Language of document : ECLI:EU:C:2013:767

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

14. November 2013(*)

„Art. 267 AEUV – Begriff ‚Gericht‘ – Verfahren, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt – Unabhängigkeit – Offensichtliche Unzuständigkeit des Gerichtshofs“

In der Rechtssache C‑49/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Úřad průmyslového vlastnictví (Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 22. Januar 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Januar 2013, in dem Verfahren

MF 7 a.s.

gegen

MAFRA a.s.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, gemäß Art. 53 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. L 299, S. 25).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der MF 7 a.s. (im Folgenden: MF 7) und der MAFRA a.s. (im Folgenden: MAFRA) über einen Antrag von MF 7 auf Ungültigerklärung der Marken Mladá fronta DNES und MLADÁ FRONTA DNES von MAFRA.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 3 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2008/95 bestimmt:

„Jeder Mitgliedstaat kann vorsehen, dass eine Marke von der Eintragung ausgeschlossen ist oder im Falle der Eintragung der Ungültigerklärung unterliegt, wenn und soweit

d)      der Antragsteller die Eintragung der Marke bösgläubig beantragt hat.“

 Tschechisches Recht

4        Art. 3 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2008/95 wurde mit den §§ 4 und 32 des Gesetzes Nr. 441/2003 über die Marken (zákon č. 441/2003 Sb., o ochranných známkách) vom 3. Dezember 2003 in tschechisches Recht umgesetzt.

5        Gemäß § 4 Buchst. m dieses Gesetzes wird ein Zeichen nicht in das Register eingetragen, wenn offensichtlich ist, dass die Anmeldung nicht in gutem Glauben erfolgte.

6        Nach § 32 Abs. 1 dieses Gesetzes erklärt der Úřad průmyslového vlastnictví (Amt für gewerbliches Eigentum) in einem auf Antrag eines Dritten oder von Amts wegen eingeleiteten Verfahren eine Marke für ungültig, wenn sie entgegen § 4 eingetragen worden ist.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

7        Mladá fronta ist eine Tageszeitung, die seit 1945 von dem Unternehmen Mladá fronta in der Tschechischen Republik herausgegeben wird. Zur Bezeichnung dieser Herausgebertätigkeit werden das Zeichen „Mladá fronta“ sowie die Abkürzung „mf“ benutzt, auch wenn vor 1991 keines dieser Zeichen formal geschützt war.

8        1990 wurde von den Redaktionsmitgliedern der Tageszeitung Mladá fronta die MaF a.s. (im Folgenden: MaF) gegründet, die in demselben Jahr begann, die Tageszeitung Mladá fronta DNES herauszugeben. Am 31. August 1990 und am 19. Dezember 1990 wurden zwischen dem Unternehmen Mladá fronta und MaF zwei Geschäftsvereinbarungen geschlossen, in denen die Bedingungen für die Veröffentlichung der Tageszeitung Mladá fronta DNES festgelegt wurden. MaF trat in der Folge ihre Rechte zur Veröffentlichung dieser Tageszeitung an MAFRA ab, und die beiden Vereinbarungen wurden durch zwei Vereinbarungen vom 30. Dezember 1991 ersetzt.

9        Am 20. März 1991 reichte die Rechtsnachfolgerin des Unternehmens Mladá fronta, die Mladá fronta a.s., eine Anmeldung für die nationale Marke Mladá fronta ein, die am 28. Juli 1991 unter der Nr. 170613 für die Veröffentlichung regelmäßiger und unregelmäßiger Publikationen sowie von Druckereierzeugnissen und Auftragsdrucken, die Erbringung von Werbeleistungen, die Bereitstellung aller Arten von Inseraten und die Sicherstellung von Eildrucken in den Klassen 16, 35 und 41 im Sinne des Abkommens von Nizza vom 15. Juni 1957 über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken in revidierter und geänderter Fassung in das Markenregister eingetragen wurde.

