Language of document : ECLI:EU:C:2017:676

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

13. September 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Landwirtschaft – Genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel – Sofortmaßnahmen – Nationale Maßnahme zum Verbot des Anbaus von genetisch verändertem MON‑810‑Mais – Beibehaltung oder Verlängerung der Maßnahme – Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 – Art. 34 – Verordnung (EG) Nr. 178/2002 – Art. 53 und 54 – Anwendungsvoraussetzungen – Vorsorgeprinzip“

In der Rechtssache C‑111/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Udine (Landgericht Udine, Italien) mit Entscheidung vom 10. Dezember 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Februar 2016, in dem Strafverfahren gegen

Giorgio Fidenato,

Leandro Taboga,

Luciano Taboga

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richter M. Vilaras, J. Malenovský, M. Safjan und D. Šváby,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Februar 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Fidenato sowie den Herren Leandro und Luciano Taboga, vertreten durch F. Longo, avvocato,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch G. Kanellopoulos und D. Ntourntoureka als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Zadra, K. Herbout-Borczak und C. Valero als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. März 2017

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 34 der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel (ABl. 2003, L 268, S. 1) sowie der Art. 53 und 54 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. 2002, L 31, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Giorgio Fidenato sowie gegen die Herren Leandro und Luciano Taboga, in dem ihnen zur Last gelegt wird, mit dem Anbau der genetisch veränderten Maissorte MON 810 gegen die nationale Regelung, die einen solchen Anbau verbietet, verstoßen zu haben.

 Rechtlicher Rahmen

 Verordnung Nr. 1829/2003

3        In den Erwägungsgründen 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1829/2003 wird ausgeführt:

„(1)      Der freie Verkehr mit sicheren und gesunden Lebensmitteln und Futtermitteln ist ein wichtiger Aspekt des Binnenmarkts und trägt wesentlich zur Gesundheit und zum Wohlergehen der Bürger und zu ihren sozialen und wirtschaftlichen Interessen bei.

(2)      Bei der Durchführung der Politiken der Gemeinschaft sollte ein hohes Maß an Schutz für Leben und Gesundheit des Menschen gewährleistet werden.

(3)      Zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sollten Lebensmittel und Futtermittel, die aus genetisch veränderten Organismen bestehen, diese enthalten oder daraus hergestellt werden …[,] einer Sicherheitsprüfung nach einem Gemeinschaftsverfahren unterzogen werden, bevor sie in der Gemeinschaft in Verkehr gebracht werden.“

4        Nach Art. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 1829/2003 hat diese entsprechend den allgemeinen Grundsätzen der Verordnung Nr. 178/2002 u. a. zum Ziel, die Grundlage für ein hohes Schutzniveau für Leben und Gesundheit des Menschen, Gesundheit und Wohlergehen der Tiere, die Belange der Umwelt und die Verbraucherinteressen im Zusammenhang mit genetisch veränderten Lebensmitteln und Futtermitteln sicherzustellen und ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten sowie gemeinschaftliche Verfahren für die Zulassung und Überwachung genetisch veränderter Lebensmittel und Futtermittel festzulegen.

5        In Art. 34 („Sofortmaßnahmen“) der Verordnung Nr. 1829/2003 heißt es:

„Ist davon auszugehen, dass ein nach dieser Verordnung zugelassenes oder mit ihr in Einklang stehendes Erzeugnis wahrscheinlich ein ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt darstellt, … so werden Maßnahmen nach den Verfahren der Artikel 53 und 54 der Verordnung [Nr. 178/2002] getroffen.“

 Verordnung Nr. 178/2002

6        In den Erwägungsgründen 20 und 21 der Verordnung Nr. 178/2002 heißt es:

„(20)      Zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzniveaus in der Gemeinschaft wurde das Vorsorgeprinzip herangezogen, wodurch Hemmnisse für den freien Verkehr mit Lebensmitteln und Futtermitteln geschaffen wurden. Deshalb muss gemeinschaftsweit eine einheitliche Grundlage für die Anwendung dieses Prinzips geschaffen werden.

(21)      In besonderen Fällen, in denen ein Risiko für Leben oder Gesundheit gegeben ist, wissenschaftlich aber noch Unsicherheit besteht, ergibt sich aus dem Vorsorgeprinzip ein Mechanismus zur Ermittlung von Risikomanagementmaßnahmen oder anderen Aktionen, um das in der Gemeinschaft gewählte hohe Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen.“

7        Art. 6 dieser Verordnung lautet:

„(1)      Um das allgemeine Ziel eines hohen Maßes an Schutz für Leben und Gesundheit der Menschen zu erreichen, stützt sich das Lebensmittelrecht auf Risikoanalysen, außer wenn dies nach den Umständen oder der Art der Maßnahme unangebracht wäre.

