SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
VERICA Trstenjak
vom 26. Oktober 2010(1)
Rechtssache C‑463/09
CLECE, SA
(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Superior de Justicia de Castilla-La Mancha [Spanien])
„Sozialpolitik – Richtlinie 2001/23/EG – Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b – Übergang von Unternehmen – Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer – Anwendungsbereich – Begriff ‚Übergang‘ – Vorliegen einer ‚wirtschaftlichen Einheit‘ – Übernahme des Reinigungsdienstes in einem öffentlichen Gebäude durch eine Gemeinde in ihrer Eigenschaft als Behörde“
I – Einleitung
1. Das Tribunal Superior de Justicia de Castilla-La Mancha (im Folgenden: vorlegendes Gericht) hat dem Gerichtshof gemäß Art. 234 EG(2) eine Frage zur Auslegung der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen(3) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2. Dieses Vorabentscheidungsersuchen geht auf einen Rechtsstreit zwischen Frau María Socorro Martin (im Folgenden: Klägerin des Ausgangsverfahrens), einer bislang für das Reinigungsunternehmen CLECE SA (im Folgenden: CLECE) tätigen Arbeitskraft, und dem Ayuntamiento de Cobisa (Gemeinde Cobisa) um Ansprüche aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis mit CLECE zurück. Mit ihrer Klage wehrt sie sich gegen ihre aus ihrer Sicht rechtswidrige Kündigung, wobei sie sich u. a. auf die Rechte beruft, die die Richtlinie 2001/23 Arbeitnehmern im Fall eines Betriebsübergangs gewährt.
3. Mit der Vorlagefrage wird der Gerichtshof im Wesentlichen um Aufschluss darüber gebeten, ob die Richtlinie 2001/23 einen Sachverhalt erfasst, in dem eine Gemeindeverwaltung, die zuvor ein Privatunternehmen mit der Reinigung ihrer Räumlichkeiten beauftragt hat und diesen Auftrag später kündigt, um den Reinigungsdienst selbst durchzuführen, wobei sie hierfür ausschließlich neues Personal einstellt. Rechtlich gesehen wird die Frage der Reichweite des Anwendungsbereichs dieses Unionsrechtsakts aufgeworfen, wobei der Gerichtshof sich in erster Linie damit wird auseinandersetzen müssen, ob die für einen Betriebsübergang notwendige Voraussetzung der Bewahrung einer wirtschaftlichen Einheit auch dann erfüllt ist, wenn weder Betriebsmittel übertragen noch irgendwelche Arbeitnehmer übernommen werden, der „Übergang“ als solcher vielmehr ausschließlich in einer Funktionsfortsetzung besteht.
II – Normativer Rahmen
A – Unionsrecht(4)
4. Die Richtlinie 2001/23 kodifiziert die Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen(5) in der durch die Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29. Juni 1998(6) geänderten Fassung.
5. Dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/23 zufolge „sind Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleisten“.
6. Der achte Erwägungsgrund dieser Richtlinie besagt Folgendes:
„Aus Gründen der Rechtssicherheit und Transparenz war es erforderlich, den juristischen Begriff des Übergangs unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu klären. Durch diese Klärung wurde der Anwendungsbereich der Richtlinie 77/187/EWG gemäß der Auslegung durch den Gerichtshof nicht geändert.“
7. In Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:
„a) Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.
b) Vorbehaltlich Buchstabe a) und der nachstehenden Bestimmungen dieses Artikels gilt als Übergang im Sinne dieser Richtlinie der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit.
c) Diese Richtlinie gilt für öffentliche und private Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht. Bei der Übertragung von Aufgaben im Zuge einer Umstrukturierung von Verwaltungsbehörden oder bei der Übertragung von Verwaltungsaufgaben von einer Behörde auf eine andere handelt es sich nicht um einen Übergang im Sinne dieser Richtlinie.“
8. Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie lautet wie folgt:
„Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.“
9. Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie besagt Folgendes:
„Der Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils stellt als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Grund zur Kündigung dar. Diese Bestimmung steht etwaigen Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung mit sich bringen, nicht entgegen.“
B – Nationales Recht
1. Gesetzgebung
10. Art. 44 der Ley del Estatuto de los Trabajadores vom 24. März 1995 (im Folgenden: Arbeitnehmerstatut), der der Umsetzung der Richtlinie 2001/23 dient, sieht in Abs. 1 Folgendes vor:
„Wechselt der Inhaber eines Unternehmens, eines Betriebs oder einer selbständigen Produktionseinheit, so führt dies nicht automatisch zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern der neue Unternehmer tritt in die arbeits- und sozialrechtlichen Rechte und Pflichten des früheren Unternehmers ein, einschließlich der Rentenverpflichtungen nach Maßgabe der insoweit geltenden besonderen Vorschriften sowie allgemein aller Verpflichtungen im Bereich des zusätzlichen sozialen Schutzes, die der Veräußerer eingegangen ist.“
11. Abs. 2 dieser Bestimmung sieht vor, dass „[f]ür die Zwecke der vorliegenden Bestimmung … als Übergang des Unternehmens … die Übertragung einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit gilt“; diese Definition entspricht Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2001/23.
2. Tarifvertrag
12. Art. 14 des Tarifvertrags für den Reinigungsdienst in den Gebäuden und Räumlichkeiten Toledos, veröffentlicht im Boletín Oficial de la Provincia de Toledo Nr. 269 vom 22. November 2005, sieht vor:
„Wenn ein Unternehmen, in dem der Reinigungsdienst durch ein beauftragtes Unternehmen verrichtet wurde, diesen Dienst selbst übernimmt, ist es nicht zur Übernahme des Personals verpflichtet, das vom beauftragten Unternehmen für die Leistungserbringung eingesetzt wurde, wenn der Reinigungsdienst nunmehr durch eigene Arbeitnehmer/innen des Unternehmens verrichtet wird; hingegen sind die betreffenden Arbeitnehmer/innen zu übernehmen, wenn für diesen Reinigungsdienst neues Personal eingestellt werden müsste.“
III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
13. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens war bei CLECE seit 25. März 2004 als Reinigungskraft beschäftigt. Sie erbrachte ihre Arbeitsleistung in den Räumlichkeiten des Ayuntamiento de Cobisa (Toledo), und zwar aufgrund des am 27. Mai 2003 zwischen den beiden Beklagten abgeschlossenen Vertrags über den Reinigungsdienst in den städtischen Schulen und Gebäuden. Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass für diese Arbeit keine besonderen Arbeitsgeräte verwendet wurden.
14. Nach einer Verlängerung des Vertrags erklärte der Ayuntamiento gegenüber der mitbeklagten CLECE am 9. November 2007 die Auflösung dieses Reinigungsdienstleistungsvertrags mit Wirkung zum 31. Dezember 2007. Am 2. Januar 2008 teilte dieses Unternehmen der Klägerin des Ausgangsverfahrens mit, dass sie ab dem 1. Januar 2008 zur Belegschaft des Ayuntamiento gehören werde, da dieser Körperschaft der Zuschlag für die Erbringung des Reinigungsdienstes in den Räumlichkeiten des Ayuntamiento erteilt worden sei. Diese Körperschaft solle nach Maßgabe des geltenden Tarifvertrags für den Reinigungsdienst in den Gebäuden und Räumlichkeiten Toledos in sämtliche Rechte und Pflichten eintreten, die bisher das Arbeitsverhältnis geregelt hätten.
15. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens erschien am 2. Januar 2008 an ihrem Arbeitsplatz in den Räumlichkeiten des Ayuntamiento, wo ihr jedoch die Aufnahme ihrer Arbeit untersagt wurde. CLECE stellte sie an keinem anderen Arbeitsplatz wieder ein. Dem Vorlagebeschluss ist ferner zu entnehmen, dass der mitbeklagte Ayuntamiento am 10. Januar 2008 für die Reinigung seiner Räumlichkeiten über eine am 21. Januar 2007 gegründete Arbeitskräftevermittlung fünf Arbeitnehmerinnen einstellte.
16. Über die Klage der Klägerin des Ausgangsverfahrens gegen CLECE und den Ayuntamiento de Cobisa wegen rechtswidriger Entlassung erging ein Urteil des Juzgado de lo Social N° 2 de Toledo, in dem entschieden wurde, dass Letzterem die Passivlegitimation fehle, während der Klage gegen die mitbeklagte CLECE stattgegeben, die Entlassung für rechtswidrig erklärt und CLECE dazu verurteilt wurde, nach ihrer Wahl die Klägerin des Ausgangsverfahrens entweder zu den vor ihrer Entlassung geltenden Bedingungen wieder einzustellen oder ihr eine Entschädigung in Höhe von 6 507,10 Euro zu zahlen sowie auf jeden Fall den während des Verfahrens entgangenen Lohn zu ersetzen.
17. Gegen dieses Urteil legte das genannte Unternehmen am 26. Dezember 2008 ein Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein. Mit diesem Rechtsmittel macht CLECE zusammengefasst geltend, der Ayuntamiento sei in das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin des Ausgangsverfahrens gemäß Art. 14 des Tarifvertrags für den Reinigungsdienst in den Gebäuden und Räumlichkeiten von Toledo in Verbindung mit Art. 44 des Arbeitnehmerstatuts und der von ihr zitierten Rechtsprechung eingetreten.
18. Das vorlegende Gericht äußert in seinem Beschluss Zweifel hinsichtlich der Anwendbarkeit der Richtlinie 2001/23 auf den Ausgangsfall. Es hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Wird der Fall, dass der Reinigungsdienst in den verschiedenen Räumlichkeiten einer Gemeindeverwaltung, der zuvor von einem beauftragten Unternehmen verrichtet wurde, von der Gemeinde wieder selbst durchzuführen ist oder von ihr übernommen wird und sie hierfür neues Personal einstellt, von dem in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b geregelten Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/23 erfasst?
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
19. Der Vorlagebeschluss mit Datum vom 20. Oktober 2009 ist am 25. November 2009 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.
20. Schriftliche Erklärungen haben die Regierung des Königreichs Spanien sowie die Kommission innerhalb der in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs genannten Frist eingereicht.
21. Da keiner der Beteiligten die Eröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt hat, konnten nach der Generalversammlung des Gerichtshofs am 31. August 2010 die Schlussanträge in dieser Rechtssache ausgearbeitet werden.
V – Wesentliche Argumente der Parteien
22. Die spanische Regierung ist der Auffassung, dass eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/23 fällt, obwohl die Fortführung bzw. die Übernahme der Reinigungstätigkeit streng genommen nicht dem Konzept eines Übergangs im handelsrechtlichen Sinne gleichgesetzt werden könne.
23. Im Ausgangsfall habe der Ayuntamiento nicht über das notwendige Personal verfügt, um den Reinigungsdienst in seinen Räumlichkeiten durchzuführen, und daher neues Personal einstellen müssen. In einem solchen Fall müsse die Rechtsprechung des Gerichtshofs Anwendung finden, zumal keine Zweifel darüber bestünden, dass eine Funktionsübertragung von CLECE auf den Ayuntamiento stattgefunden habe und derselbe Zweck verfolgt werde, nämlich die Erbringung von Reinigungsdiensten, dass der Ayuntamiento eine stabile und autonome Organisationsstruktur aufweise, obwohl seine Zwecke weiter gefasst seien als der bloße Reinigungsdienst und akzessorisch gegenüber den Hauptaufgaben einer Gemeindeverwaltung seien und schließlich die Zahl der Angestellten des Zedenten auf das eigene Personal beschränkt sei.
24. Die Kommission vertritt dagegen die Ansicht, dass die Richtlinie 2001/23 nicht auf eine Situation Anwendung finde, in der der Ayuntamiento, der die Reinigung seiner Räumlichkeiten ursprünglich einem Privatunternehmen übertragen habe, den Vertrag kündige und danach die Aufgabe der Reinigung selbst wahrnehme, wenn er nicht einen wesentlichen Teil der Arbeitnehmer in Bezug auf Anzahl und Kompetenzen übernehme, die das Privatunternehmen zwecks Durchführung des Vertrags zugeteilt habe.
25. Der Gerichtshof habe nämlich mehrfach erklärt, dass ein Übergang im Reinigungssektor stattfinden könne, wenn der neue Arbeitgeber nicht nur den Reinigungsdienst fortsetze, sondern einen Teil des Personals des Subunternehmers übernehme, sofern die Übernahme des Personals einen nach Zahl und Sachkunde erheblichen Teil des vom Subunternehmer für die Durchführung des untervergebenen Auftrags verwendeten Personals erfasse(7).
26. Die Kommission trägt vor, es gehe aus dem Vorlagebeschluss nicht genau hervor, ob die Klägerin des Ausgangsverfahrens die einzige von CLECE in den Räumlichkeiten des Ayuntamiento eingesetzte Arbeitskraft gewesen sei. Da Letzterer fünf Arbeitnehmerinnen angestellt habe, um die Tätigkeit fortzusetzen, die bislang vom Subunternehmer durchgeführt worden sei, sei es möglich, dass CLECE eine ähnliche Anzahl von Arbeitnehmern eingesetzt habe. Jedenfalls sei dem Vorlagebeschluss zu entnehmen, dass keiner der bisherigen Arbeitnehmer weiter eingesetzt worden sei und dass der Ayuntamiento stattdessen für die Reinigung seiner Räumlichkeiten über eine Arbeitskräftevermittlung fünf neue Arbeitnehmerinnen eingestellt habe. Vor diesem Hintergrund sei keine „wirtschaftliche Einheit“ übertragen worden, so dass kein „Übergang“ im Sinne der Richtlinie 2001/23 vorliege.
