Language of document : ECLI:EU:C:2012:276

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 8. Mai 2012(1)

Rechtssache C‑44/11

Finanzamt Frankfurt am Main V–Höchst

gegen

Deutsche Bank AG

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs [Deutschland])

„Mehrwertsteuer – Portfolioverwaltungsleistungen – Befreiung – Haupt- und Nebenleistung – Ort der Dienstleistung“






1.        Gemäß der Mehrwertsteuerrichtlinie(2) sind bestimmte Finanzumsätze von der Mehrwertsteuer befreit. Wenn der Dienstleistende und der Dienstleistungsempfänger nicht im selben Land ansässig sind, ist Ort der Bank- und Finanzumsätze der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit oder der Wohnsitz des Dienstleistungsempfängers.

2.        Der deutsche Bundesfinanzhof möchte wissen, wie diese Regelung auf Portfolioverwaltungsleistungen anzuwenden ist, in deren Rahmen ein Kunde der Bank im Rahmen einer von ihm gewählten Strategie freie Hand lässt, Wertpapiere in seinem Namen und für seine Rechnung zu kaufen und zu verkaufen, und als Gegenleistung ein als Prozentsatz des Werts der Wertpapiere bemessenes Entgelt zahlt. Der Bundesfinanzhof ersucht ferner um Hinweise zu der Frage, ob die einzelnen Bestandteile dieser Dienstleistungen voneinander unabhängig oder als Einheit zu behandeln sind und, falls Letzteres zu bejahen ist, welcher Bestandteil bei der Qualifizierung den Ausschlag gibt.

 Unionsrecht

3.        Im Jahr 2008, dem im Ausgangsverfahren relevanten Steuerjahr, sah Art. 56 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, soweit hier von Belang, Folgendes vor:

„Als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an außerhalb der Gemeinschaft ansässige Dienstleistungsempfänger oder an Steuerpflichtige, die innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Staates des Dienstleistungserbringers ansässig sind, erbracht werden, gilt der Ort, an dem der Dienstleistungsempfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnsitz oder sein gewöhnlicher Aufenthaltsort:

e)      Bank-, Finanz- und Versicherungsumsätze, einschließlich Rückversicherungsumsätze, ausgenommen die Vermietung von Schließfächern;

…“(3)

4.        Nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. a bis g der Mehrwertsteuerrichtlinie befreien die Mitgliedstaaten eine Reihe finanzbezogener Tätigkeiten:

„a)      Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze einschließlich der dazugehörigen Dienstleistungen, die von Versicherungsmaklern und ‑vertretern erbracht werden;

b)      die Gewährung und Vermittlung von Krediten und die Verwaltung von Krediten durch die Kreditgeber;

c)      die Vermittlung und Übernahme von Verbindlichkeiten, Bürgschaften und anderen Sicherheiten und Garantien sowie die Verwaltung von Kreditsicherheiten durch die Kreditgeber;

d)      Umsätze – einschließlich der Vermittlung – im Einlagengeschäft und Kontokorrentverkehr, im Zahlungs- und Überweisungsverkehr, im Geschäft mit Forderungen, Schecks und anderen Handelspapieren, mit Ausnahme der Einziehung von Forderungen;

e)      Umsätze – einschließlich der Vermittlung –, die sich auf Devisen, Banknoten und Münzen beziehen, die gesetzliches Zahlungsmittel sind, mit Ausnahme von Sammlerstücken, d. h. Münzen aus Gold, Silber oder anderem Metall sowie Banknoten, die normalerweise nicht als gesetzliches Zahlungsmittel verwendet werden oder die von numismatischem Interesse sind;

f)      Umsätze – einschließlich der Vermittlung, jedoch nicht der Verwahrung und der Verwaltung –, die sich auf Aktien, Anteile an Gesellschaften und Vereinigungen, Schuldverschreibungen oder sonstige Wertpapiere beziehen, mit Ausnahme von Warenpapieren und der in Artikel 15 Absatz 2 genannten Rechte und Wertpapiere[(4)];

g)      die Verwaltung von durch die Mitgliedstaaten als solche definierten Sondervermögen[(5)];

…“.

5.        Im vorliegenden Fall sind die Buchst. f und g(6) dieser Bestimmung einschlägig. Des Weiteren sind in Art. 135 Abs. 1 Befreiungen vorgesehen für Lieferungen von Postwertzeichen, von Steuerzeichen und von ähnlichen Wertzeichen zum aufgedruckten Wert (Buchst. h), Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele (Buchst. i), Lieferungen von Gebäuden und dem dazugehörigen Grund und Boden (Buchst. j), Lieferungen unbebauter Grundstücke mit Ausnahme von Baugrundstücken (Buchst. k) sowie die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken (Buchst. l).

6.        Gemäß Art. 135 Abs. 2 Buchst. d ist die Vermietung von Schließfächern von der letztgenannten Befreiung nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. l ausgeschlossen. Solche Umsätze unterliegen daher der Mehrwertsteuer.

7.        Im Februar 2008 legte die Kommission dem Rat einen Vorschlag für eine Änderung der Mehrwertsteuerrichtlinie und einen Vorschlag für eine Verordnung zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Mehrwertsteuerrichtlinie hinsichtlich der Behandlung von Versicherungs- und Finanzdienstleistungen vor(7). Diese Vorschläge, in denen die Begriffe zur Bezeichnung von Finanzdienstleistungen definiert sind, werden weiterhin im Rat diskutiert, der jedoch noch keine Einigung erzielt hat(8). Zur Begründung der Vorschläge führte die Kommission an, dass die Definitionen der Finanzdienstleistungen veraltet seien und zu einer ungleichen Auslegung und Anwendung durch die Mitgliedstaaten geführt hätten. Die Wirtschaftsbeteiligten und Steuerbehörden seien mit einer rechtlich sehr komplexen Situation, unterschiedlicher Verwaltungspraxis und Rechtsunsicherheit konfrontiert, was wiederum zu einer wachsenden Zahl an Gerichtsverfahren sowie zu höheren Verwaltungskosten geführt habe.

 Nationales Recht

8.        Im Jahr 2008 sah § 3a Abs. 3 und 4 Nr. 6 Buchst. a in Verbindung mit § 4 Nr. 8 Buchst. e und h des Umsatzsteuergesetzes 2005 (im Folgenden: UStG) für „Umsätze im Geschäft mit Wertpapieren und die Vermittlung dieser Umsätze, ausgenommen die Verwahrung und die Verwaltung von Wertpapieren“ und für „die Verwaltung von Investmentvermögen nach dem Investmentgesetz und die Verwaltung von Versorgungseinrichtungen im Sinne des Versicherungsaufsichtsgesetzes“ im Wesentlichen vor, dass i) diese Umsätze von der Mehrwertsteuer befreit sind, ii) die Leistung, falls der Empfänger ein Unternehmer ist, als dort, wo er sein Unternehmen betreibt, oder gegebenenfalls am Ort seiner Betriebsstätte ausgeführt gilt und iii) die Leistung, falls der Empfänger kein Unternehmer ist und er seinen Wohnsitz oder Sitz im Drittlandsgebiet hat, als an seinem Wohnsitz oder Sitz ausgeführt gilt.

9.        Allerdings war nach einer Verwaltungsanweisung des Bundesfinanzministeriums vom 9. Dezember 2008 § 3a Abs. 3 und 4 Nr. 6 Buchst. a UStG für die Ortsbestimmung bei einer Vermögensverwaltung nicht anzuwenden. Weiter hieß es darin, dass eine Berufung auf Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie, dem sich eine über die aufgeführten Tatbestände hinausgehende Geltung nicht entnehmen lasse, nicht möglich sei. Bezüglich der Befreiung sei Art. 135 Abs. 1 der Richtlinie unzweideutig, und die Vermögensverwaltung sei darin nicht aufgeführt. Die einheitliche Leistung „Portfolioverwaltung“ sei daher steuerpflichtig und nicht nach § 4 Nr. 8 Buchst. e UStG befreit.

