Language of document : ECLI:EU:C:2012:545

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 6. September 2012(1)

Verbundene Rechtssachen C‑237/11 und C‑238/11

Französische Republik

gegen

Europäisches Parlament


„Nichtigkeitsklage – Tagungskalender für die Plenartagungen des Europäischen Parlaments für die Jahre 2012 und 2013 – Protokoll über die Festlegung der Sitze der Organe und bestimmter Einrichtungen, sonstiger Stellen und Dienststellen der Europäischen Union“





I –    Einleitung

1.        Mit ihren am 19. Mai 2011 erhobenen Klagen beantragt die Französische Republik, den Beschluss des Europäischen Parlaments vom 9. März 2011 über den Tagungskalender des Parlaments für das Jahr 2012 (Rechtssache C‑237/11) und den Beschluss des Parlaments vom selben Tag über den Tagungskalender des Parlaments für das Jahr 2013 (Rechtssache C‑238/11) (im Folgenden zusammen: angefochtene Beschlüsse) für nichtig zu erklären.

2.        Die Besonderheit dieser Kalender liegt darin, dass für die Monate Oktober 2012 und Oktober 2013 vorgesehen ist, dass das Parlament zwei Plenartagungen in Straßburg (Frankreich) innerhalb derselben Woche abhält, deren Dauer im Vergleich zu den Tagungen, die in den übrigen Monaten des Jahres stattfinden sollen, verkürzt ist.

II – Rechtlicher Rahmen und Vorgeschichte des Rechtsstreits

3.        Im Jahr 1992 fassten die Regierungen der Mitgliedstaaten auf dem Gipfel von Edinburgh einen auf die Art. 216 EWG, 77 EGKS und 189 EAG gestützten Beschluss, den sogenannten „Beschluss von Edinburgh“, über die Festlegung der Sitze der Organe und bestimmter Einrichtungen und Dienststellen der Europäischen Gemeinschaften.

4.        Art. 1 Buchst. a des Beschlusses von Edinburgh bestimmte: „Das Europäische Parlament hat seinen Sitz in Straßburg; dort hält es die zwölf monatlich stattfindenden Plenartagungen einschließlich der Haushaltstagung ab. Zusätzliche Plenartagungen finden in Brüssel statt. Die Ausschüsse des Europäischen Parlaments treten in Brüssel zusammen. Das Generalsekretariat des Europäischen Parlaments und dessen Dienststellen verbleiben in Luxemburg.“

5.        Auf der Regierungskonferenz, die zur Annahme des Vertrags von Amsterdam geführt hat, wurde beschlossen, den Beschluss von Edinburgh den Verträgen beizufügen. Gegenwärtig wird der Wortlaut von Art. 1 Buchst. a des Beschlusses von Edinburgh in dem dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokoll Nr. 6 sowie in dem dem EAG-Vertrag beigefügten Protokoll Nr. 3 (im Folgenden zusammen: Protokolle) wiedergegeben(2).

6.        Das Primärrecht schreibt dem Parlament somit vor, zur monatlichen Plenartagung in Straßburg zusammenzutreten. Traditionsgemäß wird jedoch die Plenartagung für den Monat August auf Oktober verlegt, in dem daher zwei Plenartagungen in Straßburg abzuhalten sind.

7.        Die Konferenz der Präsidenten nahm am 3. März 2011 zwei Entwürfe für die Tagungskalender des Parlaments für die Jahre 2012 und 2013 an. Diese beiden Entwürfe sahen vor, dass das Parlament jeweils eine Plenartagung vom 1. bis 4. Oktober 2012 und vom 22. bis 25. Oktober 2012 sowie vom 30. September 2013 bis 3. Oktober 2013 und vom 21. bis 24. Oktober 2013 abhalten werde.

8.        Am 7. März 2011 wurden zwei Änderungsanträge zu den von der Konferenz der Präsidenten vorgelegten Entwürfen der Tagungskalender vorgelegt, einer betreffend den Kalender für 2012, der andere betreffend den Kalender für 2013. Gleichlautend wurde darin vorgeschlagen, „die Tagung in der 40. Kalenderwoche zu streichen“(3) und „die Tagung Oktober II [vom 22. Oktober bis 25. Oktober 2012 und vom 21. Oktober bis 24. Oktober 2013] in zwei einzelne Tagungen aufzuteilen“. Die erste Tagung im Oktober 2012 war somit für den 22. und 23. Oktober 2012 (im Jahr 2013 für den 21. und 22. Oktober 2013) vorgesehen, und die zweite Tagung im Oktober 2012 sollte am 25. und 26. Oktober 2012 (im Jahr 2013 am 24. und 25. Oktober 2013) stattfinden. Beide Änderungsanträge wurden zur Abstimmung gestellt und angenommen.

9.        Somit sieht der Tagungskalender für 2012 vor, dass im Oktober zwei Tagungen im Oktober während ein und derselben Woche, nämlich am 22. und 23. Oktober (erste Tagung) und am 25. und 26. Oktober (zweite Tagung) abgehalten werden.

10.      Der Tagungskalender für 2013 sieht vor, dass zwei Tagungen während ein und derselben Woche, nämlich am 21. und 22. Oktober (erste Tagung) und am 24. und 25. Oktober (zweite Tagung) abgehalten werden.

III – Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

11.      Der Präsident des Gerichtshofs hat mit Beschluss vom 9. Januar 2012 die Rechtssachen C‑237/11 und C‑238/11 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden.

12.      Die Französische Republik beantragt,

–        die angefochtenen Beschlüsse für nichtig zu erklären;

–        dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

13.      Das Parlament beantragt,

–        die Klagen als unzulässig abzuweisen;

–        hilfsweise, die Klagen als unbegründet abzuweisen und

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

14.      Mit Beschluss vom 21. September 2011 hat der Präsident des Gerichtshofs das Großherzogtum Luxemburg als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Französischen Republik zugelassen.

15.      Die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg und das Parlament haben in der Sitzung vom 5. Juni 2012 mündliche Ausführungen gemacht.

IV – Rechtliche Würdigung

16.      Da die von der Französischen Republik in der Rechtssache C‑237/11 erhobene Klage mit jener in der Rechtssache C‑238/11 absolut wortgleich ist, was auch für die Schriftsätze des Parlaments und des Großherzogtums Luxemburg(4) gilt, rege ich an, dass der Gerichtshof beide Klagen zusammen prüft.

17.      So stützen sich die beiden Nichtigkeitsklagen der Französischen Republik auf den einzigen Klagegrund eines Verstoßes gegen die Protokolle über den Sitz der Organe und der Nichtbeachtung des Urteils Frankreich/Parlament(5). Da das Parlament die Zulässigkeit der Klagen in Zweifel gezogen hat, ist die Prüfung mit diesem Aspekt des Rechtsstreits zu beginnen.

A –    Zulässigkeit der Klagen

1.      Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

18.      Das Parlament bestreitet die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklagen mit der Begründung, die angefochtenen Beschlüsse seien keine nach Art. 263 AEUV anfechtbaren Handlungen. Diese Beschlüsse seien ausschließlich der internen Organisation des Parlaments zuzuordnen und entfalteten keine Rechtswirkungen gegenüber Dritten, wofür in der Tendenz auch die fehlende Pflicht zur Begründung dieser Beschlüsse spreche. Zudem folge aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts der Europäischen Union, dass sich die Nichtigkeitsklage zwar gegen Handlungen des Parlaments richten könne, die dazu bestimmt seien, Rechtswirkungen gegenüber Dritten zu entfalten, nicht aber gegen Handlungen, die nur die interne Organisation der Arbeit des Parlaments beträfen(6). Die Planung der Arbeit des Parlaments erfordere die Verabschiedung einer Reihe von internen Maßnahmen, darunter die angefochtenen Beschlüsse, die zu den Aufgaben dieses Organs nach Art. 232 AEUV gehörten. Die einzigen Folgen dieser Beschlüsse seien wirtschaftlicher Natur und beträfen nur den Sitzmitgliedstaat. Die Französische Republik versuche, einen möglichen Verstoß des Parlaments gegen seine Pflichten feststellen zu lassen, obwohl dieser Rechtsweg in den Verträgen nicht vorgesehen sei. Das Parlament weist schließlich die von der Klägerin und dem Großherzogtum Luxemburg vorgebrachte These zurück, wonach der Gerichtshof sich stillschweigend, aber zwangsläufig zur Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage im Rahmen seines oben angeführten Urteils Frankreich/Parlament geäußert habe.

