Language of document : ECLI:EU:C:2000:57

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

FRANCIS G. JACOBS

vom 27. Januar 2000 (1)

Rechtssache C-443/98

Unilever Italia SpA

gegen

Central Food SpA

0.
    Kann ein nationales Gericht in einem Zivilrechtsstreit über vertragliche Rechte Einzelner eine nationale technische Vorschrift unangewendet lassen, die der Kommission in Übereinstimmung mit der Richtlinie 83/189/EWG des Rates(2) mitgeteilt, aber vor Ablauf der in der Richtlinie festgesetzten Stillhaltefrist angenommen wurde? Diese Frage stellt sich vorliegend im Gefolge der Rechtsprechung des Gerichtshofes in der Rechtssache CIA Security International(3).

Gemeinschaftsrecht

1.
    Die Richtlinie 83/189 legt bestimmte Verfahren fest, die beim Erlass technischer Vorschriften durch die Mitgliedstaaten zu beachten sind. Wie sich aus den Begründungserwägungen der Richtlinie ergibt, sollen diese Verfahren die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes sicherstellen, indem Beschränkungen des freien Warenverkehrs verhindert werden, die daraus entstehen könnten, dass die Mitgliedstaaten uneingeschränkt jeweils eigene technische Vorschriften für die Vermarktung und die Verwendung von Waren in ihrem Gebiet erlassen. Die Richtlinie verpflichtet daher die Mitgliedstaaten im Wesentlichen, derartige Vorschriften vor ihrem Erlass mitzuteilen und anschließend ihren Erlass bis zum Ablauf einer gewissen Stillhaltefrist auszusetzen, damit die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten Gelegenheit erhalten, Stellungnahmen zu etwa entstehenden Handelshindernissen zu einem Zeitpunkt abzugeben, zu dem sie noch berücksichtigt werden können, und damit die Gesetzgebungsorgane der Gemeinschaft, falls sie es für geboten halten, Gelegenheit erhalten, selbst in dem betreffenden Bereich gesetzgeberisch tätig zu werden. Die wichtigsten Bestimmungen der Richtlinie 83/189 in ihrer geltenden Fassung sind im Folgenden aufgeführt.

2.
    Artikel 1 enthält unter anderem folgende Begriffsbestimmungen:

„1.    Erzeugnis: Alle Erzeugnisse, die gewerblich hergestellt werden sowie alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse;

2.    Technische Spezifikation: Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren;

    Unter den Begriff .Technische Spezifikation' fallen ferner die Herstellungsmethoden und Verfahren für die landwirtschaftlichenErzeugnisse ..., für die Erzeugnisse, die zur menschlichen und tierischen Ernährung bestimmt sind, und für die Arzneimittel ... sowie die Herstellungsmethoden und Verfahren für die anderen Erzeugnisse, sofern diese die Merkmale dieser Erzeugnisse beeinflussen.[(4)]

...

9.    Technische Vorschrift: Technische Spezifikationen ... deren Beachtung de jure oder de facto für die Vermarktung oder Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil diesen Staates verbindlich ist ...

10.    Entwurf einer technischen Vorschrift: Text einer technischen Spezifikation ... der sich in einem Stadium der Ausarbeitung befindet, in dem noch wesentliche Änderungen möglich sind.“

3.
    Artikel 8 bestimmt unter anderem:

„(1)    Vorbehaltlich des Artikels 10 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift ... Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.

...

Die Kommission unterrichtet die anderen Mitgliedstaaten unverzüglich über den Entwurf einer technischen Vorschrift und alle ihr zugegangenen Dokumente ...

(2)    Die Kommission und die Mitgliedstaaten können bei dem Mitgliedstaat, der einen Entwurf einer technischen Vorschrift unterbreitet hat, Bemerkungen vorbringen, die dieser Mitgliedstaat bei der weiteren Ausarbeitung der technischen Vorschrift so weit wie möglich berücksichtigt.

...“

4.
    Artikel 9 enthält folgende Bestimmungen:

„(1)    Die Mitgliedstaaten setzen den Entwurf einer technischen Vorschrift nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Eingang der Mitteilung gemäß Artikel 8 Absatz 1 bei der Kommission in Kraft.

(2)    Die Mitgliedstaaten setzen

-    ...

-    ... jeden ... Entwurf einer technischen Vorschrift nicht vor Ablauf von sechs Monaten

nach Eingang der Mitteilung gemäß Artikel 8 Absatz 1 bei der Kommission in Kraft, wenn die Kommission oder ein anderer Mitgliedstaat innerhalb von drei Monaten nach der Übermittlung eine ausführliche Stellungnahme abgibt, derzufolge die geplante Maßnahme Elemente enthält, die den freien Warenverkehr im Rahmen des Binnenmarktes beeinträchtigten könnten.

Der betroffene Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die Maßnahmen, die er aufgrund der ausführlichen Stellungnahme plant. Die Kommission äußert sich zu diesen Maßnahmen.

(3)    Die Mitgliedstaaten setzen den Entwurf einer technischen Vorschrift nicht vor Ablauf von zwölf Monaten nach Eingang der Mitteilung gemäß Artikel 8 Absatz 1 bei der Kommission in Kraft, wenn die Kommission innerhalb von drei Monaten nach diesem Zeitpunkt ihre Absicht bekannt gibt, für den gleichen Gegenstand eine Richtlinie, eine Verordnung oder Entscheidung im Sinne des Artikel 189 des Vertrages vorzuschlagen oder anzunehmen.

...“

Gemäß Artikel 9 Absatz 7 gelten diese Stillhalteverpflichtungen nicht, „wenn ein Mitgliedstaat aus dringenden Gründen, die durch eine ernste und unvorhersehbare Situation entstanden sind und sich auf den Gesundheitsschutz von Menschen und Tieren, auf den Erhalt von Pflanzen oder auf die Sicherheit beziehen, gezwungen ist, ohne die Möglichkeit einer vorherigen Konsultation in kürzester Frist technische Vorschriften auszuarbeiten, um sie unverzüglich zu erlassen und in Kraft zu setzen.“

5.
    Artikel 10 Absatz 1 der Richtlinie 83/189 sieht u. a. vor, dass die Artikel 8 und 9 nicht für technische Vorschriften gelten, durch die die Mitgliedstaaten „den verbindlichen Gemeinschaftsrechtsakten, mit denen technische Spezifikationen in Kraft gesetzt werden, nachkommen“.

6.
     Die Richtlinie 83/189 wurde, wie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, durch das Gesetz Nr. 317 vom 21. Januar 1986 in italienisches Recht umgesetzt(5). Artikel 1 dieses Gesetzes enthält in seiner geltenden Fassung(6)ähnliche, wenn auch nicht identische Begriffsbestimmungen wie die oben zitierten Bestimmungen der Richtlinie. Artikel 9 setzt im wesentlichen die Artikel 8, 9 und 10 der Richtlinie um. Diese Bestimmung sieht insbesondere vor, dass technische Vorschriften nicht vor Ablauf eines Zeitraums von drei Monaten nach ihrer Mitteilung an die Kommission in Kraft treten dürfen oder, je nach Fall, erst nach Ablauf von vier oder sechs Monaten erlassen werden dürfen, wenn innerhalb der Dreimonatsfrist eine ausführliche Stellungnahme der Kommission oder eine Stellungnahme eines Mitgliedstaats vorliegt, aus der sich mögliche Beeinträchtigungen des freien Handelsverkehrs ergeben, oder schließlich für einen Zeitraum von zwölf Monaten nicht erlassen werden dürfen, falls die Kommission innerhalb derselben Dreimonatsfrist bekannt gibt, dass ein Rechtsetzungsvorschlag auf Gemeinschaftsebene vorliegt.

7.
    Am 1. Oktober 1986 veröffentlichte die Kommission eine Mitteilung betreffend die Nichteinhaltung gewisser Bestimmungen der Richtlinie 83/189(7). In dieser Mitteilung unterstreicht die Kommission die Wichtigkeit der in der Richtlinie enthaltenen Mitteilungs- und Stillhalteverpflichtungen zur Verhinderung neuer technischer Handelsschranken. Abschließend stellt die Kommission fest:

„Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten sind daher klar und unzweideutig:

1.    Alle Entwürfe technischer Vorschriften, die unter die Richtlinie fallen, müssen notifiziert werden;

2.    außer in den von Artikel 9 Absatz 3[(8)] der Richtlinie geregelten Fällen, muss die Annahme der Entwürfe technischer Vorschriften automatisch drei Monate lang ausgesetzt werden;

3.    falls Einsprüche erhoben wurden oder eine Gemeinschaftsregelung geplant ist, muss die Annahme der Entwürfe technischer Vorschriften für weitere drei bzw. neun Monate ausgesetzt werden.

Wenn Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen im Rahmen dieses Informationsverfahrens nicht nachkommen, besteht die Gefahr einer ernsthaften Untergrabung des Binnenmarktes, die sich möglicherweise nachteilig auf den Handel auswirken könnte.

Wenn ein Mitgliedstaat eine technische Vorschrift erlässt, die in den Geltungsbereich der Richtlinie 83/189/EWG fällt, ohne vorher den Entwurf der Kommission zu notifizieren und die Stillhalteverpflichtung einzuhalten, dann ist nach Auffassung der Kommission die unter diesen Bedingungen erlassene Regelungnach der Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats gegenüber Dritten nicht durchsetzbar. Die Kommission ist daher der Auffassung, dass Beklagte von den nationalen Gerichten erwarten können, dass sie sich weigern, die Anwendung nationaler technischer Vorschriften, die nicht im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht notifiziert worden sind, zu erzwingen.“

8.
    In seinem Urteil vom 30. April 1996 in der Rechtssache CIA Security International(9) hat der Gerichtshof die von der Kommission in ihrer Mitteilung vertretene Auffassung untersucht und unter anderem entschieden, „dass die Artikel 8 und 9 der Richtlinie 83/189 dahin auszulegen sind, dass sie von Einzelnen vor dem nationalen Gericht herangezogen werden können, das die Anwendung einer nationalen technischen Vorschrift, die nicht gemäß der Richtlinie mitgeteilt wurde, ablehnen muss.“

Die in Rede stehende italienische Regelung und das Mitteilungsverfahren

9.
    Das italienische Gesetz Nr. 113 vom 3. August 1998(10) enthält Bestimmungen über die Etikettierung von Ursprungsangaben bei nativem Olivenöl extra, nativem Olivenöl und Olivenöl.