10      Am 11. Oktober 1991 meldete MAFRA die nationalen Marken Mladá fronta DNES und MLADÁ FRONTA DNES an, die am 17. Februar 1994 unter den Nrn. 174995 und 174996 für Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Druckereierzeugnisse, Vertrieb, Handel, Verkauf, Reklame und Inserate, Rundfunk und Fernsehen, Agentur‑ und Vermittlertätigkeit, Druck‑ und Computerdienstleistungen sowie Meinungsumfragen in den Klassen 16, 35, 38 und 41 im Sinne des Abkommens von Nizza in das Markenregister eingetragen wurden.

11      Am 14. September 2012 reichte MF 7 beim Úřad průmyslového vlastnictví einen Antrag auf Ungültigerklärung der Marken Mladá fronta DNES und MLADÁ FRONTA DNES von MAFRA ein. Zur Stützung ihres Antrags machte MF 7 geltend, dass die Anmelderin der betreffenden Marken bei der Anmeldung nicht in gutem Glauben gehandelt habe, insbesondere im Hinblick auf das Bestehen älterer Rechte eines anderen Wirtschaftsteilnehmers, nämlich der Mladá fronta a.s., an dem Zeichen „Mladá fronta“.

12      Unter diesen Umständen hat der Úřad průmyslového vlastnictví das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 3 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie [2008/95] dahin auszulegen, dass für die Beurteilung, ob der Markenanmelder gutgläubig war, nur die Umstände relevant sind, die vor oder an dem Tag der Markenanmeldung offensichtlich waren, oder können als Nachweis dafür, dass der Anmelder gutgläubig war, unterstützend auch Umstände herangezogen werden, die nach der Einreichung der Anmeldung eingetreten sind?

2.      Ist es erforderlich, das Urteil vom 20. November 2001, Zino Davidoff und Levi Strauss (C‑414/99 bis C‑416/99, Slg. 2001, I‑8691), generell auf alle Fälle anzuwenden, in denen geprüft wird, ob der Markeninhaber einem Handeln zugestimmt hat, das eine Schwächung oder Beschränkung seiner ausschließlichen Rechte zur Folge haben kann?

3.      Kann das Bestehen guten Glaubens beim Anmelder der jüngeren Marke aus einer Situation abgeleitet werden, in der der Inhaber einer älteren Marke mit ihm Verträge geschlossen hat, wonach dieser der Herausgabe eines regelmäßig erscheinenden Druckerzeugnisses zugestimmt hat, dessen Bezeichnung seiner angemeldeten Marke ähnlich war, er der Eintragung dieses Druckerzeugnisses durch den Anmelder zugestimmt und ihn bei dessen Herausgabe unterstützt hat, obwohl in den betreffenden Verträgen die Frage des Rechts des geistigen Eigentums nicht ausdrücklich geregelt war?

4.      Lässt sich, soweit für die Beurteilung, ob der Markenanmelder gutgläubig war, auch die Umstände relevant sein können, die nach der Einreichung der Anmeldung eingetreten sind, das Bestehen guten Glaubens beim Anmelder unterstützend aus einer Situation ableiten, in der der Inhaber der älteren Marke wissentlich die Existenz der angefochtenen Marke über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren geduldet hat?

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

13      Nach Art. 53 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs kann der Gerichtshof, wenn er für die Entscheidung über eine Rechtssache offensichtlich unzuständig ist oder wenn ein Ersuchen oder eine Klage offensichtlich unzulässig ist, nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, ohne das Verfahren fortzusetzen.

14      Im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens ist diese Bestimmung anzuwenden.

15      Nach ständiger Rechtsprechung stellt der Gerichtshof zur Beurteilung der rein unionsrechtlichen Frage, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV handelt, auf eine Reihe von Merkmalen ab, wie z. B. gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit (vgl. u. a. Urteile vom 17. September 1997, Dorsch Consult, C‑54/96, Slg. 1997, I‑4961, Randnr. 23, vom 31. Mai 2005, Syfait u. a., C‑53/03, Slg. 2005, I‑4609, Randnr. 29, vom 14. Juni 2007, Häupl, C‑246/05, Slg. 2007, I‑4673, Randnr. 16, sowie vom 31. Januar 2013, Belov, C‑394/11, Randnr. 38).

