Language of document : ECLI:EU:C:2012:566

SCHLUSSANTRÄGE VON FRAU TRSTENJAK – RECHTSSACHE C-92/11


SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

VERICA TRSTENJAK

vom 13. September 2012(1)

Rechtssache C‑92/11

RWE Vertrieb AG

gegen

Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V.

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])

„Preiserhöhungsklauseln in Gasversorgungsverträgen – Begriff der bindenden Rechtsvorschrift in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG – Verweisungsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf bindende Rechtsvorschriften – Transparenzgebot gemäß Art. 5 der Richtlinie 93/13 und Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und c der Richtlinie 2003/55/EG – Missbräuchlichkeit einer Vertragsabänderungsklausel gemäß Art. 3 der Richtlinie 93/13 unter Berücksichtigung des Anhangs zu Art. 3 Nr. 1 Buchst. j und Nr. 2 Buchst. b“





Inhaltsverzeichnis


I – Einleitung

II – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

1. Richtlinie 93/13

2. Richtlinie 2003/55

B – Nationales Recht

1. AVBGasV vom 21. Juni 1979

2. Bürgerliches Gesetzbuch

III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

V – Vorbringen der Parteien

A – Erste Vorlagefrage

B – Zweite Vorlagefrage

VI – Rechtliche Würdigung

A – Zur ersten Vorlagefrage

1. Fehlen einer Legaldefinition für den Begriff der bindenden Rechtsvorschrift und divergierende Sprachfassungen

2. Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Vorschrift

a) Entstehungsgeschichte

b) Teleologische Erwägungen

i) Allgemeine Erwägungen zur Richtlinie 93/13

ii) Konkrete Erwägungen zu Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13

B – Zur zweiten Vorlagefrage

1. Verhältnis der Transparenzklausel gemäß Art. 5 der Richtlinie 93/13 zur Missbräuchlichkeitsklausel des Art. 3 der Richtlinie 93/13

2. Verhältnis der Transparenzklausel gemäß Art. 5 und 3 der Richtlinie 93/13 zu dem Transparenzgebot gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55

3. Prüfungsumfang des Gerichtshofs und der nationalen Gerichte

4. Überprüfung der streitgegenständlichen Preisanpassungsklausel unter Berücksichtigung der Transparenzklausel in Art. 5 der Richtlinie 93/13 unter besonderer Berücksichtigung des Anhangs zu Art. 3, dort Nrn. 1 Buchst. j und 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13

a) Grundsätzliche Anforderungen an eine wirksame Preisanpassungsklausel

b) Einschränkungen des Transparenzgebots durch Schutzmechanismen zugunsten des Verbrauchers

i) Kündigungsmöglichkeit

ii) Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung

iii) Abschließende Wertung

5. Überprüfung der streitgegenständlichen Preisanpassungsklausel unter Berücksichtigung der Transparenzklausel in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 unter besonderer Berücksichtigung des Anhangs A

6. Zusammenfassung

C – Zur möglichen Beschränkung der Wirkungen des Urteils

VII – Ergebnis

I –    Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des deutschen Bundesgerichtshofs betrifft Fragen des Verbraucherschutzes im Zusammenhang mit Gasversorgungsverträgen. Kläger des Ausgangsverfahrens ist ein Verbraucherschutzverein (im Folgenden: Kläger), der aus abgetretenem Recht von 25 Kunden eines Energieversorgungsunternehmens gegen Preiserhöhungen klagt, die in den Jahren 2003 bis 2005 von diesem Energieversorgungsunternehmen vorgenommen wurden. Zum damaligen Zeitpunkt bezogen Haushaltskunden und kleinere gewerbliche Abnehmer Gas entweder als sogenannte Tarifkunden oder aber als Sonderkunden. Ausschließlich für Tarifkunden galt zum damaligen Zeitpunkt eine nationale Regelung, die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (im Folgenden: AVBGasV)(2). Tarifkunden im Sinne dieses Gesetzes waren solche, die in den Geltungsbereich der Grundversorgung fielen und auf der Basis allgemein geltender Preise beliefert wurden. Es gab jedoch für Gaskunden die Möglichkeit, von den Vorgaben dieses nationalen Gesetzes abzuweichen. Von dieser Möglichkeit wurde häufig Gebrauch gemacht, u. a. deshalb, weil Kunden außerhalb der gesetzlichen Vorgaben günstigere Preise zahlten. Mit diesen Kunden schlossen die Energieversorgungsunternehmen sogenannte Sonderkundenverträge, die nicht in den Anwendungsbereich der AVBGasV fielen, und mit denen besondere Vertragsbedingungen und Preise vereinbart wurden. Inhaltlich verwiesen diese Verträge in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen entweder auf die AVBGasV oder übernahmen wörtlich deren Bestimmungen. Jedenfalls bei einem Teil der Zedenten des Klägers handelte es sich um solche Sonderkunden. Ein wesentlicher Streitpunkt zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens ist die Frage, ob sich das Energieversorgungsunternehmen, Beklagte des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte), auf eine Vorschrift der AVBGasV berufen kann, die ein Preiserhöhungsrecht für Energieversorgungsunternehmen begründet.

2.        Vor diesem Hintergrund möchte das vorlegende Gericht zum einen wissen, ob die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen(3) unter Berücksichtigung ihres Art. 1 Abs. 2 auch dann anwendbar ist, wenn in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibendem und einem Verbraucher aufgrund einer im Einzelnen nicht ausgehandelten Vertragsklausel die Geltung einer Rechtsvorschrift vereinbart wird, die zwar auf die Vertragsparteien und den von ihnen geschlossenen Vertrag keine Anwendung findet, aber dennoch vom Klauselverwender unverändert übernommen wird. Zum anderen fragt das vorlegende Gericht, ob eine intransparente Klausel im Licht der Art. 3 und 5 in Verbindung mit dem Anhang zu Art. 3 Nr. 1 Buchst. j und Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13 sowie im Licht von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG(4) in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c gleichwohl als hinreichend klar und verständlich gewertet werden kann, wenn sichergestellt ist, dass der Anbieter seinen Kunden jede Preiserhöhung binnen einer angemessenen Frist ankündigt und dem Kunden das Recht zur gerichtlichen Überprüfung dieser Preiserhöhung ebenso offensteht wie das Recht zur Kündigung dieses Vertrags.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

1.      Richtlinie 93/13

3.        Die Erwägungsgründe 13, 14 und 20 der Richtlinie 93/13 lauten:

„Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, dass sie keine missbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft Vertragsparteien sind, nicht dieser Richtlinie zu unterwerfen; der Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften‘ in Artikel 1 Absatz 2 umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde.

Die Mitgliedstaaten müssen jedoch dafür sorgen, dass darin keine missbräuchlichen Klauseln enthalten sind …

Die Verträge müssen in klarer und verständlicher Sprache abgefasst sein. Der Verbraucher muss tatsächlich die Möglichkeit haben, von allen Vertragsklauseln Kenntnis zu nehmen. Im Zweifelsfall ist die für den Verbraucher günstigste Auslegung anzuwenden.“

4.        Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft insbesondere im Verkehrsbereich Vertragsparteien sind, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.“

5.        Art. 3 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 93/13 lautet:

„(1)       Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.

(3)       Der Anhang enthält eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können.“

6.        Art. 4 der Richtlinie 93/13 sieht vor:

„(1)       Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrags sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrags oder eines anderen Vertrags, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.

(2)       Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegenstand des Vertrags noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind.“

7.        Art. 5 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein. Bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel gilt die für den Verbraucher günstigste Auslegung. … “

8.        Nr. 1 Buchst. j des Anhangs („Klauseln gemäß Artikel 3 Absatz 3“) der Richtlinie 93/13 erwähnt „Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass der Gewerbetreibende die Vertragsklauseln einseitig ohne triftigen und im Vertrag aufgeführten Grund ändern kann“.

9.        Nr. 2 Buchst. b Unterabs. 2 des Anhangs der Richtlinie 93/13 erläutert die Tragweite des Buchst. j wie folgt:

„Buchstabe j) steht ferner Klauseln nicht entgegen, durch die sich der Gewerbetreibende das Recht vorbehält, einseitig die Bedingungen eines unbefristeten Vertrags zu ändern, sofern es ihm obliegt, den Verbraucher hiervon rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, und es diesem freisteht, den Vertrag zu kündigen.“

2.      Richtlinie 2003/55(5)

10.      Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 lautet:

„Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht, wozu auch geeignete Maßnahmen gehören, mit denen diesen Kunden geholfen wird, den Ausschluss von der Versorgung zu vermeiden. In diesem Zusammenhang können sie Maßnahmen zum Schutz von Kunden in abgelegenen Gebieten treffen, die an das Erdgasnetz angeschlossen sind. Sie können für an das Gasnetz angeschlossene Kunden einen Versorger letzter Instanz benennen. Sie gewährleisten einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und Streitbeilegungsverfahren. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass zugelassene Kunden tatsächlich zu einem neuen Lieferanten wechseln können. Zumindest im Fall der Haushalts-Kunden schließen solche Maßnahmen die in Anhang A aufgeführten Maßnahmen ein.“

11.      Anhang A („Maßnahmen zum Schutz der Kunden“) der Richtlinie 2003/55 bestimmt:

„Unbeschadet der Verbraucherschutzvorschriften der Gemeinschaft, insbesondere der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 93/13/EG des Rates, soll mit den in Artikel 3 genannten Maßnahmen sichergestellt werden, dass die Kunden

a)       …

Die Bedingungen müssen gerecht und im Voraus bekannt sein. Diese Informationen müssen in jedem Fall vor Abschluss oder Bestätigung des Vertrags übermittelt werden. Auch bei Abschluss des Vertrags durch Vermittler müssen die oben genannten Informationen vor Vertragsabschluss bereitgestellt werden;

b)       rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Rücktrittsrecht unterrichtet werden. Die Dienstleister teilen ihren Kunden direkt jede Gebührenerhöhung mit angemessener Frist mit, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode, die auf die Gebührenerhöhung folgt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es den Kunden freisteht, den Vertrag zu lösen, wenn sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren, die ihnen ihr Gasdienstleister mitgeteilt hat;

c)       transparente Informationen über geltende Preise und Tarife sowie über die Standardbedingungen für den Zugang zu Gasdienstleistungen und deren Inanspruchnahme erhalten;

d)       … Die allgemeinen Vertragsbedingungen müssen fair und transparent sein. Sie müssen klar und verständlich abgefasst sein. Die Kunden müssen gegen unfaire oder irreführende Verkaufsmethoden geschützt sein“.

12.      Gemäß Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 2003/55 war diese grundsätzlich bis zum 1. Juli 2004 in den Mitgliedstaaten umzusetzen.

B –    Nationales Recht

1.      AVBGasV vom 21. Juni 1979(6)

13.      § 1 Abs. 2 der Verordnung enthält folgende Definition:

„Kunde im Sinne dieser Verordnung ist der Tarifkunde.“

14.      § 4 Abs. 1 und 2 der AVBGasV begründet nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Recht des Gasversorgungsunternehmens, die allgemeinen Tarifpreise nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) zu ändern(7). Die Vorschrift lautet:

„§ 4 Art der Versorgung

(1)       Das Gasversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. Der Brennwert mit der sich aus den Erzeugungs‑ und Benutzungsverhältnissen des Unternehmens ergebenden Schwankungsbreite sowie der für die Versorgung des Kunden maßgebende Ruhedruck des Gases bestimmen sich nach allgemeinen Tarifen.

(2)       Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.“

2.      Bürgerliches Gesetzbuch

15.      § 307 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB) hat folgenden Wortlaut:

„(1)       Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2)       Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1.       mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder

2.       wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3)       Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.“

16.      Die §§ 308 und 309 BGB konkretisieren § 307 Abs. 2 BGB durch spezifische Klauselverbote.

17.      § 310 Abs. 2 BGB bestimmt sodann:

„Die §§ 308 und 309 finden keine Anwendung auf Verträge der Elektrizitäts‑, Gas‑ Fernwärme‑ und Wasserversorgungsunternehmen über die Versorgung von Sonderabnehmern mit elektrischer Energie, Gas, Fernwärme und Wasser aus dem Versorgungsnetz, soweit die Versorgungsbedingungen nicht zum Nachteil der Abnehmer von Verordnungen über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung von Tarifkunden mit elektrischer Energie, Gas, Fernwärme und Wasser abweichen. Satz 1 gilt entsprechend für Verträge über die Entsorgung von Abwasser.“

III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

18.      Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verbraucherschutzverein, der aus abgetretenem Recht von insgesamt 25 Gasverbrauchern Rückforderungsansprüche gegen die Beklagte des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte), ein Energieversorgungsunternehmen, wegen in den Jahren 2003 bis 2005 erfolgter Preiserhöhungen geltend macht. Die Beklagte hat diese Preiserhöhungen auf vertragliche Klauseln gestützt, die auf die gesetzliche Regelung der AVBGasV verweisen oder aber gleichlautende Regelungen enthalten. Diese AVBGasV galt jedoch gemäß der ausdrücklichen Regelung in § 1 nur für Tarifkunden. Tarifkunden sind nach § 36 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) 2005 (vormals § 10 Abs. 1 Satz 1 EnWG 1998) solche Kunden, die in den Geltungsbereich der Grundversorgung durch den jeweiligen Grundversorger fallen und auf der Basis allgemein geltender Preise beliefert werden. Zumeist handelt es sich hier um Abnehmer mit einem relativ geringen Energiebedarf(8). Es gab jedoch zum damaligen Zeitpunkt für Gaskunden die Möglichkeit, von den Vorgaben der AVBGasV abzuweichen. Von dieser Möglichkeit wurde häufig Gebrauch gemacht, u. a. deshalb, weil Kunden außerhalb der gesetzlichen Vorgaben günstigere Preise zahlten. Mit diesen Kunden schlossen die Energieversorgungsunternehmen sogenannte Sonderkundenverträge, die nicht in den Anwendungsbereich der AVBGasV fielen, und vereinbarten mit ihnen besondere Vertragsbedingungen und Preise. Inhaltlich verwiesen diese Verträge im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen entweder auf die AVBGasV oder übernahmen wörtlich deren Bestimmungen. Jedenfalls bei einem Teil der Zedenten des Klägers handelte es sich um solche Sonderkunden.

