Language of document : ECLI:EU:C:2014:265

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NILS WAHL

vom 10. April 2014(1)

Verbundene Rechtssachen C‑58/13 und C‑59/13

Angelo Alberto Torresi

gegen

Consiglio dell’Ordine degli Avvocati di Macerata

Pierfrancesco Torresi

gegen

Consiglio dell’Ordine degli Avvocati di Macerata

(Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio Nazionale Forense [Italien])

„Begriff des ‚Gerichts eines Mitgliedstaats‘ – Consiglio Nazionale Forense – Unabhängigkeit – Unparteilichkeit – Art. 3 der Richtlinie 98/5/EG – Gültigkeit – Ständige Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde – Rechtsmissbrauch – Achtung der nationalen Identität“





1.        Herr Angelo Alberto Torresi und Herr Pierfrancesco Torresi (im Folgenden: die Herren Torresi) sind italienische Staatsangehörige, die nach Erwerb des Rechts zur Führung der Berufsbezeichnung „abogado“ in Spanien beim Ausschuss der zuständigen Rechtsanwaltskammer in Italien eine Eintragung zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in Italien beantragten. Ihre Anträge stützten sich auf die italienischen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde(2).

2.        Nachdem der Ausschuss der örtlichen Rechtsanwaltskammer sich zu diesen Anträgen nicht innerhalb der vorgesehenen Frist geäußert hatte, erhoben die Herren Torresi beide Beschwerde zum Consiglio Nazionale Forense (Nationaler Rat der Rechtsanwaltskammern; im Folgenden: CNF). Im Rahmen dieses Verfahrens hat der CNF entschieden, dem Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren zwei Fragen nach der Auslegung und Gültigkeit der Richtlinie 98/5 im Hinblick auf die Grundsätze des Verbots des Rechtsmissbrauchs und des Gebots der „Achtung der nationalen Identität“ vorzulegen.

3.        Meines Erachtens ist die Antwort auf diese Fragen ganz eindeutig. Bevor ich jedoch auf die sich im vorliegenden Fall stellenden materiellen Fragen eingehe, ist zunächst eine prozessuale Frage zu klären: Ist der CNF im Ausgangsverfahren befugt, dem Gerichtshof Fragen im Vorabentscheidungsverfahren vorzulegen?

4.        Diese Frage erfordert in erster Linie eine Prüfung der Tragweite und Funktion der Kriterien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit im Hinblick auf den Begriff des „Gerichts eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

5.        Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 98/5 lautet:

„Jeder Rechtsanwalt hat das Recht, die in Artikel 5 genannten Anwaltstätigkeiten auf Dauer in jedem anderen Mitgliedstaat unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung auszuüben.“

6.        Art. 3 („Eintragung bei der zuständigen Stelle“) der Richtlinie 98/5 bestimmt:

„(1)      Jeder Rechtsanwalt, der seinen Beruf in einem anderen Mitgliedstaat ausüben möchte als dem, in dem er seine Berufsqualifikation erworben hat, hat sich bei der zuständigen Stelle dieses Mitgliedstaats eintragen zu lassen.

(2)      Die zuständige Stelle des Aufnahmestaats nimmt die Eintragung des Rechtsanwalts anhand einer Bescheinigung über dessen Eintragung bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats vor. …“

7.        Art. 9 („Begründung und Rechtsmittel“) der Richtlinie 98/5 bestimmt:

„Entscheidungen über die Verweigerung der Eintragung nach Artikel 3 oder über die Rücknahme dieser Eintragung sowie Entscheidungen zur Verhängung von Disziplinarstrafen müssen begründet werden.

Gegen diese Entscheidungen kann ein gerichtliches Rechtsmittel nach dem innerstaatlichen Recht eingelegt werden.“

B –    Italienisches Recht

8.        Italien hat die Richtlinie 98/5 durch das Decreto legislativo (Gesetzesvertretendes Dekret) Nr. 96 vom 2. Februar 2001 (im Folgenden: Decreto legislativo 96/2001) umgesetzt(3).

9.        Nach Art. 6 Abs. 1 bis 3 des Decreto legislativo 96/2001 müssen Angehörige der Mitgliedstaaten zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in Italien unter der im Herkunftsland erworbenen Bezeichnung in dem Bezirk, in dem sie ihren festen Wohn- oder Geschäftssitz genommen haben, eine Aufnahme in die Sonderabteilung des Kammerverzeichnisses für Rechtsanwälte, die ihre Qualifikation nicht in Italien erworben haben, beantragen. Dem Antrag sind Nachweise darüber, dass der Antragsteller Unionsbürger ist, sowie über seinen Wohn- oder Geschäftssitz und die Eintragung bei der Berufsorganisation des Herkunftsstaats beizufügen.

10.      Nach Art. 6 Abs. 6 des Decreto legislativo 96/2001 ordnet der Ausschuss der örtlichen Rechtsanwaltskammer innerhalb von 30 Tagen nach Einreichung oder Ergänzung des Antrags „bei Vorliegen der Voraussetzungen, sofern keine Unvereinbarkeitsgründe entgegenstehen, die Eintragung in die Sonderabteilung an und teilt dies der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats mit“. Nach Art. 6 Abs. 8 dieses Dekrets kann der Antragsteller sodann für den Fall, dass der Ausschuss der örtlichen Rechtsanwaltskammer innerhalb der vorgesehenen Frist nicht tätig wird, innerhalb von zehn Tagen nach Ablauf dieser Frist einen Antrag beim CNF stellen, der „über die Eintragung in der Sache“ entscheidet.

11.      Zum maßgebenden Zeitpunkt waren Zusammensetzung, Aufgabe und Tätigkeiten des CNF vorrangig im Regio decreto-legge (Königliches Gesetzesdekret) Nr. 1578 vom 27. November 1933 (im Folgenden: R.D.L. 1578/1933)(4), im Regio decreto (Königliches Dekret) Nr. 37 vom 22. Januar 1934 (im Folgenden: Decreto 37/1934)(5) und weiteren sekundärrechtlichen Vorschriften(6) geregelt.

12.      Der CNF hat ein Büro beim Justizministerium in Rom und besteht aus 26 Mitgliedern (was der Zahl der Gerichtsbezirke der Appellationsgerichte entspricht), die von Rechtsanwälten mit Zulassung für die höheren italienischen Gerichte aus ihren Reihen gewählt werden.

13.      Nach den Art. 31 und 54 des R.D.L. 1578/1933 ist der CNF für Klagen gegen Entscheidungen der Ausschüsse der örtlichen Rechtsanwaltskammern im Zusammenhang mit Aufnahmen in die Kammerverzeichnisse und Disziplinarsachen zuständig. Nach Art. 56 dieses Dekrets ist gegen Entscheidungen des CNF ein Rechtsmittel zur Corte di Cassazione, Sezioni Unite (Kassationsgericht, Vereinigte Kammern) wegen „Unzuständigkeit, Ermessensmissbrauch und Rechtsfehlern“ gegeben.

II – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

14.      Die Herren Torresi erwarben beide einen Universitätsabschluss in Rechtswissenschaften (Licenciado en Derecho) in Spanien und wurden jeweils am 1. Dezember 2011 vom Ilustre Colegio de Abogados de Santa Cruz de Tenerife (Rechtsanwaltskammer von Santa Cruz de Tenerife) als „abogado ejerciente“ eingetragen.

15.      Die Herren Torresi beantragten am 17. März 2012 jeweils ihre Eintragung in die Sonderabteilung des Kammerverzeichnisses für Rechtsanwälte, die ihre Qualifikation im Ausland erworben haben, bei der Ordine degli avvocati di Macerata (im Folgenden: Rechtsanwaltskammer Macerata). Über die Anträge wurde jedoch vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Macerata nicht innerhalb der nach italienischem Recht vorgesehenen Frist von 30 Tagen entschieden(7).

16.      Die Herren Torresi beantragten daher jeweils am 19. April 2012 beim CNF, über ihre Eintragung in der Sache zu entscheiden(8).

17.      Aufgrund von Zweifeln betreffend die Auslegung und Gültigkeit von Art. 3 der Richtlinie 98/5 hat der CNF entschieden, das Verfahren auszusetzen und die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 3 der Richtlinie 98/5/EG vor dem Hintergrund des allgemeinen Grundsatzes des Rechtsmissbrauchsverbots und des die Achtung der nationalen Identität betreffenden Art. 4 Abs. 2 EUV dahin auszulegen, dass er die nationalen Stellen verpflichtet, italienische Staatsangehörige, die das Unionsrecht missbraucht haben, in das Verzeichnis der Rechtsanwälte, die ihre Qualifikation im Ausland erworben haben, aufzunehmen, und dass er einer nationalen Praxis entgegensteht, die es diesen Stellen erlaubt, Anträge auf Aufnahme in das Verzeichnis der Rechtsanwälte, die ihre Qualifikation im Ausland erworben haben, abzulehnen, wenn objektive Umstände vorliegen, die die Feststellung ermöglichen, dass der Tatbestand des Missbrauchs des Unionsrechts verwirklicht ist, unbeschadet zum einen der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Diskriminierungsverbots und zum anderen des Rechts des Betroffenen, das Gericht anzurufen, um etwaige Verletzungen des Niederlassungsrechts zu rügen, und somit der Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung des Verwaltungshandelns?

2.      Falls die erste Frage [bejaht] wird: Ist Art. 3 der Richtlinie 98/5 in dieser Auslegung im Hinblick auf Art. 4 Abs. 2 EUV insoweit ungültig, als er es erlaubt, die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zu umgehen, die den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf vom Bestehen einer Staatsprüfung abhängig machen, die von der Verfassung dieses Staates vorgeschrieben ist und die zu den grundlegenden Prinzipien des Schutzes der Rechtsuchenden und einer geordneten Rechtspflege gehört?

18.      Die Herren Torresi, die italienische, die spanische, die österreichische, die polnische und die rumänische Regierung, das Parlament, der Rat und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die Herren Torresi, die italienische und die spanische Regierung sowie das Parlament, der Rat und die Kommission haben ferner in der mündlichen Verhandlung vom 11. Februar 2014 mündliche Erklärungen abgegeben.

