Language of document : ECLI:EU:T:2016:306

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTS

23. Mai 2016 (*)

„Vorläufiger Rechtsschutz – Institutionelles Recht – Europäische Bürgerinitiative – Ablehnung der Registrierung – Antrag auf einstweilige Anordnung – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑754/14 R

Michael Efler, wohnhaft in Berlin (Deutschland),

Pedro De Birto E. Abreu Krupenski, wohnhaft in Lissabon (Portugal),

Susan Vance George, wohnhaft in Paris (Frankreich),

Otto Jaako Kronqvist, wohnhaft in Helsinki (Finnland),

Blanche Léonie Denise Weber, wohnhaft in Luxemburg (Luxemburg),

John Jephson Hilary, wohnhaft in London (Vereinigtes Königreich),

Ileana-Lavinia Andrei, wohnhaft in Bukarest (Rumänien),

handelnd als Bürgerausschuss zur Vorbereitung einer Europäischen Bürgerinitiative zur Verhinderung von TTIP und CETA,

Prozessbevollmächtigter: Professor Dr. B. Kempen,

Antragsteller,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch H. Krämer und F. Erlbacher als Bevollmächtigte,

Antragsgegnerin,

wegen einstweiliger Anordnung im Zusammenhang mit dem Beschluss C (2014) 6501 final der Kommission vom 10. September 2014, durch den die Registrierung der geplanten Bürgerinitiative „Stop TTIP“ abgelehnt wurde,

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

folgenden

Beschluss

 Rechtlicher Rahmen

1        Art. 11 Abs. 4 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) lautet wie folgt:

„Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handeln muss, können die Initiative ergreifen und die Europäische Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen.

Die Verfahren und Bedingungen, die für eine solche Bürgerinitiative gelten, werden nach Artikel 24 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV] festgelegt.“

2        Art. 24 Abs. 1 AEUV bestimmt:

„Die Bestimmungen über die Verfahren und Bedingungen, die für eine Bürgerinitiative im Sinne des Artikels 11 [EUV] gelten, einschließlich der Mindestzahl der Mitgliedstaaten, aus denen die Bürgerinnen und Bürger, die diese Initiative ergreifen, kommen müssen, werden vom Europäischen Parlament und vom Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Verordnungen festgelegt.“

3        Art. 2 Nr. 1 der auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 AEUV erlassenen Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Bürgerinitiative (ABl. L 65, S. 1) ist wie folgt gefasst:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

1. ‚Bürgerinitiative‘ eine Initiative, die der Kommission gemäß dieser Verordnung vorgelegt wird und in der die Kommission aufgefordert wird, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht von Bürgern eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen, und die die Unterstützung von mindestens einer Million teilnahmeberechtigten Unterzeichnern aus mindestens einem Viertel aller Mitgliedstaaten erhalten hat;

…“

4        In Art. 4 der Verordnung Nr. 211/2011 heißt es:

„(1) Bevor sie mit der Sammlung von Unterstützungsbekundungen bei Unterzeichnern für eine geplante Bürgerinitiative beginnen, sind die Organisatoren verpflichtet, sie bei der Kommission anzumelden, wobei sie … Informationen, insbesondere zum Gegenstand und zu den Zielen der geplanten Bürgerinitiative, bereitstellen.

...

(2) Binnen zwei Monaten nach Eingang der … Informationen registriert die Kommission eine geplante Bürgerinitiative ..., sofern die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

...

b) die geplante Bürgerinitiative liegt nicht offenkundig außerhalb des Rahmens, in dem die Kommission befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen;

(3) Die Kommission verweigert die Registrierung, wenn die in Absatz 2 festgelegten Bedingungen nicht erfüllt sind.