19.      In der Zeit vom 1. Januar 2003 bis 1. Oktober 2005 erhöhte die Beklagte die Gaspreise insgesamt vier Mal. In diesem Zeitraum bestand für die 25 Kunden faktisch keine Möglichkeit, den Gasversorger zu wechseln, weil die Liberalisierung des Energiemarkts noch nicht weit genug fortgeschritten war und daher kein alternatives Versorgungsunternehmen vorhanden war, das die Zedenten ebenfalls mit Gas hätte beliefern können(9). Die Kunden zahlten daher, teilweise unter dem Vorbehalt der Rückforderung, die ihnen im Zeitraum von 2003 bis 2005 für das gelieferte Gas in Rechnung gestellten erhöhten Entgelte.

20.      Der Kläger hält die Gaspreiserhöhungen für unwirksam und begehrt infolgedessen die Rückzahlung der infolge der Preiserhöhungen gezahlten Beträge. Das Landgericht gab der Klage statt, die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte das Berufungsgericht aus, der Beklagte habe ein Tariferhöhungsrecht gemäß § 4 AVBGasV nicht zugestanden, da diese Vorschrift gemäß deren § 1 Abs. 2 nur auf Tarifkunden anwendbar sei. Die Preisänderungsklauseln verstießen gegen § 307 BGB, da sie nicht hinreichend klar und bestimmt seien und den Kunden, der eine Berechtigung der Preiserhöhung nicht nachprüfen könne, unangemessen benachteiligten. Daran ändere auch das infolge des längerfristigen Vertragsverhältnisses zu berücksichtigende Interesse der Beklagten nichts, ebenso wenig der Umstand, dass die Preisänderungsklausel dem gesetzlichen Leitbild des § 4 AVBGasV entspreche. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

21.      Der Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz fragt zum einen nach der Anwendbarkeit der Richtlinie 93/13 unter Berücksichtigung ihres Art. 1 Abs. 2 und bittet um Aufklärung, ob die Möglichkeit der Überprüfung einer Klausel gemäß der Richtlinie 93/13 auch dann ausscheidet, wenn in einem Vertrag zwischen einem Gasunternehmen und einem Verbraucher aufgrund einer nicht im Einzelnen ausgehandelten Vertragsklausel die uneingeschränkte Geltung einer Rechtsvorschrift vereinbart wird, auch wenn diese Rechtsvorschrift auf die Vertragsparteien und den von ihnen geschlossenen Vertragstyp von Gesetzes wegen keine Anwendung findet. In diesem Zusammenhang gibt das vorlegende Gericht zu bedenken, dass es keinen Grund gebe, die sogenannten Sondervertragskunden besser zu stellen als Tarifkunden. Dem entspreche auch die deutsche Regelung in § 310 Abs. 2 BGB.

22.      Zum anderen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Vertragsklauseln über das Preisänderungsrecht eines Anbieters von Gaslieferungsverträgen, die keine Angaben zu Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung enthalten, im Licht der Art. 3 und 5 in Verbindung mit Nr. 1 Buchst. j und Nr. 2 Buchst. b des Anhangs der Richtlinie 93/13 sowie im Licht von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c gleichwohl als hinreichend klar und verständlich gewertet werden können, wenn sichergestellt ist, dass der Anbieter seinen Kunden jede Preiserhöhung binnen einer angemessenen Frist ankündigt, und dem Kunden das Recht zur gerichtlichen Überprüfung dieser Preiserhöhung ebenso offensteht wie das Recht zur Kündigung dieses Vertrags. In diesem Kontext äußert das vorlegende Gericht Zweifel an der Anwendbarkeit von Anhang A Buchst. c der Richtlinie 2003/55 auf den vorliegenden Fall unter Hinweis darauf, dass diese Vorschrift sich lediglich auf „geltende Preise und Tarife“ beziehe, nicht aber auf Preiserhöhungen.

23.      Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.         Ist Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass Vertragsklauseln über Preisänderungen in Gaslieferungsverträgen mit Verbrauchern, die außerhalb der allgemeinen Versorgungspflicht im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit beliefert werden (Sonderkunden), nicht den Bestimmungen der Richtlinie unterliegen, wenn in diesen Vertragsklausein die für Tarifkunden im Rahmen der allgemeinen Anschluss‑ und Versorgungspflicht geltenden gesetzlichen Regelungen unverändert in die Vertragsverhältnisse mit den Sonderkunden übernommen worden sind?

2.         Sind – soweit anwendbar – die Art. 3 und 5 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit Nr. 1 Buchst. j und Nr. 2 Buchst. b Satz 2 des Anhangs zu Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie sowie Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55 dahin auszulegen, dass Vertragsklauseln über Preisänderungen in Erdgaslieferungsverträgen mit Sonderkunden den Anforderungen an eine klare und verständliche Abfassung und/oder an das erforderliche Maß an Transparenz genügen, wenn in ihnen Anlass, Voraussetzungen und Umfang einer Preisänderung zwar nicht wiedergegeben sind, jedoch sichergestellt ist, dass das Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen?

IV –  Verfahren vor dem Gerichtshof

24.      Die Vorlageentscheidung mit Datum vom 9. Februar 2011 ist am 28. Februar 2011 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

25.      Schriftliche Erklärungen haben die Parteien des Ausgangsverfahrens, die Regierungen des Königreichs Belgien und der Bundesrepublik Deutschland sowie die Europäische Kommission innerhalb der in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs genannten Frist eingereicht.

26.      In der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2012 sind die Prozessbevollmächtigten der Parteien des Ausgangsverfahrens, der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Kommission erschienen, um Ausführungen zu machen.

V –    Wesentliches Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

A –     Erste Vorlagefrage

27.      Zur ersten Vorlagefrage vertreten der Kläger und die Kommission die Ansicht, Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 sei dahin auszulegen, dass Vertragsklauseln über Preisänderungen in Gaslieferungsverträgen mit Verbrauchern, die außerhalb der allgemeinen Versorgungspflicht im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit beliefert werden, auch dann den Bestimmungen der Richtlinie 93/13 unterlägen, wenn in diesen gesetzliche Vorschriften übernommen würden, die nicht für diese Verbraucher gälten, sondern ausschließlich für andere Kunden. Zur Begründung verweisen sie auf den 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13. Werde eine Vertragsklausel für einen anderen Vertragstyp als gesetzlich vorgesehen für anwendbar erklärt, so bestehe keine Regelungsidentität und es könne nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber automatisch in einem vom Anwendungsbereich der Norm nicht erfassten Kontext von einer Angemessenheit habe ausgehen wollen. Die Verweisung beruhe auf einer autonomen Entscheidung der Vertragsparteien und nicht auf einer bindenden Rechtsvorschrift. Andernfalls könne sich ein Klauselverwender durch eine pauschale Verweisung auf bestimmte Regelungen einer Inhaltskontrolle entziehen und die Vorgaben der Richtlinie 93/13 umgehen. Als Ausnahmeregelung dürfe Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 nicht über seinen Wortlaut hinaus ausgelegt werden.

28.      Auch die belgische Regierung folgt grundsätzlich dieser Auffassung, meint jedoch, dass ohnehin nur solche bindenden Rechtsvorschriften die Anwendbarkeit der Richtlinie 93/13 gemäß Art. 1 Abs. 2 ausschließen könnten, durch die zwingenden Erfordernissen des Allgemeinwohls Rechnung getragen worden soll. Hierfür spreche, dass Art. 1 Abs. 2 der genannten Richtlinie im Licht des Binnenmarkts zu sehen sei, wonach nur bei bestimmten zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses Rechtsvorschriften erlassen werden dürften.

29.      Demgegenüber sind die Beklagte und die deutsche Regierung der Auffassung, dass Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 auch dann zur Anwendung komme, wenn Vertragsparteien eines Gaslieferungsvertrags in einem Versorgungsvertrag auf bindende Rechtsvorschriften verwiesen. Folgerichtig sei der Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 nicht eröffnet. In diesem Zusammenhang vertritt die deutsche Regierung die Auffassung, der Begriff der „bindenden Rechtsvorschrift“ werde in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie nicht definiert, auch die Erwägungsgründe 13 und 14 beträfen lediglich die Reichweite dieses Begriffs. Daher sei dieser Begriff nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten auszulegen, und es müsse auf der Grundlage des nationalen Rechts festgestellt werden, ob eine Rechtsvorschrift Bindungswirkung habe. Nur diese Auslegung entspreche dem Sinn und Zweck des Art. 1 Abs. 2, der eine Missbrauchsprüfung bei bindenden Rechtsvorschriften verhindern wolle.

B –    Zweite Vorlagefrage

30.      Zur zweiten Vorlagefrage vertreten der Kläger und die Kommission die Ansicht, die Intransparenz einer Preisanpassungsklausel könne nicht durch die Möglichkeit der Kündigung oder einer gerichtlichen Überprüfung kompensiert werden, ebenso wenig durch eine rechtzeitige Ankündigung der Preiserhöhung, zumal im vorliegenden Fall weder von einer solchen Rechtzeitigkeit noch einer Kündigungsmöglichkeit ausgegangen werden könne. Die Kommission führt insoweit ergänzend aus, das Transparenzgebot erfordere zwar grundsätzlich nicht die Wiedergabe von Anlass, Umfang und Voraussetzungen einer Preiserhöhung, denn es sei Aufgabe der nationalen Gerichte, die Verständlichkeit und Klarheit einer solchen Klausel zu beurteilen. Der gebotenen Transparenz sei jedoch jedenfalls dann nicht Genüge getan, wenn auf eine ihrerseits nicht transparente Norm Bezug genommen werde. Die Rechtsfolgen einer intransparenten Regelung seien jedoch durch die nationalen Gerichte festzustellen.

31.      Demgegenüber vertritt die belgische Regierung die Auffassung, die rechtzeitige Ankündigung der Preiserhöhung sowie die Möglichkeit der Kündigung genüge dem Transparenzgebot. Jedoch könne eine Preisanpassungsklausel im Sinne des Anhangs Nr. 1 Buchst. j zu Art. 3 der Richtlinie 93/13 missbräuchlich sein; diese Beurteilung obliege jedoch den nationalen Gerichten.

32.      Die deutsche Regierung verweist darauf, dass die Beurteilung einer Missbräuchlichkeit und der Transparenz nach der Richtlinie 93/13 allein Sache der nationalen Gerichte sei, und geht im Übrigen von der Nichtanwendbarkeit der Richtlinie 2003/55 aus, da diese kein unmittelbares Recht des Verbrauchers begründe, sondern die vollständige Öffnung des Energiebinnenmarkts zum Ziel habe. Die Beklagte führt insoweit ergänzend aus, die Richtlinie 2003/55 sei auch deshalb nicht anwendbar, weil die streitgegenständlichen Verträge bereits vor ihrem Erlass abgeschlossen worden seien.

33.      Sowohl die Beklagte als auch die deutsche Regierung regen hilfsweise, für den Fall, dass ihrer Auffassung nicht gefolgt wird, an, die Wirkung des Urteils des Gerichtshofs zu beschränken: die deutsche Regierung auf nach Erlass des Urteils begründete Vertragsverhältnisse, die Beklagte auf einen Zeitraum von 20 Monaten nach Urteilserlass.