III – Würdigung

A –    Zuständigkeit

19.      Nach ständiger Rechtsprechung stellt der Gerichtshof zur Beurteilung der rein unionsrechtlichen Frage, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne des Art. 267 AEUV handelt, auf eine Reihe von Merkmalen ab, wie z. B. gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit(9).

20.      Wichtig ist der Hinweis, dass der Gerichtshof klargestellt hat, dass eine nationale Einrichtung als Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV qualifiziert werden kann, sobald sie gerichtliche Funktionen ausübt, auch wenn sie nicht als solches angesehen wird, soweit sie Aufgaben administrativer Art ausübt. Im Fall einer Einrichtung, die nach dem Gesetz mit Aufgaben unterschiedlicher Art betraut ist – wie der CNF, wie wir im Folgenden noch sehen werden – hat der Gerichtshof daher erklärt, dass die Natur der Aufgaben zu prüfen ist, die diese Einrichtung in dem konkreten normativen Kontext ausübt, in dem sie sich zu einem Ersuchen um eine Entscheidung nach Art. 267 AEUV veranlasst sieht(10). Insoweit hat der Gerichtshof dem Umstand besondere Bedeutung zugemessen, ob vor dieser Einrichtung ein „Rechtsstreit“ anhängig ist und ob sie im Rahmen eines Verfahrens zu entscheiden hat, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt(11).

21.      Im vorliegenden Fall bringen die Herren Torresi zwei Gründe für ihre Ansicht vor, dass der CNF kein „Gericht eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV sei. Erstens erfülle der CNF das Kriterium der Unabhängigkeit nicht, da seine Mitglieder nicht als unparteilich anzusehen seien. Zweitens seien die vom CNF ausgeübten Aufgaben insoweit lediglich administrativer Art, als die am Ende des Verfahrens getroffene Entscheidung administrativen Charakter habe.

22.      Ich werde im Folgenden die Gründe erläutern, warum ich der Ansicht bin, dass im Ausgangsverfahren der CNF im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vorlageberechtigt ist. Hierzu werde ich zunächst die beiden Kriterien prüfen, die nach Ansicht der Herren Torresi nicht erfüllt sind. Danach werde ich kurz untersuchen, ob die sonstigen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Kriterien erfüllt sind.

1.      Unabhängigkeit und Unparteilichkeit

23.      Erstens haben die Herren Torresi Zweifel an der Unparteilichkeit des CNF geäußert. Diese Einrichtung ist in der Tat ausschließlich mit als solchen qualifizierten Rechtsanwälten besetzt, die somit möglicherweise ein gemeinsames Interesse haben, potenzielle Wettbewerber vom Markt auszuschließen, die ihre Qualifikation im Ausland erlangt haben. Die Herren Torresi beziehen sich insoweit insbesondere auf die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Wilson(12).

24.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in der Rechtssache Gebhard(13) bereits ein Ersuchen um eine Entscheidung im Verfahren nach Art. 267 AEUV über Fragen angenommen hat, die der CNF zur Auslegung der Richtlinie 77/249/EWG zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte(14) vorgelegt hatte. Auch wenn die Frage, ob der Gerichtshof die Vorlage beantworten durfte, in der Entscheidung Gebhard nicht ausdrücklich angesprochen wird, ist nicht anzunehmen, dass der Gerichtshof diesen Aspekt des Rechtsstreits übersehen hat. Auf diesen Aspekt ging nämlich auch Generalanwalt Léger in seinen Schlussanträgen ein, wobei er zu dem Schluss kam, dass der CNF im Ausgangsverfahren jener Rechtssache als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV anzusehen sei(15). Weiterhin ist allgemein bekannt, dass Fragen der Zuständigkeit des Gerichtshofs, einschließlich seiner Zuständigkeit nach Art. 267 AEUV, als zwingende Zulässigkeitsvoraussetzungen vom Gerichtshof von Amts wegen berücksichtigt werden können bzw. gegebenenfalls müssen(16). Wäre die Vorlage in der Rechtssache Gebhard wegen fehlender Zuständigkeit unzulässig gewesen, hätte der Gerichtshof dies daher meiner Einschätzung nach von Amts wegen berücksichtigt (und berücksichtigen müssen), insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Generalanwalt diesen Punkt seinerzeit angesprochen hatte.

25.      Da allerdings die Rechtssache Gebhard auf das Jahr 1995 zurückgeht, könnte in Betracht gezogen werden, ob der Begriff des „Gerichts“ im Sinne von Art. 267 AEUV sich zwischenzeitlich fortentwickelt hat. Insbesondere könnte sich die Frage stellen, ob das neuere Urteil Wilson von der Entscheidung Gebhard nicht in diesem Punkt implizit abgerückt ist.

26.      Ich persönlich würde mich dem Ansatz grundsätzlich nicht verwehren, dass die Auslegung der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Kriterien sich mit der Zeit fortentwickeln kann und es gelegentlich angebracht sein mag, diese Kriterien nun in Anbetracht heutiger Verhältnisse restriktiver anzuwenden.

27.      Ich denke, dass es tatsächlich von größter Bedeutung ist, dass der Gerichtshof bei seiner Beurteilung der relevanten Kriterien des Art. 267 AEUV eine gewisse Flexibilität behält. Hierfür sprechen zwei Gründe. Einerseits sind die Unterschiede zwischen den Rechtssystemen der – mittlerweile – 28 Mitgliedstaaten zu groß, um sie in einer einzigen und allgemeingültigen Definition eines „Gerichts“ zusammenzuführen. Andererseits ist unbestreitbar, dass diese Rechtssysteme, einschließlich der Struktur und Organisation des Justizwesens, sich fortwährend weiterentwickeln. Es ist meines Erachtens unbedingt notwendig, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs solche, sich auf der nationalen Ebene vollziehenden Entwicklungen berücksichtigt und sich im Einklang damit fortentwickelt.

28.      Im Übrigen habe ich bei anderer Gelegenheit einen restriktiveren Ansatz bei der Prüfung verschiedener Aspekte der Zulässigkeit von Vorabentscheidungsersuchen vertreten(17).

29.      Ich bin jedoch entgegen der Ansicht der Herren Torresi nicht davon überzeugt, dass sich das Kriterium der Unabhängigkeit nach Art. 267 AEUV in der Folge des Urteils Wilson zu größerer Stringenz hin entwickelt hat – oder überhaupt entwickeln sollte. Daher werde ich zunächst erläutern, warum der Gerichtshof meines Erachtens mit dem Urteil Wilson nicht von der Entscheidung Gebhard abrücken wollte. Danach werde ich die Gründe dafür erläutern, warum ich jedenfalls nicht der Ansicht bin, dass der Gerichtshof von der Entscheidung Gebhard abrücken sollte, indem er die Begründung des Urteils Wilson auf einen anderen rechtlichen Zusammenhang erstreckt.

a)      Das Urteil Wilson ist von der Entscheidung Gebhard nicht abgerückt

30.      In der Rechtssache Wilson legte die luxemburgische Cour administrative dem Gerichtshof Fragen zu einer Regelung der Überprüfung ablehnender Entscheidungen über den Zugang von Personen zum Rechtsanwaltsberuf in Luxemburg vor. Diese Fragen betrafen im Wesentlichen die Vereinbarkeit bestimmter Vorschriften des luxemburgischen Rechts mit den Anforderungen der Richtlinie 98/5.

31.      Der Gerichtshof entschied in seinem Urteil, dass die Überprüfungsverfahren vor dem „Disziplinar- und Verwaltungsrat“ („Conseil disciplinaire et administratif“) und dem „Disziplinar- und Verwaltungsrat für Berufungen“ („conseil disciplinaire et administratif d’appel“) (im Folgenden: Verwaltungsräte), die das luxemburgische Gesetz vom 10. August 1991 über den Beruf des Rechtsanwalts vorsah, kein angemessenes „gerichtliches Rechtsmittel“ im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 98/5 darstellten. Der Gerichtshof stellte fest, dass die Verwaltungsräte, die ausschließlich oder hauptsächlich mit Rechtsanwälten luxemburgischer Staatsangehörigkeit besetzt waren, keine hinreichende Gewähr für die Unparteilichkeit boten(18).

32.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in der Rechtssache Wilson nicht ein Vorabentscheidungsersuchen seitens eines der Verwaltungsräte wegen fehlender Zuständigkeit zurückwies, sondern lediglich von einem Verwaltungsgericht ersucht wurde, die Vereinbarkeit des einschlägigen luxemburgischen Gesetzes mit Art. 9 der Richtlinie 98/5 festzustellen. In diesem spezifischen Zusammenhang griff der Gerichtshof zur Auslegung dieser Bestimmung auf die für Art. 267 AEUV entwickelten Grundsätze zurück. Die Perspektive, aus der der Gerichtshof zu seiner Prüfung in jener Rechtssache ansetzte, war also eine andere. Dies ist ein zentraler Punkt, auf den ich später zurückkommen werde.

33.      Grundsätzlich gehört das Urteil Wilson meines Erachtens zu der Reihe von Entscheidungen, die die Rechtsprechung des Gerichtshofs begründen, wonach nationale Einrichtungen, vor denen Entscheidungen von Berufsorganisationen angefochten werden können, die Merkmale eines „Gerichts“ im Sinne von Art. 267 AEUV je nach den besonderen Umständen des Einzelfalls erfüllen können(19) oder nicht(20).

34.      Insoweit ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof seit dem Urteil Corbiau erklärt hat, dass der Begriff der Unabhängigkeit als Voraussetzung dahin zu verstehen ist, dass die nationale Einrichtung im Zusammenhang des Ausgangsverfahrens „gegenüber der Einrichtung, die die Entscheidung erlassen hat, die den Gegenstand der Klage bildet, die Eigenschaft eines Dritten hat“(21).