10.
    Zusammengefasst sieht Artikel 1 dieses Gesetzes vor, dass die genannten Öle nur dann mit einem Hinweis darauf, dass sie in Italien „erzeugt“ oder „hergestellt“ wurden, vermarktet werden dürfen, wenn der gesamte Ernte-, Erzeugungs-, Verarbeitungs- und Verpackungszyklus in Italien stattgefunden hat. Die Etikettierung von Öl, das vollständig oder teilweise in Italien aus Ölen mit Ursprung in anderen Ländern gewonnen wurde, muss diese Tatsache durch Angabe der betreffenden Prozentsätze sowie des oder der Herkunftsländer wiedergeben (Artikel 1 Absatz 2); jedes derartige Öl, das diese Angaben nicht aufweist, muss binnen vier Monaten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes abgesetzt sein oder nach diesem Zeitpunkt vom Markt genommen werden (Artikel 1 Absatz 4). Die Artikel 2 bis 4 des Gesetzes sind für den vorliegenden Fall nicht unmittelbar von Bedeutung, da Artikel 2 die getrennte Lagerung unterschiedlicher Öle durch Ölveredelungsbetriebe und Artikel 4 die Überwachung durch Zoll- und andere Behörden betrifft. Artikel 5 schließlich enthält einen Bußgeldkatalog für Verstöße; danach verwirkt jede Person, die natives oder natives Olivenöl extra produziert, für Verkaufszwecke besitzt oder in den Verkehr bringt, das nicht den Bestimmungen von Artikel 1 entspricht, ein Bußgeld in Höhe von 800 000 ITL pro 100 kg Öl.

11.
    Aus Angaben in der GURI geht hervor, dass der Entwurf des Gesetzes Nr. 313 am 27. Januar 1998 in das italienische Parlament eingebracht wurde; die Lesung fand im Senat im Februar und März 1998 und in der Abgeordnetenkammerim April und Juni statt, Letztere verabschiedete das Gesetz am 28. Juli, Erstere am 29. Juli 1998.

12.
    Zwischenzeitlich hatte die Kommission, die von dem Entwurf erfahren hatte, die italienischen Stellen aufgefordert, diesen gemäß der Richtlinie 83/189 mitzuteilen, was am 4. Mai 1998 erfolgte. Dem Gerichtshof liegen keine Erkenntnisse darüber vor, ob die italienischen Stellen gemäß Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 83/189 die Gründe, die den Erlass der Vorschrift erforderlich machten, mitgeteilt haben. Auch liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass von dem Dringlichkeitsverfahren gemäß Artikel 9 Absatz 7 Gebrauch gemacht wurde.

13.
    Die Kommission übermittelte daraufhin den Entwurf den Mitgliedstaaten und veröffentlichte 10. Juli 1998 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften(11) eine Mitteilung, in der sie angab, dass die in Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 83/189 vorgesehene Aussetzungsfrist von drei Monaten - ausdrücklich bezeichnet als „Zeitraum, in dem der Entwurf nicht angenommen werden darf“ - am 5. August 1998 ablaufe (obwohl die Angabe „4. August“, sofern die Mitteilung am 4. Mai erfolgte, zutreffender gewesen sein mag).

14.
    Im Anhang der Mitteilung im Amtsblatt wies die Kommission darauf hin, dass nach dem Urteil CIA Security International das nationale Gericht die Anwendung einer nationalen technischen Vorschrift, die nicht gemäß der Richtlinie 83/189 mitgeteilt worden sei, ablehnen müsse, so dass die betreffenden technischen Vorschriften gegenüber dem Einzelnen nicht mehr durchsetzbar seien.

15.
    Am 23. Juli 1998, also innerhalb der vorgenannten Dreimonatsfrist, teilte die Kommission den italienischen Stellen ihre Absicht mit, in dem von dem Gesetzentwurf erfassten Bereich Rechtsvorschriften zu erlassen, und forderte sie auf, die Annahme des Gesetzentwurfs gemäß Artikel 9 Absatz 3 der Richtlinie 83/189 für einen Zeitraum von zwölf Monaten nach der Mitteilung - also bis 4. Mai 1999 - auszusetzen.

16.
    Unbeschadet dessen wurde das Gesetz Nr. 313, nachdem es von den beiden Kammern des italienischen Parlaments verabschiedet worden war, am 3. August 1998, also zwei Tage vor Ablauf der in der Mitteilung im Amtsblatt genannten anfänglichen dreimonatigen Stillhaltefrist, durch Unterzeichnung des Präsidenten der Republik, des Ministerpräsidenten und des Landwirtschaftsministers erlassen. Am Tag darauf teilte die Kommission dem Ständigen Vertreter Italiens mit, dass sie ein Verfahren nach Artikel 169 des Vertrages (jetzt Artikel 226 EG) einleiten werde, falls das Gesetz in der GURI veröffentlicht werde, und erklärte, dass dieses Gesetz gegenüber dem Einzelnen nicht durchsetzbar sei, wenn es vor dem 4. Mai 1999 veröffentlicht werde.

17.
    Am 4. August 1998, also immer noch innerhalb der anfänglichen Dreimonatsfrist, erhielt die Kommission von der spanischen und portugiesischen Regierung zu dem Gesetzentwurf ausführliche Stellungnahmen im Sinne von Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie 83/189; am 5. August 1998 erhielt sie von der niederländischen Regierung Bemerkungen im Sinne von Artikel 8 Absatz 2.

18.
    Am 29. August 1998 wurde das Gesetz Nr. 313 in der am 3. August verabschiedeten Fassung in der GURI veröffentlicht und trat am folgenden Tag in Kraft.

Weitere Entwicklungen

19.
    Die obige Darstellung enthält eine Zusammenfassung der Lage im Zeitpunkt der Entstehung der Streitigkeit im Ausgangsverfahren. Um ein etwas vollständigeres Bild der maßgeblichen Umstände zu geben, sollen einige nachfolgende Entwicklungen dargestellt werden.

20.
    Am 22. Dezember 1998 erließ die Kommission mit der Verordnung (EG) Nr. 2815/98(12) die Regelung, die sie den italienischen Stellen angekündigt hatte. Die Verordnung regelt Ursprungsangaben bei nativem Olivenöl und nativem Olivenöl extra auf Etiketten und Verpackungen und verbietet derartige Angaben für Olivenöle und Oliventresteröle. Die Ursprungsangabe für natives Olivenöl oder natives Olivenöl extra besteht dabei in einer eingetragenen geschützten Ursprungsbezeichnung oder einer geschützten geographischen Angabe(13) oder dem Namen eines Mitgliedstaats, der Europäischen Gemeinschaft oder eines Drittlands. Wird als Ursprung ein Mitgliedstaat angegeben, so ist dies der Staat, in dem das Öl „gewonnen“ wurde; die Ölmühle, in der das Öl abgepresst wurde, muss sich also in diesem Staat befinden. Verschnitte müssen als solche gekennzeichnet werden, zusätzlich können aber, falls das Öl zu über 75 % in einem Mitgliedstaat gewonnen wurde, diese Tatsache sowie die zugehörigen Prozentanteile angegeben werden.

21.
    Die Verordnung Nr. 2815/98 gilt seit dem 1. April 1999.

22.
    Am 27. Januar 1999 übermittelte die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Artikel 169 EG-Vertrag an Italien, in der sie geltend machte, dass die Annahme und das Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 313 Artikel 9 der Richtlinie 83/189 verletzen. Zu einer Klage vor dem Gerichtshof scheint es danach nicht gekommen zu sein.

23.
    Die italienische Regierung ihrerseits erhob jedoch vor dem Gerichtshof am 17. März 1999 im Verfahren C-99/99 Klage gegen die Kommission und beantragte, die Verordnung Nr. 2815/98 für nichtig zu erklären. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, dass es Ziel einer Ursprungsangabe sei, den Verbraucher über Qualitätsmerkmale des Endprodukts zu unterrichten, dass diese Merkmale überwiegend von dem Ursprungsgebiet der Oliven abhingen und nicht davon, wo sie gepresst worden seien, und dass dies für gewöhnliches Olivenöl ebenso wie für natives Olivenöl oder natives Olivenöl extra gelte.

24.
    Darüber hinaus hat sich in der mündlichen Verhandlung ergeben, dass ein Gesetzentwurf zur Aufhebung der Artikel 1 und 2 des Gesetzes Nr. 313 vorliegt.

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

25.
    Am 25. September 1998 bestellte die Central Food SpA (im Folgenden: Central Food), die Beklagte des Ausgangsverfahrens, 648 Liter natives Olivenöl extra der Marke „Dante“ bei Van den Bergh, einer Abteilung der Unilever Italia SpA (im Folgenden: Unilever). Das Öl wurde am 29. September an Central Food geliefert. Wie aus den Erklärungen in der mündlichen Verhandlung hervorgeht, handelte es sich um Öl, das zu einem bestimmten Anteil aus Spanien und Griechenland stammte. Am 30. September 1998 schrieb Central Food an Unilever, dass die Etikettierung des gelieferten Öls nicht den Bestimmungen des Gesetzes Nr. 313 entspreche und dass daher die darüber ausgestellte Rechnung nicht beglichen werden könne. Sie forderte Unilever auf, das Öl zurückzunehmen und Öl zu liefern, dessen Etikettierung dem Gesetz entspreche.

26.
    Am 2. Oktober 1998 antwortete Unilever Central Food, dass die Kommission Italien aufgegeben habe, bis zum 4. Mai 1999 keine neuen nationalen Vorschriften über die Etikettierung von Olivenöl anzuwenden. Die Bestimmungen des Gesetzes Nr. 313 könnten daher bis zu diesem Datum keine Anwendung finden, so dass das gelieferte Olivenöl vollständig dem geltenden Recht entspreche.

27.
    Central Food weigerte sich indessen weiterhin, das Öl anzunehmen oder zu bezahlen, und machte geltend, dass ihre Ansicht von vielen Vertriebsunternehmen geteilt werde. Unilever beantragte daher bei der Pretura Circondariale Milano den Erlass eines Mahnbescheids gegen Central Food.