VI – Rechtliche Würdigung

A –    Zur ersten Vorlagefrage

34.      Gegenstand der ersten Vorlagefrage ist die Auslegung des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13, nach dem Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft Vertragsparteien sind, nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie unterliegen. Das vorlegende Gericht möchte wissen, wie der dort verwendete Begriff der „bindenden Rechtsvorschrift“ auszulegen ist. Konkret geht es darum, ob dieser Begriff so zu verstehen ist, dass hiermit nur Rechtsvorschriften gemeint sind, die sich auf einen gesetzlich normierten Vertragstyp beziehen, für den der Mitgliedstaat Normen erlassen hat, oder ob es ausreicht, wenn in einem von der Bindungswirkung einer nationalen Rechtsvorschrift eigentlich nicht erfassten Vertrag hinsichtlich einzelner Klauseln vollinhaltlich auf nationale gesetzliche Regelungen verwiesen wird. Diese Frage betrifft damit den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13.

1.      Fehlen einer Legaldefinition für den Begriff der bindenden Rechtsvorschrift und divergierende Sprachfassungen

35.      Der Begriff der „bindenden Rechtsvorschrift“ in Art. 1 Abs. 2 wird durch die Richtlinie 93/13 nicht im Einzelnen definiert, so dass die vorstehende Frage offenbleibt wie auch das – von den Parteien nicht thematisierte – Problem, ob hiermit nur zwingende oder auch dispositive Rechtsvorschriften gemeint sind.

36.      Für ein Verständnis des Art. 1 Abs. 2 als Bereichsausnahme nur für zwingendes Recht spricht in erster Linie die grammatische Auslegung der Richtlinie 93/13. Nach dem deutschen Wortverständnis sind bindende Rechtsvorschriften solche, die die Parteien binden, von denen also nicht durch Parteivereinbarung abgewichen werden kann. Gleichwohl bleibt diese Auslegung zweifelhaft, da der rechtstechnisch korrekte Begriff der Begriff der „zwingenden“ Rechtsvorschrift ist. Für eine Ausnahme lediglich für zwingendes Recht spricht allerdings auch der englische, der französische und der spanische Richtlinientext aufgrund der dort verwendeten Begriffe „mandatory“, „impératif“ und „imperativo“.

37.      Insoweit bietet jedoch der 13. Erwägungsgrund der Richtlinie eine geeignete Interpretationshilfe. Dort wird ausgeführt, dass bei Vorschriften, in denen direkt oder indirekt Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, davon ausgegangen wird, dass sie keine missbräuchlichen Regelungen enthalten; insbesondere in Satz 2, 2. Halbsatz, wird klargestellt, dass „auch“ solche Regelungen als bindende Rechtsvorschriften anzusehen sein sollen, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde. Diese letztgenannte Präzisierung, verbunden mit dem Begriff der notwendigen Bindung, kann nur so verstanden werden, dass die in Art. 1 Abs. 2 genannten Rechtsvorschriften auch solche sein können, die zur Disposition der Parteien stehen. Diese Klarstellung findet sich zwar nur im Erwägungsgrund und nicht im Richtlinientext selbst, doch ist bei einer gebotenen Auslegung auf die Erwägungsgründe einer Richtlinie besonderes Augenmerk zu legen, da diese den Willen und die Beweggründe der gesetzgebenden Organe wiedergeben und daher in besonderem Maße Aufschluss geben sowohl über die Motive, die zum Erlass der Richtlinie geführt haben, als auch über die hiermit verfolgten Ziele(10). Sie sind gemäß Art. 295 AEUV bzw. Art. 253 EG integraler Bestandteil des Gesetzgebungsdokuments, und eine konforme Auslegung des Richtlinientextes anhand der Erwägungsgründe ist demgemäß unabdingbar(11). Wird daher in einem Erwägungsgrund erläutert, wie ein bestimmter in der Richtlinie verwendeter Begriff zu verstehen ist, ist dies ein Indiz dafür, dass diese Auslegung auch für den Richtlinientext selbst verbindlich sein soll.

38.      Dafür, dass der Begriff der bindenden Rechtsvorschrift sowohl zwingendes als auch dispositives Recht erfassen sollte, spricht ferner auch die historische und teleologische Auslegung, wie ich im Nachfolgenden aufzeigen werde.

39.      Eine solche historische und teleologische Auslegung ist insbesondere auch deshalb geboten, weil hinsichtlich des Begriffs „beruhen“ in Art. 1 Abs. 2 die einzelnen Sprachfassungen voneinander abweichen. Die französische Fassung spricht von „clauses contractuelles qui reflètent des dispositions législatives ou réglementaires impératives“, die englische von „contractual terms which reflect mandatory, statutory or regulatory provisions“. Diese Begriffe „reflètent“ bzw. „reflect“, die weiter sind als der in der deutschen Fassung verwendete Begriff „beruhen“, könnten dafür sprechen, dass eine Bezugnahme auf bindende Vorschriften einen Vertrag dem Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 auch dann entzieht, wenn diese Rechtsvorschrift sich auf einen anderen Vertragstyp und/oder einen anderen Personenkreis bezieht.

40.      Allerdings verbietet es die Notwendigkeit einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts nach ständiger Rechtsprechung, eine Bestimmung in einer ihrer Sprachfassungen isoliert zu betrachten. Insbesondere wenn die verschiedenen Sprachfassungen eines Rechtsakts der Union voneinander abweichen oder Zweifel verbleiben, ist die fragliche Vorschrift nach dem Zusammenhang und dem Zweck der Regelung auszulegen, zu der sie gehört(12).

2.      Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Vorschrift

41.      Dafür, dass eine „bindende Rechtsvorschrift“ im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 auch dispositiver Natur sein kann, von einer fehlenden Anwendbarkeit der Richtlinie und der Ausschlusswirkung des Art. 1 Abs. 2 aber nur dann auszugehen ist, wenn diese Rechtsvorschrift vom Gesetzgeber auf den zwischen dem Gewerbetreibenden und dem Verbraucher geschlossenen Vertrag zugeschnitten ist, spricht auch die historische Auslegung ebenso wie eine Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Richtlinie.

a)      Entstehungsgeschichte

42.      Betrachtet man die Entstehungsgeschichte der Richtlinie 93/13(13), ergibt sich, dass eine inhaltlich dem Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie entsprechende Regelung in dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission vom 3. September 1990(14) noch nicht enthalten war. Dieser Gesichtspunkt wurde vielmehr erstmals im Rahmen der Anhörung des Wirtschafts‑ und Sozialausschusses zu dem Vorschlag der Kommission in die Diskussion eingebracht, indem bemängelt wurde, dass der Vorschlag keine Aussage über das Verhältnis zu bestehendem oder zukünftigem einzelstaatlichem Recht über missbräuchliche Vertragsklauseln enthalte. In diesem Zusammenhang wurde vorgeschlagen, klarzustellen, dass die Mitgliedstaaten auch über die Schutzbestimmungen der Richtlinie hinausgehende Normen beibehalten oder einführen können. Ferner wurde das Fehlen einer Aussage zum Verhältnis zu anderen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen und zu internationalen Rechtsvorschriften bemängelt(15). Gemäß dieser Anregung schlug das Europäische Parlament in seiner Stellungnahme vom 20. November 1991 vor, eine Vorschrift einzufügen, wonach Bestimmungen der Richtlinie nur für solche Allgemeinen Geschäftsbedingungen gelten sollten, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden(16). Auf der Grundlage dieser Vorschläge legte die Kommission am 5. März 1992 einen geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vor, der jedoch zunächst keine Vorgaben bezüglich der bindenden Vorschriften von Mitgliedstaaten enthielt(17). Die hier im Streit stehende Bestimmung wurde vielmehr erst durch den Rat bei der Festlegung des gemeinsamen Standpunkts im September 1992 unter Berücksichtigung der Stellungnahmen des Wirtschafts‑ und Sozialausschusses sowie des Europäischen Parlaments aufgenommen, durch den die Richtlinie 93/13 ihre letztlich in Kraft getretene Fassung erhielt, ohne dass allerdings weiter gehende Ausführungen zum Begriff der bindenden Rechtsvorschriften erfolgt sind(18).

43.      Bereits aus dieser historischen Entstehungsgeschichte wird deutlich, dass zwischen zwingendem und abdingbarem Recht nicht unterschieden werden sollte und tragender Gesichtspunkt im Rahmen der Beratungen das Verhältnis von Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu bestehendem Recht war, sei es nationalem, sei es supranationalem, und dass Geschäftsbedingungen nur insoweit einer Prüfung zu unterziehen sein sollten, als sie von geltendem Recht abwichen(19).

b)      Teleologische Erwägungen

44.      Gleiches ergibt sich auch aus der Zielsetzung der Richtlinie 93/13.

i)      Allgemeine Erwägungen zur Richtlinie 93/13

45.      Das wesentliche Ziel, das durch die Richtlinie 93/13 verwirklicht werden sollte, bestand in einer Mindestharmonisierung des Verbraucherschutzes zum Zweck der schrittweisen Schaffung eines funktionierenden gemeinsamen Binnenmarkts(20). Bereits in ihrem ersten Richtlinienentwurf vom 3. September 1990 hatte die Kommission darauf hingewiesen, dass es eine Vielzahl von Mitgliedstaaten mit jeweils unterschiedlichen Rechtsordnungen dem Verbraucher erschwere, eine Grenze zu überqueren, um Waren und Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Ohne eine gewisse Sicherheit, nicht infolge der Unkenntnis der Landessprache durch missbräuchliche Klauseln benachteiligt zu werden, werde es dem Verbraucher an dem notwendigen Vertrauen zur Nutzung des gemeinsamen Binnenmarkts fehlen(21). Aufgrund der angestrebten Mindestharmonisierung des Rechts der missbräuchlichen Klauseln sollte auf das bestehende Vertragsrecht der Mitgliedstaaten im Übrigen zum damaligen Zeitpunkt jedoch kein Einfluss genommen werden(22). Demzufolge hat die letztlich in Kraft getretene Richtlinie Vorgaben übernommen, die bereits zum damaligen Zeitpunkt für die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarkts als unerlässlich angesehen wurden, und die ersten zehn Erwägungsgründe der Richtlinie geben diese Zielsetzung unmissverständlich wieder.

ii)    Konkrete Erwägungen zu Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13

46.      Vor dem Hintergrund der Zielsetzung der Richtlinie 93/13 ist auch die Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie zu sehen.

47.      Diese Ausnahmebestimmung sollte für solche standardisierten Verträge gelten, deren Inhalt der nationale Gesetzgeber bereits durch nationale Vorschriften geregelt und für die er bereits von Gesetzes wegen eine ausgewogene Interessenabwägung zwischen den berechtigten Interessen aller Vertragsparteien vorgenommen hatte(23). Es wurde also vermutet, dass Klauseln, die in einem Mitgliedstaat die Zustimmung des nationalen Gesetzgebers gefunden haben, hinreichend ausgewogen sind, und nicht auf einem Missbrauch der wirtschaftlichen Überlegenheit des Gewerbetreibenden beruhen(24). An diesen grundsätzlichen Erwägungen hat sich durch den letztlich beschlossenen Text der Richtlinie 93/13 nichts geändert: Im Sinne der Richtlinie sollte sich der Begriff „bindend“ nicht auf die herkömmliche Unterscheidung im bürgerlichen Recht zwischen „bindenden“ und „freiwilligen“ Bestimmungen beziehen, sondern vielmehr darauf hinweisen, dass diejenigen Regeln unter den Begriff der „bindenden Rechtsvorschriften“ fallen, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde(25).

48.      Von der vorerwähnten ausgewogenen Interessenabwägung eines nationalen Gesetzgebers im Rahmen nationaler Regelungen kann aber dann keine Rede sein, wenn für den betreffenden Vertrag bzw. die von ihm geregelte Sachlage eine solche gesetzliche Vorgabe gar nicht existiert. Es kann in diesem Zusammenhang nicht außer Betracht bleiben, dass die Bewertung einer Klausel als missbräuchlich gemäß Art. 4 der Richtlinie 93/13 stets unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand eines Vertrags sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller Klauseln desselben Vertrags oder eines anderen Vertrags, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu erfolgen hat(26). Erforderlich ist mithin, wie ich dies bereits in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Pereničová und Perenič ausgeführt habe(27), eine Gesamtbetrachtung aller Regelungen, um ermitteln zu können, ob eine unangemessene Benachteiligung des Verbrauchers vorliegt; es reicht nicht aus, allein anhand der isolierten Betrachtung einer einzigen Klausel von deren Missbräuchlichkeit auszugehen. Im Umkehrschluss hierzu vermag es für eine Anwendung des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 nicht auszureichen, dass eine Klausel isoliert auf eine bindende Rechtsvorschrift verweist, die für einen gänzlich anderen Vertragstyp geschaffen wurde, kann doch in einem solchen Fall gerade nicht davon ausgegangen werden, dass die vom Gesetzgeber für einen bestimmten Vertragstyp vorgenommene Gesamtbewertung auch für andere, von der Bestimmung nicht erfasste Verträge gilt(28).

