Language of document : ECLI:EU:C:2010:136

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

11. März 2010(*)

„Staatliche Beihilfen – Art. 88 Abs. 3 EG – Für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärte rechtswidrige Beihilfen – Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission – Nationale Gerichte – Antrag auf Rückforderung der rechtswidrig eingeführten Beihilfen – Aussetzung der gerichtlichen Entscheidung bis zum Erlass einer neuen Entscheidung der Kommission – Außergewöhnliche Umstände, die die Rückerstattungspflicht begrenzen können“

In der Rechtssache C‑1/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Conseil d’État (Frankreich) mit Entscheidung vom 19. Dezember 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Januar 2009, in dem Verfahren

Centre d’exportation du livre français (CELF),

Ministre de la Culture et de la Communication

gegen

Société internationale de diffusion et d’édition (SIDE)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer J.‑C. Bonichot, der Richterin C. Toader sowie der Richter K. Schiemann, P. Kūris und L. Bay Larsen (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: R. Șereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        des Centre d’exportation du livre français (CELF), vertreten durch O. Schmitt und A. Tabouis, avocats,

–        der Société internationale de diffusion et d’édition (SIDE), vertreten durch N. Coutrelis, avocat,

–        der französischen Regierung, vertreten durch E. Belliard, G. de Bergues und B. Beaupère-Manokha als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch C. M. Wissels und Y. de Vries als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch J.‑P. Keppenne und B. Stromsky als Bevollmächtigte,

–        der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch X. Lewis, B. Alterskjær und L. Armati als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 88 Abs. 3 EG.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Centre d’exportation du livre français (im Folgenden: CELF) und dem Ministre de la Culture et de la Communication auf der einen und der Société internationale de diffusion et d’édition (im Folgenden: SIDE) auf der anderen Seite wegen dem CELF vom französischen Staat gewährter Beihilfen.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

 Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt und die Verfahren vor dem Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften

3        Das CELF, eine genossenschaftliche Aktiengesellschaft, war bis 2009 als Ausfuhrkommissionär tätig.

4        Die Aufgabe des CELF bestand darin, Aufträge über die Lieferung von Büchern, Broschüren und Kommunikationsträgern jeder Art in das Ausland sowie die französischen überseeischen Hoheitsgebiete und Departements unmittelbar auszuführen und allgemein alle Geschäfte zu tätigen, die mit Hilfe dieser Kommunikationsträger insbesondere zur Förderung der französischen Kultur in der Welt beitragen sollen.

5        Von 1980 bis 2002 erhielt das CELF vom französischen Staat Betriebsbeihilfen als Ausgleich für die Mehrkosten der Ausführung kleiner Bestellungen durch im Ausland ansässige Buchhändler.

6        Auf eine im Jahr 1992 eingereichte Beschwerde der SIDE, eines Konkurrenzunternehmens des CELF, bejahte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften mit Entscheidung NN 127/92 vom 18. Mai 1993, deren Bekanntmachung am 25. Juni 1993 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABl. C 174, S. 6) veröffentlicht wurde, die Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt. Sie beschloss daher, keine Einwände zu erheben.

7        Mit Urteil vom 18. September 1995, SIDE/Kommission (T‑49/93, Slg. 1995, II‑2501), erklärte das Gericht die Entscheidung für nichtig, soweit sie die Beihilfe betraf, die ausschließlich dem CELF gewährt worden war, um die Mehrkosten für die Bearbeitung kleiner Bestellungen von Büchern in französischer Sprache durch im Ausland ansässige Buchhändler auszugleichen. Das Gericht war der Auffassung, dass die Kommission das in Art. 93 Abs. 2 EG-Vertrag (jetzt Art. 88 Abs. 2 EG) vorgesehene kontradiktorische Verfahren hätte einleiten müssen.

8        Mit der Entscheidung 1999/133/EG vom 10. Juni 1998 über die staatliche Beihilfe zugunsten der Coopérative d’exportation du livre français (CELF) (ABl. L 44, S. 37) stellte die Kommission die Rechtswidrigkeit der Beihilfen fest, erklärte sie aber erneut für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar.