Wenn die Kommission es ablehnt, eine geplante Bürgerinitiative zu registrieren, unterrichtet sie die Organisatoren über die Gründe der Ablehnung und alle möglichen gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsbehelfe, die ihnen zur Verfügung stehen.“

5        Art. 5 der Verordnung Nr. 211/2011 regelt die Verfahren und Bedingungen für die Sammlung von Unterstützungsbekundungen. Gemäß Abs. 5 dieser Bestimmung werden sämtliche Unterstützungsbekundungen „innerhalb eines Zeitraums von höchstens zwölf Monaten“ nach der Registrierung der geplanten Bürgerinitiative gesammelt. Nach Ablauf dieses Zeitraums wird im Register vermerkt, dass der Zeitraum abgelaufen ist, und „gegebenenfalls, dass nicht die erforderliche Anzahl an Unterstützungsbekundungen eingegangen ist“.

6        Art. 10 der Verordnung Nr. 211/2011 bestimmt:

„(1) Geht bei der Kommission eine Bürgerinitiative gemäß Artikel 9 ein, so

...

c) legt sie innerhalb von drei Monaten in einer Mitteilung ihre rechtlichen und politischen Schlussfolgerungen zu der Bürgerinitiative sowie ihr weiteres Vorgehen bzw. den Verzicht auf ein weiteres Vorgehen und die Gründe hierfür dar.

···“

7        Der erste Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 211/2011 ist wie folgt gefasst:

„Der [EUV] stärkt die Unionsbürgerschaft und führt zu einer weiteren Verbesserung der demokratischen Funktionsweise der Union, indem unter anderem festgelegt wird, dass jeder Bürger das Recht hat, sich über eine europäische Bürgerinitiative am demokratischen Leben der Union zu beteiligen. Ähnlich wie das Recht, das dem Europäischen Parlament gemäß Artikel 225 [AEUV] und dem Rat gemäß Artikel 241 AEUV eingeräumt wird, bietet dieses Verfahren den Bürgern die Möglichkeit, sich direkt mit der Aufforderung an die Europäische Kommission zu wenden, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union zur Umsetzung der Verträge zu unterbreiten.“

 Sachverhalt, Verfahren und Anträge der Parteien

8        Am 27. April 2009 ermächtigte der Rat die Kommission auf deren Empfehlung zur Aufnahme von Verhandlungen mit Kanada über ein Freihandelsabkommen, das später die Bezeichnung „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (CETA) erhielt. Am 14. Juni 2014 ermächtigte der Rat die Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, das später die Bezeichnung „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) erhielt. Die Verhandlungen über CETA sind seit Mitte 2014 im Wesentlichen abgeschlossen. Die Kommission hat die Entwurfsfassung des CETA-Vertragstextes publiziert. Hingegen befindet sich TTIP noch im Verhandlungsstadium.

9        Am 15. Juli 2014 reichten die Antragsteller bei der Kommission einen Antrag auf Registrierung einer Europäischen Bürgerinitiative mit dem Namen „Stop TTIP“ ein. Als Gegenstand der Bürgerinitiative wurde angegeben, die Kommission solle aufgefordert werden, dem Rat zu empfehlen, das Verhandlungsmandat für TTIP aufzuheben sowie CETA nicht abzuschließen. Die Bürgerinitiative wolle TTIP und CETA vereiteln, da diese diverse kritische Punkte wie Investor-Staat-Schiedsverfahren und Regelungen zur regulatorischen Kooperation enthielten, die Demokratie und Rechtsstaat bedrohten. Es müsse verhindert werden, dass in intransparenten Verhandlungen Arbeits-, Sozial-, Umwelt-, Datenschutz- und Verbraucherschutzstandards gesenkt sowie öffentliche Dienstleistungen und Kulturgüter dereguliert würden. Die Bürgerinitiative unterstütze eine alternative Handels- und Investitionspolitik der Union.

