweifel gezogen werden.

44      Zweitens hält die italienische Regierung die Vorlagefrage für unzulässig, weil sie zu allgemein sei.

45      Insoweit trifft es zwar zu, dass die Genauigkeit und sogar der Nutzen sowohl der Erklärungen der Regierungen der Mitgliedstaaten und der anderen Beteiligten als auch der Antwort des Gerichtshofs davon abhängen können, dass die Angaben zum Inhalt und zu den Zielen der im Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Regelung hinreichend detailliert sind. Gleichwohl genügt es in Anbetracht der Aufgabenteilung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof, dass sich der Gegenstand sowie diejenigen Punkte des Ausgangsrechtsstreits, die für die Unionsrechtsordnung hauptsächlich von Interesse sind, aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergeben, damit sich die Mitgliedstaaten gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs äußern und wirkungsvoll am Verfahren vor dem Gerichtshof beteiligen können (Urteil vom 8. September 2009, Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, C‑42/07, Slg. 2009, I‑7633, Randnr. 41). Die Vorlageentscheidungen in den Ausgangsverfahren genügen diesen Anforderungen.

46      Die Einwände der italienischen Regierung gegen die Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen sind daher zurückzuweisen.

 Zur Vorlagefrage

47      Das vorlegende Gericht wirft mit seiner Frage zwei Probleme auf, die getrennt zu prüfen sind.

48      Zum einen soll es entscheiden, ob die Maßnahmen des Gesetzgebers zur Korrektur des rechtswidrigen Ausschlusses von Wirtschaftsteilnehmern wie Stanley von der Ausschreibung von 1999 mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Das vorlegende Gericht meint zwar, dass die im Dekret Bersani vorgesehene Vergabe von etwa 16 000 neuen Konzessionen dem ersten Anschein nach den Anforderungen des Gerichtshofs in Randnr. 63 des Urteils Placanica u. a. entspreche, hat aber Zweifel, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, dass bestimmte Elemente der neuen Regelung die Geschäftspositionen von Wirtschaftsteilnehmern, die nach den Ausschreibungen von 1999 eine Konzession erhalten hatten, vor dem potenziellen Wettbewerb durch Wirtschaftsteilnehmer schützen, die von der Ausschreibung von 1999 rechtswidrig ausgeschlossen waren und 2006 erstmals an einem Verfahren zur Vergabe von Konzessionen teilnehmen konnten. Das vorlegende Gericht verweist insoweit insbesondere auf die in Art. 38 Abs. 2 und 4 des Dekrets Bersani vorgesehene Verpflichtung neuer Konzessionäre, mit ihren Einrichtungen einen Mindestabstand zu den bereits vorhandenen Konzessionären einzuhalten.

49      Zum anderen hebt das vorlegende Gericht hervor, dass zwar durch die im Jahr 2002 erfolgten Änderungen der Rechtsvorschriften der im Urteil Placanica u. a. beanstandete Grund für den Ausschluss von der Ausschreibung von 1999 beseitigt worden sei, doch seien mit dem Erlass des Dekrets Bersani eine Reihe neuer Beschränkungen eingeführt worden, insbesondere durch die in Art. 23 des Mustervertrags vorgesehenen Tatbestände des Entzugs der Konzession und des Verfalls von Garantien. Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit dieser neuen Beschränkungen mit dem Unionsrecht.

 Zum Schutz der Geschäftspositionen von Wirtschaftsteilnehmern, die nach der Ausschreibung von 1999 Konzessionen erhalten haben

50      Mit dem ersten Teil seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 43 EG und 49 EG dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat, der unionsrechtswidrig eine Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern von der Vergabe von Konzessionen für die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausgeschlossen hat und diesen Verstoß durch Ausschreibung einer großen Zahl von neuen Konzessionen beheben will, verbieten, die von den bestehenden Betreibern erworbenen Geschäftspositionen u. a. durch das Vorschreiben von Mindestabständen zwischen den Einrichtungen der neuen Konzessionäre und denen der bestehenden Betreiber zu schützen.