VI – Rechtliche Würdigung
A – Einleitende Bemerkungen
27. Mit der Richtlinie 77/187 – der Vorgängerrichtlinie der Richtlinie 2001/23 – ist zum ersten Mal auf supranationaler Ebene ein umfassendes Schutzkonzept zur Sicherung der Rechte der Arbeitnehmer entwickelt worden, deren Arbeitsverhältnisse von einem Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Betriebsteils betroffen werden. Die Richtlinie, die eine Teilharmonisierung des nationalen Individualarbeitsrechts bewirkt, sieht im Wesentlichen vor, dass die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis aufgrund des Übergangs auf den Erwerber übergehen müssen. Sie verfolgt somit das Ziel, so weit wie möglich den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber in unveränderter Form sicherzustellen, um zu verhindern, dass die von dem Unternehmensübergang betroffenen Arbeitnehmer allein aufgrund des Übergangs schlechter gestellt werden(8). Neben diesem sozialpolitisch motivierten Schutz der Arbeitnehmer fand die auf Art. 94 EG gestützte Richtlinie 77/187 ihre Zielsetzung darin, das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zu gewährleisten, da nach Einschätzung des Richtliniengebers sich ein unterschiedliches Arbeitnehmerschutzniveau bei Unternehmens- oder Betriebsübergängen innerhalb der Mitgliedstaaten als Handelshemmnis auswirken kann.
28. Die Richtlinie 77/187 ist oft vom Gerichtshof ausgelegt worden. Nicht zuletzt aufgrund der Vielfalt der Urteile des Gerichtshofs hat der Richtliniengeber sie durch die Richtlinie 98/50 erheblich novelliert und den Richtlinientext dieser Rechtsprechung angepasst. Aus Gründen der Klarheit wurde die Richtlinie 77/187 schließlich durch die Richtlinie 2001/23 ohne inhaltliche Änderungen neu kodifiziert. Gerade wegen dieses konstruktiven Zusammenwirkens von Unionsgesetzgeber und Gerichtshof bei der Gestaltung des Individualarbeitsrechts – im Rahmen ihrer jeweiligen verfassungsmäßigen Kompetenzen – erweist sich die bisherige Rechtsprechung zur Vorgängerrichtlinie als eine wertvolle Hilfe für den Rechtsanwender, um Sinn und Zweck der einzelnen Bestimmungen der Richtlinie 2001/23 zu erschließen. Dies gilt insbesondere für jene Bestimmungen, die den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie festlegen und um deren Auslegung es im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren geht.
B – Untersuchung der Vorlagefrage
1. Allgemeine Ausführungen
29. Die Vorlagefrage zielt darauf ab, vom Gerichtshof feststellen zu lassen, ob der Sachverhalt des Ausgangsfalls die Tatbestandsmerkmale des Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b erfüllt und damit vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/23 erfasst ist. Bei näherer Betrachtung begehrt das vorlegende Gericht mit seiner Frage letztlich jedoch nichts anderes als Aufschluss darüber, ob im Ausgangsfall ein „Betriebsübergang“ im Sinne der Richtlinie stattgefunden hat. Indes ist in Erinnerung zu rufen, dass es entsprechend dem Kooperationsverhältnis, das das Vorabentscheidungsverfahren kennzeichnet, grundsätzlich allein dem nationalen Richter obliegt, in Anwendung des Gemeinschaftsrechts sowie des nationalen Umsetzungsrechts zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Übergang im Einzelfall erfüllt sind. Sinngemäß hat der Gerichtshof deshalb in seiner Rechtsprechung(9) erklärt, dass das nationale Gericht bei dieser Prüfung sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen zu berücksichtigen und eine Gesamtbewertung aller Teilaspekte vorzunehmen hat.
30. In die Kompetenz des Gerichtshofs fällt wiederum, dem nationalen Richter im Wege der Auslegung alle relevanten Kriterien an die Hand zu geben, um ihm diese Beurteilung zu ermöglichen. Wie die bisherige Rechtsprechung zeigt, ist es dem Gerichtshof allerdings nicht verwehrt, um dem nationalen Richter eine sachdienliche, zur Beilegung des Ausgangsrechtsstreits führende Antwort zu geben, extensiven Gebrauch von seiner Auslegungskompetenz zu machen, indem er beispielsweise eine fallbezogene Auslegung ebensolcher Kriterien vornimmt und dabei auf einzelne Aspekte des ihm unterbreiteten Sachverhalts eingeht(10).
31. Nach diesen allgemeinen Ausführungen werde ich mich nunmehr der eigentlichen Frage des Vorabentscheidungsersuchens bezüglich der Anwendbarkeit der Richtlinie 2001/23 auf einen Sachverhalt wie den in der Vorlagefrage beschriebenen zuwenden.
2. Anwendbarkeit der Richtlinie 2001/23
32. Wie sich aus Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 ergibt, unterliegt ihre Anwendung drei Voraussetzungen: Der Übergang muss mit einem Wechsel des Arbeitgebers verbunden sein, er muss sich auf ein Unternehmen, einen Betrieb oder einen Betriebsteil beziehen, und er muss auf einem Vertrag beruhen(11).
a) Auf einem Vertrag beruhender Wechsel des Arbeitgebers
i) Eigenschaft als Hoheitsträger des Auftraggebers
33. Vorweg ist kurz jene Rechtsprechung des Gerichtshofs in Erinnerung zu rufen, der zufolge die Übertragung einer wirtschaftlichen Tätigkeit von einer juristischen Person des Privatrechts auf eine juristische Person des öffentlichen Rechts grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Richtlinie 77/187 fällt(12). Ein derartiger Schluss ist, wie der Gerichtshof unlängst im Urteil UGT‑FSP(13) vom 29. Juli 2010 bestätigt hat, auch unter der Geltung der Richtlinie 2001/23 zwingend.
34. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof die Richtlinie 77/187 auch dann für anwendbar erklärt hat, wenn eine Gemeinde, d. h. eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der spezifischen Normen des Verwaltungsrechts handelt, gewisse Aufgaben, die bisher im Interesse dieser Gemeinde von einem Verein ohne Erwerbszweck, einer juristischen Person des Privatrechts, ausgeübt wurden, selbst übernimmt, sofern die übertragene Einheit ihre Identität bewahrt(14). Folglich spricht der bloße Umstand, dass die Reinigungsleistungen, die von den Angestellten von CLECE bisher gegenüber dem Ayuntamiento – einem öffentlichen Hoheitsträger – erbracht wurden, von Letzterem übernommen worden sind, nicht gegen die Anwendbarkeit der Richtlinie 2001/23. Die spezifischen, in Art. 1 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie umschriebenen Umstände liegen im Ausgangsfall im Übrigen auch nicht vor.
ii) Übergang aufgrund der Kündigung des Vertrags über Reinigungsdienste
35. Was die Modalitäten eines Übergangs im Sinne der Richtlinie angeht, ist zunächst einmal festzustellen, dass der Gerichtshof den Begriff der „vertraglichen Übertragung“ in seiner Rechtsprechung weit auslegt, um dem Zweck der Richtlinie, nämlich dem Schutz der Arbeitnehmer bei einer Übertragung ihres Unternehmens, gerecht zu werden. Er hat demgemäß entschieden, dass die Richtlinie in allen Fällen anwendbar ist, in denen die für den Betrieb des Unternehmens verantwortliche oder die juristische Person, die die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten des Unternehmens eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt(15).