10      Mit Beschluss C (2014) 6501 final vom 10. September 2014 lehnte die Kommission die Registrierung der geplanten Bürgerinitiative „Stop TTIP“ unter Berufung auf Art. 4 Abs. 2, Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 ab (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

11      Zur Begründung führte die Kommission im Wesentlichen aus, dass ein Beschluss des Rates über die Ermächtigung der Kommission zur Aufnahme von Verhand-lungen über eine Übereinkunft mit einem Drittland keinen Rechtsakt der Union – und daher eine hierauf bezogene Empfehlung der Kommission keinen geeigneten Vorschlag – im Sinne von Art. 11 Abs. 4 EUV und Art. 2 Nr. l der Verordnung Nr. 211/2011 darstelle. Die Kommission könne durch eine Bürgerinitiative auch nicht aufgefordert werden, keinen Vorschlag für einen bestimmten Rechtsakt oder einen Vorschlag für einen Beschluss über den Nichterlass eines bestimmten Rechtsakts vorzulegen, also im Fall der geplanten Bürgerinitiative keinen Vorschlag für Ratsbeschlüsse über die Unterzeichnung und den Abschluss von CETA bzw. TTIP vorzulegen bzw. Vorschläge für Beschlüsse über den Nichterlass dieser Ratsbeschlüsse. Daher liege der Gegenstand dieser geplanten Bürgerinitiative offenkundig außerhalb des Rahmens, in dem die Kommission befugt sei, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen.

12      Mit Klageschrift, die am 10. November 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Antragsteller beantragt, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären.

13      Nach Ansicht der Antragsteller ist die von ihnen initiierte Europäische Bürgerinitiative registrierungsfähig. Der angefochtene Beschluss verstoße gegen Art. 11 Abs. 4 EUV sowie gegen Art. 2 Nr. 1 und Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011, da die beantragte Bürgerinitiative Rechtsakte der Kommission im Sinne dieser Vorschriften zum Gegenstand habe. Insbesondere könne sich eine Europäische Bürgerinitiative durchaus auf vorbereitende Rechtsakte oder auf die Verhinderung eines geplanten Rechtsakts beziehen. Außerdem verstoße der angefochtene Beschluss gegen das Gebot der Gleichbehandlung, da die Kommission in einem vergleichbaren Fall die Bürgerinitiative „Kündigung Personenfreizügigkeit Schweiz“ registriert habe, die auf die Aufhebung eines völkerrechtlichen Vertrags gerichtet gewesen sei.

14      Mit gesondertem Schriftsatz, der am 15. April 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz begehrt und im Kern beantragt, es der Kommission bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache (T‑754/14, Efler u. a./Kommission) zu untersagen, dem Rat den Vertragstext des CETA zwischen der Europäischen Union und Kanada zum Beschluss über den Abschluss dieses Abkommens vorzulegen.

15      Die Antragsteller unterstreichen die besondere Dringlichkeit ihres Eilantrags unter Hinweis auf die öffentliche und gerichtsbekannte Tatsache, dass die Kommission möglicherweise schon Ende Juni 2016 dem Rat den Vorschlag unterbreiten werde, CETA zu unterzeichnen. Damit bestehe die Gefahr, dass vollendete Tatsachen geschaffen würden. Eine Einwirkungsmöglichkeit der Europäischen Bürger-initiative „Stop TTIP“ auf den politischen Willensbildungsprozess wäre, bezogen auf den Abschluss von CETA, hinfällig. Die Bürgerinitiative würde sich dadurch zu einem wesentlichen Teil erledigen. Das politische Anliegen der Antragsteller, als Initiatoren und Organisatoren einer Europäischen Bürgerinitiative auf die Vereitelung von CETA demokratisch hinzuwirken, wäre in einem Bereich zum Scheitern verurteilt, dem zentrale politische Bedeutung zukomme.

16      In ihrer Stellungnahme zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, die am 28. April 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, beantragt die Kommission, diesen Antrag zurückzuweisen und den Antragstellern die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

17      Nach Ansicht der Kommission haben die Antragsteller weder einen hinreichenden Fumus boni iuris noch die erforderliche Dringlichkeit vorläufigen Rechtsschutzes dargetan. Im Übrigen wiege das Interesse der Antragsteller am Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung geringer als das öffentliche Interesse an der Ablehnung des Eilantrags. An der raschen Anwendung – und daher raschen Unterzeichnung – von CETA bestehe nämlich vor allem aus makroökonomischen Gründen ein erhebliches öffentliches Interesse.