51      Insoweit ist zunächst auf die Feststellung des Gerichtshofs in Randnr. 63 des Urteils Placanica u. a. hinzuweisen, dass es Aufgabe des innerstaatlichen Rechts ist, Verfahrensmodalitäten vorzusehen, die den Schutz der Rechte der rechtswidrig von der ersten Ausschreibung ausgeschlossenen Wirtschaftsteilnehmer gewährleisten, wobei diese Modalitäten jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein dürfen als für entsprechende Sachverhalte innerstaatlicher Art (Äquivalenzgrundsatz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz).

52      Weiter hat der Gerichtshof in dieser Randnummer des Urteils Placanica u. a. ausgeführt, dass sowohl eine Rücknahme und Neuverteilung der alten Konzessionen als auch die Ausschreibung einer angemessenen Zahl neuer Konzessionen eine angemessene Lösung sein könnten. Beide Lösungen sind grundsätzlich geeignet, den rechtswidrigen Ausschluss bestimmter Wirtschaftsteilnehmer, jedenfalls für die Zukunft, zu beheben, indem sie es diesen ermöglichen, ihre Tätigkeit auf dem Markt unter den gleichen Voraussetzungen wie die bestehenden Betreiber auszuüben.

53      Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn die von den bestehenden Betreibern erworbenen Geschäftspositionen durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geschützt werden. Bereits der Umstand, dass die bestehenden Betreiber einige Jahre früher als die rechtswidrig ausgeschlossenen Wirtschaftsteilnehmer ihre Tätigkeit aufnehmen und sich auf dem Markt mit einer gewissen Bekanntheit und Stammkunden etablieren konnten, verschafft ihnen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil. Ihnen gegenüber den neuen Konzessionären zusätzliche Wettbewerbsvorteile einzuräumen, hat zur Folge, dass die Wirkungen des rechtswidrigen Ausschlusses dieser neuen Konzessionäre von der Ausschreibung von 1999 aufrechterhalten und verstärkt werden, und stellt damit eine weitere Verletzung der Art. 43 EG und 49 EG sowie des Grundsatzes der Gleichbehandlung dar. Eine solche Maßnahme erschwert auch rechtswidrig von der Ausschreibung von 1999 ausgeschlossenen Wirtschaftsteilnehmern übermäßig die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte, so dass sie nicht dem Effektivitätsgrundsatz genügt.

54      In diesem Kontext ist daran zu erinnern, dass die öffentlichen Stellen, die Konzessionen auf dem Gebiet der Glücksspiele vergeben, die Grundregeln der Verträge, insbesondere die Art. 43 EG und 49 EG, sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz, das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und das daraus folgende Transparenzgebot zu beachten haben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Juni 2010, Sporting Exchange, C‑203/08, Slg. 2010, I‑4695, Randnr. 39, sowie vom 9. September 2010, Engelmann, C‑64/08, Slg. 2010, I‑8219, Randnr. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Auch wenn das Transparenzgebot, das gilt, wenn die betreffende Konzession für ein Unternehmen von Interesse sein kann, das in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem diese Konzession erteilt wird, ansässig ist, nicht unbedingt eine Ausschreibung vorschreibt, verpflichtet es doch die konzessionserteilende Stelle, zugunsten der potenziellen Bewerber einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherzustellen, der eine Öffnung der Konzessionen für den Wettbewerb und die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt worden sind (Urteile Kommission/Italien, Randnr. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung, Sporting Exchange, Randnrn. 40 und 41, sowie Engelmann, Randnr. 50).

56      Die Vergabe solcher Konzessionen muss daher auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien beruhen, damit der Ermessensausübung durch die nationalen Behörden Grenzen gesetzt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Engelmann, Randnr. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Der Grundsatz der Gleichbehandlung verlangt im Übrigen, dass alle potenziellen Bieter die gleichen Chancen haben, und impliziert somit, dass sie denselben Bedingungen unterliegen. Dies gilt umso mehr in einer Situation wie der in den Ausgangsverfahren gegebenen, in der eine Verletzung des Unionsrechts durch den betreffenden öffentlichen Auftraggeber für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer bereits eine Ungleichbehandlung zur Folge hatte.