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

10.      Die Deutsche Bank erbringt Dienstleistungen, in deren Rahmen sie von Anlegern beauftragt wird, Wertpapiere unter Berücksichtigung einer vom Anleger ausgewählten Strategie nach eigenem Ermessen und ohne vorherige Einholung einer Weisung des Anlegers zu verwalten sowie alle Maßnahmen zu treffen, die bei der Verwaltung dieser Wertpapiere zweckmäßig erscheinen. Die Deutsche Bank kann über die Wertpapiere im Namen und für Rechnung des Anlegers verfügen. Der Anleger zahlt pro Jahr ein Entgelt in Höhe von insgesamt 1,8 % des Werts des verwalteten Vermögens, das sich aus einem Anteil für die Vermögensverwaltung in Hohe von 1,2 % dieses Werts und einem Anteil für den An- und Verkauf von Wertpapieren in Höhe von 0,6 % zusammensetzt. Das Entgelt umfasst auch die Konto- und Depotführung sowie die Aufschläge für den Erwerb von Investmentanteilen an Fonds. Die Anleger erhalten regelmäßige Berichte über den Verlauf der Vermögensverwaltung und können den Auftrag jederzeit mit sofortiger Wirkung beenden.

11.      In ihrer Voranmeldung für Mai 2008 ging die Deutsche Bank davon aus, dass ihre Dienstleistungen bei der Vermögensverwaltung mit Wertpapieren nach § 4 Nr. 8 UStG bei Leistungen an Anleger in Deutschland und in der Union steuerfrei und bei Leistungen an Anleger in anderen Ländern nach § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG nicht steuerbar seien. Das Finanzamt folgte dem nicht, und der Rechtsstreit ist jetzt im Revisionsverfahren beim Bundesfinanzhof anhängig.

12.      Der Bundesfinanzhof fragt:

1.      Ist die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren (Portfolioverwaltung), bei der ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt aufgrund eigenen Ermessens über den Kauf und Verkauf von Wertpapieren entscheidet und diese Entscheidung durch den Kauf und Verkauf der Wertpapiere vollzieht,

–      nur als Verwaltung von Sondervermögen für mehrere Anleger gemeinsam nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112 oder auch

–      als individuelle Portfolioverwaltung für einzelne Anleger nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112 (Umsatz, der sich auf Wertpapiere bezieht, oder als Vermittlung eines derartigen Umsatzes) steuerfrei?

2.      Welche Bedeutung kommt bei der Bestimmung von Haupt- und Nebenleistung dem Kriterium, dass die Nebenleistung für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen, im Verhältnis zur gesonderten Berechnung der Nebenleistung und der Erbringbarkeit der Nebenleistung durch Dritte zu?

3.      Erfasst Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112 nur die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. a bis g der Richtlinie 2006/112 genannten Leistungen oder auch die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren (Portfolioverwaltung), selbst wenn dieser Umsatz nicht der zuletzt genannten Bestimmung unterliegt?

13.      Die Deutsche Bank, die deutsche und die niederländische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Das Finanzamt, die Deutsche Bank, die deutsche Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission haben in der Sitzung vom 1. März 2012 mündlich verhandelt.

 Würdigung

 Vorbemerkungen

14.      Bei den fraglichen Dienstleistungen handelt es sich unstreitig nicht um die „Verwaltung von … Sondervermögen“ im Sinne von Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie.

15.      Unter diese Bestimmung fallen gemeinsame Vermögensfonds, in denen zahlreiche Investments gebündelt und auf ein Spektrum von Wertpapieren verteilt sind, die sich zur Optimierung der Ergebnisse wirksam verwalten lassen, und in deren Rahmen die einzelnen Anlagebeträge verhältnismäßig geringfügig sein können; derartige Fonds verwalten ihre Investments im eigenen Namen und für eigene Rechnung, während der einzelne Anleger einen oder mehrere Anteile an dem Fonds, nicht aber die Investments des Fonds als solche besitzt. Die hier in Rede stehenden Dienstleistungen beziehen sich dagegen im Allgemeinen auf das Vermögen einer Einzelperson, das einen verhältnismäßig hohen Gesamtwert haben muss, damit eine Verwaltung in dieser Form rentabel wird; der Portfoliomanager kauft und verkauft Investments im Namen und für Rechnung des Anlegers, der durchgängig und auch bei Beendigung des Vertrags Inhaber der einzelnen Wertpapiere bleibt.

16.      Außerdem ist unstreitig, dass die betreffenden Wertpapiere weder „Warenpapiere“ noch „in Art. 15 Abs. 2 genannte Rechte und Wertpapiere“ sind, bei denen die sich darauf beziehenden Umsätze von der Steuerbefreiung nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie ausgenommen sind. Die Dienstleistungen beschränken sich auch nicht auf die bloße Verwahrung von Wertpapieren, die ebenfalls von der Befreiung ausgenommen ist.

17.      Im Mittelpunkt der ersten beiden Fragen steht die Problematik, ob die betreffenden Dienstleistungen auf Wertpapiere bezogene „Umsätze – einschließlich der Vermittlung, jedoch nicht … der Verwaltung“ sind, die nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f von der Steuer befreit sind.

18.      Nach den Angaben im Vorlagebeschluss und den eigenen Ausführungen der Deutschen Bank fallen die Dienstleistungen in drei Kategorien, die sich zusammengefasst bezeichnen lassen als a) auf Fachwissen und Marktbeobachtung beruhende Entscheidungen darüber, welche Wertpapiere zu welchem Zeitpunkt gekauft oder verkauft werden sollen, b) Vollzug dieser Entscheidungen durch tatsächlichen An- oder Verkauf der Wertpapiere(9) und c) eine Reihe eher verwaltungstechnischer Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Halten der Wertpapiere.

19.      Mit seiner ersten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob die Dienstleistungen a und b zusammengenommen unter die Befreiung nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie fallen. Zur Beantwortung dieser Frage ist u. a. zu prüfen, ob „sie ein im Großen und Ganzen eigenständiges Ganzes sind, das die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer in dieser Bestimmung beschriebenen Dienstleistung erfüllt“(10).

20.      Mit der zweiten Frage ersucht das nationale Gericht – auch insoweit im Hinblick auf die Prüfung der Befreiungsmöglichkeit nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f – um Hinweise zur Rechtsprechung betreffend die mehrwertsteuerliche Behandlung zusammenhängender Dienstleistungen in Fällen, in denen eine Leistung als „Hauptleistung“ angesehen werden kann und die andere(n) als „Nebenleistung(en)“, so dass sie zusammen eine einheitliche Leistung bilden(11). Ihrem Wortlaut nach scheint die Frage in erster Linie auf das Verhältnis zwischen den oben unter a und b genannten Dienstleistungen abzuzielen, die von der Deutschen Bank gesondert abgerechnet werden. Die Begründung des Vorlagebeschlusses legt jedoch nahe, dass es dem nationalen Gericht auch um die unter c fallenden Dienstleistungen geht, für die das Entgelt offenbar im Rahmen der Berechnung der Dienstleistungen a und b erhoben wird.

21.      Die beiden Problemkreise sind eindeutig und eng miteinander verknüpft. Man könnte sie sogar im Wesentlichen als eine einzige Fragestellung betrachten. Ich werde sie daher zunächst zusammen prüfen und dabei einen bestimmten Gesichtspunkt der ersten Frage behandeln sowie die zweite Frage beantworten. Sodann werde ich mich mit der Hauptproblematik der ersten Frage und schließlich mit der dritten Frage befassen, die eine andere Bestimmung der Mehrwertsteuerrichtlinie betrifft.

 Verhältnis zwischen den genannten Dienstleistungen (erste und zweite Frage)

22.      Alle Verfahrensbeteiligten, die schriftliche Erklärungen abgegeben haben, sind sich einig, dass die Portfolioverwaltung, wie sie im Vorlagebeschluss beschrieben wird, als ein einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang anzusehen sei oder dass zumindest die Leistungen aufgrund der erbrachten Hauptleistung mehrwertsteuerlich in gleicher Weise zu behandeln seien. Sie gehen davon aus, dass eine Aufspaltung in einzelne Teile wie Portfoliostrukturierung, Marktbeurteilung, An- und Verkauf von Wertpapieren, Buchführung und dergleichen zwar möglich sei, dass aber das angebotene „Produkt“ alle diese Dienstleistungen umfasse und das Interesse des Kunden auf den Empfang einer einheitlichen Leistung und nicht einer Vielzahl von Teilleistungen gerichtet sei. Die Verfahrensbeteiligten sind sich außerdem einig, dass das reine Verwaltungselement der Dienstleistung geringfügig oder nebensächlich sei und die Gesamtqualifizierung nicht berühren dürfe.