18      Auf Aufforderung des Gerichts haben sich die Parteien am 17. Mai 2016 zu der Diskrepanz zwischen Klage- und Eilantrag sowie der dadurch aufgeworfenen Zulässigkeitsfrage geäußert.

 Gründe

19      Art. 278 AEUV sieht vor, dass „Klagen bei dem Gerichtshof der Europäischen Union … keine aufschiebende Wirkung“ haben, der Gerichtshof jedoch, „wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen [kann]“. Gemäß Art. 279 AEUV kann der Gerichtshof außerdem „in den bei ihm anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen“. Die Art. 278 und 279 AEUV ermächtigen somit in Verbindung mit Art. 256 Abs. 1 AEUV den für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter, die Durchführung einer vor dem Gericht der Europäischen Union angefochtenen Handlung auszusetzen sowie sonstige einstweilige Anordnungen in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu treffen.

20      Aus dieser primärrechtlichen Regelung ergibt sich notwendig, dass ein hinrei-chend enger Zusammenhang zwischen dem Antrag auf einstweilige Anordnung und dem Gegenstand der diesem Antrag zugrunde liegenden Klage bestehen muss (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 29. März 2001, Goldstein/Kommission, T‑18/01 R, EU:T:2001:110, Rn. 32, und vom 2. Juli 2004, Sumitomo Chemical/Kommission, T‑78/04 R, EU:T:2004:204, Rn. 43). In der Tat verfolgt das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach ständiger Rechtsprechung allein den Zweck, die volle Wirksamkeit der künftigen Entscheidung zur Haupt-sache sicherzustellen und so die Lückenlosigkeit des vom Unionsrichter gewährten Rechtsschutzes zu gewährleisten (vgl. Beschlüsse vom 3. Mai 1996, Deutschland/Kommission, C‑399/95 R, EU:C:1996:193, Rn. 46, vom 21. Februar 2002, Front national und Martinez/Parlament, C‑486/01 P‑R und C‑488/01 P‑R, EU:C:2002:116, Rn. 87, und vom 27. September 2004, Kommission/Akzo und Akcros, C‑7/04 P[R], EU:C:2004:566, Rn. 36).

21      Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes steht somit in einem akzessorischen Verhältnis zum Verfahren zur Hauptsache (Beschlüsse vom 21. Juni 1996, Lehrfreund/Rat und Kommission, T‑228/95, nicht veröffentlicht, EU:T:1996:88, Rn. 61, und vom 8. Januar 2014, Stichting Sona und Nao/Kommission, T‑505/13 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies bedeutet, dass die beantragte einstweilige Anordnung vorläufiger Natur sein muss und weder die Entscheidung zur Hauptsache vorwegnehmen noch über den Rahmen der dem Eilantrag zugrunde liegenden Klage hinausgehen darf (Beschlüsse vom 17. Mai 1991, CIRFS u. a./Kommission, C‑313/90 R, EU:C:1991:220, Rn. 23 und 24, und vom 12. Dezember 1995, Connolly/Kommission, T‑203/95 R, EU:T:1995:208, Rn. 16).

22      Eine vom Eilrichter erlassene einstweilige Anordnung muss sich folglich im Rahmen der Endentscheidung halten, die das Gericht hinsichtlich der Hauptsache erlassen könnte (Beschluss vom 29. März 2001, Goldstein/Kommission, T‑18/01 R, EU:T:2001:110, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      Im vorliegenden Fall ist der Klageantrag in der Hauptsache darauf gerichtet, den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären, mit dem die Registrierung der Bürgerinitiative „Stop TTIP“ abgelehnt wurde. Würde dieser Nichtigkeitsklage stattgegeben, hätte die Kommission nach Art. 266 AEUV „die sich aus [diesem] Urteil … ergebenden Maßnahmen zu ergreifen“. Insoweit käme ein Beschluss in Betracht, der den Registrierungsantrag nunmehr positiv bescheiden oder aber erneut – gestützt auf eine andere Begründung – zurückweisen würde.

