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Vorabentscheidungsersuchen des Verfassungsgerichtshofs (Belgien), eingereicht am 7. Juli 2017 – Inter-Environnement Wallonie ASBL, Bond Beter Leefmilieu Vlaanderen ASBL/ Ministerrat

(Rechtssache C-411/17)

Verfahrenssprache: Französisch

Vorlegendes Gericht

Verfassungsgerichtshof

Parteien des Ausgangsverfahrens

Kläger: Inter-Environnement Wallonie ASBL, Bond Beter Leefmilieu Vlaanderen ASBL

Beklagter: Ministerrat

Vorlagefragen

1.     Sind Art. 2 Abs. 1 bis 3, 6 und 7, Art. 3 Abs. 8, Art. 5, Art. 6 Abs. 1, und Anhang I Nr. 2 von des Übereinkommens von Espoo „über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen“ gemäß den Präzisierungen in der „Background note on the application of the Convention to nuclear energy-related activities“ (Informationsdokument über die Anwendung des Übereinkommens auf Aktivitäten im Zusammenhang mit Kernenergie) und den „Good Practice recommendations on the application of the Convention to nuclear energy-related activities“ (Empfehlungen für gute Praktiken in Bezug auf die Anwendung des Übereinkommens und des Protokolls auf Aktivitäten im Zusammenhang mit Kernenergie) auszulegen?

2.     Ist Art. 1 Ziff. ix des Übereinkommens von Espoo, in dem die „zuständige Behörde“ definiert wird, dahin auszulegen, dass er Gesetzgebungsakte wie das Gesetz vom 28. Juni 2015 „zur Abänderung des Gesetzes vom 31. Januar 2003 über den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie für industrielle Stromerzeugung im Hinblick auf die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit“ vom Anwendungsbereich dieses Übereinkommens ausschließt, insbesondere in Anbetracht der verschiedenen Studien und Anhörungen, die im Rahmen der Annahme dieses Gesetzes durchgeführt wurden?

3.     a) Sind die Art. 2 bis 6 des Übereinkommens von Espoo dahin auszulegen, dass sie vor der Annahme eines Gesetzgebungsaktes wie das Gesetz vom 28. Juni 2015 „zur Abänderung des Gesetzes vom 31. Januar 2003 über den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie für industrielle Stromerzeugung im Hinblick auf die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit“, dessen Art. 2 das Datum der Deaktivierung und des Endes der industriellen Stromerzeugung der Kernkraftwerke Doel 1 und Doel 2 aufschiebt, anwendbar sind?

b)     Ist die Antwort auf die in Buchst. a enthaltene Frage unterschiedlich je nachdem, ob sie sich auf das Kernkraftwerk Doel 1 oder auf das Kernkraftwerk Doel 2 bezieht, in Anbetracht der Notwendigkeit, für das erstgenannte Kernkraftwerk Verwaltungsakte zur Ausführung des vorerwähnten Gesetzes vom 28. Juni 2015 zu erlassen?

c)     Kann die Stromversorgungssicherheit des Landes einen zwingenden Grund des öffentlichen Interesses darstellen, der es ermöglichen würde, von der Anwendung der Art. 2 bis 6 des Übereinkommens von Espoo abzuweichen und/oder ihre Anwendung auszusetzen?

4.     Ist Art. 1 Abs. 2 des Übereinkommens von Aarhus „über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten“ dahin auszulegen, dass er Gesetzgebungsakte wie das Gesetz vom 28. Juni 2015 „zur Abänderung des Gesetzes vom 31. Januar 2003 über den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie für industrielle Stromerzeugung im Hinblick auf die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit“ vom Anwendungsbereich dieses Übereinkommens ausschließt, gegebenenfalls in Anbetracht der verschiedenen Studien und Anhörungen, die im Rahmen der Annahme dieses Gesetzes durchgeführt wurden?

5.     a) Sind die Art. 2 und 6 in Verbindung mit Anhang I Nr. 1 des Übereinkommens von Aarhus, insbesondere in Anbetracht der „Maastricht Recommendations on Promoting Effective Public Participation in Decision-making in Environmental Matters“ (Maastrichter Empfehlungen zur Förderung der effektiven Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren in Umweltangelegenheiten) hinsichtlich eines mehrstufigen Entscheidungsverfahrens, dahin auszulegen, dass sie vor der Annahme eines Gesetzgebungsaktes wie das Gesetz vom 28. Juni 2015 „zur Abänderung des Gesetzes vom 31. Januar 2003 über den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie für industrielle Stromerzeugung im Hinblick auf die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit“, dessen Art. 2 das Datum der Deaktivierung und des Endes der industriellen Stromerzeugung der Kernkraftwerke Doel 1 und Doel 2 aufschiebt, anwendbar sind?

b)     Ist die Antwort auf die in Buchst. a enthaltene Frage unterschiedlich je nachdem, ob sie sich auf das Kernkraftwerk Doel 1 oder auf das Kernkraftwerk Doel 2 bezieht, in Anbetracht der Notwendigkeit, für das erstgenannte Kernkraftwerk Verwaltungsakte zur Ausführung des vorerwähnten Gesetzes vom 28. Juni 2015 zu erlassen?

c)     Kann die Stromversorgungssicherheit des Landes einen zwingenden Grund des öffentlichen Interesses darstellen, der es ermöglichen würde, von der Anwendung der Art. 2 bis 6 des Übereinkommens von Aarhus abzuweichen und/oder ihre Anwendung auszusetzen?

