Language of document : ECLI:EU:C:2015:298

Rechtssache C‑146/13

Königreich Spanien

gegen

Europäisches Parlament
und

Rat der Europäischen Union

„Nichtigkeitsklage – Umsetzung einer verstärkten Zusammenarbeit – Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes – Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 – Art. 118 Abs. 1 AEUV – Rechtsgrundlage – Art. 291 AEUV – Übertragung von Befugnissen an Einrichtungen außerhalb der Europäischen Union – Grundsätze der Autonomie und der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 5. Mai 2015

1.        Rechtsangleichung – Gewerbliches und kommerzielles Eigentum – Patentrecht – Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung – Verordnung Nr. 1257/2012 über die Festlegung der Voraussetzungen für die Umsetzung der einheitlichen Wirkung – Gegenstand

(Verordnung Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 1 Abs. 2 und 2 Buchst. b und c)

2.        Handlungen der Organe – Wahl der Rechtsgrundlage – Kriterien – Verordnung Nr. 1257/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes – Erlass auf der Grundlage von Art. 118 Abs. 1 AEUV – Zulässigkeit

(Art. 4 AEUV und 118 Abs. 1 AEUV; Verordnung Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates)

3.        Nichtigkeitsklage – Gründe – Ermessensmissbrauch – Begriff

(Art. 263 AEUV)

4.        Handlungen der Organe – Verordnungen – Umsetzung durch die Mitgliedstaaten – Pflicht zur Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union – Begriff – Festlegung der Höhe der Jahresgebühren für Europäische Patente durch die Verordnung Nr. 1257/2012, um es dem Europäischen Patentamt zu ermöglichen, die Aufgaben zu erfüllen, die ihm von den an einer verstärkten Zusammenarbeit über das einheitliche Patent teilnehmenden Mitgliedstaaten übertragen werden sollen – Einbeziehung – Verstoß gegen Art. 291 AEUV wegen der Zuweisung von Befugnissen an die genannten Mitgliedstaaten und nicht an die Kommission oder an den Rat – Fehlen

(Art. 291 Abs. 1 und 2 AEUV; Verordnung Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 9 Abs. 1 Buchst. e und 2)

5.        Organe der Europäischen Union – Ausübung der Zuständigkeiten – Übertragung von Befugnissen – Vorliegen einer Übertragung von Befugnissen an das Europäische Patentamt oder an Mitgliedstaaten, die an einer verstärkten Zusammenarbeit über das einheitliche Patent teilnehmen – Fehlen

(Verordnung Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates)

6.        Nichtigkeitsklage – Zuständigkeit des Unionsrichters – Prüfung der Rechtmäßigkeit einer internationalen Übereinkunft oder eines nationalen Rechtsakts – Ausschluss

(Art. 263 AEUV)

7.        Handlungen der Organe – Verordnungen – Unmittelbare Geltung – Durchführungsbefugnis, die Mitgliedstaaten eingeräumt wird – Zulässigkeit

(Art. 288 Abs. 2 AEUV; Verordnung Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates)

1.        Gegenstand der Verordnung Nr. 1257/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes ist nicht die auch nur teilweise Festlegung der Voraussetzungen für die Erteilung Europäischer Patente – diese sind nicht im Unionsrecht, sondern allein im Übereinkommen über die Erteilung Europäischer Patente geregelt –, und sie integriert auch nicht das in dem Übereinkommen vorgesehene Verfahren zur Erteilung Europäischer Patente in das Unionsrecht.

Aus der in Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1257/2012 enthaltenen Einstufung der Verordnung als „besonderes Übereinkommen im Sinne von Artikel 142 des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente“ ergibt sich vielmehr zwangsläufig, dass diese Verordnung lediglich zum einen die Voraussetzungen festlegt, unter denen einem zuvor vom Europäischen Patentamt nach den Vorschriften des Übereinkommens erteilten Europäischen Patent auf Antrag seines Inhabers einheitliche Wirkung gewährt werden kann, und zum anderen diese einheitliche Wirkung definiert.

(vgl. Rn. 30, 31)

2.        Die Wahl der Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt der Union muss auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen, zu denen insbesondere Ziel und Inhalt des Rechtsakts gehören.

Zum Ziel der auf Art. 118 Abs. 1 AEUV gestützten Verordnung Nr. 1257/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes ist festzustellen, dass diese die Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes bezweckt und aus ihren Vorschriften der Wille des Unionsgesetzgebers hervorgeht, einen einheitlichen Schutz im Hoheitsgebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Daraus folgt, dass der durch diese Verordnung geschaffene einheitliche Patentschutz geeignet ist, einen unterschiedlichen Patentschutz in den teilnehmenden Mitgliedstaaten zu verhindern, und somit einen einheitlichen Schutz im Sinne von Art. 118 Abs. 1 AEUV bezweckt. Folglich stellt diese Bestimmung die geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung Nr. 1257/2012 dar.