(2)      Die Risikobewertung beruht auf den verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen und ist in einer unabhängigen, objektiven und transparenten Art und Weise vorzunehmen.

(3)      Beim Risikomanagement ist den Ergebnissen der Risikobewertung, insbesondere den Gutachten der [Europäischen] Behörde [für Lebensmittelsicherheit] gemäß Artikel 22, anderen angesichts des betreffenden Sachverhalts berücksichtigenswerten Faktoren sowie – falls die in Artikel 7 Absatz 1 dargelegten Umstände vorliegen – dem Vorsorgeprinzip Rechnung zu tragen, um die allgemeinen Ziele des Lebensmittelrechts gemäß Artikel 5 zu erreichen.“

8        Art. 7 („Vorsorgeprinzip“) der Verordnung bestimmt:

„(1)      In bestimmten Fällen, in denen nach einer Auswertung der verfügbaren Informationen die Möglichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen festgestellt wird, wissenschaftlich aber noch Unsicherheit besteht, können vorläufige Risikomanagementmaßnahmen zur Sicherstellung des in der Gemeinschaft gewählten hohen Gesundheitsschutzniveaus getroffen werden, bis weitere wissenschaftliche Informationen für eine umfassendere Risikobewertung vorliegen.

(2)      Maßnahmen, die nach Absatz 1 getroffen werden, müssen verhältnismäßig sein und dürfen den Handel nicht stärker beeinträchtigen, als dies zur Erreichung des in der Gemeinschaft gewählten hohen Gesundheitsschutzniveaus unter Berücksichtigung der technischen und wirtschaftlichen Durchführbarkeit und anderer angesichts des betreffenden Sachverhalts für berücksichtigenswert gehaltener Faktoren notwendig ist. Diese Maßnahmen müssen innerhalb einer angemessenen Frist überprüft werden, die von der Art des festgestellten Risikos für Leben oder Gesundheit und der Art der wissenschaftlichen Informationen abhängig ist, die zur Klärung der wissenschaftlichen Unsicherheit und für eine umfassendere Risikobewertung notwendig sind.“

9        In Art. 53 („Sofortmaßnahmen in Bezug auf Lebensmittel und Futtermittel mit Ursprung in der Gemeinschaft oder auf aus Drittländern eingeführte Lebensmittel und Futtermittel“) der Verordnung Nr. 178/2002 heißt es:

„(1)      Ist davon auszugehen, dass ein Lebensmittel oder Futtermittel mit Ursprung in der Gemeinschaft oder ein aus einem Drittland eingeführtes Lebensmittel oder Futtermittel wahrscheinlich ein ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt darstellt und dass diesem Risiko durch Maßnahmen des betreffenden Mitgliedstaats oder der betreffenden Mitgliedstaaten nicht auf zufrieden stellende Weise begegnet werden kann, so trifft die Kommission nach dem in Artikel 58 Absatz 2 genannten Verfahren von sich aus oder auf Verlangen eines Mitgliedstaats unverzüglich eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen, je nachdem, wie ernst die Situation ist:

a)      bei einem Lebensmittel oder Futtermittel mit Ursprung in der Gemeinschaft:

i)      Aussetzung des Inverkehrbringens oder der Verwendung des fraglichen Lebensmittels,

ii)      Aussetzung des Inverkehrbringens oder der Verwendung des fraglichen Futtermittels,

iii)      Festlegung besonderer Bedingungen für das fragliche Lebensmittel oder Futtermittel,

iv)      jede sonst geeignete vorläufige Maßnahme;

b)      bei einem aus einem Drittland eingeführten Lebensmittel oder Futtermittel:

i)      Aussetzung der Einfuhr des fraglichen Lebensmittels oder Futtermittels aus dem gesamten betroffenen Drittland oder aus einem Gebiet dieses Landes sowie gegebenenfalls aus dem Durchfuhrdrittland,

ii)      Festlegung besonderer Bedingungen für das fragliche Lebensmittel oder Futtermittel aus dem gesamten betroffenen Drittland oder einem Gebiet dieses Landes,

iii)      jede sonst geeignete vorläufige Maßnahme.

(2)      In dringenden Fällen kann die Kommission die Maßnahmen nach Absatz 1 jedoch vorläufig erlassen, nachdem sie den oder die betroffenen Mitgliedstaaten angehört und die übrigen Mitgliedstaaten darüber unterrichtet hat.