49.      Es darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen mit Vertragsklauseln prinzipiell den Anspruch haben, die vom Gesetzgeber geschaffenen rechtlichen Lösungen zu ersetzen, wobei gleichzeitig die vom Gesetzgeber als ausgewogen vorgesehenen Lösungen durch solche ersetzt werden, die einseitig die maximale Sicherung der Eigeninteressen einer der Parteien anstreben(29). Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs geht demgemäß das mit der Richtlinie 93/13 geschaffene Schutzsystem davon aus, dass der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können(30). Das Absehen von einer Prüfung solcher Vertragsklauseln lässt sich von daher allein insoweit rechtfertigen, als ein Mitgliedstaat Rechtsvorschriften für einen bestimmten Vertragstyp erlässt, denn nur dann kann davon ausgegangen werden, dass die erforderliche Gesamtbewertung seitens des Mitgliedstaats bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens erfolgt ist, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese Rechtsvorschriften zwingend oder dispositiver Natur sind(31).

50.      Demgemäß sollten Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach der Zielsetzung des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 nur insoweit zu überprüfen sein, als sie nicht auf geltendem Recht beruhen. Verwendet aber ein Gewerbetreibender im Rahmen seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen Klauseln, die Rechtsfolgen enthalten, die für den abzuschließenden Vertrag de lege lata nicht gelten, weichen diese Klauseln von geltendem Recht ab. Eben dem entspricht auch die Aussage in Satz 2, 2. Halbsatz, des 13. Erwägungsgrundes der Richtlinie 93/13, wonach nur solche Klauseln von einer Bewertung anhand der Richtlinie ausgenommen sind, die lediglich geltendes Recht wiedergeben. Mit anderen Worten: Bewegen sich Klauseln im Anwendungsbereich des geltenden Rechts, ohne dass Adaptationen seitens der Klauselverwender vorliegen, ist die fragliche Klausel als unproblematisch anzusehen.

51.      Jede andere rechtliche Bewertung würde dazu führen, dass es einem Klauselverwender möglich wäre, auf irgendeine bindende Rechtsvorschrift auch eines anderen Mitgliedstaats zu verweisen bzw. deren Wortlaut wiederzugeben, um die Klausel insgesamt der richterlichen Kontrolle zu entziehen(32). Dass dies vom Unionsgesetzgeber nicht gewollt war, liegt auf der Hand. Dieser Bewertung entspricht auch die Feststellung des Gerichtshofs in der Rechtssache Cofidis, wonach „Klauseln, die sich nicht darauf beschränken, zwingende Rechtsvorschriften wiederzugeben …, nicht offensichtlich dem Anwendungsbereich der Richtlinie entzogen sind, wie er durch deren Artikel 1 Absatz 2 … eingegrenzt ist“(33).

52.      Demzufolge ist Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13, worauf die Kommission zu Recht hinweist(34), als Ausnahmebestimmung eng auszulegen.

53.      Hierfür spricht insbesondere auch das vorerwähnte Ziel der Richtlinie, die schrittweise Schaffung eines Binnenmarkts dadurch zu ermöglichen, dass ein Verbraucher nicht bei der grenzüberschreitenden Inanspruchnahme von Waren und Dienstleistungen fürchten muss, durch die Einfügung missbräuchlicher Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen benachteiligt zu werden(35). Eben dies wäre aber der Fall, wenn ein Klauselverwender zulässigerweise in seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestimmungen aufnehmen könnte, die zwar in abstracto den rechtlichen Bestimmungen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten entsprechen, für den abzuschließenden Vertrag in concreto jedoch gar nicht gedacht sind.

54.      Eine abweichende rechtliche Bewertung ist auch nicht deshalb geboten, weil es sich im streitgegenständlichen Fall um die Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Versorgungsunternehmens handelt, das im Allgemeininteresse liegende Zwecke verfolgt. Vielmehr hat der Richtliniengeber diesen Fall durchaus bedacht, wie dies Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 93/13 zeigt, der diese ausdrücklich auch für Gewerbetreibende, die dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzuordnen sind, für anwendbar erklärt(36). Auszunehmen sind in diesem Zusammenhang lediglich Vertragsbedingungen der öffentlichen Hand, die – wie in Deutschland bezüglich der Versorgungsunternehmen häufig – durch Rechtsverordnungen oder Satzungen geregelt sind(37) und damit dem Anwendungsbereich des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 unterfallen.

55.      Eine abweichende rechtliche Wertung rechtfertigt sich schließlich ebenso wenig dann, wenn die Ausgangslage der Vertragsparteien der in einer Rechtsvorschrift beschriebenen Situation gleicht, wie dies das vorlegende Gericht in Übereinstimmung mit der Beklagten sowie der deutschen Regierung für den streitgegenständlichen Fall annimmt(38).

56.      In diesem Zusammenhang kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der deutsche Gesetzgeber es ja in der Hand hatte, die AVBGasV über deren in § 1 festgelegten Anwendungsbereich hinaus auch auf solche Vertragskunden auszudehnen, deren rechtliche Position denen von Tarifkunden entspricht. Dies hat er jedoch nicht getan, sondern durch die nationale Vorschrift des § 310 BGB allein die in den §§ 308 und 309 BGB normierten Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit für unanwendbar erklärt. Sieht der Gesetzgeber aber bewusst davon ab, eine bestimmte Rechtsvorschrift auf einen anderen Personenkreis auszudehnen, entfällt auch das von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 vorgegebene Tatbestandsmerkmal der „bindenden Rechtsvorschrift“.

57.      Somit führt auch die gebotene teleologische Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Richtlinie zu dem Ergebnis, dass nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 nur solche Regelungen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen sollten, die aufgrund gesetzlicher Bestimmungen – seien sie zwingender oder dispositiver Natur – für den abzuschließenden Vertrag gelten.

58.      Folglich schlage ich vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass als „bindende Rechtsvorschriften“ im Sinne der Vorschrift nur solche anzusehen sind, die sich von Gesetzes wegen auf den Personenkreis der Vertragsparteien und den von ihnen in Aussicht genommenen Vertragstyp beziehen, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese Rechtsvorschriften zwingend sind oder von den Parteien abbedungen werden können.

B –    Zur zweiten Vorlagefrage

59.      Mit seiner zweiten Vorlagefrage fragt das vorlegende Gericht nach den Anforderungen des Transparenzgebots in den Richtlinien 93/13 – dort Art. 5 – und 2003/55 – dort Art. 3 Abs. 3. Es möchte im Wesentlichen wissen, ob Vertragsklauseln über ein Preisänderungsrecht in Gaslieferungsverträgen, die keine Angaben zu den Voraussetzungen des Preisänderungsrechts enthalten, gleichwohl als hinreichend klar und verständlich angesehen werden können, wenn sichergestellt ist, dass der Anbieter seinen Kunden die Preiserhöhung rechtzeitig mitteilt und diesem das Recht zur gerichtlichen Überprüfung ebenso offensteht wie ein Kündigungsrecht. Das vorlegende Gericht zieht in Betracht, dass ein Verstoß gegen das in Art. 5 normierte Transparenzgebot der Richtlinie 93/13 bei unbefristeten Verträgen unter Berücksichtigung der Nrn. 1 Buchst. j und 2 Buchst. b des Anhangs zu Art. 3 der Richtlinie 93/13 unschädlich sein könnte. Insbesondere bei Gaslieferungsverträgen meint das vorlegende Gericht, eine solche rechtliche Konsequenz dem Anhang A Buchst. b und/oder c entnehmen zu können.

60.      Die zweite Vorlagefrage wirft Probleme zu mehreren Teilaspekten auf:

1.      Zum einen ist zu untersuchen, in welchem Verhältnis die Transparenzklausel in Art. 5 der Richtlinie 93/13 zu deren Art. 3 steht. Dies ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil es zu Art. 5 keinen dem von Art. 3 entsprechenden Anhang gibt, so dass sich die Frage der Anwendbarkeit von Nr. 1 Buchst. j und Nr. 2 Buchst. b Satz 2 des Anhangs zu Art. 3 im Rahmen des Anwendungsbereichs auch des Art. 5 der Richtlinie 93/13 stellt.

2.      Des Weiteren gilt es zu ermitteln, ob das Transparenzgebot gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 die gleiche Tragweite hat wie das Transparenzgebot gemäß Art. 5 der Richtlinie 93/13 und, wenn ja, welche Rechtsfolgen hieraus herzuleiten sind.

3.      Sodann ist es erforderlich, die Prüfungsbefugnis des Gerichtshofs im Hinblick auf einen etwaigen Verstoß gegen das Transparenzgebot in beiden Richtlinien zu klären, insbesondere, ob eine solche Prüfung den nationalen Gerichten vorbehalten ist und inwieweit der Gerichtshof gegebenenfalls zu Hinweisen befugt ist.

4.      Im Rahmen der festgestellten Prüfungsbefugnis des Gerichtshofs ist im Anschluss daran zu der streitgegenständlichen Preisänderungsklausel in concreto Stellung zu nehmen, insbesondere zu der Frage, ob ein etwaiger Verstoß gegen das in der Richtlinie 93/13 normierte Transparenzgebot dann nicht anzunehmen ist, wenn dem Kunden im Gegenzug Kündigungs‑ oder Rücktrittsrechte eingeräumt werden, wie sie in Art. 3 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit den Vorgaben im Anhang zu Nr. 1 Buchst. j und Nr. 2 Buchst. b Satz 2 normiert sind.

5.      Schließlich ist zu untersuchen, ob für das Transparenzgebot in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 in Verbindung mit den Buchst. b und c des Anhangs aufgrund der Besonderheiten von Gasversorgungsverträgen andere Rechtsgrundsätze zur Anwendung kommen müssen.

61.      Zu diesen Fragen werde ich in der vorstehenden Reihenfolge Stellung nehmen.

1.      Verhältnis der Transparenzklausel gemäß Art. 5 der Richtlinie 93/13 zur Missbräuchlichkeitsklausel des Art. 3 der Richtlinie 93/13

62.      Im Folgenden soll zunächst auf das Verhältnis der Transparenzklausel in Art. 5 der Richtlinie 93/13 zur Missbräuchlichkeitsklausel in Art. 3 dieser Richtlinie eingegangen werden. Hierzu lässt sich der Entstehungsgeschichte der Richtlinie 93/13 entnehmen, dass es sich bei dem Transparenzgebot um ein gesondert normiertes Kriterium der Missbräuchlichkeit gemäß Art. 3 handelt. Dieser Gesichtspunkt wurde erstmals im Rahmen der Anhörung des Wirtschafts‑ und Sozialausschusses zu dem Vorschlag der Kommission vom 3. September 1990 in die Diskussion eingeführt, indem angeregt wurde, als zusätzliches Missbrauchskriterium die Unverständlichkeit einer Vertragsklausel explizit zu benennen(39). Dem ist das Europäische Parlament in seiner Stellungnahme vom 20. November 1991 gefolgt(40), und schließlich hat auch der Rat bei der Festlegung des Gemeinsamen Standpunkts 1992 ausgeführt, die für die Inhaltskontrolle „Missbräuchlichkeit“ maßgebende Generalklausel(41) finde sich in Art. 3 Abs. 1 und werde ergänzt durch ein besonders herausgestelltes Transparenzgebot in Art. 5 Satz 1(42). Damit handelt es sich bei dem Transparenzgebot in Art. 5 der Richtlinie 93/13 um ein Gebot, dem so großes Gewicht beigemessen wurde, dass es neben der Generalklausel der Missbräuchlichkeit gesondert erwähnt wurde.

63.      Bei der Transparenzklausel in Art. 5 der Richtlinie 93/13 handelt es sich demzufolge um ein gesondert normiertes Kriterium der Missbräuchlichkeit gemäß Art. 3 der Richtlinie 93/13(43) mit der Folge, dass die Bestimmungen des Anhangs zu Art. 3 der Richtlinie 93/13 auch im Rahmen des Transparenzgebots von Bedeutung sind.

2.      Verhältnis der Transparenzklausel gemäß den Art. 5 und 3 der Richtlinie 93/13 zum Transparenzgebot gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55

64.      Bislang hatte der Gerichtshof keine Gelegenheit, sich zu dem in der Gasrichtlinie 2003/55 für alle Vertragsbedingungen normierten Transparenzgebot zu äußern. Jedoch werde ich im Folgenden anhand der Entstehungsgeschichte und Zielsetzung der Richtlinie 2003/55 aufzeigen, dass der Anwendungsbereich dieser Vorschrift dem Transparenzgebot in Art. 5 der Richtlinie 93/13 entspricht.