23.      Auch ich bin dieser Ansicht.

24.      Nach ständiger Rechtsprechung ist bei einem Umsatz, der verschiedene Einzelleistungen umfasst, eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, um zu bestimmen, ob zwei oder mehr getrennte Leistungen vorliegen oder eine einheitliche Leistung. Jeder Umsatz ist zwar in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten, doch darf ein Umsatz, der eine wirtschaftlich einheitliche Leistung darstellt, im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Unter bestimmten Umständen sind ferner mehrere formal eigenständige Leistungen, die getrennt erbracht werden könnten, als einheitlicher Umsatz anzusehen, wenn sie nicht voneinander unabhängig sind. Eine einheitliche Leistung liegt vor, i) wenn zwei oder mehr Einzelleistungen so eng miteinander verbunden sind, dass sie eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre, oder ii) wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, andere Teile aber Nebenleistungen darstellen. Insbesondere ist eine Leistung als Nebenleistung anzusehen, wenn sie für die Kunden keinen Selbstzweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Die Ermittlung des Sachverhalts eines bestimmten Falles ist zwar Sache des nationalen Gerichts, doch kann der Gerichtshof dem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben, die für die Entscheidung des Rechtsstreits sachdienlich sind(12).

25.      Das vorlegende Gericht scheint davon auszugehen, dass der An- und Verkauf von Wertpapieren (den ich oben in den Nrn. 18 ff. unter b aufgeführt habe) als Nebenleistung zur Dienstleistung der Vermögensverwaltung (die ich unter a genannt habe) einzuordnen wäre, wenn nicht der Gerichtshof im Urteil RLRE Tellmer Property(13) auf den Umstand abgestellt hätte, dass eine Reinigungsdienstleistung, die er als eine von der Vermietung eines Wohngebäudes getrennte Leistung ansah, von einem Dritten erbracht und/oder gesondert in Rechnung gestellt werden kann.

26.      Meines Erachtens sollte man richtigerweise nicht mit der Prüfung beginnen, welche der beiden von mir als a und b bezeichneten Dienstleistungen die Haupt- und welche die Nebenleistung darstellen könnte, sondern zunächst untersuchen, ob sie so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Meines Erachtens ist eine solche enge Verbundenheit gegeben.

27.      Die deutsche Regierung weist darauf hin, dass in der Rechtsprechung die Beurteilung der Frage, ob zwei oder mehrere Elemente eine wirtschaftlich einheitliche Leistung bilden, aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers vorgenommen worden sei(14). Ich stimme diesem Ansatz zu. Zwar hat der Gerichtshof in einigen dieser Urteile in diesem Zusammenhang auch den Begriff „objektiv“ verwendet, doch ist die Sicht eines Durchschnittsverbrauchers bezüglich einer Dienstleistungsart per definitionem ein objektives Kriterium, verglichen mit der subjektiven Sicht eines bestimmten Kunden bezüglich eines bestimmten Umsatzes. Ich möchte hinzufügen, dass der Gerichtshof im Urteil Bog u. a. ausgeführt hat, dass die „qualitativ überwiegenden Bestandteile“ aus der Sicht des Verbrauchers zu betrachten seien(15).

28.      Aus der Sicht eines typischen Empfängers von Dienstleistungen wie den hier in Rede stehenden – einer Person, die über einen beträchtlichen zu investierenden Betrag verfügt, nicht aber über die Zeit und/oder Sachkenntnis, die nötig wären, um ihn selbst angemessen zu verwalten – bildet das Bündel der von mir als a und b bezeichneten Leistungen, wie sie im Vorlagebeschluss beschrieben werden, eine einzige, untrennbare Leistung.

29.      Ich behaupte nicht, dass a und b so untrennbare Leistungen sind, dass keine von ihnen einzeln angeboten werden könnte. Im Gegenteil, ein Anleger, der wissen möchte, wie er sein Portfolio optimal verwalten soll, aber bereit ist, die Geschäfte selbst zu tätigen, könnte eine Beratungsleistung in Anspruch nehmen und die eigentlichen Entscheidungen anschließend selbst treffen. Umgekehrt könnte ein Anleger, der weiß, welche An- und Verkäufe er wann tätigen will, sich aber nicht die Mühe machen möchte, die Geschäfte selbst vorzunehmen, einen Vermittler allein mit dem letztgenannten Vorgang betrauen. Im Gegensatz zu diesen beiden Fallgestaltungen ist der von der Deutschen Bank angebotene Portfolioverwaltungsvertrag, wie er im Vorlagebeschluss beschrieben wird, auf Personen zugeschnitten, die eine einheitliche Leistung in Anspruch nehmen wollen.

30.      Zudem vermag weder Leistung a noch Leistung b, auch wenn sie getrennt angeboten werden können, im luftleeren Raum einem in sich schlüssigen Zweck zu dienen. Eine Entscheidung über das optimale Vorgehen bei dem Erwerb, der Veräußerung oder dem Halten von Wertpapieren wäre müßig, wenn sie nie umgesetzt würde, und die Tätigung – oder gegebenenfalls das Unterbleiben – von An- und Verkäufen ohne einen rationalen und fundierten Entscheidungsprozess würde das Ergebnis weitgehend dem Zufall überlassen. Die Entscheidung, einen An- oder Verkauf zu tätigen oder zu unterlassen, ist so eng mit der empfohlenen Handlung oder Unterlassung selbst verbunden, dass die beiden de facto und im Normalfall die beiden Seiten derselben Medaille sind. Ein Anleger, der nicht selbst über die erforderlichen Ressourcen verfügt, handelt daher durchaus vernünftig, wenn er sowohl die Entscheidung als auch deren Umsetzung einem vertrauenswürdigen Dritten überträgt.

31.      Der bloße Umstand, dass im Standardvertrag der Deutschen Bank jeweils ein gesonderter Prozentsatz für die Leistungen a und b ausgewiesen ist, ändert nichts an dieser Einschätzung. Im Urteil RLRE Tellmer Property(16) hat der Gerichtshof als Kriterium für die Entscheidung darüber, ob eine einheitliche Leistung oder getrennte Leistungen vorliegen, nicht auf die getrennte Rechnungstellung abgestellt. Er hat diesen Umstand vielmehr als Beleg für einen wesensmäßigen Unterschied zwischen der Vermietung von Wohnungen und der Reinigung der Gemeinschaftsräume der betreffenden Mietshäuser gewertet. Darüber hinaus hat der Gerichtshof im Urteil Bog u. a.(17) hervorgehoben, dass bei der Zurverfügungstellung von Speisen, Geschirr, Besteck, Tischen und Personal durch ein Partyservice-Unternehmen das Vorliegen eines einheitlichen Umsatzes nicht davon abhängt, ob das Unternehmen eine einzige Rechnung, in der alle Elemente aufgeführt sind, oder getrennte Rechnungen für die verschiedenen Elemente ausstellt. Im Übrigen hat die Deutsche Bank in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Aufteilung des Gesamtentgelts historisch durch die Modalitäten der Gewinnbesteuerung bedingt sei, so dass die Aufteilung nicht den relativen Wert der nominell in Rechnung gestellten Posten widerspiegele – allerdings ist dies vom zuständigen nationalen Gericht noch zu prüfen.

32.      Sind die Dienstleistungen a und b im Bündel als eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung anzusehen, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre, so stellen sie – auch wenn sie unter anderen Umständen getrennt erbracht werden könnten – eindeutig eine Hauptleistung dar, zu der die von mir unter c angeführten eher verwaltungstechnischen Dienstleistungen eine Nebenleistung bilden. Zu ihnen gehören ausweislich der Akten Auslagen im Rahmen der Geschäfte, die Entgegennahme von Erträgen aus den gehaltenen Wertpapieren und die Abrechnung beider Posten mit dem Kunden. Sie werden der Einfachheit halber zusammen mit der Hauptleistung angeboten – als „Mittel, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen“, um die in der Rechtsprechung verwendete Formulierung aufzugreifen. Auch diese Nebenleistung sollte daher mehrwertsteuerlich in gleicher Weise behandelt werden.