…“

10      Art. 54 („Sonstige Sofortmaßnahmen“) dieser Verordnung lautet:

„(1)      Setzt ein Mitgliedstaat die Kommission offiziell von der Notwendigkeit in Kenntnis, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, und hat die Kommission nicht gemäß Artikel 53 gehandelt, so kann der Mitgliedstaat vorläufige Schutzmaßnahmen ergreifen. In diesem Fall unterrichtet er die anderen Mitgliedstaaten und die Kommission unverzüglich.

(2)      Innerhalb von 10 Arbeitstagen befasst die Kommission den [Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit] … mit der Frage der Verlängerung, der Änderung oder der Aufhebung der vorläufigen nationalen Schutzmaßnahmen.

(3)      Der Mitgliedstaat darf seine vorläufigen nationalen Schutzmaßnahmen so lange beibehalten, bis die Gemeinschaftsmaßnahmen erlassen sind.“

11      Art. 58 Abs. 1 der Verordnung sieht vor:

„Die Kommission wird von einem Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit … unterstützt, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt und in dem der Vertreter der Kommission den Vorsitz führt. [Dieser] Ausschuss wird nach Fachgruppen organisiert, die alle einschlägigen Themen behandeln.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

12      Mit Entscheidung vom 22. April 1998 über das Inverkehrbringen von genetisch verändertem Mais (Zea mays L., Linie MON 810) gemäß der Richtlinie 90/220/EWG des Rates (ABl. 1998, L 131, S. 32) ließ die Kommission das Inverkehrbringen der Maissorte MON 810 zu.

13      Am 11. April 2013 verlangte die italienische Regierung von der Kommission, nach dem in Art. 53 der Verordnung Nr. 178/2002 vorgesehenen Verfahren Sofortmaßnahmen im Sinne des Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 zur Untersagung des Anbaus dieser Maissorte zu treffen. Sie stützte dieses Verlangen auf wissenschaftliche Studien des Consiglio per la ricerca e la sperimentazione in agricoltura (Rat für Agrarforschung und landwirtschaftliche Versuche, Italien) (CRA) und des Istituto Superiore per la Protezione e la Ricerca Ambientale (Höheres Institut für Umweltschutz und Umweltforschung, Italien) (ISPRA).

14      In ihrer Antwort vom 17. Mai 2013 führte die Kommission aus, dass sie nach einer ersten Bewertung der ihr unterbreiteten Aspekte die Dringlichkeit eines Erlasses von Maßnahmen nach den Art. 53 und 54 der Verordnung Nr. 178/2002 für nicht erwiesen halte.

15      Um jedoch die von der Italienischen Republik vorgelegten wissenschaftlichen Daten einer eingehenderen Analyse zu unterziehen, ersuchte die Kommission am 29. Mai 2013 die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit darum, die betreffenden Beweise bis September 2013 zu bewerten.

16      Mit dem Decreto adozione delle misure d’urgenza ai sensi dell’art. 54 del regolamento (CE) n. 178/2002, concernente la coltivazione di varietà di mais geneticamente modificato MON 810 (Dekret über den Erlass von Sofortmaßnahmen im Sinne von Art. 54 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 hinsichtlich des Anbaus von genetisch verändertem MON‑810-Mais) vom 12. Juli 2013 (GURI Nr. 187 vom 10. August 2013) verbot die italienische Regierung den Anbau von genetisch verändertem MON‑810-Mais.

17      Am 24. September 2013 erteilte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit das Gutachten Nr. 3371. Darin heißt es, dass das Gremium für genetisch veränderte Organismen (im Folgenden: GVO) in den Unterlagen, die die italienische Regierung zur Stützung der Sofortmaßnahmen bezüglich des Maises MON 810 vorgelegt habe, keinen neuen wissenschaftlichen Beweis ausgemacht habe, der die Sofortmaßnahmen rechtfertige. Das Gremium war demzufolge der Ansicht, dass seine früheren Ergebnisse hinsichtlich der Risikobewertung für MON‑810-Mais weiterhin Bestand hätten.

18      Aus der dem Gerichtshof vorgelegten Akte und aus den Klarstellungen der Kommission in der mündlichen Verhandlung ergibt sich, dass die Kommission den Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit von der Mitteilung der italienischen Regierung über die von dieser getroffenen vorläufigen Maßnahmen in Kenntnis setzte. Sie unterbreitete dem Ausschuss jedoch keinen Entwurf für einen Beschluss im Hinblick auf die Verlängerung, Änderung oder Aufhebung der vorläufigen nationalen Schutzmaßnahmen gemäß Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 178/2002.