58      Insbesondere bewirkt die in Art. 38 Abs. 2 und 4 des Dekrets Bersani vorgesehene Maßnahme, nach der neue Konzessionäre verpflichtet sind, mit ihren Einrichtungen einen Mindestabstand zu den bereits vorhandenen Konzessionären einzuhalten, dass die von den bereits etablierten Betreibern erworbenen Geschäftspositionen zum Nachteil der neuen Konzessionäre geschützt sind und sich diese an Orten niederlassen müssen, die geschäftlich weniger interessant sind als die der etablierten Betreiber. Eine solche Maßnahme bedeutet somit eine Diskriminierung der von der Ausschreibung von 1999 ausgeschlossenen Wirtschaftsteilnehmer.

59      Hinsichtlich einer etwaigen Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung können nach ständiger Rechtsprechung wirtschaftliche Gründe wie das Ziel, den Wirtschaftsteilnehmern, die bei der Ausschreibung von 1999 eine Konzession erhielten, Kontinuität, finanzielle Stabilität und angemessene Renditen aus den getätigten Investitionen zu gewährleisten, nicht als zwingende Gründe des Allgemeininteresses, die eine Beschränkung einer vom Vertrag garantierten Grundfreiheit rechtfertigen könnten, anerkannt werden (Urteile Kommission/Italien, Randnr. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 11. März 2010, Attanasio Group, C‑384/08, Slg. 2010, I‑2055, Randnrn. 53 bis 56).

60      Im Übrigen kann sich die italienische Regierung unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren nicht mit Erfolg auf das angeführte Ziel berufen, durch eine gleichmäßige Verteilung der Annahmestellen für Glücksspiele auf das Staatsgebiet solle zum einen verhindert werden, dass Verbraucher, die in der Nähe dieser Annahmestellen wohnten, einem Überangebot ausgesetzt seien, und zum anderen der Gefahr entgegengetreten werden, dass sich die in schlechter versorgten Orten lebenden Verbraucher auf illegale Spiele einließen.

61      Diese Ziele, die zum einen auf die Verringerung der Gelegenheiten zum Spiel gerichtet sind und zum anderen auf die Bekämpfung der Kriminalität, indem die auf diesem Gebiet tätigen Wirtschaftsteilnehmer einer Kontrolle unterworfen und die Tätigkeiten des Glücksspiels somit in kontrollierte Bahnen gelenkt werden, gehören zwar zu den Zielen, die von der Rechtsprechung als zur Rechtfertigung von Beschränkungen von Grundfreiheiten auf dem Gebiet des Glücksspiels geeignet angesehen werden (Urteil Placanica u. a., Randnrn. 46 und 52).

62      Doch war, was das erste dieser Ziele angeht, wie der Generalanwalt in Nr. 63 seiner Schlussanträge hervorhebt und der Gerichtshof in Randnr. 54 des Urteils Placanica u. a. festgestellt hat, der italienische Glücksspielsektor lange Zeit durch eine expansive Politik gekennzeichnet, die mit dem Ziel einer Erhöhung der Staatseinnahmen betrieben wurde, so dass vor diesem Hintergrund weder das Ziel einer Beschränkung der Spielleidenschaft der Verbraucher noch das einer Eindämmung des Spielangebots als Rechtfertigung dienen können. Da durch das Dekret Bersani die Zahl der Gelegenheiten zum Spiel gegenüber der in der Rechtssache Placanica u. a. maßgeblichen Zeit noch deutlich erhöht wurde, gilt dieses Ergebnis in der derzeitigen Situation des Sektors erst recht.