24      Dazu ist festzustellen, dass schon eine die vorläufige Registrierung anordnende Eilmaßnahme die Kommission zwänge, eine bestimmte Folge aus dem Nichtig-keitsurteil zu ziehen. Der Eilrichter würde auf diese Weise eine Maßnahme anordnen, die selbst die rein kassatorischen Zuständigkeiten des Gerichts im Verfahren zur Hauptsache überstiege, und somit de facto eine Entscheidung treffen, die allein der Exekutive zustünde (vgl. Beschlüsse vom 5. Oktober 1969, Deutschland/Kommission, 50/69 R, EU:C:1969:42, S. 451, und vom 16. Januar 2004, Arizona Chemical u. a./Kommission, T‑369/03 R, EU:T:2004:9, Rn. 67).

25      Was speziell den vorliegenden Eilantrag auf Erlass einer an die Kommission gerichteten Unterlassungsanordnung (siehe oben, Rn. 14) betrifft, so geht dieser Antrag weit über den Rahmen des Klageantrags in der Hauptsache hinaus. Zudem kommt die von den Antragstellern intendierte Untätigkeit der Kommission nicht als Maßnahme zum unmittelbaren Vollzug eines Urteils gemäß Art. 266 AEUV in Betracht, das lediglich den die Registrierung der Bürgerinitiative ablehnenden Beschluss für nichtig erklären würde. Ganz im Gegenteil: Nichts erlaubt die Annahme, dass die Kommission in Durchführung eines solchen Urteils dem Unterlassungsbegehren der Antragsteller aller Wahrscheinlichkeit nach stattgeben würde (vgl. dazu Beschluss vom 15. Mai 2013, Deutschland/Kommission, T‑198/12 R, EU:T:2013:245, Rn. 37).

26      Selbst wenn die Kommission nämlich eine geplante Bürgerinitiative tatsächlich registriert hat, ist sie keineswegs gehalten, sich deren politisches Anliegen zu Eigen zu machen und umzusetzen. Nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 211/2011 ist die Kommission nur verpflichtet, ihre rechtlichen und politischen Schlussfolgerungen zu der registrierten Bürgerinitiative „sowie ihr weiteres Vorgehen bzw. den Verzicht auf ein weiteres Vorgehen und die Gründe hierfür“ darzulegen. Dies bedeutet, dass die Kommission davon absehen darf, eine registrierte Bürgerinitiative durch konkrete Maßnahmen zu unterstützen bzw. die von ihr angeregten Vorschläge vorzulegen und zu realisieren.

27      Hierfür spricht auch der erste Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 211/2011. Dieser zieht eine Parallele zwischen der Möglichkeit für eine Europäische Bürgerinitiative, die Kommission direkt zur Unterbreitung von Vorschlägen aufzufordern, und dem Recht des Europäischen Parlaments sowie des Rates, die Kommission gemäß Art. 225 bzw. Art. 241 AEUV zur Unterbreitung bestimmter Vorschläge aufzufordern. Dieses dem Parlament und dem Rat eingeräumte Recht ist nämlich nicht absolut: Sowohl Art. 225 als auch Art. 241 AEUV erlauben der Kommission, „keinen Vorschlag vor[zulegen]“, wobei sie dem Rat bzw. dem Parlament „die Gründe dafür mit[zuteilen]“ hat. Wenn die Kommission in diesem Bereich aber sogar ein Unionsorgan abschlägig bescheiden darf, ist nicht ersichtlich, weshalb ihr die entsprechende Befugnis nicht auch gegenüber einer Europäischen Bürgerinitiative zustehen sollte.

