Language of document : ECLI:EU:C:2017:937

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 5. Dezember 2017(1)

Rechtssache C‑451/16

MB

gegen

Secretary of State for Work and Pensions

(Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court of the United Kingdom [Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit – Richtlinie 79/7/EWG – Weigerung, einer Mann-zu-Frau-Transgender-Person, die sich einer operativen Geschlechtsumwandlung unterzogen hat, mit 60 Jahren eine staatliche Ruhestandsrente zu gewähren – Voraussetzungen für die Anerkennung einer Geschlechtsumwandlung – Voraussetzung, eine bestehende Ehe für nichtig erklären zu lassen“






I.      Einleitung

1.        MB ist eine Mann-zu-Frau-Transgender-Person. Sie ist seit 1974 mit einer Frau verheiratet. Sie lebt seit 1991 als Frau und unterzog sich 1995 einer operativen Geschlechtsumwandlung. Im Jahr 2008 wurde sie 60 Jahre alt, was damals im Vereinigten Königreich dem gesetzlichen Rentenalter für Frauen entsprach. Sie beantragte die staatliche Ruhestandsrente. Ihr Antrag wurde abgelehnt, weil sie nicht das gesetzlich vorgesehene Verfahren zur Anerkennung der Geschlechtsumwandlung durchlaufen habe. Daher wurde sie nach nationalem Recht weiterhin als Mann angesehen.

2.        MB entschied sich gegen einen Antrag auf Anerkennung des Geschlechts nach dem Verfahren, das zum maßgeblichen Zeitpunkt nach nationalem Recht vorgesehen war. Dies hatte einen einfachen Grund: Voraussetzung für eine solche rechtliche Anerkennung war u. a., dass sie „unverheiratet“ hätte sein müssen, da im Vereinigten Königreich gleichgeschlechtliche Ehen damals nicht erlaubt waren. MB hätte daher ihre Ehe für ungültig erklären lassen müssen, was weder sie noch ihre Frau wollten.

3.        Die vom Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) vor diesem Hintergrund gestellte Frage lautet vereinfacht: Verstößt die Voraussetzung, unverheiratet sein, gegen das in der Richtlinie 79/7/EWG verankerte Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Bereich der sozialen Sicherheit?(2)

4.        Sachverhalt und Antrag im vorliegenden Fall ähneln denen in der Rechtssache Richards(3). Diese Rechtssache betraf jedoch die Unmöglichkeit der rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsumwandlung der Antragstellerin. Seit dem Inkrafttreten des Gender Recognition Act 2004 (Gesetz von 2004 über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit, im Folgenden: GRA) ist dies nicht mehr der Fall. Zwar ist mit dem Erlass des GRA die Anerkennung möglich geworden, jedoch sind damit auch viele neue Fragen aufgeworfen worden. Ist die Richtlinie 79/7 auf die Voraussetzungen anwendbar, die im nationalen Recht für die Anerkennung von Geschlechtsumwandlungen vorgesehen sind? Ab welchem Zeitpunkt ist eine Transgender-Person durch die Richtlinie 79/7 geschützt? Gilt das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zwischen Transgender‑ und Cisgender-Personen nur dann, wenn die Geschlechtsumwandlung nach nationalem Recht rechtlich anerkannt worden ist?

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

5.        Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 lautet:

„Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im Besonderen betreffend:

–        den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,

–        die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge,

–        die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen.“

6.        In Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 heißt es:

Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, Folgendes von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen:

a)      die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen;

…“

B.      Recht des Vereinigten Königreichs

1.      Rentenalter

7.        Das Vereinigte Königreich hat von der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 79/7 zugelassenen Abweichung Gebrauch gemacht.

8.        Wie im Vorabentscheidungsersuchen angegeben, hat Section 44 des Social Security Contributions and Benefits Act 1992 (Gesetz von 1992 über Sozialversicherungsbeiträge und ‑leistungen) in Verbindung mit der Definition des „Rentenalters“ in seiner Section 122 und mit Paragraph 1 von Schedule 4 des Pensions Act 1995 (Rentengesetz 1995) die Wirkung, dass vor dem 6. April 1950 geborene Frauen mit 60 Jahren, vor dem 6. Dezember 1953 geborene Männer hingegen mit 65 Jahren die Berechtigung zum Bezug der staatlichen Ruhestandsrente erwerben.

2.      GRA

9.        Der GRA wurde 2004 erlassen. Er trat am 4. April 2005 in Kraft.

10.      Aus Section 1 des GRA in der auf den Sachverhalt des vorliegenden Verfahrens anwendbaren Fassung geht hervor, dass eine Person, die das 18. Lebensjahr vollendet hat, bei einem Ausschuss für die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit eine vollständige Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit beantragen konnte, mit der eine Änderung ihrer Geschlechtszugehörigkeit bei der Geburt „auf der Grundlage … des Lebens in der anderen Geschlechtszugehörigkeit“ beurkundet wird.

11.      Die Kriterien zur Festlegung, ob eine Geschlechtsumwandlung stattgefunden hat, sind in den Sections 2 und 3 des GRA genannt. Nach Section 2 hat der Ausschuss für die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit dem Antrag stattzugeben, wenn der Antragsteller Geschlechtsdysphorie hat oder hatte, zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens zwei Jahre in der erworbenen Geschlechtszugehörigkeit gelebt hat, beabsichtigt, bis zum Tod in der erworbenen Geschlechtszugehörigkeit zu leben, und die Beweisanforderungen gemäß Section 3 erfüllt. Die Beweisanforderungen gemäß Section 3 bestehen in einem Bericht von zwei Ärzten oder eines Arztes und eines Psychologen.

12.      Ist eine vollständige Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit erteilt worden, so wird gemäß Section 9 des GRA die erworbene Geschlechtszugehörigkeit in jeder Hinsicht die Geschlechtszugehörigkeit dieser Person. Paragraph 7 von Schedule 5 des GRA regelt die Auswirkung einer vollständigen Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit auf die Berechtigung zum Bezug einer staatlichen Ruhestandsrente: Sobald die Bescheinigung erteilt wurde, ist in allen den Anspruch auf eine staatliche Ruhestandrente betreffenden Fragen so zu entscheiden, als wäre die Geschlechtszugehörigkeit der Person schon immer die erworbene gewesen.

13.      Der GRA enthielt eine Sonderregelung für verheiratete Antragsteller, da zu dem Zeitpunkt, zu dem er verabschiedet wurde, eine gültige Ehe rechtlich nur zwischen einem Mann und einer Frau bestehen konnte(4). Nach Section 4(2) des GRA hat ein unverheirateter Antragsteller, der die Kriterien für die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit nach den Sections 2 und 3 erfüllt, Anspruch auf eine vollständige Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit. Nach Section 4(3) des GRA hat dagegen ein verheirateter Antragsteller, der dieselben Kriterien erfüllt, nur Anspruch auf eine vorläufige Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit. Die vorläufige Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit berechtigt nach Section 12(g) des Matrimonial Causes Act 1973 (in der durch den GRA geänderten Fassung) einen verheirateten Antragsteller zu dem Antrag, die Ehe von einem Gericht für ungültig erklären zu lassen. Anspruch auf eine vollständige Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit erlangt der Antragsteller erst nach Erlass der Verfügung über die Ungültigkeit (in England und Wales).

3.      Eingetragene Partnerschaften und gleichgeschlechtliche Ehen

14.      Der Civil Partnership Act (Gesetz über die eingetragene Partnerschaft) wurde 2004 erlassen und trat am 5. Dezember 2005 in Kraft. Er sah die rechtliche Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften bei Eintragung vor.

15.      Der Marriage (Same Sex Couples) Act 2013 (Gesetz von 2013 über die gleichgeschlechtliche Ehe) trat am 10. Dezember 2014 in Kraft. Er ermöglicht gleichgeschlechtlichen Paaren die Eheschließung. Sein Schedule 5 änderte Section 4 des GRA durch die Bestimmung, dass ein Ausschuss für die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit einem verheirateten Antragsteller eine vollständige Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit erteilen muss, wenn dessen Ehepartner zustimmt.

III. Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefrage

16.      MB wurde 1948 geboren und bei der Geburt als männlich eingetragen und heiratete 1974. Im Jahr 1991 begann MB, als Frau zu leben. Im Jahr 1995 unterzog sie sich einer operativen Geschlechtsumwandlung.

17.      Obwohl der GRA 2005 in Kraft trat, hat MB keine Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit beantragt, und zwar deshalb, weil sie weiterhin mit ihrer Ehefrau zusammenlebt und sie verheiratet bleiben möchten. Aus religiösen Gründen möchten sie ihre Ehe nicht für ungültig erklären lassen, auch wenn sie durch eine eingetragene Partnerschaft ersetzt werden kann.

18.      Im Jahr 2008 vollendete MB das 60. Lebensjahr, was dem Rentenalter für vor dem 6. April 1950 geborene Frauen entsprach. Sie beantragte die staatliche Ruhestandsrente. Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass sie mangels einer vollständigen Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit in Bezug auf das Rentenalter nicht als Frau behandelt werden könne.

19.      Gegen diesen Bescheid erhob MB (im Folgenden: Klägerin) Klage vor den nationalen Gerichten. Sie machte geltend, die Voraussetzung, unverheiratet zu sein, stelle eine rechtswidrige Diskriminierung dar, die gegen die Richtlinie 79/7 verstoße: Sie hindere sie daran, die Ruhestandsrente in dem Alter anzutreten, das sie als Frau dazu berechtige.

20.      Unter diesen Umständen hat der Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) dem Gerichtshof folgende Frage vorgelegt:

Steht die Richtlinie 79/7 der Einführung einer Anforderung im nationalen Recht entgegen, nach der eine Person, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat, über die physischen, sozialen und psychischen Kriterien für die Anerkennung einer Geschlechtsumwandlung hinaus auch unverheiratet sein muss, um Anspruch auf eine staatliche Ruhestandsrente zu haben?

21.      Die Klägerin, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Europäische Kommission haben sowohl schriftliche Erklärungen eingereicht als auch in der Sitzung vom 26. September 2017 mündliche Ausführungen gemacht.

IV.    Würdigung

A.      Einleitende Bemerkung: Wie lautet die Frage?

22.      „Zwei in einem“ ist eine Redewendung, die man eher in der Werbung als in Einleitungen von Rechtsgutachten antrifft. Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen ist dieser Ausdruck aber durchaus passend. Hinter der scheinbaren Einfachheit der Frage des vorlegenden Gerichts verbirgt sich eine weitere, tiefer gehende Frage. Somit kann die vorliegende Rechtssache aus zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden.