63      Sodann ergibt sich, was das zweite der angeführten Ziele angeht, aus einer ständigen Rechtsprechung, dass von den Mitgliedstaaten auferlegte Beschränkungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen und dass eine nationale Regelung nur dann geeignet ist, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn die eingesetzten Mittel kohärent und systematisch sind (Urteil Placanica u. a., Randnrn. 48 und 53).

64      Wie jedoch der Generalanwalt in Nr. 67 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, gilt die Mindestabstandsregelung ausschließlich für die neuen Konzessionäre und nicht für die bereits etablierten. Somit käme, selbst wenn eine Regelung über Mindestabstände zwischen Annahmestellen als solche gerechtfertigt sein könnte, eine Anwendung solcher Beschränkungen unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren, wo sie nur die neu in den Markt eintretenden Konzessionäre benachteiligen, nicht in Betracht.

65      Jedenfalls ließe sich eine Regelung über Mindestabstände zwischen Annahmestellen nur dann rechtfertigen, wenn – was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts wäre – ihr wirkliches Ziel nicht im Schutz der Geschäftspositionen der bestehenden Betreiber bestünde, sondern vielmehr, wie die italienische Regierung geltend macht, darin, die Nachfrage nach Glücksspielen in kontrollierte Bahnen zu lenken. Das vorlegende Gericht hätte gegebenenfalls auch zu prüfen, ob die Verpflichtung zur Einhaltung von Mindestabständen, die der Einrichtung zusätzlicher Annahmestellen in vom Publikum stark frequentierten Zonen entgegensteht, zur Erreichung des angegebenen Ziels wirklich geeignet ist und tatsächlich zur Folge hat, dass sich die neuen Betreiber an weniger frequentierten Orten niederlassen und damit das nationale Hoheitsgebiet abdecken.

66      Somit ist auf den ersten Teil der Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 43 EG und 49 EG sowie die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Effektivität dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat, der unionsrechtswidrig eine Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern von der Vergabe von Konzessionen für die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausgeschlossen hat und diesen Verstoß durch Ausschreibung einer großen Zahl von neuen Konzessionen beheben will, verbieten, die von den bestehenden Betreibern erworbenen Geschäftspositionen u. a. durch das Vorschreiben von Mindestabständen zwischen den Einrichtungen der neuen Konzessionäre und denen der bestehenden Betreiber zu schützen.

 Zu den neuen Beschränkungen, die mit Erlass des Dekrets Bersani eingeführt wurden

67      Mit dem zweiten Teil seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 43 EG und 49 EG dahin auszulegen sind, dass sie einem innerstaatlichen rechtlichen Rahmen wie dem in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, der den Entzug der Konzession für die Tätigkeiten des Sammelns und der Verwaltung von Wetten sowie den Verfall der für die Erlangung einer solchen Konzession gestellten finanziellen Sicherheit vorsieht, wenn

–        gegen den Konzessionär, seinen gesetzlichen Vertreter oder Mitglieder seiner Geschäftsleitung wegen eines Straftatbestands, „der geeignet ist, die vom Vertrauen getragenen Beziehungen mit der AAMS zu zerrütten“, ein Strafverfahren eingeleitet wird (Art. 23 Abs. 2 Buchst. a des Mustervertrags);

–        der Konzessionär im Inland oder über Server, die sich im Ausland befinden, Glücksspiele anbietet, die mit von der AAMS verwalteten Glücksspielen oder nach innerstaatlichem Recht verbotenen Glücksspielen vergleichbar sind (Art. 23 Abs. 3 des Mustervertrags).

68      Wie den beim Gerichtshof eingereichten Unterlagen zu entnehmen ist, stellen diese Tatbestände, obwohl Art. 23 des Mustervertrags für sie förmlich den Entzug der Konzession vorsieht, in der Praxis auch Voraussetzungen für den Zugang zu einer Konzession dar, da einem Wirtschaftsteilnehmer, der sie im Zeitpunkt der Konzessionsvergabe nicht erfüllt, die Konzession sofort wieder entzogen würde. Da im Hinblick auf ihre Arbeitsweise eigentlich Stanley verpflichtet ist, eine Konzession einzuholen, woraufhin DÜZ wie die von Herrn Costa und Herrn Cifone ihren Tätigkeiten nachgehen dürften, werden durch jegliches Hindernis für die Vergabe einer Konzession an Stanley automatisch auch deren Tätigkeiten beschränkt.