19      Im vorstehend beschriebenen Kontext wurde beim Tribunale di Udine (Landgericht Udine, Italien) ein Strafverfahren gegen Herrn Fidenato sowie gegen die Herren Leandro und Luciano Taboga eingeleitet. Zur Last gelegt wird ihnen der Anbau – zu einem nicht spezifizierten Zeitpunkt – von genetisch verändertem Mais, nämlich der Sorte MON 810, unter Verstoß gegen die entsprechende nationale Verbotsregelung.

20      Der Ermittlungsrichter am Tribunale di Udine (Landgericht Udine) erließ zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt Strafbefehl gegen die Betroffenen.

21      Diese legten Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Sie machten die Rechtswidrigkeit der nationalen Regelung, auf deren Grundlage der Strafbefehl ergangen war, geltend und begründeten dies mit einem Verstoß dieser Regelung gegen Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 sowie gegen die Art. 53 und 54 der Verordnung Nr. 178/2002.

22      Unter diesen Umständen hat das Tribunale di Udine (Landgericht Udine) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist die Kommission, wenn sie von einem Mitgliedstaat befasst wird, auch dann, wenn ihrer Einschätzung nach bei bestimmten Lebensmitteln oder Futtermitteln kein ernstes und offensichtliches Risiko für die Gesundheit von Mensch und Tier bzw. für die Umwelt besteht, nach Art. 54 Abs. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 verpflichtet, Sofortmaßnahmen im Sinne von Art. 53 der Verordnung Nr. 178/2002 zu ergreifen?

2.      Darf der Mitgliedstaat, der die Kommission befasst hat, wenn die Kommission ihm mitteilt, dass ihre Einschätzung nicht seinem Begehren entspricht – was konzeptionell die Notwendigkeit des Erlasses von Sofortmaßnahmen ausschließt –, und aus diesem Grund nicht die von ihm verlangten Sofortmaßnahmen im Sinne von Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 trifft, nach Art. 53 der Verordnung Nr. 178/2002 vorläufige Sofortmaßnahmen treffen?

3.      Können Erwägungen im Zusammenhang mit dem Vorsorgeprinzip, die nichts mit den Parametern des ernsten und offensichtlichen Risikos für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt bei der Verwendung eines Lebensmittels oder Futtermittels zu tun haben, das Ergreifen von vorläufigen Sofortmaßnahmen seitens eines Mitgliedstaats nach Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 rechtfertigen?

4.      Kann ein Mitgliedstaat, der die Kommission befasst hat, wenn es klar und offensichtlich ist, dass diese zu der Einschätzung gelangt ist, dass die materiellen Voraussetzungen für das Ergreifen von Sofortmaßnahmen für ein Lebensmittel oder Futtermittel nicht vorliegen, dies in der Folge durch ein wissenschaftliches Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit bestätigt wurde und diese Einschätzungen dem betreffenden Mitgliedstaat schriftlich übermittelt wurden, seine vorläufigen Sofortmaßnahmen weiter in Kraft lassen und/oder die Gültigkeitsdauer dieser vorläufigen Sofortmaßnahmen verlängern, wenn der vorläufige Zeitraum, für den sie erlassen worden waren, abgelaufen ist?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

23      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 in Verbindung mit Art. 53 der Verordnung Nr. 178/2002 dahin auszulegen ist, dass die Kommission Sofortmaßnahmen im Sinne des letztgenannten Artikels treffen muss, wenn ein Mitgliedstaat sie gemäß Art. 54 Abs. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 offiziell von der Notwendigkeit in Kenntnis setzt, solche Maßnahmen zu ergreifen, obwohl nicht davon auszugehen ist, dass ein nach der Verordnung Nr. 1829/2003 zugelassenes oder mit ihr in Einklang stehendes Erzeugnis wahrscheinlich ein ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt darstellt.

24      Mit beiden Verordnungen, Nr. 1829/2003 und Nr. 178/2002, soll insbesondere ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit des Menschen und die Verbraucherinteressen im Zusammenhang mit Lebensmitteln bei gleichzeitig reibungslosem Funktionieren des Binnenmarkts gewährleistet werden.

25      Daher kann, auch wenn, wie sich aus dem ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1829/2003 ergibt, der freie Verkehr mit sicheren und gesunden Lebensmitteln und Futtermitteln ein wichtiger Aspekt des Binnenmarkts ist, ein Verbot oder eine Einschränkung des Anbaus von nach der Verordnung Nr. 1829/2003 zugelassenen und gemäß der Richtlinie 2002/53/EG des Rates vom 13. Juni 2002 über einen gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten (ABl. 2002, L 193, S. 1) in den gemeinsamen Katalog aufgenommenen GVO von einem Mitgliedstaat in den Fällen verfügt werden, die im Unionsrecht ausdrücklich vorgesehen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2012, Pioneer Hi Bred Italia, C‑36/11, EU:C:2012:534, Rn. 63 und 70).