28.
    Am 6. November 1998 hat das genannte Gericht noch vor Anhörung von Central Food einen Beschluss erlassen, mit dem es dem Gerichtshof die nachfolgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

Kann ein nationales Gericht, bei dem der Antrag gestellt wird, einen Mahnbescheid wegen der Bezahlung einer Lieferung von nativem Olivenöl extra, dessen Etikettierung gegen das - im Mitgliedstaat verkündete und in Kraft getretene - nationale Gesetz (Gesetz Nr. 313 vom 3. August 1998) verstößt, zu erlassen, dieses Gesetz unangewendet lassen, da die Europäische Kommission im Anschluss an dieÜbermittlung und Prüfung des Entwurfes eines nationalen Gesetzes über die Ursprungsangabe für natives Olivenöl extra, natives Olivenöl und Olivenöl aufgrund von Artikel 9 Absatz 3 der Richtlinie 83/189 (über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften) beschlossen hat, den mitteilenden Staat unter Fristsetzung (bis zum 14. September 1999)(14) förmlich aufzufordern, bis zu einer gemeinschaftlichen Regelung auf dem Gebiet der Vermarktung von Olivenöl keine Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet zu erlassen?

Verfahren

29.
    Dem Gerichtshof liegen schriftliche Erklärungen von Unilever, der belgischen, der dänischen, der italienischen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission vor. Central Food hat, obwohl ihr Gelegenheit dazu gegeben worden ist, keine schriftlichen Erklärungen abgegeben. In der mündlichen Verhandlung haben sich Unilever, die italienische Regierung und die Kommission geäußert.

Zulässigkeit der Vorlagefrage

30.
    In der mündlichen Verhandlung ist erörtert worden, um welche Bestimmungen des Gesetzes Nr. 313 es im vorliegenden Rechtsstreit gehe, ob also um diejenigen, die sich auf die Verwendung des Begriffes „erzeugt (oder hergestellt) in Italien“ in Artikel 1 Absatz 1 beziehen, oder diejenigen, die gemäß Artikel 1 Absatz 2 die Etikettierung von Ölen betreffen, die ganz oder teilweise aus anderen Mitgliedstaaten stammen. Der Vertreter der italienischen Regierung hat geltend gemacht, das Vorabentscheidungsverfahren sei unzulässig, da nicht geklärt sei, welche Bestimmungen der Rechtsstreit betreffe.

31.
    Dem kann nicht gefolgt werden. Aus dem Vorlagebeschluss und der zugehörigen Verfahrensakte geht eindeutig hervor, dass der Rechtsstreit, den das nationale Gericht zu entscheiden hat, die Durchsetzbarkeit der Etikettierungsvorschriften des Gesetzes Nr. 313 betrifft und dass eine Entscheidung zu der Frage erbeten wird, ob diese Vorschriften im Licht der Richtlinie 83/189 durchsetzbar sind. Die Tatsache, dass nicht genau gesagt wird, gegen welche von zwei offensichtlich miteinander im Zusammenhang stehenden Vorschriften im Rahmen des Ausgangsverfahrens verstoßen worden sein soll, steht einer Behandlung der streitigen Fragen durch den Gerichtshof und einer Entscheidung über die Vorlagefrage des nationalen Gerichts nicht entgegen.

Anwendbare Fassung der Gemeinschaftsregelung

32.
    Eine weitere kurze Vorbemerkung betrifft die Frage, welche Fassung der Gemeinschaftsregelung hier anzuwenden ist.

33.
    Die Richtlinie 83/189 wurde durch die Richtlinie 98/34/EG(15), die am 10. August 1998 in Kraft trat(16), aufgehoben, und ihre Bestimmungen wurden kodifiziert und erweitert. Erst danach trat das Gesetz Nr. 313 in Kraft, und auch der Sachverhalt, der zu dem Rechtsstreit im Ausgangsverfahren führte, fand später statt. Ungeachtet dessen ist die Anwendbarkeit des Gesetzes hier nach der Richtlinie 83/189 zu beurteilen, da diese sowohl während der Lesungen des Gesetzentwurfs durch die italienischen Gesetzgebungsorgane als auch im Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes galt, ebenso während der anfänglichen dreimonatigen Stillhaltefrist und im Zeitpunkt des Zugangs sowohl der ausführlichen Stellungnahme der spanischen und portugiesischen Regierung, durch die sich die Stillhaltefrist auf sechs Monate verlängerte, als auch der Mitteilung der Kommission über die von ihr vorgesehene Gesetzgebung, durch die sich die Stillhaltefrist auf zwölf Monate verlängerte.

34.
    Ohnehin betreffen die Änderungen der Bestimmungen der Richtlinie 83/189 durch die Richtlinie 98/34 nicht die im vorliegenden Verfahren streitigen Fragen. Auch die Änderung der zuletzt genannten Richtlinie durch die Richtlinie 98/48/EG, die nur einen Monat nach ihrem Erlass erfolgte und die bis 5. August 1999 umgesetzt sein musste, betrifft nur die Erweiterung des Anwendungsbereichs der maßgeblichen Vorschriften auf „Dienste der Informationsgesellschaft“, insbesondere elektronische Dienstleistungen im Fernabsatz, und somit einen Bereich, der die vorliegend streitigen Fragen ebenfalls nicht berührt.

Zur Beantwortung der Frage

35.
    Es sind im Wesentlichen zwei Themenbereiche, die zur Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts zu untersuchen sind. Zunächst ist zu prüfen, ob es sich bei den genannten nationalen Regelungen um eine technische Vorschrift im Sinne der Richtlinie 83/189 handelt, deren Mitteilung im Entwurfsstadium vorgeschrieben ist. Ist dies der Fall, so ist festzustellen, welche Folgen die Nichteinhaltung einer der in Artikel 9 festgesetzten Stillhaltefristen hat, wenn zuvor die Mitteilungspflicht erfüllt wurde.

36.
    Bei der Untersuchung dieser Fragen werde ich mich auf die Etikettierungsvorschriften von Artikel 1 des Gesetzes beschränken, da imVorlagebeschluss speziell auf die Etikettierung Bezug genommen wird und sowohl aus den Verfahrensakten als auch aus den von Unilever vorgelegten Unterlagen hervorgeht, dass allein sie den Gegenstand des Ausgangsverfahrens bildet.

37.
    Zu bedenken ist, dass die Richtlinie 83/189 durch das Gesetz Nr. 317 vom 21. Juni 1986 in der jeweils geltenden Fassung umgesetzt wurde. Da die streitigen Fragen indessen stets ohne Bezug zur italienischen Gesetzgebung, mit der die Richtlinie umgesetzt wurde, erörtert wurden - die einzige Ausnahme bildet eine kurze Bezugnahme während der mündlichen Verhandlung -, beschränkt sich der Hauptteil meiner Untersuchung auf die Gemeinschaftsrichtlinie.

Handelt es sich bei den Etikettierungsvorschriften des Gesetzes Nr. 313 um technische Spezifikationen, auf die die Artikel 8 und 9 der Richtlinie 83/189 Anwendung finden?

38.
    Zunächst ist festzuhalten, dass die Frage, ob die übrigen Vorschriften des Gesetzes Nr. 313 technische Spezifikationen darstellen oder nicht, die Einordnung der Etikettierungsvorschriften selbst nicht berührt. Ein Gesetz kann unterschiedliche Bestimmungen enthalten, von denen ein Teil in den Anwendungsbereich der Richtlinie 83/189 fällt, ein anderer hingegen nicht.

39.
    Die italienische Regierung ist der Ansicht, (i) dass die Etikettierungsvorschriften von vornherein nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 83/189 fielen und/oder (ii) dass sie in Übereinstimmung mit der Richtlinie 79/112/EWG(17) erlassen worden seien, so dass gemäß Artikel 10 Absatz 1 der Richtlinie 83/189 die Artikel 8 und 9 keine Anwendung fänden.

Fallen die Etikettierungsvorschriften in den Anwendungsbereich der Richtlinie 83/189?

40.
    Die italienische Regierung macht geltend, dass es sich bei Etikettierungsvorschriften, die den Schutz des Verbrauchers durch zutreffende Information über das Ursprungsland auf dem Etikett bezwecken, nicht um technische Spezifikationen im Sinne von Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie 83/189 handele. Zwar sei zuzugestehen, dass die Richtlinie, wie sich aus dem ersten Unterabsatz zu Nummer 2 ergebe, Vorschriften über „Verkaufsbezeichnung, ... Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung“ betreffe. Damit seien aber nur gewerblich hergestellte Erzeugnisse gemeint. Erst der zweite Unterabsatz, der später hinzugefügt worden sei, habe die Definition der technischen Spezifikation auf „Herstellungsmethoden und -verfahren“ für landwirtschaftliche Erzeugnisse erweitert, „sofern sie die Merkmale dieser Erzeugnisse beeinflussen“. DieEtikettierungsvorschriften des Gesetzes Nr. 313 bezweckten nicht die Festlegung technischer Vorschriften für die Erzeugung von Olivenöl, da diese bereits in den Regelungen der gemeinsamen Marktordnung für Öle und Fette niedergelegt seien; die Etikettierungsvorschriften verhinderten weder die Vermarktung, noch stellten sie ein Hindernis für den freien Warenverkehr in der Gemeinschaft dar.

41.
    Die Kommission entgegnet, schon die Tatsache, dass die italienischen Stellen den Gesetzentwurf in Übereinstimmung mit der Richtlinie 318/389 mitgeteilt hätten, lasse auf das Vorliegen einer technischen Vorschrift schließen. Darüber hinaus handele es sich bei Etikettierungsvorschriften, unabhängig davon, ob sie für gewerbliche oder landwirtschaftliche Erzeugnisse gälten, um technische Spezifikationen gemäß Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie 83/189.

42.
    Das Argument der Kommission zur erfolgten Mitteilung des Gesetzestextes kann meines Erachtens nicht entscheidend für die Feststellung sein, dass es sich bei den fraglichen Vorschriften um technische Spezifikationen handelt. Die Mitteilung erfolgte nach Aufforderung durch die Kommission und nicht aus eigenem Antrieb der italienischen Stellen, auch wenn hätte erwartet werden können, dass diese ihre Vorbehalte, sofern sie der Auffassung waren, dass gewisse Teile des Gesetzes nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fielen, im Zeitpunkt der Mitteilung geltend machen, was aber eben nicht der Fall war.