23.      Zum einen gibt es die enge Betrachtungsweise, die sich auf den Zugang zu Leistungen der sozialen Sicherheit konzentriert: Steht die Richtlinie 79/7 einer Anforderung des nationalen Rechts entgegen, nach der eine Person, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat, über die physischen, sozialen und psychischen Kriterien für die Anerkennung einer Geschlechtsumwandlung hinaus auch unverheiratet sein muss, um Anspruch auf eine staatliche Rente zu haben?

24.      Zum anderen gibt es die komplexere Betrachtungsweise, bei der sich eine Frage ergibt, die sich von der engeren Betrachtungsweise unterscheidet, aber dennoch mit ihr im Zusammenhang steht. Bei dieser Frage geht es um die Vereinbarkeit mit den Grundrechten auf Privatsphäre, auf ein Privatleben und darauf, eine Ehe einzugehen, wenn ein Mitgliedstaat i) gleichgeschlechtliche Ehen nicht erlaubt und folglich ii) Geschlechtsumwandlungen nicht anerkennt, wenn sie dazu führen würden, dass sich zwei gleichgeschlechtliche Personen in einer gültigen (gleichgeschlechtlichen) Ehe wiederfinden.

25.      Die wahre Schwierigkeit der vorliegenden Rechtssache besteht meines Erachtens nicht darin, eine dieser beiden Fragen zu beantworten. Sie besteht vielmehr in der Wahl der Frage. Ist diese Wahl einmal getroffen, können sich weitere Probleme beim Versuch ergeben, die Antworten auf die beiden Fragen miteinander in Einklang zu bringen.

26.      Diese Problemstellung ist in den vor dem Gerichtshof gemachten Ausführungen klar erkennbar. In gewisser Weise hat jede Partei einen anderen Fall erörtert. Die Klägerin und die Kommission haben sich auf ein enges Verständnis des Falles konzentriert. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass das Erfordernis, unverheiratet zu sein, eine Diskriminierung darstelle, die nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 unzulässig sei. Die Klägerin ist in der mündlichen Verhandlung aufgefordert worden, auch auf die weiter reichenden Auswirkungen des Falles einzugehen. Sie hat jedoch darauf bestanden, dass für die beim Gerichtshof anhängige Rechtssache die enge Betrachtungsweise, die aus der Frage des vorlegenden Gerichts ersichtlich sei, die einzig maßgebliche sei. Demgegenüber hat die Regierung des Vereinigten Königreichs ihr Vorbringen auf Argumente gestützt, die sich auf eine weiter reichende Frage betreffend die Grundrechte beziehen. Ihren Standpunkt hat diese Regierung häufig auch auf die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gestützt(5).

27.      Die Vorlagefrage spiegelt eindeutig die enge Betrachtungsweise wider. Trotz der weiter reichenden Auswirkungen, die die durch diesen Fall aufgeworfenen Fragen umgeben und auf die das vorlegende Gericht in seiner Entscheidung dankenswerterweise hinweist, hat dieses Gericht beschlossen, sich bei der Formulierung seiner Frage auf die Vereinbarkeit des Erfordernisses, unverheiratet zu sein, mit der Richtlinie 79/7 zu konzentrieren.

28.      Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht in seiner Vorlageentscheidung und in der Frage selbst auch eine Reihe von Tatsachenbeurteilungen vorgenommen hat. Erstens stellt es in seiner Frage eindeutig fest, dass das streitige Erfordernis von einer Person zu erfüllen ist, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat. Zweitens bestätigt das vorlegende Gericht auch, dass das Erfordernis, unverheiratet zu sein, über die physischen, sozialen und psychischen Kriterien für die Anerkennung einer Geschlechtsumwandlung hinaus besteht.

29.      Angesichts dieses Sachverhalts kann ich in Beantwortung der engen Frage, mit der das vorlegende Gericht den Gerichtshof befasst hat, nur zu dem Ergebnis kommen, dass das Erfordernis, unverheiratet zu sein, das tatsächlich nur für Transgender-Personen gilt, die Zugang zu einer staatlichen Rente haben möchten, gegen Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 verstößt (B). Dessen ungeachtet werde ich auch auf die Argumente eingehen, die die Regierung des Vereinigten Königreichs im Hinblick auf das weiter reichende Verständnis vorgebracht hat, auch wenn dies nichts an der Antwort auf die enge Frage ändern kann (C). Ich werde hervorheben, warum dieser Fall tatsächlich auch in seinen Auswirkungen ziemlich begrenzt und beschränkter ist, als die breit angelegten Argumente betreffend die Grundrechte nahelegen (D).

B.      Die enge Frage

30.      Es ist unstrittig, dass die in der vorliegenden Rechtssache fragliche Leistung, eine staatliche Ruhestandsrente, in den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7 fällt. Diese Richtlinie verbietet hinsichtlich der Bedingungen für den Zugang zu den Systemen der sozialen Sicherheit, die u. a. Schutz gegen das Risiko des Alters bieten, jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts(6).

31.      Gibt es im vorliegenden Fall eine unzulässige Diskriminierung? Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs(7) liegt unmittelbare Diskriminierung dann vor, wenn eine vergleichbare Personengruppe zum Nachteil der geschützten Personengruppe ungleich behandelt wird. Die Ungleichbehandlung muss dabei in Bezug auf einen der geschützten Gründe vorliegen, ohne dass es hierfür irgendeine objektive Rechtfertigung gibt.

32.      Zu Darstellungszwecken werde ich in diesem Abschnitt zunächst beurteilen, ob ein geschützter Grund vorliegt (1). Danach werde ich mich der Vergleichbarkeit von Transgender(8)‑ und Cisgender(9)-Personen (2) und dem Vorliegen einer Ungleichbehandlung (3) zuwenden. Abschließen werde ich diesen Abschnitt mit einem Blick auf die Unmöglichkeit, eine unmittelbare Diskriminierung im rechtlichen Kontext der Richtlinie 79/7 zu rechtfertigen (4).

1.      Geschützter Grund

33.      Es entspricht mittlerweile ständiger Rechtsprechung, dass das im Unionsrecht verankerte Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts die Diskriminierung aufgrund einer Geschlechtsumwandlung umfasst(10). Zudem hat der Unionsgesetzgeber diese bedeutende Entwicklung ausdrücklich dadurch anerkannt, dass er bestätigt hat, dass die Tragweite des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen „auch für Diskriminierungen aufgrund einer Geschlechtsumwandlung [gilt]“(11).

34.      Der erste Fall geht auf das Jahr 1996 zurück. In der Rechtssache P./S. lehnte es der Gerichtshof ab, Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in dem Sinne binär zu verstehen, dass sich gegenseitig ausschließende Kategorien einander gegenüberstehen(12). Angeregt wurde dieses Ergebnis durch den Gegenstand und die Natur der Rechte, die mittels der gegen die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erlassenen Richtlinien geschützt werden, und durch die Tatsache, dass es sich bei dem Recht, nicht aufgrund des Geschlechts diskriminiert zu werden, um ein grundlegendes Menschenrecht handelt(13). Die Einbeziehung von Geschlechtsumwandlungen in den Bereich der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ergab sich darüber hinaus aus der Pflicht, die Würde und die Freiheit transsexueller Personen zu achten(14).

35.      Der Gerichtshof hat daher bestätigt, dass der Anwendungsbereich des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nicht „auf Diskriminierungen“ beschränkt werden kann, „die sich aus der Zugehörigkeit zu dem einen oder dem anderen Geschlecht ergeben“(15). Diskriminierungen, die ihre Ursache in der Geschlechtsumwandlung haben, beruhen „hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, auf dem Geschlecht des Betroffenen“(16). Konsequenterweise hat der Gerichtshof in der darauffolgenden Rechtsprechung anerkannt, dass es sich beim Sonderfall der Diskriminierung aufgrund einer Geschlechtsumwandlung um eine Erscheinungsform der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts handelt(17).

2.      Vergleichsgruppen

36.      Die Tatsache, dass Geschlechtsumwandlungen ausdrücklich zu den geschützten Gründen (oder Situationen) gezählt wurden, machte die damit zusammenhängende Frage der Vergleichbarkeit keineswegs einfacher, eher im Gegenteil. Eine Geschlechtsumwandlung ist ein Vorgang, der es mit sich bringt, dass der eher traditionelle und statische Vergleich zwischen Männern und Frauen mit einem beachtlichen Maß an Dynamik in Frage gestellt wird. Tatsächlich wird der Komparator dabei zu einem beweglichen Ziel, oder es wird sogar unmöglich, irgendeine klar abgegrenzte Vergleichsgruppe auszumachen(18).

37.      Der Gerichtshof hat sich mit dieser begrifflichen Schwierigkeit bereits befasst. Durch die Anerkennung, dass die Diskriminierung aufgrund einer Geschlechtsumwandlung unter die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts fällt, hat er bestätigt, dass die besondere Situation von Transgender-Personen nicht dazu führt, dass sie nicht vergleichbar wären und somit von dem Schutz ausgenommen würden(19). Die Anerkennung der Diskriminierung aufgrund einer Geschlechtsumwandlung als Unterkategorie der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts führt dazu, dass der Vergleichbarkeitsrahmen flexibler gehandhabt werden muss(20).

38.      Die Rechtsprechung des Gerichtshofs spiegelt die Komplexität auf diesem Gebiet wider, indem sie den Bezugsrahmen je nach behaupteter Diskriminierung und rechtlichem Kontext angepasst hat. Aufgrund der dynamischen Natur von Geschlechtsumwandlungen ist der durch das Unionsrecht gewährte Schutz nicht untrennbar mit dem „Endziel“ – volle rechtliche Anerkennung der Wirkungen der Geschlechtsumwandlung im nationalen Recht – verbunden(21).

39.      Folglich kann die Wahl der Vergleichsgröße je nach konkretem Kontext und Art des fraglichen Begehrens unterschiedlich ausfallen. So kann etwa im Fall einer diskriminierenden Entlassung die Situation einer Transgender-Person mit der Situation einer Cisgender-Person des Geschlechts, dem sie vorher angehörte, verglichen werden(22). Sie kann aber auch mit der einer Cisgender-Person des „neuen“ Geschlechts verglichen werden, wenn es z. B. um den Zugang zu Leistungen unter Voraussetzungen geht, die von Personen erfüllt werden, die dem erworbenen Geschlecht angehören(23).