36. Folgerichtig hat der Gerichtshof ebenfalls entschieden, dass ein Fall, in dem ein Unternehmen durch Vertrag einem anderen Unternehmen die Verantwortung für die Durchführung der Reinigungsarbeiten überträgt, die es vorher unmittelbar ausgeführt hatte(16), und ein Fall, in dem ein Auftraggeber, der die Reinigung seiner Räumlichkeiten einem ersten Unternehmer anvertraut hatte, den Vertrag mit diesem Unternehmer kündigt und zur Durchführung ähnlicher Arbeiten einen neuen Vertrag mit einem zweiten Unternehmer schließt(17), unter die Richtlinie fallen.
37. Von größerer Bedeutung für die rechtliche Würdigung der vorliegenden Rechtssache ist jedoch das Urteil Hernández Vidal(18), das zahlreiche Parallelen zum Ausgangsfall aufweist und in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass die Richtlinie in dem Fall angewandt werden können muss, dass ein Unternehmen ein anderes Unternehmen mit der Reinigung seiner Räumlichkeiten oder eines Teils derselben beauftragt hat und beschließt, den Vertrag mit diesem Unternehmen zu kündigen und fortan selbst für die Durchführung dieser Arbeiten zu sorgen. Da genau diese Fallkonstellation im Ausgangsfall gegeben ist, lassen sich meines Erachtens die Schlussfolgerungen des Gerichtshofs im oben genannten Urteil ohne Weiteres übertragen. Demnach ist der Begriff der „vertraglichen Übertragung“, wie Generalanwalt Geelhoed im Übrigen in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Abler u. a.(19) zutreffend festgestellt hat, nicht etwa so zu verstehen, dass der Übergang ausschließlich „aufgrund“ eines Vertrags stattzufinden hat. Vielmehr erfolgt ein einseitiger Rechtsakt wie die Kündigung eines Vertrags über den Reinigungsdienst auch im Rahmen eines Vertrags und kann daher unter die Richtlinie fallen.
38. Die Kündigung des bisher bestehenden Vertrags mit CLECE durch den Ayuntamiento und die anschließende Übernahme der bisher von deren Arbeitnehmern erbrachten Reinigungsleistungen ist vor diesem Hintergrund ausreichend, um eine „vertragliche Übertragung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2001/23 anzunehmen. Da mithin ein auf einem Vertrag beruhender Wechsel des Arbeitgebers vorliegt, sind zwei der für die Annahme eines Betriebsübergangs notwendigen Voraussetzungen erfüllt.
b) Übertragung einer wirtschaftlichen Einheit
i) Begriff der wirtschaftlichen Einheit
39. Wie eingangs erwähnt, bezweckt die Richtlinie, die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel zu gewährleisten, so dass das entscheidende Kriterium für die Antwort auf die Frage, ob es sich um einen Übergang im Sinne dieser Richtlinie handelt, darin besteht, ob die fragliche Einheit ihre Identität bewahrt(20). Es muss somit um den Übergang einer auf Dauer angelegten wirtschaftlichen Einheit gehen, deren Tätigkeit nicht auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist(21). Der Begriff „Einheit“ bezieht sich gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung(22).
40. Diese Formulierung ist in Anlehnung an die vom Gerichtshof entwickelte Definition nachträglich und nahezu wörtlich durch die Richtlinie 98/50 in Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Betriebsübergangsrichtlinie eingefügt worden, allerdings ohne dass dadurch der Anwendungsbereich der Vorgängerrichtlinie 77/187 gemäß der Auslegung durch den Gerichtshof geändert worden wäre(23). Letzteres wird durch den achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/23 klargestellt. Nach der genannten Bestimmung muss der Übergang auf eine „wirtschaftlich[e] Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit“ bezogen sein, die nach dem Übergang ihre „Identität“ bewahrt.
ii) Allgemeine Kriterien zur Beurteilung der Existenz einer wirtschaftlichen Einheit
– Zu den Kriterien im Einzelnen
41. Bei der Prüfung, ob eine Einheit im Sinne der oben genannten Legaldefinition übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Der Gerichtshof greift dabei in ständiger Rechtsprechung auf einen Katalog von insgesamt sieben Beurteilungskriterien zurück. Zu den relevanten Kriterien gehören namentlich (1) die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, (2) der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, (3) der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, (4) die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, (5) der etwaige Übergang der Kundschaft sowie (6) der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und (7) die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeiten. Diese Umstände sind jedoch nur Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung und dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden(24).
42. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung ferner auf die Notwendigkeit hingewiesen, bei der Bewertung der maßgeblichen Tatsachen u. a. die Art des betroffenen Unternehmens oder Betriebs zu berücksichtigen. Nach Auffassung des Gerichtshofs kommt den für das Vorliegen eines Übergangs im Sinne der Richtlinie maßgeblichen Kriterien notwendigerweise je nach der ausgeübten Tätigkeit und selbst nach den Produktions- oder Betriebsmethoden, die in dem betreffenden Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil eingesetzt werden, unterschiedliches Gewicht zu. Da eine wirtschaftliche Einheit insoweit in bestimmten Branchen ohne relevante materielle oder immaterielle Betriebsmittel tätig sein kann, kann die Wahrung der Identität einer solchen Einheit über ihren Übergang hinaus nicht von der Übertragung von Betriebsmitteln abhängen(25).
43. Letzteres trifft in besonderem Maße auf bestimmte Wirtschaftszweige wie das Reinigungsgewerbe zu, in denen materielle und immaterielle Betriebsmittel, wie der Gerichtshof im Urteil Hernández Vidal u. a.(26) festgestellt hat, oft nur in ihrer einfachsten Form in Erscheinung treten, und es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt(27). Deshalb hat der Gerichtshof darin in Bezug auf ein Reinigungsunternehmen auch entschieden, dass eine organisierte Gesamtheit von Arbeitnehmern, denen eigens und auf Dauer eine gemeinsame Aufgabe zugewiesen ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen kann, ohne dass weitere Betriebsmittel vorhanden sind.
44. Der Gerichtshof hat in jenem Urteil seine Rechtsprechung in einer einzigen, dennoch durch ihre Klarheit und Einfachheit bestechenden Formel zusammengefasst. Danach muss eine wirtschaftliche Einheit „zwar hinreichend strukturiert und selbständig sein, aber nicht notwendigerweise bedeutsame materielle oder immaterielle Betriebsmittel umfassen“(28). Aus diesem Satz lassen sich folgende für die rechtliche Untersuchung der vorliegenden Rechtssache wesentliche Schlussfolgerungen ziehen: Zwar können – in Abhängigkeit vom jeweiligen Wirtschaftszweig – Einschränkungen an das Erfordernis des Bestehens materieller sowie immaterieller Betriebsmittel hingenommen werden, unberührt bleiben aber die zwingenden Erfordernisse der „Strukturiertheit“ und der „Selbständigkeit“ der betreffenden Einheit(29).