35.      Im Urteil Wilson hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass der Begriff der Unabhängigkeit zwei Aspekte umfasst, einen externen und einen internen. Der externe Aspekt setzt voraus, dass die um eine Vorabentscheidung ersuchende Stelle vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit ihrer Mitglieder bei der Urteilsfindung im Hinblick auf die ihnen unterbreiteten Rechtsstreite gefährden könnten. Diesen Aspekt bezeichne ich im Folgenden als Unabhängigkeit im engeren Sinne.

36.      Der interne Aspekt steht mit dem Begriff der Unparteilichkeit in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen an dessen Gegenstand ein gleicher Abstand gewahrt wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht. Diesen Aspekt bezeichne ich im Folgenden als Aspekt der Unparteilichkeit.

37.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs setzen diese Anforderungen der Unabhängigkeit (im engeren Sinne) und Unparteilichkeit voraus, dass „es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung der Einrichtung, die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Enthaltung, Ablehnung und Abberufung ihrer Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der genannten Stelle für Einflussnahmen von außen und an ihrer Neutralität in Bezug auf die einander gegenüberstehenden Interessen auszuräumen“(22).

38.      Im Urteil Wilson kam der Gerichtshof nach Prüfung des relevanten rechtlichen Hintergrunds zu dem Schluss, dass diese Garantien nicht gewahrt waren. Zum einen gab es in der luxemburgischen Regelung keine besonderen Bestimmungen für die Ablehnung und Enthaltung seitens der Mitglieder des Verwaltungsrats, und es war auch kein Schutz vor unangemessenen Interventionen und unangemessenem Druck seitens der Verwaltung vorgesehen, beispielsweise durch eine gesetzliche Bestimmung, die die Weisungsfreiheit garantiert hätte. Zum anderen stellte der Gerichtshof fest, dass nach der luxemburgischen Regelung die Mitglieder der Verwaltungsräte alle oder hauptsächlich Rechtsanwälte luxemburgischer Staatsagehörigkeit waren(23), die aus den Reihen der beiden örtlichen Rechtsanwaltskammern gewählt wurden, d. h. aus den Reihen genau derjenigen Einrichtungen, deren Entscheidungen Gegenstand der Überprüfung waren. Der Gerichtshof stellte ferner fest, dass den Mitgliedern der örtlichen Anwaltskammern und der Verwaltungsräte ein Interesse gemein war, nämlich eine Entscheidung zu bestätigen, die einen Wettbewerber, der seine berufliche Qualifikation in einem anderen Mitgliedstaat erworben hatte, vom Markt fernhielt.

39.      Im Gegensatz dazu enthalten die italienischen Regelungen, die im vorliegenden Fall einschlägig sind, Bestimmungen, die sowohl die Unabhängigkeit im engeren Sinne als auch die Unparteilichkeit der Mitglieder des CNF garantieren sollen.

40.      Insbesondere sehen Art. 49 des R.D.L. 1578/1933 und Art. 2 des Decreto legislativo 597/1947 vor, dass die Parteien in Verfahren vor dem CNF die Mitwirkung eines Mitglieds an einer Rechtssache aus den gleichen Gründen ablehnen können, wie sie nach der italienischen Zivilprozessordnung ordentliche Richter ablehnen könnten. Diese Bestimmungen verpflichten Mitglieder des CNF, die zur Entscheidung einer Rechtssache berufen werden, auch, sich zu enthalten, wenn ihnen bekannt wird, dass einer oder mehrere dieser Gründe vorliegen, selbst wenn die Parteien insoweit keine Ablehnung geltend machen(24).

41.      Darüber hinaus ist durch bestehende Regelungen gewährleistet, dass die Mitglieder des CNF in ihrem Amt unabsetzbar sind. Sie werden für einen Zeitraum von drei Jahren gewählt und bleiben im Amt, bis die Einrichtung nach einer Wahl neu gebildet wird und ihre Arbeit aufnimmt(25). Weder der Justizminister noch eine andere Behörde ist befugt, ein Mitglied des CNF zu entlassen oder seinen Rücktritt zu veranlassen(26). Es gibt tatsächlich keine hierarchische oder funktionale Verbindung zu diesen Behörden. Auch der Präsident des CNF selbst hat keine Befugnisse im Hinblick auf die übrigen Mitglieder des CNF oder auf die Entscheidungen des CNF, mit denen er nicht einverstanden ist(27).

42.      Ferner kann es keine persönliche Verbindung zwischen dem CNF und den Ausschüssen der örtlichen Rechtsanwaltskammern geben, weil nach Art. 13 des Decreto legislativo 382/1944 die Mitgliedschaft im Ausschuss einer örtlichen Rechtsanwaltskammer mit der Mitgliedschaft im CNF unvereinbar ist. Auch gibt es nach italienischem Recht keine Bestimmung, die die Mitgliedschaft im CNF auf Rechtsanwälte italienischer Staatsangehörigkeit beschränkt(28). Wichtig ist vielleicht, im Blick zu behalten, dass Rechtsanwälte, die in die Sonderabteilung des Kammerverzeichnisses für Rechtsanwälte, die ihre Qualifikation im Ausland erworben haben, aufgenommen werden, genau wie jeder andere in das Kammerverzeichnis aufgenommene Rechtsanwalt auch bei den Wahlen zur Berufung der CNF‑Mitglieder wahlberechtigt sind(29). Darüber hinaus wäre es weit hergeholt, davon zu sprechen, dass jedes Mitglied des CNF in mehr oder weniger direktem Wettbewerb mit ihre Eintragung beantragenden Rechtsanwälten stände, die ihre Qualifikation im Ausland erworben haben, denn abgesehen davon, dass sie in verschiedenen Abteilungen des Kammerverzeichnisses eingetragen werden(30), sind sie in verschiedenen Appellationsgerichtsbezirken tätig(31).

43.      Dem gesetzlichen Erfordernis, wonach der CNF in Rechtsstreitigkeiten, mit denen er befasst wird, neutral sein muss, wird weiterhin dadurch entsprochen, dass der CNF anders als der zuständige Ausschuss der örtlichen Rechtsanwaltskammer nicht Partei eines besonderen Rechtsmittelverfahrens gegen seine Entscheidungen vor der Corte di Casszione sein kann, „weil er im Hinblick auf den Rechtsstreit die Stellung eines Dritten einnimmt“(32).

44.      Im Ergebnis bin ich der Ansicht, dass zwischen den Entscheidungen Gebhard und Wilson wegen der klaren Unterschiede in den rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhängen, die ihren jeweiligen Hintergrund bilden, zu differenzieren ist. Ich kann dem Wortlaut des neueren Urteils nichts entnehmen, was für die Annahme spricht, dass der Gerichtshof von der älteren Entscheidung abrücken wollte.

b)      Das Urteil Wilson sollte von der Entscheidung Gebhard nicht abrücken

45.      Vor allem aber bin ich der Ansicht, dass der Gerichtshof von der Entscheidung Gebhard jedenfalls nicht abrücken sollte, indem er ipso facto die im Urteil Wilson entwickelte Begründung auf einen anderen rechtlichen Zusammenhang anwendet.

46.      Wie bereits erwähnt, hat der Gerichtshof im Urteil Wilson nicht ein Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig erklärt, sondern lediglich die ihm von der luxemburgischen Cour administrative vorgelegten Fragen nach der Vereinbarkeit der einschlägigen luxemburgischen Regelung mit Art. 9 der Richtlinie 98/5 beantwortet.

47.      Meines Erachtens ist eindeutig, dass bei ordnungsgemäßer Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 98/5 in nationales Recht ein Rechtsbehelf vorgesehen werden muss, der – neben anderen Merkmalen – den Anforderungen nach Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (im Folgenden: EMRK) und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) in vollem Umfang entspricht(33). Dagegen ist meines Erachtens keineswegs eindeutig, dass Art. 267 AEUV eine derart hohe Schwelle dafür erfordert, dass ein nationales Gericht den Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens befasst.

48.      Im Gegenteil dürfte aus genau den Gründen, die für eine strikte Anwendung von Art. 6 EMRK und Art. 47 der Charta sprechen, eher eine weniger enge Auslegung des Begriffs des „Gerichts“ im Sinne von Art. 267 AEUV geboten sein.

49.      Eine strikte Anwendung der Anforderungen nach Art. 6 EMRK und Art. 47 der Charta ist notwendig, um den Schutz von Einzelpersonen zu stärken und ein hohes Niveau des Grundrechtsschutzes zu gewährleisten. Eine zu enge Anwendung der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Kriterien für die Zulässigkeit von Vorlagen nach Art. 267 AEUV brächte jedoch das Risiko mit sich, zum gegenteiligen Ergebnis zu führen, nämlich, dass Einzelpersonen die Möglichkeit genommen würde, über ihre auf das Unionsrecht gegründeten Ansprüche von einem „gesetzlichen Richter“ (dem Gerichtshof) entscheiden zu lassen, und in der Konsequenz die Wirksamkeit des Unionsrechts in der gesamten Union geschwächt würde.

50.      Zur Klarstellung: Ich rege nicht an, dass der Gerichtshof eine nachlässige Haltung zum Kriterium der Unabhängigkeit (bzw. zu jedem sonstigen Kriterium) einnehmen sollte.

51.      Die Verfasser der Verträge haben das Vorabentscheidungsverfahren eindeutig als ein Instrument des Dialogs „von Richter zu Richter“ vorgesehen. Im Blick zu behalten ist in diesem Zusammenhang, dass im Zentrum der justiziellen Architektur der Union die beiden prägenden Grundsätze der Subsidiarität und der Verfahrensautonomie stehen(34). Das Vorabentscheidungsverfahren ist demnach das Verfahren, das mehr als jedes andere durch die EU-Verträge geschaffene Verfahren dazu bestimmt ist, eine Zusammenarbeit der nationalen Gerichte und der Unionsgerichte im Geiste einer Rechtsgemeinschaft zu gewährleisten(35). In diesem Zusammenhang spricht alles dafür, dass die Kriterien der Unabhängigkeit im engeren Sinne und der Unparteilichkeit eine wichtige Funktion insoweit erfüllen, als sie Anforderungen darstellen, die dem Begriff des „Gerichts“ im modernen rechtlichen und politischen Denken immanent sind(36).