19.      Die Französische Republik und das Großherzogtum Luxemburg meinen ihrerseits, dass dieses Urteil unbestreitbar einen Präzedenzfall darstelle, in dem der Gerichtshof den Beschluss des Parlaments vom 20. September 1995 zur Festlegung seines Sitzungskalenders für 1996 für nichtig erklärt habe. Da die Zulässigkeit ein Gesichtspunkt zwingenden Rechts sei, der von Amts wegen zu prüfen sei, sei zwingend anzuerkennen, dass der Gerichtshof in seinem Urteil durch sein Schweigen zu diesem Punkt stillschweigend, aber zwangsläufig die damals gegen einen Beschluss erhobene Nichtigkeitsklage für zulässig befunden habe, der in allen Punkten mit den hier angefochtenen Beschlüssen vergleichbar sei. Die Französische Republik ergänzt, die Frage, ob die angefochtenen Beschlüsse der internen Organisation des Parlaments zuzuordnen seien oder ob sie Rechtswirkungen gegenüber Dritten entfalteten, sei nicht von der Prüfung ihres Inhalts und damit von der Prüfung der Begründetheit der Klagen zu trennen(7).

2.      Beurteilung

20.      Eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV kann nur gegen solche Handlungen des Parlaments gerichtet werden, die dazu bestimmt sind, Rechtswirkungen gegenüber Dritten zu entfalten. Um festzustellen, ob eine Maßnahme eine anfechtbare Handlung im Sinne des Art. 263 Abs. 1 AEUV darstellt, kommt es auf ihren Inhalt an – die Form, in der die Maßnahme ergeht, ist insofern gleichgültig(8). Vorliegend streiten die Beteiligten gerade über die Bestimmung der Rechtswirkungen der angefochtenen Beschlüsse.

21.      Im Urteil Weber/Parlament(9) hat der Gerichtshof bestätigt, dass Handlungen des Parlaments, „die nur die interne Organisation der Arbeit des Parlaments betreffen“, nicht mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden können und dass „zu dieser Kategorie … Handlungen des Parlaments [gehören], die entweder überhaupt keine Rechtswirkungen entfalten oder die Rechtswirkungen nur innerhalb des Parlaments in Bezug auf die interne Organisation seiner Arbeit entfalten und in durch die Geschäftsordnung des Parlaments geregelten Verfahren überprüft werden können“(10). So hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Entscheidung des Parlaments, mit der einem Abgeordneten die Übergangsvergütung beim Erlöschen des Mandats versagt wurde, „Rechtswirkungen entfalte[t], die über die interne Organisation der Arbeit des Parlaments hinausgehen, da sie die vermögensrechtliche Situation eines Abgeordneten bei Beendigung seines Mandats berühren“(11).

22.      Auch in einem anderen Zusammenhang hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Entschließung des Parlaments, in der das mit bestimmten Tätigkeiten betraute Personal, dessen Anwesenheit in Brüssel das Organ für unerlässlich hielt, genau bezeichnet wurde und mit der die zuständigen Einrichtungen des Parlaments beauftragt wurden, umgehend alle geeigneten Maßnahmen zur Durchführung dieser Entschließung zu treffen, „Entscheidungscharakter hat und dass ihre Wirkungen gegebenenfalls die Zusicherungen beeinträchtigen könnten, die sich für das Großherzogtum Luxemburg aus den Bestimmungen über den Sitz und die Arbeitsorte des Parlaments … ergeben“(12).

23.      Dagegen hat der Gerichtshof eine Nichtigkeitsklage gegen eine Entscheidung des Parlamentspräsidenten für unzulässig erklärt, der den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses für zulässig gehalten und entschieden hatte, dass „die angefochtene Handlung … keine Rechtswirkungen gegenüber Dritten entfalten kann. Die Untersuchungsausschüsse … verfügen nämlich nur über eine Untersuchungsbefugnis; die Handlungen im Zusammenhang mit ihrer Einsetzung betreffen folglich nur die interne Organisation der Arbeit des … Parlaments.“(13) Die gleiche Entscheidung hat der Gerichtshof im Rahmen einer Klage getroffen, mit der die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zur Benennung des Vorsitzenden einer interparlamentarischen Delegation bestritten wurde, die nur für Informationen und Kontakte zuständig ist und deren die Zusammensetzung betreffenden Handlungen nur die interne Organisation der Arbeit des Parlaments betreffen(14).

24.      Im Licht dieser verschiedenen Stellungnahmen des Gerichtshofs stellt sich die Frage, wo die hier angefochtenen Beschlüsse einzuordnen sind.

25.      Ich bezweifle, dass die Wirkungen der angefochtenen Beschlüsse, wie das Parlament behauptet, rein intern sind. Zwar gestattet es die Abstimmung über den Kalender dem Parlament auf den ersten Blick, seine Arbeit zu planen, und scheint seiner internen Organisation zuzuordnen zu sein. Der Kalender legt jedoch nicht nur die Sitzungszeiten des Parlaments für das gesamte Jahr fest, sondern auch seine Anwesenheit, die der Abgeordneten, aus denen es besteht, und die der Bediensteten, die ihm an seinen unterschiedlichen Arbeitsorten zugeordnet sind. Daher neige ich dazu, die Auffassung von Generalanwalt Lenz zu teilen, wonach „die notwendige Bereitstellung der Infrastruktur [zum Abhalten der Sitzungen] mittelbar auch rechtliche Verpflichtungen gegenüber Dritten“ zeitigt(15), und die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass solche Beschlüsse die in Art. 263 Abs. 1 AEUV festgelegten Voraussetzungen erfüllen.

26.      Die Tatsache, dass ich mich den Ausführungen von Generalanwalt Lenz anschließe, führt mich zudem dazu, das Argument des Parlaments zurückzuweisen, wonach das Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, in Bezug auf die Zulässigkeit der Klage kein Präzedenzfall sei. Denn wie zuvor ausgeführt, meint zwar die Französische Republik, der Gerichtshof habe sich in jenem Urteil „stillschweigend aber zwangsläufig“ zur Zulässigkeit der Klage geäußert, doch vertritt das Parlament demgegenüber den Standpunkt, dass das Schweigen dieses Urteils zu diesem Punkt bedeute, dass der Gerichtshof sich gerade nicht geäußert habe. Neben der Tatsache, dass die Unzulässigkeit einer Klage ein Gesichtspunkt zwingenden Rechts ist, den der Gerichtshof von Amts wegen zu prüfen hat(16), wie die Französische Republik und das Großherzogtum Luxemburg zutreffend hervorgehoben haben, ist der Gerichtshof jedoch durch Generalanwalt Lenz gerade auf die Frage der Zulässigkeit der damaligen Klage der Französischen Republik gegen den seinerzeit angefochtenen Beschluss des Parlaments hingewiesen worden(17). Der Gerichtshof hat in jener Rechtssache somit in vollem Wissen um diese Frage über die Begründetheit entschieden.

27.      Jedenfalls ist der Gerichtshof, selbst wenn er sich nicht in der Lage sieht, vorab zu bestimmen, ob die mit der Nichtigkeitsklage angegriffene Handlung tatsächlich Rechtswirkungen erzeugt, der Auffassung, dass es ihm nur eine Prüfung der Begründetheit erlaube, sich davon zu überzeugen. So hat er bereits entschieden, „dass die Beurteilung der Rechtswirkung der streitigen Entschließung untrennbar mit der Prüfung ihres Inhalts und der Prüfung der Einhaltung der Zuständigkeitsregelungen zusammenhängt. Es ist mithin angebracht, sogleich die Begründetheit der Klage zu untersuchen.“(18) Der Gerichtshof hat diese Auffassung im Übrigen im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen Beschlüsse des Präsidiums des Parlaments, von denen einer in Form eines Vermerks über die mittelfristige Vorausschau über die Tätigkeiten des Parlaments an den drei Arbeitsorten ergangen war(19), erneut vertreten.

