Language of document : ECLI:EU:C:2012:796

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

13. Dezember 2012(*)

„Nichtigkeitsklage – Institutionelles Recht – Kalender der Plenartagungen des Europäischen Parlaments für die Jahre 2012 und 2013 – Protokolle über die Festlegung der Sitze der Organe und bestimmter Einrichtungen und Dienststellen der Europäischen Union“

In den verbundenen Rechtssachen C‑237/11 und C‑238/11

betreffend zwei Nichtigkeitsklagen nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 17. Mai 2011,

Französische Republik, vertreten durch E. Belliard, G. de Bergues und A. Adam als Bevollmächtigte,

Klägerin,

unterstützt durch

Großherzogtum Luxemburg, vertreten durch C. Schiltz als Bevollmächtigten,

Streithelfer,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch C. Pennera, N. Lorenz und E. Waldherr als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagter,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Richterin R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie der Richter K. Lenaerts, G. Arestis, T. von Danwitz (Berichterstatter) und D. Šváby,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 2012,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. September 2012

folgendes

Urteil

1        Mit ihren Klageschriften in den Rechtssachen C‑237/11 und C‑238/11 beantragt die Französische Republik, die Beschlüsse des Europäischen Parlaments vom 9. März 2011 über den Tagungskalender des Parlaments für das Jahr 2012 und für das Jahr 2013 (im Folgenden: angefochtene Beschlüsse) für nichtig zu erklären.

 Rechtlicher Rahmen

2        Am 12. Dezember 1992 fassten die Regierungen der Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Art. 216 des EWG-Vertrags, Art. 77 des EGKS-Vertrags und Art. 189 des EAG-Vertrags im gegenseitigen Einvernehmen den Beschluss über die Festlegung der Sitze der Organe und bestimmter Einrichtungen und Dienststellen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. C 341, S. 1, im Folgenden: Beschluss von Edinburgh).

3        Auf der Regierungskonferenz, die zur Annahme des Vertrags von Amsterdam geführt hat, wurde der Text des Beschlusses von Edinburgh dem EU-, dem EG-, dem EGKS- und dem EAG-Vertrag als Protokoll Nr. 12 beigefügt.

4        Gegenwärtig sehen das dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügte Protokoll Nr. 6 sowie das dem EAG-Vertrag beigefügte Protokoll Nr. 3 über die Festlegung der Sitze der Organe und bestimmter Einrichtungen und Dienststellen der Europäischen Union (im Folgenden zusammen: Protokolle über die Sitze der Organe) in Buchst. a des einzigen Artikels, der Art. 1 Buchst. a des Beschlusses von Edinburgh entspricht, vor:

„Das Europäische Parlament hat seinen Sitz in Straßburg; dort finden die 12 monatlichen Plenartagungen einschließlich der Haushaltstagung statt. Zusätzliche Plenartagungen finden in Brüssel statt. Die Ausschüsse des Europäischen Parlaments treten in Brüssel zusammen. Das Generalsekretariat des Europäischen Parlaments und dessen Dienststellen verbleiben in Luxemburg.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

5        Am 3. März 2011 nahm die Konferenz der Präsidenten zwei Tagungskalenderentwürfe an, den einen für das Jahr 2012, den anderen für das Jahr 2013. Für Oktober 2012 sah der Entwurf zwei Plenartagungen vor, von denen die erste vom 1. bis zum 4. Oktober, die zweite vom 22. bis zum 25. Oktober stattfinden sollte. Für Oktober 2013 sah der Entwurf ebenfalls zwei Plenartagungen vor, von denen die erste vom 30. September bis zum 3. Oktober, die zweite vom 21. bis zum 24. Oktober stattfinden sollte.

6        Am 7. März 2011 legte der Europaabgeordnete Fox zwei Änderungsanträge zu diesen Entwürfen der Konferenz der Präsidenten vor.