43.
    Der Einwand der italienischen Regierung, dass es sich bei den vorliegenden Etikettierungsvorschriften nicht um technische Spezifaktionen handele, ist leicht zu widerlegen. Die Richtlinie in der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung versteht unter einem Erzeugnis „alle Erzeugnisse, die gewerblich hergestellt werden, sowie alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse“. Olivenöl ist ein landwirtschaftliches Erzeugnis. Darüber hinaus definiert die Richtlinie eine technische Spezifikation als eine solche, die „Merkmale für ein Erzeugnis ... wie Beschriftung“ vorschreibt. Die Beschriftung ist Gegenstand der vorliegend streitigen Rechtsvorschriften.

44.
    Das Argument, der freie Warenverkehr werde nicht beeinträchtigt, gründet augenscheinlich auf der Behauptung, dass die streitigen Etikettierungsvorschriften keine Verpflichtung enthielten, Italien als Ursprungsland auf dem Etikett anzugeben, sondern nur die Vorschriften festlegten, die der Etikettenverwender, falls er entsprechende Angaben mache, zu beachten habe. Da eine verbindliche Etikettierungspflicht demzufolge nicht bestehe, liege auch keine Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels vor.

45.
    Ich meine nicht, dass eine Etikettierungsvorschrift deshalb, weil sie unter bestimmten Umständen die Angabe bestimmter Einzelheiten nicht vorschreibt, sondern verbietet, keine Verpflichtung aufstellt. Darüber hinaus wirken sich die in Artikel 1 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 313 enthaltenen Vorschriften über Angaben bei Olivenöl nichtitalienischen Ursprungs - die im Ausgangsverfahren deshalb von Bedeutung sind, weil es sich bei dem streitgegenständlichen Olivenöl, wievorgetragen wurde, zum Teil um Öl griechischen und spanischen Ursprungs handelt - spezifisch auf den innergemeinschaftlichen Handel aus (Gleiches gilt infolgedessen auch für die Regelung in Artikel 1 Absatz 1).

46.
    Ich gelange daher ohne weiteres zu dem Schluss, dass die Etikettierungsvorschriften in Artikel 1 des italienischen Gesetzes Nr. 313 technische Spezifikationen im Sinne der Richtlinie 83/389 darstellen.

Wird die Richtlinie 79/112 mit den Etikettierungsvorschriften umgesetzt?

47.
    Artikel 10 Absatz 1 der Richtlinie 83/189 sieht eine Ausnahme für Vorschriften vor, durch die die Mitgliedstaaten verbindlichen Gemeinschaftsrechtsakten, mit denen technische Spezifikationen in Kraft gesetzt werden, nachkommen. Die italienische Regierung macht geltend, dass die streitigen Vorschriften die in Artikel 3 Absätze 1 und 7 der Richtlinie 79/112 festgelegte Verpflichtung erfüllten, den Ursprungs- oder Herkunftsort anzugeben, falls ohne diese Angabe ein Irrtum des Verbrauchers über den tatsächlichen Ursprung oder die wahre Herkunft des Lebensmittels möglich wäre.

48.
    Die Kommission ist der Ansicht, dass die genannten Bestimmungen der Richtlinie allgemein gefasst seien, wodurch den Mitgliedstaaten einen gewisser Spielraum eröffnet werde, den zu regeln gerade Aufgabe der Richtlinie 83/189 sei.

49.
    Es ist das erste Mal, dass der Gerichtshof aufgerufen ist, Artikel 10 Absatz 1 der Richtlinie 83/189 auszulegen oder festzustellen, was unter der Wendung „verbindlichen Gemeinschaftsrechtsakten, mit denen technische Spezifikationen in Kraft gesetzt werden, nachkommen“ zu verstehen ist. Die Richtlinie 79/112 stellt jedenfalls einen verbindlichen Gemeinschaftsrechtsakt dar; Artikel 22 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, ihre Rechtsvorschriften der Richtlinie anzupassen. Auch handelt es sich bei den Etikettierungsvorschriften, wie bereits oben dargelegt, um technische Spezifikationen.

50.
    Gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 79/112 enthält die „Etikettierung der Lebensmittel nur folgende zwingende Angaben:

...

7.    den Ursprungs- oder Herkunftsort, falls ohne diese Angabe ein Irrtum des Verbrauchers über den tatsächlichen Ursprung oder die wahre Herkunft des Lebensmittels möglich wäre“.

51.
    Es ist nur schwer nachzuvollziehen, wie die streitigen italienischen Vorschriften eine Umsetzung dieser Bestimmung darstellen können, wenn sie, wie die italienische Regierung vorträgt, keine Verpflichtung zur Ursprungsangabe auf Etiketten enthalten, die Bestimmung aber eine solche Angabe gerade verlangt.

52.
    Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, wurde die Richtlinie 79/112 im Übrigen durch Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 322 vom 18. Mai 1982(18), dessen Artikel 3 Buchstabe g für die Etikettierung von Lebensmitteln die Angabe „des Ursprungs- oder Herkunftsorts“ vorsieht, in italienisches Recht umgesetzt. Da die genannte Bestimmung keine weiteren Festlegungen enthält, ist davon auszugehen, dass die dort genannten Angaben immer und nicht nur in den Fällen erforderlich sind, wenn ohne sie ein Irrtum des Verbrauchers möglich wäre(19). Daher sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass für die vollständige Umsetzung der Richtlinie 79/112 weitere Etikettierungsvorschriften, wie sie das Gesetz Nr. 313 enthält, notwendig gewesen wären.

53.
    Schließlich stellt auch die Tatsache, dass die italienische Regierung den Gesetzestext nach Aufforderung durch die Kommission in Übereinstimmung mit der Richtlinie 83/189 mitteilte, zwar keinen schlüssigen Nachweis dafür dar, dass es sich bei den Etikettierungsvorschriften um technische Spezifikationen handelt, sehr wohl aber einen Hinweis darauf, dass die italienische Regierung selbst zum damaligen Zeitpunkt nicht davon ausging, mit ihrer Gesetzgebung verbindlichen Gemeinschaftsrechtsakten nachzukommen, da in diesem Fall eine Mitteilung gemäß der Richtlinie nicht erforderlich gewesen wäre. Auch läge eine kaum nachvollziehbare Verkettung von Umständen vor, wenn es die italienischen Stellen über viele Jahre bei einer unvollständigen Umsetzung von Artikel 3 Absätze 1 und 7 der Richtlinie 79/112 belassen, es dann aber für notwendig erachtet haben sollten, diese Unvollständigkeit gerade im Hinblick auf Olivenöl in solcher Eile zu beheben, dass sie sich veranlasst sahen, die Aufforderung der Kommission zu missachten, angesichts einer bevorstehenden gemeinschaftsrechtlichen Regelung das Gesetzgebungsverfahren für einen gewissen Zeitraum auszusetzen, und es zugleich unterlassen haben sollten, im Rahmen der von Kommission verlangten Mitteilung darauf hinzuweisen, dass eine Umsetzung der Richtlinie 79/112 vorliege.

54.
    Ich gelange daher zum Schluss, dass die Etikettierungsvorschriften des Gesetzes Nr. 313 technische Spezifikationen darstellen, die der Kommission, da sie nicht unter die Ausnahmeregelung nach Artikel 10 Absatz 1 der Richtlinie 83/189 fallen, im Entwurfsstadium mitzuteilen waren.

Gab es Verstöße gegen die Stillhalteverpflichtungen, und welche Rechtsfolgen hatten sie gegebenenfalls?

Verstöße gegen die Stillhalteverpflichtungen nach Artikel 9 der Richtlinie 83/189

- Dreimonatsfrist

55.
    Zunächst liegt ein Verstoß gegen Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie vor, wonach Mitgliedstaaten den Entwurf einer technischen Vorschrift nicht vor Ablauf von drei Monaten nach Eingang der Mitteilung gemäß Artikel 8 Absatz 1 bei der Kommission annehmen dürfen.

56.
    Der Entwurf des italienischen Gesetzes Nr. 313 wurde der Kommission am 4. Mai 1998 mitgeteilt. Die Stillhaltefrist gemäß Artikel 9 Absatz 1 endete daher entweder am 4. oder 5. August, je nachdem, wie sich das Ende der Dreimonatsfrist berechnet.

57.
    Dennoch wurde der streitige Gesetzentwurf am 3. August 1998 und damit jedenfalls vor Ablauf der Stillhaltefrist angenommen. An diesem Tag unterzeichneten der Präsident, der Premierminister und der Landwirtschaftsminister das Gesetz, das zuvor am 28. Juli von der Abgeordnetenkammer und am 29. Juli 1998 vom Senat verabschiedet worden war.

58.
    Die Tatsache, dass das Gesetz erst am 30. August 1998, einen Tag nach seiner Veröffentlichung in der GURI und damit nach Ablauf der Stillhaltefrist in Kraft trat, berührt die festgestellte Verletzung von Artikel 9 Absatz 1 nicht. Dies zum einen deshalb, weil es nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung auf die Annahme des Entwurfs einer technischen Vorschrift und nicht auf deren Inkrafttreten ankommt. Zum anderen spricht Artikel 9 Absatz 1 von „Entwurf einer technischen Vorschrift“. Gemäß Artikel 1 Nummer 10 der Richtlinie liegt nur so lange ein Entwurf einer technischen Vorschrift vor, wie er sich „im Stadium der Ausarbeitung befindet, in dem noch wesentliche Änderungen möglich sind“. Da ein Gesetzentwurf spätestens dann nicht mehr geändert werden kann, wenn die laut Verfassung zuständigen Organe ihn unterzeichnet haben, ist es ausgeschlossen, dass der Begriff „Annahme“ in Artikel 9 Absatz 1 das Inkrafttreten durch Veröffentlichung meint. Darüber hinaus widerspräche eine andere Auslegung dem Ziel von Artikel 9 Absatz 1, der sicherstellen soll, dass technische Vorschriften nicht angenommen werden und in Kraft treten, ohne dass Einwände wirksam vorgebracht und im Entwurfsstadium Berücksichtigung finden können. Dieses Ziel würde vereitelt, wenn ein Mitgliedstaat unmittelbar nach erfolgter Mitteilung eine endgültige Fassung des Gesetzes annehmen und nur das Inkrafttreten bis zum Ende der Stillhaltefrist aussetzen würde.