28.      Daher ist es an diesem Punkt der Prüfung jedenfalls nicht angebracht, die Klagen zurückzuweisen; diese sind demnach für zulässig zu erklären.

B –    Zum einzigen Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen die Protokolle sowie die Nichtbeachtung des Urteils vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, gerügt wird

1.      Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

29.      Mit dem ersten Teil des einzigen Klagegrundes macht die Französische Republik geltend, dass das Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, in dem der Gerichtshof den Beschluss von Edinburgh ausgelegt habe, auch im Rahmen der vorliegenden Rechtssachen in vollem Umfang einschlägig sei, da die Protokolle sich auf die Wiedergabe dieses Beschlusses beschränkten. Der Gerichtshof habe damals angenommen, dass die Mitgliedstaaten mit der Annahme des Beschlusses von Edinburgh die Praxis des Parlaments, grundsätzlich monatlich in Straßburg zusammenzutreten und die August-Tagung auf Oktober zu verschieben, festgeschrieben hätten. Da sich die Texte auf „die“ zwölf monatlich stattfindenden Plenartagungen bezögen, seien der Beschluss wie auch die Protokolle dahin auszulegen, dass sie zwangsläufig auf die vor der Annahme des Beschlusses von Edinburgh bestehende Praxis verwiesen. Aus Randnr. 5 des Urteils vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, ergebe sich aber, dass der Gerichtshof die Dauer der monatlichen Plenartagung, die in Straßburg abzuhalten sei, als von Montag bis Freitag definiert habe. Damit habe der Gerichtshof „stillschweigend aber zwangsläufig“ angenommen, dass der Beschluss von Edinburgh auch die Dauer der Tagungen festgelegt habe. Indem die angefochtenen Beschlüsse die beiden Tagungen, die in den Monaten Oktober 2012 und Oktober 2013 abzuhalten seien, auf zwei Tage verkürzt hätten, hätten sie daher gegen den Inhalt der genannten Protokolle verstoßen, da ein solcher Schritt darauf hinauslaufe, die jährliche Dauer der Plenartagungen, die in Straßburg abzuhalten seien, um 1/12 zu reduzieren und somit in Wirklichkeit nur elf monatliche Plenartagungen pro Jahr festzulegen. Für den Fall, dass der Gerichtshof die angefochtenen Beschlüsse für mit den Protokollen vereinbar ansehen sollte, warnt die Französische Republik vor der Gefahr einer Verallgemeinerung eines solchen Vorgehens und, langfristig, vor einer noch stärkeren Verkürzung der Dauer der in Straßburg abzuhaltenden Plenartagungen.

30.      Mit dem zweiten Teil des Klagegrundes wirft die Französische Republik dem Parlament vor, die regelmäßigen Zeitabstände unterbrochen zu haben, in denen die Plenartagungen stattzufinden hätten. Im Einklang mit dem, was der Gerichtshof in Randnr. 29 des Urteils vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, entschieden habe, definiere der Beschluss von Edinburgh den Sitz des Parlaments als den Ort, „an dem in regelmäßigen Zeitabständen zwölf ordentliche Plenartagungen dieses Organs … abzuhalten sind“. Ein Abweichen von dieser Regel sei nur hinsichtlich der Tagung für den Monat August sowie in Wahljahren derjenigen für den Monat Juni hinzunehmen.

31.      Mit dem dritten Teil des Klagegrundes macht die Französische Republik, gestützt auf dieselbe Randnummer des Urteils vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, geltend, dass das Parlament keine zusätzlichen Tagungen in Brüssel habe festlegen dürfen, da die Festlegung zusätzlicher Tagungen nur erfolgen könne, wenn zunächst zwölf Plenartagungen vorgesehen seien. Da der Kalender für die Jahre 2012 und 2013 nur elf Plenartagungen vorsehe, habe das Parlament keine zusätzlichen Tagungen für diese beiden Jahre festlegen dürfen.

32.      Im vierten Teil des Klagegrundes vertritt die Französische Republik die Ansicht, das Parlament habe gegen die grundsätzliche Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und dem Parlament, wie sie vom Gerichtshof im Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, definiert worden sei, verstoßen. Mit den angefochtenen Beschlüssen werde nur das Ziel verfolgt, die Dauer der Anwesenheit der europäischen Abgeordneten in Straßburg zu verkürzen. Dies werde durch die Tatsache bestätigt, dass über die Kalender für die Monate Oktober 2012 und Oktober 2013 mit dem gleichen Wortlaut abgestimmt worden sei, was beweise, dass es sich dabei nicht um eine punktuelle Reaktion auf ein konjunkturelles Problem handele, sondern vielmehr um eine Praxis, die sich verfestigen solle. Die angefochtenen Beschlüsse ließen insoweit einen gewissen Widerspruch erkennen, als die Dauer der Plenartagungen des Parlaments zu einem Zeitpunkt verkürzt werde, zu dem die Arbeitsbelastung dieses Organs immer größer werde. Schließlich verweist die Klägerin auf den Inhalt einer Plenartagung des Parlaments und erläutert, dass es nicht möglich sei, alle diese Tätigkeiten in gleicher Weise wahrzunehmen, wenn die Dauer der Tagungen auf zwei Tage verkürzt werde.

33.      Im Rahmen seiner Streithilfe zur Unterstützung der Französischen Republik teilt das Großherzogtum Luxemburg deren Schlussfolgerungen und erklärt, dass eine bessere interne Organisation der Arbeit tatsächlich nicht das eigentliche Ziel der angefochtenen Beschlüsse sei. Es verweist darauf, dass es gegenwärtig eindeutig darum gehe, die Pluralität der Arbeitsorte des Parlaments und insbesondere seine Pflicht zur Präsenz in Straßburg in Frage zu stellen. Mit den angefochtenen Beschlüssen beabsichtige das Parlament, seinen Sitz selbst festzulegen. Das Großherzogtum Luxemburg hebt zudem hervor, dass das Parlament nicht erläutert habe, wie die neue Organisation der Tagungen im Monat Oktober ihm eine bessere Organisation seiner Arbeit erlaube, und dass die ständige Erweiterung der Zuständigkeiten des Parlaments mit der Verringerung der Dauer und der Häufigkeit der monatlichen Plenartagungen nicht vereinbar sei. Schließlich gebe es einen sehr deutlichen Unterschied zwischen den monatlichen Plenartagungen und den zusätzlichen Plenartagungen, die sich sowohl hinsichtlich ihrer Dauer (vier Tage für die monatlichen Tagungen, zwei Tage für die zusätzlichen Tagungen) als auch hinsichtlich des Ortes, an dem sie abzuhalten seien (Straßburg für die monatlichen Tagungen und Brüssel für die zusätzlichen Tagungen), unterschieden. Die in den angefochtenen Beschlüssen für den Monat Oktober vorgesehenen beiden Tagungen von jeweils zwei Tagen Dauer müssten daher entweder als eine einzige Tagung von vier Tagen Dauer angesehen werden. In diesem Fall sähen die betreffenden Kalender nur elf monatliche Plenartagungen vor. Oder man ginge davon aus, dass es sich tatsächlich um zwei Tagungen von zwei Tagen Dauer handele und dass Tagungen mit dieser Dauer als zusätzliche Plenartagungen anzusehen seien, die das Parlament nicht habe vorsehen dürfen, da die Festlegung solcher Tagungen erst erfolgen dürfe, nachdem das Parlament tatsächlich zwölf monatliche Plenartagungen festgelegt habe. Unabhängig davon, welcher Auslegung man folge, verstießen die angefochtenen Beschlüsse gegen die Protokolle.