40.      Mit anderen Worten kann der Vergleich je nach Kontext des Falles und unter Berücksichtigung der der Geschlechtsumwandlung innewohnenden Dynamik entweder im Hinblick auf den „Ausgangspunkt“ oder im Hinblick auf den „Endpunkt“ vorgenommen werden.

41.      Der vorliegende Fall fällt in die letztgenannte Kategorie. Die Klägerin beantragt, ihr mit Erreichen des für Frauen geltenden Alters die Ruhestandsrente zu gewähren. Ähnlich wie in der Rechtssache Richards, die ebenfalls die Richtlinie 79/7 und den Zugang zu Rentenleistungen betraf(24), sind in der vorliegenden Rechtssache die Vergleichspersonen (Komparatoren) Mann-zu-Frau-Transgender-Personen auf der einen Seite und Cisgender-Frauen auf der anderen Seite. Der Vergleichszweck (tertium comparationis) ist die Gewährung der Ruhestandsrente als Sozialversicherungsleistung.

42.      Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat jedoch in Abrede gestellt, dass Transgender- mit Cisgender-Frauen vergleichbar sind. Transgender-Frauen seien nicht in einer vergleichbaren Situation, weil Cisgender-Frauen nicht mit Frauen verheiratet sein könnten, Transgender-Frauen hingegen sich nach der Anerkennung der Geschlechtsumwandlung in einer gleichgeschlechtlichen Ehe wiederfinden könnten. Daher seien diese beiden Kategorien und die daran geknüpften Bedingungen überhaupt nicht miteinander vergleichbar.

43.      Ich teile diese Ansicht nicht. Mit dem Argument der Regierung des Vereinigten Königreichs wird versucht, eines der untergeordneten, unwesentlichen Merkmale der Vergleichspersonen, nämlich die Frage des Personenstands, zu isolieren und es zu dem entscheidenden die Vergleichbarkeit bestimmenden Element zu machen. Anders ausgedrückt möchte die Regierung des Vereinigten Königreichs in Wirklichkeit den Vergleichszweck neu definieren, und zwar von der Frage der Rentengewährung hin zur Frage des Personenstands. Der Personenstand als solcher ist jedoch für die Gewährung einer staatlichen Ruhestandsrente – sowohl für Cisgender‑Frauen als auch für Cisgender-Männer – irrelevant.

44.      Es ist durchaus aufschlussreich, dass sich die Regierung des Vereinigten Königreichs für dieses Verständnis von Vergleichbarkeit in erster Linie auf eine jüngere Entscheidung des EGMR(25) stützt. Diese Entscheidung betraf jedoch gerade die besondere Frage des Personenstands als Voraussetzung für die Anerkennung einer Geschlechtsumwandlung und nicht den Zugang zu Systemen der sozialen Sicherheit. Daher wurden Vergleichspersonen und Vergleichszweck verständlicherweise anders aufgefasst. Demgegenüber sind im vorliegenden Fall die Faktoren, anhand deren für die Zwecke des Zugangs zu einer staatlichen Ruhestandsrente die Relevanz der Unterschiede und Ähnlichkeiten in Bezug auf die fragliche Leistung bestimmt wird, in erster Linie das Alter und der Betrag der in das System eingezahlten Beiträge(26).

45.      Zum letztgenannten Punkt hat die Regierung des Vereinigten Königreichs in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, dass das Geschlecht der betreffenden Person zusammen mit dem Alter und den Beiträgen ein weiterer relevanter Faktor für die Frage des Zugangs zu Leistungen des Systems der sozialen Sicherheit sei. Dieses Argument stößt im besonderen Kontext der vorliegenden Rechtssache auf eine weitere Schwierigkeit: Eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts im Hinblick auf die Altersrente oder Ruhestandsrente ist nach der Richtlinie 79/7 nur ausnahmsweise zulässig, und zwar nach der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a ausdrücklich vorgesehenen Abweichung. Davon sind aber, wie der Gerichtshof bereits im Urteil Richards festgestellt hat, Ungleichbehandlungen aufgrund einer Geschlechtsumwandlung nicht erfasst(27). Außerhalb der in der Richtlinie vorgesehenen Abweichungen kann der Schluss auf „Nichtvergleichbarkeit“ daher nicht auf den geschützten Grund (in der vorliegenden Rechtssache die Geschlechtsumwandlung) gestützt werden.

46.      Im Ergebnis bin ich der Auffassung, dass für die Zwecke des Zugangs zu Systemen der sozialen Sicherheit Cisgender- und Transgender-Frauen im Kontext des vorliegenden Falles miteinander vergleichbar sind.

47.      Zu dieser Frage möchte ich zwei allgemeinere Schlussbemerkungen machen. Erstens ist es bei der Beurteilung der Vergleichbarkeit zweier oder mehrerer Faktoren (Personen, Personengruppen) im Rahmen der Prüfung des Verbots (unmittelbarer) Diskriminierung wahrscheinlich, dass der Abstraktionsgrad, der dieser gedanklichen Übung innewohnt, höher ist als im nationalen Recht. Haben die Vergleichspersonen insgesamt betrachtet in Bezug auf den Vergleichszweck mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede? Wenn dem nicht so wäre und die Frage der Vergleichbarkeit gedanklich durch die im nationalen Recht vorgesehenen Kategorien vorgegeben wäre, würde in den meisten Fällen – wie im vorliegenden(28) – das nationale Recht selbst die möglichen Vergleiche durch ihren Anwendungsbereich definieren. Eine solche Beurteilung würde sich zwangsläufig im Kreis drehen, ohne dass eine tatsächliche Überprüfung möglich wäre(29).

48.      Zweitens wird die Notwendigkeit eines solchen Abstraktionsgrads noch dadurch hervorgehoben, dass „Transgenderismus“ eine einzigartige Situation ist. Gerade dadurch wurde es notwendig, zunächst besondere Rechtsvorschriften bezüglich der Anerkennung und der Voraussetzungen dafür zu erlassen. Es wäre jedoch ziemlich eigenartig, wenn diese Tatsache dazu führen würde, dass alle von diesen Rechtsvorschriften erfassten Merkmale zur Gänze von jeder Beurteilung der (Nicht‑)Diskriminierung ausgeschlossen würden, oder wenn sie dazu benutzt würde, ziemlich eigentümliche oder sonderbare Vergleichsmerkmale einzuführen. Wiederum aufgrund dieser anerkannten besonderen Übergangssituation ist bei der Beurteilung der Vergleichbarkeit eine angemessen höhere Abstraktionsebene notwendig.

3.      Ungleichbehandlung

49.      Die Regierung des Vereinigten Königreichs bestreitet eine Ungleichbehandlung. Sowohl Cisgender- als auch Transgender-Frauen könnten mit 60 Jahren die staatliche Ruhestandsrente in Anspruch nehmen. Allerdings könne keine von ihnen eine Frau heiraten.

50.      Dieses Argument überzeugt nicht.

51.      Erstens stellt es in gewisser Weise eine Wiederholung oder Ausdehnung der Vergleichbarkeitsfrage dar. Mit diesem Argument wird die Ungleichbehandlung beim Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente mit der Frage des Rechts, eine Ehe einzugehen, verwechselt. Zweitens wird mit diesem Argument ignoriert, dass es einen Unterschied gibt zwischen einem Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen und der Pflicht, eine zuvor gültig geschlossene Ehe für ungültig erklären zu lassen, um die es bei der im vorliegenden Fall fraglichen Voraussetzung eigentlich geht. Drittens hängt mit der zweiten Frage die Tatsache zusammen, dass jedes dieser Verbote schlicht zu unterschiedlichen Zeitpunkten, auf unterschiedliche Personen und zu unterschiedlichen Zwecken anwendbar ist.

52.      Nach dem fraglichen nationalen Gesetz hängt die volle rechtliche Anerkennung einer Geschlechtsumwandlung vom Personenstand ab. Dies hat eine besondere und konkrete Folge, die im vorliegenden Fall von Relevanz ist: Nur für Transgender-Personen ist der Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente daran geknüpft, entweder „Single“ zu sein oder die Ehe zu beenden. Im Gegensatz dazu steht der Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente für Cisgender-Frauen in keinerlei Zusammenhang mit ihrem Ehestand. Relevant sind einzig und allein die geleisteten Beiträge und das Erreichen des Rentenalters. Ihr Anspruch auf eine Ruhestandsrente hängt selbstverständlich nicht davon ab, dass ihre Ehe beendet wird. Wie bereits ausgeführt(30), ist der Personenstand daher nicht das Merkmal, an dem die Ungleichbehandlung gemessen wird, sondern der Umstand, der zu einer unterschiedlichen Behandlung im Hinblick auf den Zugang zu Ruhestandsrenten führt.

53.      Betrachtet man die Frage der Behandlung unter dem Gesichtspunkt des Zugangs zu einer staatlichen Ruhestandsrente, kann daher der Unterschied in der Behandlung im vorliegenden Fall in ganz einfache Worte gefasst werden: Der Ehestand spielt für Cisgender-Personen keine Rolle für den Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente. Demgegenüber besteht für zuvor verheiratete Transgender-Personen das Erfordernis, ihre Ehe für ungültig erklären zu lassen.

4.      Rechtfertigung

54.      Das Erfordernis, unverheiratet zu sein, schafft eine Ungleichbehandlung unmittelbar aufgrund des Geschlechts. Dieses Erfordernis gilt nur für Personen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen haben. Wie der Gerichtshof im Urteil P./S. entschieden hat, beruhen Ungleichbehandlungen aufgrund einer Geschlechtsumwandlung „hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, auf dem Geschlecht des Betroffenen“(31).

55.      Unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist einzig und allein in den besonderen in Art. 7 der Richtlinie 79/7 aufgeführten Fällen zulässig(32). Konkret gestattet es Art. 7 Abs. 1 Buchst. a den Mitgliedstaaten, ein für Männer und Frauen unterschiedliches Rentenalter für die Ruhestandsrente beizubehalten. Die unterschiedliche Behandlung im vorliegenden Fall kann jedoch weder unter diese Ausnahme noch unter die anderen in der Richtlinie vorgesehenen Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz(33) subsumiert werden. Der Gerichtshof hat es insbesondere bereits abgelehnt, die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a enthaltene Abweichung anzuwenden, um die unterschiedliche Behandlung zwischen transsexuellen Personen und jenen Personen, deren Geschlecht nicht aus einer Geschlechtsumwandlung resultiert, zu rechtfertigen(34).