65.      Primäres Ziel der Richtlinie 2003/55 war es, einen Erdgasbinnenmarkt zu schaffen, was zum damaligen Zeitpunkt die Durchführung einer vollständigen Liberalisierung voraussetzte. Bereits zu Beginn dieses Vorhabens war dem Unionsgesetzgeber bewusst, dass die Öffnung schrittweise erfolgen musste, da die Ausgangssituation durch stark regulierte, streng nationale und häufig monopolistische Märkte gekennzeichnet war. Die Herausforderung bestand darin, aus ihnen einen einzigen vollständig freien europäischen Markt zu machen, auf dem alle Kunden Gas vom Anbieter ihrer Wahl kaufen konnten. Die Richtlinie 98/30(44) stellte einen ersten einleitenden Schritt in diese Richtung dar, auf den sodann die hier betroffene Richtlinie 2003/55 folgte, die in Art. 23 einen abgestuften Zeitplan bis hin zur Beseitigung der den Wettbewerb auf dem Erdgasmarkt erschwerenden Schranken vorsah(45). Zu diesem Zweck wurde es als unerlässlich angesehen, unterschiedliche Verfahrensregeln der verschiedenen Mitgliedstaaten und die hiermit einhergehenden Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen und zu diesem Zweck bestimmte Mindestvoraussetzungen für den Vertragsschluss und die Transparenz von Informationen zu erstellen(46).

66.      Insofern legt Art. 3 der Richtlinie 2003/55 wesentliche Voraussetzungen für die Verwirklichung des gemeinsamen Energiebinnenmarkts fest: Während Abs. 2 die Schaffung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen als eine von den Mitgliedstaaten im allgemeinen Interesse wahrgenommene Befugnis vorsieht, haben die Mitgliedstaaten nach Abs. 3 eine generelle Verpflichtung, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden zu ergreifen und einen hohen Verbraucherschutz zu gewährleisten(47). Abs. 3 enthält damit eine Verpflichtung zum Schutz der Kunden unter besonderer Berücksichtigung der Schutzbedürftigsten unter ihnen. Zumindest im Fall der Haushaltskunden schließen die erforderlichen Maßnahmen die im Anhang A der Richtlinie 2003/55 aufgeführten Maßnahmen ein, wobei dort unter Buchst. d Satz 2 für Haushaltskunden das Transparenzgebot nochmals gesondert hervorgehoben wird. Bereits in ihrem ersten Vorschlag vom 13. März 2001 hatte die Kommission darauf hingewiesen, dass bei der zu treffenden Regelung von herausragender Bedeutung sei, dass alle Bürger der Gemeinschaft ein universelles Recht auf eine Versorgung zu angemessenen Preisen hätten und ein Minimum an Verbraucherschutzstandards zu wahren sei; das Ziel war damit die Herbeiführung einer freien Wahl des Verbrauchers zu niedrigen Preisen(48). Hieran hat die Kommission unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Wirtschafts‑ und Sozialausschusses vom 17. Januar 2001 und des Gemeinsamen Standpunkts des Rates vom 3. Februar 2003 nicht nur festgehalten, sondern in ihrem Geänderten Vorschlag vom 7. Juni 2002 in Ergänzung hierzu Änderungen im Anhang hinzugefügt, die letztlich auch beschlossen wurden(49).

67.      Bereits dies zeigt, dass dem Verbraucherschutz bei der Schaffung eines gemeinsamen Energiebinnenmarkts ein hoher Stellenwert eingeräumt wurde, und das mit der Richtlinie verfolgte Ziel nicht nur in einer größeren Wettbewerbsfähigkeit der Union bestand, sondern auch in einer möglichst kostengünstigen Versorgung der einzelnen Verbraucher, deren Belangen so weit wie möglich Rechnung getragen werden sollte.

68.      Vergleicht man die Ausgangssituation bei Erlass der Richtlinie 93/13 mit derjenigen beim Erlass der Richtlinie 2003/55, werden die Parallelen evident: In beiden Fällen sollte schrittweise ein gemeinsamer Binnenmarkt geschaffen werden, und in beiden Fällen wurde es zu diesem Zweck für unerlässlich gehalten, den insoweit entstehenden Wettbewerb nicht dadurch zu behindern, dass ein Verbraucher sich durch für ihn nicht verständliche oder missbräuchliche Vertragsklauseln an einem Vertragsabschluss mit einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen gehindert sieht. Daher ist der Transparenzklausel in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 insbesondere in Verbindung mit Anhang A Buchst. d Satz 2 dieser Richtlinie die gleiche Wirkung und die gleichen Rechtsfolgen beizumessen wie dem Transparenzgebot der Richtlinie 93/13. Für diese Auslegung spricht insbesondere, dass nach dem Wortlaut des Anhangs A die Rechte des Verbrauchers u. a. aus der Richtlinie 93/13 nicht angetastet werden sollten („Unbeschadet der Verbraucherschutzvorschriften ...“).

69.      Somit stellt sich die für allgemeine Vertragsbedingungen normierte Transparenzklausel des Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 als ein für den Bereich des Energiebinnenmarkts besonders normierter Fall des durch die Richtlinie 93/13 bereits gewährleisteten Transparenzgebots dar(50).

3.      Umfang der Prüfung durch den Gerichtshof und die nationalen Gerichte

70.      Bezüglich der zentralen Frage der Einordnung der streitgegenständlichen Klausel selbst als missbräuchlich ist zunächst festzustellen, dass Art. 3 der Richtlinie 93/13 mit der Bezugnahme auf die Begriffe von Treu und Glauben und des erheblichen und ungerechtfertigten Missverhältnisses zwischen den Rechten und Pflichten der Vertragspartner nur abstrakt die Faktoren definiert, die einer nicht im Einzelnen ausgehandelten Vertragsklausel missbräuchlichen Charakter verleihen(51). In diesem Kontext enthält der Anhang, auf den Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie verweist, lediglich eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste von Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können. Eine in der Liste aufgeführte Klausel ist somit nicht zwangsläufig als missbräuchlich anzusehen, und umgekehrt kann eine nicht darin aufgeführte Klausel gleichwohl für missbräuchlich erklärt werden. Daher kann aus dem bloßen Umstand, dass eine Klausel in der Liste aufgeführt wird, nicht zwingend abgeleitet werden, dass sie auch missbräuchlich ist, und es bedarf stets einer selbständigen und detaillierten Beurteilung der betreffenden Vertragsklausel anhand der Vorgaben des Art. 4 der Richtlinie 93/13(52).

71.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob eine Vertragsklausel die Kriterien erfüllt, um als missbräuchlich im Sinne der Richtlinie 93/13 qualifiziert zu werden. Ist dies der Fall, hat das nationale Gericht die Klausel gegebenenfalls von Amts wegen nach Maßgabe der Anforderungen der Richtlinie an den Verbraucherschutz zu beurteilen(53). Für die Zwecke des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens bedeutet dies – worauf alle Verfahrensbeteiligten in ihren schriftlichen Erklärungen übereinstimmend hingewiesen haben –, dass dem nationalen Richter und nicht dem Gerichtshof die Beurteilung des missbräuchlichen Charakters der streitgegenständlichen Klausel obliegt.

72.      Infolgedessen muss sich der Gerichtshof in seiner Antwort darauf beschränken, dem vorlegenden Gericht Hinweise an die Hand zu geben, die dieses bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit der betreffenden Klausel zu beachten hat(54).

73.      Diese Ausführungen zur eingeschränkten Prüfungsbefugnis des Gerichtshofs gelten gleichermaßen für das in Art. 5 der Richtlinie 93/13 gesondert normierte Transparenzgebot, wie dies der Gerichtshof nunmehr ausdrücklich klargestellt hat(55).

74.      Wie vorstehend unter VI. B. 2 ausgeführt(56), gelten diese Grundsätze gleichermaßen für das Transparenzgebot der Richtlinie 2003/55 und insbesondere für die im Anhang A aufgeführten Fälle, wie dies die dortige Bezugnahme auf die Richtlinie 93/13 zeigt.

75.      Festzuhalten ist damit, dass die Beurteilung der Frage, ob eine Verletzung des in den Richtlinien 93/13 und 2003/55 jeweils normierten Transparenzgebots als missbräuchlich zu werten ist, den nationalen Gerichten obliegt, der Gerichtshof jedoch Hinweise geben kann.

4.      Überprüfung der streitgegenständlichen Preisanpassungsklausel unter Berücksichtigung der Transparenzklausel in Art. 5 der Richtlinie 93/13 unter besonderer Berücksichtigung des Anhangs zu Art. 3 der Richtlinie 93/13, Nrn. 1 Buchst. j und 2 Buchst. b

76.      Es ist daher zu prüfen, ob die von der Beklagten verwendete Preisanpassungsklausel den Anforderungen der Richtlinie 93/13, insbesondere dem dort normierten Transparenzgebot, zu genügen vermag.

a)      Grundsätzliche Anforderungen an eine wirksame Preisanpassungsklausel

77.      Gemäß dem Transparenzgebot in Art. 5 der Richtlinie 93/13 müssen schriftlich formulierte Klauseln stets klar und verständlich sein, und bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel gilt die für den Verbraucher günstigste Auslegung. Durch dieses Gebot sollen gemäß der vorstehend geschilderten Zielsetzung der Richtlinie 93/13 sowohl die Interessen des Verbrauchers angemessen gewahrt als auch der freie Binnenmarkt gefördert werden(57). Unstreitig enthalten die streitgegenständlichen Gaslieferungsverträge in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu den Voraussetzungen sowie Art und Umfang einer Preiserhöhung keinerlei Bestimmungen, sondern lediglich einen Verweis auf § 4 AVBGasV. Indessen enthält auch § 4 AVBGasV insoweit keine näheren Ausführungen, sondern nimmt lediglich hinsichtlich der geltenden Preise für den Bezug von Gas auf allgemeine Tarife und Bedingungen Bezug, die erst nach öffentlicher Bekanntmachung wirksam werden.

78.      Eine derart vage Bestimmung ist für den Verbraucher im Regelfall bereits deshalb nicht transparent, weil sie sich ihrem Wortlaut nach lediglich zu geltenden Preisen verhält, nicht aber zu etwaigen Preiserhöhungen. Ob an einem möglichen Verstoß gegen das Transparenzgebot die Tatsache etwas zu ändern vermag, dass die nationale Rechtsprechung einer solchen Bestimmung ein Preiserhöhungsrecht der Gasversorgungsunternehmen entnimmt, wie dies der Bundesgerichtshof in seinem Vorlagebeschluss darlegt, erscheint jedenfalls zweifelhaft, zumal sich diese Bestimmung nach dem Anwendungsbereich der AVBGasV nur auf Tarifkunden bezieht und überdies für den Verbraucher nicht erkennbar sein dürfte, wann und unter welchen Voraussetzungen eine Preiserhöhung zulässig ist. Vor diesem Hintergrund dürfte es einem Verbraucher nicht möglich sein, die Berechtigung einer Preiserhöhung nachzuprüfen, zumal für einen Verbraucher, der über die Rechtsprechung gerade in solchen Rechtsgebieten oft nicht informiert ist, nicht erkennbar sein dürfte, welche Anforderungen an ein wirksames Preiserhöhungsverlangen des Gasversorgers zu stellen sind.

79.      Daher bestehen Bedenken, ob die streitgegenständliche Preisanpassungsklausel den Anforderungen des Transparenzgebots gemäß Art. 5 der Richtlinie 93/13 genügt.

b)      Einschränkungen des Transparenzgebots durch Schutzmechanismen zugunsten des Verbrauchers

80.      Die Ausführungen des vorlegenden Gerichts hierzu deuten darauf hin, dass auch dort nicht ohne Weiteres davon ausgegangen wird, dass eine solche Klausel wie die im Ausgangsstreitfall verwendete für sich genommen hinreichend transparent ist. Indessen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Intransparenz einer Preisanpassungsklausel durch Schutzmechanismen zugunsten des Verbrauchers kompensiert werden kann, nämlich dadurch, dass eine Preiserhöhung rechtzeitig angekündigt werden muss und dem Verbraucher das Recht zur gerichtlichen Überprüfung der Preiserhöhung ebenso offensteht wie die Möglichkeit der Kündigung des Vertrags.

i)      Kündigungsmöglichkeit

81.      Das vorlegende Gericht zieht aufgrund von Art. 3 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit den Nrn. 1 Buchst. j und 2 Buchst. b des Anhangs in Betracht, dass ein Verstoß gegen das Transparenzgebot durch eine Kündigungsmöglichkeit des Verbrauchers kompensiert werden könnte.

82.      Nr. 1 Buchst. j des Anhangs zu Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 93/13 nennt als einen Faktor, der einer nicht ausgehandelten Vertragsklausel missbräuchlichen Charakter verleihen kann, den Umstand, dass ein Gewerbetreibender Vertragsklauseln einseitig und ohne triftigen und im Vertrag aufgeführten Grund ändern kann, ohne dass dort auf die Möglichkeit einer Kündigung Bezug genommen wird. Da Gründe für eine Preisänderung seitens des Energieversorgers in § 4 AVBGasV nicht genannt sind, lässt sich aus dieser Vorschrift eine Kompensationsmöglichkeit nicht herleiten.