34.      Das Parlament leitet seine Klagebeantwortung mit einer Darstellung der geschichtlichen Entwicklung seiner Zuständigkeiten ein und betont, dass seine Aufspaltung auf drei Arbeitsorte seine Funktionsweise schon immer behindert habe. Es habe jedoch stets seine sich aus dem Primärrecht ergebenden Pflichten beachtet. Hinsichtlich der Kalender für die Jahre 2012 und 2013 seien jedes Jahr tatsächlich zwölf Plenartagungen in Straßburg vorgesehen, nämlich zehn Tagungen von vier Tagen Dauer und zwei Tagungen von zwei Tagen Dauer. Insgesamt werde das Parlament in jedem der beiden von den angefochtenen Beschlüssen betroffenen Jahre 44 Tage in Straßburg tagen(20) und für acht Tage zu zusätzlichen Plenartagungen in Brüssel anwesend sein.

35.      Es weist sodann auf die tatsächlichen und rechtlichen Unterschiede zwischen der vorliegenden Rechtssache und der Rechtssache hin, in der das Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, ergangen ist. Die Organisation der Arbeit des Parlaments entwickle sich parallel zu seinen Zuständigkeiten. Infolge der Annahme des Vertrags von Lissabon sei insbesondere das Haushaltsverfahren vereinfacht worden und benötige nur noch eine Lesung, was aus der Sicht des Parlaments eine „Haushaltstagung“, wie sie in den Protokollen vorgesehen sei, entbehrlich mache. Die Haushaltstagung sei aber grundsätzlich eine der beiden Tagungen im Monat Oktober. Das Parlament verweist ferner auf eine Reihe von Stellungnahmen seiner selbst, der europäischen Abgeordneten, aus denen es bestehe, oder auch der Zivilgesellschaft, die alle dahin gingen, die mit der Pluralität der Arbeitsorte und insbesondere mit den Reisen nach Straßburg verbundenen Nachteile aus Wirtschaftlichkeits-, Umweltschutz- oder Produktivitätsgesichtspunkten zu kritisieren. Die angefochtenen Beschlüsse müssen daher nach Meinung des Parlaments auch im Licht dieser Erwägungen gelesen werden, zu denen noch der aktuelle Zusammenhang der Wirtschafts- und Finanzkrise komme.

36.      In Erwiderung auf die Argumente der Französischen Republik betont das Parlament, dass die Protokolle keine Dauer der Tagungen festlegten. Nach Art. 341 AEUV seien die Mitgliedstaaten dafür zuständig, den Sitz der Organe festzulegen. Diese Rechtsgrundlage müsse eng ausgelegt werden, und die Wahrnehmung dieser Zuständigkeit durch die Mitgliedstaaten könne keinen Einfluss auf die interne Organisationsgewalt des Parlaments haben. Selbst unter der Annahme, der Beschluss von Edinburgh enthalte eine Angabe zur Dauer der monatlichen Tagungen des Parlaments, müsse festgestellt werden, dass die Mitgliedstaaten durch die Annahme dieses Beschlusses die ihnen durch Art. 341 AEUV zuerkannte Zuständigkeit überschritten hätten. Weder in den Verträgen noch in den Protokollen oder auch in der Geschäftsordnung des Parlaments sei nämlich die Dauer der Plenartagungen ausdrücklich geregelt. Das Parlament tritt der Auslegung des Urteils vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, durch die Französische Republik entgegen und betont insbesondere, dass der damals dem Gerichtshof zur Prüfung vorgelegte Sachverhalt sich grundlegend von dem den vorliegenden Klagen zugrunde liegenden unterscheide.

37.      Hinsichtlich der Dauer der Tagungen sei vielmehr das Urteil Wybot(21) einschlägig, in dem der Gerichtshof entschieden habe, dass „[m]angels einschlägiger Vertragsbestimmungen … die Festsetzung der Dauer der Sitzungsperioden unter die interne Organisationsgewalt [fällt], die dem Europäischen Parlament … zuerkannt wird“. Daher sei das Parlament frei, die Dauer seiner Plenartagungen zu bestimmen.

38.      Das Parlament tritt der Auslegung des Beschlusses von Edinburgh durch die Französische Republik entschieden entgegen. Mit der Erwägung, dass der Beschluss von Edinburgh die Herausbildung der früheren Praxis konkretisiert habe, versuche die Französische Republik, das Organ seiner Möglichkeit zu berauben, seine Praxis weiterzuentwickeln, was aufgrund der Entwicklung der Rolle und der Zuständigkeiten des Parlaments erforderlich sei. Zwar verberge das Parlament nicht sein Ziel, die Auswirkungen der Festlegung seines Sitzes auf seine Funktionsweise zu verringern und die mit der Pluralität seiner Arbeitsorte verbundenen Folgen zu begrenzen, doch halte es daran fest, dass Straßburg nach dem derzeitigen Stand der Planungen für die Jahre 2012 und 2013 das Gravitätszentrum des Sitzes bleibe. Im Übrigen sei der Monat Oktober der einzige Monat des Jahres, in dem eine Verkürzung der beiden Tagungen möglich sei, da sich die übrigen monatlichen Tagungen seit dem Jahr 2001 über vier Tage erstreckten, so dass die Gefahr einer weiteren Verkürzung ihrer Dauer reine Spekulation sei.

39.      In ihrer Erwiderung betont die Französische Republik, dass das Parlament seine Zuständigkeiten gegenüber der Europäischen Zentralbank und dem Rechnungshof ausübe, obwohl diese beiden Organe ihren Sitz nicht in Brüssel hätten. Daraus ergebe sich, dass das Parlament seine Sitzungen nicht in der Stadt abhalten müsse, in der das Organ, gegenüber dem es seine Zuständigkeit ausübe, seinen Sitz habe.

40.      Sie tritt zudem den Behauptungen des Parlaments in Bezug auf die Haushaltstagung entgegen und meint, die Abstimmung des Parlaments über den Haushalt in einer Plenartagung im Beisein des Rates der Europäischen Union und der Europäischen Kommission verlange vom Parlament eine – weil einzige – umso sorgfältigere Lesung. Daher bleibe die Haushaltstagung absolut wichtig.

41.      Die Französische Republik kritisiert die Parteilichkeit der verschiedenen vom Parlament angeführten Stellungnahmen und erinnert daran, dass die Festlegung des Sitzes der Organe in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle. In der Sitzung hat die Französische Republik zudem die vom Parlament vorgelegten Zahlen zum Kohlendioxid-Ausstoß und zu den Kosten der geografischen Aufspaltung der Arbeitsorte des Parlaments bestritten(22).

42.      Außerdem sei die Berufung auf das Urteil Wybot nicht geeignet, die von der Französischen Republik vorgeschlagene Auslegung der Protokolle hinsichtlich der Dauer der Tagungen in Frage zu stellen, da dieses Urteil in einem derart anders gelagerten Kontext ergangen sei, dass es für die vorliegenden Klagen nicht einschlägig sei. Da schließlich der Gerichtshof „stillschweigend aber zwangsläufig“ angenommen habe, dass der Beschluss von Edinburgh die bestehende Praxis auch im Hinblick auf die Dauer der Tagungen kodifiziert habe, sei er nicht davon ausgegangen, dass die Mitgliedstaaten ihre Befugnis überschritten hätten. Somit habe das Parlament kein Argument vorgetragen, das geeignet sei, die mit den angefochtenen Beschlüssen vorgenommenen Änderungen zu rechtfertigen.