 Vorbemerkungen

69      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Art. 43 EG und 49 EG die Aufhebung jeder Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs verlangen – selbst wenn diese Beschränkung unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus den anderen Mitgliedstaaten gilt –, sofern sie geeignet ist, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, in dem er rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (Urteil Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, Randnr. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

70      Es steht fest, dass eine nationale Rechtsvorschrift wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende, die die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit vom Erhalt einer Konzession abhängig macht und mehrere Tatbestände des Konzessionsentzugs vorsieht, eine Beschränkung der durch die Art. 43 EG und 49 EG garantierten Freiheiten darstellt.

71      Solche Beschränkungen können jedoch aufgrund der in den Art. 45 EG und 46 EG ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen zugelassen werden oder durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sofern sie den Anforderungen der Rechtsprechung des Gerichtshofs hinsichtlich ihrer Verhältnismäßigkeit entsprechen. Die Rechtsprechung hat insoweit eine Reihe von zwingenden Gründen des Allgemeininteresses anerkannt, wie die Ziele des Verbraucherschutzes, der Betrugsvorbeugung, der Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen und der Verhütung von Störungen der sozialen Ordnung im Allgemeinen (Urteil Placanica u. a., Randnrn. 45, 46 und 48).

72      Im Übrigen ergibt sich aus den in Randnr. 54 des vorliegenden Urteils angeführten Bestimmungen und Grundsätzen, dass die konzessionserteilende Stelle bei der Vergabe von Konzessionen wie den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden an ein Transparenzgebot gebunden ist, das u. a. dazu verpflichtet, zugunsten der potenziellen Bewerber einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherzustellen, der eine Öffnung der Konzessionen für den Wettbewerb und die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt worden sind (Urteile Kommission/Italien, Randnr. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung, Sporting Exchange, Randnrn. 40 und 41, sowie Engelmann, Randnr. 50).

73      Der Grundsatz der Transparenz, der mit dem Gleichheitssatz einhergeht, soll in diesem Zusammenhang im Wesentlichen gewährleisten, dass alle interessierten Wirtschaftsteilnehmer auf der Grundlage sämtlicher einschlägiger Informationen an Ausschreibungen teilnehmen können, und die Gefahr von Günstlingswirtschaft oder von willkürlichen Entscheidungen der Vergabestelle ausschließen. Er verlangt, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens klar, genau und eindeutig formuliert sind, so dass zum einen alle durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt die genaue Bedeutung dieser Informationen verstehen und sie in gleicher Weise auslegen können und zum anderen dem Ermessen der konzessionserteilenden Stelle Grenzen gesetzt werden und diese tatsächlich überprüfen kann, ob die Gebote der Bieter die für das Verfahren geltenden Kriterien erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. April 2004, Kommission/CAS Succhi di Frutta, C‑496/99 P, Slg. 2004, I‑3801, Randnr. 111, sowie vom 13. Dezember 2007, United Pan-Europe Communications Belgium u. a., C‑250/06, Slg. 2007, I‑11135, Randnrn. 45 und 46).

74      Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet im Übrigen, dass Rechtsvorschriften vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne und Unternehmen haben können, klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen voraussehbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C‑17/03, Slg. 2005, I‑4983, Randnr. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).

75      Im Licht dieser Erwägungen ist der zweite Teil der Vorlagefrage zu prüfen.

 Zum Entzug der Konzession wegen Einleitung eines Strafverfahrens

76      Wie der Generalanwalt in Nr. 93 seiner Schlussanträge hervorhebt, kann der Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern, deren Betreiber strafrechtlich verurteilt worden sind, grundsätzlich als zur Bekämpfung der Kriminalität gerechtfertigte Maßnahme angesehen werden. Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass Glücksspiele in Anbetracht der Höhe der Beträge, die mit ihnen eingenommen werden können, und der Gewinne, die sie den Spielern bieten können, eine erhöhte Gefahr von Betrug und anderen Straftaten bergen (Urteil Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, Randnr. 63).