45. Der Gerichtshof geht somit selbst davon aus, dass die von ihm aufgestellten, oben genannten sieben Kriterien für einen Betriebsübergang keineswegs kumulativ vorliegen müssen. Vielmehr ist stets den jeweiligen Eigenheiten des konkreten Betriebs und des betroffenen Wirtschaftszweigs Rechnung zu tragen. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden nur auf diejenigen Kriterien vertieft eingegangen, die in diesem Vorlageverfahren in Betracht kommen und deren Vorliegen im Einzelnen problematisch erscheint.
46. Es gilt nunmehr, diese Kriterien auf den Ausgangsfall anzuwenden.
47. Dabei muss die vor der Übertragung bestehende organisatorische Einheit als solche auch nach dem Übergang im Wesentlichen unverändert fortbestehen. Entscheidend ist also zunächst, ob vor der Übertragung überhaupt eine selbständige ökonomische Einheit bestand. Gegenstand der Betrachtung muss im Ausgangsfall also allein die Gruppe der von CLECE beim Ayuntamiento eingesetzten Reinigungskräfte sein. Vor diesem Hintergrund ist es, entgegen der Auffassung der spanischen Regierung(30), völlig irrelevant, ob der Ayuntamiento als Gemeindeverwaltung den Anforderungen an eine selbständig organisierte Einheit genügt.
– Kein Übergang von materiellen sowie immateriellen Betriebsmitteln
Materielle Betriebsmittel
48. Was konkret den hier zu beurteilenden Ausgangsfall anbelangt, so ist den Akten zu entnehmen, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens offenbar als Teil einer Belegschaft bestehend aus etwa vier Reinigungskräften(31) im Auftrag des Ayuntamiento gearbeitet hat, wobei anzumerken ist, dass, den Angaben des vorlegenden Gerichts zufolge, für diese Arbeit keine besonderen Arbeitsgeräte verwendet wurden. Letzteres lässt darauf schließen, dass diese Angestellten bei der Verrichtung ihrer Tätigkeit in erster Linie auf ihre menschliche Arbeitskraft angewiesen waren und deshalb eine eventuelle Überlassung von materiellen Betriebsmitteln, etwa Betriebsanlagen, Maschinen oder einer Reinigungsausrüstung(32), an den Ayuntamiento im Anschluss an die Kündigung des Vertrags über Reinigungsdienste nicht stattgefunden hat.
Immaterielle Betriebsmittel
49. Zur Beurteilung der Frage, ob eine wirtschaftliche Einheit im Sinne der Richtlinie übertragen worden ist, sind neben den materiellen Betriebsmitteln auch etwaige vom ursprünglichen Arbeitgeber zur Verfügung gestellte immaterielle Betriebsmittel für die Ausübung der Tätigkeit von Bedeutung.
50. Aus der Rechtsprechung geht hervor, dass bestimmte Aspekte zu berücksichtigen sind, wie die Identität des Personals, der Führungskräfte, der Arbeitsorganisation und der Betriebsmethoden, die nach Auffassung des Gerichtshofs den Charakter eines Betriebs bzw. Betriebsteils als wirtschaftliche Einheit ausmachen(33). Was die ersten drei Aspekte angeht, die allesamt die innere Organisation eines Unternehmens betreffen, ist bereits festzustellen, dass nichts darauf hinweist, dass die Belegschaft, bestehend aus lediglich vier Arbeitnehmern, der die Klägerin des Ausgangsverfahrens angehörte, Führungskräfte, geschweige denn eine gewisse Organisationsstruktur aufwies.
51. Wie dem Urteil Klarenberg(34) zu entnehmen ist, verlangt der Gerichtshof nämlich ein bestimmtes Mindestmaß innerer Organisation eines Unternehmens, und zwar dergestalt, dass zwischen den einzelnen Produktionsfaktoren eine Wechselbeziehung und eine gegenseitige Ergänzung bestehen muss, die sie verknüpfen und dazu führen, dass sie bei der Ausübung einer bestimmten wirtschaftlichen Tätigkeit ineinandergreifen(35).
52. Das vorlegende Gericht weist jedenfalls darauf hin, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens ihre Reinigungstätigkeit in städtischen Schulen und Gebäuden der Gemeindeverwaltung verrichtet habe. Es ist somit anzunehmen, dass jeder Arbeitnehmer im Wesentlichen unabhängig von den anderen arbeitete, wobei er bestimmte Räumlichkeiten zugeteilt bekam, die er innerhalb einer genau festgelegten Zeit reinigen musste. Damit ist es zweifelhaft, ob die vom Gerichtshof aufgestellten Erfordernisse der „Strukturiertheit“ und der „Selbständigkeit“ der betreffenden Einheit(36) im Ausgangsfall erfüllt sind, sofern die Tätigkeit der Klägerin des Ausgangsverfahrens und der anderen Arbeitnehmer im Wesentlichen identisch und ein Zusammenwirken untereinander im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft – was als Anhaltspunkt für das Bestehen einer komplexen Organisationsstruktur dienen könnte – nicht gegeben sein sollte.
53. Andererseits darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Planung und Organisation sowie auch Sachverstand und Kenntnis in Reinigungstätigkeiten in der Regel eine weitaus geringere Rolle spielen als in anderen beruflichen Tätigkeiten(37). Nicht zuletzt aus diesem Grund setzen Reinigungsunternehmen nicht selten auch ungelernte Arbeitskräfte ein. Diese Schlussfolgerung trifft zugegebenermaßen nicht auf jene spezialisierten Reinigungsdienste zu, die über eine besondere Ausstattung sowie besondere Arbeitsmethoden verfügen. Wichtige immaterielle Betriebsmittel für einen spezialisierten Reinigungsdienst wären beispielsweise die Organisation des Arbeitsablaufs, Kalkulationen, die Kenntnis bestimmter Reinigungsverfahren, Arbeitsmethoden, erworbene Fertigkeiten im Umgang mit gesundheitsschädlichen oder gar lebensgefährlichen Substanzen, um nur einige zu nennen.
54. In Ermangelung gegenteiliger Hinweise aus den Akten ist davon auszugehen, dass keine der genannten Arten von immateriellen Betriebsmitteln auf den Ayuntamiento übergegangen ist. Davon abgesehen weist nichts darauf hin, dass die Belegschaft, der die Klägerin des Ausgangsverfahrens angehörte, als ein spezialisierter Reinigungsdienst im oben gemeinten Sinne eingestuft werden könnte. Vor diesem Hintergrund ist eher anzunehmen, dass für die Ausübung dieser Tätigkeit keine besonderen Fertigkeiten oder Arbeitsmethoden notwendig waren. Es fehlt insofern ebenfalls an einer Übernahme von immateriellen Betriebsmitteln.