9        Mit Urteil vom 28. Februar 2002, SIDE/Kommission (T‑155/98, Slg. 2002, II‑1179), erklärte das Gericht diese Entscheidung für nichtig, soweit die fraglichen Beihilfen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt worden waren, weil die Kommission in Bezug auf die Bestimmung des relevanten Marktes einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe.

10      Mit der Entscheidung 2005/262/EG vom 20. April 2004 betreffend die Beihilfe, die Frankreich zugunsten des Centre d’Exportation du Livre Français (CELF) durchgeführt hat (ABl. L 85, S. 27), bejahte die Kommission zum dritten Mal die Vereinbarkeit der Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt.

11      Mit Urteil vom 15. April 2008, SIDE/Kommission (T‑348/04, Slg. 2008, II‑625), erklärte das Gericht diese positive Entscheidung für nichtig, weil die Kommission einen Rechtsfehler begangen habe, als sie auf den Zeitraum vor dem 1. November 1993 Art. 87 Abs. 3 Buchst. d EG und nicht die in diesem Zeitraum geltenden materiell-rechtlichen Vorschriften angewandt habe, und weil sie außerdem einen offensichtlichen Beurteilungsfehler bei der Prüfung der Vereinbarkeit der streitigen Beihilfen begangen habe.

12      Am 8. April 2009 erließ die Kommission eine Entscheidung über die Erweiterung des im Jahr 1996 förmlich eingeleiteten Prüfungsverfahrens, um ihre Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfen im Licht des Urteils des Gerichts vom 15. April 2008, SIDE/Kommission, darzulegen und um der Französischen Republik, dem Beihilfeempfänger und anderen Beteiligten Gelegenheit zu geben, vor dem Erlass einer endgültigen Entscheidung erneut Stellung zu nehmen.

13      Mit Urteil vom 25. April 2009 eröffnete das Tribunal de commerce de Paris unter Berücksichtigung der finanziellen Situation des CELF gegenüber diesem Unternehmen ein Gläubigerschutzverfahren mit einem Beobachtungszeitraum von sechs Monaten.

14      Mit Urteil vom 9. September 2009 ordnete dieses Gericht nach der Feststellung, dass eine Lösung im Wege eines Vergleichs nicht erfolgt sei und eine Schuldenmasse bestehe, die einen Plan zur Fortsetzung der Geschäftstätigkeit ausschließe, das gerichtliche Vergleichsverfahren an und bestimmte einen Liquidator.

15      Nach den dem Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung mitgeteilten Informationen hat das CELF nach diesem letzten Urteil seine Tätigkeit eingestellt.

 Das Verfahren vor dem vorlegenden Gericht und die Vorlagefragen

16      Der Conseil d’État wurde mit Rechtsmitteln des CELF und des französischen Ministre de la Culture et de la Communication gegen ein Urteil der Cour administrative de Paris vom 5. Oktober 2004 befasst, das auf Antrag der SIDE dem Staat unter Androhung eines Zwangsgelds von 1 000 Euro für jeden Tag der Verspätung aufgegeben hatte, die Durchführung der Rückforderung der dem CELF gezahlten Beihilfen für kleinere Buchbestellungen durch ausländische Buchhändler binnen drei Monaten nach Zustellung des Urteils zu betreiben.

17      Im Rahmen dieser Rechtsmittel machten die Rechtsmittelführer u. a. geltend, die Cour administrative d’appel de Paris hätte für Recht erkennen müssen, dass im vorliegenden Fall die Tatsache, dass die Kommission die Beihilfen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt habe, der Verpflichtung zur Rückforderung dieser Beihilfen entgegenstehe, die sich grundsätzlich daraus ergebe, dass die Durchführung der Beihilfemaßnahmen unter Verstoß gegen Art. 88 Abs. 3 EG durch den Mitgliedstaat rechtswidrig sei.