56.      Unter diesen Umständen stellt die im vorliegenden Fall fragliche Ungleichbehandlung eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, die nicht objektiv gerechtfertigt werden kann (dies ist Fällen mittelbarer Diskriminierung vorbehalten)(35).

5.      Zwischenergebnis

57.      Aus dem Vorstehenden folgt, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 dahin auszulegen ist, dass er einem Erfordernis entgegensteht, nach dem eine Person, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat, über die physischen, sozialen und psychischen Kriterien für die Anerkennung einer Geschlechtsumwandlung hinaus auch unverheiratet sein muss, um Anspruch auf eine staatliche Ruhestandsrente zu haben.

C.      Das größere Bild

58.      Die vorstehende Beurteilung mag durch ihre Einfachheit bestechen, sie wird aber nicht der Komplexität gerecht, die den rechtlichen Argumenten im vorliegenden Fall zugrunde liegt.

59.      Man könnte in der Tat meinen, dass das eigentliche Problem im vorliegenden Fall nicht der Zugang zu Leistungen der sozialen Sicherheit, sondern vielmehr die nach nationalem Recht bestehenden Voraussetzungen für die Anerkennung der Geschlechtsumwandlung sind. Die Voraussetzung, „unverheiratet zu sein“, ist keine Voraussetzung für den Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente, sondern eine der Voraussetzungen für den Erhalt der Bescheinigung über die Geschlechtsumwandlung. Diese Bescheinigung ist aber eine Entscheidung über den Personenstand, einen Schritt vor und unabhängig von einer etwaigen späteren Beantragung einer Ruhestandsrente. Mit anderen Worten wird durch Auslassen dieses Zwischenschritts eine falsche Kausalität geschaffen: Nicht mit einem gleichgeschlechtlichen Partner verheiratet zu sein, ist keine Voraussetzung für die Ruhestandsrente, sondern für die Ausstellung der Bescheinigung über die Geschlechtsumwandlung.

60.      Diese Argumentationslinie des Vereinigten Königreichs stützt sich auf mehrere Punkte. Erstens falle die Einführung von Voraussetzungen für die Anerkennung einer Geschlechtsumwandlung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (1). Zweitens sei die Voraussetzung, unverheiratet zu sein, darauf gerichtet, gleichgeschlechtliche Ehen zu verhindern. Dies sei ein Ziel der öffentlichen Ordnung, das Mitgliedstaaten rechtmäßig verfolgen könnten, da ihnen hinsichtlich des Personenstands eine ausschließliche Zuständigkeit zukomme (2). Drittens werde dadurch, dass die Voraussetzung, unverheiratet zu sein, nur für die Zwecke der Richtlinie 79/7 abgelehnt werde, die Klarheit und Kohärenz der nationalen Vorschriften über den Personenstand und die Geschlechtsumwandlung untergraben (3). Viertens stehe die Voraussetzung, unverheiratet zu sein, im Einklang mit der Europäischen Konvention für Menschenrechte (im Folgenden: EMRK) in der Auslegung durch den EGMR (4).

61.      Diese Argumente verdienen eine nähere Betrachtung. Sie erfassen die einzigartige Komplexität und Sensibilität der im vorliegenden Fall aufgeworfenen Probleme. Sie stoßen allerdings – so relevant sie auch im Allgemeinen sind – im konkreten Kontext des vorliegenden Falles aus den Gründen, die ich weiter unten noch näher ausführen werde, auf erhebliche Schwierigkeiten, und zwar aus der Sicht der Beurteilung der engen Frage betreffend die Vereinbarkeit der fraglichen Voraussetzung mit der Richtlinie 79/7.

1.      Erstes Argument: Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Geschlechtsumwandlung festzulegen

62.      Die Betroffenen, die Erklärungen abgegeben haben, erkennen allgemein an, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, im nationalen Recht Verfahren vorzusehen, die die volle rechtliche Anerkennung von Geschlechtsumwandlungen ermöglichen. Dieses Erfordernis ergibt sich nicht nur aus den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten als Parteien der EMRK(36), sondern auch – konkreter betrachtet – aus dem Unionsrecht und der Richtlinie 79/7(37).

63.      Daher gehört zur Einführung eines solchen Verfahrens, dass gewisse Voraussetzungen aufgestellt werden. Die Komplexität des vorliegenden Falles ergibt sich daraus, dass er eine der besonderen Voraussetzungen betrifft, die nach dem von einem Mitgliedstaat bereits eingeführten Verfahren vorgesehen sind. Im vorliegenden Fall ist der Gerichtshof meines Wissens zum ersten Mal aufgerufen, das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Hinblick auf die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Geschlechtsumwandlung zu prüfen. In den bisherigen Fällen betreffend Transgender-Personen ging es stets darum, dass es entweder keine nationalen Anerkennungsverfahren gab oder diese unter den Umständen des jeweiligen Falles nicht anwendbar waren(38).

64.      Das Urteil Richards ist insoweit der relevante Präzedenzfall. Darin hat der Gerichtshof festgestellt, dass eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (aufgrund der Geschlechtsumwandlung) im Zusammenhang mit dem Zugang zu einer Ruhestandsrente vorlag. Der Grund dafür war, dass Frau Richards (eine operierte Mann-zu-Frau-Transsexuelle) ihre Geschlechtsumwandlung im Vereinigten Königreich nicht rechtlich anerkennen lassen konnte. Die Rechtssache Richards betraf also die Tatsache, dass eine transsexuelle Person ihr erworbenes Geschlecht nicht rechtlich anerkennen lassen konnte. Infolge der Urteile Richards und Goodwin führte das Vereinigte Königreich ein Verfahren zur Anerkennung von Geschlechtsumwandlungen ein.

65.      Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs vorbringt, hat der Gerichtshof im Urteil Richards ausdrücklich festgestellt, dass „es Sache der Mitgliedstaaten ist, die Voraussetzungen für die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsumwandlung einer Person festzulegen“(39).

66.      In Anbetracht dieser Erwägungen könnte man meinen, dass im Gegensatz zur Unmöglichkeit im Urteil Richards die Mitgliedstaaten, wenn ein Verfahren für die Anerkennung von Geschlechtsumwandlungen existiert, einen Gestaltungsspielraum haben, die einschlägigen Voraussetzungen festzusetzen. Der Gestaltungsspielraum, die Voraussetzungen für die rechtliche Anerkennung von Geschlechtsumwandlungen festzusetzen, würde nach sich ziehen, dass, sobald ein Verfahren eingerichtet ist, Personen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen, erst dann in den Schutzbereich des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts fallen würden, wenn ihr erworbenes Geschlecht gemäß dem nationalen Verfahren rechtlich anerkannt worden ist.

67.      Folgt man der Logik dieses Arguments, wäre die Schlussfolgerung im vorliegenden Fall, dass das Erfordernis, unverheiratet zu sein, keine unmittelbare Voraussetzung für den Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente ist, sondern eine Voraussetzung für die Anerkennung der Geschlechtsumwandlung. Die Ungleichbehandlung bestünde „einen Schritt vor“ dem Zugang zu einer Rente. Sie ergäbe sich daraus, dass die Klägerin die Voraussetzungen für die Anerkennung der Geschlechtsumwandlung nicht erfüllt.

68.      Dieser Gedankengang stößt jedoch auf mindestens drei Schwierigkeiten.

69.      Erstens hat der Gerichtshof ein ähnliches „Ferne“-Argument im Urteil K. B.(40) zurückgewiesen. Dieser Fall betraf einen Transsexuellen, dem kein Zugang zu einer Hinterbliebenenrente gewährt wurde, weil (1) er nicht verheiratet war, (2) Transsexuelle nicht eine Person jenes Geschlechts heiraten konnten, dem sie vor der Geschlechtsumwandlung angehört hatten, und (3) eine Geschlechtsumwandlung rechtlich nicht möglich war. In diesem Fall war der Gerichtshof mit einer Lage konfrontiert, in der sich die Ungleichbehandlung nicht auf die Zuerkennung der Rente an sich bezog, sondern auf eine für deren Gewährung notwendige Voraussetzung, nämlich die Fähigkeit, miteinander die Ehe einzugehen(41). Diese Tatsache hinderte den Gerichtshof nicht daran, zu prüfen, ob die nationalen Rechtsvorschriften mit Art. 157 AEUV (ex‑Art. 141 EG) vereinbar waren. Der Gerichtshof kam somit zu dem Ergebnis, dass „nationale Rechtsvorschriften, die es verhindern, dass ein Transsexueller wegen fehlender Anerkennung seiner neuen Geschlechtszugehörigkeit eine notwendige Voraussetzung erfüllen kann, um einen [unions]rechtlich geschützten Anspruch zu erwerben, grundsätzlich als mit den Anforderungen des [Unions]rechts unvereinbar anzusehen sind“(42).

70.      Zweitens würde ein solcher Ansatz – auf einer mehr konzeptuellen Ebene – dazu führen, dass der Anwendungsbereich des Unionsrechts betreffend das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vollständig von den verschiedenen auf nationaler Ebene festgesetzten Voraussetzungen abhinge. Die Ausübung unionsrechtlich gewährter Rechte würde vom uneingeschränkten Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten abhängig gemacht. Solche Voraussetzungen könnten nicht nur die technischen Fragen physisch-medizinischer und psychosozialer Natur regeln, sondern auch verschiedene auf den Schutz von Sitten oder Werten gerichtete Anforderungen beinhalten. Uneingeschränkter Gestaltungsspielraum in diesem Bereich brächte die Gefahr mit sich, dass Diskriminierungen aufgrund einer Geschlechtsumwandlung, die nach der Richtlinie verboten sind, wieder durch die Hintertür kämen, und zwar in Form von Voraussetzungen oder Bedingungen gleich welchen Inhalts, die an die Anerkennung des Personenstands geknüpft sind(43).