77      Der Entzug der Konzession stellt jedoch für den Konzessionär eine besonders schwerwiegende Maßnahme dar, erst recht unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren, wo er nach Art. 23 Abs. 6 des Mustervertrags automatisch den Verfall einer beträchtlichen finanziellen Sicherheit und eventuell Verpflichtungen zum Ersatz von der AAMS entstandenen Schäden nach sich zieht.

78      Damit ein potenzieller Bieter das Risiko, dass ihn solche Sanktionen treffen, sicher abschätzen kann, sowie um die Gefahr von Günstlingswirtschaft oder von willkürlichen Entscheidungen der Vergabestelle auszuschließen und um schließlich die Einhaltung des Grundsatzes der Rechtssicherheit zu gewährleisten, muss daher klar, genau und eindeutig bestimmt sein, unter welchen Umständen diese Sanktionen zur Anwendung kommen.

79      Die Bezugnahme in Art. 23 Abs. 2 Buchst. a des Mustervertrags auf die „im Gesetz Nr. 55 vom 19. März 1990 genannten Straftatbestände“, die Mafia-Delikte und andere eine schwere Gefahr für die Gesellschaft darstellende Formen der Kriminalität betreffen, scheint – vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht – diesem Erfordernis zu genügen. Dagegen scheint dies – wiederum vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht – nicht der Fall zu sein, soweit in der genannten Bestimmung auf „sonstige Straftatbestände, die geeignet sind, die vom Vertrauen getragenen Beziehungen mit der AAMS zu zerrütten“, Bezug genommen wird. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob ein durchschnittlich fachkundiger Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt die genaue Bedeutung dieser Bezugnahme hätte verstehen können.

80      Es wird dabei insbesondere zum einen die Tatsache, dass die potenziellen Bieter für die Prüfung der Ausschreibungsunterlagen über eine Frist von weniger als zwei Monaten verfügten, und zum anderen das Verhalten der AAMS auf die Ersuchen um Klarstellung, die Stanley an sie gerichtet hatte, zu berücksichtigen haben.

81      Jedenfalls dürfen nach ständiger Rechtsprechung die durch innerstaatliche Rechtsvorschriften auferlegten Beschränkungen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels erforderlich ist (Urteil Gambelli u. a., Randnr. 72). Somit kann es zwar unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt sein, gegen einen Betreiber von Glücksspielen, der aufgrund beweiskräftiger Indizien unter Verdacht steht, in kriminelle Aktivitäten verwickelt zu sein, Vorkehrungen zu treffen, doch kann ein Ausschluss vom Markt durch Entzug der Konzession nur dann als dem Ziel der Bekämpfung der Kriminalität angemessen betrachtet werden, wenn er auf einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer hinreichend schweren Straftat beruht. Eine Rechtsvorschrift, die einen Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern – sei es auch nur vorübergehend – vom Markt zulässt, könnte nur dann als angemessen betrachtet werden, wenn ein wirksames gerichtliches Verfahren und, falls sich der Ausschluss später als ungerechtfertigt erweisen sollte, Ersatz für den entstandenen Schaden vorgesehen sind.

82      Im Übrigen war anscheinend – vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht – der Tatbestand des Entzugs nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. a des Mustervertrags für Wirtschaftsteilnehmer wie Stanley, gegen deren Vertreter seinerzeit Strafverfahren anhängig waren – die vor Verkündung des Urteils Placanica u. a. eingeleitet worden waren und später mit Freisprüchen endeten –, in der Praxis ein Hindernis, an den Ausschreibungen von 2006 teilzunehmen.