16      Insbesondere kann eine nationale Einrichtung nicht als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV qualifiziert werden, soweit sie in Ausübung außergerichtlicher Funktionen – z. B. Funktionen administrativer Art – entscheidet (vgl. in diesem Sinne Urteil Belov, Randnr. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17      Die Entscheidung, die der Úřad průmyslového vlastnictví in einem Fall wie dem Ausgangsverfahren zu treffen hat, trägt indessen die Züge einer Entscheidung administrativer Art.

18      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach § 32 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 441/2003 das Verfahren zur Ungültigerklärung einer Marke vor dem Úřad průmyslového vlastnictví nicht nur auf Antrag eines Dritten, sondern von dieser Einrichtung auch von Amts wegen eröffnet werden kann, was dafür spricht, dass diese nicht als „Gericht“ qualifiziert werden kann, sondern die Merkmale eines Verwaltungsorgans aufweist.

19      Ferner kann, wie aus den schriftlichen Erklärungen der tschechischen Regierung und der Europäischen Kommission hervorgeht, gegen die Entscheidungen des Úřad průmyslového vlastnictví über die Ungültigkeit einer Marke ein Rechtsbehelf beim Präsidenten dieser Einrichtung eingelegt werden, wobei gegen dessen Entscheidungen ein Rechtsbehelf beim Verwaltungsgericht eingelegt werden kann, vor dem der Úřad průmyslového vlastnictví als Beklagter auftritt. Dieser Aufbau der Rechtsbehelfe gegen eine Entscheidung über die Ungültigkeit einer Marke macht den administrativen Charakter der Entscheidungen dieser Einrichtung deutlich.

20      Im Übrigen unterscheidet sich das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen in zweifacher Hinsicht von dem Ersuchen, das dem Urteil Häupl zugrunde lag, in dem der Gerichtshof den Obersten Patent‑ und Markensenat (Österreich) als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV anerkannt hat.

21      Zum einen ist der Oberste Patent‑ und Markensenat nämlich dafür zuständig, über Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen der Nichtigkeitsabteilung und der Beschwerdeabteilung des Patentamts zu entscheiden. Demgegenüber entscheidet, wie aus Randnr. 19 dieses Beschlusses hervorgeht, der Úřad průmyslového vlastnictví – die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehende Einrichtung – über Anträge auf Ungültigerklärung von Marken, was offensichtlich der Zuständigkeit der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts entspricht.

22      Zum anderen sind, wie aus Randnr. 18 des Urteils Häupl hervorgeht, die Mitglieder des Obersten Patent‑ und Markensenats in Ausübung ihres Amts unabhängig und an keine Weisungen gebunden. Ihre Unparteilichkeit wird dadurch gestärkt, dass die Ursachen, aus denen ihr Amt vorzeitig erlöschen kann, auf außergewöhnliche und genau festgelegte Gründe beschränkt sind.

23      Diese Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, die erforderlich sind, damit eine Einrichtung als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV qualifiziert werden kann, setzen voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung sowie die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Selbstablehnung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der genannten Stelle für Einflussnahmen von außen und an ihrer Neutralität in Bezug auf die einander gegenüberstehenden Interessen auszuräumen (vgl. u. a. Beschluss vom 14. Mai 2008, Pilato, C‑109/07, Slg. 2008, I‑3503, Randnr. 24, und Urteil vom 31. Januar 2013, D. und A., C‑175/11, Randnr. 97).

24      Aus den schriftlichen Erklärungen der tschechischen Regierung und der Kommission geht indessen offensichtlich hervor, dass die Gründe für eine mögliche Abberufung des Präsidenten des Úřad průmyslového vlastnictví durch die tschechische Regierung sowie die Amtszeit dieses Präsidenten nicht gesetzlich geregelt sind.

25      Nach alledem ist der Gerichtshof für die Beantwortung der vom Úřad průmyslového vlastnictví vorgelegten Vorabentscheidungsfragen offensichtlich unzuständig.

 Kosten

26      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei der vorlegenden Einrichtung anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Einrichtung. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) beschlossen:

Der Gerichtshof der Europäischen Union ist für die Beantwortung der vom Úřad průmyslového vlastnictví (Tschechische Republik) mit Beschluss vom 22. Januar 2013 vorgelegten Fragen offensichtlich unzuständig.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Tschechisch.