71.      Ad absurdum geführt, würde diese Logik bedeuten, dass ein rechtliches Erfordernis, an mindestens zwei Tagen in der Woche ein rosa Kleid zu tragen, um (sozial und kulturell) als Frau anerkannt zu werden, als rechtliche Voraussetzung für die Anerkennung einer Geschlechtsumwandlung zulässig wäre. Ich räume gern ein, dass die Voraussetzung im vorliegenden Fall ganz anderer Natur ist. Aber wo und wie soll man die Grenze zwischen „akzeptablen“ Voraussetzungen (die also von jeder Überprüfung ausgeschlossen sind) und „inakzeptablen“ Voraussetzungen (die also überprüft werden können) ziehen? Darüber hinaus können Voraussetzungen, die an sich und abstrakt betrachtet „akzeptabel“ sind, in bestimmten rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhängen dennoch zu durchaus inakzeptablen Ergebnissen führen.

72.      Drittens ist zu bedenken, dass eine Logik, nach der Voraussetzungen für eine Geschlechtsumwandlung von jeder Überprüfung ausgeschlossen wären, auch missachten würde, dass die Anerkennung des Geschlechts ein dynamischer Vorgang ist, was bereits in den Nrn. 36 bis 38 der vorliegenden Schlussanträge erörtert worden ist. Mit anderen Worten ist aufgrund der Gender-Fragen inhärenten Dynamik Schutz nicht erst dann erforderlich, wenn das Geschlecht voll anerkannt worden ist, sondern auch (und manchmal ganz besonders) auf dem Weg dorthin.

73.      Es sei betont, dass es Sache der Mitgliedstaaten bleibt, die Voraussetzungen der rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsumwandlung festzulegen(44). Das bedeutet aber nicht, dass Mitgliedstaaten bei der Einführung solcher Verfahren und der Ausgestaltung der Voraussetzungen völlig außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts handeln würden und daher jeglicher Kontrolle entzogen wären. Die Mitgliedstaaten haben bei der Ausübung ihrer Zuständigkeiten stets das Unionsrecht zu beachten, insbesondere die Bestimmungen in Bezug auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung(45).

74.      Dies bringt mich zur letzten Frage, die mit der vorstehenden Erörterung im Zusammenhang steht, und zwar zu der Phase oder dem Zeitpunkt, da eine Transgender-Person den unionsrechtlichen Anspruch erwirbt, gleich behandelt und nicht diskriminiert zu werden(46). Wiederum gibt es keine allgemeine oder goldene Regel. Jeder Einzelfall ist im Licht der konkreten Situation und der gestellten Frage zu prüfen.

75.      Zur konkreten Situation des vorliegenden Falles hat das vorlegende Gericht im Vorabentscheidungsersuchen Folgendes klargestellt: Es geht um eine Person, deren Geschlecht bereits faktisch umgewandelt worden ist und die alle psychischen, sozialen und psychologischen Kriterien für die Anerkennung der Geschlechtsumwandlung erfüllt hat.

76.      Betrachtet man die konkrete Frage im vorliegenden Fall, ist hervorzuheben, dass es nicht um das Erfordernis, unverheiratet zu sein, als allgemeine Voraussetzung für die Anerkennung der Geschlechtsumwandlung geht, sondern um seine Auswirkung auf den Zugang zu einer von der Richtlinie 79/7 erfassten staatlichen Ruhestandsrente. Wenn – wie in den Nrn. 69 bis 73 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt – die Notwendigkeit anerkannt wird, die Voraussetzungen für eine Geschlechtsumwandlung dahin zu überprüfen, ob sie mit dem Unionsrecht im Einklang stehen, erfasst die Möglichkeit, sich auf den durch die Richtlinie gewährten Schutz zu berufen, zwangsläufig jene Personen, die behaupten, dass sie gerade durch diese Voraussetzungen am Zugang zu den ihnen durch das Unionsrecht gewährten Rechten gehindert würden.

77.      Somit führen im Kontext des vorliegenden Falles weder die Befugnis der Mitgliedstaaten, Voraussetzungen für Geschlechtsumwandlungen festzulegen, noch die fehlende Nähe solcher Voraussetzungen zum Zugang zu einer Sozialversicherungsrente zu einem anderen als dem oben in Teil B dargelegten Ergebnis.

2.      Zweites Argument: Personenstand als Angelegenheit des nationalen Rechts

78.      Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat vorgebracht, falls festgestellt würde, dass die Voraussetzung, verheiratet zu sein, mit der Richtlinie 79/7 unvereinbar sei, wären die Mitgliedstaaten gezwungen, gleichgeschlechtliche Ehen selbst dann anzuerkennen, wenn sie (zu diesem Zeitpunkt) nach nationalem Recht nicht erlaubt gewesen seien.

79.      Ich teile diese Auffassung nicht. Aus praktischer Sicht brauchte, wenn die fragliche Voraussetzung für mit der Richtlinie 79/7 unvereinbar erklärt würde, nur der Zugang zu der jeweils fraglichen Leistung von dieser besonderen Voraussetzung unabhängig gemacht zu werden. Dies bedeutet keineswegs, dass ein solches Erfordernis nicht mehr Bestandteil des nationalen Rechts sein dürfte. Das darf es durchaus. Aber es könnte nicht als eine Voraussetzung für den Zugang zu Leistungen angewandt werden, die von der Richtlinie erfasst sind und keinen Bezug zum Personenstand haben, wie etwa Alters‑ oder Ruhestandsrenten.

80.      Im vorliegenden Fall geht es um eine Leistung (eine staatliche Ruhestandsrente), die in keiner Weise vom Ehestand oder von einer rechtlichen Bindung zu einem Partner abhängt. Wie oben bereits erläutert worden ist(47), ist der Anspruch auf eine staatliche Ruhestandsrente – innerhalb der Systeme für Männer wie auch der für Frauen – im Allgemeinen auf Beiträge und Alter der Antragsteller gestützt.

81.      Dieses Ergebnis steht nicht zu der Aussage im Widerspruch, dass Fragen des Personenstands in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. Der Gerichtshof hat im Urteil Parris festgestellt, dass „der Familienstand und davon abhängige Leistungen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen und das Unionsrecht diese Zuständigkeit unberührt lässt“(48). Den Mitgliedstaaten steht es weiterhin frei, gleichgeschlechtliche Ehen zu erlauben oder – wenn sie möchten – eine alternative Form der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen vorzusehen(49). Es ist jedoch erneut darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung der Zuständigkeiten betreffend den Personenstand immer noch das Unionsrecht zu beachten haben(50).

82.      Daher bin ich, soweit dieses Argument nicht bereits mit der Antwort auf das vorangegangene Argument, mit dem es sich teilweise überschneidet, beantwortet worden ist, in Übereinstimmung mit der Klägerin und der Kommission der Auffassung, dass die vom Gerichtshof zu gebende Antwort Fragen bezüglich des Ehestands der betreffenden Personen unberührt lässt.

3.      Drittes Argument: Klarheit und Kohärenz

83.      Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat vorgebracht, würde den Argumenten der Klägerin gefolgt, müsste der betroffene Mitgliedstaat das erworbene Geschlecht der Klägerin für alle von der Richtlinie 79/7 erfassten Zwecke selbst dann rechtlich anerkennen, wenn sie verheiratet bliebe. Die Befugnis der Mitgliedstaaten, diese Voraussetzungen aufzustellen und durchzusetzen, hinge dann tatsächlich vom jeweiligen Gebiet ab: Sie wäre auf den vom Unionsrecht und insbesondere von der Richtlinie 79/7 erfassten Gebieten beschränkt, bliebe aber unverändert auf anderen Gebieten, wie etwa jenen außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts. Dies würde das Streben der Mitgliedstaaten nach Klarheit und Kohärenz des nationalen Rechts und nach einer (universell anwendbaren) nationalrechtlichen Regelung der Anerkennung von Geschlechtsumwandlungen und des Personenstands eindeutig erschweren.

84.      Ich stehe voll hinter dem Wunsch eines Mitgliedstaats, seine regulatorischen Verpflichtungen so klar und kohärent wie möglich zu erfüllen. Im konkreten beim Gerichtshof anhängigen Fall kann ich jedoch nicht erkennen, inwiefern die Schlussfolgerung, dass die Richtlinie 79/7 der vorliegend fraglichen Voraussetzung entgegensteht, ein Hindernis für derartige Bestrebungen sein soll.

85.      Es scheint, dass die rechtliche Situation von Transgender-Personen im Vereinigten Königreich dadurch gekennzeichnet ist, dass hinsichtlich des Ausdrucks der Geschlechtsidentität in verschiedenen Rechts‑ und Verwaltungsbereichen ein besonders flexibler Ansatz gewählt worden ist.

86.      Wie die Klägerin – von der Regierung des Vereinigten Königreichs unwidersprochen – ausgeführt hat, ist sie in ihrem Reisepass und ihrem Führerschein, die von den Behörden des Vereinigten Königreichs 1991 und danach ausgestellt wurden, als Frau anerkannt worden. In der mündlichen Verhandlung hat diese Regierung dennoch vorgetragen, dass die Ausstellung dieser Dokumente eine rein interne „Verwaltungspraxis“ ohne jegliche rechtliche Bedeutung sei. Auch wenn ich nicht als ein Personalpapiere liebender Formalist wahrgenommen werden möchte, muss ich zugeben, dass ich mit der Behauptung, von einem Mitgliedstaat ausgestellte amtliche Dokumente hätten keine rechtliche Bedeutung, gewisse intellektuelle Schwierigkeiten habe.

87.      Darüber hinaus hat die Klägerin ihren Angaben zufolge die operative Geschlechtsumwandlung in England im Rahmen des National Health Service (Nationaler Gesundheitsdienst) vornehmen lassen(51).

88.      Es ist zudem ersichtlich, dass der GRA die rechtliche Behandlung und die besonderen Folgen von Geschlechtsumwandlungen je nach Sachgebiet separat, in verschiedenen Anhängen, regelt(52). Des Weiteren geht aus dem Vorbringen gegenüber dem Gerichtshof hervor, dass das Verfahren zur Anerkennung des Geschlechts bei der Anwendung auf verheiratete Personen aus zwei Phasen besteht. Die erste Phase führt zur Ausstellung eines Zertifikats zur vorläufigen Anerkennung, wobei sämtliche medizinischen, psychischen und sozialen Anforderungen beurteilt werden. Dies würde bereits die volle Anerkennung unverheirateter Personen zur Folge haben. Der zweite Schritt führt zur Ungültigerklärung der Ehe (in England und Wales). Daher werden die technischen/wissenschaftlichen Fragen der Anerkennung einer Geschlechtsumwandlung unabhängig von der zusätzlichen Anforderung in Bezug auf den Ehestand beurteilt. Diese Trennung des Verfahrens in zwei klar unterschiedliche Verwaltungsphasen beweist, dass es möglich ist, verschiedene Voraussetzungen in getrennten Verwaltungsphasen zu beurteilen, ohne dass Klarheit oder Kohärenz beeinträchtigt würden.