28      Im vorliegenden Fall spricht alles dafür, dass die Kommission nach einer gerichtlich erzwungenen Registrierung davon absehen wird, Vorschläge gegen einen Abschluss von CETA vorzulegen. Sie hat nämlich nicht nur die Registrierung der Bürgerinitiative „Stop TTIP“ abgelehnt, sondern ihrerseits die Aufnahme der Verhandlungen mit Kanada initiiert (siehe oben, Rn. 8) und in ihrer Stellungnahme zum gegenwärtigen Eilantrag die Vorzüge von CETA betont.

29      Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter würde daher die akzessorische Natur des Eilverfahrens im Verhältnis zum Verfahren zur Hauptsache verkennen und seine Befugnisse flagrant überschreiten, wenn er dem vorliegenden Eilantrag stattgäbe.

30      Zwar stehen dem Eilrichter durchaus Anordnungsbefugnisse zu, deren Gestal-tungswirkung gegenüber der betroffenen EU-Institution den kassatorische Effekt eines Nichtigkeitsurteils übersteigt, vorausgesetzt allerdings, diese Anordnungen gelten nur für die Dauer des Hauptverfahrens, nehmen die Entscheidung zur Hauptsache nicht vorweg und beeinträchtigen nicht deren praktische Wirksamkeit (vgl. Beschluss vom 15. Mai 2013, Deutschland/Kommission, T‑198/12 R, EU:T:2013:245, Rn. 33). Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen einer solchen extensiven Anordnungsbefugnis jedoch offenkundig nicht erfüllt, da die beantragte einstweilige Anordnung nicht nur die Entscheidung zur Hauptsache vorwegnähme, sondern sogar den Rahmen des gegenwärtigen Rechtsstreits über-schreiten und das Ergebnis eines eventuellen künftigen Rechtsstreits über die Rechte und Pflichten der Kommission in Bezug auf eine registrierte Bürger-initiative antizipieren würde.

31      Insoweit ist der vorliegende Fall mit der Fallkonstellation vergleichbar, die dem Beschluss vom 17. Dezember 2009, Vereniging Milieudefensie und Stichting Stop Luchtverontreiniging Utrecht/Kommission (T‑396/09 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2009:526), zugrunde lag. Gegenstand dieser Rechtssache war eine von der Kommission erteilte Ausnahmegenehmigung, die einen Mitgliedstaat von der Pflicht zur Einhaltung bestimmter Luftqualitäts-Grenzwerte befreite. Den Antrag einer Umweltschutzorganisation auf interne Überprüfung dieser Genehmigung lehnte die Kommission als unzulässig ab. Gegen diesen ablehnenden Bescheid – nicht gegen die Genehmigung als solche – erhob die Umweltschutzorganisation Nichtigkeitsklage. Außerdem begehrte sie vorläufigen Rechtsschutz u. a. mit dem Antrag, der Kommission aufzugeben, sie möge den betreffenden Mitgliedstaat veranlassen, unverzüglich die Grenzwerte einzuhalten. In dem Beschluss vom 17. Dezember 2009 (Rn. 37 bis 41) wurde der Eilantrag mit der Begründung für unzulässig erklärt, die beantragte einstweilige Anordnung liefe de facto auf eine Rücknahme der Ausnahmegenehmigung hinaus, während ein den Ablehnungs-bescheid für nichtig erklärendes Urteil die Kommission nur dazu verpflichten würde, überhaupt in der Sache tätig zu werden und die ursprünglich abgelehnte Überprüfung ergebnisoffen durchzuführen, zumal der Rechtsstreit allein die Zulässigkeit, nicht aber das Ergebnis dieser Überprüfung zum Gegenstand hatte. Eine Rücknahme der Ausnahmegenehmigung wäre somit unter keinen Umständen die notwendige Folge dieses Urteils, so dass die beantragte einstweilige Anord-nung weit über die Maßnahmen hinausginge, die die Kommission zu ergreifen hätte, um der Nichtigerklärung gemäß Art. 266 AEUV Rechnung zu tragen.