18      Mit Urteil vom 29. März 2006 hat der Conseil d’État das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Erlaubt es Art. 88 EG einem Staat, dessen Beihilfe für ein Unternehmen rechtswidrig ist, wobei die Rechtswidrigkeit von den Gerichten dieses Staates mit der Begründung festgestellt worden ist, dass die Beihilfe nicht Gegenstand einer vorherigen Anmeldung bei der Kommission nach Maßgabe dieses Art. 88 Abs. 3 war, diese Beihilfe von dem Wirtschaftsteilnehmer, der sie erhalten hat, nicht zurückzufordern, weil die Kommission nach Anrufung durch einen Dritten die Beihilfe für mit den Vorschriften des Gemeinsamen Marktes vereinbar erklärt und damit die ausschließliche Kontrolle, die sie hinsichtlich dieser Vereinbarkeit ausübt, wirksam vorgenommen hat?

2.      Sind, falls diese Rückzahlungspflicht bestätigt wird, bei der Berechnung der Höhe der zu erstattenden Beträge die Zeiträume zu berücksichtigen, in denen die fragliche Beihilfe von der Kommission für mit den Vorschriften des Gemeinsamen Marktes vereinbar erklärt worden ist, bevor diese Entscheidungen vom Gericht für nichtig erklärt wurden?

19      In Beantwortung dieser Fragen hat der Gerichtshof mit Urteil vom 12. Februar 2008, CELF und Ministre de la Culture et de la Communication (C‑199/06, Slg. 2008, I‑469, im Folgenden: Urteil CELF I), für Recht erkannt:

„1.      Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG ist dahin auszulegen, dass das nationale Gericht nicht verpflichtet ist, die Rückforderung einer unter Verstoß gegen diese Vorschrift gewährten Beihilfe anzuordnen, wenn die Kommission … eine abschließende Entscheidung erlassen hat, mit der die genannte Beihilfe gemäß Art. 87 EG für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt wird. Nach dem Gemeinschaftsrecht ist es verpflichtet, dem Beihilfeempfänger aufzugeben, für die Dauer der Rechtswidrigkeit Zinsen zu zahlen. Im Rahmen seines nationalen Rechts kann es gegebenenfalls außerdem die Rückzahlung der rechtswidrigen Beihilfe anordnen, unbeschadet des Rechts des Mitgliedstaats, diese später erneut zu gewähren. Es kann auch veranlasst sein, Anträgen auf Ersatz von durch die Rechtswidrigkeit der Beihilfemaßnahme verursachten Schäden stattzugeben.

2.      In einer Verfahrenssituation wie der des Ausgangsverfahrens erstreckt sich die aus Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG resultierende Verpflichtung, die Auswirkungen der Rechtswidrigkeit einer Beihilfe zu beseitigen, für die Zwecke der Berechnung der vom Empfänger zu zahlenden Beträge und sofern keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, auch auf den Zeitraum zwischen der Entscheidung, mit der die Kommission die Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt hat, und der Nichtigerklärung dieser Entscheidung durch das Gemeinschaftsgericht.“

20      Auf der Grundlage dieser Antworten hat der Conseil d’État mit Urteil vom 19. Dezember 2008 dem Ministre de la Culture et de la Communication aufgegeben, beim CELF die Zinsen auf die rechtswidrigen Beihilfen für die Zeiträume beizutreiben

–        zwischen 1980, dem Jahr, in dem mit der Auszahlung der Beihilfen begonnen wurde, und dem Zeitpunkt der Vorlageentscheidung;

–        zwischen dem Zeitpunkt der Vorlageentscheidung und dem Zeitpunkt, an dem endgültig über die Vereinbarkeit dieser Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt entschieden sein wird oder sie endgültig zurückerstattet sein werden.

21      Was die Frage der Rückerstattung der gezahlten Beihilfen selbst angeht, ist er der Auffassung, dass die Entscheidung des Rechtsstreits aufgrund der nach dem Urteil CELF I erfolgten erneuten Nichtigerklärung durch das Gericht mit Urteil vom 15. April 2008, SIDE/Kommission, von einer Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhänge.