33.      Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Leistungen a und b zusammengenommen unter Art. 135 Abs. 1 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie fallen.

 Qualifizierung der Dienstleistungen in Bezug auf Art. 135 Abs. 1 Buchst. f (erste Frage)

34.      Nach Auffassung der Deutschen Bank und der Kommission sind die in Rede stehenden Dienstleistungen nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie steuerfrei; das Finanzamt, die deutsche und die niederländische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs sind gegenteiliger Ansicht. Die Ausführungen befassen sich u. a. mit den Grundsätzen für die Auslegung der Mehrwertsteuerrichtlinie und in diesem Zusammenhang mit dem Normzweck der streitigen Befreiungsregelung, die zu den für Finanzumsätze geltenden Befreiungstatbeständen gehört.

35.      Nach ständiger Rechtsprechung sind die in den Art. 131 bis 137 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen autonome unionsrechtliche Begriffe, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems verhindern sollen. Die verwendeten Begriffe sind eng auszulegen, da die Steuerbefreiungen Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt. Die Auslegung dieser Begriffe muss jedoch mit den verfolgten Zielen im Einklang stehen und den Erfordernissen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen, auf dem das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht und der eine unterschiedliche mehrwertsteuerrechtliche Behandlung gleichartiger, miteinander in Wettbewerb stehender Leistungen ausschließt(18). Diese enge Auslegung bedeutet also nicht, dass die verwendeten Begriffe in einer Weise auszulegen sind, die den Befreiungen die mit ihnen beabsichtigte Wirkung nähme(19).

36.      Weder den Erwägungsgründen der Mehrwertsteuerrichtlinie oder ihrer Vorläuferin, der Sechsten Richtlinie, noch der Entstehungsgeschichte dieser beiden Rechtsakte lassen sich eindeutige Hinweise darauf entnehmen, welche Wirkung mit der Befreiung der in Art. 135 Abs. 1 Buchst. b bis g der Mehrwertsteuerrichtlinie (früher Art. 13 Teil B Buchst. d Nrn. 1 bis 6 der Sechsten Richtlinie) aufgeführten Finanzumsätze angestrebt wird. Der Gerichtshof hat jedoch ausgeführt, dass der Zweck darin besteht, die Schwierigkeiten, die mit der Bestimmung der Bemessungsgrundlage und der Höhe der abzugsfähigen Mehrwertsteuer verbunden sind, zu verringern und eine Erhöhung der Kosten des Verbraucherkredits zu vermeiden(20). Insbesondere besteht das Ziel der in Art. 135 Abs. 1 Buchst. g geregelten Befreiung der Umsätze im Zusammenhang mit der Verwaltung von Sondervermögen durch Kapitalanlagegesellschaften darin, Kleinanlegern die Geldanlage in Investmentfonds zu erleichtern. Die steuerliche Neutralität des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems soll in Bezug auf die Wahl zwischen einer unmittelbaren Geldanlage in Wertpapieren und einer Investition durch Einschaltung von Organismen für gemeinsame Anlagen gewährleistet werden(21).

37.      Der Gerichtshof hat sich zu dem speziellen Zweck der Befreiung in Art. 135 Abs. 1 Buchst. f nicht in vergleichbarer Weise geäußert. Er hat jedoch den Geltungsbereich der Befreiung umrissen. Dienstleistungen fallen in diesen Geltungsbereich, wenn sie insgesamt gesehen ein eigenständiges Ganzes sind, das die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer in dieser Vorschrift beschriebenen Leistung erfüllt. Befreit sind nur Umsätze, die geeignet sind, Rechte und Pflichten der Parteien in Bezug auf Wertpapiere zu begründen, zu ändern oder zum Erlöschen zu bringen, nicht hingegen administrative Leistungen, die nicht zu Änderungen dieser Lage führen, oder Umsätze, die die Lieferung von Finanzinformationen umfassen. Der Begriff „Vermittlung“ bezieht sich auf die Tätigkeit einer Mittelsperson, die nicht den Platz einer Partei eines Vertrags über ein Finanzprodukt einnimmt und deren Tätigkeit sich von den vertraglichen Leistungen unterscheidet, die von den Parteien solcher Verträge typischerweise erbracht werden. Die Vermittlungstätigkeit ist eine Dienstleistung, die einer Vertragspartei als eigenständige Mittlertätigkeit erbracht und von ihr als solche vergütet wird(22).

38.      Ich bin zu der Ansicht gelangt, dass die streitigen Dienstleistungen insgesamt gesehen ein eigenständiges Ganzes sind. Erfüllt dieses Ganze die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. f beschriebenen spezifischen und wesentlichen Funktionen? Es ist wichtig, dass der Gerichtshof eine klare Antwort gibt. Die Praktiken sind von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat sehr unterschiedlich, was sich negativ auf die Harmonisierung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und auf den Wettbewerb innerhalb der Union auswirkt.

39.      Was erstens den Charakter des „eigenständigen Ganzen“ betrifft, sind das Finanzamt, die deutsche und die niederländische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs der Auffassung, dass das Wesen der Portfolioverwaltung in der Bereitstellung von Fachwissen bestehe, das bestimmenden Einfluss auf die Struktur des Portfolios ausübe und den Entscheidungen über Ankauf, Verkauf oder Halten der Wertpapiere zugrunde liege. Die Anwendung dieses Fachwissens könne zu Umsätzen führen, die Rechte und Pflichten der Parteien in Bezug auf Wertpapiere begründeten, änderten oder zum Erlöschen brächten, doch seien solche Umsätze lediglich ein Nebeneffekt der Hauptfunktion, die darin bestehe, die gewünschte Rendite und/oder Wertsteigerung der Kapitalanlage des Kunden sicherzustellen.

40.      Demgegenüber sehen die Deutsche Bank und die Kommission das Wesen der Dienstleistung in dem aktiven An- und Verkauf von Wertpapieren nach Maßgabe der gewählten Strategie. Das Fachwissen als solches sei zwar unerlässlich, stelle aber lediglich eine Vorbedingung für diese Tätigkeit dar, während das Interesse des Anlegers darauf gerichtet sei, dass die notwendigen Geschäfte getätigt würden. Die Deutsche Bank ist zudem der Auffassung, dass die vertragliche Pflicht in der Verfolgung der gewählten Strategie, nicht jedoch in der Erzielung bestimmter Erträge oder Wertsteigerungen bestehe. Selbst bei einer Entscheidung, eine Wertpapierposition vorläufig zu halten, sei die Anwendung des Fachwissens gleichwohl geeignet, die rechtliche und finanzielle Lage zwischen den betreffenden Parteien zu ändern(23).

41.      Im Einklang mit meiner Analyse des Verhältnisses zwischen den einzelnen Faktoren der erbrachten Gesamtleistung muss die Dienstleistung als Ganzes untersucht werden, um zu klären, ob sie in den Geltungsbereich von Art. 135 Abs. 1 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie fällt.

42.      Ein Teil der Gesamtleistung besteht in der Tätigung von Umsätzen, die Rechte und Pflichten der Parteien in Bezug auf Wertpapiere tatsächlich begründen, ändern oder zum Erlöschen bringen. Der verbleibende Teil (Anwendung einschlägiger Kenntnisse im Finanzbereich) ist zwar geeignet, zu Handlungen zu führen, die solche Rechte und Pflichten begründen, ändern oder zum Erlöschen bringen, aber es ist ebenso gut möglich, dass dies nicht geschieht.