7        Der erste Änderungsantrag zum Jahr 2012 lautete:

„Der Tagungskalender für 2012 sollte wie folgt geändert werden:

–        Tagung der 40. Woche (vom 1. bis zum 4. Oktober) streichen;

–        Tagung Oktober II (vom 22. Oktober bis zum 25. Oktober) in zwei getrennte Tagungen aufteilen:

–        Tagung 1: 22. und 23. Oktober;

–        Tagung 2: 25. und 26. Oktober.“

8        Der zweite Änderungsantrag zum Jahr 2013 lautete:

„Der Tagungskalender für 2013 sollte wie folgt geändert werden:

–        Tagung der 40. Woche (vom 30. September bis zum 3. Oktober) streichen;

–        Tagung Oktober II (vom 21. Oktober bis zum 24. Oktober) in zwei getrennte Tagungen aufteilen:

–        Tagung 1: 21. und 22. Oktober;

–        Tagung 2: 24. und 25. Oktober.“

9        Der erste Änderungsantrag zum Tagungskalender für das Jahr 2012 wurde mit 357 gegen 255 Stimmen bei 41 Enthaltungen angenommen.

10      Der so geänderte Tagungskalender für das Jahr 2012 sieht demnach vor, dass die zwei Plenartagungen des Monats Oktober in ein und derselben Woche stattfinden, nämlich am 22. und 23. sowie am 25. und 26. Oktober.

11      Der zweite Änderungsantrag zum Tagungskalender für das Jahr 2013 wurde mit 356 gegen 253 Stimmen bei 35 Enthaltungen angenommen.

12      Der so geänderte Tagungskalender für das Jahr 2013 sieht demnach vor, dass die zwei Plenartagungen des Monats Oktober in ein und derselben Woche stattfinden, nämlich am 21. und 22. sowie am 24. und 25. Oktober.

13      Die Französische Republik ist der Ansicht, dass die nach diesen Änderungen in der Sitzung des Parlaments vom 9. März 2011 angenommenen Beschlüsse gegen die Protokolle über die Sitze der Organe verstoßen, und hat daher die vorliegenden Klagen erhoben.

 Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

14      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 21. September 2011 ist das Großherzogtum Luxemburg in den Rechtssachen C‑237/11 und C‑238/11 als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Französischen Republik zugelassen worden.

15      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 9. Januar 2012 sind die Rechtssachen C‑237/11 und C‑238/11 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

16      Die französische Regierung beantragt,

–        die angefochtenen Beschlüsse für nichtig zu erklären;

–        dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

17      Das Parlament beantragt,

–        die Klagen als unzulässig abzuweisen;

–        hilfsweise, die Klagen als unbegründet abzuweisen, und

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

18      Das Großherzogtum Luxemburg beantragt,

–        die angefochtenen Beschlüsse für nichtig zu erklären;

–        dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

 Zu den Klagen

 Zur Zulässigkeit

19      Das Parlament stellt die Zulässigkeit der Klagen mit der Begründung in Frage, dass die Abstimmung über seinen Kalender ein Akt der internen Organisation sei, der nicht im Sinne des Art. 263 AEUV „anfechtbar“ sei.

20      Insoweit genügt die Feststellung, dass nach ständiger Rechtsprechung die Frage, ob die angefochtenen Beschlüsse ausschließlich die interne Organisation des Parlaments betreffen oder ob sie Rechtswirkungen Dritten gegenüber haben, untrennbar mit der Prüfung ihres Inhalts, also mit der Untersuchung der Begründetheit der Klagen, verbunden ist, so dass zur Prüfung der Begründetheit der Klagen überzugehen ist (Urteile vom 10. Februar 1983, Luxemburg/Parlament, 230/81, Slg. 1983, 255, Randnr. 30, vom 22. September 1988, Frankreich/Parlament, 358/85 und 51/86, Slg. 1988, 4821, Randnr. 15, und vom 28. November 1991, Luxemburg/Parlament, C‑213/88 und C‑39/89, Slg. 1991, I‑5643, Randnr. 16).

 Zur Begründetheit

 Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

21      Die Französische Republik macht einen einzigen Nichtigkeitsgrund geltend, mit dem sie rügt, dass die angefochtenen Beschlüsse gegen die Protokolle über die Sitze der Organe und damit gegen das Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament (C‑345/95, Slg. 1997, I‑5215), verstießen. Mit diesen Beschlüssen streiche das Parlament eine der zwölf monatlichen Plenartagungen, die jedes Jahr in Straßburg (Frankreich) abzuhalten seien.