26      Zu diesen Ausnahmen gehören u. a. die gemäß Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 getroffenen Maßnahmen.

27      Wie sich aus dem Wortlaut von Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 ergibt, werden, wenn davon auszugehen ist, dass ein nach dieser Verordnung zugelassenes oder mit ihr in Einklang stehendes Erzeugnis wahrscheinlich ein ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt darstellt, Maßnahmen nach den Verfahren der Art. 53 und 54 der Verordnung Nr. 178/2002 getroffen. Art. 53 der Verordnung Nr. 178/2002 betrifft insoweit die Sofortmaßnahmen, die von der Kommission getroffen werden können, während der Erlass solcher Maßnahmen durch die Mitgliedstaaten unter Art. 54 dieser Verordnung fällt.

28      Demzufolge ist die Kommission, wenn nicht erwiesenermaßen davon auszugehen ist, dass ein nach der Verordnung Nr. 1829/2003 zugelassenes oder mit ihr in Einklang stehendes Erzeugnis, wahrscheinlich ein ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt darstellt, nach Art. 34 dieser Verordnung in Verbindung mit Art. 53 der Verordnung Nr. 178/2002 nicht verpflichtet, Sofortmaßnahmen im Sinne dieser Artikel zu ergreifen.

29      Der Umstand, dass das Ergreifen solcher Maßnahmen von einem Mitgliedstaat verlangt worden sein mag, hat auf das Ermessen, über das die Kommission insoweit verfügt, keine Auswirkung.

30      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 in Verbindung mit Art. 53 der Verordnung Nr. 178/2002 dahin auszulegen ist, dass die Kommission keine Sofortmaßnahmen im Sinne des letztgenannten Artikels treffen muss, wenn ein Mitgliedstaat sie gemäß Art. 54 Abs. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 offiziell von der Notwendigkeit in Kenntnis setzt, solche Maßnahmen zu ergreifen, sofern nicht davon auszugehen ist, dass ein nach der Verordnung Nr. 1829/2003 zugelassenes oder mit ihr in Einklang stehendes Erzeugnis wahrscheinlich ein ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt darstellt.

 Zur zweiten und zur vierten Frage

31      Mit seiner zweiten und seiner vierten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 in Verbindung mit Art. 54 der Verordnung Nr. 178/2002 dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat, nachdem er die Kommission offiziell von der Notwendigkeit in Kenntnis gesetzt hat, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, und wenn die Kommission nicht gemäß Art. 53 der Verordnung Nr. 178/2002 gehandelt hat, zum einen solche Maßnahmen auf nationaler Ebene ergreifen kann und sie zum anderen beibehalten oder verlängern kann, solange die Kommission nicht gemäß Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 178/2002 einen Beschluss über ihre Verlängerung, Änderung oder Aufhebung erlassen hat.

32      Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 gestattet insoweit einem Mitgliedstaat, Sofortmaßnahmen nach diesem Artikel zu ergreifen, sofern er außer den dort geregelten materiellen Voraussetzungen auch die Verfahrensbedingungen des Art. 54 der Verordnung Nr. 178/2002 beachtet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2011, Monsanto u. a., C‑58/10 bis C‑68/10, EU:C:2011:553, Rn. 66 bis 69).

33      Nach Art. 54 Abs. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 kann ein Mitgliedstaat, wenn er die Kommission offiziell von der Notwendigkeit in Kenntnis setzt, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, und die Kommission nicht gemäß Art. 53 dieser Verordnung gehandelt hat, vorläufige Schutzmaßnahmen ergreifen.

34      Die Verfahrensbedingungen sind in erwähntem Art. 54 Abs. 1 geregelt, nach dem die Mitgliedstaaten zum einen die Kommission „offiziell“ von der Notwendigkeit, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, in Kenntnis setzen müssen und zum anderen, falls die Kommission nicht gemäß dem besagten Art. 53 gehandelt hat, diese und die anderen Mitgliedstaaten „unverzüglich“ von den ergriffenen vorläufigen nationalen Schutzmaßnahmen zu unterrichten haben. Daher ist Art. 54 Abs. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 in Anbetracht des Dringlichkeitscharakters des Eingreifens des betreffenden Mitgliedstaats und des mit der Verordnung Nr. 1829/2003 verfolgten Ziels des Schutzes der öffentlichen Gesundheit dahin auszulegen, dass danach die darin vorgesehene Unterrichtung der Kommission im Notfall spätestens zusammen mit dem Erlass der Sofortmaßnahmen durch diesen Mitgliedstaat zu erfolgen hat (Urteil vom 8. September 2011, Monsanto u. a., C‑58/10 bis C‑68/10, EU:C:2011:553, Rn. 73).