43.      Ich bin wie das Finanzamt und die Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, der Meinung, dass aus der Sicht des Kunden der letztgenannte Teil für das Wesen der Gesamtleistung kennzeichnend ist. Einem Kunden, der eine bestimmte Anlagestrategie wählt, ist daran gelegen, dass diese Strategie verfolgt wird. Ob Wertpapiere tatsächlich gekauft oder veräußert werden, ist für ihn weniger wichtig als die Gewissheit, dass seine Kapitalanlage jederzeit im Einklang mit dieser Strategie strukturiert ist. Er möchte sicher sein können, dass alle Geschäfte, die getätigt werden, zum richtigen Zeitpunkt vorgenommen werden, aber auch, dass An- oder Verkäufe unterbleiben, wenn ein Stillhalten vorzuziehen ist. Wie in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben wurde, spricht auch die Tatsache, dass sich das Entgelt ausschließlich nach dem Wert der betreffenden Kapitalanlage richtet und von Anzahl oder Volumen der gegebenenfalls getätigten Geschäfte unberührt bleibt, für die Auffassung, dass das dominierende Element der Dienstleistung nicht die „Umsätze“, sondern das „Fachwissen“ ist.

44.      Zweitens ist unstreitig, dass die streitigen Dienstleistungen nicht unter Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuerrichtlinie (Befreiung der Verwaltung von Sondervermögen) fallen, sondern im Grunde das Gegenstück zu einer solchen Verwaltung darstellen, aber in Bezug auf individuelle Vermögenswerte und nicht auf einen gemeinsamen Fonds. Trotz dieser Übereinstimmung ist jedoch in unterschiedlicher Weise argumentiert worden.

45.      Die Deutsche Bank und die Kommission weisen darauf hin, dass ein Anleger, der sein Vermögen kompetent betreut sehen wolle, die Wahl habe zwischen einer Portfolioverwaltung der hier in Rede stehenden Art (zumindest solange er über so viel Kapital verfüge, dass sich die Inanspruchnahme dieser Dienstleistung lohne) und einer Anlage in einem gemeinsamen Vermögensfonds (ungeachtet des Anlagebetrags), wobei beide Optionen Alternativen zu einer unmittelbaren Anlage in Wertpapieren darstellten. Zwar dürften verschiedene Faktoren seine Wahl beeinflussen, doch könnten ihn Unterschiede in der mehrwertsteuerlichen Behandlung dazu veranlassen, sich für diejenige Lösung zu entscheiden, die nicht besteuert werde. Damit komme es zu einer Verfälschung des Wettbewerbs zwischen gleichartigen Dienstleistungen und zu einer Verletzung des Grundsatzes der mehrwertsteuerlichen Neutralität. Da die Verwaltung gemeinsamer Vermögensfonds nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. g und unmittelbare Anlagen nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f befreit seien, müsse die individuelle Portfolioverwaltung ebenfalls gemäß der letztgenannten Vorschrift befreit werden.

46.      Demgegenüber argumentieren die deutsche und die niederländische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs, aus der ausdrücklichen Befreiung der Verwaltung gemeinsamer Investmentfonds sei zwangsläufig zu folgern, dass für die individuelle Vermögensverwaltung der allgemeine Grundsatz gelte, wonach alle Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringe, der Mehrwertsteuer unterlägen; wenn die Vermögensverwaltung generell von Art. 135 Abs. 1 Buchst. f erfasst würde, wäre keine ausdrückliche Befreiung gemeinsamer Vermögensfonds in Art. 135 Abs. 1 Buchst. g erfolgt. Darüber hinaus verweisen sie auf die Feststellung des Gerichtshofs im Urteil Abbey National(24), dass mit der Befreiung in Art. 135 Abs. 1 Buchst. g Kleinanlegern die Geldanlage in Wertpapieren über Kapitalanlagegesellschaften erleichtert werden solle; eine Erleichterung der Geldanlage für Personen, die über genügend Kapital verfügten, um Portfolioverwaltungsleistungen in Anspruch nehmen zu können, werde nicht bezweckt.

47.      Obwohl mir die Begründung des von der Deutschen Bank und der Kommission eingenommenen Standpunkts durchaus einleuchtet und ich das von ihnen befürwortete Ergebnis auch nicht für unangemessen halte, neige ich zu der Ansicht, dass Portfolioverwaltungsleistungen der hier in Rede stehenden Art beim gegenwärtigen Stand nicht durch Art. 135 Abs. 1 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie befreit sind. Möglicherweise wird die Frage durch eine künftige Änderung eindeutig im Sinne einer Befreiung geklärt, doch ist dies Sache des Rates, der derzeit noch über die Vorschläge der Kommission berät(25).

48.      Meine Auffassung stützt sich auf folgende Überlegungen.

49.      Erstens trifft es zu, dass die erbrachte Dienstleistung als Ganzes betrachtet Umsätze – einschließlich der Vermittlung – umfasst, die sich auf Wertpapiere beziehen. Diese Aspekte wären für sich genommen nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f befreit. Kennzeichnend für die Dienstleistung ist jedoch eher ihr anderes Element, nämlich die Sammlung und Verwertung von Markterkenntnissen in Verbindung mit vorhandenem Wissen und Sachkunde, um fundierte Entscheidungen über die Verwaltung jedes Wertpapierportfolios nach Maßgabe der jeweils gewählten Strategie treffen zu können. Unstreitig besteht keine Möglichkeit, diesen letztgenannten Bestandteil – als eigenständige Dienstleistung – nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f zu befreien.

50.      Folglich erscheint der Schluss nicht möglich, dass die in Rede stehenden Dienstleistungen insgesamt gesehen ein eigenständiges Ganzes sind, das die in dieser Vorschrift beschriebenen spezifischen und wesentlichen Funktionen erfüllt. Der Geltungsbereich von Art. 135 Abs. 1 Buchst. f ist vorderhand auf die Ausführung oder Vermittlung von Umsätzen beschränkt, die geeignet sind, Rechte und Pflichten der Parteien in Bezug auf Wertpapiere zu begründen, zu ändern oder zum Erlöschen zu bringen(26). Die hier in Rede stehende Dienstleistung bildet ein eigenständiges Ganzes und kann daher nicht einfach auf einen ihrer Bestandteile reduziert werden. Da ihr dominierendes Merkmal jedoch der Erwerb und die Verwertung von Fachwissen zur Ermöglichung fundierter Entscheidungen ist, erfüllt sie nicht die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. f beschriebenen spezifischen und wesentlichen Funktionen.

51.      Zweitens ist es schwer, zu einer eindeutigen teleologischen Auslegung von Art. 135 Abs. 1 Buchst. f zu kommen, die zu dem Ergebnis führen könnte, dass diese Vorschrift – sei es für sich genommen, sei es im Kontext der Befreiungstatbestände für Finanzumsätze oder sei es im Kontext der vollständigen Aufzählung aller Befreiungstatbestände in Art. 135 – Portfolioverwaltungsleistungen der hier streitigen Art erfassen soll.

52.      Für sich allein enthält Art. 135 Abs. 1 Buchst. f keine Angaben zu seinem Normzweck. Der einzige – allerdings nicht hilfreiche – Hinweis lautet, dass Umsätze, die sich auf Wertpapiere über körperliche Gegenstände beziehen, von der Befreiung ausgenommen sind. Der Gerichtshof hat in seinen Entscheidungen lediglich hervorgehoben, dass sich die Befreiung auf die Ausführung oder Vermittlung von Umsätzen beschränke, die geeignet seien, Rechte und Pflichten zu begründen, zu ändern oder zum Erlöschen zu bringen.

53.      Was die vom Gerichtshof herausgearbeiteten allgemeinen Ziele betrifft, die mit der Befreiung von Finanzumsätzen verfolgt werden(27), so dürften bei den in Rede stehenden Dienstleistungen (im Gegensatz zu den zugrunde liegenden Wertpapierumsätzen, die ausdrücklich nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f befreit sind) keine Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage oder der Höhe der abzugsfähigen Mehrwertsteuer auftreten, und ihre Besteuerung würde auch nicht zu einer Erhöhung der Kosten des Verbraucherkredits führen. Die Portfolioverwaltung gehört wohl (wiederum im Gegensatz zu den zugrunde liegenden Umsätzen) auch nicht zu den von Generalanwalt Ruiz-Jarabo so genannten „Transaktionen …, die wegen ihrer Häufigkeit und Gewohnheitsmäßigkeit ein zentraler Bestandteil der Finanzsysteme und folglich des Wirtschaftslebens der Mitgliedstaaten sind“(28). Sollte im Übrigen seinerzeit die Beibehaltung der zuvor in den Mitgliedstaaten geltenden Befreiungen bezweckt worden sein(29), so sei darauf hingewiesen, dass die Portfolioverwaltung in allen ursprünglichen Mitgliedstaaten vor 1972 besteuert wurde(30).