52.      Ich warne jedoch davor, das Urteil Wilson als Grundsatzurteil aufzufassen, das durch die Aufnahme einer Neuerung in die vorherige Rechtsprechung nunmehr vom Gerichtshof eine vertiefte Prüfung aller möglichen Gründe verlangen würde, die Anlass zu Zweifeln an der Unparteilichkeit (oder Unabhängigkeit im engeren Sinne) der vorlegenden Einrichtung geben könnten.

53.      Sobald feststeht, dass einer nationalen Einrichtung in ihrem eigenen Rechtssystem formell der Status eines Rechtsprechungsorgans zuerkannt ist und dass – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs – nach nationalem Recht hinreichend Regelungen vorgesehen sind, die die Unabhängigkeit im engeren Sinne und die Unparteilichkeit dieser Einrichtung und ihrer Mitglieder gewährleisten, sollte der Gerichtshof meines Erachtens an dieser Stelle keine weiter gehende Prüfung vornehmen. Wie der Gerichtshof im Urteil Köllensperger und Atzwanger selbst ausgeführt hat, steht es dem Gerichtshof nicht zu, anzunehmen, solche Bestimmungen des nationalen Rechts könnten in einer den Grundsätzen der innerstaatlichen Rechtsordnung oder „den Grundsätzen eines Rechtsstaats“ zuwiderlaufenden Weise angewandt werden(37).

54.      Soweit es also keine besonderen Bestimmungen des Unionsrechts (wie etwa Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 98/5) gibt, die eine solche Prüfung erforderlich machen, ist die Frage, ob das nationale Rechtsbehelfssystem im Hinblick auf die Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit etwas zu wünschen übrig lässt, ein Punkt, der zu einer Überprüfung durch den nationalen Gesetzgeber (oder die nationale Justiz) und gegebenenfalls zu einer Korrektur Anlass geben mag, aber sicherlich keine Frage des Unionsrechts.

55.      Mit den vorliegenden Vorlageentscheidungen wird der Gerichtshof nicht danach gefragt, ob das Rechtsmittelsystem vor dem CNF mit Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 98/5 vereinbar ist; dies ist auch kein Punkt, den der Gerichtshof von Amts wegen berücksichtigen darf. Soweit die nach seiner Rechtsprechung erforderlichen Garantien eingehalten werden (was meines Erachtens für den CNF zu bejahen ist), gibt es keine Grundlage, aufgrund deren der Gerichtshof eine Entscheidung wegen eines angeblichen Mangels an Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit im engeren Sinne auf Seiten der vorlegenden Einrichtung ablehnen könnte.

56.      Tatsächlich wäre dies eine beunruhigende Entwicklung. Ein flüchtiger Blick auf die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten zeigt, dass es in vielen Ländern Gerichte gibt, die ganz oder teilweise nicht mit Berufsrichtern, sondern mit Vertretern von Berufs-, Sozial- oder Wirtschaftsverbänden besetzt sind. Beispielsweise betraf die grundlegende Rechtssache Laval Un Partneri(38), die 2007 von der Großen Kammer des Gerichtshofs entschieden wurde, ein Vorabentscheidungsersuchen des Arbetsdomstol, dem schwedischen Arbeitsgericht, das mit Interessenvertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie mit Berufsrichtern besetzt ist.

57.      Wollte man die Begründung des Urteils Wilson auf die Spitze treiben, wie von den Herren Torresi vertreten, hätte der Gerichtshof erwägen müssen, ob einige Mitglieder des Arbetsdomstol nicht ein gemeinsames Interesse haben könnten, ausländische Wettbewerber vom schwedischen Bausektor auszuschließen. Derartige Mutmaßungen hätten dann dazu führen können, dass der Gerichtshof seine Zuständigkeit verneint.

58.      Hinzuweisen ist ebenso darauf, dass der Gerichtshof Vorabentscheidungsersuchen des Arbejdsret (dänisches Arbeitsgericht)(39) und des Faglige Voldgiftsret (dänisches tarifvertragliches Schiedsgericht)(40) angenommen hat, die nicht nur eine ähnliche Besetzung wie das Arbetsdomstol haben(41), sondern auch Teil eines Streitschlichtungssystems sind, das – auch wenn es aufgrund gesetzlicher Vorschriften eingerichtet und geregelt ist – in gewissem Maß parallel zu dem der ordentlichen dänischen Gerichte besteht.

59.      Eine zu enge Auslegung des Kriteriums der Unparteilichkeit wäre allerdings auch schwer damit zu vereinbaren, dass unter bestimmten Umständen auch ein Schiedsgericht als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV angesehen werden kann.

60.      Eine Auslegung des Urteils Wilson dahin, dass der Gerichtshof durch eine neue, vertiefte Prüfung ermitteln müsste, ob nationale Gerichte die erforderliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit haben, was über die formelle Überprüfung hinausginge, ob die nationalen Regelungen insoweit hinreichende Garantien vorsehen, hätte somit weitreichende Konsequenzen. Eine nicht unerhebliche Zahl nationaler Rechtsprechungsorgane liefe Gefahr, nicht mehr unter den Begriff des „Gerichts“ im Sinne von Art. 267 AEUV zu fallen, mit der Folge, dass das System des Schutzes von Einzelpersonen geschwächt und die Wirksamkeit des Unionsrechts behindert würde.

61.      Ich komme somit zu dem Ergebnis, dass der CNF das Kriterium der Unabhängigkeit erfüllen dürfte.

2.      Ausübung gerichtlicher Funktionen

62.      Zweitens sind die Herren Torresi der Ansicht, dass der CNF im Hinblick auf Aufnahmen in das Kammerverzeichnis im Gegensatz zu Disziplinarsachen lediglich administrative Aufgaben ausübe. Die vom CNF am Ende des Verfahrens getroffene Entscheidung sei tatsächlich als Handeln mit administrativem Charakter anzusehen.

63.      Im Blick zu behalten ist jedoch, dass der CNF in der Rechtssache Gebhard mit zwei Klagen von Herrn Gebhard, einem in Italien niedergelassenen deutschen Rechtsanwalt, befasst war, mit denen dieser zum einen eine Disziplinarstrafe des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Mailand und zum anderen die implizite Ablehnung seines Antrags auf Aufnahme in das Kammerverzeichnis durch den Ausschuss dieser Rechtsanwaltskammer anfocht.

64.      Hielte man die von den Herren Torresi vorgebrachten Argumente für zutreffend, würde dies bedeuten, dass der Gerichtshof in der Rechtssache Gebhard seine Zuständigkeit ausschließlich aufgrund der erstgenannten Klage und nicht in Bezug auf die letztgenannte Klage bejaht hätte. Eine solche Auslegung dieser Entscheidung findet sich jedoch offenbar im Urteil Gebhard nirgends bestätigt. Im Gegenteil betonte der Gerichtshof in jenem Urteil die Verbindungen zwischen beiden von Herrn Gebhard erhobenen Klagen(42). Ferner kam Generalanwalt Léger in seinen Schlussanträgen in der vorgenannten Rechtssache zu dem Schluss, dass der CNF im Fall beider Klagen gerichtliche Funktionen ausübe(43). Ich halte die Ausführungen von Herrn Léger zu diesem Punkt für überzeugend.

65.      Jedenfalls folgt meines Erachtens die Ähnlichkeit der beiden beim CNF in der Rechtssache Gebhard anhängigen Verfahren aus den anwendbaren italienischen Rechtsvorschriften. Für beide Verfahren gelten im Wesentlichen die gleichen Bestimmungen: Art. 54 und 56 des R.D.L. 1578/1933 und Art. 59 bis 65 des Decreto 37/1934.

66.      Schließlich lässt sich zwischen beiden Verfahren auch in der täglichen Praxis des CNF kein Unterschied feststellen. Die Verfahrensordnung des CNF unterscheidet eindeutig zwischen „gerichtlichen Sitzungen“ (Art. 9 bis 11) und „administrativen Sitzungen“ (Art. 12 bis 16) dieser Einrichtung(44). Im Tätigkeitskalender des CNF war Samstag, der 29. September 2012 – der Tag, an dem die Rechtssache der Herren Torresi verhandelt wurde – für gerichtliche Sitzungen des CNF reserviert.

67.      Die Herren Torresi weisen jedoch auf einen möglichen Unterschied zwischen den beiden Verfahren hin: Wenn der CNF über Klagen in Disziplinarsachen entscheide, liege stets eine administrative Entscheidung des Ausschusses der örtlichen Rechtsanwaltskammer vor, die überprüft werde, während dies offenbar nicht gegeben sei, wenn der Ausschuss einer örtlichen Rechtsanwaltskammer es unterlasse, über einen Antrag auf Aufnahme in das Kammerverzeichnis eine Entscheidung zu treffen. Die Herren Torresi beziehen sich auf Art. 6 Abs. 8 des Decreto legislativo 2001/96, wonach der Antragsteller innerhalb von zehn Tagen nach Ablauf einer Frist von 30 Tagen ab Antragstellung Klage zum CNF erheben kann, der über den Antrag in der Sache entscheidet, wenn der Ausschuss der örtlichen Rechtsanwaltskammer über den Antrag noch nicht entschieden hat.

68.      Dagegen geht mein Verständnis der italienischen Rechtsvorschriften dahin, dass wenn über einen Antrag eines Rechtsanwalts im Hinblick auf Aufnahme in das Kammerverzeichnis seitens des Ausschusses der örtlichen Rechtsanwaltskammer nicht entschieden wird, dies als eine implizite Entscheidung gilt, mit der der Antrag abgelehnt wird. Folglich entscheidet der CNF über den Antrag nicht lediglich anstelle des Ausschusses der örtlichen Rechtsanwaltskammer (weil Letzterer untätig geblieben ist). Vielmehr übt der CNF eine Befugnis zur Überprüfung einer (wenn auch impliziten) Entscheidung des Ausschusses einer örtlichen Rechtsanwaltskammer aus, mit der dieser Antrag abgelehnt wurde. Nur wenn er feststellt, dass der Ausschuss einer örtlichen Rechtsanwaltskammer einen Antrag zu Unrecht abgelehnt hat, entscheidet der CNF tatsächlich über diesen Antrag in der Sache, in ähnlicher Weise wie die Verwaltungsgerichte, die hierzu nach italienischem Recht in bestimmten Fällen ermächtigt sind(45).