22      Erstens sei das Parlament an seine Praxis bezüglich der in den Protokollen über die Sitze der Organe niedergelegten Dauer seiner Tagungen gebunden. Außerdem höhlte das Parlament diese Protokolle zum Teil aus, wenn es vorsähe, dass zwei der zwölf monatlichen Plenartagungen von vier auf zwei Tage verkürzt und in ein und derselben Woche des Monats Oktober abgehalten würden.

23      Zweitens unterbrächen die für Oktober festgelegten Tagungen die „Regelmäßigkeit“, in der die zwölf Plenartagungen nach Randnr. 29 des Urteils vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, stattfinden müssten.

24      Drittens habe der Gerichtshof in diesem Urteil festgestellt, dass zusätzliche Plenartagungen nur dann an einem anderen Arbeitsort festgelegt werden könnten, wenn das Parlament die zwölf ordentlichen Plenartagungen in Straßburg abhalte.

25      Schließlich könne sich das Parlament nicht auf die interne Organisation seiner Arbeiten berufen, um die angefochtenen Beschlüsse zu rechtfertigen.

26      Darauf entgegnet das Parlament zunächst, dass in den Protokollen über die Sitze der Organe nicht geregelt sei, wie lange eine monatliche Plenartagung dauere.

27      Vielmehr ergebe sich aus den Randnrn. 15 und 16 des Urteils vom 10. Juli 1986, Wybot (149/85, Slg. 1986, 2391), dass die Festsetzung der Dauer der Sitzungsperioden unter die interne Organisationsgewalt des Parlaments falle. Dieses Urteil beziehe sich zwar auf die jährliche Sitzungsperiode, doch gebe es keinen Grund, bezüglich der Bestimmung der Dauer der monatlichen Plenartagungen zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Da die Dauer einer Plenartagung nicht ausdrücklich festgelegt sei, könne das Parlament somit die Dauer der Plenartagungen nach Art. 232 AEUV frei festlegen.

28      Außerdem sei Art. 341 AEUV, wonach nur der „Sitz der Organe der Union … im Einvernehmen zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten bestimmt“ werde, eng auszulegen.

29      Daher habe der Gerichtshof in Randnr. 32 seines Urteils vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, darauf erkannt, dass die Mitgliedstaaten nicht in die interne Organisationsgewalt des Parlaments eingegriffen hätten, als sie ihm bezüglich der Organisation seiner Arbeiten bestimmte Zwänge auferlegt haben, die mit dem Erfordernis, seinen Sitz unter Beibehaltung der Pluralität seiner Arbeitsorte festzulegen, notwendig verbunden seien.

30      Die Bestimmung der Dauer der monatlichen Plenartagungen sei jedoch nicht erforderlich, um den Sitz des Organs festzulegen, so dass sie in die ausschließliche Zuständigkeit des Parlaments falle. Unter diesen Umständen sei es nicht Sache der Regierungen der Mitgliedstaaten, die Dauer der Plenartagungen in den Protokollen über die Sitze der Organe festzulegen, sondern das Parlament könne diese Dauer nach Art. 232 AEUV frei festlegen.

31      Schließlich trägt das Parlament vor, die Protokolle über die Sitze der Organe seien so zu lesen, dass seiner internen Organisationsgewalt praktische Wirksamkeit zukomme.

32      Insoweit macht das Parlament erstens geltend, dass es durch seine frühere Praxis bezüglich der Dauer seiner Plenartagungen nicht für die Zukunft gebunden sein könne. In Anbetracht der seit 1992 eingetretenen grundlegenden Änderungen seiner Befugnisse, seiner Zusammensetzung und seiner Arbeitsweise könne nämlich nicht verlangt werden, dass es seine vor dem Erlass des Beschlusses von Edinburgh bestehende Praxis aufrechterhalte. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass die Zahl zusätzlicher Plenartagungen in Brüssel stetig und erheblich zurückgegangen sei. Zwischen 1999 und 2004 habe die Zahl dieser zusätzlichen Plenartagungen jährlich zwischen sechs und acht betragen und sei von 2004 bis 2009 auf sechs, bis 2011 auf fünf und bis 2013 auf vier zurückgegangen. Dieser Rückgang der Zahl der zusätzlichen Plenartagungen spiegele ebenso wie die angefochtenen Beschlüsse die geänderte Arbeitsweise des Parlaments wider. Die Zahl der Ausschusssitzungen steige nämlich beständig an, so dass es seine Tätigkeit nunmehr eher in den Ausschüssen als in den Plenartagungen entfalte.