43.      In seiner Gegenerwiderung wiederholt das Parlament im Kern die Argumente, die es bereits in seiner Klagebeantwortung vorgetragen hatte, nämlich dass die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Festlegung des Sitzes der Organe nicht auch die Festlegung der Dauer der monatlichen Tagungen umfasse, die allein zur internen Organisation des Parlaments gehöre. Unter Berufung auf die ihm notwendigerweise zuzuerkennende Autonomie bei der effizienteren und kostengünstigeren Organisation seiner Arbeit bestreitet das Parlament, die Festlegung seines Sitzes in Straßburg in Frage stellen zu wollen. Es weist darauf hin, dass auch die Dauer der zusätzlichen Plenartagungen, die in Brüssel abzuhalten seien, verkürzt worden sei. Es erinnert daran, dass die Französische Republik keine Klage erhoben habe, als es darum gegangen sei, die Praxis hinsichtlich der Dauer der Plenartagungen im Jahr 2000 zu ändern, indem die Sitzungen an Freitagen gestrichen worden seien. Im Verhältnis stellten die angefochtenen Beschlüsse aber höchstens eine Verkürzung um 1/12 dar, während die im Jahr 2000 eingeführte und ab dem Jahr 2001 vollzogene Änderung der Praxis eine Verkürzung um 1/5 dargestellt habe. Daraus, dass die Französische Republik die Streichung der Sitzungen an Freitagen nicht angefochten habe, lasse sich eine ebenfalls stillschweigende, aber zwangsläufige Anerkennung der Freiheit des Parlaments ableiten, die Dauer seiner Tagungen festzulegen. Das Parlament ergänzt, die Gestaltung seiner Arbeit habe zum Ziel, die Effizienz zu steigern, und es bemerkt, dass künftig die Arbeit der Ausschüsse wichtiger sei als die Arbeit im Plenum. In jedem Fall müsse die praktische Wirksamkeit des Rechts des Parlaments auf eigenständige Organisation gewahrt bleiben, und zwar umso mehr, als dieses Organ das einzige von den Bürgern direkt gewählte sei. Schließlich weist das Parlament in Beantwortung der Argumente des Großherzogtums Luxemburg die Vorstellung zurück, wonach eine Tagung ihren Charakter als ordentliche Plenartagung verliere, wenn sie nur zwei Tage dauern solle. Eine Auslegung des Beschlusses von Edinburgh und mithin der Protokolle, die darauf hinauslaufen würde, das Parlament zu zwingen, ohne jede Berücksichtigung seines tatsächlichen Bedarfs seine Plenartagungen von Montagmorgen bis Freitagabend abzuhalten, sei nicht vorstellbar.

2.      Beurteilung

44.      Wenngleich der Gerichtshof die massive Infragestellung der Verpflichtung des Parlaments, in Straßburg zusammenzutreten, auf die die Parteien im Übrigen hingewiesen haben, nicht verkennen kann, ist es wichtig, daran zu erinnern, dass er im Rahmen der vorliegenden Klagen in rechtlicher Hinsicht zu entscheiden hat.

45.      Mit ihrem einzigen Klagegrund macht die Französische Republik geltend, dass die angefochtenen Beschlüsse gegen die Protokolle sowie gegen das Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, verstießen, und zwar aufgrund der vorgesehenen Dauer der Plenartagungen in den Monaten Oktober 2012 und Oktober 2013 (erster Teil), der durch die mutmaßliche Abhaltung zweier Plenartagungen von jeweils zwei Tagen Dauer innerhalb derselben Woche hervorgerufenen Unterbrechung der Regelmäßigkeit bei der Abhaltung der Plenartagungen (zweiter Teil), der Vermischung der Begriffe der ordentlichen Plenartagungen und der zusätzlichen Plenartagungen, mit der die angefochtenen Beschlüsse verbunden seien (dritter Teil), und schließlich des Verstoßes gegen die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und dem Parlament (vierter Teil).

46.      Für ein besseres Verständnis der Rechtssache beginne ich meine Prüfung mit der Erinnerung an die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament. Anschließend werde ich die verschiedenen Teile des von der Klägerin geltend gemachten Klagegrundes übergreifend prüfen, wobei erstens zu zeigen sein wird, dass die Frage der Dauer der monatlichen Plenartagungen nicht das einzige Kriterium sein kann, auf das der Gerichtshof seine Erwägungen in dieser Sache zu stützen hat, weil es keine ausdrückliche Vorschrift gibt, die diese Dauer von vornherein festlegt, und zweitens ein weiter gehender Maßstab zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beschlüsse vorgeschlagen wird, nämlich der der Gesamtkohärenz.

a)      Die Erkenntnisse aus dem Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament

47.      Im Rahmen der Nichtigkeitsklage, die, wie bereits gesagt, gegen den Beschluss des Parlaments zur Festlegung seines Sitzungskalenders für das Jahr 1996 gerichtet war, hat der Gerichtshof in Bezug auf die Aufteilung der Arbeit des Parlaments auf drei Arbeitsorte entschieden, dass „[a]ngesichts dieser Pluralität von Arbeitsorten … die Ausübung der genannten Zuständigkeit [der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur einvernehmlichen Bestimmung des Sitzes der Organe der Union] nicht nur die Verpflichtung [umfasste], den Ort des Sitzes des Parlaments festzulegen, sondern auch die Befugnis, diesen Begriff durch Angabe der Tätigkeiten, die dort erfolgen sollen, näher zu bestimmen“(23). Er hat sodann festgestellt, dass die Mitgliedstaaten mit der Annahme des Beschlusses von Edinburgh „zum Ausdruck bringen [wollten], dass der – in Straßburg festgelegte – Sitz des Parlaments den Ort darstellt, an dem das Organ hauptsächlich zu ordentlichen Plenartagungen zusammentritt, und … dazu die Zahl der Plenartagungen, die dort stattfinden sollen, verbindlich festgelegt haben“(24). Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten – so der Gerichtshof – „die Praxis dieses Organs bestätigt, grundsätzlich jeden Monat in Straßburg zusammenzutreten“(25). In Bezug auf die Haushaltstagung hat der Gerichtshof den Beschluss von Edinburgh dahin ausgelegt, dass diese Tagung „während einer der ordentlichen Plenartagungen, die am Sitz des Organs abgehalten werden“(26), stattzufinden habe.

48.      Nach der Auslegung des Beschlusses von Edinburgh durch den Gerichtshof ist der Sitz des Parlaments daher als der Ort definiert worden, „an dem in regelmäßigen Zeitabständen zwölf ordentliche Plenartagungen dieses Organs einschließlich derjenigen, auf denen das Parlament die ihm durch den Vertrag zugewiesenen Haushaltsbefugnisse auszuüben hat, abzuhalten sind. Zusätzliche Plenartagungen können demnach nur dann an einem anderen Arbeitsort festgelegt werden, wenn das Parlament die zwölf ordentlichen Plenartagungen in Straßburg, dem Ort des Sitzes des Organs, abhält.“(27)

49.      Der Gerichtshof hat sodann eine Trennlinie zwischen der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Festlegung des Sitzes der Organe und der internen Organisationsbefugnis, die dem Parlament zuzuerkennen sei, gezogen. So hat er entschieden, dass „das Parlament zwar aufgrund dieser internen Organisationsbefugnis berechtigt ist, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um sein ordnungsgemäßes Funktionieren und den Ablauf seiner Verfahren sicherzustellen, dass die dahin gehenden Beschlüsse aber die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Festlegung des Sitzes der Organe beachten müssen“(28). Im Gegenzug „haben die Mitgliedstaaten … bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit … die interne Organisationsbefugnis des Parlaments zu beachten und dafür zu sorgen, dass ein solcher Beschluss nicht das ordnungsgemäße Funktionieren dieses Organs behindert“(29). Damit hat der Gerichtshof auch anerkannt, dass „der Beschluss von Edinburgh dem Parlament bezüglich der Organisation seiner Arbeiten [zwar] bestimmte Zwänge auf[erlegt]; diese Zwänge sind jedoch mit dem Erfordernis, seinen Sitz unter Beibehaltung der Pluralität seiner Arbeitsorte festzulegen, notwendig verbunden“(30).