69.      Mein Verständnis der einschlägigen italienischen Rechtsvorschriften findet sich offenbar im Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem CNF vom 29. September 2012 bestätigt, das Teil der dem Gerichtshof übersandten nationalen Akten ist, und dem zu entnehmen ist, dass die mündliche Verhandlung die „Klage von Herrn Angelo Alberto Torresi wegen Schweigens des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Macerata“ betraf. In dieser Hinsicht halte ich Formulierungen des CNF in einigen Urteilen, die ähnliche Rechtssachen wie diejenigen der Herren Torresi betrafen, für noch aufschlussreicher. Der CNF spricht insbesondere von „Schweige-Ablehnungsentscheidungen“ der Ausschüsse örtlicher Rechtsanwaltskammern über Anträge auf eine Kammerzulassung, gegen die die Antragsteller Beschwerden zum CNF einlegten(46).

70.      In diesem Zusammenhang dürfte sich der Hinweis fast erübrigen, dass Regelungen der „stillschweigenden Ablehnung“ bzw. „stillschweigenden Genehmigung“ nicht nur dem italienischen Verwaltungsrecht(47), sondern auch dem Verwaltungsrecht anderer Mitgliedstaaten(48) und der Rechtsordnung der Union bekannt sind(49).

71.      An dieser Stelle mag auch der Hinweis darauf interessant sein, dass die Regel, dass Schweigen zur Ablehnung führt, zwar für Anträge gilt, die bei den Ausschüssen der örtlichen Rechtsanwaltskammern gestellt werden, nicht jedoch für Anträge, die beim CNF gestellt werden(50). Auch dies spricht für die Annahme, dass die Entscheidungen der Ersteren administrativen Charakter und diejenigen des Letzteren Rechtsprechungscharakter haben.

72.      Schließlich qualifizierte das R.D.L. 1578/1933 anders als das Gesetz 247/2012(51) die Tätigkeit des CNF im Hinblick auf Beschwerden gegen Entscheidungen der Ausschüsse der örtlichen Rechtsanwaltskammern über Aufnahmen in das Kammerverzeichnis zwar nicht ausdrücklich als „Rechtsprechung“(52). Es ist jedoch unstreitig, dass dem CNF innerhalb der italienischen Rechtsordnung insoweit stets der Status eines „besonderen Rechtsprechungsorgans“ zuerkannt worden ist, dessen Entscheidungen „keine Verwaltungsakte, sondern Urteile sind(53), die im Anschluss an ein streitiges Verfahren ergehen“(54). Wie vom italienischen Verfassungsgericht entschieden, übt der CNF „gerichtliche Funktionen im öffentlichen Interesse aus, einem Interesse, das sich von demjenigen der [von ihm vertretenen] Berufsgruppe unterscheidet und diesem übergeordnet ist“(55).

73.      Die Tatsache, dass der CNF nach italienischem Recht gerichtliche Funktionen ausübt, ist für Art. 267 AEUV eindeutig nicht maßgebend. Allerdings sollte der Gerichtshof meines Erachtens über die Qualifizierung einer Einrichtung nach nationalem Recht auch nicht einfach hinweggehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn dem Gerichtshof keine eindeutigen anderweitigen Anhaltspunkte vorliegen, die nach dem Unionsrecht ein anderes Ergebnis nahelegen(56). Im vorliegenden Fall sprechen die Elemente in den von uns untersuchten anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften jedoch nicht für ein anderes Ergebnis.

3.      Sonstige Kriterien

74.      Darüber hinaus sprechen meines Erachtens im vorliegenden Fall auch die sonstigen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs für den Begriff des „Gerichts“ im Sinne von Art. 267 AEUV aufgestellten Kriterien für dieses und kein anderes Ergebnis.

75.      Zunächst kann mit Blick insbesondere auf das R.D.L. 1578/1933 (und das neuere Gesetz 247/2012) kein Zweifel daran bestehen, dass der CNF auf gesetzlicher Grundlage eingerichtet ist und ständigen Charakter hat.

76.      Ebenso ist eindeutig, dass die Zuständigkeit des CNF für die Parteien obligatorisch ist. Die Zuständigkeit des CNF im Hinblick auf Eintragungen in das Kammerverzeichnis ist in der Tat zwingend(57) und ergibt sich nicht aus einer hierüber getroffenen Vereinbarung der Parteien(58). Vielmehr stellt sie für die Herren Torresi den einzigen rechtlichen Weg dar, die ihre Anträge betreffenden Entscheidungen des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Macerata anzufechten(59).

77.      Gegen Entscheidungen des CNF kann zwar ein besonderes Rechtsmittel zur Corte di Cassazione, Sezioni Unite, gegeben sein. Dieses Rechtsmittel ist jedoch auf Rechtsfehler beschränkt(60). Das bedeutet, dass die Wirksamkeit des Vorabentscheidungsmechanismus nach Art. 267 AEUV geschwächt würde, wenn der Status des CNF als „Gericht“ vom Gerichtshof nicht anerkannt würde(61).

78.      Ferner ist unstreitig, dass der CNF Rechtsnormen anzuwenden hat. Im Fall der Herren Torresi hat der CNF insbesondere die Bestimmungen des Decreto legislativo 96/2001 in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Richtlinie 98/5 anzuwenden.

79.      Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, zu betonen, dass die das Verfahren vor dem CNF regelnden Bestimmungen ein streitiges Verfahren vorsehen(62). Der Ausschuss der örtlichen Rechtsanwaltskammer, dessen Entscheidung Gegenstand der Überprüfung ist, ist (als Beklagter) notwendige Partei des Verfahrens, und Fehler bei der Inkenntnissetzung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer von der Klage des Antragstellers führen zur Nichtigkeit des Verfahrens wegen „einer schweren Verletzung der Verteidigungsrechte und des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens (audi alteram partem)(63).

80.      Darüber hinaus besteht das Verfahren sowohl aus einem schriftlichen als auch einem mündlichen Teil, in denen die Parteien vortragen und die Fehler rügen können, mit denen die Entscheidung des Ausschusses der örtlichen Rechtsanwaltskammer ihrer Ansicht nach behaftet ist, und für diese Argumente Beweis antreten können. Im Hinblick auf diese Beweismittel gibt es besondere Bestimmungen zur Beweisermittlung und der Mindestfrist, für die den Parteien Einsicht in die Akten zu gewähren ist und in der sie ihre Verteidigung vorbereiten können, bevor die Sache in der mündlichen Verhandlung erörtert wird(64).

81.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass der CNF im vorliegenden Verfahren als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV anzusehen ist.

B –    Prüfung der Vorlagefragen

82.      Ich gehe nunmehr zur materiellen Prüfung der beiden vom CNF vorgelegten Fragen über. Die Antwort auf diese Fragen ist meines Erachtens jedoch ganz offenkundig. Dieser Teil meiner Schlussanträge wird daher recht kurz ausfallen.

1.      Frage 1

83.      Mit seiner ersten Frage möchte der CNF im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 der Richtlinie 98/5 der Praxis eines Mitgliedstaats entgegensteht, die Aufnahme in das Kammerverzeichnis, Sonderabteilung für Rechtsanwälte, die ihre Qualifikation im Ausland erworben haben, bei Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats wegen Rechtsmissbrauchs abzulehnen, die kurz nach Erlangung der Berufsbezeichnung in einem anderen Mitgliedstaat in den erstgenannten Mitgliedstaat zurückkehren (im Folgenden: streitige nationale Praxis).

84.      Nach ständiger Rechtsprechung ist eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt(65). Die Feststellung eines Missbrauchs setzt jedoch zum einen voraus, dass eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde. Zum anderen setzt diese Feststellung ein subjektives Element voraus, nämlich die Absicht, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden(66).

85.      Es ist grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts, das Vorliegen dieser beiden Elemente festzustellen, für das der Beweis nach nationalem Recht zu erbringen ist, soweit dies die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigt(67). Insbesondere dürfen die nationalen Gerichte bei der Beurteilung der Ausübung eines sich aus einer Unionsbestimmung ergebenden Rechts nicht die Tragweite dieser Bestimmung verändern oder die mit ihr verfolgten Zwecke vereiteln(68).

86.      Im vorliegenden Fall ist jedoch ganz offensichtlich, dass eine Praxis wie die streitige nationale Praxis das ordnungsgemäße Funktionieren des von der Richtlinie 98/5 geschaffenen Systems in diesem Mitgliedstaat wahrscheinlich beeinträchtigt und dadurch die mit diesem Instrument verfolgten Ziele vereitelt.

87.      Nach Art. 1 der Richtlinie 98/5 soll diese nämlich „die ständige Ausübung des Rechtsanwaltsberufs … in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Berufsqualifikation erworben wurde, erleichtern“. Wie die polnische und rumänische Regierung zutreffend angeführt haben, läuft die streitige nationale Praxis also im Wesentlichen darauf hinaus, etwas als rechtsmissbräuchliches Verhalten zu behandeln, das im Gegenteil genau eine der Verhaltensweisen darstellt, die der Unionsgesetzgeber gestatten wollte. Um den Wortlaut des Gerichtshofs in seinen Ausführungen zur Richtlinie 89/48/EWG über die Anerkennung von Hochschuldiplomen(69) zu übernehmen, würde ich sagen, dass das Recht der Angehörigen eines Mitgliedstaats, den Mitgliedstaat zu wählen, in dem sie ihre Berufsbezeichnung erwerben wollen, im Binnenmarkt unmittelbar aus den von den EU-Verträgen gewährleisteten Grundfreiheiten folgt(70).