54.      Eine Gesamtbetrachtung aller in Art. 135 Abs. 1 aufgezählten Befreiungstatbestände zeigt deutlich, dass keine Rückschlüsse auf einen gemeinsamen Zweck möglich sind. Die dort genannten Leistungen umfassen neben den bereits behandelten „Finanzumsätzen“ so unterschiedliche Bereiche wie Postwertzeichen, Glücksspiele, Lieferungen von Grundstücken sowie die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken.

55.      Auch die Entstehungsgeschichte von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 5 der Sechsten Richtlinie erscheint mir – trotz der Ausführungen der Kommission in der mündlichen Verhandlung – insoweit nicht besonders erhellend. Gewiss wurde der im ursprünglichen Vorschlag fehlende Vorbehalt „Diese Befreiung gilt nicht für die mit derartigen Umsätzen zusammenhängenden Dienstleistungen“(31) offenbar auf Wunsch des Parlaments hinzugefügt, dann aber vom Rat wieder gestrichen. Mangels eindeutigerer Anhaltspunkte lässt sich daraus jedoch für keine der beiden Auffassungen etwas herleiten.

56.      Demnach kann ich – unter Berücksichtigung des Gebots einer engen Auslegung von Befreiungen, da sie Ausnahmen von der allgemeinen Regel darstellen, dass Mehrwertsteuer auf alle Dienstleistungen zu erheben ist, die von einem Steuerpflichtigen gegen Entgelt erbracht werden – nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass angesichts des mit Art. 135 Abs. 1 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie verfolgten Ziels die individuelle Portfolioverwaltung in den Geltungsbereich des in dieser Vorschrift vorgesehenen Befreiungstatbestands aufzunehmen ist.

57.      Gleichwohl bleibt die Frage der steuerlichen Neutralität im Verhältnis von Art. 135 Abs. 1 Buchst. f und Art. 135 Abs. 1 Buchst. g zueinander zu klären.

58.      Gewiss hat der Gerichtshof ausgeführt, dass der dem Mehrwertsteuersystem innewohnende Grundsatz der steuerlichen Neutralität es verbietet, gleichartige, miteinander in Wettbewerb stehende Leistungen mehrwertsteuerlich ungleich zu behandeln, und dass die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. g vorgesehene Befreiung diese Neutralität in Bezug auf die Wahl zwischen einer unmittelbaren Anlage in Wertpapieren und einer Anlage durch Einschaltung von Organismen für gemeinsame Anlagen gewährleisten soll(32).

59.      Ich räume auch ein, dass die individuelle Portfolioverwaltung zumindest in gewissem Umfang in Wettbewerb zu diesen beiden Anlageformen tritt. Wie in der mündlichen Verhandlung noch deutlicher geworden ist, dürfte die Wahl, die ein Anleger trifft – sofern er über so viel Vermögen verfügt, dass er überhaupt eine Wahl hat –, von einer erheblichen Zahl von Faktoren abhängen, von denen die mehrwertsteuerliche Behandlung nur einer ist(33). Und selbst wenn die mehrwertsteuerliche Behandlung in einigen Fällen eine Rolle spielen mag, ist nicht ersichtlich, dass die Besteuerung angesichts der damit verbundenen Möglichkeit des Vorsteuerabzugs für den Kunden letztlich zwangsläufig wesentlich ungünstiger wäre als eine Befreiung, bei der die Vorsteuer ohne Abzugsmöglichkeit in den Preis der Dienstleistungen einfließt. Wie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt wurde, wird sowohl die Portfolioverwaltung als auch die Anlage in Sondervermögen von Großanlegern in Anspruch genommen, bei denen es sich um Steuerpflichtige handeln dürfte, denen das Abzugsrecht zusteht.

60.      Hinzu kommt, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität im Bereich der Mehrwertsteuer zwar das Verhältnis zwischen den ausdrücklichen Befreiungen sowohl für Direktanlagen als auch für die Verwaltung von Sondervermögen erklären mag, doch eröffnet dieser Grundsatz meines Erachtens nicht die Möglichkeit, den Geltungsbereich einer ausdrücklichen Befreiung ohne entsprechend klaren Wortlaut auszuweiten. Wie die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, handelt es sich nicht um einen fundamentalen Grundsatz bzw. eine fundamentale Regel des Primärrechts mit Ausstrahlung auf den Umfang eines Befreiungstatbestands, sondern um einen Auslegungsgrundsatz, der neben dem Grundsatz der engen Auslegung von Ausnahmen anzuwenden ist und diesem Grenzen setzt. Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass Tätigkeiten, die in gewissem Grad vergleichbar sind und deshalb in gewissem Grad miteinander in Wettbewerb stehen, mehrwertsteuerlich unterschiedlich behandelt werden dürfen, wenn die Ungleichbehandlung ausdrücklich vorgesehen ist(34). Zudem würden, wenn alle Tätigkeiten, die teilweise miteinander in Wettbewerb stehen, mehrwertsteuerlich gleichbehandelt werden müssten, letztlich – da sich praktisch jede Tätigkeit in gewissem Grad mit einer anderen überschneidet – sämtliche Unterschiede in der mehrwertsteuerlichen Behandlung beseitigt. Das würde (vermutlich) zur Abschaffung sämtlicher Befreiungen führen, da der einzige Zweck des Mehrwertsteuersystems in der Besteuerung von Umsätzen besteht.

61.      Demgegenüber erscheinen mir die beiden von der deutschen und der niederländischen Regierung vorgebrachten und vom Finanzamt und vom Vereinigten Königreich unterstützten Argumente, wonach die Befreiung der Verwaltung von gemeinsamen Vermögensfonds impliziere, dass die individuelle Vermögensverwaltung nicht befreit sei, und eine Befreiung der Verwaltung gemeinsamer Fonds überflüssig wäre, wenn durch Art. 135 Abs. 1 Buchst. f die Vermögensverwaltung ganz allgemein erfasst werden sollte, besonders überzeugend.

62.      Dagegen hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung allerdings eingewendet, zwar sei die Verwaltung von Sondervermögen (d. h. das Äquivalent zu der hier in Rede stehenden Portfolioverwaltung) nach ihrer Auslegung bereits durch Art. 135 Abs. 1 Buchst. f befreit, doch sei die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. g vorgesehene Befreiung trotzdem notwendig, um Umsätze wie die Ausgabe und Einziehung von Fondsanteilen zu erfassen, soweit diese nicht an der Börse gehandelt würden. Ich sehe jedoch keinen Grund zu der Annahme, dass solche Umsätze, nur weil sie ausschließlich bei gemeinsamen Vermögensfonds auftreten und nicht in äquivalenter Form bei der individuellen Portfolioverwaltung vorkommen, nicht auch von der Befreiung in Art. 135 Abs. 1 Buchst. f erfasst werden sollten, wenn dieser Befreiungstatbestand tatsächlich Vermögensverwaltungsleistungen ganz allgemein, ungeachtet der Anlageform, umfassen würde – was der Fall sein muss, wenn man die von der Kommission befürwortete Auslegung konsequent zu Ende denkt.

63.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass Portfolioverwaltungsleistungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art nicht unter die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. f vorgesehene Befreiung fallen.

 Ort der Dienstleistung (dritte Frage)

64.      Zu der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Zeit galt nach Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie als Ort der Dienstleistungen in Form von „Bank-, Finanz- und Versicherungsumsätzen“, die an außerhalb der Gemeinschaft ansässige Dienstleistungsempfänger oder an Steuerpflichtige erbracht wurden, die innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Staates des Dienstleistungserbringers ansässig waren, im Wesentlichen der Ort, an dem der Dienstleistungsempfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder seinen Wohnsitz hat.

65.      Der Bundesfinanzhof ist ebenso wie alle Verfahrensbeteiligten, die dem Gerichtshof Erklärungen eingereicht haben, der Auffassung, dass der Begriff „Bank-, Finanz- und Versicherungsumsätze“ im Sinne von Art. 56 Abs. 1 Buchst. e alle in Art. 135 Abs. 1 Buchst. a bis g aufgezählten Umsätze umfasse. Wenn – wie ich meine – Portfolioverwaltungsleistungen der hier in Rede stehenden Art nicht unter einen dieser Befreiungstatbestände fallen, muss geprüft werden, ob sie gleichwohl ebenfalls von Art. 56 Abs. 1 Buchst. e erfasst werden.