50.      Da der Beschluss von Edinburgh durch die Protokolle in geltendes Recht überführt wurde, gibt es zum Zweck der Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beschlüsse keinen Anlass für eine Auseinandersetzung mit der Auslegung durch den Gerichtshof, umso weniger, als die Parteien diese Auslegung nicht in Frage zu stellen versuchen.

b)      Das Fehlen einer festgelegten Regelung hinsichtlich der Dauer der monatlichen Plenartagungen

51.      Die Parteien streiten darüber, ob der Beschluss von Edinburgh in der Fassung der Protokolle Verpflichtungen festlegt, an die sich das Parlament hinsichtlich der Dauer seiner Plenartagungen zu halten hat.

52.      Ich meine vorweg, dass die Berufung auf das Urteil Wybot in der vorliegenden Rechtssache nicht einschlägig ist. Zwar hat der Gerichtshof, wie das Parlament betont, darin entschieden, dass „[m]angels einschlägiger Vertragsbestimmungen … die Festsetzung der Dauer der Sitzungsperioden unter die interne Organisationsgewalt [fällt], die dem … Parlament … zuerkannt wird“(31), doch ist dies in dem der Rechtssache, in der das Urteil Wybot ergangen ist, eigenen Kontext geschehen. Diese Rechtssache stand damals in einem völlig anderen rechtlichen Zusammenhang und betraf die Frage der Bestimmung der Dauer der jährlichen Sitzungsperiode(32), also der Gesamtdauer des Zeitraums, während dessen sich das Parlament in Sitzung befand und den es frei bestimmen konnte. Es liegt auf der Hand, dass der Gerichtshof aus diesem Grund bestätigen konnte, dass die Festlegung der Dauer der Sitzungsperioden im Sinne jährlicher Sitzungsperioden letztlich Ausfluss der internen Organisationsgewalt des Parlaments sei. Dies bedeutet aber keinesfalls, dass man daraus im Rahmen der vorliegenden Klagen eine solche Freiheit zur Festlegung der Dauer der monatlichen Plenartagungen ableiten kann.

53.      Selbst wenn man durch eine reductio ad absurdum aus diesem Urteil Wybot ableiten wollte, dass auch die Festlegung der Dauer der monatlichen Plenartagungen unter die interne Organisationsbefugnis des Parlaments fällt, bleibt es dabei, dass diese Befugnis unter Beachtung des Primärrechts ausgeübt werden muss. Für mich besteht ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen der Festlegung der Dauer der Plenartagungen und der Beachtung der Entscheidung der Mitgliedstaaten, den Sitz des Parlaments in Straßburg festzulegen. Um es deutlich zu sagen, verstieße ein Beschluss, der bestimmte, dass alle monatlichen Plenartagungen, die in Straßburg stattfinden müssen, nur jeweils einen halben Tag dauern, gegen die Protokolle, die den Sitz des Parlaments festlegen. Aus diesem Blickwinkel gesehen hatte die von den Mitgliedstaaten mit der Festlegung des Sitzes des Parlaments ausgeübte Befugnis zwangsläufig Auswirkungen auf die Dauer der Anwesenheit dieses Organs in Straßburg, ohne dass damit jedoch eine strikte Regelung verbunden wäre. Der Gerichtshof hat dies im Übrigen anerkannt, indem er ausgeführt hat, dass „der … Sitz … den Ort darstellt, an dem das Organ hauptsächlich zusammentritt“(33). Daher hat die Festlegung des Sitzes naturgemäß quantitative Auswirkungen, ohne dass den Mitgliedstaaten jedoch vorgeworfen werden könnte, sie hätten – wie das Parlament behauptet hat – ihre Befugnisse überschritten.

54.      Somit ist zu erkennen, dass der Wortlaut der Protokolle hinsichtlich der konkreten Dauer der Plenartagungen keine Klarheit schafft, und es ist mit dem Parlament festzustellen, dass es insoweit keine ausdrückliche Regelung gibt. Ich tendiere im Übrigen dahin, die Verpflichtungen hinsichtlich der Dauer, die die Französische Republik aus Randnr. 5 des Urteils vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, ableitet, zu relativieren. Diese Randnummer, in der es nur heißt, es stehe „zwischen den Parteien fest, dass die von Montag bis Freitag dauernden Plenartagungen in Straßburg abgehalten werden“, findet sich eindeutig in dem Teil dieses Urteils, der die Vorgeschichte des Rechtsstreits wiedergibt, so dass hieraus tatsächlich keine rechtlichen Folgen abgeleitet werden können. Die besonders strenge Position der Französischen Republik hierzu wird durch die Tatsache erheblich geschwächt, dass sich ab dem Jahr 2001 die monatlichen Plenartagungen nur noch von Montag bis Donnerstag erstrecken, ohne dass die Französische Republik damals irgendeinen Widerspruch erhoben hätte(34).

55.      Daher kann die Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beschlüsse nicht einfach durch ihr Messen an einer eindeutig festgelegten Regelung erfolgen, mit der die Dauer der monatlichen Plenartagungen festgesetzt wird. Unter diesen Umständen verlangt die Ausübung seiner Kontrollfunktion vom Gerichtshof eine umfangreichere Prüfung.

c)      Prüfung der Gesamtkohärenz

56.      Das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung in Verbindung mit der natürlichen Entwicklung der Rolle des Parlaments und damit seiner Arbeit machen ersichtlich eine dynamische Auslegung der Protokolle unter Einhaltung der Grundsätze der gegenseitigen Achtung, die der Gerichtshof im Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, aufgestellt hat, erforderlich. Daher muss eine Prüfung umfassender sein, weshalb nicht mehr die Dauer im engeren Sinne für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beschlüsse ausschlaggebend ist, sondern eher die Gesamtkohärenz der Kalender.

57.      Die Prüfung der Gesamtkohärenz erfolgt in zwei Schritten.

58.      Zunächst sind die Sitzungskalender für die Jahre 2012 und 2013 in ihrer Gesamtheit und insbesondere unter Beachtung der Frequenz und der Dauer der geplanten zwölf monatlichen Plenartagungen zu prüfen.

59.      Aus der möglichen Feststellung einer Unterbrechung der Zeitabstände oder einer Ungereimtheit bei der Organisation der Kalender darf der Gerichtshof sodann nicht automatisch auf einen Verstoß gegen die Protokolle schließen, da seinem Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, zu entnehmen ist, dass er dem Parlament die Möglichkeit zugestanden hat, solche Regelwidrigkeiten zu rechtfertigen. Insoweit wird der Gerichtshof neben den verschiedenen Rechtfertigungsgründen konjunktureller Art, die geltend gemacht werden könnten, insbesondere auf die Wahrung des ordnungsgemäßen Funktionierens des Organs und des reibungslosen Ablaufs seiner Verfahren zu achten haben.

60.      Was lässt sich anhand dieser Prüfung der angefochtenen Beschlüsse, die mir als die am besten geeignete erscheint, um das von dem Gerichtshof angestrebte Gleichgewicht zu erhalten, und als diejenige, die sowohl die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Festlegung des Sitzes des Parlaments als auch die Befugnis des Parlaments zur Entscheidung über seine interne Organisation am ehesten respektiert, feststellen?

i)      Das Abhalten zweier monatlicher Plenartagungen innerhalb derselben Woche im Oktober ist widersprüchlich

61.      Für die Jahre 2012 und 2013 sehen die angefochtenen Beschlüsse für jeden Monat des Jahres mit Ausnahme der Monate August und Oktober vor, dass eine monatliche Plenartagung von vier Tagen Dauer (genauer, von Montag, 17 Uhr, bis Donnerstag, 17 Uhr) abgehalten wird. Jeweils im Oktober finden aufgrund der Annahme eines Änderungsantrags, „die Tagung in der 40. Kalenderwoche zu streichen“ und „die Tagung Oktober II … aufzuspalten“(35), zwei Tagungen von jeweils zwei Tagen Dauer (von Montag bis Dienstag und von Donnerstag bis Freitag) innerhalb derselben Woche statt.