88.      Insoweit kann der Tatsache keine Bedeutung zukommen, dass der Rechtsanwalt Staatsangehöriger des Aufnahmestaats ist, oder dass er sich zum Erwerb der Berufsbezeichnung im Ausland entschlossen haben mag, um eine günstigere Rechtslage auszunutzen, oder schließlich, dass gegebenenfalls kurz nach Erwerb der Berufsbezeichnung im Ausland von ihm ein Antrag auf Eintragung gestellt wird.

89.      Zum ersten Punkt ist anzumerken, dass Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 98/5 als „Rechtsanwalt“ „jede Person [definiert], die Angehörige eines Mitgliedstaats ist und ihre beruflichen Tätigkeiten unter einer der folgenden [in dieser Bestimmung aufgeführten] Berufsbezeichnungen auszuüben berechtigt ist“. Ebenso hat nach Art. 2 der Richtlinie 98/5 „[j]eder Rechtsanwalt … das Recht, die in Artikel 5 [dieser Richtlinie] genannten Anwaltstätigkeiten auf Dauer in jedem anderen Mitgliedstaat unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung auszuüben“(71).

90.      Es ist daher kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten eine umgekehrte Diskriminierung dadurch ermöglichen wollte, dass sie ihre eigenen Staatsangehörigen von den durch die Richtlinie 98/5 geschaffenen Rechten ausschließen(72). Außerdem stände dies offenbar in einigem Widerspruch zum Ziel der Schaffung eines Binnenmarkts.

91.      Wie der Gerichtshof entschieden hat, darf in der Tat einem Unionsbürger nicht schon allein deshalb die Möglichkeit, sich auf die Freiheiten der EU-Verträge zu berufen, genommen werden, weil er beabsichtigt, von der in einem anderen Mitgliedstaat als dem seiner Ansässigkeit geltenden vorteilhaften Rechtslage zu profitieren(73). Dies führt mich zum zweiten Punkt.

92.      Insoweit bin ich aufgrund gefestigter Rechtsprechung der Überzeugung, dass allein die Tatsache, dass ein Bürger sich entschließt, eine Berufsbezeichnung in einem anderen Mitgliedstaat zu erwerben, um in den Genuss vorteilhafterer Rechtsvorschriften zu kommen, nicht ausreicht, um auf einen Rechtsmissbrauch zu schließen(74).

93.      Schließlich ist zum dritten Punkt daran zu erinnern, dass der Gerichtshof klargestellt hat, dass der Unionsgesetzgeber mit Art. 3 der Richtlinie 98/5 die Voraussetzungen für die Ausübung des verliehenen Rechts vollständig harmonisiert hat. Dass der zuständigen Stelle des Aufnahmestaats eine Bescheinigung über die Eintragung bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats vorgelegt wird, ist folglich die einzige Voraussetzung, von der die Eintragung des Betreffenden im Aufnahmestaat abhängig gemacht werden darf, die es dem Betroffenen ermöglicht, in diesem Mitgliedstaat unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätig zu sein(75).

94.      Demzufolge hat der Gerichtshof entschieden, dass die Richtlinie 98/5 nicht gestattet, dass die Eintragung eines Rechtsanwalts bei der zuständigen Stelle des Aufnahmestaats von der Erfüllung sonstiger Voraussetzungen abhängig gemacht wird, wie etwa einem Gespräch, um die Beherrschung einer Sprache zu bewerten(76). Dem möchte ich hinzufügen, dass die Richtlinie 98/5 ebenso wenig gestattet, dass eine solche Eintragung von der Absolvierung einer praktischen Verwendung über einen bestimmten Zeitraum oder einer Tätigkeit als Rechtsanwalt im Herkunftsmitgliedstaat abhängig gemacht wird(77). Warum sollte schließlich, wenn für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs beispielsweise als „abogado“ in Spanien keine vorherige Erfahrung erforderlich ist, für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unter genau der gleichen Berufsbezeichnung („abogado“) in einem anderen Mitgliedstaat eine solche Erfahrung erforderlich sein?

95.      Gleichwohl, dies sei ergänzt, auch wenn es sich eigentlich von selbst versteht, sind die Behörden des Aufnahmestaats für den Fall, dass sie im Einzelfall feststellen, dass die beiden oben in Nr. 84 genannten Voraussetzungen erfüllt sind, nicht gehindert, einen Antrag wegen Rechtsmissbrauchs abzulehnen. Es mag in der Tat in einigen spezifischen Fällen besondere Umstände geben, die zu einem berechtigten Verdacht auf betrügerisches Verhalten Anlass geben. In diesen spezifischen (und – so darf man annehmen – relativ seltenen Fällen) kann eine vertieftere Untersuchung des möglicherweise gegebenen betrügerischen Verhaltens gerechtfertigt sein, bevor die Eintragung gewährt wird. In diesem Zusammenhang können die Behörden des Aufnahmestaats nach Art. 13 der Richtlinie 98/5 auch die Behörden des Herkunftsstaats um Zusammenarbeit ersuchen(78). Für den Fall, dass die Behörden des Aufnahmestaats dann eindeutige Beweise dafür sammeln, dass der Antragsteller die Berufsbezeichnung im Herkunftsstaat arglistig oder rechtswidrig (etwa durch Fälschung, Bestechung oder falsche Angaben) erlangt hat, sind sie befugt, die Eintragung wegen Rechtsmissbrauchs abzulehnen.

96.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, Frage 1 dahin zu beantworten, dass Art. 3 der Richtlinie 98/5 der Praxis eines Mitgliedstaats entgegensteht, die Aufnahme in das Kammerverzeichnis, Sonderabteilung für Rechtsanwälte, die ihre Qualifikation im Ausland erworben haben, bei Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats wegen Rechtsmissbrauchs abzulehnen, die kurz nach Erlangung der Berufsbezeichnung in einem anderen Mitgliedstaat in den erstgenannten Mitgliedstaat zurückkehren.

2.      Frage 2

97.      Mit seiner zweiten Frage, die für den Fall der Bejahung von Frage 1 gestellt wird, möchte der CNF im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 der Richtlinie 98/5 wegen Verstoßes gegen Art. 4 Abs. 2 EUV ungültig ist, wonach die Europäische Union die jeweilige nationale Identität der Mitgliedstaaten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen zum Ausdruck kommt, zu achten hat.

98.      Dem CNF zufolge bestimmt Art. 33 Abs. 5 der italienischen Verfassung, dass „für die Befähigung für den Beruf eine Staatsprüfung abgelegt werden muss“, wobei der Begriff „Beruf“ sich auch auf den des Rechtsanwalts bezieht. Eine Zulassung italienischer Staatsangehöriger, die ihre Qualifikation im Ausland erworben haben, zur Berufsausübung in Italien würde zu einer Umgehung der italienischen Verfassung führen, die eine staatliche Befähigungsprüfung erfordert, und somit die nationale Verfassungsidentität verletzen.

99.      Zunächst muss ich eingestehen, dass ich ernsthafte Schwierigkeiten habe, der Begründung des CNF zu folgen. Mir ist nicht klar, inwieweit darin, dass Unionsbürger zur Rechtsanwaltskammer zugelassen werden, die eine Berufsbezeichnung in einem anderen Mitgliedstaat erworben haben, eine derartige Bedrohung für die italienische Rechtsordnung zu sehen sein sollte, dass dies die italienische nationale Identität verletzen sollte.

100. In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof den Mitgliedstaaten zwar unter bestimmten besonderen Umständen die Möglichkeit eingeräumt, von durch das Unionsrecht auferlegten Verpflichtungen, etwa im Hinblick auf die Grundfreiheiten, aus Gründen des Schutzes ihrer nationalen Identität abzuweichen(79). Dies bedeutet aber nicht, dass jede in einer nationalen Verfassung verankerte Regelung die einheitliche Anwendung von Bestimmungen des Unionsrechts einschränken(80) oder gar einen Maßstab für die Rechtmäßigkeit dieser Bestimmungen darstellen könnte(81).

101. Wie das Parlament und der Rat vorgebracht haben, bedeutet daher allein die Tatsache, dass eine Bestimmung in der italienischen Verfassung vorsieht, dass eine Staatsprüfung abgelegt werden muss, bevor die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs gestattet ist, nicht, dass die Richtlinie 98/5 die italienische nationale Identität im Sinne von Art. 4 Abs. 2 EUV verletzt. Diese Rechtslage hat in der mündlichen Verhandlung auch die italienische Regierung bestätigt, die erklärt hat, dass sie mit den Erwägungen, die das vorlegende Gericht im Vorabentscheidungsersuchen im Hinblick auf einen möglichen Konflikt der Richtlinie 98/5 mit Art. 33 Abs. 5 der italienischen Verfassung angestellt habe, nicht übereinstimme.

102. Vor allem aber beruht die vom CNF vorgelegte Frage offenbar auf einer falschen Annahme.

103. Die Herren Torresi haben bei den zuständigen Behörden nicht eine Aufnahme in das Kammerverzeichnis unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats („avvocato“), sondern lediglich ihre Aufnahme in die Sonderabteilung dieses Verzeichnisses für Rechtsanwälte, die ihre Qualifikation im Ausland erworben haben, beantragt. Sie haben somit beantragt, ihnen die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in Italien unter der Berufsbezeichnung des Herkunftsstaats („abogado“) nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 98/5 zu gestatten. Das bedeutet, dass ihnen lediglich gestattet wäre, die in Art. 5 der Richtlinie 98/5 genannten beruflichen Tätigkeiten auszuüben, wobei sie den in Art. 6 der Richtlinie genannten Berufs- und Standesregeln unterliegen.