83      In diesem Kontext ist daran zu erinnern, dass die Italienische Republik, wie aus dem Urteil Placanica u. a. hervorgeht, keine strafrechtlichen Sanktionen wegen Sammelns von Wetten ohne Konzession oder polizeiliche Genehmigung gegen Personen verhängen kann, die an einen Wirtschaftsteilnehmer gebunden sind, der von den maßgeblichen Ausschreibungen unionsrechtswidrig ausgeschlossen worden war (Urteil Placanica u. a., Randnr. 70). Dieses Urteil wurde am 6. März 2007 verkündet, d. h. vier Monate, nachdem am 20. Oktober 2006 die Angebotsfrist der Ausschreibung nach dem Dekret Bersani abgelaufen war.

84      Folglich ist im Fall eines Wirtschaftsteilnehmers wie Stanley davon auszugehen, dass sein Ausschluss von der früheren im Urteil Placanica u. a. beanstandeten Ausschreibung durch die neue im Dekret Bersani vorgesehene Ausschreibung nicht wirksam behoben wurde, da gegen ihn oder seine Vertreter oder Mitglieder seiner Geschäftsleitung im Zeitpunkt dieser neuen Ausschreibung Strafverfahren – die, wie sich später insbesondere im Licht des Urteils Placanica u. a. herausstellte, einer rechtlichen Grundlage entbehrten – anhängig waren, die seine Teilnahme an dieser Ausschreibung in der Praxis ausschlossen, weil ihm seine Konzession wegen dieser Strafverfahren sofort wieder entzogen worden wäre.

85      Somit können auch nach der neuen im Dekret Bersani vorgesehenen Ausschreibung aus den gleichen Gründen wie den im Urteil Placanica u. a. genannten keine Sanktionen wegen Sammelns von Wetten ohne Konzession oder polizeiliche Genehmigung gegen Personen verhängt werden, die wie Herr Costa und Herr Cifone an einen Wirtschaftsteilnehmer wie Stanley gebunden sind, der von früheren Ausschreibungen unionsrechtswidrig ausgeschlossen worden war.

86      Die Antwort, die angesichts der vorstehenden Erwägungen auf diesen Teil der Frage zu geben ist, macht die Prüfung entbehrlich, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die beanstandete Bestimmung, wie Herr Costa und Herr Cifone vortragen, gegen die Unschuldsvermutung verstößt, die Teil der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und in Art. 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegt ist.

 Zum Entzug der Konzession wegen des Angebots von Glücksspielen über Server, die sich außerhalb des Staatsgebiets befinden

87      Sowohl der in den Randnrn. 21 bis 26 des vorliegenden Urteils zusammengefasste Schriftwechsel zwischen Stanley und der AAMS als auch der Umstand, dass der Generalanwalt Anlass gesehen hat, in den Nrn. 72 bis 89 seiner Schlussanträge zwei Lösungsalternativen vorzutragen, denen völlig unterschiedliche Auslegungen von Art. 23 Abs. 3 des Mustervertrags zugrunde liegen, machen deutlich, dass es dieser Bestimmung an Klarheit fehlt.

88      Es ist nämlich unklar, welchen Zweck und welche Wirkung diese Bestimmung hat. Sie könnten darin bestehen, zu verhindern, dass ein Konzessionär im italienischen Staatsgebiet andere Glücksspiele anbietet als die, für die er eine Konzession besitzt, oder darin, jede grenzüberschreitende Tätigkeit im Glücksspielsektor zu verhindern, insbesondere eine Tätigkeit entsprechend einer auf DÜZ gestützten Arbeitsweise wie der von Stanley.

89      Zwar obliegt die Auslegung nationaler Vorschriften im Rahmen des durch Art. 267 AEUV geschaffenen Systems der Zusammenarbeit den nationalen Gerichten und nicht dem Gerichtshof (Urteil Placanica u. a., Randnr. 36). Wie aus der in den Randnrn. 72 bis 74 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung hervorgeht, verlangt das Unionsrecht jedoch, dass die Bedingungen und Modalitäten eines Vergabeverfahrens wie des in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden klar, genau und eindeutig formuliert sind. Dies ist bei Art. 23 Abs. 3 des Mustervertrags selbst im Licht der von der AAMS auf Anfrage von Stanley gelieferten zusätzlichen Erläuterungen nicht der Fall.