- Zwölfmonatsfrist

59.
    Italien verstieß auch gegen Artikel 9 Absatz 3 der Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten den Entwurf einer technischen Vorschrift nicht vor Ablauf von zwölf Monaten nach dem Zeitpunkt der Mitteilung annehmen dürfen, wenn die Kommission innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt der Mitteilung ihre Absicht bekannt gibt, für den gleichen Gegenstand eine Richtlinie, eineVerordnung oder eine Entscheidung vorzuschlagen oder anzunehmen. Italien nahm das Gesetz an, obwohl eine entsprechende Bekanntgabe durch die Kommission am 23. Juli 1998 erfolgte.

- Sechsmonatsfrist

60.
    Hinsichtlich des Artikels 9 Absatz 2 der Richtlinie werde ich die Frage offen lassen, ob die dort geregelte sechsmonatige Stillhaltefrist in Gang gesetzt wurde. Um diese Frage zu beantworten, wäre es erforderlich, den Begriff „Eingang“ in Artikel 9 Absatz 2 und die Berechnung des Endzeitpunkts der anfänglichen Dreimonatsfrist zu untersuchen. Dies ist indes meiner Ansicht nach nicht erforderlich, da die Annahme des Gesetzes Nr. 313 auf jeden Fall eine Verletzung von Artikel 9 Absätze 1 und 3 der Richtlinie darstellt.

Rechtsfolgen der Verstöße gegen die Stillhaltverpflichtungen gemäß Artikel 9 der Richtlinie 83/189

61.
    Als erste mögliche Folge der festgestellten Verstöße kommen eine Vertragsverletzungsklage der Kommission oder der anderen Mitgliedstaaten oder auch Schadensersatzklagen in Betracht.

62.
    Eine zweite mögliche Folge des Verstoßes Italiens gegen die Stillhalteverpflichtung spricht das nationale Gericht mit seiner Vorlagefrage an. Das vorlegende Gericht fragt im Wesentlichen, ob in Zivilrechtsverfahren zwischen Einzelnen über vertragliche Rechte und Pflichten ein nationales Gericht technische Vorschriften unangewendet lassen kann, die zwar der Kommission in Übereinstimmung mit den Vorschriften der Richtlinie übermittelt, aber vor Ablauf der nach der Richtlinie anwendbaren Stillhaltefrist angenommen wurden.

63.
    Die Frage des italienischen Gerichts steht im Gefolge der Rechtsprechung des Gerichtshofes in der Rechtssache CIA Security International(20). Das dortige Verfahren betraf drei Firmen, die sich mit der Herstellung und dem Verkauf von Alarmsystemen und -zentralen befassen. Eine dieser Firmen, CIA Security, vertrieb ein Alarmsystem, das offenbar nicht den geltenden belgischen Rechtsvorschriften entsprach. Diese Rechtsvorschriften waren der Kommission nicht gemäß der Richtlinie 83/189 mitgeteilt worden. Zwei Konkurrenten (die Firmen Signalson und Securitel) verbreiteten öffentlich, dass das betreffende Alarmsystem nicht den belgischen Rechtsvorschriften entspreche. CIA Security erhob Klage auf Unterlassung der Behauptung mit der Begründung, dass diese unlauteren Wettbewerb darstelle und daher zu untersagen sei. Sie machte geltend, dass die Rechtsvorschriften, auf die sich die Behauptung bezöge, unwirksam seien, da es sich um eine technische Regelung handele, die nicht mitgeteilt worden sei. Signalson und Securitel erhoben hiergegen Widerklagen, die im Wesentlichendarauf gerichtet waren, die fraglichen Rechtsvorschriften für auf CIA Security anwendbar zu erklären.

64.
    Der Gerichtshof hat in Randnummer 54 des genannten Urteils entschieden, dass „die Richtlinie 83/189... dahin auszulegen [ist], dass der Verstoß gegen die Mitteilungspficht zur Unanwendbarkeit der betreffenden technischen Vorschriften führt, so dass sie Einzelnen nicht entgegen gehalten werden können“.

65.
    In Anbetracht des Sachverhalts in jener Rechtssache hat der Gerichtshof also zwei Regeln aufgestellt. Eine technische Vorschrift, die ohne vorherige Mitteilung angenommen wurde, darf (a) von einem Mitgliedstaat gegenüber Einzelnen und (b) in Zivilverfahren zwischen Konkurrenten auf der Grundlage nationaler Vorschriften über unlauteren Wettbewerb nicht angewendet werden.

66.
    Die diesen Regeln zugrunde liegenden Überlegungen des Gerichtshofes lassen sich wie folgt zusammenfassen.

67.
    Die Artikel 8 und 9 der Richtlinie 83/189 sehen eine genau umrissene Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor, der Kommission die Entwürfe technischer Vorschriften vor ihrem Erlass mitzuteilen. Da diese Artikel somit inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, kann sich der Einzelne vor den nationalen Gerichten auf sie berufen(21).

68.
    Für die Frage, ob die unterlassene Mitteilung einer technischen Vorschrift zu ihrer Unanwendbarkeit führt, ist die Zielsetzung der Richtlinie maßgeblich. Ziel der Richtlinie 83/189 ist der Schutz des freien Warenverkehrs durch vorbeugende Kontrolle. Die Mitteilungspflicht ist ein wesentliches Mittel der gemeinschaftsrechtlichen Kontrolle. Die Wirksamkeit dieser Kontrolle wird verstärkt, wenn der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt, der zur Unanwendbarkeit der fraglichen technischen Vorschrift im Einzelfall führt(22).

69.
    Einer Regelungslücke in der nationalen Rechtsordnung schließlich, die durch die Unanwendbarkeit einer nicht mitgeteilten technischen Vorschrift entsteht, kann durch den Erlass technischer Vorschriften in dem in der Richtlinie vorgesehenen Dringlichkeitsverfahren begegnet werden(23).

70.
    Der vorliegende Fall unterscheidet sich von der Rechtssache CIA Security International in zweifacher Hinsicht. Zum einen stellt sich hier die Frage der Unanwendbarkeit einer technischen Vorschrift im Rahmen eines Zivilverfahrenszwischen Einzelnen über vertragliche Rechte und Pflichten und nicht in einem Gerichtsverfahren zwischen Konkurrenten auf der Grundlage nationaler Wettbewerbsbestimmungen. Verfahren der letztgenannten Art ähneln in gewisser Hinsicht staatlichen Verfahren zur Durchsetzung öffentlichen Rechts(24). Zum anderen wurde hier der Kommission, im Unterschied zu dem Sachverhalt in der Rechtssache CIA Security International, das italienische Gesetz ordnungsgemäß mitgeteilt. Italien verstieß nicht gegen die Mitteilungspflicht, sondern gegen die in der Richtlinie festgelegte Stillhalteverpflichtung.

71.
    Es gilt daher, folgende drei Fragen zu beantworten.

1.    Auf welche Gründe läßt sich die Entscheidung stützen, dass ein Mitgliedstaat technische Vorschriften, die er ohne vorherige Mitteilung erlassen hat, gegenüber Einzelnen nicht durchsetzen kann?

2.    Sprechen diese Gründe dafür, dass ein Verstoß gegen die in der Richtlinie enthaltenen Verfahrensvorschriften, insbesondere die Mitteilungspflicht, zur Unanwendbarkeit der Vorschrift in allen Arten von Gerichtsverfahren zwischen Einzelnen, also auch bei Vertragsstreitigkeiten, führen sollte?

3.    Wenn dem so ist, gilt dies auch für einen Verstoß gegen die Stillhalteverpflichtungen?

72.
    Der vorliegende Sachverhalt könnte den Gerichtshof, zumal Central Food keine Erklärungen abgegeben hat, dazu veranlassen, die letzten beiden Fragen zu bejahen. Zum einen hat der italienische Gesetzgeber offen die Stillhalteverpflichtungen der Richtlinie missachtet, obwohl die Kommission ihn zu deren Beachtung aufgefordert hatte. Zum anderen liegen dem Gerichtshof sehr deutliche inhaltliche Anzeichen dafür vor, dass die Etikettierungsvorschriften des Gesetzes Nr. 313 eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des Warenverkehrs darstellen und somit gegen das Verbot in Artikel 30 EG-Vertrag (jetzt Artikel 28 EG) verstoßen.

73.
    Gleichwohl bin ich der Auffassung, dass der Gerichtshof die genannten Fragen verneinen sollte. Wenn das Sprichwort „hard cases make bad law“ - Härtefallentscheidungen eignen sich nicht als Präzedenzfälle - gilt, kann dies manchmal auch auf „soft cases“ - Fälle, in denen die Entscheidung auf der Hand zu liegen scheint - zutreffen.

74.
    Vor einer Untersuchung der oben genannten drei Fragen ist auf die Natur der Richtlinie 83/189 einzugehen.

75.
    Richtlinien bezwecken gewöhntlich die Angleichung nationaler Rechts- und Verwaltungsvorschriften in einem bestimmten Bereich. Sie enthalten für die Mitgliedstaaten die Verpflichtung, innerhalb einer bestimmten Frist Vorschriften zu erlassen, deren Inhalt bestimmten Anforderungen genügt. Dabei bleibt es grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen, wie und in welcher Form die Umsetzung in nationales Recht erfolgt.

76.
    Unterlässt es ein Mitgliedstaat, eine derartige Richtlinie vor Ablauf der Umsetzungsfrist in nationales Recht umzusetzen oder erfolgt die Umsetzung unvollständig, so bedroht dies die Wirksamkeit und Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts, so dass den Einzelnen Rechte vorenthalten werden, die ihnen durch die Richtlinie eingeräumt werden sollten.

77.
    Um diesem Problem insbesondere bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten zu begegnen, hat der Gerichtshof eine Rechtsprechung entwickelt, die in der Praxis als richtlinienkonforme Auslegung nationaler Gesetze(25), als unmittelbare vertikale Wirkung von Richtlinien(26) oder als Fehlen unmittelbarer horizontaler Wirkung von Richtlinien(27) bezeichnet wird. In vielen Fällen verbirgt sich allerdings hinter diesen Schlagworten ein komplexerer rechtlicher Sachverhalt(28).