104. In Anbetracht dessen kann ich keine Umgehung der Bestimmungen der italienischen Verfassung oder gar einen Eingriff in die italienische nationale Identität erkennen. Wie die spanische und die polnische Regierung sowie das Parlament und die Kommission zu Recht angeführt haben, nimmt Italien weiterhin seine Zuständigkeit für den Zugang zum Beruf des „avvocato“ wahr. Seinen Staatsangehörigen jedoch die Möglichkeit einer Berufsausübung als „abogado“ in Italien zu verwehren – soweit diese Bezeichnung in Spanien rechtmäßig erlangt worden ist –, würde im Wesentlichen die Erfüllung der Voraussetzungen für diese Berufsbezeichnung in Frage stellen, für die Italien keine Zuständigkeit hat. Im Ergebnis würde dies nicht nur Zuständigkeiten berühren, die dem Königreich Spanien vorbehalten sind, sondern auch gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung verstoßen, der Kern des von der Richtlinie 98/5 geschaffenen Systems ist.

105. Aus diesen Gründen bin ich der Ansicht, dass Art. 3 der Richtlinie 98/5 nicht gegen Art. 4 Abs. 2 EUV verstößt und demzufolge nicht ungültig ist.

IV – Ergebnis

106. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Consiglio Nazionale Forense vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 3 der Richtlinie 98/5 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, steht der Praxis eines Mitgliedstaats entgegen, die Aufnahme in das Kammerverzeichnis, Sonderabteilung für Rechtsanwälte, die ihre Qualifikation im Ausland erworben haben, bei Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats wegen Rechtsmissbrauchs abzulehnen, die kurz nach Erlangung der Berufsbezeichnung in einem anderen Mitgliedstaat in den erstgenannten Mitgliedstaat zurückkehren.

2.      Die Prüfung der zweiten Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 3 der Richtlinie 98/5 berühren könnte.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – ABl. L 77, S. 36.


3 – „Attuazione della direttiva 98/5/CE volta a facilitare l’esercizio permanente della professione di avvocato in uno Stato membro diverso da quello in cui è stata acquisita la qualifica professionale“ (GURI Nr. 79 vom 4. April 2001, Supplemento ordinario).


4 – „Ordinamento delle professioni di avvocato e procuratore“ (GURI Nr. 281 vom 5. Dezember 1933).


5 – „Norme integrative e di attuazione del [R.D.L. 1578/1933] sull’ordinamento della professione di avvocato“ (GURI Nr. 24 vom 30. Januar 1934).


6 – Decreto legislativo Nr. 382 vom 23. November 1944, „Norme sui Consigli degli Ordini e Collegi e sulle Commissioni centrali professionali“ (GURI Nr. 98 vom 23. Dezember 1944; im Folgenden: Decreto legislativo 382/1944), und Decreto legislativo Nr. 597 vom 28. Mai 1947, „Norme sui procedimenti dinanzi ai Consigli degli ordini forensi ed al Consiglio nazionale forense“ (GURI Nr. 155 vom 10. Juli 1947; im Folgenden: Decreto legislativo 597/1947). Der Bereich ist jetzt durch die Legge (Gesetz) Nr. 247 vom 31. Dezember 2012, „Nuova disciplina dell’ordinamento della professione forense“ (GURI Nr. 15 vom 18. Januar 2013; im Folgenden: Gesetz 247/2012) geregelt, das am 2. Februar 2013 in Kraft getreten ist.


7 – Art. 6 Abs. 6 des Decreto legislativo 96/2001.


8 – Art. 6 Abs. 8 des Decreto legislativo 96/2001.


9 – Vgl. u. a. Urteile vom 17. September 1997, Dorsch Consult (C‑54/96, Slg. 1997, I‑4961, Rn. 23), vom 31. Mai 2005, Syfait u. a. (C‑53/03, Slg. 2005, I‑4609, Rn. 29), und vom 14. Juni 2011, Miles u. a. (C‑196/09, Slg. 2011, I‑5105, Rn. 37).


10 – Vgl. u. a. Beschluss vom 26. November 1999, ANAS (C‑192/98, Slg. 1999, I‑8583, Rn. 22 und 23), und Urteil vom 31. Januar 2013, Belov (C‑394/11, Rn. 40 und 41).


11 – Vgl. insbesondere Urteile vom 19. Oktober 1995, Job Centre (C‑111/94, Slg. 1995, I‑3361, Rn. 9 bis 11), und vom 14. Juni 2001, Salzmann (C‑178/99, Slg. 2001, I‑4421, Rn. 14 und 15).


12 – Urteil vom 19. September 2006, Wilson (C‑506/04, Slg. 2006, I‑8613).


13 – Urteil vom 30. November 1995, Gebhard (C‑55/94, Slg. 1995, I‑4165).


14 – Richtlinie des Rates vom 22. März 1977 (ABl. L 78, S. 17).


15 – Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache Gebhard (Nrn. 12 bis 17, insbesondere Nr. 16).


16 – Vgl. Urteil vom 7. November 2013, Romeo (C‑313/12, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).


17 – Vgl. Schlussanträge in den Rechtssachen Venturini u. a. (C‑159/12 bis C‑161/12, Urteil vom 5. Dezember 2013, Nrn. 16 bis 63), Pohotovosť (C‑470/12, Urteil vom 27. Februar 2014, Nrn. 20 bis 38), und Macinský und Macinská (C‑482/12, Klagerücknahme vom 31. Dezember 2013, Rn. 32 bis 58).


18 – Urteil Wilson (Rn. 54 ff).


19 – Vgl. Urteile vom 30. Juni 1966, Vaassen-Göbbels (61/65, Slg. 1966, 261), vom 6. Oktober 1981, Broekmeulen (246/80, Slg. 1981, 2311), vom 8. April 1992, Bauer (C‑166/91, Slg. 1992, I‑2797), das Urteil Gebhard und aus jüngerer Zeit das Urteil vom 22. Dezember 2010, Koller (C‑118/09, Slg. 2010, I‑13627). Hinzuweisen ist darauf, dass der Gerichtshof in der letztgenannten, nach dem Urteil Wilson entschiedenen Rechtssache die österreichische Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission (für Rechtsanwälte) als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV angesehen hat.


20 – Vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 1980, Borker (138/80, Slg. 1980, 1975), und vom 5. März 1986, Greis Unterweger (318/85, Slg. 1986, 955).


21 – Urteil vom 30. März 1993, Corbiau (C‑24/92, Slg. 1993, I‑1277, Rn. 15). Vgl. auch Urteil vom 30. Mai 2002, Schmid (C‑516/99, Slg. 2002, I‑4573, Rn. 36), und das Urteil Wilson, Rn. 49.


22 – Urteil Wilson (Rn. 51 bis 53). Vgl. auch Beschlüsse vom 14. Mai 2008, Pilato (C‑109/07, Slg. 2008, I‑3503, Rn. 24), und vom 14. November 2013, MF 7 (C‑49/13, Rn. 23).


23 – Urteil Wilson (Rn. 18 und 54).


24 – Zur Bedeutung einer ähnlichen Bestimmung: Urteil vom 4. Februar 1999, Köllensperger und Atzwanger (C‑103/97, Slg. 1999, I‑551, Rn. 22). Vgl. auch Beschluss Pilato (Rn. 24 und 29) und das Urteil Schmid (Rn. 41).


25 – Art. 15 des Decreto legislativo 382/1944. Zur Bedeutung dieses Elements: Urteil vom 14. Juni 2007, Häupl (C‑246/05, Slg. 2007, I‑4673, Rn. 18), und Beschluss vom 14. November 2013, MF 7 (C‑49/13, Rn. 22 bis 24).


26 – Nach Art. 8 des Decreto legislativo 382/1944 kann der Justizminister die örtlichen Ausschüsse der Rechtsanwaltskammern nur auflösen, wenn diese Einrichtungen „ihre Aufgaben nicht ordnungsgemäß wahrnehmen können“; in diesem Fall werden ihre Aufgaben vorübergehend für höchstens 90 Tage von einem Sonderbeauftragten wahrgenommen, bis der neue Ausschuss gewählt ist. Nach meinem Verständnis gibt es jedoch keine entsprechende Bestimmung für den CNF.


27 – Vgl. Urteil Schmid (Rn. 41 und 42).


28 – Vgl. Art. 33 und 34 des R.D.L. 1578/1933 und Art. 21 des Decreto legislativo 382/1944.


29 – Art. 6 Abs. 9 des Decreto legislativo 96/2001.


30 – Die Antragsteller beantragen ihre Eintragung in die Sonderabteilung des Kammerverzeichnisses für Rechtsanwälte, die ihre Qualifikation im Ausland erworben haben, das von den Ausschüssen der örtlichen Rechtsanwaltskammern geführt wird (vgl. Art. 6 des Decreto legislativo 96/2001), während die Mitglieder des CNF in der Sonderabteilung des Kammerverzeichnisses für Rechtsanwälte mit Zulassung für die höchsten italienischen Gerichte eingetragen sein müssen, das vom CNF selbst geführt wird (vgl. Art. 33 des R.D.L. 1578/1933 und Art. 21 des Decreto legislativo 382/1944).


31 – Nach ständiger Praxis des CNF werden CNF‑Mitglieder, die aus dem Appellationsgerichtsbezirk gewählt worden sind, in dem der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer ansässig ist, dessen Entscheidung Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist, nicht in die Besetzung berufen, die über die Rechtssache entscheidet.


32 – Cassazione Civile, Sezioni Unite, Beschluss vom 11. Januar 1997, Nr. 12. Zur Bedeutung dieses Aspekts vgl. das Urteil Belov (Rn. 49) und Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano in der Rechtssache Schmid (Nr. 31).


33 – Vgl. die in Rn. 57 des Urteils Wilson angeführte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.


34 – Vgl. Rodríguez Iglesias, G. C., „L’évolution de l’architecture juridictionelle de l’Union européenne“, in Rosas A., Levits E., Bot Y. (Hrsg.), The Court of Justice and the Construction of Europe: Analyses and Perspectives on Sixty Years of Case-law, Asser Press, Den Haag, 2013, S. 37 bis 48, Rn. 43 und 44.


35 – Wie der Gerichtshof in seinem Gutachten vom 8. März 2011 (1/09, Slg. 2011, I‑1137, Rn. 85) insbesondere mit Bezug auf das in Art. 267 AEUV vorgesehene System markant ausführt, „sind die den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof jeweils übertragenen Aufgaben wesentlich für die Wahrung der Natur des durch die Verträge geschaffenen Rechts“.