– Abgrenzung zur Funktionsnachfolge
55. In Anbetracht einer fehlenden Übertragung materieller und immaterieller Betriebsmittel wäre das Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit im Ausgangsfall bereits in diesem Stadium der Prüfung grundsätzlich zu verneinen. Insofern der Ayuntamiento lediglich die Aufgabe der Reinigung fortgesetzt hat, ohne jedoch die Arbeitnehmer, die bislang diese Tätigkeit verrichtet hatten, zu übernehmen, könnte man im Ausgangsfall im Prinzip von einer bloßen „Funktionsnachfolge“ ausgehen, die gemäß der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs grundsätzlich nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/23 erfasst ist(38).
56. Wie der Gerichtshof zutreffend erkannt hat, ist die Reichweite des Begriffs des Unternehmensübergangs nicht unbegrenzt(39). Die äußerste Grenze dieser weiten Auslegung hat der Gerichtshof im Urteil Süzen(40) festgelegt, indem er klargestellt hat, dass allein der Umstand, dass die von dem alten und dem neuen Auftragnehmer erbrachten Dienstleistungen ähnlich sind, nicht den Schluss erlaubt, dass der Übergang einer wirtschaftlichen Einheit vorliegt. Nach Auffassung des Gerichtshofs darf eine Einheit nämlich nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden.
57. Diese Rechtsprechung ist im Urteil in der Rechtssache Hernández Vidal u. a. bestätigt worden, die, wie bereits erwähnt, zahlreiche Parallelen zur vorliegenden Rechtssache aufweist. Der Sachverhalt war insofern ähnlich gelagert, als es darin – wie im Ausgangsfall – um die Frage ging, ob ein Unternehmen, das einen zwischen ihm und einem Reinigungsunternehmen bestehenden Reinigungsvertrag gekündigt hatte, um künftig für die Reinigung seiner Räumlichkeiten selbst zu sorgen, aufgrund der Betriebsübergangsrichtlinie rechtlich verpflichtet war, die Angestellten des Reinigungsunternehmens weiterzubeschäftigen. In jenem Urteil hat der Gerichtshof folgende Feststellung getroffen:
„Der bloße Umstand, dass die vom Reinigungsunternehmen und danach von dem Unternehmen, dem die Räumlichkeiten gehören, selbst ausgeführten Reinigungsarbeiten einander ähnlich sind, lässt nicht auf den Übergang einer wirtschaftlichen Einheit vom ersten auf das zweite Unternehmen schließen. Eine Einheit darf nämlich nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden.“(41)
58. Angesichts der deutlichen Ähnlichkeit der Sachverhaltselemente erscheint mir diese Rechtsprechung auf die vorliegende Rechtssache übertragbar. Die Fortsetzung der Reinigungsarbeiten ist für sich allein kein bestimmender Faktor, der auf den Übergang einer wirtschaftlichen Einheit schließen lässt, sondern, im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, lediglich eines von mehreren Indizien.
– Das Kriterium der Übernahme eines wesentlichen Teils der Belegschaft
Zur Rechtsprechung des Gerichtshofs
59. Eine Funktionsnachfolge könnte meines Erachtens allenfalls verneint werden, sofern das nationale Gericht im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbewertung der Umstände des Ausgangsfalls zu dem Ergebnis kommen sollte, dass vorliegend andere Kriterien erfüllt sind, die entscheidend für das Bestehen einer wirtschaftlichen Einheit sprechen.
60. Dagegen könnte in diesem Zusammenhang aber bereits sprechen, dass offenbar keiner der bislang vier bis fünf für CLECE tätigen Arbeitnehmer – darunter auch die Klägerin des Ausgangsverfahrens – weiterbeschäftigt worden ist. Der Umstand der Weiterbeschäftigung ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nämlich ein wichtiges Indiz für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit. Der Gerichtshof hat seit dem Urteil Süzen(42) die Auffassung vertreten, dass „soweit in bestimmten Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine wirtschaftliche Einheit darstellt, eine solche Einheit ihre Identität über ihren Übergang hinaus bewahren [kann], wenn der neue Unternehmensinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte“. Er begründet seine Rechtsauffassung damit, dass „in diesem Fall der neue Unternehmensinhaber eine organisierte Gesamtheit von Faktoren [erwirbt], die ihm die Fortsetzung der Tätigkeiten oder bestimmter Tätigkeiten des übertragenden Unternehmens auf Dauer erlaubt“.
61. Obwohl diese Rechtsprechung ebenso wie auch die Prüfung der anderen zuvor genannten Kriterien im Ausgangsfall zur Verneinung des Übergangs einer wirtschaftlichen Einheit im Sinne der Richtlinie 2001/23 führt, möchte ich im Folgenden kurz zu den Ausführungen des Gerichtshofs in den oben erwähnten Urteilen Stellung nehmen. Im Interesse einer Präzisierung dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs betreffen meine Darlegungen im Wesentlichen die Frage, inwieweit das Kriterium der Übernahme eines wesentlichen Teils des Personals überhaupt verlässliche Rückschlüsse darauf zulässt, dass ein Betriebsübergang vorliegt.
Nachteile eines solchen Kriteriums
62. Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, dass es sich bei der Übernahme eines „wesentlichen Teils der Belegschaft“ im Grunde genommen um die entscheidende Rechtsfolge der Richtlinie 2001/23 bzw. – präziser formuliert – der ihrer Umsetzung dienenden nationalen Rechtsakte handelt. Denn auf diese Weise soll gerade die vom Unionsgesetzgeber angestrebte Kontinuität der bestehenden Arbeitsverhältnisse bei Betriebsübernahmen sichergestellt werden(43). Der Umstand, dass der Gerichtshof diese Rechtsfolge zugleich auch zum Tatbestandsmerkmal des Betriebsübergangs zu erheben scheint, wirkt daher auf den ersten Blick methodisch zweifelhaft. Ein und dasselbe Element kann in regelungstechnischer Hinsicht nämlich nicht zugleich Tatbestandsmerkmal und Rechtsfolge der Richtlinie 2001/23 sein, ohne dass es – wie bereits von Generalanwalt Cosmas in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Hernández Vidal u. a. beanstandet(44) – zu unlogischen Ergebnissen kommt. Denn dass ein wesentlicher Teil der Belegschaft infolge eines Betriebsübergans nur dann übernommen wird, wenn zuvor schon ein wesentlicher Teil der Belegschaft übernommen worden ist, grenzt in der Tat an einen Zirkelschluss(45) und dürfte darüber hinaus auch kaum der Intention des Richtliniengebers entsprechen.