66.      Nahezu alle Verfahrensbeteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, sind der Meinung, dass die fraglichen Dienstleistungen unter Art. 56 Abs. 1 Buchst. e fallen. Zur Begründung stützen sie sich auf die weite Formulierung der Vorschrift und auf das Fehlen einer Bezugnahme auf Art. 135 der Richtlinie oder auf eine sonstige Bestimmung des Unionsrechts, die den inhaltlichen Umfang dieser Wendung beschränken könnte.

67.      Nur die deutsche Regierung ist anderer Ansicht. Sie verweist auf das Urteil Swiss Re Germany Holding(35), in dem der Gerichtshof ausgeführt habe, dass das ordnungsgemäße Funktionieren und die einheitliche Auslegung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems es verböten, die Begriffe „Versicherungsumsätze“ und „Rückversicherungsumsätze“ in den damaligen Art. 56 Abs. 1 Buchst. e und Art. 135 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie unterschiedlich zu definieren, je nachdem, ob sie in der einen oder der anderen Vorschrift verwendet würden. Dies müsse entsprechend auch für den Begriff „Finanzumsätze“ gelten. Nur ein solcher – einheitlich zu verfolgender – Ansatz könne hinreichende Rechtssicherheit schaffen, um der Gefahr einer Doppelbesteuerung oder Nichtbesteuerung vorzubeugen.

68.      Das überzeugt mich nicht.

69.      Die Ausführungen im Urteil Swiss Re Germany Holding hängen damit zusammen, dass in den Art. 56 Abs. 1 Buchst. e und 135 Abs. 1 Buchst. a für den Bereich der Versicherung im Wesentlichen identische Formulierungen verwendet werden, nämlich „Versicherungsumsätze, einschließlich Rückversicherungsumsätze“ bzw. „Versicherungs- und Rückversicherungsumsätze“. Solche identischen Wendungen müssen einheitlich ausgelegt werden, um eine Doppelbesteuerung oder Nichtbesteuerung zu vermeiden. Zwischen den Begriffen „Bankumsätze“ und „Finanzumsätze“ in Art. 56 Abs. 1 Buchst. e und den in Art. 135 Abs. 1 Buchst. b bis g aufgeführten Umsätzen besteht jedoch keine entsprechende Parallele. In den letztgenannten Bestimmungen kommen die Begriffe „Bank“ oder „Finanz“ überhaupt nicht vor. Die dort aufgezählten Umsätze sind ganz offenkundig finanzieller Natur, wobei viele von ihnen wahrscheinlich, wenn auch nicht ausschließlich, von Banken getätigt werden dürften, und sie stellen bei Weitem keine erschöpfende Aufzählung aller Umsätze dar, die von einer Bank getätigt oder als Finanzumsätze beschrieben werden können.

70.      Wenn die Geltungsbereiche von Art. 56 Abs. 1 Buchst. e und von Art. 135 Abs. 1 Buchst. a bis g genau deckungsgleich wären, hätte die Vorschrift außerdem wenig oder gar keinen Sinn. Alle von der letztgenannten Bestimmung erfassten Umsätze sind ausdrücklich von der Mehrwertsteuer befreit. Da bei ihnen Steuer weder erhoben wird noch abziehbar ist, ist der Ort, an dem die Leistung erfolgt, für die Zwecke der Mehrwertsteuer größtenteils irrelevant.

71.      In diesem Zusammenhang hat die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass zunächst der Ort der Dienstleistung bestimmt werden müsse, weil für die Entscheidung darüber, ob eine Leistung befreit sei, die Behörden des Mitgliedstaats zuständig seien, in dem die Leistung erbracht werde. Dieser Ansatz dürfte aber ein Zirkelschluss sein, da er eine Feststellung über das Vorliegen einer Befreiung (Subsumierung unter Art. 135 Abs. 1 Buchst. a bis g) erfordert, damit der Mitgliedstaat bestimmt werden kann, dessen Behörden für die Feststellung, ob die Leistung befreit ist, zuständig sind. Außerdem bleibt dabei unberücksichtigt, dass nach Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Ort der Dienstleistung auch außerhalb der Gemeinschaft liegen kann. Jedenfalls erscheint es unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber eine spezielle Norm einzig und allein zwecks Ermittlung der Behörde, die eine Leistung für befreit erklären kann, erlassen würde, wenn diese Leistung in allen Mitgliedstaaten befreit ist.

72.      Schließlich zeigt Art. 56 Abs. 1 Buchst. e in Verbindung mit Art. 135 Abs. 1 Buchst. l und Abs. 2 Buchst. d, dass es sich bei der Vermietung von Schließfächern um „Bank-, Finanz- und Versicherungsumsätze“ im Sinne von Art. 56 und um „Vermietung und Verpachtung von Grundstücken“ im Sinne von Art. 135 handelt.

73.      Ich schließe daraus, dass Art. 56 Abs. 1 Buchst. e zumindest einige Umsätze erfasst, die nicht in Art. 135 Abs. 1 Buchst. a bis g genannt sind. Fraglich ist, ob dazu auch Portfolioverwaltungsleistungen der hier in Rede stehenden Art gehören.

74.      Meines Erachtens ist dies im Einklang mit dem Wortlaut von Art. 56 Abs. 1 Buchst. e sowie der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu bejahen. Bei der Portfolioverwaltung handelt es sich um eine Dienstleistung finanzieller Natur. Die Formulierung von Art. 56 Abs. 1 Buchst. e ist weit und nimmt lediglich die Vermietung von Schließfächern vom Geltungsbereich der Vorschrift aus. Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Art. 9 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie (dessen fünfter Gedankenstrich identisch mit Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie in der im vorliegenden Fall geltenden Fassung war) nicht eng ausgelegt werden darf(36). Deshalb besteht kein Grund, Dienstleistungen finanzieller Natur mit Ausnahme der Vermietung von Schließfächern (falls diese Dienstleistung überhaupt finanzieller Natur ist) vom Geltungsbereich der Vorschrift auszunehmen. Es besteht auch – wie die Kommission unter Hinweis auf das Erfordernis hervorgehoben hat, die autonomen Begriffe der Mehrwertsteuerrichtlinie ausschließlich im Rahmen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems auszulegen – kein Grund, sich an anderen Maßnahmen der Union, etwa der vom nationalen Gericht angeführten Richtlinie 2004/39(37), zu orientieren.

 Ergebnis

75.      Nach alledem bin ich der Meinung, dass der Gerichtshof die Fragen des Bundesfinanzhofs wie folgt beantworten sollte:

1.      Portfolioverwaltungsleistungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art stellen für die Zwecke der Mehrwertsteuer eine einheitliche Leistung dar.

2.      Solche Leistungen fallen nicht unter die Befreiungstatbestände von Art. 135 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem.

3.      Der Begriff „Bank-, Finanz- und Versicherungsumsätze“ in Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112 ist nicht auf Umsätze beschränkt, die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. a bis g der Richtlinie aufgeführt sind, sondern schließt u. a. Portfolioverwaltungsleistungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art ein.


1 –      Originalsprache: Englisch.


2 – Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1).


3 –      Vgl. zuvor Art. 9 Abs. 2 Buchst. e fünfter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie); vgl. jetzt Art. 59 Buchst. e der Mehrwertsteuerrichtlinie, der nur auf Dienstleistungsempfänger außerhalb der Union Anwendung findet.


4 –      Art. 15 Abs. 2 nennt bestimmte Rechte an Grundstücken.


5 –      In einigen Sprachfassungen wird anstelle des Begriffs „Sondervermögen“ ein den Termini „gemeinsames“ oder „kollektives“ Vermögen entsprechender Begriff verwendet; es steht jedoch fest, dass die Bestimmung ausschließlich gemeinsame Vermögen betrifft (vgl. z. B. Urteil vom 4. Mai 2006, Abbey National (C‑169/04, Slg. 2006, I‑4027, Randnrn. 53 ff.); näher hierzu unten, Nr. 15.