89.      All dies unterstreicht, dass nur schwer daran festgehalten werden kann, dass es eine universelle Regelung gebe, von der alle anderen Wirkungen im nationalen Recht abhingen. Vielmehr zeigt sich, dass es in Wirklichkeit eine Reihe paralleler und in gewisser Weise unabhängiger rechtlicher Regelungen gibt. Wiederum obliegt die interne Regelung von Personenstandsfragen allein dem Mitgliedstaat. Wenn aber die (normalerweise zu begrüßende und verständliche) gebietsbezogene Flexibilität die Regel ist, ist es schwierig, zugleich an der überragenden Bedeutung und der Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung und deren Gesamtkohärenz festzuhalten.

90.      Abschließend und eher am Rande möchte ich auf den zeitlichen Aspekt hinweisen. Das Erfordernis im vorliegenden Fall ist nicht in Stein gemeißelt. Es hat sich mehrmals geändert. Dies zeigt sich dadurch, dass die Klägerin, obwohl sie verheiratet ist, vor dem Inkrafttreten des GRA im Jahr 2005 mit 60 Jahren Anspruch auf ihre Ruhestandsrente gehabt hätte (als Folge der Anwendung des Urteils Richards). Aber dies wäre auch der Fall nach dem Inkrafttreten des Marriage Act 2013. Folglich gibt es nur eine (altersbedingte) Gruppe von Transgender-Personen, die in gewisser Weise in eine Lücke zwischen zwei verschiedenen Regelungssystemen fallen. Auch dadurch wird die Behauptung, dass die Gesamtkohärenz des Systems von entscheidender Bedeutung sei, nicht untermauert, und zwar dieses Mal in zeitlicher Hinsicht.

91.      Insgesamt können die von der Regierung des Vereinigten Königreichs geäußerten Sorgen um die Klarheit und die Kohärenz, so bestechend sie in grundsätzlicher Hinsicht auch sind, im Kontext des vorliegenden Falles nicht überzeugen.

4.      Viertes Argument: Das Erfordernis stehe nicht im Widerspruch zu Grundrechten

92.      Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat sich in ihren Ausführungen umfassend auf menschenrechtliche Erwägungen und die Rechtsprechung des EGMR gestützt. Hierdurch möchte sie das Vorbringen untermauern, dass die Voraussetzung, unverheiratet zu sein, nicht gegen das Unionsrecht verstoße. Sie hat sich insbesondere auf die Urteile des EGMR in den Rechtssachen Parry/Vereinigtes Königreich, R. und F./Vereinigtes Königreich(53) sowie Hämäläinen/Finnland(54)berufen. In diesen Rechtssachen wurde die Ehebedingung für mit Art. 8 (Recht auf Achtung des Privat‑ und Familienlebens) und Art. 12 (Recht, eine Ehe einzugehen) der EMRK vereinbar erklärt.

93.      In den Rechtssachen Parry/Vereinigtes Königreich und R. und F./Vereinigtes Königreich prüfte der EGMR im Besonderen das nach dem GRA bestehende Erfordernis, unverheiratet zu sein. Die Anträge wurden für offensichtlich unbegründet erklärt. In seiner Auslegung von Art. 8 EMRK im Kontext dieser Rechtssachen maß der EGMR der Tatsache große Bedeutung bei, dass die Antragsteller ihre Beziehung in Form einer eingetragenen Partnerschaft mit beinahe den gleichen Rechten und Pflichten fortführen könnten. Folglich sei ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen der Beteiligten getroffen worden. Die Wirkungen des nach dem GRA bestehenden Erfordernisses, unverheiratet zu sein, wurden nicht als unverhältnismäßig angesehen. Hinsichtlich des behaupteten Verstoßes gegen Art. 12 EMRK wies der EGMR darauf hin, dass diese Bestimmung Ausdruck des traditionellen Ehebegriffs – im Sinne einer Ehe zwischen Mann und Frau – sei. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Frage gleichgeschlechtlicher Ehen in den Gestaltungsspielraum der Vertragsparteien falle.

94.      Mit einem ähnlichen Erfordernis wie im vorliegenden Fall befasste sich die Große Kammer des EGMR in der RechtssacheHämäläinen/Finnland. Diese Rechtssache betraf eine operierte Mann-zu-Frau-Transgender-Person, die mit einer Frau verheiratet war. Nach finnischem Recht war sie verpflichtet, ihre Ehe in eine eingetragene Partnerschaft umwandeln zu lassen, damit ihre Geschlechtsumwandlung rechtlich anerkannt werden konnte. Der EGMR wies auf den fehlenden europäischen Konsens und die sich stellenden sensiblen moralischen und ethischen Fragen hin. Er gestand dem Staat einen weiten Gestaltungsspielraum zu(55) und prüfte sorgfältig die Möglichkeiten der Antragstellerin, die Ehe in eine eingetragene Partnerschaft umwandeln zu lassen. Er kam gleichwohl zu dem Ergebnis, dass das finnische System nicht unangemessen sei und dass ein fairer Ausgleich zwischen den einander gegenüberstehenden Interessen gefunden worden sei. Zu demselben Ergebnis gelangte er in Bezug auf Art. 12 EMRK. Die Beschwerde der Antragstellerin betreffend Art. 14 EMRK (Nichtdiskriminierung) in Verbindung mit den Art. 8 und 12 EMRK wurde ebenfalls zurückgewiesen, da für diese Zwecke die Situation von Cissexuellen und Transsexuellen nicht als für einen Vergleich hinreichend ähnlich erachtet wurde.

95.      Die Relevanz der oben angeführten Rechtsprechung des EGMR aus allgemeiner Sicht ist unstrittig. Art. 52 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sieht vor, dass, soweit die Charta Rechte enthält, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, sie die gleiche Bedeutung und Tragweite haben.

96.      Wie im vorstehenden Teil B klar dargelegt, betrifft die im vorliegenden Fall geprüfte Frage nicht das Recht auf Familienleben (Art. 7 der Charta) oder das Recht, eine Ehe einzugehen (Art. 9 der Charta), die denen in den Art. 8 und 12 EMRK entsprechen.

97.      Es braucht folglich nicht erörtert zu werden, ob das Unionsrecht ein höheres Schutzniveau als die EMRK bietet oder ob der weite Gestaltungsspielraum, den der EGMR angesichts des „fehlenden europäischen Konsenses“ in Europa im weiteren Sinn hinsichtlich der gleichgeschlechtlichen Ehe anerkennt, zur Gänze auf einen unionsweiten Kontext übertragbar ist. Die Frage, ob die Voraussetzung, unverheiratet zu sein, mit diesen Grundrechten vereinbar ist, stellt sich in diesem Fall schlicht nicht.

98.      Im vorliegenden Fall geht es um das in der Richtlinie 79/7 verankerte Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Bereich der sozialen Sicherheit. Das Recht, nicht aufgrund des Geschlechts diskriminiert zu werden, ist gewiss eines der Grundrechte, die sowohl durch die Charta als auch durch die weitere Unionsrechtsordnung geschützt sind(56). Es ist durch zahlreiche Sekundärrechtsakte konkretisiert worden, insbesondere – für die Zwecke des vorliegenden Falles – durch die Richtlinie 79/7. Dies ist der rechtliche Rahmen für die in den vorangegangenen Abschnitten vorgenommene Prüfung des vorliegenden Falles.

99.      Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat ihr Vorbringen auf verschiedene Grundrechte gestützt: das Recht auf Privat‑ und Familienleben und das Recht, eine Ehe einzugehen. Die Diskussion über die Vereinbarkeit mit diesen Grundrechten ist für eine eventuelle Beurteilung der nationalen Rechtsvorschriften über Ehe und Personenstand sicherlich relevant. Sie ist jedoch schlicht irrelevant für die in diesem Fall gestellte enge Frage, die das Problem des Zugangs zu staatlichen Ruhestandsrenten gemäß der Richtlinie 79/7 betrifft.

100. Im Ergebnis ist die Tatsache, dass eine Vorschrift mit bestimmten Grundrechten (im vorliegenden Fall kommen das Recht auf Familienleben und das Recht, eine Ehe einzugehen, in Betracht) vereinbar ist, von begrenzter Relevanz für die Beurteilung, ob diese Vorschrift mit Sekundärrechtsakten der Union im Einklang steht, die spezielle Rechte und Ansprüche von Personen regeln (im vorliegenden Fall das Recht, im Bereich der sozialen Sicherheit nicht aufgrund des Geschlechts diskriminiert zu werden).

D.      Schlussbemerkungen

101. Ich möchte fünf Schlussbemerkungen machen.

102. Erstens: Durch die bisherige Erörterung ist (hoffentlich) klar geworden, dass es im vorliegenden Fall nicht um gleichgeschlechtliche Ehen geht. Wie dargelegt, steht es den Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs frei, ob sie gleichgeschlechtliche Ehen anerkennen. Das Problem dieses konkreten Falles besteht – einfach ausgedrückt – darin, dass die Bündelung einer Reihe unterschiedlicher Voraussetzungen letztlich zu einer ziemlich eigenartigen (und aus der Sicht des Unionsrechts problematischen) Situation führt.

103. Zweitens: Die hier gegebene Antwort bezieht sich nur auf die von der Richtlinie 79/7 erfassten Leistungen. Sie gilt nur für Leistungen, die nicht mit dem Ehestand im Zusammenhang stehen.

104. Drittens: Dieser Fall betrifft eine einzigartige und außergewöhnliche Situation, die sich nur schwer in die traditionelle Zweiteilung, auf der das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beruht, einordnen lässt. Die Umstände des vorliegenden Falles müssen in diesem Licht betrachtet werden. Betroffen ist nur eine begrenzte Zahl von Personen, die vor großen Herausforderungen stehen und dies oft in einem Zustand der Verletzbarkeit. Es geht um eine komplexe menschliche Realität, zu der einzelne Rechtsordnungen nur mit Mühe aufschließen konnten und in der die persönliche Situation Einzelner häufig durch ständige Rechtsänderungen grundlegend berührt wird.