22      Der Conseil d’État hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Kann das nationale Gericht die Entscheidung über die Pflicht zur Rückerstattung einer staatlichen Beihilfe aussetzen, bis sich die Kommission in einer endgültigen Entscheidung zur Vereinbarkeit der Beihilfe mit den Vorschriften des Gemeinsamen Markts geäußert hat, wenn eine erste Entscheidung der Kommission, mit der diese Beihilfe für zulässig erklärt wurde, vom Gemeinschaftsrichter für nichtig erklärt worden ist?

2.      Kann ein Fall, in dem die Kommission die Beihilfe dreimal für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt hat, bevor diese Entscheidungen vom Gericht für nichtig erklärt wurden, einen außergewöhnlichen Umstand darstellen, der das nationale Gericht veranlassen kann, die Pflicht zur Rückerstattung der Beihilfe zu begrenzen?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

23      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein nach Art. 88 Abs. 3 EG mit einer Klage auf Rückzahlung einer rechtswidrigen staatlichen Beihilfe befasstes nationales Gericht die Entscheidung über diese Klage aussetzen kann, bis sich die Kommission nach einer früheren positiven Entscheidung zur Vereinbarkeit der Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt geäußert hat.

24      In den Randnrn. 61 und 63 des Urteils CELF I hat der Gerichtshof ausgeführt, dass

–        gemäß Art. 231 Abs. 1 EG das Gemeinschaftsgericht, wenn eine Nichtigkeitsklage begründet ist, die angefochtene Handlung für nichtig erklärt, mit der Folge, dass das Nichtigkeitsurteil des Gemeinschaftsgerichts die angefochtene Handlung mit Wirkung für und gegen alle Rechtsbürger rückwirkend beseitigt;

–        mit dem Tag der Nichtigerklärung einer positiven Entscheidung durch das Gemeinschaftsgericht die fraglichen Beihilfen so behandelt werden, als seien sie nicht durch die für nichtig erklärte Entscheidung für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt worden.

25      Folglich weist eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens Ähnlichkeit mit einer Situation auf, in der das nationale Gericht auf der Grundlage von Art. 88 Abs. 3 EG angerufen wurde, obwohl von der Kommission noch keine Entscheidung über die Vereinbarkeit einer zu prüfenden Beihilfe erlassen wurde.

26      Art. 88 Abs. 3 EG überträgt den nationalen Gerichten die Aufgabe, bis zu einer abschließenden Entscheidung der Kommission die Rechte der Einzelnen gegen eine mögliche Verletzung des in dieser Bestimmung enthaltenen Verbots durch die staatlichen Stellen zu schützen (Urteil CELF I, Randnr. 38).

27      Insoweit hat der Gerichtshof bereits im Urteil vom 11. Juli 1996, SFEI u. a. (C‑39/94, Slg. 1996, I‑3547, Randnrn. 44 und 50 bis 53), im Wesentlichen entschieden, dass

–        die Einleitung eines Prüfungsverfahrens durch die Kommission die nationalen Gerichte nicht von ihrer Verpflichtung entbinden kann, die Rechte der Einzelnen bei Verletzung der Verpflichtung zur vorherigen Unterrichtung zu schützen;

–        das nationale Gericht, wenn es wahrscheinlich ist, dass eine gewisse Zeit verstreichen wird, bevor es abschließend entscheiden wird – z. B. wenn es bei der Kommission Auskünfte zur Auslegung des Begriffs der staatlichen Beihilfe anfordert, zu dessen Auslegung es Veranlassung haben kann, oder wenn es dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorlegt –, zu beurteilen hat, ob vorläufige Maßnahmen anzuordnen sind, um die Interessen der Beteiligten zu schützen.

28      Er hat so die Verpflichtung des nationalen Gerichts hervorgehoben, die Prüfung von Anträgen auf Schutzmaßnahmen nicht auszusetzen.

29      Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG liegt der Sicherungszweck zugrunde, zu gewährleisten, dass eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe niemals durchgeführt wird. Die damit geschaffene Verhütungsregelung ist also darauf gerichtet, dass nur mit dem Gemeinsamen Markt vereinbare Beihilfen durchgeführt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Einführung eines Beihilfevorhabens ausgesetzt, bis die Zweifel an seiner Vereinbarkeit durch die abschließende Entscheidung der Kommission beseitigt sind (Urteil CELF I, Randnrn. 47 und 48).