78.
    Die hier einschlägige Richtlinie 83/189 ist ganz anderer Art. Ihr Ziel besteht nicht in der Angleichung von Gesetzesvorschriften, sondern im Schutz des freien Warenverkehrs durch ein vorbeugendes Kontrollverfahren. Sie legt ein Informationsverfahren auf dem Gebiet technischer Normen und Vorschriften fest. Die Mitgliedstaaten sind nicht zur Rechtssetzung, sondern dazu verpflichtet, Regelungsentwürfe mitzuteilen und anschließend die Reaktion der anderen Mitgliedstaaten oder der Kommission abzuwarten und zu berücksichtigen. Im Hinblick auf das in den Artikeln 8 und 9 der Richtlinie geregelte Verfahren erweisen sich daher Begriffe wie „Umsetzung in nationales Recht“ und „Verpflichtung zur fristgemäßen Umsetzung“ als wenig hilfreich.

79.
    Die Regelungen der Richtlinie 83/189 sind innerhalb des Gemeinschaftsrechts am ehesten mit denen der Verordnung (EWG) Nr. 17 desRates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages(29) (jetzt Artikel 81 EG und 82 EG), oder der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags(30) (jetzt Artikel 88 EG) vergleichbar. Die dortigen Regelungen sehen Verfahren für eine Vorabkontrolle im Bereich wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen und staatlicher Beihilfen vor. Danach sind bestimmte nationale oder private Maßnahmevorhaben bei der Kommission anzumelden, die anschließend (auch stillschweigend) über deren Genehmigung entscheidet. Diese Art der vorbeugenden Kontrolle dient der wirksameren Durchsetzung grundsätzlicher, im Vertrag geregelter Verbote. Tatsächlich hätten die Bestimmungen der Richtlinie 83/189 auch in Form einer Verordnung statt einer Richtlinie erlassen werden können; meiner Auffassung nach macht es daher für die rechtliche Untersuchung keinen Unterschied, dass sie in Form einer Richtlinie erlassen wurden.

80.
    Die Unterschiede zwischen der Richtlinie 83/189 und „normalen“ Richtlinien sowie die Tatsache, dass sich Verfahren, die denen der Richtlinie vergleichbar sind, in Rechtsakten der Gemeinschaft mit anderer Rechtsnatur, etwa Verordnungen, finden, lassen aus meiner Sicht keinen Zweifel daran, dass die oben dargelegte Rechtsprechung über die Folgen der Missachtung „normaler“ Richtlinien für die im vorliegenden Fall zu beantwortenden Fragen ohne Bedeutung ist. Diese sind daher allein anhand allgemeiner Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts zu beantworten.

81.
    Ich wende mich nun der Beantwortung der oben genannten drei Fragen zu.

1.    Auf welche Gründe läßt sich die Entscheidung stützen, dass ein Mitgliedstaat technische Vorschriften, die er ohne vorherige Mitteilung erlassen hat, gegenüber Einzelnen nicht durchsetzen kann?

82.
    Bei der Beantwortung dieser Frage ist zu beachten, dass das Unterlassen der Mitteilung des Entwurfs einer technischen Vorschrift als solches keine unmittelbaren nachteiligen Auswirkungen auf die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts, die Wirksamkeit von Artikel 30 des Vertrages oder auf Rechte hat, die Einzelnen durch das Gemeinschaftsrecht verliehen werden.

83.
    Was erstens die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts angeht, besteht das Ziel der Richtlinie darin, ein Kontroll- und Koordinierungsverfahren zur Verfügung zu stellen, das den Erlass von Maßnahmen verhindert, die geeignet sind, den freien Warenverkehr zu beeinträchtigen; Ziel der Richtlinie ist es nicht, nationale Rechtsvorschriften zu vereinheitlichen. Erst als letztes Mittel schlägt die Kommission Harmonisierungsmaßnahmen vor. Die Tatsache, dass technischeVorschriften nicht mitgeteilt werden, berührt daher nicht unmittelbar die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts.

84.
    Was zweitens die Wirksamkeit von Artikel 30 des Vertrages betrifft, verstößt eine technische Vorschrift, die nicht mitgeteilt wurde, zwar möglicherweise gegen Artikel 30, möglicherweise aber auch nicht. Möglich ist sogar, dass sie ein bis dahin bestehendes Handelshindernis beseitigt. Die Richtlinie enthält lediglich Verfahrensvorschriften, die definitionsgemäß unter materiell-rechtlichen Gesichtspunkten neutral sind. Daher ergeben sich aus der Tatsache, dass eine technische Vorschrift nicht mitgeteilt wurde, keine eindeutigen Hinweise darauf, dass die darin enthaltenen Bestimmungen einen materiellen Verstoß gegen Artikel 30 des Vertrages darstellen.

85.
    Schließlich bezweckt die Richtlinie 83/189 nicht, Einzelnen Rechte zu verleihen oder Verpflichtungen aufzuerlegen. Vielmehr legt sie die jeweiligen Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten und der Kommission bezüglich eines Verfahrens fest, an dem Einzelne grundsätzlich nicht beteiligt sind. Der Verstoß eines Mitgliedstaats gegen die Mitteilungspflicht berührt daher keine Rechte Einzelner im Anwendungsbereich der Richtlinie. Für die Rechte Einzelner aus Artikel 30 des Vertrages ist vielmehr die materielle Vereinbarkeit der fraglichen Vorschriften mit dem freien Warenverkehr maßgeblich. Hierzu gilt, dass sich Einzelne für den Fall, dass eine technische Vorschrift ein Handelshindernis zwischen Mitgliedstaaten darstellt, ohne Rückgriff auf die Richtlinie unmittelbar auf den Vertrag berufen können.

86.
    Aufgrund dieser Überlegungen ist es nicht verwunderlich, dass der Gerichtshof seine Entscheidung in der Rechtssache CIA Security International, wonach technische Vorschriften, die nicht mitgeteilt wurden, Einzelnen nicht entgegen gehalten werden können, ausschließlich auf die Wirksamkeit des in der Richtlinie geregelten Kontrollverfahrens stützte.

87.
    Sind aber die Gefahren für die Wirksamkeit der Vorabkontrolle und indirekt für den freien Warenverkehr schwerwiegend genug, um es zu rechtfertigen, dass für einen Mitgliedstaat die Durchsetzung technischer Vorschriften, die nicht mitgeteilt wurden, gegenüber Einzelnen ausgeschlossen sein soll?

88.
    Innerhalb des Regelwerkes der Richtlinie ist die Mitteilung von Entwürfen technischer Vorschriften, die auf diese Art öffentlich gemacht werden, offensichtlich von zentraler Bedeutung. Erst durch das Mitteilungsverfahren erfahren die Kommission und die Mitgliedstaaten, dass ein Mitgliedstaat beabsichtigt, neue technische Vorschriften zu erlassen. Dieses Wissen stellt eine notwendige Voraussetzung für die Ausübung der verschiedenen durch die Richtlinie gewährten Rechte dar (etwa des Rechts, Bemerkungen oder ausführliche Stellungnahmen abzugeben, - im letzteren Fall verlängert sich die Stillhaltefrist - oder des Rechts, beabsichtigte Harmonisierungsmaßnahmen mitzuteilen). Das Wissen darüber, dassder Erlass derartiger technischer Vorschriften beabsichtigt ist, ist auch Voraussetzung für Maßnahmen außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie, wie z. B. ein Vertragsverletzungsverfahren.

89.
    Weiß ein Mitgliedstaat, dass er technische Vorschriften, die nicht mitgeteilt wurden, gegenüber Einzelnen nicht durchsetzen kann, liegt darin ein starker Anreiz zur Mitteilung. Denn es besteht stets die Möglichkeit, dass ein Marktteilnehmer vom Unterlassen der Mitteilung einer technischen Vorschrift durch einen Mitgliedstaat erfährt und sich aus diesem Grund auf die Unanwendbarkeit der Vorschrift beruft. Das Fehlen der Mitteilung schwebt daher gleichsam als Damoklesschwert über der Durchsetzbarkeit einer nationalen Maßnahme, die nicht mitgeteilt wurde.

90.
    Bliebe es hingegen bei der Durchsetzbarkeit technischer Vorschriften, die nicht mitgeteilt wurden, gegenüber Einzelnen, so könnte ein Mitgliedstaat, gerade weil er weiß, dass eine vorgesehene technische Vorschrift tatsächlich ein Hindernis für den Warenverkehr darstellt, versucht sein, eine Mitteilung zu unterlassen. In diesem Fall bestünde nur ein geringes Risiko, dass die Kommission oder andere Mitgliedstaaten auf das in dem Gesetzentwurf enthaltene Handelshemmnis stoßen. Die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens wäre unwahrscheinlich; jedenfalls nähme es Zeit in Anspruch und hätte wahrscheinlich keine Sanktionen zur Folge. Auch ist nicht sicher, ob Schadensersatzklagen Einzelner erfolgreich wären. Soweit Einzelne betroffen sind, müssen sie normalerweise den Erlass des Gesetzes und einen konkreten Anwendungsfall einer derartigen technischen Vorschrift abwarten, bevor sie sich auf Artikel 30 für die Nichtanwendbarkeit einer derartigen Vorschrift berufen können.

91.
    Aus diesen Gründen hat daher meiner Ansicht nach der Gerichtshof in der Rechtssache CIA Security International zu Recht entschieden, dass ein Mitgliedsstaat zum Schutz der Wirksamkeit des in der Richtlinie niedergelegten Kontrollverfahrens eine technische Vorschrift, die ohne vorhergehende Mitteilung angenommen wurde, nicht gegenüber Einzelnen anwenden darf.

92.
    Auch kann die Nichtanwendbarkeit technischer Vorschriften, die nicht mitgeteilt wurden, als Nebeneffekt für manche Marktteilnehmer einen unverdienten Vorteil mit sich bringen. Sie können sich gegenüber einem Mitgliedstaat auf eine Verletzung einer Verfahrensvorschrift berufen, deren Ziel es nicht war, ihnen Rechte zu verleihen und sie können dies unabhängig davon tun, ob die fragliche technische Vorschrift eine ungerechtfertigte Handelsbeschränkung gemäß Artikel 30 des Vertrages darstellt oder nicht.

93.
    Darüber hinaus hat der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Lemmens(31) gewisse Grenzen der Rechtsfolgen einer unterbliebenen Mitteilung anerkannt. In Randnummer 35 des Urteils führt der Gerichtshof aus, dass technische Vorschriften, die nicht mitgeteilt wurden, nur insoweit unanwendbar sind, als durch diese Vorschriften die Verwendung oder die Vermarktung eines Erzeugnisse, dass nicht dieser Vorschrift entspricht, verhindert werden sollte. Das Urteil in der Rechtssache Lemmens kann daher als ein erster Hinweis gelten, dass nach Auffassung des Gerichtshofes das Urteil CIA Security International behutsam angewendet und weiter entwickelt werden sollte.