33      Zweitens versuche das Parlament mit den angefochtenen Beschlüssen, die Auswirkungen des Ortes, an dem sein Sitz festgelegt ist, auf seine Arbeitsweise abzumildern. Die praktische Wirksamkeit seiner internen Organisationsgewalt bedeute, dass es in der Lage sein müsste, die sich aus der Pluralität seiner Arbeitsorte ergebenden Nachteile zu begrenzen. Daher sei es seine Sache, die damit verbundenen – wirtschaftlichen sowie den Transport und die Umwelt betreffenden – Zwänge zu minimieren, indem es zwei Plenartagungen in ein und dieselbe Woche lege. Die sich aus der geografischen Streuung seiner Arbeitsorte ergebenden Kosten beliefen sich auf 160 Mio. Euro, und die Abhaltung von zwei Tagungen in Brüssel statt in Straßburg im September 2008 hätten Einsparungen von schätzungsweise 2,5 Mio. Euro ermöglicht.

34      Drittens beträfen die angefochtenen Beschlüsse für die zwei fraglichen Jahre nur zwei von zwölf Plenartagungen. Außerdem müssten, da im August keine Plenartagungen stattfänden, im Oktober ohnehin zwei Plenartagungen stattfinden. Was die Haushaltssitzung angehe, die in diesem Monat stattfinden müsse, so sei die Ausübung der haushaltsrechtlichen Befugnisse in der Plenartagung zwar weder überflüssig noch gegenstandslos, doch sei zu berücksichtigen, dass das Haushaltsverfahren nur einige Stunden einer Sitzungsperiode ausmache. Schließlich weist das Parlament darauf hin, dass die von der Französischen Republik geäußerte Befürchtung, die Dauer der monatlichen Plenartagungen werde generell verkürzt, rein hypothetisch sei.

35      In seinen Streithilfeschriftsätzen trägt das Großherzogtum Luxemburg erstens vor, dass das Parlament mit dem Erlass der angefochtenen Beschlüsse nicht von seiner internen Organisationsgewalt Gebrauch mache, um seine Arbeitsweise zu verbessern, sondern in Wirklichkeit versuche, selbst seinen Sitzort festzulegen. Zweitens sei zwischen den monatlichen Plenartagungen, die in Straßburg stattfänden, und den zusätzlichen Plenartagungen zu unterscheiden, die das Parlament in Brüssel abhalten dürfe. Diese verschiedenen Tagungen, die sich auch durch ihre Dauer unterschieden, da die in Brüssel stattfindenden kürzer sein müssten, seien nicht austauschbar. Bei den beiden in den angefochtenen Beschlüssen für die Monate Oktober 2012 und Oktober 2013 vorgesehenen Plenartagungen sei davon auszugehen, dass sie nur eine einzige monatliche Plenartagung bildeten. Daher sei die Zahl der monatlichen Plenartagungen, die in Straßburg stattfänden, unter Verstoß gegen die Protokolle über die Sitze der Organe auf elf verringert worden.

 Würdigung durch den Gerichtshof

36      Vorab ist auf die Vorgaben hinzuweisen, die sich aus dem Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, ergeben. Denn dieses Urteil betrifft zwar die Auslegung des Beschlusses von Edinburgh, doch wurde dieser unverändert in die Protokolle über die Sitze der Organe übernommen. Darüber hinaus sind sich die Parteien nicht nur darüber einig, dass dieses Urteil für die vorliegenden Rechtssachen einschlägig ist, sondern berufen sich für ihre abweichenden Auffassungen auch darauf.

37      Dieses Urteil beruht auf Erwägungen zum Zusammenhang zwischen der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Festlegung des Sitzes des Parlaments einerseits und dessen interner Organisationsbefugnis andererseits.