30      Gegenstand der Aufgabe der nationalen Gerichte ist somit die Anordnung von Maßnahmen, die geeignet sind, die Rechtswidrigkeit der Durchführung der Beihilfen zu beseitigen, damit der Empfänger in der bis zur Entscheidung der Kommission noch verbleibenden Zeit nicht weiterhin frei über sie verfügen kann.

31      Eine Aussetzung der Entscheidung hätte faktisch dasselbe Ergebnis wie eine Zurückweisung des Antrags auf Schutzmaßnahmen. Sie führte nämlich dazu, dass vor der Entscheidung der Kommission gar keine Entscheidung über die Begründetheit dieses Antrags erginge. Sie liefe darauf hinaus, dass der Vorteil der Beihilfe während des Zeitraums des Durchführungsverbots aufrechterhalten bliebe, was mit dem Ziel des Art. 88 Abs. 3 EG selbst unvereinbar wäre und dieser Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit nähme.

32      Daher kann das nationale Gericht nicht die Entscheidung aussetzen, soll Art. 88 Abs. 3 EG nicht unter Verstoß gegen den Grundsatz der Effektivität der anwendbaren nationalen Verfahren seine praktische Wirksamkeit genommen werden.

33      Die Nichtigerklärung einer ersten positiven Entscheidung der Kommission durch den Gemeinschaftsrichter kann eine andere Lösung, die sich auf die Erwägung stützte, dass die Kommission die Beihilfe in einem solchen Fall später erneut für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklären könnte, nicht rechtfertigen.

34      Die Zielsetzung von Art. 88 Abs. 3 EG wird nämlich klar von dem Gedanken getragen, dass bis zum Erlass einer neuen Entscheidung durch die Kommission der positive Inhalt dieser Entscheidung nicht vorweggenommen werden darf.

35      Die Verpflichtung zu einer unverzüglichen Entscheidung über einen Antrag auf Schutzmaßnahmen verpflichtet das angerufene Gericht nicht, tatsächlich solche Maßnahmen zu erlassen.

36      Eine Verpflichtung zum Erlass von Schutzmaßnahmen besteht nur, wenn die Voraussetzungen, die solche Maßnahmen rechtfertigen, erfüllt sind, d. h., wenn die Qualifizierung als staatliche Beihilfe nicht zweifelhaft ist, wenn die Durchführung der Beihilfe unmittelbar bevorsteht oder die Beihilfe durchgeführt wurde und wenn keine außergewöhnlichen Umstände, die eine Rückforderung unangemessen erscheinen lassen, festgestellt worden sind. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, muss das nationale Gericht den Antrag zurückweisen.

37      Wenn das nationale Gericht über den Antrag entscheidet, kann es entweder die Rückzahlung der Beihilfen nebst Zinsen anordnen oder aber, wie die Kommission in Nr. 62 ihrer Bekanntmachung 2009/C 85/01) über die Durchsetzung des Beihilfenrechts durch die einzelstaatlichen Gerichte (ABl. 2009, C 85, S. 1) ausgeführt hat, die Einzahlung der Beträge auf ein Sperrkonto anordnen, damit der Empfänger nicht weiter über sie verfügen kann, unbeschadet der Zahlung von Zinsen für den Zeitraum zwischen der vorzeitigen Durchführung der Beihilfe und ihrer Einzahlung auf dieses Sperrkonto.

38      Dagegen würde das in Art. 88 Abs. 3 EG enthaltene Durchführungsverbot in diesem Stadium durch eine bloße Verurteilung zur Zahlung von Zinsen auf die Beträge, die auf den Konten des Unternehmens verbleiben würden, nicht gewahrt. Es steht keineswegs fest, dass ein Unternehmen, das rechtswidrig eine staatliche Beihilfe erhalten hat, falls es diese Beihilfe nicht erhalten hätte, bei einem Finanzinstitut ein Darlehen in entsprechender Höhe zu üblichen Marktbedingungen hätte erhalten und so vor der Entscheidung der Kommission über den fraglichen Betrag hätte verfügen können.