35      Art. 54 Abs. 3 der Verordnung Nr. 178/2002 sieht im Übrigen vor, dass die von den Mitgliedstaaten erlassenen Sofortmaßnahmen so lange beibehalten werden dürfen, bis die Maßnahmen der Europäischen Union erlassen sind.

36      Die Erwähnung der Beibehaltung der betreffenden Maßnahmen in diesem Artikel ist dahin zu verstehen, dass auch die Verlängerung dieser Maßnahmen erfasst ist, wenn sie vorübergehend erlassen wurden. Zum einen ergibt sich nämlich aus der Verordnung Nr. 178/2002 nicht, dass der Unionsgesetzgeber die Absicht gehabt hätte, die Mittel zu begrenzen, durch die dem betroffenen Mitgliedstaat gestattet ist, die erlassenen Maßnahmen in Kraft zu lassen. Zum anderen wäre eine gegenteilige Auslegung dazu angetan, ein Hindernis für die Beherrschung des Risikos zu bilden, das Lebensmittel oder Futtermittel mit Ursprung in der Gemeinschaft oder ein aus einem Drittland eingeführtes Lebensmittel oder Futtermittel für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt darstellen können.

37      Gleichwohl müssen, wie der Gerichtshof in Rn. 78 des Urteils vom 8. September 2011, Monsanto u. a. (C‑58/10 bis C‑68/10, EU:C:2011:553), betont hat, im Licht der Systematik der in der Verordnung Nr. 1829/2003 vorgesehenen Regelung und ihres Ziels der Vermeidung künstlicher Diskrepanzen beim Umgang mit einem ernsten Risiko letztlich allein die Kommission und der Rat der Europäischen Union für die Risikobewertung und das Risikomanagement bei einem ernsten und offensichtlichen Risiko zuständig sein, wobei der Unionsrichter als Kontrollinstanz fungiert.

38      Daraus folgt, dass im Stadium des Erlasses und der Durchführung von Sofortmaßnahmen im Sinne des Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 durch die Mitgliedstaaten, solange insoweit auf Unionsebene kein Beschluss ergangen ist, die mit der Frage der Rechtmäßigkeit solcher innerstaatlichen Maßnahmen befassten nationalen Gerichte für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen in Ansehung der materiellen Voraussetzungen des besagten Art. 34 und der Verfahrensbedingungen des Art. 54 der Verordnung Nr. 178/2002 zuständig sind, wobei die Einheitlichkeit der Anwendung des Unionsrechts vom Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens sichergestellt werden kann, da ein nationales Gericht, das Zweifel an der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts hat, dem Gerichtshof gemäß Art. 267 Abs. 2 und 3 AEUV eine Frage zur Vorabentscheidung vorlegen kann oder muss (Urteil vom 8. September 2011, Monsanto u. a., C‑58/10 bis C‑68/10, EU:C:2011:553, Rn. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Insoweit ist festzustellen, dass ausweislich der von der Kommission beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen auf Unionsebene entgegen Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 178/2002 kein Beschluss in der Frage der Verlängerung, Änderung oder Aufhebung der vorläufigen nationalen Schutzmaßnahme ergangen ist.

40      Nach dieser Bestimmung befasst die Kommission innerhalb von zehn Arbeitstagen den mit Art. 58 Abs. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 eingesetzten Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit nach dem in Art. 58 Abs. 2 dieser Verordnung genannten Verfahren mit der Frage der Verlängerung, der Änderung oder der Aufhebung der vorläufigen nationalen Schutzmaßnahmen.

41      Hat die Kommission dagegen den Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit befasst und ist auf Unionsebene ein Beschluss erlassen worden, so binden die darin zum gegebenen Fall getroffenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen gemäß Art. 288 AEUV alle Organe des Mitgliedstaats, an den ein solcher Beschluss gerichtet ist, einschließlich der innerstaatlichen Gerichte, die zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der auf nationaler Ebene ergriffenen Maßnahmen aufgerufen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2011, Monsanto u. a., C‑58/10 bis C‑68/10, EU:C:2011:553, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Nach alledem ist auf die zweite und die vierte Frage zu antworten, dass Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 in Verbindung mit Art. 54 der Verordnung Nr. 178/2002 dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat, nachdem er die Kommission offiziell von der Notwendigkeit in Kenntnis gesetzt hat, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, und wenn die Kommission nicht gemäß Art. 53 der Verordnung Nr. 178/2002 gehandelt hat, zum einen solche Maßnahmen auf nationaler Ebene ergreifen kann und sie zum anderen beibehalten oder verlängern kann, solange die Kommission nicht gemäß Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 178/2002 einen Beschluss über ihre Verlängerung, Änderung oder Aufhebung erlassen hat.