105. Viertens: An der Schnittstelle zwischen dem ersten und dem dritten Punkt stellt sich zudem die Frage nach der Natur der Voraussetzung. In den vorliegenden Schlussanträgen ist ausführlich die Vergleichbarkeit behandelt worden. Aber diese – mitunter recht technische – Erörterung darf nicht über die tief greifenden Auswirkungen hinwegtäuschen, die es auf das Privatleben und die Persönlichkeit – die infolge der durchlebten Veränderungen vermutlich bereits stark erschüttert worden sind – haben kann, wenn man gezwungen ist, die eigene Ehe für ungültig erklären zu lassen, um in einer neuen Situation, die man wohl kaum aus freien Stücken gewählt hat, anerkannt zu werden.

106. Fünftens und abschließend (aber vielleicht für die Zukunft am wichtigsten): Die schwierigen Fragen des vorliegenden Falles ergeben sich gerade daraus, dass in dem besonderen, hier interessierenden Bereich, nämlich dem der Ruhestandsrenten, Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 79/7 eine Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz vorsieht. Dies ist nicht nur deshalb außergewöhnlich, weil damit von einem der fundamentalsten Grundsätze des Unionsrechts abgewichen wird, indem eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zugelassen wird, sondern auch deshalb, weil bereits vor 38 Jahren erwartet worden war, dass die Abweichung schrittweise verschwinden würde, und zwar durch die Angleichung des Rentenalters für Männer und Frauen.

107. Wie vom vorlegenden Gericht festgestellt, wird sich im Vereinigten Königreich das Rentenalter für Männer und Frauen allmählich annähern und schließlich gleich sein. Daher wird in diesem wie auch in anderen Mitgliedstaaten die Wurzel des Problems zwangsläufig verschwinden.

V.      Ergebnis

108. Nach alledem schlage ich vor, die Frage des Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) folgendermaßen zu beantworten:

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass er einem Erfordernis entgegensteht, wonach eine Person, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat, über die physischen, sozialen und psychischen Kriterien für die Anerkennung einer Geschlechtsumwandlung hinaus auch unverheiratet sein muss, um Anspruch auf eine staatliche Ruhestandsrente zu haben.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Richtlinie des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24).


3      Urteil vom 27. April 2006 (C‑423/04, EU:C:2006:256).


4      Dies wurde durch Section 11(c) des Matrimonial Causes Act 1973 (Ehegesetz 1973) bestätigt.


5      Nähere Erläuterung unten, Nrn. 92 bis 94.


6      Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und Art. 4 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Richtlinie 79/7.


7      Vgl. im Allgemeinen und zu unterschiedlichen Maßnahmen z. B. Urteile vom 21. Juli 2005, Vergani (C‑207/04, EU:C:2005:495), vom 18. November 2010, Kleist (C‑356/09, EU:C:2010:703), vom 12. September 2013, Kuso (C‑614/11, EU:C:2013:544), und vom 12. Dezember 2013, Hay (C‑267/12, EU:C:2013:823).


8      Die Terminologie auf dem komplexen Gebiet der Geschlechtsidentität ist nicht einfach. In der Literatur werden als „Transgender-Personen“ im Allgemeinen Personen bezeichnet, die die Geschlechterrolle wechseln, ihr biologisches Geschlecht aber nicht unbedingt (chirurgisch) ändern lassen. Der Begriff „transsexuell“ verweist auf Personen, die ihr biologisches Geschlecht ihrer Geschlechtsidentität anpassen, indem sie es durch entsprechende ärztliche Eingriffe umwandeln lassen. Vgl. zur terminologischen Klarstellung Zimman, L., „Transsexuality“, The Wiley Blackwell Encyclopedia of Gender and Sexuality Studies, 2016, S. 2360 bis 2362. In den vorliegenden Schlussanträgen wird im Allgemeinen der Begriff „transgender“ verwendet. Bei Bezugnahme auf den konkreten Sachverhalt des vorliegenden Falles wird angesichts der vom vorlegenden Gericht verwendeten Terminologie jedoch der Begriff „transsexuell“ verwendet. Dies gilt auch für Zitate aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, der diesen Begriff verwendet.


9      Die Begriffe „cisgender“ und „cissexuell“ werden den Begriffen „transgender“ und „transsexuell“ gegenübergestellt und bezeichnen im Wesentlichen Personen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem bei der Geburt bestimmten biologischen Geschlecht übereinstimmt. Vgl. zur Erörterung der Verwendung dieser Begriffe Cava, P., „Cisgender and Cissexual“, The Wiley Blackwell Encyclopedia of Gender and Sexuality Studies, 2016, S. 267 bis 271.


10      Urteile vom 30. April 1996, P./S. (C‑13/94, EU:C:1996:170), vom 7. Januar 2004, K. B. (C‑117/01, EU:C:2004:7), und vom 27. April 2006, Richards (C‑423/04, EU:C:2006:256).


11      Dritter Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung) (ABl. 2006, L 204, S. 23).


12      Diese Rechtssache betraf die Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. 1976, L 39, S. 40). Laut Generalanwalt Tesauro kommt der Einwand, dass man in einem Fall, in dem es um eine Geschlechtsumwandlung geht, „nicht von einer Diskriminierung zwischen den Geschlechtern sprechen könne“, einem „spitzfindigen hermeneutischen Formalismus“ gleich (Schlussanträge in der Rechtssache P./S., C‑13/94, EU:C:1995:444, Nr. 20). Außerdem ist allgemein anerkannt, dass ein solcher binärer rechtlicher Ansatz nicht der wissenschaftlichen Realität entspricht. Vgl. allgemein Greenberg, J. A., „Defining Male and Female: Intersexuality and the Collision between Law and Biology“, Arizona Law Review, 1999, Bd. 41, S. 265 bis 328.


13      Urteile vom 30. April 1996, P./S.(C‑13/94, EU:C:1996:170, Rn. 20), und vom 27. April 2006, Richards (C‑423/04, EU:C:2006:256, Rn. 24).


14      Urteil vom 30. April 1996, P./S.(C‑13/94, EU:C:1996:170, Rn. 22).


15      Urteile vom 30. April 1996, P./S.(C‑13/94, EU:C:1996:170, Rn. 20), und vom 27. April 2006, Richards (C‑423/04, EU:C:2006:256, Rn. 24).


16      Urteil vom 30. April 1996, P./S.(C‑13/94, EU:C:1996:170, Rn. 21).


17      Urteile vom 7. Januar 2004, K. B. (C‑117/01, EU:C:2004:7, Rn. 36), in Bezug auf Art. 157 AEUV (ex‑Art. 141 EG), und vom 27. April 2006, Richards (C‑423/04, EU:C:2006:256, Rn. 38), in Bezug auf die Richtlinie 79/7.


18      Als Quelle dieser Schwierigkeiten wurde in der wissenschaftlichen Literatur die Tatsache ausgemacht, dass Geschlechtsumwandlungen nach den Bestimmungen über die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und nicht nach einem besonderen, auf die Geschlechtsidentität gestützten Grund beurteilt werden. Vgl. z. B. Tobler, C., „Equality and Non-Discrimination under the ECHR and EU Law. A Comparison Focusing on Discrimination against LGBTI Persons“, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 2014,Bd. 74, S. 521 bis 561, auf S. 543 ff.


19      Urteile vom 30. April 1996, P./S.(C‑13/94, EU:C:1996:170), vom 7. Januar 2004, K. B. (C‑117/01, EU:C:2004:7), und vom 27. April 2006, Richards (C‑423/04, EU:C:2006:256). Vgl. hierzu z. B. Mulder, J., EU Non-Discrimination Law in the Courts.Approaches to Sex and Sexualities Discrimination in EU Law, Hart Publishing, Oxford, 2017, S. 49, oder Agius, S., und Tobler, C., Trans and Intersex People, Luxemburg, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2012, S. 35 ff.


20      Der begriffliche Unterschied ähnelt dem, der sich durch die Einbeziehung schwangerschaftsbezogener Diskriminierung in den Begriff der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ergeben hat, vgl. z. B. Urteil vom 8. November 1990, Dekker (C‑177/88, EU:C:1990:383, Rn. 17). Anstatt im Zusammenhang mit Transgender-Personen die Vergleichbarkeit außer Acht zu lassen, wird sie vielmehr ausgedehnt. Vgl. zu dieser Diskussion z. B. Skidmore, P., „Sex, gender and Comparators in Employment Discrimination“, Industrial Law Journal, 1997, Bd. 26, S. 51 bis 61, auf S. 60, Wintemute, R., „Recognising New Kinds of Direct Sex Discrimination: Transsexualism, Sexual Orientation and Dress Codes“, Modern Law Review, 1997, Bd. 60, S. 334 bis 359, auf S. 340, und Bell, M., „Shifting conceptions of Sexual Discrimination at the Court of Justice: from P v S to Grant v SWT“, European Law Journal, 1999, Bd. 5, S. 63 bis 81.


21      So war z. B. in den Rechtssachen, in denen die Urteile vom 7. Januar 2004, K. B. (C‑117/01, EU:C:2004:7), und vom 27. April 2006, Richards (C‑423/04, EU:C:2006:256), ergangen sind, das erworbene Geschlecht der Antragsteller nicht rechtlich anerkannt worden.


22      Dieser Fall lag dem Urteil vom 30. April 1996, P./S. (C‑13/94, EU:C:1996:170, Rn. 21), zugrunde. In dieser Rechtssache wurde eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts während des Prozesses der Geschlechtsumwandlung festgestellt. Der Gerichtshof stellte Folgendes fest: „Wenn also eine Person entlassen wird, weil sie beabsichtigt, sich einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, oder sich ihr bereits unterzogen hat, wird sie im Vergleich zu den Angehörigen des Geschlechts, dem sie vor dieser Operation zugerechnet wurde, schlechter behandelt.“


23      Um diesen Fall ging es im Urteil vom 27. April 2006, Richards (C‑423/04, EU:C:2006:256).


24      Urteil vom 27. April 2006, Richards (C‑423/04, EU:C:2006:256, Rn. 29).


25      Urteil des EGMR vom 16. Juli 2014, Hämäläinen/Finnland (CE:ECHR:2014:0716JUD003735909, §§ 65 und 66).


26      Die Prüfung der Vergleichbarkeit sollte in der Tat nicht allgemein oder abstrakt erfolgen, sondern mit einem spezifischen und konkreten Bezug auf die betreffende Leistung und unter gehöriger Berücksichtigung des Zwecks und der Voraussetzungen für die Gewährung einer solchen Leistung. Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Mai 2011, Römer (C‑147/08, EU:C:2011:286, Rn. 42 und 43), und vom 12. Dezember 2013, Hay (C‑267/12, EU:C:2013:823, Rn. 33).