63. Die oben dargestellte Lesart der Rechtsprechung des Gerichtshofs birgt zudem die von Generalanwalt Geelhoed in seinen Schlussanträgen Abler u. a.(46) zu Recht beklagte Gefahr einer „Inkongruenz zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung“ und lädt zum Missbrauch ein. Denn soweit diese Rechtsprechungslinie dahin gehend verstanden wird, dass es u. a. entscheidend auf die Übernahme eines „wesentlichen Teils einer Belegschaft“ ankommt, wird die Anwendbarkeit der Richtlinie letztlich faktisch in das alleinige Ermessen des neuen Arbeitgebers gestellt. Dieser kann die unionsrechtlichen Regelungen zum Betriebsübergang nämlich gerade in arbeitsintensiven Branchen dadurch umgehen, dass er die Belegschaft des alten Arbeitgebers schlicht nicht übernimmt. Es liegt auf der Hand, dass dies dem Willen des Unionsgesetzgebers zuwiderläuft, die Arbeitnehmer in dem Fall zu schützen, dass der Eigentümer des Unternehmens wechselt und darüber hinaus sogar sinnwidrige Anreize für den übernehmenden Arbeitgeber setzt, sich auf diese Weise möglichst vieler – wenn nicht sogar aller – Arbeitnehmer zu entledigen(47).
64. Meines Erachtens trägt die oben dargestellte Sichtweise den Aussagen des Gerichtshofs zu diesem Kriterium indes nicht hinreichend Rechnung und folgt letztlich aus einer verkürzten Betrachtung dieser Rechtsprechung. Denn bereits aus dem Wortlaut der entscheidenden Passagen der einschlägigen Urteile geht hervor, dass der Gerichtshof gerade nur die Übernahme des nach „Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil(s) des Personals“ für ausschlaggebend erachtet. Hieraus folgt, dass es nicht um bloß numerische Größen, sondern vielmehr auch und gerade um qualitative und insbesondere organisatorische Faktoren geht. Hierauf werde ich sogleich im Rahmen eines Versuchs der sachgerechten Auslegung der Rechtsprechung noch vertieft eingehen.
65. Zuvor ist indes der Hinweis angebracht, dass nach der Richtlinie 2001/23 ein Arbeitgeber keineswegs stets um jeden Preis verpflichtet wird, sämtliche Arbeitnehmer zu übernehmen(48). Vielmehr trägt die Richtlinie durch ihr ausdifferenziertes Regelungssystem auch dem in der Unionsrechtsordnung tragenden Grundsatz der Privatautonomie Rechnung. Dieser Umstand muss auch bei der Auslegung dieses Sekundärrechtsakts stets als Leitlinie und äußere Grenze beachtet werden. Denn gerade eine zu weit gefasste Interpretation des Begriffs der „wirtschaftlichen Einheit“, etwa durch ein ausschließliches Abstellen auf die Anzahl der konkret im Ausgangsfall übernommenen Arbeitnehmer, kann zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der Privatautonomie des Arbeitgebers führen, wenn dieser daran gehindert wird, seine Vertragsverhältnisse im Einklang mit seinen berechtigten Interessen zu gestalten. In diesem Zusammenhang ist auch die Kritik von Generalanwalt Geelhoed(49) zu sehen, der überzeugend dargelegt hat, dass eine unbedingte Verpflichtung des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung des bisherigen Personals den Grundsätzen des freien Wettbewerbs insbesondere in Branchen zuwiderlaufen würde, in denen die Qualität der Arbeitnehmer einen wichtigen Faktor für die Qualität der Dienstleistung darstellt. Würde beispielsweise der neue Arbeitgeber für eine bestimmte Tätigkeit gern teilweise neues Personal verpflichten, weil die Leistungen des bisherigen Personals zu wünschen übrig lassen, so würde eine zu weite Auslegung des Begriffs der „wirtschaftlichen Einheit“ den neuen Arbeitgeber unter Umständen daran hindern, bessere Arbeitnehmer einzustellen und statt dessen zu einer ökonomisch wenig sinnvollen Privilegierung weniger guter Arbeitnehmer führen.
66. Als Zwischenergebnis ist bereits an dieser Stelle festzuhalten, dass angesichts der vorstehenden Ausführungen jedenfalls in Konstellationen wie der vorliegenden Rechtssache das Kriterium der Übernahme der Belegschaft nicht den bestimmenden Faktor bilden kann. Vielmehr ist zunächst ein Versuch der sachgerechten Interpretation dieses Kriteriums zu unternehmen, um es sodann im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung angemessen berücksichtigen zu können.
Versuch einer sachgerechten Interpretation der Rechtsprechung
67. Sollte der Gerichtshof dieses Kriterium als weiterhin relevant ansehen, wäre es im Interesse der Rechtssicherheit ratsam, eine Präzisierung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Kriterium der Übernahme eines „wesentlichen Teils einer Belegschaft“ vorzunehmen. Sinn und Zweck der Betriebsübergangsrichtlinie bilden hierbei den Ausgangspunkt der Überlegungen.
68. Eine Untersuchung der Richtlinie 2001/23 sowie der hinter ihr stehenden gesetzgeberischen Erwägungen offenbart, dass die Weiternutzung einer vom Vorgänger geschaffenen Betriebsorganisation und des darin liegenden Vorteils gegenüber der Errichtung eines eigenen Betriebs oder Betriebsteils den Kern und die Legitimationsgrundlage für den Zwangseintritt des Erwerbers der Betriebsmittel in alle bestehenden Arbeitsverhältnisse ausmacht(50). Nach der Logik hinter dieser Regelung kann dem neuen Inhaber – wenn er von den wirtschaftlich wesentlichen Werten eines Betriebs, die der alte Inhaber gehabt hat, profitiert – auch zugemutet werden, dass er auch die damit arbeitenden Menschen beschäftigt. Der Schutz der Arbeitnehmer wird wiederum dadurch gewährleistet, dass sie nicht durch Betriebsübergangsstrategien von der Grundlage ihrer Arbeit, nämlich diesen wirtschaftlichen Werten, getrennt werden(51).
69. Die Rechtsprechung belegt, dass auch der Gerichtshof von diesem Verständnis der Richtlinie ausgeht, beispielsweise wenn er die Annahme eines Betriebsübergangs an die Bedingung knüpft, dass der Erwerber eine funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Faktoren erhält, die es ihm ermöglicht, einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen(52).
70. Die Übertragung eines wesentlichen Teils einer Belegschaft im Sinne der oben genannten Rechtsprechung sagt für sich allein wenig darüber aus, ob ein solcher Vorteil für den Erwerber besteht. Die Vorteilhaftigkeit einer Übertragung des Personals wird sich in der Regel eher an der Qualität, d. h. an dessen Sachkunde und Erfahrung messen lassen. Nicht zuletzt deshalb spricht der Gerichtshof davon, dass eine wirtschaftliche Einheit ihre Identität über ihren Übergang hinaus bewahrt, wenn der neue Unternehmensinhaber einen „nach Zahl und Sachkunde“ wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte. Das Kriterium der „Zahl“ der übernommenen Arbeitnehmer erhält eine eigene Bedeutung infolge der Verbindung mit dem Kriterium der „Sachkunde“ durch die Konjunktion „und“. Beide Kriterien weisen insofern eine enge kontextuelle Verbindung auf, als die Anzahl der vorhandenen Arbeitnehmer mittelbar Aufschluss über den Grad an Organisation geben kann. Organisation ist wiederum erst dann erforderlich, wenn Bedarf an Arbeitsteilung entsteht, was seinerseits fachliche Spezialisierung und somit Sachkunde verlangt. Letzteres wird durch den Zusatz betreffend den zielgerichteten Einsatz dieses Personals für eine bestimmte Tätigkeit („gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte“) angedeutet. Das Abstellen auf die Anzahl der übernommenen Arbeitnehmer stellt allem Anschein nach die Folge einer rein äußerlichen Betrachtung dar.