39      Nach allem besteht für das nationale Gericht in erster Linie die Pflicht, zu entscheiden, ob positiv oder negativ.

40      Folglich ist auf die erste Frage zu antworten, dass ein nationales Gericht, das nach Art. 88 Abs. 3 EG mit einem Antrag auf Rückforderung einer rechtswidrigen staatlichen Beihilfe befasst wird, seine Entscheidung über diesen Antrag nicht aussetzen kann, bis sich die Kommission nach der Nichtigerklärung einer früheren positiven Entscheidung zur Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt geäußert hat.

 Zur zweiten Frage

41      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Umstand, dass die Kommission drei aufeinanderfolgende, eine Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärende Entscheidungen erlassen hat, die sodann vom Gemeinschaftsrichter für nichtig erklärt worden sind, als solcher einen außergewöhnlichen Umstand darstellen kann, der geeignet ist, eine Begrenzung der Verpflichtung des Empfängers zur Rückzahlung dieser Beihilfe zu rechtfertigen, wenn diese unter Verstoß gegen Art. 88 Abs. 3 EG durchgeführt wurde.

42      Im Urteil CELF I hat der Gerichtshof die Möglichkeit offengelassen, bei der Prüfung des Umfangs der Verpflichtung, die Rechtswidrigkeit einer Beihilfe zu beseitigen, einschließlich des Falls, dass diese Verpflichtung auf die Zahlung von Zinsen begrenzt ist, außergewöhnliche Umstände zu berücksichtigen.

43      In Randnr. 65 dieses Urteils hat der Gerichtshof dem Empfänger rechtswidrig durchgeführter Beihilfen die Möglichkeit eingeräumt, sich auf außergewöhnliche Umstände zu berufen, aufgrund deren sein Vertrauen in die Ordnungsgemäßheit der Beihilfen geschützt sein konnte, und sich folglich gegen ihre Rückzahlung zu wenden.

44      Er hat in diesem Sinne in Anbetracht einer Verfahrenssituation im Ausgangsverfahren entschieden, in der bereits drei positive Entscheidungen der Kommission ergangen waren, von denen zwei für nichtig erklärt worden waren.

45      Der Gerichtshof hat jedoch sogleich im Wesentlichen hervorgehoben, dass ein berechtigtes Vertrauen des Beihilfeempfängers durch eine positive Entscheidung der Kommission weder begründet werden kann, wenn diese Entscheidung fristgemäß angefochten und sodann vom Gemeinschaftsrichter für nichtig erklärt wurde, noch, solange die Klagefrist noch nicht abgelaufen ist oder im Fall einer Klage das Gemeinschaftsgericht noch keine endgültige Entscheidung getroffen hat (Urteil CELF I, Randnrn. 66 bis 68).

46      Schließlich hat er klargestellt, dass die Antwort auf die Vorlagefrage nach Maßgabe einer Verfahrenssituation wie der des Ausgangsverfahrens erfolgte (Urteil CELF I, Randnr. 69).

47      Die Begründung war somit ihrem Aufbau nach geeignet, so verstanden zu werden, dass drei positive Entscheidungen gefolgt von fristgemäß erhobenen Nichtigkeitsklagen, von denen die ersten beiden Erfolg hatten und die dritte noch anhängig war, keinen außergewöhnlichen Umstand begründeten.

48      Der Wortlaut der zweiten in der vorliegenden Rechtssache gestellten Frage zeigt demgegenüber, dass das vorlegende Gericht im Gegenteil annimmt, dass das Aufeinanderfolgen von drei positiven Entscheidungen einen außergewöhnlichen Umstand darstellen könne.

49      Zum Zeitpunkt der Verkündung des Urteils CELF I waren die drei positiven Entscheidungen der Kommission bereits ergangen.