 Zur dritten Frage

43      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 in Verbindung mit dem Vorsorgeprinzip dahin auszulegen ist, dass er den Mitgliedstaaten die Befugnis verleiht, gemäß Art. 54 der Verordnung Nr. 178/2002 vorläufige Sofortmaßnahmen allein auf der Grundlage dieses Prinzips zu ergreifen, ohne dass die in Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt wären.

44      Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002 definiert das Vorsorgeprinzip im Bereich des Lebensmittelrechts. Sein Abs. 1 sieht vor, dass in bestimmten Fällen, in denen nach einer Auswertung der verfügbaren Informationen die Möglichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen festgestellt wird, wissenschaftlich aber noch Unsicherheit besteht, vorläufige Risikomanagementmaßnahmen zur Sicherstellung des in der Union gewählten hohen Gesundheitsschutzniveaus getroffen werden können, bis weitere wissenschaftliche Informationen für eine umfassendere Risikobewertung vorliegen.

45      Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 bestimmt seinerseits, wie oben in Rn. 27 ausgeführt, unter welchen Bedingungen Sofortmaßnahmen in Bezug auf ein nach dieser Verordnung zugelassenes oder mit ihr in Einklang stehendes Erzeugnis getroffen werden können, und legt damit genau fest, welches Anforderungsniveau für das Ergreifen solcher Maßnahmen gilt.

46      In dieser Vorschrift hat der Unionsgesetzgeber, auch wenn, wie vom Generalanwalt in Nr. 78 seiner Schlussanträge festgestellt, das Vorsorgeprinzip, wie es in Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002 beschrieben ist, ein allgemeiner Grundsatz des Lebensmittelrechts ist, eine ganz bestimmte Regel im Hinblick auf das Ergreifen von Sofortmaßnahmen nach den Verfahren der Art. 53 und 54 der Verordnung Nr. 178/2002 aufgestellt.

47      Zwar sind, wie vom Gerichtshof in Rn. 71 des Urteils vom 8. September 2011, Monsanto u. a. (C‑58/10 bis C‑68/10, EU:C:2011:553), ausgeführt, die in Art. 54 Abs. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 vorgesehenen Voraussetzungen, denen der Erlass von Sofortmaßnahmen unterliegt, unter Berücksichtigung u. a. des Vorsorgeprinzips mit Blickrichtung darauf auszulegen, dass ein hohes Maß an Schutz für Leben und Gesundheit des Menschen und gleichzeitig der freie Verkehr mit sicheren und gesunden Lebensmitteln und Futtermitteln, der ein wichtiger Aspekt des Binnenmarkts ist, gewährleistet werden.

48      Dieses Prinzip kann jedoch nicht dahin ausgelegt werden, dass danach das, was in Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 bestimmt ist, beiseitegelassen oder geändert – insbesondere gelockert – werden kann.

49      Zu betonen ist insoweit, dass, wie oben in Rn. 38 ausgeführt, die nationalen Gerichte, die mit der Frage der Rechtmäßigkeit von nationalen Sofortmaßnahmen gemäß Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 befasst sind, für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen in Ansehung der materiellen Voraussetzungen des genannten Artikels und der Verfahrensbedingungen des Art. 54 der Verordnung Nr. 178/2002 zuständig sind.

50      Außerdem ist festzustellen, dass, wie vom Generalanwalt in Nr. 68 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt, für die vorläufigen Risikomanagementmaßnahmen, die auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips getroffen werden können, und die gemäß Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 getroffenen Sofortmaßnahmen nicht die gleiche Regelung gilt. Aus Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002 ergibt sich nämlich, dass für das Ergreifen der betreffenden vorläufigen Maßnahmen Voraussetzung ist, dass nach einer Auswertung der verfügbaren Informationen die Möglichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen festgestellt wird, wissenschaftlich aber noch Unsicherheit besteht. Dagegen gestattet Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 den Rückgriff auf Sofortmaßnahmen, wenn davon auszugehen ist, dass ein nach dieser Verordnung zugelassenes Erzeugnis wahrscheinlich ein ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt darstellt.