62.      Aus einer rein objektiven Prüfung der Kalender ergibt sich somit, dass die angefochtenen Beschlüsse eine Unterbrechung der regelmäßigen Zeitabstände zwischen den Tagungen gebilligt haben. Daher lässt sich kaum bestreiten, dass, auch wenn die fehlende Tagung im August zwangsläufig zu einer Unregelmäßigkeit im Kalender führt, da so zwei Tagungen innerhalb eines Monats abzuhalten sind, diese Unregelmäßigkeit in den Jahren 2012 und 2013 noch durch die unterschiedliche Dauer der Plenartagungen im Verhältnis zu den übrigen Monaten des Jahres, in denen eine monatliche Plenartagung – die vier Tage umfasst – abzuhalten ist, verstärkt wird.

ii)    Fehlende Rechtfertigung

63.      Das Parlament kann jedoch, wie ich bereits ausgeführt habe, aufgrund seiner internen Organisationsgewalt geeignete Maßnahmen ergreifen, um sein ordnungsgemäßes Funktionieren und den Ablauf seiner Verfahren zu gewährleisten. Der Gerichtshof hat sich im Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, im Übrigen nicht anders entschieden, da er Abweichungen vom Grundsatz des Abhaltens von zwölf ordentlichen Plenartagungen zugelassen hat, sofern diese gerechtfertigt sind(36). Daher können die Protokolle nicht dahin ausgelegt werden, dass diese Organisationsbefugnis verneint wird.

64.      Die Tatsache, dass die beiden für den Monat Oktober der Jahre 2012 und 2013 geplanten monatlichen Plenartagungen in ihrer Dauer nicht den Plenartagungen der übrigen Monate des Jahres entsprechen, kann daher gerechtfertigt sein.

65.      Es ist allerdings festzustellen, dass das Parlament große Schwierigkeiten hat, überzeugende Rechtfertigungsgründe darzulegen oder zumindest die Gründe zu erläutern, aus denen die Dauer der beiden Plenartagungen des Monats Oktober der Jahre 2012 und 2013 mit den angefochtenen Beschlüssen auf zwei Tage verkürzt wurde.

66.      Zum einen ist die rechtliche Argumentation des Parlaments durchgängig so stark von seinem deutlich ausgedrückten Willen geprägt, seinen Sitz selbst festlegen zu können, dass nicht leicht zu unterscheiden ist, was den wirklichen Bedürfnissen des Parlaments im Hinblick auf die Organisation seiner Arbeit entspricht und wo es seine interne Organisationsbefugnis gezielt einsetzt, um die Regeln zu umgehen, die ihm das Primärrecht vorgibt. Die Anerkennung der Freiheit des Parlaments zur Festlegung seines Sitzes, so wünschenswert sie auch sein mag, kann nicht durch die Ausübung seiner internen Organisationsbefugnis erfolgen, sondern setzt vielmehr eine Änderung des Primärrechts voraus, die gegebenenfalls vom Parlament initiiert werden kann(37).

67.      Zum anderen hat das Parlament keine besonderen Argumente angeführt, aus denen die Gründe für die in den angefochtenen Beschlüssen vorgesehene Organisation der Plenartagungen des Monats Oktober ersichtlich sind.

68.      Es hat vorgetragen, die Haushaltstagung, deren Abhalten nach den Protokollen in Straßburg vorgeschrieben sei, habe gegenwärtig und infolge mehrerer Änderungen des Haushaltsverfahrens nicht dieselbe Bedeutung wie zu dem Zeitpunkt, zu dem der Beschluss von Edinburgh angenommen worden sei. Trotz der Tatsache, dass die Ausübung seiner Haushaltszuständigkeit durch das Parlament ein grundlegendes Element im demokratischen Leben der Union darstelle und daher mit größter Aufmerksamkeit, Genauigkeit und allem Einsatz, den eine solche Verantwortung erfordere, ausgeübt werden müsse, sei es nicht Aufgabe des Gerichtshofs, eine durchschnittliche Dauer der Haushaltstagung vorzugeben. Aber selbst wenn man zulässt – was nicht meiner Überzeugung entspricht –, dass eine solche Plenartagung mit einer kürzeren Dauer als die der anderen monatlichen Plenartagungen abgehalten werden kann, würde dies nicht die Tatsache verbergen, dass die Dauer der zweiten monatlichen Plenartagung, die in derselben Oktoberwoche der Jahre 2012 und 2013 vorgesehen ist und bei der es sich somit nicht um die Haushaltstagung handelt, gegenüber den übrigen monatlichen Plenartagungen ohne ersichtlichen Grund verkürzt worden ist.

69.      Es ist insoweit wenig überzeugend, jetzt schon davon auszugehen, dass z. B. die Tätigkeit des Parlaments in der monatlichen Plenartagung im Oktober 2013, die nicht dem Haushalt gewidmet sein wird, entlastet sein wird und dass zwei Sitzungstage(38) ausreichen werden. Ein rascher Blick auf die Tagesordnungen der letzten monatlichen Plenartagungen zeigt ein außerordentlich volles Programm, das sich über vier Tage erstreckt(39). Zu diesem Punkt in der Sitzung befragt, hat der Vertreter des Parlaments nicht erläutert, warum es – abgesehen vom Fall der Haushaltstagung – anzunehmen sein sollte, dass die Tagesordnung der anderen im Oktober vorgesehenen Tagung entlastet sein werde, und er hat sogar anerkannt, dass es dem Parlament nicht möglich sei, zum Zeitpunkt der Abstimmung über seinen Kalender den Inhalt der Tagesordnung der einzelnen Tagungen abzusehen.

70.      Das Argument, dass die Arbeit des Parlaments in den Ausschüssen zulasten der Arbeit im Plenum zugenommen habe, ist sehr interessant und gibt sicherlich eine tatsächliche Entwicklung in der Organisation der Arbeit des Parlaments wieder. Es erklärt jedoch auch nicht, warum nur die Dauer dieser Oktobertagung betroffen sein soll.

71.      Schließlich hat sich das Parlament auch darauf berufen, dass die angefochtenen Beschlüsse im Licht der durch die Pluralität der Arbeitsorte des Parlaments entstehenden Kosten betrachtet werden müssten, die im Zuge der Wirtschaftskrise noch stärker in den Vordergrund rückten. Es handelt sich hierbei um das unbestreitbar stärkste Argument. Der aktuelle Kontext verlangt wahrscheinlich, diese Frage zu überdenken. Angesichts der in den Verträgen vorgenommenen Verteilung der Zuständigkeiten fällt dies jedoch in den Verantwortungsbereich der Mitgliedstaaten. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass diese Kosten aus meiner Sicht Teil der mit der Pluralität der Arbeitsorte des Parlaments verbundenen „bestimmten Zwänge“ sind, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament(40), erwähnt hat. Da das Protokoll auf jeden Fall zwölf monatliche Plenartagungen verlangt, führt das Abhalten von zwei Plenartagungen in einem Monat von jeweils der gleichen Dauer wie der Tagungen in den übrigen Monaten zu keinen zusätzlichen Kosten im Vergleich zu denen, die durch das Abhalten einer Tagung pro Monat einschließlich des Monats August über das gesamte Jahr entstünden.

72.      Folglich hat das Parlament weder konjunkturelle Gründe angeführt, die eine punktuelle Änderung seines Kalenders rechtfertigen können, noch dargetan, dass das Abhalten von zwei ordentlichen Plenartagungen im Oktober von gleicher Dauer wie der Tagungen in den übrigen Monaten des Jahres sein ordnungsgemäßes Funktionieren behindern oder den Ablauf seiner Verfahren stören würde.

d)      Ergebnis

73.      Angesichts der allgemeinen Struktur der Kalender für die Jahre 2012 und 2013 zeigt sich somit deutlich, dass die beiden für die gleiche Woche im Oktober der Jahre 2012 und 2013 vorgesehenen Tagungen tatsächlich eine einzige Tagung darstellen, von der aufgrund des Fehlens überzeugender Erklärungen des Parlaments im Rahmen der vorliegenden Verfahren angenommen werden darf, dass sie künstlich zweigeteilt wurde, um nicht weniger künstlich den Anforderungen der Protokolle gerecht zu werden.