38      Zur Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Festlegung des Sitzes des Parlaments hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Ausübung dieser Zuständigkeit nicht nur die Verpflichtung umfasst, den Ort des Sitzes des Parlaments festzulegen, sondern angesichts der Pluralität der Arbeitsorte auch die Befugnis, diesen Begriff durch Angabe der Tätigkeiten, die dort erfolgen sollen, näher zu bestimmen (vgl. Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, Randnr. 24).

39      Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten damit zum Ausdruck bringen wollten, dass der – in Straßburg festgelegte – Sitz des Parlaments den Ort darstellt, an dem das Organ hauptsächlich zu ordentlichen Plenartagungen zusammentritt, und dazu zum einen verbindlich festgelegt haben, wie viele Plenartagungen dort stattfinden sollen, und zum anderen, dass das Parlament seine Haushaltsbefugnis, die es in Plenarsitzung wahrnimmt, während einer der ordentlichen Plenartagungen, die am Sitz des Organs abgehalten werden, auszuüben hat (vgl. Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, Randnrn. 25 und 28).

40      In Anbetracht dieser Erwägungen ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschluss von Edinburgh dahin auszulegen ist, dass er den Sitz des Parlaments als den Ort definiert, an dem in regelmäßigen Zeitabständen zwölf ordentliche Plenartagungen dieses Organs einschließlich derjenigen, auf denen das Parlament die ihm durch den Vertrag zugewiesenen Haushaltsbefugnisse auszuüben hat, abzuhalten sind. Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass zusätzliche Plenartagungen nur dann an einem anderen Arbeitsort festgelegt werden können, wenn das Parlament die zwölf ordentlichen Plenartagungen in Straßburg, dem Ort des Sitzes des Organs, abhält (vgl. Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, Randnr. 29).

41      Außerdem hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Mitgliedstaaten dadurch, dass sie den Sitz des Parlaments in dieser Weise festgelegt haben, nicht dessen interne Organisationsgewalt beeinträchtigt haben. Denn das Parlament ist zwar, so der Gerichtshof weiter, aufgrund dieser internen Organisationsgewalt berechtigt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um sein ordnungsgemäßes Funktionieren und den Ablauf seiner Verfahren sicherzustellen, doch müssen die dahin gehenden Beschlüsse die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Festlegung des Sitzes der Organe beachten (Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, Randnrn. 30 und 31).

42      Im Gegenzug haben die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit für die Festlegung des Sitzes der Organe die interne Organisationsbefugnis des Parlaments zu beachten und dafür zu sorgen, dass ein solcher Beschluss nicht das ordnungsgemäße Funktionieren dieses Organs behindert. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die dem Parlament durch den Beschluss von Edinburgh auferlegten Zwänge mit dem Erfordernis, seinen Sitz unter Beibehaltung der Pluralität seiner Arbeitsorte festzulegen, notwendig verbunden sind und im Übrigen nicht im Widerspruch zu der allgemeinen Praxis des Parlaments stehen (vgl. Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      In Anbetracht dieser Vorgaben ist zu prüfen, ob das Parlament, wie die Französische Republik vorträgt, dadurch gegen die Protokolle über die Sitze der Organe verstoßen hat, dass es für die Jahre 2012 und 2013 neben den zehn monatlichen Plenartagungen, die jeden Monat außer im August und im Oktober stattfinden, zwei Plenartagungen von je zwei Tagen in ein und derselben Oktoberwoche vorgesehen hat.

44      Insoweit steht fest, dass das Parlament mit den angefochtenen Beschlüssen nach den vom Europaabgeordneten Fox vorgeschlagenen Änderungen von den Entwürfen der Konferenz der Präsidenten abgewichen ist, soweit es die monatlichen Plenartagungen für die Monate Oktober 2012 und Oktober 2013 betrifft.

45      Die Entwürfe der Konferenz der Präsidenten sahen vor, jeden Monat eine Plenartagung in Straßburg abzuhalten, außer im August, für den keine Plenartagung vorgesehen war, und im Oktober, für den zwei Plenartagungen vorgesehen waren. Diese beiden Tagungen sollten im Jahr 2012 vom 1. bis zum 4. Oktober und vom 22. bis zum 25. Oktober und im Jahr 2013 vom 30. September bis zum 3. Oktober und vom 21. Oktober bis zum 24. Oktober stattfinden.