36 – Beispielsweise nach den Grundsätzen 1 und 2 (Principles 1 and 2) der Grundsätze der Unabhängigkeit der Justiz (Basic Principles on the Independence of the Judiciary) gemäß den Resolutionen der Vollversammlung der Vereinten Nationen 40/32 vom 29. November 1985 und 40/146 vom 13. Dezember 1985: „1. Die Unabhängigkeit der Justiz ist durch den Staat zu gewährleisten und in der Verfassung oder im Recht des Landes zu verankern. … 2. Die Justiz entscheidet unparteilich, auf der Grundlage von Tatsachen und nach dem Gesetz, ohne unmittelbare oder mittelbare Beschränkung, unangemessene Einflussnahme, Lenkung, Druck, Drohung oder Einmischung gleich welcher Stelle und aus gleich welchen Gründen.“


37 – Urteil Köllensperger und Atzwanger (Rn. 24).


38 – Urteil vom 18. Dezember 2007, Laval un Partneri (C‑341/05, Slg. 2007, I‑11767).


39 – Urteil vom 28. Oktober 1987, Ny Mølle Kro (287/86, Slg. 1987, 5465).


40 – Urteil vom 17. Oktober 1989, Danfoss (109/88, Slg. 1989, 3199).


41 – Der Vollständigkeit halber sei ergänzt, dass derzeit mehrere Rechtssachen beim Gerichtshof anhängig sind, die Vorlagen des Työtuomioistuin (finnisches Arbeitsgericht) betreffen, ein Gericht, das seinem Statut nach dem Arbetsdomstol und dem Arbejdsret ähnlich ist, nämlich die Rechtssache AKT (C‑533/13) und die verbundenen Rechtssachen Ylemmät Toimihenkilöt YTN und Terveys- ja sosiaalialan neuvottelujärjestö TSN (C‑513/11 und C‑512/11). Nach meiner Kenntnis hat keine der Parteien die Art der vorlegenden Einrichtung beanstandet. Auch Generalanwältin Kokott hat in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Ylemmät Toimihenkilöt YTN und Terveys- ja sosiaalialan neuvottelujärjestö TSN keine Notwendigkeit gesehen, auf diese Frage von sich aus einzugehen.


42 – Vgl. Urteil Gebhard (insbesondere Rn. 10 bis 12).


43 – Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache Gebhard (Nrn. 12 bis 17, insbesondere Nr. 16).


44 – Vgl. „Regolamento interno per le attività del Consiglio Nazionale Forense“ (1992), veröffentlicht im Rassegna forense, 1992, S. 135.


45 – Vgl. insbesondere Art. 7 des italienischen Verwaltungsverfahrensgesetzes.


46 – Vgl. insbesondere Urteil vom 10. Oktober 1996, Nr. 128, Consiglio Nazionale Forense (pres. Ricciardi, rel. Sanino), Urteil vom 15. Oktober 1996, Nr. 133, Consiglio Nazionale Forense (pres. Cagnani, rel. De Mauro), und Urteil vom 15. Dezember 2011, Nr. 179, Consiglio Nazionale Forense (pres. Alpa, rel. Merli).


47 – Insbesondere steht es nach italienischem Recht allgemein einem Bürger offen, wegen Schweigens der öffentlichen Verwaltung ein Rechtsmittel zum zuständigen Verwaltungsgericht einzulegen, vgl. insbesondere Art. 31 des italienischen Verwaltungsverfahrensgesetzes.


48 – Zu einem das spanische Recht betreffenden Beispiel: Urteil vom 24. März 2011, Kommission/Spanien (C‑400/08, Slg. 2011, I‑1915, Rn. 119 ff.).


49 – Beispielsweise findet sich eine Regelung zum Schweigen als Genehmigung in Art. 10 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“) (ABl. L 24, S. 1) und eine Regelung zum Schweigen als Ablehnung in Art. 8 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43).


50 – Vgl. Cassazione Civile, Beschluss vom 4. März 1994, Nr. 157.


51 – Art. 36 des Gesetzes 247/2012 bestimmt ausdrücklich, dass der CNF eine „Zuständigkeit“ („competenza giurisdizionale“) sowohl für Disziplinarsachen als auch für Aufnahmen in das Kammerverzeichnis hat. Ferner bestimmt Art. 37 dieses Gesetzes, dass „soweit es Klagen nach Art. 36 betrifft, der CNF nach Art. 59 bis 65 des Decreto 37/1934 entscheidet und gegebenenfalls die Bestimmungen und Grundsätze der [italienischen] Zivilprozessordnung anwendet“. Das bedeutet, dass das neu erlassene Gesetz 247/2012 das Verfahren, das bei Klageerhebung durch die Herren Torresi in Kraft war, keineswegs ändert, sondern dessen Gültigkeit im Wesentlichen bestätigt.


52 – Art. 54 des R.D.L. 1578/1933 bestimmt u. a., dass der CNF „über vor ihm erhobene Klagen nach geltendem Recht entscheidet“.


53 – In der Tat werden die Urteile des CNF wie alle anderen Urteile in Italien nach Art. 101 der italienischen Verfassung „in nome del popolo italiano“ („im Namen des italienischen Volkes“) verkündet.


54 – Vgl. insbesondere Cassazione Civile, Sezioni Unite, Urteil vom 12. März 1980, Nr. 1639. Vgl. aus jüngerer Zeit auch Cassazione Civile, Sezioni Unite, Urteil vom 7. Dezember 2006, Nr. 26182, und Cassazione Civile, Sezioni Unite, Urteil vom 20. Dezember 2007, Nr. 26810.


55 – Corte Costituzionale, Urteil vom 18. Juni 1970, Nr. 114. Vgl. aus jüngerer Zeit auch Corte Costituzionale, Urteil vom 16. bis 27. Mai 1996, Nr. 171.


56 – Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro in der Rechtssache Dorsch Consult (Nr. 20).


57 – Vgl. Beschluss vom 11. Juli 2003, Cafom und Samsung (C‑161/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 14).


58 – Vgl. hierzu Urteil Danfoss, Rn. 7, und das Urteil vom 23. März 1982, Nordsee (102/81, Slg. 1982, 1095, Rn. 11).


59 – Vgl. Urteil vom 27. Januar 2005, Denuit und Cordenier (C‑125/04, Slg. 2005, I‑923, Rn. 15).


60 – In tatsächlicher Hinsicht ist die Corte di Cassazione somit grundsätzlich an die Feststellungen des CNF gebunden. Zur Bedeutung dieses Umstands vgl. Urteil vom 14. November 2002, Felix Swoboda (C‑411/00, Slg. 2002, I‑10567, Rn. 26 bis 28).


61 – Vgl. Urteil Belov (Rn. 52).


62 – Hinzuweisen ist ferner darauf, dass das Pubblico Ministero (Staatsanwaltschaft) im Verfahren vor dem CNF über Aufnahmen in das Kammerverzeichnis (ebenso wie in den besonderen Rechtsmittelverfahren vor der Corte di Cassazione) anders als in Verfahren vor den Ausschüssen der örtlichen Rechtsanwaltskammern ebenfalls Beteiligter ist. Wie von der italienischen Regierung hervorgehoben, wäre die Beteiligung der Staatsanwaltschaft an einem Verwaltungsverfahren ein ziemlich ungewöhnlicher Vorgang.


63 – Cassazione Civile, Urteil vom 8. August 2001, Nr. 10959.


64 – Vgl. die oben in Nr. 65 genannten Bestimmungen.


65 – Vgl. Urteil vom 21. Februar 2006, Halifax u. a. (C‑255/02, Slg. 2006, I‑1609, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).


66 – Vgl. Urteil vom 14. Dezember 2000, Emsland Stärke (C‑110/99, Slg. 2000, I‑11569, Rn. 52 und 53).


67 – Ebd. (Rn. 54).


68 – Urteil vom 12. Mai 1998, Kefalas u. a. (C‑367/96, Slg. 1998, I‑2843, Rn. 22).


69 – Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. L 19, S. 16).


70 – Vgl. Urteil vom 23. Oktober 2008, Kommission/Spanien (C‑286/06, Slg. 2008, I‑8025, Rn. 72).


71 – Hervorhebung in beiden Bestimmungen nur hier.


72 – Vgl. entsprechend hierzu Urteil vom 31. März 1993, Kraus (C‑19/92, Slg. 1993, I‑1663, Rn. 15 und 16).


73 – Urteil vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes and Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, Slg. 2006, I‑7995, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).


74 – Ebd. (Rn. 37).


75 – Urteil Wilson (Rn. 66 und 67).


76 – Ebd. (Rn. 70).


77 – Vgl. Urteil Koller, Rn. 34 und 40. Vgl. entsprechend hierzu auch Urteil vom 9. März 1999, Centros (C‑212/97, Slg. 1999, I‑1459, Rn. 29).


78 – Der einschlägige Teil von Art. 13 bestimmt, dass „[d]ie zuständige Stelle des Aufnahmestaats und die zuständige Stelle des Herkunftsstaats … eng zusammen[arbeiten] und … einander Amtshilfe [leisten], um die Anwendung dieser Richtlinie zu erleichtern und zu vermeiden, dass die Bestimmungen dieser Richtlinie gegebenenfalls zwecks Umgehung der im Aufnahmestaat geltenden Regeln missbräuchlich angewendet werden“.


79 – Vgl. insbesondere Urteile vom 14. Oktober 2004, Omega (C‑36/02, Slg. 2004, I‑9609, Rn. 35 ff.), und vom 22. Dezember 2010, Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, Slg. 2010, I‑13693, Rn. 83 ff.).


80 – Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in der Rechtssache Michaniki (C‑213/07, Urteil vom 16. Dezember 2008, Slg. 2008, I‑9999, Rn. 33).


81 – Vgl. insbesondere Urteile vom 17. Dezember 1970, Internationale Handelsgesellschaft (11/70, Slg. 1970, 1125, Rn. 3), und vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon (C‑212/06, Slg. 2008, I‑1683, Rn. 58).