Insoweit ermächtigt Art. 118 Abs. 1 AEUV den Unionsgesetzgeber, Maßnahmen zur Schaffung europäischer Rechtstitel über einen einheitlichen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums in der Union zu erlassen. Diese durch den Vertrag von Lissabon in den AEU-Vertrag eingeführte Bestimmung bezieht sich speziell auf die Verwirklichung und das Funktionieren des Binnenmarkts, der zu einem Bereich der geteilten Zuständigkeiten der Union gemäß Art. 4 AEUV gehört. Was im Übrigen die Worte „in der Union“ in dieser Bestimmung betrifft, haben, da die durch diese Vorschrift übertragene Zuständigkeit im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit ausgeübt wird, der auf diese Weise geschaffene europäische Rechtstitel für geistiges Eigentum und der durch diesen gewährte einheitliche Schutz nicht in der gesamten Union, sondern nur im Gebiet der teilnehmenden Mitgliedstaaten zu gelten.

(vgl. Rn. 39-41, 43, 44, 51, 52)

3.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 56)

4.        Die Festlegung der Höhe der nationalen Jahresgebühren für Europäische Patente und deren anteilige Verteilung gemäß Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1257/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes stellt die Durchführung eines verbindlichen Rechtsakts der Union im Sinne von Art. 291 Abs. 1 AEUV dar. Die Höhe der genannten Jahresgebühren muss nämlich die Kosten, die dem Europäischen Patentamt bei der Ausführung der zusätzlichen Aufgaben entstehen, die ihm im Sinne von Art. 143 des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente von den teilnehmenden Mitgliedstaaten übertragen werden sollten, zwangsläufig decken. Diese Aufgaben sind untrennbar mit der durch die Verordnung Nr. 1257/2012 eingeführten Umsetzung des einheitlichen Patentschutzes verbunden.

Außerdem kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, dass einheitliche Bedingungen zur Durchführung von Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1257/2012 erforderlich sein sollen, so dass die Zuweisung von Durchführungsbefugnissen an die teilnehmenden Mitgliedstaaten gegen Art. 291 Abs. 2 AEUV verstoßen würde. Art. 9 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung bestimmt zwar, dass die teilnehmenden Mitgliedstaaten dem Europäischen Patentamt die Aufgabe der Erhebung und Verwaltung der Jahresgebühren für Europäische Patente übertragen, doch geht aus keiner Vorschrift dieser Verordnung hervor, dass die Höhe dieser Jahresgebühren für alle teilnehmenden Mitgliedstaaten einheitlich sein müsste. Im Übrigen ergibt sich aus der Einstufung der Verordnung Nr. 1257/2012 als besonderes Übereinkommen im Sinne von Art. 142 des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente und dem Umstand, dass die Festlegung der Höhe der Jahresgebühren und deren anteiliger Verteilung einem engeren Ausschuss des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation obliegt, dass zwangsläufig die teilnehmenden Mitgliedstaaten und nicht die Kommission oder der Rat sämtliche zur Durchführung von Art. 9 Abs. 2 der Verordnung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen haben, da die Union anders als ihre Mitgliedstaaten keine Vertragspartei des Übereinkommens ist.

(vgl. Rn. 73-75, 78, 81-83)

5.        Da der Unionsgesetzgeber weder den an einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes teilnehmenden Mitgliedstaaten noch dem Europäischen Patentamt ihm aufgrund des Unionsrechts eigene Durchführungsbefugnisse übertragen hat, können die Grundsätze, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Bereich der Übertragung von Befugnissen, die nach freiem Ermessen auszuüben sind, aufgestellt wurden, keine Anwendung finden.

(vgl. Rn. 84, 87)

6.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 101, 102)

7.        Die unmittelbare Anwendbarkeit einer Verordnung setzt gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV voraus, dass die Verordnung in Kraft tritt und zugunsten oder zulasten der Rechtssubjekte Anwendung findet, ohne dass es irgendwelcher Maßnahmen zur Umwandlung in nationales Recht bedarf, sofern die betreffende Verordnung nicht den Mitgliedstaaten die Aufgabe überlässt, selbst die erforderlichen Rechts-, Verwaltungs- und Finanzvorschriften zu erlassen, damit die Bestimmungen der Verordnung durchgeführt werden können.

Dies ist bei der Verordnung Nr. 1257/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes der Fall, da der Unionsgesetzgeber es selbst den Mitgliedstaaten für die Zwecke der Anwendbarkeit der Bestimmungen der Verordnung überlassen hat, zum einen mehrere Maßnahmen im durch das Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente festgelegten rechtlichen Rahmen zu erlassen und zum anderen das einheitliche Patentgericht einzurichten, was, wie in den Erwägungsgründen 24 und 25 dieser Verordnung dargelegt, von grundlegender Bedeutung für die Gewährleistung des ordnungsgemäßen Funktionierens eines solchen Patents, für eine kohärente Rechtsprechung und folglich für Rechtssicherheit sowie Kosteneffizienz für Patentinhaber ist.

(vgl. Rn. 105, 106)