32      Der gegenwärtige Eilantrag auf Erlass einer an die Kommission gerichteten Unterlassungsanordnung kann auch nicht deshalb für zulässig erachtet werden, weil er einer „Stillhalteverpflichtung“ der Kommission aus Art. 5 Abs. 5 der Verordnung Nr. 211/2011 (siehe oben, Rn. 5) entspräche. Dieser Bestimmung ist nämlich nicht zu entnehmen, dass die Kommission gegebenenfalls zwölf Monate lang nichts unternehmen dürfte, was sich auf die politischen Ziele einer registrier-ten Bürgerinitiative auswirken könnte. Es handelt sich um eine Ordnungsvor-schrift, der zufolge einer registrierten Bürgerinitiative maximal zwölf Monate für die Sammlung aller Unterstützungsbekundungen zur Verfügung stehen, wobei nach Ablauf dieses Zeitraums im Register vermerkt wird, ob die erforderliche Anzahl derartiger Bekundungen eingegangen ist.

33      Wie die Kommission unter Hinweis auf das Urteil vom 14. April 2015, Rat/Kommission (C‑409/13, EU:C:2015:217, Rn. 70), zu Recht ausgeführt hat, kann das ihr durch Art. 17 Abs. 2 EUV und Art. 289 AEUV eingeräumte Initiativrecht keinesfalls während dieses Zählvorgangs automatisch blockiert werden. Dies wäre unvereinbar mit dem institutionellen Auftrag der Kommission, die allgemeinen Interessen der Union zu fördern und zu diesem Zweck Initiativen zu ergreifen, die den jeweiligen konkreten Umständen und Notwendigkeiten mit der gebotenen Flexibilität und Schnelligkeit Rechnung tragen.

34      Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb es der Kommission verwehrt sein sollte, Maßnahmen zur Unterstützung oder aber zur Bekämpfung der Ziele einer regi-strierten Bürgerinitiative vor Ablauf der Zwölfmonatsfrist zu ergreifen und dabei – zugunsten der Bürgerinitiative – zu unterstellen, dass diese die erforderliche Anzahl an Unterstützungsbekundungen erlangt hat bzw. ganz offenkundig erlangen wird. Im Übrigen haben die Antragsteller nicht einmal selbst behauptet, dass Art. 5 Abs. 5 der Verordnung Nr. 211/2011 die Kommission während der Sammlung der Unterstützungsbekundungen zur Untätigkeit verpflichtete.

35      Schließlich haben die Antragsteller nicht dargetan, dass die von ihnen begehrte einstweilige Anordnung, obwohl sie ihnen einen größeren Vorteil als ein Nichtigkeitsurteil in der Hauptsache verschaffte, ausnahmsweise zu akzeptieren wäre, weil andernfalls ihr Anspruch auf effektiven Rechtsschutz vereitelt würde.

36      Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die besondere Dringlichkeit einer einstweiligen Anordnung in der unabdingbaren Notwendigkeit bestehen kann, so schnell wie möglich einen Zustand zu beseitigen, der prima facie als eine offen-kundige und äußerst schwerwiegende Rechtswidrigkeit und daher als ein besonders ernsthafter Fumus boni iuris erscheint (vgl. Beschluss vom 11. März 2013, Communicaid Group/Kommission, T‑4/13 R, EU:T:2013:121, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Im vorliegenden Fall haben die Antragsteller aber nicht geltend gemacht, dass der angefochtene Beschluss eine derartige Rechtswidrigkeit aufweise. Sie haben sich nicht auf einen besonders ernsthaften Fumus boni iuris berufen, sondern vorgetragen, dass ein Antragsteller nach einschlägiger Rechtsprechung gerade nicht verpflichtet sei, die prima facie-Begründetheit seiner Klage in der Hauptsache glaubhaft zu machen. Es reiche aus, wenn der Klageantrag zumindest hinsichtlich eines Klagegrunds erheblich und jedenfalls nicht offensichtlich unbe-gründet erscheine. Dies sei vorliegend der Fall. Die mit ihrer Klage aufgeworfenen, bislang nicht durch den Gerichtshof oder das Gericht entschiedenen Rechtsfragen verlangten nach einer sorgfältig und detailliert begründeten Entscheidung durch die Kammer.