2.    Soll der Verstoß gegen die in der Richtlinie enthaltenen Verfahrensvorschriften, insbesondere die Mitteilungspflicht, zur Unanwendbarkeit der Vorschrift in allen Arten von Gerichtsverfahren zwischen Einzelnen, also auch bei Vertragsstreitigkeiten, führen?

94.
    Dem Urteil CIA Security International zufolge findet eine technische Vorschrift, die ohne vorhergehende Mitteilung erlassen wurde, in Zivilverfahren zwischen Konkurrenten, die auf der Grundlage nationaler Bestimmungen über unlauteren Wettbewerb geführt werden, keine Anwendung. Es stellt sich daher die Frage, ob diese Entscheidung auf Zivilverfahren zwischen Einzelnen über vertragliche Rechte und Pflichten ausgedehnt werden sollte. Soll sich Unilever als Marktteilnehmer in einem Klageverfahren gegen den Marktteilnehmer Central Food für die Unanwendbarkeit einer nationalen technischen Vorschrift wie des italienischen Gesetzes Nr. 313 auf die Verletzung von Verfahrensvorschriften der Richtlinie 83/189 durch den Mitgliedstaat berufen können?

95.
    Angesichts der Ausführungen von Generalanwalt Elmer in den Nummern 68 bis 74 seiner Schlussanträge könnte geltend gemacht werden, diese Frage sei vom Gerichtshof im Urteil CIA Security International bereits bejaht worden.

96.
    Demgegenüber vertrete ich die Auffassung, dass es nicht in der Absicht des Gerichtshofes gelegen haben kann, die Sanktion der Unanwendbarkeit für alle Arten von Zivilverfahren zwischen Einzelnen festzuschreiben.

97.
    Erstens ist das Urteil des Gerichtshofes im Licht der besonderen Umstände des der Entscheidung zugrunde liegenden Ausgangsverfahrens auszulegen. Der Versuch eines Konkurrenten, die Beachtung technischer Vorschriften auf der Grundlage nationaler Bestimmungen über unlauteren Wettbewerb durchzusetzen, führt im Ergebnis dieses Verfahrens, nämlich der Verpflichtung, ein bestimmtes Verhalten entweder zu unterlassen oder regelmäßig Zwangsgelder zu zahlen, zu ähnlichen Ergebnissen wie Durchsetzungsmaßnahmen eines Mitgliedstaats durch Strafverfolgungs- oder Verwaltungsbehörden.

98.
    Zweitens sind grundsätzlichere Überlegungen angebracht. Die Tatsache, dass ein Mitgliedstaat Verfahrensvorschriften der Richtlinie nicht erfüllt, sollte meiner Ansicht nach nicht zu nachteiligen Folgen für Einzelne führen.

99.
    Hierfür spricht erstens, dass sich derartige Folgen unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Rechtssicherheit schwerlich rechtfertigen lassen. Für die Bedürfnisse des täglichen Handels muss die Frage der Anwendbarkeit von Vorschriften, die sich auf den Warenverkauf beziehen, schnell und sicher zu beantworten sein. Auch wenn die vorliegende Streitigkeit eine relativ bescheidene Anzahl von Olivenölflaschen betrifft, deren Wert weder die Finanzen von Unilever noch von Central Food erheblich belastet, lässt sich doch ohne weiteres ein vergleichbarer Fall vorstellen, in dem hochverderbliche Waren und Beträge eine Rolle spielen, die über das Gedeihen oder den Untergang einer der beiden beteiligten Parteien entscheiden. Um Streitigkeiten in seinen vertraglichen Beziehungen zu vermeiden, müsste ein einzelner Marktteilnehmer über die Existenz der Richtlinie 83/189 Bescheid wissen, das Urteil CIA Security International kennen, eine technische Vorschrift als solche erkennen und mit Sicherheit feststellen können, ob der betreffende Mitgliedstaat alle Verfahrensvorschriften der Richtlinie erfüllt hat oder nicht. Insbesondere das zuletzt genannte Erfordernis könnte sich angesichts der Nichtöffentlichkeit des Richtlinienverfahrens als außerordentlich schwer erfüllbar erweisen. Die Kommission ist nicht zur Veröffentlichung der Information verpflichtet, ob ein Mitgliedstaat einen bestimmten Entwurf einer technischen Vorschrift mitgeteilt hat oder nicht. Was die Beachtung der Stillhaltefristen von Artikel 9 der Richtlinie anbelangt, so besteht für Einzelne keine Möglichkeit, zu erfahren, ob andere Mitgliedstaaten die sechsmonatige Stillhaltefrist durch Einreichung ausführlicher Stellungnahmen bei der Kommission ausgelöst haben oder nicht. Dementsprechend ist auch die Kommission nicht gehalten, die Mitteilung an einen Mitgliedstaat zu veröffentlichen, dass eine Gemeinschaftsregelung beabsichtigt ist oder bevorsteht.

100.
    Zweitens ergibt sich ein Gerechtigkeitsproblem. Sofern nämlich eine technische Vorschrift in einem Zivilverfahren aufgrund einer unterbliebenen Mitteilung unanwendbar wäre, verlöre ein Einzelner einen Rechtsstreit, in dem es auf eine solche ankommt, nicht deshalb, weil er selbst es versäumt hat, eine sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebende Verpflichtung zu erfüllen, sondern aufgrund des Fehlverhaltens eines Mitgliedstaats. Das wirtschaftliche Überleben eines Unternehmens wäre allein aus Gründen der Wirksamkeit eines Verfahrens, mit dem gesetzgeberische Aktivitäten des Mitgliedstaats überprüft werden sollen, bedroht, und zwar unabhängig davon, ob die fragliche technische Vorschrift ein Handelshindernis darstellt, den Handel nicht berührt oder ihn sogar fördert(32). Abhilfe könnte der Markteilnehmer hier nur dadurch schaffen, dass er nachträglich einen im Ausgang unsicheren und kostspieligen Schadensersatzprozess gegen denMitgliedstaat führt. Darüber hinaus ist kein Grund dafür ersichtlich, warum die andere Partei des Rechtsstreits aus purem Zufall von der Verletzung der Richtlinie durch den Mitgliedstaat profitieren sollte.

101.
    Hieraus folgt meines Erachtens, dass ein zutreffendes Urteil in Rechtsstreitigkeiten zwischen Einzelnen eine inhaltliche Entscheidung erfordert. Die Anwendbarkeit einer technischen Vorschrift in Rechtsstreitigkeiten zwischen Einzelnen sollte ausschließlich von ihrer Vereinbarkeit mit Artikel 30 des Vertrages abhängen. Soweit daher im vorliegenden Fall das italienische Gesetz Nr. 313 die Anforderungen von Artikel 30 erfüllt, vermag ich nicht zu erkennen, warum Central Food, die sich verständlicherweise auf die Vorschrift des italienischen Gesetzbuches verließ, in dem Rechtsstreit vor dem nationalen Gericht unterliegen sollte. Sollte hingegen das italienische Gesetz Nr. 313 gegen Artikel 30 verstoßen, wäre das nationale Gericht aus diesem Grund verpflichtet, das Gesetz nicht anzuwenden.

102.
    Hieraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass sich Einzelne untereinander für die Nichtanwendbarkeit einer technischen Vorschrift nicht auf die Verletzung der Richtlinie 83/189 durch einen Mitgliedstaat berufen können.

3.    Hilfsweise: Sollte der Verstoß gegen die Stillhalteverpflichtungen zur Unanwendbarkeit einer technischen Vorschrift führen?

103.
    Sollte der Gerichtshof im Gegensatz zu den vorstehenden Ausführungen zu dem Ergebnis gelangen, dass technische Vorschriften, die unter Verstoß gegen wesentliche Verfahrensvorschriften der Richtlinie angenommen wurden, in allen Arten von Zivilverfahren zwischen Einzelnen unanwendbar sind, so stellt sich die Frage, ob die Stillhalteverpflichtung eine solche Verfahrensvorschrift darstellt.

104.
    Das Urteil CIA Security International kann dahin gehend verstanden werden, dass der Verstoß gegen die Stillhalteverpflichtung ebenso „einen wesentlichen Verfahrensfehler“ darstellt wie eine fehlende Mitteilung. Die dortige Entscheidung beruht auf einer gemeinsamen Prüfung der Artikel 8 und 9 - der Mitteilungs- und der Stillhalteverpflichtung - im Licht der Zielsetzung der Richtlinie. So stellt der Gerichtshof in Randnummer 44 fest, dass „Artikel 8 und 9 der Richtlinie ... eine genau umrissene Verpflichtung der Mitgliedstaaten vor[sehen], der Kommission den Entwurf technischer Vorschriften vor dem Erlass mitzuteilen“, sowie in Randnummer 50, dass die Richtlinie das „Ziel [hat], die Handelsschranken zu beseitigen oder zu verringern, die anderen Staaten über die von einem Staat geplanten technischen Vorschriften zu informieren, der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten die nötige Zeit zu verschaffen, um zu reagieren und eine Änderung vorzuschlagen, die es erlaubt, die Einschränkungen des freien Warenverkehrs zu verhindern, die sich aus der geplanten Maßnahme ergeben ...“ Die Entscheidung beruht daneben auch auf einer Prüfung der Mitteilung derKommission aus dem Jahre 1986, die eine Verbindung zwischen Mitteilungs- und Stillhalteverpflichtung herstellt(33).

105.
    Trotz dieser Gesichtspunkte bin ich der Auffassung, dass eine Verletzung der Stillhaltefristen als solche nicht zur Unanwendbarkeit der in Rede stehenden technischen Vorschrift führen sollte. Wie ich oben bereits ausgeführt habe, stellt eine mögliche Beeinträchtigung der Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Kontrolle die einzige Rechtfertigung für die Nichtanwendbarkeit einer unangemeldeten technischen Vorschrift aus Verfahrensgründen dar. Während aber die Verpflichtung, den Entwurf einer technischen Vorschrift mitzuteilen für die Wirksamkeit dieser Kontrolle wesentlich ist, ist die Einhaltung der Stillhaltefrist von geringerer Bedeutung.