83.      Anders ist dies dagegen bei Nr. 2 Buchst. b Satz 2 des Anhangs zu Art. 3 der Richtlinie 93/13, der die Vorgaben der Nr. 1 Buchst. j insoweit einschränkt, als bei unbefristeten Verträgen ein Änderungsrecht seitens des Gewerbetreibenden dann nicht missbilligt wird, wenn es ihm obliegt, den Verbraucher hiervon rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, und es dem Verbraucher freisteht, den Vertrag zu kündigen.

84.      Unlängst hat der Gerichtshof im Urteil Invitel jedoch klargestellt, dass eine Vertragsklausel, die eine Änderung der Gesamtkosten des Vertrags vorsieht, den Anforderungen der Nrn. 1 Buchst. j und 2 Buchst. b im Regelfall nur dann entspricht, wenn nicht nur ein Recht des Verbrauchers zur Beendigung des Vertrags besteht, sondern insbesondere auch der Grund oder Modus zur Änderung dieser Kosten angegeben wird(58). Diese Prämisse gilt nach der ausdrücklichen Vorgabe des Gerichtshofs ausnahmslos, also auch für unbefristete Verträge im Sinne der Nr. 2 Buchst. b Satz 2 des Anhangs zu Art. 3 der Richtlinie 93/13. Aus diesem Grund kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein etwaiger Verstoß gegen das Transparenzgebot durch die Möglichkeit der Kündigung geheilt werden kann. Durch diese Vorschrift hat der Richtliniengeber lediglich dem schützenswerten Interesse des Gewerbetreibenden Rechnung getragen, dem es, gerade bei auch Dauerschuldverhältnissen, nicht zugemutet werden kann, auf unabsehbare Zeit an einmal vereinbarten Vertragsbedingungen festzuhalten. Dem ebenso schützenswerten Interesse des Verbrauchers vor diesen Änderungen wird durch die Verpflichtung des Gewerbetreibenden zur rechtzeitigen Bekanntgabe sowie durch die Kündigungsmöglichkeit des Verbrauchers genügt. Insbesondere auch durch die Pflicht zur rechtzeitigen Bekanntgabe seitens des Gewerbetreibenden wird dem Verbraucher eine angemessene Überlegungsfrist eingeräumt, binnen deren er – auch durch Vergleich weiterer Angebote – entscheiden kann, ob er entweder den bestehenden Vertrag zu den geänderten Konditionen fortführen oder aber einen anderen Vertragspartner wählen möchte.

85.      Gemäß diesem Sinn und Zweck der Ausnahme in Nr. 2 Buchst. b Satz 2 des Anhangs ist zudem zu verlangen, dass dem Verbraucher nicht nur formal ein Kündigungsrecht zusteht, sondern auch, dass dieses – nach einer angemessenen Überlegungsfrist – faktisch wirksam ausgeübt werden kann. Denn gemäß der vorstehend geschilderten Interessenabwägung kann die Möglichkeit einer einseitigen Preiserhöhung seitens des Klauselverwenders nur durch einen angemessenen Schutz des Verbrauchers mittels der Möglichkeit, den Vertrag angesichts dieser veränderten Umstände nicht fortzuführen, gerechtfertigt werden. Den Ausführungen des vorlegenden Gerichts lässt sich jedoch entnehmen, dass es an einer solchen faktisch bestehenden Kündigungsmöglichkeit gefehlt hat, ebenso an der Verpflichtung des Gewerbetreibenden, die Preiserhöhung so rechtzeitig bekannt zu geben, dass der Verbraucher mögliche Alternativen erwägen konnte. Vielmehr war die Liberalisierung des Gasmarkts noch nicht hinreichend weit fortgeschritten, so dass ein anderes Gasunternehmen, das den Endverbraucher anstelle der Beklagten hätte beliefern können, nicht zur Verfügung stand. Auch wurden Preiserhöhungen nach den Vorgaben der AVBGasV mit ihrer Bekanntgabe sofort wirksam, so dass es nicht nur an der in der Richtlinie vorgesehenen Überlegungszeit des Verbrauchers fehlte, sondern auch an einer Möglichkeit, sich so rechtzeitig von dem Vertrag zu lösen, dass die Preiserhöhungen nicht, auch nicht für einen kurzen Zeitraum bis zur etwaigen Kündigung, weitergegeben werden konnten.

86.      Aus dem Umstand, dass bei unbefristeten Verträgen ein Vertragsänderungsrecht des Gewerbetreibenden auch ohne triftigen Grund besteht, lässt sich daher meines Erachtens auch nicht der Schluss ziehen, dass es unschädlich ist, wenn eine Vertragsänderung – wie eine Preiserhöhung – auf eine Klausel gestützt wird, die gegen das Transparenzgebot verstößt. Vielmehr handelt es sich hierbei um zwei voneinander zu unterscheidende Fallkonstellationen: Das Vertragsänderungsrecht bei unbefristeten Verträgen – insbesondere auch das Recht, einmal vereinbarte Preise zu erhöhen – setzt einen bereits bestehenden Vertrag voraus und soll lediglich veränderten Umständen angepasst werden, die durch den Zeitablauf eingetreten sind. Demgegenüber betrifft das Transparenzgebot insbesondere auch die Wahlfreiheit des Verbrauchers, dem gemäß den vorstehenden Ausführungen die Inanspruchnahme von Dienstleistungen und der Kauf von Waren auch in anderen Mitgliedstaaten durch die Schaffung entsprechender Schutzvorschriften gegen Missbrauch ermöglicht werden sollte, um so schrittweise einen gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen. Betroffen ist damit durch das Transparenzgebot insbesondere der Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Denn regelmäßig wird der Verbraucher gerade Vertragsänderungsklauseln einer genauen Prüfung unterziehen, um sich auf diese Weise der Qualität der unterschiedlichen Angebote zu vergewissern. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Sondervorschrift für unbefristete Verträge im Anhang der Richtlinie 93/13 zu Nr. 2 Buchst. b Satz 2: Wenn bei Erlass der fraglichen Richtlinie nur im Fall unbefristeter Verträge und nur bei Beachtung der dort angegebenen weiteren Voraussetzungen eine Vertragsänderung für zulässig gehalten wurde, ergibt sich hieraus im Umkehrschluss, dass ein solches Vorgehen bei anderen Vertragstypen nicht zulässig ist. Dem entsprechen auch die Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil Invitel, mit denen er ausdrücklich klarstellt, dass der Verbraucher in der Lage sein muss, die im Zusammenhang mit der Dienstleistung entstehenden Kosten vorherzusehen(59).

87.      Festzuhalten ist damit, dass eine intransparente Klausel auch dann dem Katalog des Anhangs zu Art. 3 Abs. 3 unterfällt, wenn ein Kündigungsrecht des Verbrauchers besteht.

ii)    Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung

88.      Ebenso wenig kann ein Verstoß gegen das Transparenzgebot, insbesondere gegen eine intransparente Preisanpassungsklausel, dadurch kompensiert werden, dass dem Verbraucher nach der nationalen Rechtsordnung die Möglichkeit offensteht, die Preiserhöhung gerichtlich überprüfen zu lassen. Dies würde der Wertung in Art. 5 der Richtlinie 93/13 widersprechen, wonach Unklarheiten von Klauseln zulasten des Verwenders gehen. In diesem Fall würde vielmehr dem Verbraucher das Risiko einer für ihn nicht abschätzbaren Prozessführung ebenso aufgebürdet wie das hiermit einhergehende Kostenrisiko. Ein wirksamer Schutz des Verbrauchers kann jedoch nur dadurch gewährleistet werden, dass es ihm ermöglicht wird, die Berechtigung einer Preiserhöhung anhand der vertraglichen Vorgaben selbst zu überprüfen.

iii) Abschließende Wertung

89.      Durch die vorstehende Auslegung wird der Gewerbetreibende insbesondere nicht rechtlos gestellt. Ihm bleibt vielmehr im Fall eines unbefristeten Vertrags die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung, um sich solcherart vom Vertrag zu lösen. Zutreffend ist zwar, dass er gegebenenfalls für den Zeitraum der Kündigungsfristen und der Fortdauer des Vertrags die für ihn – etwa infolge einer Kostensteigerung bei seinen Lieferanten – eintretenden Preiserhöhungen selbst finanzieren muss. Das ist jedoch ein Risiko, das er aufgrund der Vorgaben der Richtlinie 93/13 selbst zu tragen hat. Dies erscheint insbesondere deshalb nicht unbillig, weil er diese Konsequenz durch die Verwendung intransparenter Allgemeiner Geschäftsbedingungen selbst verursacht hat.

90.      Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Erwägung in der Vorlageentscheidung, die AVBGasV sei schon damals bei Erlass der Richtlinie bekannt gewesen, weshalb davon auszugehen sei, dass diese unbeanstandet habe bleiben sollen(60). Es darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie 93/13 nur wenige Mitgliedstaaten, wie etwa Deutschland, die Niederlande und Portugal, bereits über detaillierte gesetzliche Regelungen zu missbräuchlichen Klauseln verfügten, andere hingegen, wie Irland, Italien oder Belgien z. B., keine oder nur beschränkte derartige Regelungen hatten und dass es daher offensichtlich war, dass in der nationalen Gesetzgebung der Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie 93/13 zum Teil umfangreiche Änderungen erforderlich waren(61).

91.      Als Zwischenergebnis ist folglich festzuhalten, dass ein Verstoß gegen das in Art. 5 der Richtlinie 93/13 normierte Transparenzgebot nicht dadurch entfällt, dass dem Kunden eine aufgrund einer intransparenten Klausel erfolgte Preiserhöhung rechtzeitig mitgeteilt wird oder ihm die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung dieser Erhöhung und/oder ein Kündigungsrecht eingeräumt wird, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um unbefristete Verträge handelt.

5.      Überprüfung der streitgegenständlichen Preisanpassungsklausel unter Berücksichtigung der Transparenzklausel in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 unter besonderer Berücksichtigung des Anhangs A

92.      Die vorstehenden Ausführungen gelten gleichermaßen, soweit das Transparenzgebot gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 betroffen ist.

93.      Hier wird durch die Formulierung im Anhang A Buchst. a, letzter Absatz, deutlich darauf hingewiesen, dass die Vertragsbedingungen nicht nur gerecht, sondern auch im Voraus bekannt sein müssen. Dadurch wird – ebenso wie im Fall der Richtlinie 93/13 – der Tatsache Rechnung getragen, dass ein liberaler und dem Wettbewerb zugänglicher Erdgasbinnenmarkt einen sachgerechten Vergleich der Vertragsangebote bereits im Vorfeld des Vertragsschlusses voraussetzt, wie sich dies ebenso aus den für Haushaltskunden geltenden Vorgaben des Buchst. d ergibt. Insbesondere müssen gemäß den Vorgaben unter Buchst. c des Anhangs auch bereits zu diesem Zeitpunkt transparente Informationen über geltende Preise und Tarife vorliegen.

94.      Durch Buchst. b des Anhangs A wird demgegenüber auch der in der Richtlinie 93/13 durch den Anhang zu Art. 3 Nr. 2 Buchst. b erfasste Fall der unbefristeten Verträge erfasst, um die es sich bei Gaslieferungsverträgen regelmäßig handeln wird. Es erscheint angesichts dieser Differenzierung des Richtliniengebers noch weniger statthaft als im Rahmen des Anwendungsbereichs der Richtlinie 93/13, Verstöße gegen das Transparenzgebot insbesondere im Rahmen des Preisänderungsrechts durch eine Kündigungsmöglichkeit des Kunden bzw. die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfbarkeit zu kompensieren. Insoweit nehme ich zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf meine entsprechenden Ausführungen zur Tragweite des Transparenzgebots der Richtlinie 93/13 Bezug(62).

95.      Insbesondere aber ist gerade im Rahmen des Anwendungsbereichs des Anhangs A Buchst. b das Bestehen einer faktischen Kündigungsmöglichkeit mit der gleichzeitigen Möglichkeit, Gas von einem anderen, im Zweifelsfall günstigeren Anbieter zu beziehen, vorauszusetzen. In diesem Zusammenhang ist besonderes Augenmerk auf Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 zu richten, der den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, Maßnahmen zu treffen, um den Ausschluss von Kunden von der Gasversorgung zu vermeiden. Eben ein solcher Versorgungsausschluss würde jedoch eintreten, wenn man Kunden im Fall einer Preiserhöhung auf eine tatsächlich nicht bestehende Kündigungsmöglichkeit bzw. einen tatsächlich nicht möglichen Anbieterwechsel verweisen würde. Im Gegenteil hätte es ein Versorgungsunternehmen in diesem Fall in der Hand, Preiserhöhungen durchzusetzen, deren Berechtigung der Kunde nicht überprüfen kann, denen er jedoch aufgrund der fehlenden Möglichkeit anderweitigen Gasbezugs nichts entgegenzusetzen vermag.

96.      Nach alledem ergibt sich, dass auch ein Verstoß gegen das in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 normierte Transparenzgebot nicht dadurch kompensiert oder geheilt wird, dass dem Kunden eine aufgrund einer intransparenten Klausel erfolgte Preiserhöhung rechtzeitig mitgeteilt wird oder ihm die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung dieser Erhöhung und/oder ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht eingeräumt wird.