46      Diese Tagungskalenderentwürfe entsprachen der Praxis des Organs, und zwar sowohl insoweit, als es im August keine Plenartagungen gibt – weshalb diese Tagung in einem anderen Monat des Jahres zusätzlich zu der für diesen Monat bereits vorgesehenen Plenartagung stattfinden muss – als auch hinsichtlich der Dauer der monatlichen Plenartagungen. Denn diese Tagungen erstrecken sich, wie die Parteien in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend ausgeführt haben, nach der üblichen Praxis des Parlaments über vier Tage, nämlich von Montag, 17 Uhr, bis Donnerstag, 17 Uhr.

47      Wie sich aus den angefochtenen Beschlüssen ergibt, wurden die monatlichen Plenartagungen, die für das Jahr 2012 zunächst für den 1. bis 4. Oktober und den 22. bis 25. Oktober vorgesehen waren, durch zwei Tagungen ersetzt, die in ein und derselben Woche stattfinden sollten, nämlich am 22. und 23. Oktober und am 25. und 26. Oktober. Ebenso wurden die monatlichen Plenartagungen für das Jahr 2013, die zunächst für den 30. September bis 3. Oktober und den 21. bis 24. Oktober vorgesehen waren, durch Tagungen ersetzt, die in ein und derselben Woche stattfinden sollten, nämlich am 21. und 22. Oktober und am 24. und 25. Oktober.

48      Es ist festzustellen, dass die in den angefochtenen Beschlüssen dergestalt für Oktober 2012 und Oktober 2013 festgelegten Plenartagungen nicht den sich aus den Protokollen über die Sitze der Organe ergebenden Anforderungen entsprechen.

49      Erstens sind die Entstehungsgeschichte der angefochtenen Beschlüsse, der Wortlaut der ihnen zugrunde liegenden Änderungen und die Praxis des Parlaments zu prüfen.

50      Zunächst ergibt sich aus den in den Randnrn. 5 und 45 des vorliegenden Urteils angeführten Entwürfen der Konferenz der Präsidenten, dass sich der Entwurf des Kalenders der Plenartagungen für Oktober 2012 und Oktober 2013 von dem in den angefochtenen Beschlüssen vorgesehenen deutlich unterscheidet.

51      Sodann geht bereits aus dem Wortlaut der den angefochtenen Beschlüssen zugrunde liegenden Änderungen hervor, dass sie bezweckten, die erste für Oktober 2012 und Oktober 2013 vorgesehene Plenartagung zu „streichen“ und die zweite Plenartagung „aufzuteilen“.

52      Nach dem Wortlaut dieser Änderungen sollte folglich eine der beiden viertägigen Plenartagungen, die für den Monat Oktober der beiden fraglichen Jahre vorgesehen waren, gestrichen und die andere Plenartagung in zwei Tagungen von je zwei Tagen aufgeteilt werden.

53      Schließlich wird diese Lesart der angefochtenen Beschlüsse durch die Praxis des Parlaments selbst bestätigt, wie sie sich aus der Tagesordnung der Tagungen vom 22. und 23. Oktober sowie vom 25. und 26. Oktober 2012 ergibt.

54      Aus der Tagesordnung dieser Tagungen geht nämlich hervor, dass die erste am Montag, dem 22. Oktober, von 17 bis 23 Uhr und am Dienstag, dem 23. Oktober, von 8.30 bis 23 Uhr, die zweite am Donnerstag, dem 25. Oktober, von 9 bis 23 Uhr und am Freitag, dem 26. Oktober, von 9 bis 13.30 Uhr stattfand.

55      Die beiden für das Jahr 2012 neu geschaffenen Plenartagungen entsprechen daher nicht der Dauer einer einzigen ordentlichen Plenartagung, wie sie für die anderen Monate des Jahres 2012 festgelegt waren. Diese Tagungen beginnen nämlich gewöhnlich am Montag um 17 Uhr, enden an diesem Tag um 23 Uhr, werden am Dienstag von 9 bis 23 Uhr, am Mittwoch von 9 bis 23 Uhr und am Donnerstag ab 9 Uhr fortgesetzt, um an diesem Tag um 17 Uhr zu enden.