106.
    Ist der Entwurf einer technischen Vorschrift mitgeteilt, so wird sie damit öffentlich bekannt. Hierdurch werden die Mitgliedstaaten und die Kommission in die Lage versetzt, die Einhaltung der Verfahrensvorschriften der Richtlinie und der materiell-rechtlichen Bestimmungen von Artikel 30 effektiv zu überwachen und gegebenenfalls ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

107.
    Ich bin daher der Ansicht, dass die Nichtanwendbarkeit einer Vorschrift wegen eines Verstoßes gegen eine andere Verfahrensvorschrift als gegen die Mitteilungspflicht in Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie eine unverhältnismäßig harte Sanktion darstellt.

108.
    Zusammenfassend ergibt sich, dass ein nationales Gericht in Zivilverfahren zwischen Einzelnen eine technische Vorschrift nicht unangewendet lassen darf, die der Kommission in Übereinstimmung mit den Vorschriften der Richtlinie mitgeteilt, aber vor Ablauf der in der Richtlinie geregelten Stillhaltefrist angenommen wurde.

Zusammenfassung

109.
    Ich habe mich bei der Behandlung der Stillhalteverpflichtungen, obwohl sie Gegenstand der Frage des vorlegenden Gerichts sind, recht kurz gefasst, weil diese Frage nicht isoliert betrachtet werden kann und notwendig zu der weiter gehenden Fragestellung führt, welche Rechtsfolgen sich generell aus einem Verstoß gegen Verfahrensvorschriften der Richtlinie ergeben. Darüber hinaus dürfte praktisch gesehen die weitaus wichtigste Frage lauten, welche Rechtsfolgen sich aus dem Versäumnis eines Mitgliedstaats, eine technische Vorschrift mitzuteilen, ergeben. Die Antwort, die ich zu dieser Frage vorgeschlagen habe, ist auch ausschlaggebend für die Beantwortung der Frage des nationalen Gerichts.

110.
    Meiner Ansicht nach kann das Unterlassen einer Mitteilung (ein angesichts der großen Spannbreite der von der Zielsetzung der Richtlinie potenziell erfasstenMaßnahmen möglicherweise sehr häufiger Vorgang, der auch unabsichtlich erfolgen kann) nicht mit weitreichenden Auswirkungen auf vertragliche Beziehungen zwischen Einzelnen verknüpft werden. Dies würde im Wesentlichen dazu führen, dass Gerichte einzig auf der Grundlage derartiger Unterlassungen von Mitgliedstaaten feststellen müssten, dass vertragliche Pflichten zwischen Privaten verletzt wurden.

111.
    Diese Folgen stünden im Gegensatz zu den Grundsätzen unserer Rechtsordnungen, insbesondere zum Grundsatz der Rechtssicherheit. Unsicherheit würde darüber bestehen, ob es sich bei der Maßnahme um eine technische Vorschrift handelt und ob eine Mitteilung notwendig war; unsicher wäre, da entsprechende Transparenzbestimmungen fehlen, ob tatsächlich eine Mitteilung erfolgt ist; unsicher wäre, welche rechtlichen Bestimmungen an die Stelle nationaler Vorschriften, die ganz oder teilweise unangewendet bleiben, treten sollen; Unsicherheit bestünde auch über die Behandlung vertraglicher Pflichtverletzungen, da keine Seite ein Verschulden trifft. Hinzu kommt, dass die genannten Folgen unabhängig davon, ob die technische Vorschrift eine Behinderung des freien Warenverkehrs darstellt oder nicht, und sogar dann eintreten, wenn durch sie der freie Warenverkehr erleichtert wird. Ich sehe keine Grundlage dafür, dem Unterlassen einer Mitteilung derartige Folgen beizulegen.

112.
    Wenn also, wie ich dargelegt habe, das Unterlassen der Mitteilung einer technischen Vorschrift durch einen Mitgliedstaat keine Auswirkungen auf vertragliche Beziehungen zwischen Einzelnen haben und auch nicht zu einer Verletzung von Vertragspflichten führen sollte, so ist klar, dass der Verstoß gegen Stillhalteverpflichtungen ebenso zu behandeln ist. Für beide gibt es mehrere vergleichbare Argumente. Insbesondere die Argumente der Rechtssicherheit, der Gerechtigkeit und der fehlenden Transparenz gelten, auf jeweils unterschiedliche Weise, für alle möglichen Folgen der von Mitgliedstaaten begangenen Verfahrensverstöße.

113.
    In Wirklichkeit regeln die Verfahrensvorschriften der Richtlinie die Beziehungen zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten. Ihr Zweck besteht nicht darin, Einzelnen materielle Rechte zu verleihen, und noch weniger darin, Einzelnen Nachteile zuzufügen. Derartige Wirkungen brauchen auch gar nicht von ihr auszugehen. Das alles überragende Interesse der Gemeinschaft, den freien Warenverkehr sicherzustellen, wird nicht berührt, so lange nicht nachgewiesen ist, dass die technische Vorschrift den freien Warenverkehr behindert. In Fällen der vorliegenden Art wird das Interesse der Gemeinschaft umfassend durch die Anwendung von Artikel 30 des Vertrages sichergestellt.

Ergebnis

114.
    Die Vorlagefrage der Pretura Circondariale di Milano ist daher meiner Ansicht nach wie folgt zu beantworten:

Verstößt ein Mitgliedstaat gegen Verfahrensvorschriften der Artikel 8 und 9 der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, so ist eine Berufung auf diesen Verstoß vor nationalen Gerichten in Rechtsstreitigkeiten zwischen Einzelnen über vertragliche Rechte nicht möglich.


1: Originalsprache: Englisch.


2: -     Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. L 109, S. 3), geändert insbesondere durch die Richtlinie 88/182/EWG des Rates vom 22. März 1988 (ABl. L 81, S. 75) sowie die Richtlinie 94/10/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. März 1994 zur zweiten wesentlichen Änderung der Richtlinie 83/189/EWG (ABl. L 100, S. 30).


3: -     Urteil des Gerichtshofes vom 30. April 1996 in der Rechtssache C-194/94 (CIA Security/Signalson und Securitel, Slg. 1996, I-2201).


4: -     Die Erweiterung der Definition in Artikel 1 Nummer 2 Unterabsatz 2 war in der ursprünglichen Fassung der Richtlinie nicht enthalten und wurde durch die Richtlinien 88/182 und 94/10, zitiert in Fußnote 1, eingefügt.


5: -     Gazzetta Ufficiale della Republicca Italiana (GURI) 1986, Nr. 151, S. 3.


6: -     Zuletzt geändert durch das Gesetz Nr. 52 vom 6. Februar 1996, GURI Supplemento ordinario Nr. 24, S. 1, mit dessen Artikel 46 die Richtlinie 94/10 umgesetzt wird.


7: -     Mitteilung der Kommission betreffend die Nichteinhaltung gewisser Bestimmungen der Richtlinie 83/189/EWG des Rates (ABl. C 245, S. 4).


8: -     Entspricht Artikel 9 Nummer 7 der oben zitierten Fassung.


9: -     Zitiert in Fußnote 2; vgl. Randnrn. 36 bis 55 des Urteils sowie Ziffer 2 des Tenors.


10: -     GURI Nr. 201 vom 29. August 1998.


11: -     ABl. C 177, S. 2.


12: -     Verordnung (EG) Nr. 2815/98 der Kommission vom 22. Dezember 1998 über Handelsbestimmungen für Olivenöl (ABL. L 349, S. 56).


13: -     Das heißt eine eingetragene Ursprungsbezeichnung oder geographische Angabe in Übereinstimmung mit Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (ABl. L 208, S. 1).


14: -     Es besteht Einigkeit darüber, dass das angegebene Datum auf einem Irrtum beruht und „4. Mai 1999“ lauten muss.


15: -     Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. L 204, S. 37), geändert durch die Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 (ABl. L 217, S. 18).


16: -     Die Richtlinie 98/34 enthält keine Umsetzungsfrist, sondern behält die Umsetzungsfristen der Richtlinie 83/189 und der sie ändernden Richtlinien bei.


17: -     Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, in der geltenden Fassung (ABl. 1979, L 33, S. 1).


18: -     GURI Nr. 156 vom 9. Juni 1982, S. 4167. Artikel 3 Buchstabe h dieses Dekrets war Gegenstand des Urteils des Gerichtshofes vom 17. September 1997 in der Rechtssache C-83/96 (Dega, Slg. 1997, I-5001).


19: -     Die allgemeine Bestimmung, dass die Etikettierung den Käufer in dieser Hinsicht nicht irreführen darf, ist aber jeweils in Artikel 2 der Richtlinie 79/112 und des Dekretes des Präsidenten enthalten.


20: -     Vgl. Fußnote 2.


21: -     Vgl. Randnrn. 42 bis 44 des Urteils.


22: -     Vgl. Randnr. 48 des Urteils.


23: -     Vgl. Randnrn. 51 bis 53 des Urteils.


24: -     Vgl. Nummer 98 dieser Schlussanträge.


25: -     Vgl. beispielsweise Urteil des Gerichtshofes vom 13. November 1990 in der Rechtssache C-106/89 (Marleasing, Slg. 1990, I-4135).


26: -     Vgl. beispielsweise Urteil des Gerichtshofes vom 19. Januar 1982 in der Rechtssache 8/81 (Becker, Slg. 1981, 53).


27: -     Vgl. beispielsweise Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache C-91/92 (Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325).


28: -     Vgl. beispielsweise Urteil des Gerichtshofes vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache C-72/95 (Kraaijeveld u. a., Slg. 1996, I-5403) sowie als kürzliche Untersuchung einiger Problempunkte die Schlussanträge des Generalanwaltes Léger, vorgelegt am 11. Januar 2000 in der Rechtssache C-287/98 (Luxemburg/Linster u. a.).


29: -     ABl. 13, S. 204.


30: -     ABl. L 83, S. 1.


31: -     Urteil des Gerichtshofes vom 16. Juni 1998 in der Rechtssache C-226/97 (Slg. 1998, I-3711).


32: -     Das scheint aus den Ausführungen in Randnr. 57 des Urteils in der Rechtssache CIA Security, zitiert in Fußnote 2, zu folgen.


33: -     Vgl. Nr. 8 dieser Schlussanträge.