50      Ein einziges neues Ereignis ist vor der zweiten Vorlageentscheidung eingetreten, nämlich die Nichtigerklärung der dritten Entscheidung durch das Urteil des Gerichts vom 15. April 2008, SIDE/Kommission.

51      Ein solches Ereignis ist für sich genommen nicht geeignet, ein berechtigtes Vertrauen entstehen zu lassen und einen außergewöhnlichen Umstand zu begründen. Das ungewöhnliche Aufeinanderfolgen von drei Nichtigerklärungen bringt nämlich a priori die Schwierigkeit der Rechtssache zum Ausdruck und lässt keineswegs ein berechtigtes Vertrauen entstehen, sondern erscheint vielmehr geeignet, die Zweifel des Empfängers an der Vereinbarkeit der streitigen Beihilfe zu mehren.

52      Ein Aufeinanderfolgen von drei Nichtigkeitsklagen, denen sämtlich stattgegeben wird, mag zwar eine sehr seltene Situation sein. Solche Umstände sind jedoch Teil des normalen Funktionierens des gerichtlichen Systems, das Rechtssubjekten, die sich von den Folgen der Rechtswidrigkeit einer Beihilfe für betroffen halten, die Möglichkeit gibt, auf Nichtigerklärung aufeinanderfolgender Entscheidungen zu klagen, auf die sie diese Lage zurückführen.

53      In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens kann das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands auch nicht im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit angenommen werden, denn der Gerichtshof hat bereits im Wesentlichen entschieden, dass der Empfänger der Beihilfe, solange die Kommission keine Genehmigungsentscheidung erlassen hat und solange die Klagefrist gegen eine solche Entscheidung nicht abgelaufen ist, keine Gewissheit über die Rechtmäßigkeit der geplanten Beihilfe hat, so dass weder eine Berufung auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes noch auf den Grundsatz der Rechtssicherheit möglich ist (vgl. Urteil vom 29. April 2004, Italien/Kommission, C‑91/01, Slg. 2004, I‑4355, Randnrn. 66 und 67).

54      In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens kann das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands schließlich auch nicht im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angenommen werden. Denn die Beseitigung einer rechtswidrigen Beihilfe durch Rückforderung ist die logische Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit, so dass die Rückforderung dieser Beihilfe zwecks Wiederherstellung der früheren Lage grundsätzlich nicht als eine Maßnahme betrachtet werden kann, die außer Verhältnis zu den Zielen der Bestimmungen des EG-Vertrags über staatliche Beihilfen steht (vgl. u. a. Urteil vom 29. April 2004, Italien/Kommission, C‑298/00 P, Slg. 2004, I‑4087, Randnr. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass der Umstand, dass die Kommission drei aufeinanderfolgende, eine Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärende Entscheidungen erlassen hat, die sodann vom Gemeinschaftsrichter für nichtig erklärt worden sind, als solcher keinen außergewöhnlichen Umstand darstellen kann, der geeignet ist, eine Begrenzung der Verpflichtung des Empfängers zur Rückerstattung dieser Beihilfe zu rechtfertigen, wenn diese unter Verstoß gegen Art. 88 Abs. 3 EG durchgeführt wurde.

 Kosten

56      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Ein nationales Gericht, das nach Art. 88 Abs. 3 EG mit einem Antrag auf Rückforderung einer rechtswidrigen staatlichen Beihilfe befasst wird, kann seine Entscheidung über diesen Antrag nicht aussetzen, bis sich die Kommission der Europäischen Gemeinschaften nach der Nichtigerklärung einer früheren positiven Entscheidung zur Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt geäußert hat.

2.      Der Umstand, dass die Kommission der Europäischen Gemeinschaften drei aufeinanderfolgende, eine Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärende Entscheidungen erlassen hat, die sodann vom Gemeinschaftsrichter für nichtig erklärt worden sind, kann als solcher keinen außergewöhnlichen Umstand darstellen, der geeignet ist, eine Begrenzung der Verpflichtung des Empfängers zur Rückerstattung dieser Beihilfe zu rechtfertigen, wenn diese unter Verstoß gegen Art. 88 Abs. 3 EG durchgeführt wurde.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Französisch.