27      Urteil vom 27. April 2006, Richards (C‑423/04, EU:C:2006:256, Rn. 35 bis 37).


28      Dann ginge die Beurteilung in gewisser Weise ziemlich schnell: Da der GRA nur auf Transgender-Personen anwendbar ist, kann ihre Position naturgemäß nicht mit jener von Cisgender-Personen verglichen werden, denn für die Zwecke aller Faktoren, die mit der – im nationalen Recht definierten – Geschlechtsumwandlung verbunden sind oder sich daraus ergeben, können diese beiden Gruppen eindeutig nicht miteinander verglichen werden.


29      Dieses Problem beschränkt sich nicht auf Rechtsvorschriften zum Schutz vor Diskriminierung, sondern ergibt sich auch auf anderen Gebieten des Unionsrechts, in denen die Vergleichbarkeit ein Beurteilungskriterium ist, wie etwa beim Begriff „Selektivität“ auf dem Gebiet staatlicher Beihilfen. Vgl. zur Erörterung ähnlicher Probleme meine Schlussanträge in der Rechtssache Belgien/Kommission (C‑270/15 P, EU:C:2016:289, Nrn. 40 bis 46).


30      Siehe oben, Nrn. 43 und 44.


31      Urteil vom 30. April 1996, P./S. (C‑13/94, EU:C:1996:170, Rn. 21).


32      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann nach der Richtlinie 79/7 eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nur durch die in der Richtlinie enthaltenen Abweichungen gerechtfertigt werden. Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteile vom 30. März 1993, Thomas u. a. (C‑328/91, EU:C:1993:117, Rn. 7), vom 1. Juli 1993, van Cant (C‑154/92, EU:C:1993:282, Rn. 12), vom 30. Januar 1997, Balestra (C‑139/95, EU:C:1997:45, Rn. 32), und vom 3. September 2014, X (C‑318/13, EU:C:2014:2133, Rn. 34 und 35), sowie Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache X(C‑318/13, EU:C:2014:333, Nrn. 32 bis 34). Dies steht im Einklang mit dem Ansatz hinsichtlich der von anderen Rechtsvorschriften erfassten unmittelbaren Diskriminierung (vgl. die oben in Fn. 7 angeführte Rechtsprechung). Darüber hinaus hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die Ausnahmen vom Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts angesichts der grundlegenden Bedeutung des Grundsatzes der Gleichbehandlung eng auszulegen sind (Urteil vom 18. November 2010, Kleist, C‑356/09, EU:C:2010:703, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).


33      Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie betrifft die Bestimmungen zum Schutz der Frau wegen Mutterschaft. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie ermöglicht es den Mitgliedstaaten, aus ihrem Anwendungsbereich eine Reihe von Regeln, Vergünstigungen und Ansprüchen betreffend die soziale Sicherheit auszuschließen.


34      Urteil vom 27. April 2006, Richards (C‑423/04, EU:C:2006:256, Rn. 34 bis 37).


35      Der Vollständigkeit halber sei noch hinzugefügt, dass die Klägerin hilfsweise, unter Stützung auf offizielle Statistiken, geltend gemacht hat, dass das Erfordernis, unverheiratet sein, auch eine mittelbare Diskriminierung zwischen Mann-zu-Frau- und Frau-zu-Mann-Transgender-Personen darstelle. Dies deshalb, weil es die erste Gruppe stärker treffe als die zweite. Im Licht der Schlussfolgerung, dass das Erfordernis, unverheiratet zu sein, im vorliegenden Fall auf eine unmittelbare Diskriminierung hinausläuft, braucht auf dieses Argument nicht eingegangen zu werden.


36      Urteile des EGMR vom 11. Juli 2002, Goodwin/Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:2002:0711JUD002895795, § 93) und I./Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:2002:0711JUD002568094, § 73), sowie vom 23. Mai 2006, Grant/Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:2006:0523JUD003257003, §§ 39 und 40).


37      Urteile vom 7. Januar 2004, K. B. (C‑117/01, EU:C:2004:7, Rn. 33 bis 35), im Hinblick auf Art. 157 AEUV (ex‑Art. 141 EG), und vom 27. April 2006, Richards (C‑423/04, EU:C:2006:256, Rn. 28 bis 30).


38      Urteil vom 7. Januar 2004, K. B. (C‑117/01, EU:C:2004:7, Rn. 35). Der Gerichtshof äußerte einen wichtigen Vorbehalt: „Da es Sache der Mitgliedstaaten ist, die Voraussetzungen der rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsumwandlung einer Person wie R festzulegen, wie im Übrigen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte anerkannt hat (Urteil Goodwin/Vereinigtes Königreich, § 103), ist es Sache des nationalen Richters, zu prüfen, ob sich in einem Fall wie dem vorliegenden eine Person wie K. B. auf Artikel 141 EG stützen kann, um das Recht geltend zu machen, ihren Partner als Begünstigten der Hinterbliebenenrente zu bestimmen.“


39      Urteile vom 7. Januar 2004,K. B. (C‑117/01, EU:C:2004:7, Rn. 35), und vom 27. April 2006, Richards (C‑423/04, EU:C:2006:256, Rn. 21).


40      Urteil vom 7. Januar 2004, K. B. (C‑117/01, EU:C:2004:7).


41      Urteil vom 7. Januar 2004, K. B. (C‑117/01, EU:C:2004:7, Rn. 30).


42      Urteil vom 27. April 2006, Richards (C‑423/04, EU:C:2006:256, Rn. 31). Dieses Urteil verweist auf das Urteil vom 7. Januar 2004,K. B. (C‑117/01, EU:C:2004:7, Rn. 30 bis 34).


43      Dies ist auch der Fall hinsichtlich der Voraussetzungen in Bezug auf den Ehestand, der in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 ausdrücklich als ein Beispiel genannt wird, bei dem die Mitgliedstaaten besonders darauf achten müssen, dass es nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung kommt.


44      Urteil vom 7. Januar 2004, K. B. (C‑117/01, EU:C:2004:7, Rn. 35).


45      Hinsichtlich des Personenstands vgl. u. a. Urteile vom 1. April 2008, Maruko (C‑267/06, EU:C:2008:179, Rn. 59), vom 10. Mai 2011, Römer (C‑147/08, EU:C:2011:286, Rn. 38), vom 12. Dezember 2013, Hay (C‑267/12, EU:C:2013:823, Rn. 26), und vom 24. November 2016, Parris (C‑443/15, EU:C:2016:897, Rn. 58).


46      Nach den Schlussanträgen des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Richards (C‑423/04, EU:C:2005:787, Nr. 57) wurde diese Frage bereits in der mündlichen Verhandlung in jener Rechtssache erörtert. Der Generalanwalt nahm zu dieser Frage jedoch nicht Stellung, da er der Auffassung war, dass bei operierten transsexuellen Personen der Anspruch klar sei.


47      Siehe oben, Nrn. 44 und 52.


48      Urteil vom 24. November 2016, Parris (C‑443/15, EU:C:2016:897, Rn. 59). Vgl. auch Urteile vom 1. April 2008, Maruko (C‑267/06, EU:C:2008:179, Rn. 59), vom 10. Mai 2011, Römer (C‑147/08, EU:C:2011:286, Rn. 38), und vom 12. Dezember 2013, Hay (C‑267/12, EU:C:2013:823, Rn. 26).


49      Urteil vom 24. November 2016, Parris (C‑443/15, EU:C:2016:897, Rn. 59).


50      Siehe oben, Nr. 73 und Fn. 45.


51      Ein ähnlicher Mangel an Kohärenz wurde im Urteil des EGMR vom 11. Juli 2002, Goodwin/Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:2002:0711JUD002895795, § 78), ausdrücklich hervorgehoben: „In diesem Fall wie in vielen anderen wurden die Kosten für die Geschlechtsumwandlung der Beschwerdeführerin vom staatlichen Gesundheitsdienst übernommen, der die Störung der sexuellen Identität (Dysphorie) anerkennt und u. a. Geschlechtsumwandlung durch Operation gewährleistet, um als eines ihrer wesentlichen Ziele die weitestmögliche Angleichung der Transsexuellen an das Geschlecht zu erreichen, dem sie sich tatsächlich zugehörig fühlen. Es überrascht allerdings, dass die Geschlechtsumwandlung, die rechtmäßig vorgenommen wurde, nicht zu völliger rechtlicher Anerkennung führt, wie sie als letzter und abschließender Schritt auf dem langen und schwierigen Weg der Veränderung anzusehen wäre, die Transsexuelle auf sich genommen haben. Bei der Beurteilung unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 EMRK ist die Übereinstimmung von Verwaltungs‑ und Rechtspraxis in der Rechtsordnung des jeweiligen Staates von wesentlicher Bedeutung.“


52      Vgl. z. B. Sections 10 bis 21 und Anhänge 1 bis 6. Im Einzelnen regelt Anhang 5 die Besonderheiten der Leistungen und Renten.


53      Vgl. Beschlüsse des EGMR über die Zulässigkeit vom 28. November 2006, Parry/Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:2006:1128DEC004297105), und R. und F./Vereinigtes Königreich (CE:ECHR:2006:1128DEC003574805).


54      Urteil vom 16. Juli 2014, Hämäläinen/Finnland (CE:ECHR:2014:0716JUD003735909).


55      Urteil vom 16. Juli 2014, Hämäläinen/Finnland (CE:ECHR:2014:0716JUD003735909, §§ 74 und 75).


56      Wie dies der Gerichtshof bereits vor dem Inkrafttreten der Charta festgestellt hat. Vgl. z. B. Urteile vom 15. Juni 1978, Defrenne (149/77, EU:C:1978:130, Rn. 26 und 27), und vom 30. April 1996, P./S.(C‑13/94, EU:C:1996:170, Rn. 19).