6.      Zusammenfassung

97.      Demgemäß schlage ich vor, auf die zweite Vorlagefrage dahin gehend zu antworten, dass Verstöße gegen das in Art. 5 der Richtlinie 93/13 und Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A der Richtlinie 2003/55 normierte Transparenzgebot weder durch eine rechtzeitige Mitteilung seitens des Gewerbetreibenden noch durch eine Kündigungsmöglichkeit des Verbrauchers oder die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung kompensiert werden können.

C –    Zur Möglichkeit einer zeitlichen Beschränkung der Wirkungen des Urteils

98.      Abschließend soll auf die Anregung der Beklagten und der deutschen Regierung eingegangen werden, die Wirkungen des Urteils zu beschränken, nach der Anregung der Beklagten auf einen Zeitraum von 20 Monaten nach Urteilserlass, nach der der deutschen Regierung auf nach Erlass des Urteils begründete Vertragsverhältnisse.

99.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in dem am 6. März 2007 ergangenen Urteil Meilicke u. a. seine ständige Rechtsprechung bestätigt hat, wonach seine Vorabentscheidungsurteile bis zum Inkrafttreten der auszulegenden Gemeinschaftsrechtsnorm zurückwirken, da durch die Auslegung seitens des Gerichtshofs klargestellt wird, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite eine Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten anzuwenden ist oder anzuwenden gewesen wäre. Ferner hat der Gerichtshof in diesem Urteil nochmals darauf hingewiesen, dass Beschränkungen dieser zeitlichen Wirkung nur ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Rechtssicherheit zulässig sein können, wenn in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse andernfalls in Frage gestellt würden(63).

100. Unter welchen Voraussetzungen eine solche Annahme gerechtfertigt sein könnte, ergibt sich aus der früheren Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach eine solche Beschränkung nur dann zulässig ist, wenn zwei grundlegende Kriterien erfüllt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die andernfalls bestehende Gefahr schwerwiegender Störungen für den Staat(64). Beide Voraussetzungen sind hier jedoch meines Erachtens nicht erfüllt. Es darf in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, dass es sich bei der Beklagten um ein privatwirtschaftliches Unternehmen handelt, mögen auch erhebliche Anteile an dem Unternehmen von der öffentlichen Hand gehalten werden. Daher kann schon nicht von schwerwiegenden Störungen in dem oben bezeichneten Sinne ausgegangen werden. Dies gilt umso mehr, als die AVBGasV zwischenzeitlich durch andere gesetzliche Regelungen abgelöst wurde, so dass auch deshalb kein Bedürfnis für eine zeitliche Beschränkung der Wirkungen des Urteils zu erkennen ist; vielmehr würde dieses dadurch tatsächlich gänzlich wirkungslos werden. Zudem ist aber auch nicht ersichtlich, inwieweit beide Vertragsparteien in gutem Glauben auf die Berechtigung einer Preiserhöhung ihr Vertragsverhältnis gestaltet haben sollten. Es mag sein, dass die Beklagte darauf vertraut hat, Preiserhöhungen auch ohne spezifische vertragliche Vereinbarungen durchsetzen zu können. Angesichts der oben näher dargestellten Vorgabe des Art. 5 der Richtlinie 93/13, bei Unklarheiten im Zweifel die für den Verbraucher günstigste Auslegung zu wählen(65), dürfte dieses Vertrauen jedoch nicht schützenswert sein.

101. Eine Beschränkung der Urteilswirkungen kommt danach nicht in Betracht.

VII – Ergebnis

102. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Bundesgerichtshof gestellten Vorlagefragen wie folgt zu antworten:

1.         Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass als „bindende Rechtsvorschriften“ im Sinne dieser Norm nur solche anzusehen sind, die sich von Gesetzes wegen auf den Personenkreis der Vertragsparteien und den von ihnen in Aussicht genommenen Vertragstyp beziehen, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese Rechtsvorschriften zwingend sind oder von den Parteien abbedungen werden können.

2.         Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot in den Art. 3 und 5 der Richtlinie 93/13 in Verbindung mit Nr. 1 Buchst. j und Nr. 2 Buchst. b Satz 2 des Anhangs zu Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie sowie Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Anhang A Buchst. b und/oder c der Richtlinie 2003/55/EWG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG ist auch dann anzunehmen, wenn sichergestellt ist, dass ein Gasversorgungsunternehmen seinen Kunden jede Preiserhöhung mit angemessener Frist im Voraus mitteilt und den Kunden das Recht zusteht, sich durch Kündigung vom Vertrag zu lösen, wenn sie die ihnen mitgeteilten geänderten Bedingungen nicht akzeptieren wollen.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – BGBl. I 1979 S. 676. Die AVBGasV galt bis zum 7. November 2006. Sie wurde abgelöst durch die Verordnung vom 26. Oktober 2006 über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz (Gasgrundversorgungsverordnung – GasGVV, BGBl. I S. 2391, 2396).


3 – ABl. L 95, S. 29.


4 – ABl. L 176, S. 57.


5 – Die im Zeitraum der streitigen Preiserhöhungen von 1. Juli 2004 bis 1. Oktober 2005 geltende Richtlinie 2003/55 wurde zum 3. März 2011 durch die Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55 (ABl. L 211, S. 94) aufgehoben, die den Art. 2 und 3 Abs. 3 sowie dem Anhang A der Richtlinie 2003/55 entsprechende Vorschriften enthält. Demgegenüber enthält die im Zeitraum der streitigen Preiserhöhungen vom 1. Januar 2003 bis 30. Juni 2003 noch geltende Richtlinie 98/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt (ABl. L 204, S. 1) noch keine vergleichbaren Regelungen.


6 – Vgl. Fn. 2.


7 – Vgl. Randnr. 14 der Vorlageentscheidung.


8 – So das unstreitige Parteivorbringen, vgl. hierzu u. a. die Klageschrift vom 7. September 2006, S. 61.


9 – So die Beklagte selbst in ihrer Klageerwiderung vom 22. Dezember 2006.


10 – Gemeinsamer Leitfaden des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission für Personen, die in den Gemeinschaftsorganen an der Abfassung von Rechtstexten mitwirken, Ziff. 10.


11 – Köndgen, J., in Riesenhuber, K. (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2. Aufl., § 7, Randnrn. 39, 42.


12 – Vgl. meine Schlussanträge vom 17. Januar 2012 in der Rechtssache DR und TV2 Danmark (C‑510/10, Urteil vom 5. Juli 2012, Nrn. 41 und 49).


13 – Für eine Übersicht der Entstehungsgeschichte der Richtlinie 93/13 vgl. Nebbia, P., Unfair Contract Terms in European Law – A Study in Comparative and EC Law, Oxford 2007, S. 7.


      Die Entwicklung des Europäischen Vertragsrechts geht inzwischen ungehindert weiter. In diesem Zusammenhang ist der von der Kommission am 11. Oktober 2011 unterbreitete Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (KOM[2011] 635 endg.) zu erwähnen. Dieser Vorschlag sieht vor, das europäische Vertragsrecht als Option auf grenzüberschreitende Kaufverträge einzuführen, wenn die Parteien dies ausdrücklich beschließen. Kapitel 8 (Art. 79 bis 86 – „Unfaire Vertragsbestimmungen“) des Dokuments enthält Bestimmungen über missbräuchliche Klauseln in Verträgen sowohl zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (B2C), die weitgehend denen der Richtlinie 93/13 entsprechen, als auch zwischen Unternehmern (B2B). Vgl. zu den verschiedenen Optionen für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts, einschließlich der von der Kommission bevorzugten Methode des fakultativen Rechtsinstruments, im Einzelnen von Bar, C., „Eine neue Vertragsrechtsordnung für Europa“, Deutschland und Polen in der europäischen Rechtsgemeinschaft (hrsg. von Christian von Bar/Arkadiusz Wudarski), München 2012, S. 3.


14 – KOM(1990) 322 endg.


15 – Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 24. April 1991, ABl. C 159, S. 34 (im Folgenden: Stellungnahme 1991), Ziff. 2.6 und 2.7.


16 – Legislative Entschließung (Verfahren der Zusammenarbeit: Erste Lesung) mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 20. November 1991, ABl. C 326, S. 108 (im Folgenden: Legislative Entschließung 1991), Änderung Nr. 9, S. 111.


17 – Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, KOM(1992) 66 endg., gemäß Art. 149 Abs. 3 des EWG-Vertrags von der Kommission vorgelegt am 5. März 1992, ABl. C 73, S. 7.


18 – Gemeinsamer Standpunkt des Rates vom 22. September 1992 im Hinblick auf die Annahme der Richtlinie des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, Dok. 8406/1/92, Bekanntmachung in ABl. C 283, S. 1 (im Folgenden: Gemeinsamer Standpunkt 1992), Nr. 2, im Volltext abgedruckt in ZIP 1992, S. 1591 ff.


19 – In diesem Sinne ebenso Pfeiffer, T., in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band IV, Kommentierung zu A 5, Art. 1, Randnr. 25, Eckert, H.‑W., Die EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen und ihre Auswirkungen auf das deutsche Recht, WM 1993, S. 1070, 1072, Kapnopoulou, E., Das Recht der missbräuchlichen Klauseln in der Europäischen Union, Tübingen 1997, S. 97, Remien, O., AGB-Gesetz und Richtline über missbräuchliche Verbrauchervertragsklauseln in ihrem europäischen Umfeld, ZEuP 1994, S. 34, 45, und Tenreiro, M., The Community Directive on Unfair Terms and National Legal Systems, ERPL 1995, S. 273.


20 – Vgl. Wolf, M., in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band IV, Kommentierung zu A 1, Randnrn. 1, 2. Vgl. zu den Vor‑ und Nachteilen des Mindestharmonisierungsansatzes Nebbia, P., a. a. O. (Fn. 13); Wendehorst, C., „Auf dem Weg zu einem zeitgemäßen Verbraucherprivatrecht: Umsetzungskonzepte“, in Jud, B./Wendehorst, C. (Hrsg.), Neuordnung des Verbraucherprivatrechts in Europa?, S. 165, weist darauf hin, dass die Mehrzahl der verbraucherprivatrechtlichen Richtlinien in der Vergangenheit das Prinzip der Mindestharmonisierung verfolgten, also eine im Ansatz eindimensionale Schutzrichtung zugunsten des Verbrauchers, die nur über diesen Umweg der Förderung des Binnenmarkts diene.


21 – KOM(1990) 322 endg., Einl. S. 2, S. 68, 69.


22 – Vgl. insoweit Stellungnahme 1991, oben in Fn. 15 angeführt, Ziff. 2.1.2; vgl. im Einzelnen auch Pfeiffer, T., in Grabitz/Hilf, a. a. O. (Fn. 19), A 5, Art. 1, Randnr. 6.


23 – So bereits die Europäische Kommission in ihrem ersten Diskussionspapier vom 14. Februar 1984, KOM(1984) 55 endg., sowie unter Bezugnahme hierauf in ihrem Bericht über die Anwendung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, KOM(2000) 248 endg., Kapitel III – Detaillierte Analyse und offene Fragen, 1.b.


24 – Pfeiffer, T., in Grabitz/Hilf, a. a. O. (Fn. 19), A 5, Art. 1, Randnr. 30, spricht insoweit von einer „Angemessenheitsvermutung“.


25 – KOM(2000) 248 endg., oben in Fn. 23 angeführt, Kapitel III, 1.b, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den 13. Erwägungsgrund.


26 – So ausdrücklich auch Urteil vom 1. April 2004, Freiburger Kommunalbauten (C‑237/02, Slg. 2004, I‑3043, Randnr. 21).


27 – C‑453/10, Schlussanträge vom 29. November 2011, Urteil vom 15. März 2012, Nr. 69.


28 – So auch Kapnopoulou, E., a. a. O. (Fn. 19), S. 97.


29 – So auch KOM(2000) 248 endg., oben in Fn. 23 angeführt, Kapitel III, Einl.; in diesem Sinne ebenso Remy-Corlay, P., „L’influence du droit communautaire sur l’office du juge“, Revue trimestrielle de droit civil, 2009, S. 684, Lagarde, X., „Qu’est-ce qu’une clause abusive?“, La Semaine Juridique Édition Générale, Nr. 6, 2006, S. 110 ff.


30 – Vgl. Urteile vom 27. Juni 2000, Océano Grupo Editorial und Salvat Editores (C‑240/98 bis C‑244/98, Slg. 2000, I‑4941, Randnr. 25), vom 26. Oktober 2006, Mostaza Claro (C‑168/05, Slg. 2006, I‑10421, Randnr. 25), und vom 6. Oktober 2009, Asturcom Telecomunicaciones (C‑40/08, Slg. 2009, I‑9579, Randnr. 29).


