Language of document : ECLI:EU:C:2007:133

Verbundene Rechtssachen C‑338/04, C‑359/04 und C‑360/04

Strafverfahren

gegen

Massimiliano Placanica u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen

des Tribunale di Larino und des Tribunale di Teramo)

„Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Auslegung der Art. 43 EG und 49 EG – Glücksspiele – Sammeln von Wetten auf Sportereignisse – Erfordernis einer Konzession – Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern mit der Rechtsform bestimmter Kapitalgesellschaften – Erfordernis einer polizeilichen Genehmigung – Strafrechtliche Sanktionen“

Leitsätze des Urteils

1.        Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen

(Art. 43 EG und 49 EG)

2.        Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen

(Art. 43 EG und 49 EG)

3.        Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen

(Art. 43 EG und 49 EG)

1.        Eine nationale Regelung, die die Ausübung von Tätigkeiten des Sammelns, der Annahme, der Bestellung und der Übertragung von Wetten, insbesondere auf Sportereignisse, ohne eine von dem betreffenden Mitgliedstaat erteilte Konzession oder polizeiliche Genehmigung verbietet, stellt eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs nach den Art. 43 EG und 49 EG dar.

Das Ziel, die Kriminalität zu bekämpfen, indem die auf diesem Gebiet tätigen Wirtschaftsteilnehmer einer Kontrolle unterworfen und Glücksspieltätigkeiten so in Bahnen gelenkt werden, die diesen Kontrollen unterliegen, kann solche Hemmnisse rechtfertigen. In dieser Hinsicht kann ein Konzessionssystem ein wirksamer Mechanismus sein.

Die nationalen Gerichte haben jedoch zu prüfen, ob die fragliche nationale Regelung, soweit sie die Anzahl der im Glücksspielsektor tätigen Wirtschaftsteilnehmer begrenzt, tatsächlich diesem Ziel entspricht. Ferner ist es Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob diese Beschränkungen geeignet sind, die Verwirklichung des angestrebten Ziels zu gewährleisten, ob sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, und ob sie nicht diskriminierend angewandt werden.

(vgl. Randnrn. 49, 52, 57-58, Tenor 1-2)

2.        Die Art. 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die Wirtschaftsteilnehmer mit der Rechtsform von Kapitalgesellschaften, deren Anteile auf reglementierten Märkten gehandelt werden, vom Glücksspielsektor ausschließt. Unabhängig von der Frage, ob der Ausschluss der auf reglementierten Märkten notierten Kapitalgesellschaften für Wirtschaftsteilnehmer mit Sitz in dem betroffenen Mitgliedstaat tatsächlich ebenso wie für solche mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gilt, geht dieser völlige Ausschluss nämlich über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels, eine Einbeziehung der im Bereich der Glücksspiele tätigen Wirtschaftsteilnehmer in kriminelle oder betrügerische Tätigkeiten zu unterbinden, erforderlich ist.

(vgl. Randnrn. 62, 64, Tenor 3)

3.        Die Art. 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, die für das Sammeln von Wetten ohne die nach dem nationalen Recht erforderliche Konzession oder polizeiliche Genehmigung eine strafrechtliche Sanktion vorsieht, dann entgegenstehen, wenn sich diese die Konzessionen oder Genehmigungen deshalb nicht beschaffen konnten, weil der betreffende Mitgliedstaat es unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt hatte, sie ihnen zu erteilen.

Für das Strafrecht sind zwar grundsätzlich die Mitgliedstaaten zuständig, jedoch setzt das Gemeinschaftsrecht dieser Zuständigkeit Schranken. Das Strafrecht darf nämlich nicht die durch das Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheiten beschränken. Außerdem darf ein Mitgliedstaat keine strafrechtlichen Sanktionen wegen einer nicht erfüllten Verwaltungsformalität verhängen, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt oder vereitelt hat.

(vgl. Randnrn. 68-69, 71, Tenor 4)