51      Der Gerichtshof hat insoweit in den Rn. 76 und 77 des Urteils vom 8. September 2011, Monsanto u. a. (C‑58/10 bis C‑68/10, EU:C:2011:553), entschieden, dass die Ausdrücke „wahrscheinlich“ und „ernstes Risiko“ im Sinne des Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 so zu verstehen sind, dass sie sich auf ein erhebliches Risiko beziehen, das offensichtlich die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt gefährdet. Dieses Risiko muss auf der Grundlage neuer Anhaltspunkte festgestellt werden, die auf zuverlässigen wissenschaftlichen Daten beruhen. Schutzmaßnahmen, die aufgrund dieses Art. 34 getroffen werden, können nämlich nicht wirksam mit einer rein hypothetischen Betrachtung des Risikos begründet werden, die auf bloße, wissenschaftlich noch nicht verifizierte Vermutungen gestützt wird. Vielmehr können sie ungeachtet ihrer vorläufigen Natur und auch wenn sie Präventivcharakter haben, nur getroffen werden, wenn sie auf eine möglichst umfassende Risikobewertung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des konkreten Falles gestützt sind, woraus erkennbar ist, dass diese Maßnahmen geboten sind.

52      Außerdem ist festzustellen, dass, wie vom Generalanwalt in den Nrn. 74 bis 76 seiner Schlussanträge ausgeführt, der Unterschied zwischen dem nach Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 auf der einen Seite und dem nach Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002 auf der anderen Seite erforderlichen Risikograd vor dem Hintergrund der verfahrensmäßigen Wirk- und Funktionsweise dieser Bestimmungen zu sehen ist, d. h. der Anwendung von Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 auf die nach dieser Verordnung zugelassenen Erzeugnisse und von Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002 auf den gesamten Bereich des Lebensmittelrechts und so auch auf Erzeugnisse, die nie einem Zulassungsverfahren unterzogen wurden.

53      Damit der Grad an Unsicherheit, der nach Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 für das Ergreifen von Sofortmaßnahmen erforderlich ist, nicht durch Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002 herabgesetzt wird, kann es folglich nicht zulässig sein, dass das Vorsorgeprinzip, wie es in Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002 formuliert ist, eigenständig angewandt wird, ohne dass die materiellen Voraussetzungen des Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 im Hinblick auf das Ergreifen der dort vorgesehenen Sofortmaßnahmen beachtet würden.

54      Demnach ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 in Verbindung mit dem Vorsorgeprinzip, wie es in Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002 formuliert ist, dahin auszulegen ist, dass er den Mitgliedstaaten nicht die Befugnis verleiht, gemäß Art. 54 der Verordnung Nr. 178/2002 vorläufige Sofortmaßnahmen allein auf der Grundlage dieses Prinzips zu ergreifen, ohne dass die in Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 vorgesehenen materiellen Voraussetzungen erfüllt wären.

 Kosten

55      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 34 der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel in Verbindung mit Art. 53 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit ist dahin auszulegen, dass die Europäische Kommission keine Sofortmaßnahmen im Sinne des letztgenannten Artikels treffen muss, wenn ein Mitgliedstaat sie gemäß Art. 54 Abs. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 offiziell von der Notwendigkeit in Kenntnis setzt, solche Maßnahmen zu ergreifen, sofern nicht davon auszugehen ist, dass ein nach der Verordnung Nr. 1829/2003 zugelassenes oder mit ihr in Einklang stehendes Erzeugnis wahrscheinlich ein ernstes Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt darstellt.

2.      Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 in Verbindung mit Art. 54 der Verordnung Nr. 178/2002 ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat, nachdem er die Europäische Kommission offiziell von der Notwendigkeit in Kenntnis gesetzt hat, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, und wenn die Kommission nicht gemäß Art. 53 der Verordnung Nr. 178/2002 gehandelt hat, zum einen solche Maßnahmen auf nationaler Ebene ergreifen kann und sie zum anderen beibehalten oder verlängern kann, solange die Kommission nicht gemäß Art. 54 Abs. 2 der Verordnung Nr. 178/2002 einen Beschluss über ihre Verlängerung, Änderung oder Aufhebung erlassen hat.

3.      Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 in Verbindung mit dem Vorsorgeprinzip, wie es in Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002 formuliert ist, ist dahin auszulegen, dass er den Mitgliedstaaten nicht die Befugnis verleiht, gemäß Art. 54 der Verordnung Nr. 178/2002 vorläufige Sofortmaßnahmen allein auf der Grundlage dieses Prinzips zu ergreifen, ohne dass die in Art. 34 der Verordnung Nr. 1829/2003 vorgesehenen materiellen Voraussetzungen erfüllt wären.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Italienisch.