90      Einem Wirtschaftsteilnehmer wie Stanley kann nicht vorgeworfen werden, auf eine Bewerbung um eine Konzession angesichts fehlender Rechtssicherheit verzichtet zu haben, solange hinsichtlich der Vereinbarkeit seiner Arbeitsweise mit den Bestimmungen des bei der Vergabe der Konzession zu unterzeichnenden Vertrags Unklarheit bestand. Soweit ein solcher Wirtschaftsteilnehmer von der im Urteil Placanica u. a. beanstandeten vorherigen Ausschreibung unionsrechtswidrig ausgeschlossen war, ist davon auszugehen, dass dieser Ausschluss durch die neue Ausschreibung nicht wirksam behoben wurde.

91      Nach alledem ist auf den zweiten Teil der Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 43 EG und 49 EG dahin auszulegen sind, dass sie Sanktionen wegen Sammelns von Wetten ohne Konzession oder polizeiliche Genehmigung gegen Personen, die an einen Wirtschaftsteilnehmer gebunden sind, der von einer Ausschreibung unionsrechtswidrig ausgeschlossen worden war, auch nach der Neuausschreibung zur Behebung dieses Unionsrechtsverstoßes entgegenstehen, soweit diese Ausschreibung und die daraus folgende Vergabe neuer Konzessionen den rechtswidrigen Ausschluss des Wirtschaftsteilnehmers von der früheren Ausschreibung nicht wirksam behoben haben.

92      Aus den Art. 43 EG und 49 EG, dem Grundsatz der Gleichbehandlung, dem Transparenzgebot und dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt, dass die Bedingungen und Modalitäten eines Vergabeverfahrens wie des in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden und insbesondere Bestimmungen, die wie Art. 23 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 des Mustervertrags den Entzug von nach einer solchen Ausschreibung vergebenen Konzessionen vorsehen, klar, genau und eindeutig formuliert sein müssen; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

 Kosten

93      Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Art. 43 EG und 49 EG sowie die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Effektivität sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat, der unionsrechtswidrig eine Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern von der Vergabe von Konzessionen für die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausgeschlossen hat und diesen Verstoß durch Ausschreibung einer großen Zahl von neuen Konzessionen beheben will, verbieten, die von den bestehenden Betreibern erworbenen Geschäftspositionen u. a. durch das Vorschreiben von Mindestabständen zwischen den Einrichtungen der neuen Konzessionäre und denen der bestehenden Betreiber zu schützen.

2.      Die Art. 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass sie Sanktionen wegen Sammelns von Wetten ohne Konzession oder polizeiliche Genehmigung gegen Personen, die an einen Wirtschaftsteilnehmer gebunden sind, der von einer Ausschreibung unionsrechtswidrig ausgeschlossen worden war, auch nach der Neuausschreibung zur Behebung dieses Unionsrechtsverstoßes entgegenstehen, soweit diese Ausschreibung und die daraus folgende Vergabe neuer Konzessionen den rechtswidrigen Ausschluss des Wirtschaftsteilnehmers von der früheren Ausschreibung nicht wirksam behoben haben.

3.      Aus den Art. 43 EG und 49 EG, dem Grundsatz der Gleichbehandlung, dem Transparenzgebot und dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt, dass die Bedingungen und Modalitäten eines Vergabeverfahrens wie des in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden und insbesondere Bestimmungen, die wie Art. 23 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 3 des Mustervertrags zwischen der Amministrazione Autonoma dei Monopoli di Stato und dem Zuschlagsempfänger über die Konzession betreffend Glücksspiele in Bezug auf andere Ereignisse als Pferderennen den Entzug von nach einer solchen Ausschreibung vergebenen Konzessionen vorsehen, klar, genau und eindeutig formuliert sein müssen; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Italienisch.