38      Im Übrigen scheint nach eigenem Bekunden der Antragsteller auch keine besondere Dringlichkeit gegeben zu sein. Unter Hinweis auf den Ratifikations-prozess von CETA tragen sie vor, bei einem Vertragsabschluss, an dem mehrere politische Akteure beteiligt seien, müsse stets damit gerechnet werden, dass die Ratifikation sich verzögere oder auch gänzlich scheitere. So seien auf Seiten der Europäischen Union neben Rat und Parlament auch die Mitgliedstaaten in den Ratifikationsprozess eingebunden, und es sei von vornherein nicht sicher, dass allseits die erforderliche Zustimmung zustande komme. Genauso wenig bestehe eine sichere, rechtlich geschützte Erwartung, dass Kanada die Ratifikation erklären werde. Die völkerrechtliche Vertragsabschlussfreiheit impliziere, dass über das Zustandekommen eines Vertrags bis zu dessen endgültiger Ratifikation keine Gewissheit bestehen könne.

39      Die Antragsteller tragen noch vor, bezogen auf CETA habe sich im Juli 2014, als sie den Registrierungsantrag gestellt hätten, bereits abgezeichnet, dass die Vertragsverhandlungen bald abgeschlossen sein würden, weshalb dieser Antrag so formuliert worden sei, dass er nicht mehr auf eine Aufhebung des Verhandlungs-mandats der Kommission, sondern auf den Nicht-Abschluss von CETA abziele. Sobald die Kommission dem Rat einen Vorschlag über den Abschluss von CETA unterbreite, werde sich ein Antrag auf Registrierung der Bürgerinitiative „Stop TTIP“, die das Ziel verfolge, die Kommission daran zu hindern, dem Rat einen derartigen Vorschlag zu unterbreiten, in einem wesentlichen Punkt erledigen. Die Antragsteller könnten dann zwar noch auf die Aufhebung des Verhandlungs-mandats für TTIP hinwirken, es wäre ihnen jedoch die Möglichkeit genommen, auf den Abschluss von CETA einzuwirken und somit von einer im Vertragsrecht der Union ausdrücklich vorgesehenen essentiellen politischen Partizipationsmög-lichkeit Gebrauch zu machen. Ein späteres Obsiegen im Verfahren zur Haupt-sache wäre daher weitgehend nutzlos.

40      Dazu genügt der Hinweis, dass die Antragsteller, soweit sie die Verhinderung des Abschlusses von CETA trotz der Unwägbarkeiten des Ratifikationsprozesses (siehe oben, Rn. 38) gegenwärtig als dringlich ansehen, dieser Dringlichkeit bereits bei Klageerhebung im November 2014 vorausschauend hätten Rechnung tragen können. In der Tat hätten sie gemäß Art. 76a der Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai 1991 (vgl. insoweit Art. 151 bis 155 der neuen Verfahrensordnung) mit besonderem Schriftsatz gleichzeitig mit der Klageschrift einen Antrag auf Entscheidung der Hauptsache im beschleunigten Verfahren stellen und hierbei auf die besondere Dringlichkeit ihres Klagebegehrens hinweisen können. Dass die Antragsteller es versäumt haben, einen derartigen Antrag einzureichen, hindert sie übrigens nicht daran, nach Art. 67 Abs. 2 der neuen Verfahrensordnung zu beantragen, dass die Rechtssache T‑754/14 mit Vorrang entschieden wird.

41      Nach alledem ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen.

Aus diesen Gründen hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1.      Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird zurückgewiesen.

2.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 23. Mai 2016.

Der Kanzler

 

       Der Präsident

E. Coulon

 

       M. Jaeger


* Verfahrenssprache: Deutsch.