74.      Daher ist festzustellen, dass die beiden für die gleiche Oktoberwoche festgelegten Tagungen, einzeln betrachtet, nicht als monatliche Plenartagungen im Sinne der Protokolle angesehen werden können. Die angefochtenen Beschlüsse legen daher für die Jahre 2012 und 2013 nicht die von diesen Protokollen geforderten zwölf monatlichen Plenartagungen fest.

75.      Da sich der von der Französischen Republik im Rahmen der vorliegenden Klagen geltend gemachte einzige Klagegrund somit als begründet erweist, greift er durch.

V –    Kosten

76.      Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Französische Republik einen entsprechenden Antrag gestellt hat, sind dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

77.      Das Großherzogtum Luxemburg trägt nach Art. 69 § 4 der Verfahrensordnung seine eigenen Kosten.

VI – Ergebnis

78.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof folgende Entscheidung vor:

1.      Die Beschlüsse des Europäischen Parlaments vom 9. März 2011 über den Tagungskalender des Parlaments für das Jahr 2012 und den Tagungskalender des Parlaments für das Jahr 2013 werden insoweit für nichtig erklärt, als sie innerhalb ein und derselben Woche im Monat Oktober der betroffenen Jahre zwei ordentliche Plenartagungen festlegen, deren Dauer gegenüber den in den übrigen Monaten des Jahres abzuhaltenden Plenartagungen verkürzt ist, obwohl ein solcher Unterschied nicht gerechtfertigt ist.

2.      Das Europäische Parlament trägt die Kosten.

3.      Das Großherzogtum Luxemburg trägt seine eigenen Kosten.


1 –      Originalsprache: Französisch.


2 – Siehe den einzigen Artikel, Buchst. a, dieser Protokolle.


3 – Also jene vom 1. bis 4. Oktober 2012 und jene vom 30. September bis 3. Oktober 2013.


4 – Einziger Unterschied ist das betreffende Jahr des Sitzungskalenders des Parlaments.


5 –      Urteil vom 1. Oktober 1997 (C‑345/95, Slg. 1995, I‑5215).


6 –      Der Beklagte verweist hierzu auf die Urteile des Gerichtshofs vom 23. April 1986, Die Grünen/Parlament (294/83, Slg. 1986, 1339, Randnrn. 25 ff.), und vom 23. März 1993, Weber/Parlament (C‑314/91, Slg. 1993, I‑1093, Randnr. 12), sowie auf das Urteil des Gerichts vom 10. April 2003, Le Pen/Parlament (T‑353/00, Slg. 2003, II‑1729, Randnr. 77).


7 – Die Französische Republik stützt sich hierbei insbesondere auf die Urteile vom 10. Februar 1983, Luxemburg/Parlament (230/81, Slg. 1983, 255, Randnr. 30), vom 22. September 1988, Frankreich/Parlament (358/85 und 51/86, Slg. 1988, 4821, Randnr. 15), sowie vom 28. November 1991, Luxemburg/Parlament (C‑213/88 und C‑39/89, Slg. 1991, I‑5643, Randnr. 16).


8 –      Urteil vom 28. November 1991, Luxemburg/Parlament (Randnr. 15).


9 –      Urteil vom 23. März 1993 (C‑314/91, Slg. 1993, I‑1093).


10 – Urteil Weber/Parlament (Randnrn. 9 f.).


11 – Ebd. (Randnr. 11).


12 – Urteil vom 28. November 1991, Luxemburg/Parlament (Randnrn. 26 f.). Für eine konkrete Veranschaulichung der stillschweigenden Anerkennung des Entscheidungscharakters einer Änderung der Geschäftsordnung des Parlaments, vgl. Urteil vom 30. März 2004, Rothley u. a./Parlament (C‑167/02 P, Slg. 2004, I‑3149).


13 – Beschluss vom 4. Juni 1986, Gruppe der Europäischen Rechten/Parlament (78/85, Slg. 1986, 1753, Randnr. 11).


14 – Beschluss vom 22. Mai 1990, Blot und Front national/Parlament (C‑68/90, Slg. 1990, I‑2101, Randnrn. 10 f.).


15 –      Vgl. Nr. 16 der Schlussanträge von Generalanwalt Lenz in der Rechtssache, in der das Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, ergangen ist. Generalanwalt Mancini hatte sich vor ihm zu der Möglichkeit geäußert, dass Handlungen, die der internen Organisation zuzuordnen sind, Rechtswirkungen zeitigen (vgl. seine Schlussanträge in der Rechtssache, in der das Urteil vom 10. Februar 1983, Luxemburg/Parlament, ergangen ist [insbesondere S. 302]).


16 – Urteil vom 16. Dezember 1960, Humblet/Belgien (6/60, Slg. 1960, 1125, 1147).


17 –      Vgl. Nrn. 9 ff. der Schlussanträge von Generalanwalt Lenz in der Rechtssache, in der das Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament, ergangen ist.


18 – Urteil vom 10. Februar 1983, Luxemburg/Parlament (Randnr. 30).


19 –      Urteil vom 28. November 1991, Luxemburg/Parlament (Randnr. 16).


20 – In der Sitzung hat der Vertreter des Parlaments diese Zahl auf 34 Tage nach unten korrigiert, da die monatlichen Plenartagungen erst am Montag um 17 Uhr beginnen und am Donnerstag zur gleichen Zeit enden.


21 –      Urteil vom 10. Juli 1986 (149/85, Slg. 1986, 2391, Randnr. 16).


22 – Das Parlament hat unter Bezugnahme auf eine Studie aus dem Jahr 2007 die Zahl von 19 000 Tonnen Kohlendioxid angegeben. Die Französische Republik schätzt die Umweltbelastung durch die Reisen nach Straßburg unter Bezugnahme auf eine andere Studie aus dem Jahr 2012 auf 4 699 Tonnen Kohlendioxid. Die wirtschaftlichen Kosten beziffert das Parlament auf der Grundlage einer Studie aus dem Jahr 2011 auf 160 Mio. Euro. Die Französische Republik nimmt auf dieselbe Studie Bezug wie für die Einschätzung der Umweltbelastung und schätzt die mit der Festlegung des Sitzes des Parlaments in Straßburg verbundenen Kosten auf 51 Mio. Euro.


23 – Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament (Randnr. 24).


24 – Ebd. (Randnr. 25).


25 – Ebd. (Randnr. 26).


26 – Ebd. (Randnr. 28).


27 – Ebd. (Randnr. 29).


28 – Ebd. (Randnr. 31).


29 – Ebd. (Randnr. 32).


30 – Ebd. (Randnr. 32).


31 –      Vgl. Urteil Wybot (Randnr. 16).


32 – Und zwar im Hinblick auf die Bestimmung des zeitlichen Geltungsbereichs der parlamentarischen Immunität eines europäischen Abgeordneten.


33 – Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament (Randnr. 25). Hervorhebung nur hier.


34 – Der Umstand, dass sich die Französische Republik dieser Änderung der Praxis nicht widersetzt hat, obwohl diese verhältnismäßig und nach Ansicht des Parlaments viel bedeutender war als die durch die angefochtenen Beschlüsse eingeführte, ist jedoch ohne Bedeutung für die heutige Beurteilung dieser Beschlüsse durch den Gerichtshof.


35 –      Vgl. Nr. 8 der vorliegenden Schlussanträge.


36 – Vgl. Urteil vom 1. Oktober 1997, Frankreich/Parlament (Randnr. 33).


37 –      Vgl. Art. 48 EG.


38 – Um es genau zu sagen, von Montag bis Dienstag oder von Donnerstag bis Freitag.


39 – Es genügt, sich die Tagesordnung der letzten Plenartagung des Parlaments in Straßburg vom 2. bis 5. Juli 2012 anzusehen, um sich davon zu überzeugen (vgl. das Sitzungsdokument vom 2. Juli 2012, Nr. 491.927).


40 – Ebd. (Randnr. 32).