6.     a) Ist Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang II Nr. 13 Buchst. a der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, gegebenenfalls im Licht der Übereinkommen von Espoo und Aarhus gelesen, dahin auszulegen, dass er auf den Aufschub des Datums der Deaktivierung und des Endes der industriellen Stromerzeugung eines Kernkraftwerks, der – wie im vorliegenden Fall – beträchtliche Investitionen für die Kernkraftwerke Doel 1 und Doel 2 und das Nachrüsten bei der Sicherheit dieser Kernkraftwerke voraussetzt, anwendbar ist?

b)     Sind die Art. 2 bis 8 und 11 und die Anhänge I, II und III der Richtlinie 2011/92 in dem Fall, dass die in Buchst. a enthaltene Frage bejahend beantwortet wird, dahin auszulegen, dass sie vor der Annahme eines Gesetzgebungsaktes wie das Gesetz vom 28. Juni 2015 „zur Abänderung des Gesetzes vom 31. Januar 2003 über den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie für industrielle Stromerzeugung im Hinblick auf die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit“, dessen Art. 2 das Datum der Deaktivierung und des Endes der industriellen Stromerzeugung der Kernkraftwerke Doel 1 und Doel 2 aufschiebt, anwendbar sind?

c)     Ist die Antwort auf die in den Buchst. a und b enthaltenen Fragen unterschiedlich je nachdem, ob sie sich auf das Kernkraftwerk Doel 1 oder auf das Kernkraftwerk Doel 2 bezieht, in Anbetracht der Notwendigkeit, für das erstgenannte Kernkraftwerk Verwaltungsakte zur Ausführung des vorerwähnten Gesetzes vom 28. Juni 2015 zu erlassen?

d)     Ist Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie 2011/92 in dem Fall, dass die in Buchst. a enthaltene Frage bejahend beantwortet wird, dahin auszulegen, dass er es ermöglicht, den Aufschub der Deaktivierung eines Kernkraftwerks aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses, die mit der Stromversorgungssicherheit des Landes zusammenhängen, von der Anwendung der Art. 2 bis 8 und 11 der Richtlinie 2011/92 auszunehmen?

7.     Ist der Begriff „besonderer Gesetzgebungsakt“ im Sinne von Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen, dass er einen Gesetzgebungsakt wie das Gesetz vom 28. Juni 2015 „zur Abänderung des Gesetzes vom 31. Januar 2003 über den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie für industrielle Stromerzeugung im Hinblick auf die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit“ vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausschließt, insbesondere in Anbetracht der verschiedenen Studien und Anhörungen, die im Rahmen der Annahme dieses Gesetzes durchgeführt wurden und die Zielsetzungen der vorerwähnten Richtlinie verwirklichen könnten?

8.     a) Ist Art. 6 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, in Verbindung mit den Art. 3 und 4 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, gegebenenfalls im Licht der Richtlinie 2011/92 sowie im Licht der Übereinkommen von Espoo und Aarhus gelesen, dahin auszulegen, dass er auf den Aufschub des Datums der Deaktivierung und des Endes der industriellen Stromerzeugung eines Kernkraftwerks, der – wie im vorliegenden Fall – beträchtliche Investitionen für die Kernkraftwerke Doel 1 und Doel 2 und das Nachrüsten bei der Sicherheit dieser Kernkraftwerke voraussetzt, anwendbar ist?

b)     Ist Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 in dem Fall, dass die in Buchst. a enthaltene Frage bejahend beantwortet wird, dahin auszulegen, dass er vor der Annahme eines Gesetzgebungsaktes wie das Gesetz vom 28. Juni 2015 „zur Abänderung des Gesetzes vom 31. Januar 2003 über den schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie für industrielle Stromerzeugung im Hinblick auf die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit“, dessen Art. 2 das Datum der Deaktivierung und des Endes der industriellen Stromerzeugung der Kernkraftwerke Doel 1 und Doel 2 aufschiebt, anwendbar ist?

c)     Ist die Antwort auf die in den Buchst. a und b enthaltenen Fragen unterschiedlich je nachdem, ob sie sich auf das Kernkraftwerk Doel 1 oder auf das Kernkraftwerk Doel 2 bezieht, in Anbetracht der Notwendigkeit, für das erstgenannte Kernkraftwerk Verwaltungsakte zur Ausführung des vorerwähnten Gesetzes vom 28. Juni 2015 zu erlassen?

d)     Ist Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 92/43 in dem Fall, dass die in Buchst. a enthaltene Frage bejahend beantwortet wird, dahin auszulegen, dass er es ermöglicht, mit der Stromversorgungssicherheit des Landes zusammenhängende Gründe als zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses zu betrachten, insbesondere in Anbetracht der verschiedenen Studien und Anhörungen, die im Rahmen der Annahme des vorerwähnten Gesetzes durchgeführt wurden und die Zielsetzungen der vorerwähnten Richtlinie verwirklichen könnten?

9.     Könnte der einzelstaatliche Richter in dem Fall, dass er aufgrund der auf die vorstehenden Vorabentscheidungsfragen erteilten Antworten zu der Schlussfolgerung gelangen würde, dass das angefochtene Gesetz gegen eine der aus den vorerwähnten Übereinkommen oder Richtlinien sich ergebenden Verpflichtungen verstößt, ohne dass die Stromversorgungssicherheit des Landes einen zwingenden Grund des öffentlichen Interesses darstellen könnte, wodurch von diesen Verpflichtungen abgewichen werden könnte, die Folgen des Gesetzes vom 28. Juni 2015 aufrechterhalten, um Rechtsunsicherheit zu vermeiden und es zu ermöglichen, dass die aus den vorerwähnten Übereinkommen oder Richtlinien sich ergebenden Verpflichtungen zur Umweltverträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung eingehalten werden?

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