56      Diesem Kalendervergleich lässt sich entnehmen, dass die angefochtenen Beschlüsse objektiv zu einer erheblichen Verkürzung der Zeit führen, die das Parlament seinen Debatten oder Beratungen im Oktober 2012 und Oktober 2013 widmen kann. Im Verhältnis zu den ordentlichen Plenartagungen wird die Zeit, die für die Tagungen in diesen Monaten tatsächlich zur Verfügung steht, um über die Hälfte verkürzt.

57      Zweitens ergibt sich aus Randnr. 29 des Urteils vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, dass der Sitz des Parlaments der Ort ist, an dem in regelmäßigen Zeitabständen „zwölf ordentliche Plenartagungen“ dieses Organs abzuhalten sind, und dass diese zwölf Tagungen von „zusätzlichen Plenartagungen“ zu unterscheiden sind, die nur dann vorgesehen werden dürfen, wenn das Parlament die ordentlichen Plenartagungen tatsächlich abhält.

58      Diese Unterscheidung setzt voraus, dass eine Tagung nur dann in die Kategorie der „ordentlichen Plenartagungen“ fällt, wenn sie den anderen ordentlichen monatlichen Plenartagungen entspricht, die gemäß den Protokollen über die Sitze der Organe festgelegt wurden, insbesondere in Bezug auf die Dauer der Tagungen selbst.

59      Wie sich aber den Feststellungen in den Randnrn. 54 bis 56 des vorliegenden Urteils entnehmen lässt, entsprechen die Plenartagungen der Monate Oktober 2012 und Oktober 2013 hinsichtlich ihrer Dauer nicht den anderen ordentlichen monatlichen Plenartagungen, die in diesen Beschlüssen festgelegt wurden.

60      Drittens ist, was das Vorbringen des Parlaments zu seiner internen Organisationsgewalt betrifft, zwar unbestreitbar, dass das Parlament über diese Organisationsgewalt verfügt, doch muss es diese, wie in Randnr. 41 des vorliegenden Urteils ausgeführt, unter Achtung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Festlegung seines Sitzes ausüben, da den Protokollen über die Sitze der Organe die gegenseitige Achtung der jeweiligen Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten und des Parlaments zugrunde liegt.

61      Jedenfalls hat das Parlament im Verfahren vor dem Gerichtshof keine Gründe im Zusammenhang mit der Ausübung seiner internen Organisationsgewalt vorgebracht, die es – trotz seiner stetig wachsenden Befugnisse – rechtfertigen würden, die Dauer der beiden Plenartagungen der Monate Oktober 2012 und Oktober 2013 im Verhältnis zu den zehn anderen monatlichen Plenartagungen und der Praxis des Parlaments erheblich zu verkürzen.

62      Zum Vorbringen, die Zahl der Sitzungen der parlamentarischen Ausschüsse und der nunmehr in diesen Ausschüssen durchgeführten Arbeiten steige, ist festzustellen, dass eine solche Steigerung zwar weitgehend auf den stetigen Zuwachs der Befugnisse des Parlaments zurückzuführen ist, aber weder erklärt, inwieweit die in Plenarsitzung durchzuführende Arbeit abnehmen soll, noch, warum die Zunahme der Arbeit in den Ausschüssen sich ausgerechnet auf die Tagungen im Monat Oktober auswirken soll.

63      Zum einen hat das Parlament nämlich nicht erklären können, warum die in den Entwürfen der Konferenz der Präsidenten vorgesehene Dauer der zweiten Plenartagung im Oktober für das Jahr 2012 auf nur eineinhalb Tage verkürzt wurde.

64      Wie der Generalanwalt in Nr. 69 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hat der Vertreter des Parlaments, als er in der mündlichen Verhandlung zu diesem Punkt befragt wurde, keine Gründe vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass die Tagesordnung der zweiten im Oktober vorgesehenen Tagung entlastet sein werde, und er hat sogar eingeräumt, dass es dem Parlament nicht möglich sei, zum Zeitpunkt der Abstimmung über seinen Kalender den Inhalt der Tagesordnung der einzelnen Tagungen abzusehen.