6 – Zuvor Art. 13 Teil B Buchst. d Nrn. 5 und 6 der Sechsten Richtlinie.


7 – KOM(2007) 747 endg. bzw. KOM(2007) 746 endg.


8 –      Vgl. das interinstitutionelle Dossier 2007/0267(CNS), abrufbar unter http://register.consilium.europa.eu. Im jüngsten Sachstandsbericht des Vorsitzes über die Vorschläge für eine Richtlinie und für eine Verordnung des Rates über die mehrwertsteuerliche Behandlung von Versicherungs- und Finanzdienstleistungen (Ratsdokument 18650/11 vom 14. Dezember 2011) kommt ein gewisses Maß an Zufriedenheit mit den bereits erzielten Fortschritten und die Entschlossenheit zu weiteren Bemühungen um allseitiges Einvernehmen zum Ausdruck.


9 – Unstreitig handelt es sich bei den An- und Verkäufen als solchen um nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f der Mehrwertsteuerrichtlinie befreite „Umsätze …, die sich auf … Wertpapiere beziehen“. Die hier in Rede stehende Dienstleistung ist die Ausführung des Umsatzes für Rechnung des Kunden.


10 – Vgl. z. B. Urteil vom 22. Oktober 2009, Swiss Re Germany Holding (C‑242/08, Slg. 2009, I‑10099, Randnr. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).


11 – Vgl. z. B. Urteil vom 10. März 2011, Bog u. a. (C‑497/09, C‑499/09, C‑501/09 und C‑502/09, Slg. 2011, I‑1457, Randnr. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).


12 – Vgl. z. B. Urteile vom 27. Oktober 2005, Levob Verzekeringen und OV Bank (C‑41/04, Slg. 2005, I‑9433, Randnrn. 19 bis 23), vom 29. März 2007, Aktiebolaget NN (C‑111/05, Slg. 2007, I‑2697, Randnrn. 21 bis 23), vom 2. Dezember 2010, Everything Everywhere (C‑276/09, Slg. 2010, I‑12359, Randnrn. 21 bis 26), und Bog u. a. (in Fn. 11 angeführt, Randnrn. 51 bis 55).


13 – Urteil vom 11. Juni 2009 (C‑572/07, Slg. 2009, I‑4983, Randnrn. 22 bis 24).


14 – Vgl. Urteile vom 25. Februar 1999, CPP (C‑349/96, Slg. 1999, I‑973, Randnr. 29), Levob Verzekeringen und OV Bank (oben in Fn. 12 angeführt, Randnrn. 20 und 22), vom 21. Juni 2007, Ludwig (C‑453/05, Slg. 2007, I‑5083, Randnr. 17), vom 11. Februar 2010, Graphic Procédé (C‑88/09, Slg. 2010, I‑1049, Randnr. 20), und Everything Everywhere (oben in Fn. 12 angeführt, Randnr. 26).


15 – Oben in Fn. 11 angeführt, Randnr. 76. Diese Feststellung bezog sich zwar auf die Einstufung als Lieferung von Gegenständen oder als Dienstleistung, doch ist dieses Kriterium meiner Meinung nach ebenso relevant für die Einstufung als einheitliche Leistung oder als getrennte Leistungen.


16 – Oben in Fn. 13 angeführt.


17 – Oben in Fn. 11 angeführt; vgl. Randnr. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung.


18 – Der Begriff „Neutralität“ wird im Bereich der Mehrwertsteuer in doppeltem Sinn benutzt: Zum einen ist die Mehrwertsteuer in ihren Auswirkungen auf die Steuerpflichtigen neutral, da diese nicht selbst mit der Steuer belastet werden; zum anderen – und in diesem Sinne wird der Begriff hier gebraucht – darf die Mehrwertsteuer nicht unterschiedlich angewendet werden und dadurch zu einer Wettbewerbsverfälschung bei vergleichbaren Umsätzen führen.


19 – Vgl. z. B. Urteile vom 10. März 2011, Skandinaviska Enskilda Banken (C‑540/09, Slg. 2011, I‑1509, Randnrn. 19 f. und die dort angeführte Rechtsprechung), und Everything Everywhere (oben in Fn. 12 angeführt, Randnr. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).


20 – Vgl. Urteil Skandinaviska Enskilda Banken (oben in Fn. 19 angeführt, Randnr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung) sowie die Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen in dieser Rechtssache (Nr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung). Generalanwalt Ruiz-Jarabo sieht in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache CSC Financial Services (C‑235/00, Urteil vom 13. Dezember 2001, Slg. 2001, I‑10237, Nrn. 24 f.) den Grund für die Befreiung darin, „Transaktionen von der Besteuerung auszunehmen, die wegen ihrer Häufigkeit und Gewohnheitsmäßigkeit ein zentraler Bestandteil der Finanzsysteme und folglich des Wirtschaftslebens der Mitgliedstaaten sind“. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die in der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiungen im Detail den vor 1977 (vor allem in Frankreich) geltenden Regeln entsprächen – vgl. z. B. Amand, C., und Lenoir, V., „Pro rata deduction by financial institutions – gross margin or interest?“, International VAT Monitor 2006, S. 17, de la Feria, R., „The EU VAT treatment of insurance and financial services (again) under review“, EC Tax Review 2007, S. 74, sowie Henkow, O., Financial activities in European VAT, Kluwer Law International, 2008, S. 87 bis 90.


21 – Nämlich „Sondervermögen“ im Sinne von Art. 135 Abs. 1 Buchst. g. Vgl. Urteil Abbey National (oben in Fn. 5 angeführt, Randnr. 62). Der Hinweis auf Kleinanleger fehlt in dem späteren Urteil vom 28. Juni 2007, JP Morgan Fleming Claverhouse (C‑363/05, Slg. 2007, I‑5517, Randnr. 45). Im jüngsten Sachstandsbericht des Vorsitzes zu der vorgeschlagenen Änderungsrichtlinie (siehe oben, Fn. 8) heißt es: „Einige Mitgliedstaaten sind … der Meinung, dass die Steuerbefreiung auf Investmentfonds beschränkt werden sollte, die das Kapital von Kleinanlegern sammeln.“


22 – Vgl. Urteil CSC Financial Services, oben in Fn. 20 angeführt, Randnrn. 25, 28, 38 und 39.


23 – Vgl. Urteil Skandinaviska Enskilda Banken, oben in Fn. 19 angeführt, Randnrn. 31 f.


24 – Oben in Fn. 5 angeführt, Randnr. 62.


25 – Siehe oben, Nr. 7 und Fn. 8.


26 – Siehe oben, Nr. 37 und Fn. 22.


27 – Siehe oben, Nr. 36.


28 – Siehe oben, Fn. 20.


29 – Siehe oben, Fn. 20.


30 – Vgl. Hutchings, G., Les opérations financières et bancaires et la taxe sur la valeur ajoutée, Commission des Communautés européennes, Collection études, Série concurrence – Rapprochement des législations n° 22, Brüssel, 1973.


31 – Vgl. die Änderungen am Vorschlag in ABl. 1974, C 121, S. 34, 37.


32 – Siehe oben, Nr. 36.


33 – Die von mehreren Verfahrensbeteiligten angeführte Analogie zum Unterschied zwischen maßgeschneiderter Kleidung und Konfektionsware mag zwar in gewissem Maß das teilweise bestehende Wettbewerbsverhältnis zwischen den beiden zur Wahl stehenden Anlageformen illustrieren, stellt aber doch eine zu starke Vereinfachung dar.


34 – Vgl. z. B. Urteil vom 29. Oktober 2009, NCC Construction Danmark (C‑174/08, Slg. 2009, I‑10567, Randnrn. 36 ff.), und die Schlussanträge von Generalanwalt Bot, Nrn. 47 bis 54.


35 – Oben in Fn. 10 angeführt, Randnrn. 31 f.


36 – Vgl. z. B. Urteile vom 26. September 1996, Dudda (C‑327/94, Slg. 1996, I‑4595, Randnr. 21), und Levob Verzekeringen und OV Bank, oben in Fn. 12 angeführt, Randnr. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung.


37 – Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates (ABl. L 145, S. 1).