31 – In diese Richtung scheint auch die Argumentation von Lagarde, X., a. a. O. (Fn. 29), S. 110 ff., dort B, zu gehen, wenn er darlegt, dass sich eine Klausel, deren Inhalt vom Gesetzgeber autorisiert sei, der Missbrauchskontrolle entziehe.


32 – Vgl. zu dieser Möglichkeit auch Kapnopoulou, E., a. a. O. (Fn. 19), S. 97, Pfeiffer, T., in Grabitz/Hilf, a. a. O. (Fn. 19), A 5, Art. 1, Randnr. 26, de Nova, G., „Italian Contract Law and the European Directive on Unfair Terms in Consumer Contracts“, ERPL, 1995, S. 221, 223.


33 – Urteil vom 21. November 2002, Cofidis (C‑473/00, Slg. 2002, I‑10875, Randnr. 22).


34 – Schriftsatz der Kommission vom 4. August 2011, Randnr. 45; Wolf, M., in Grabitz/Hilf, a. a. O. (Fn. 20), A 1, Randnr. 2.


35 –      Vgl. Randnr. 47, ebenso Vigneron-Maggio-Aprile, S., L’information des consommateurs en droit européen et en droit suisse de la consommation, Zürich 2006, S. 11, 15.


36 – So auch die Europäische Kommission, KOM(2000) 248 endg., oben in Fn. 23 angeführt, Kapitel III, 1. b, unter Verweis auf ihre anlässlich der Verabschiedung des Gemeinsamen Standpunkts 1992 mit dem Rat abgegebene Stellungnahme.


37 – So auch Tilman, I., Die Klauselrichtlinie 93/13/EWG auf der Schnittstelle zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht, München 2003, S. 14.


38 – Vgl. Randnr. 21 der Vorlageentscheidung sowie Randnrn. 23 f. der schriftlichen Erklärung der Beklagten vom 4. August 2011.


39 – Stellungnahme 1991, oben in Fn. 15 angeführt, Nr. 2.5.3.


40 – Legislative Entschließung 1991, oben in Fn. 16 angeführt, Änderungen Nrn. 35 und 45.


41 – Zur Bedeutung der Generalklauseln im Europäischen Vertragsrecht siehe Grundmann, S., „General Standards and Principles, Clauses Générales, and Generalklauseln in European Contract Law – A Survey“, General Clauses and Standards in European Contract Law – Comparative Law, EC Law and Contract Law Codification (hrsg. von Stefan Grundmann/Denis Mazeaud), Den Haag 2006, S. 1.


42 – Gemeinsamer Standpunkt 1992, oben in Fn. 18 angeführt, Nr. 5.


43 – In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass – wie Schillig, M., „Inequality of bargaining power versus market for lemons: legal paradigm change and the Court of Justice’s jurisprudence on Directive 93/13 on unfair contract terms“, European Law Review, 2008, S. 336 f., zutreffend erklärt – das Gebot der Transparenz den Gewerbetreibenden dazu zwingt, faire Vertragsbedingungen festzulegen. Insofern verfolgen die Art. 3 und 5 der Richtlinie 93/13 im Ergebnis dasselbe Ziel.


44 – Richtlinie 98/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt, ABl. L 204, S. 1.


45 – Vgl. insoweit zur Historie nur Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 20. Oktober 2009, Federutility u. a. (C‑265/08, Slg. 2010, I‑3377, Nrn. 36 ff.); ferner Stellungnahme des Wirtschafts‑ und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 96/92/EG und 98/30/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und den Erdgasbinnenmarkt und dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel vom 17. Oktober 2001, ABl. 2002, C 36, S. 10 (im Folgenden: Stellungnahme WSA 2001), Nrn. 1.1, 1.2 und 2.4.


46 – Stellungnahme WSA 2001, Nrn. 6.1.2 und 6.4.4. Dem ist der Rat in seinem Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 6/2003 vom 3. Februar 2003, ABl. C 50 E, S. 36, gefolgt.


47 – KOM(2001) 125 endg., S. 22, 37.


48 – Ebd., S. 21, 37.


49 – KOM(2002) 304 endg., S. 57.


50 – Wie ich in Nr. 88 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Pereničová und Perenič (oben in Fn. 27 angeführt) dargelegt habe, bestehen zwischen den einzelnen Unionsrechtsakten auf dem Gebiet des Verbraucherschutzrechts vielfältige Verknüpfungen. Diese müssen deshalb als Teil eines einheitlichen Gesamtregelungswerks aufgefasst werden, die einander ergänzen (vgl. Orlando, S., „The Use of Unfair Contractual Terms as an Unfair Commercial Practice“, European Review of Contract Law, 2011, S. 25). Die im Verbraucherschutzrecht der Union bis heute bestehende Rechtszersplitterung ist die Folge einer historischen Entwicklung, in deren Verlauf der Unionsgesetzgeber im Hinblick auf die Verwirklichung eines echten Binnenmarkts für Geschäfte zwischen Unternehmen und Verbrauchern nach und nach und in Abstimmung mit dem erreichten Besitzstand einzelne Lebensbereiche geregelt hat.


51 – Urteile vom 4. Juni 2009, Pannon GSM (C‑243/08, Slg. 2009, I‑4713, Randnr. 25), Freiburger Kommunalbauten (oben in Fn. 26 angeführt, Randnr. 20), vom 9. November 2010, VB Pénzügyi Lízing (C‑137/08, Slg. 2010, I‑10847, Randnr. 42), vom 26. April 2012, Invitel (C‑472/10, Randnr. 25); Beschluss vom 16. November 2010, Pohotovost’ (C‑76/10, Slg. 2010, I‑11557, Randnrn. 56, 58); in diesem Sinne ebenso Remy-Corlay, P., a. a. O. (Fn. 29), S. 746. Wie Lagarde, X., a. a. O. (Fn. 29), S. 110, erklärt, muss das Missverhältnis dem Gewerbetreibenden einen exzessiven Vorteil zulasten des Verbrauchers gewähren, damit die Klausel als missbräuchlich angesehen werden kann.


52 – Vgl. hierzu bereits meine Ausführungen in den Schlussanträgen der Rechtssache Invitel, C‑472/10 (Urteil oben in Fn. 51 angeführt), dort Nrn. 80 ff., mit weiteren Nachweisen. Wie Hesselink, M., „Fair prices in the common market on communitative and distributive justice in European contract law“, Diritto privato europeo – Fonte ed effeti, Materiali del seminario dell’ 8‑9 novembre 2002 (hrsg. von Guido Alpa/Remo Danovi), S. 248 f., erklärt, besteht die Hauptfunktion des Europäischen Vertragsrechts in der Verwirklichung von Gerechtigkeit („justice“) bzw. von Billigkeit („equity“) und Fairness („fairness“). Das Vertragsrecht sollte dazu beitragen, gerechte und faire Lösungen zu erzielen. Viele Rechtsinstitute des kontinentaleuropäischen Vertragsrechts und des Common Law hätten diese Funktion. Allerdings weist der Autor darauf hin, dass immer umstritten gewesen sei, was die Begriffe „Gerechtigkeit“ und „Fairness“ genau bedeuteten.


53 – Urteil VB Pénzügyi Lízing (oben in Fn. 51 angeführt, Randnrn. 42, 43 und 49). Vgl. zur Kompetenzverteilung zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten auf dem Gebiet der missbräuchlichen Klauseln Aubry, H./Poillot, E./Sauphanor-Brouillard, N., Droit de la consommation – Études et commentaires, Recueil Dalloz, 2010, Nr. 13, S. 798; ebenso weist Schulte-Nölke, H., „Scope and Role of the horizontal directive and its relationship to the CFR“, in Schulze, R. (Hrsg.), Modernising and Harmonising Consumer Contract Law, München 2009, S. 44, darauf hin, dass die Entscheidung über die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen letztlich von den nationalen Gerichten anhand der nationalen Bestimmungen zu treffen sei; vgl. insoweit auch allgemein zur Verpflichtung der nationalen Gerichte, richtlinienkonform zu entscheiden und so das Gemeinschaftsrecht effektiv durchzusetzen, Griller, S., „Direktwirkung und richtlinienkonforme Auslegung“ in Eilmannsberger, T./Herzig, G. (Hrsg.), 10 Jahre Anwendung des Gemeinschaftsrechts in Österreich, Wien, Graz 2006, S. 94.


54 – Urteile Pannon GSM (oben in Fn. 51 angeführt, Randnr. 42), Freiburger Kommunalbauten (oben in Fn. 26 angeführt, Randnr. 22), Mostaza Claro (oben in Fn. 30 angeführt, Randnr. 22), VB Pénzügyi Lízing (oben in Fn. 51 angeführt, Randnrn. 43 f.), und Invitel (oben in Fn. 51 angeführt, Randnr. 22). Eidenmüller, H./Faust, F./Grigoleit, H. C./Jansen, N./Wagner, G./Zimmermann, R., „Towards a revision of the consumer acquis“, Common Market Law Review, 2011, S. 1093 f., dieselben „The Common Frame of Reference for European Private Law – Policy Choices and Codification Problems“, Oxford Journal of Legal Studies, Band 28, Nr. 4 (2008), S. 677, sowie Basedow, J., „Der Europäische Gerichtshof und das Privatrecht“, Archiv für die civilistische Praxis, Band 210 (2010), S. 173 f., beklagen, dass der Mindestharmonisierungsansatz nicht wesentlich zu einer Vereinheitlichung des Europäischen Privatrechts beigetragen habe. Zudem sei die Missbräuchlichkeitskontrolle von Vertragsklauseln den nationalen Gerichten anvertraut worden, die sich dabei auf nationale Standards und Prinzipien stützten. Der gegenwärtige Stand der Missbräuchlichkeitskontrolle sei nicht zufriedenstellend, da es an einheitlichen Leitlinien fehle. Einige der Autoren schlagen dem Gerichtshof daher vor, auf der Basis von Referenztexten wie z. B. dem Gemeinsamen Referenzrahmen („Common Frame of Reference“) europäische Standards zu entwickeln, um unionsweit eine einheitliche Praxis bei der Missbräuchlichkeitskontrolle zu gewährleisten, so insbesondere von Bar, C., in „Die Funktionen des Gemeinsamen Referenzrahmens“, in Schmidt-Kessel, M. (Hrsg.), Der Gemeinsame Referenzrahmen, München 2009, S. 26, und „Gemeinsamer Referenzrahmen für europäisches Schuld‑ und Sachenrecht“, Zeitschrift für Rechtspolitik, 2005, S. 165, 168.


55 – Beschluss vom 16. November 2010, Pohotovost’ (oben in Fn. 51 angeführt, Nr. 3 des Tenors), Urteil Invitel (oben in Fn. 51 angeführt, Randnrn. 27 und 30).


56 – Siehe Nrn. 65 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


57 – Van Gool, R., Die Problematik des Rechts der missbräuchlichen Klauseln und die EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, Frankfurt am Main 2002, S. 199, und Aubert de Vincelles, C., „Anmerkung zum Urteil Pénzügyi Lízing, C‑137/08“, in Revue trimestrielle de droit européen, 2011, S. 632.


58 – Urteil Invitel (oben in Fn. 52 angeführt, Randnr. 24); in diesem Sinne auch Rochfeld, J., „Clauses abusives, Liste réglémentaire noire et grise“, Revue trimestrielle de droit civil, 2009, S. 383.


59 – Urteil oben in Fn. 51 angeführt, Randnr. 28; auch Vigneron-Maggio-Aprile, S., a. a. O. (Fn. 35), S. 158, weist ausdrücklich auf die Notwendigkeit einer vorherigen Prüfungs‑ und Vergleichsmöglichkeit hin.


60 – Dort Randnr. 30.


61 – Vgl. den Bericht der Kommission KOM(2000) 248 endg., oben in Fn. 23 angeführt, Kapitel IV – Sonstige Bemerkungen, Buchst. a.


62 – Siehe Nrn. 69 und 70 der vorliegenden Schlussanträge.


63 – Urteil vom 6. März 2007, Meilicke u. a. (C‑292/04, Slg. 2007, I‑1835, Randnrn. 34 f.).


64 – Urteile vom 28. September 1994, Vroege (C‑57/93, Slg. 1994, I‑4541, Randnr. 21), vom 12. Oktober 2000, Cooke (C‑372/98, Slg. 2000, I‑8683, Randnr. 42), vom 10. Januar 2006, Skov (C‑402/03, Slg. 2006, I‑199, Randnr. 51), vom 30. März 2006, Uudenkaupungin kaupunki (C‑184/04, Slg. 2006, I‑3039, Randnr. 55), vom 5. Oktober 2006, Nádasdi (C‑290/05, Slg. 2006, I‑10115, Randnr. 63), und vom 18. Januar 2007, Brzezinski (C‑313/05, Slg. 2007, I‑513, Randnr. 56).


65 – Nrn. 80 und 81 der vorliegenden Schlussanträge.