65      Zum anderen widerspricht die Verkürzung der ersten Plenartagung auf eineinhalb Tage mit der Begründung, dass sich die Haushaltstagung in der Praxis nunmehr innerhalb kurzer Zeit abschließen lasse, der dieser Tagung zukommenden Bedeutung.

66      Die Bedeutung der Haushaltstagung wird nämlich dadurch hervorgehoben, dass sie in den Protokollen über die Sitze der Organe ausdrücklich erwähnt ist. Wie sich aus Randnr. 28 des Urteils vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, ergibt, wollten die Mitgliedstaaten mit der Klarstellung, dass die Haushaltstagung in Straßburg stattfindet, darauf hinweisen, dass das Parlament seine Haushaltsbefugnis, die es in Plenarsitzung wahrnimmt, während einer der ordentlichen Plenartagungen, die am Sitz des Organs abgehalten werden, auszuüben hat.

67      Insoweit genügt der Hinweis darauf, dass die Haushaltsbefugnisse des Parlaments seit der Verkündung dieses Urteils stetig angewachsen sind.

68      Somit stellt, wie das Parlament einräumt, die Ausübung seiner Haushaltszuständigkeit, die es in Plenarsitzung wahrnimmt, ein grundlegendes Element des demokratischen Lebens der Europäischen Union dar und muss daher mit der ganzen Aufmerksamkeit, Genauigkeit und Energie erfolgen, die eine solche Verantwortung erfordert. Die Ausübung dieser Zuständigkeit bedarf insbesondere einer öffentlichen Erörterung in Plenarsitzung, die es den Unionsbürgern ermöglicht, von den unterschiedlichen zum Ausdruck gebrachten politischen Ausrichtungen Kenntnis zu nehmen und sich damit eine politische Meinung über die Handlungen der Union zu bilden.

69      Unter diesen Umständen geht das auf das Urteil Wybot gestützte Vorbringen des Parlaments fehl, da die Festlegung der Plenartagungen für Oktober 2012 und Oktober 2013 nicht mit der Ausübung seiner internen Organisationsgewalt zur Festlegung der Dauer der monatlichen Plenartagungen begründet werden kann. Daraus ergibt sich auch, dass die vorliegenden Klagen nach der in Randnr. 20 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zulässig sind.

70      Schließlich ist es, selbst wenn die Pluralität seiner Arbeitsorte tatsächlich die vom Parlament im vorliegenden Verfahren geschilderten Nachteile und Kosten verursachen sollte, weder Sache des Parlaments noch des Gerichtshofs, insoweit Abhilfe zu schaffen, sondern gegebenenfalls Sache der Mitgliedstaaten in Ausübung ihrer Zuständigkeit, den Sitz der Organe festzulegen.

71      Nach alledem ist festzustellen, dass die beiden Plenartagungen, die in den angefochtenen Beschlüssen für Oktober 2012 und Oktober 2013 festgelegt sind, nicht als zwei monatliche Plenartagungen im Sinne der Protokolle über die Sitze der Organe angesehen werden können.

72      Daher sind die angefochtenen Beschlüsse für nichtig zu erklären, soweit sie für die Jahre 2012 und 2013 keine zwölf monatlichen Plenarsitzungen in Straßburg vorsehen.

 Kosten

73      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Parlament mit seinem Vorbringen unterlegen ist und die Französische Republik beantragt hat, ihm die Kosten aufzuerlegen, hat das Parlament die Kosten zu tragen. Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung trägt das Großherzogtum Luxemburg, das dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten ist, seine eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Beschlüsse des Europäischen Parlaments vom 9. März 2011 über den Tagungskalender des Parlaments für die Jahre 2012 und 2013 werden für nichtig erklärt, soweit sie für die Jahre 2012 und 2013 keine zwölf monatlichen Plenartagungen in Straßburg vorsehen.

2.      Das Europäische Parlament trägt die Kosten.

3.      Das Großherzogtum Luxemburg trägt seine eigenen Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Französisch.