71. Der Übernahme von Arbeitnehmern kann allenfalls insofern Indizwirkung beigemessen werden, als bestimmte Arbeitnehmer etwa mit ihrem Know-how immaterielle Betriebsmittel verkörpern(53). Der Schluss auf vorhandene Sachkunde aus der bloßen Anzahl der vorhandenen bzw. übertragenen Arbeitnehmer ist jedoch nicht zwingend, so dass das Kriterium der Übertragung eines wesentlichen Teils einer Belegschaft jedenfalls nicht als allein ausschlaggebend angesehen werden sollte, um beurteilen zu können, ob ein Betriebsübergang tatsächlich stattgefunden hat(54).
72. Wendet man diese Rechtsprechung nach obigem Verständnis, d. h. im Zusammenhang mit dem Faktor der „Sachkunde“ dennoch an, so lässt sich das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit im Ausgangsfall jedenfalls nicht bejahen, zumal erstens keiner der bisher beschäftigten Arbeitnehmer übernommen worden ist und zweitens keine Anhaltspunkte für eine besondere Sachkunde der Belegschaft in Gestalt von etwaigen besonderen Fertigkeiten oder Arbeitsmethoden(55) vorliegen.
73. Nach alledem besteht im Ausgangsfall weder nach einer unmittelbaren Anwendung noch nach der hier vertretenen, an Sinn und Zweck der Richtlinie 2001/23 orientierten Interpretation dieser Rechtsprechung eine „wirtschaftliche Einheit“ im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Buchst. b, die Gegenstand eines Betriebsübergangs hätte werden können.
iii) Zwischenergebnis
74. Insbesondere lassen sich keine für die Ausübung der Reinigungstätigkeit notwendigen materiellen sowie immateriellen Betriebsmittel feststellen, die Aufschluss über das Bestehen einer solchen Einheit hätten geben können. Demnach ist die dritte Voraussetzung für eine Anwendbarkeit der Richtlinie 2001/23 auf den Ausgangsfall nicht erfüllt.
c) Rechtliche Bedeutung des Erfordernisses der Einstellung neuen Personals
75. Diese Bewertung ändert sich auch nicht mit Blick auf den letzten Teilaspekt der Vorlagefrage. Das vorlegende Gericht bezog in seiner Frage nach der Anwendbarkeit der Richtlinie 2001/23 ausdrücklich den Umstand mit ein, dass der Ayuntamiento erst neue Arbeitnehmer einstellen musste, um die Reinigungsarbeiten künftig selbst durchführen zu können. Dem etwaigen Bedarf des Unternehmens an Neueinstellungen wird jedoch weder in der Richtlinie 2001/23 noch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs Bedeutung beigemessen. Für sich genommen vermag dieser Umstand daher die Annahme eines Betriebsübergangs im Sinne der Richtlinie nicht zu rechtfertigen. Darüber hinaus erlaubt die Tatsache allein, dass neue Arbeitnehmer verpflichtet werden müssen, aber auch keine zuverlässigen Rückschlüsse auf das Vorliegen der anderen vom Gerichtshof entwickelten und oben bereits eingehend untersuchten Kriterien. Denn der Bedarf an Neueinstellungen kann ebenso gut auf eine bloße Funktionsnachfolge hindeuten. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier – gerade kein einziger Arbeitnehmer übernommen wird und vielmehr ausschließlich neue Arbeitskräfte über eine Arbeitnehmerbörse für funktional gleiche Tätigkeiten angeworben werden. Gerade vor diesem Hintergrund bezeichnet die spanische Regierung den streitgegenständlichen Vorgang daher auch völlig zu Recht als „transferencia de funciones“ (Funktionsübergang) zwischen CLECE und dem Ayuntamiento(56).
76. Das von dem vorlegenden Gericht genannte Erfordernis der Einstellung neuer Arbeitskräfte stellt lediglich ein Tatbestandsmerkmal einer nationalen Norm des spanischen Rechts, namentlich des Art. 14 des Tarifvertrags, dar. In diesem Zusammenhang ist in Erinnerung zu rufen, dass es gemäß Art. 8 der Richtlinie 2001/23 sowie nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs dem nationalen Gesetzgeber unbenommen bleibt, über die Anforderungen in der Richtlinie 2001/23 hinausgehende innerstaatliche Vorschriften zu erlassen, die den Arbeitnehmer in Fällen wie dem vorliegenden umfassender schützen(57). Dies ist Ausdruck der mit dieser Richtlinie angestrebten Teilharmonisierung, die insoweit kein für die gesamte Europäische Union aufgrund gemeinsamer Kriterien einheitliches Schutzniveau schaffen, sondern den Schutz, der den Arbeitnehmern durch die Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten selbst bereits gewährt wird, auch auf den Fall des Unternehmensübergangs ausdehnen will(58).
77. Von dieser Möglichkeit hat der spanische Gesetzgeber mit Art. 14 des Tarifvertrags Gebrauch gemacht. Nach dieser Vorschrift muss ein Unternehmen, das Reinigungsarbeiten selbst vornimmt, nachdem es diese Arbeiten zuvor durch ein anderes Unternehmen hat ausführen lassen, die Arbeitnehmer des zuletzt genannten Unternehmens jedenfalls dann übernehmen, wenn es für den Reinigungsdienst neues Personal einstellen müsste. Ob und inwieweit Art. 14 des Tarifvertrags auf den vorliegenden Fall anwendbar ist, haben indes ausschließlich die nationalen Gerichte zu entscheiden, da diese Regelung über die Vorgaben der Richtlinie 2001/23 hinausgeht und unionsrechtlich nicht vorgezeichnet ist.
78. Obwohl Art. 14 des Tarifvertrags für die Beantwortung der hier zu beantwortenden Vorlagefrage somit ohne jede Bedeutung ist, sei dennoch ergänzend darauf hingewiesen, dass das vorlegende Gericht in seinem Vorlagebeschluss ausdrücklich die Anwendbarkeit des Art. 14 des Tarifvertrags auf den vorliegenden Fall unter Verweis auf das Urteil des spanischen Tribunal Supremo vom 10. Dezember 2008 verneint hat(59). An diese Feststellung des nationalen Gerichts, die insoweit allein das innerstaatliche Recht betrifft, ist der Gerichtshof gebunden.
d) Schlussfolgerung
79. Nach alledem komme ich zu der Schlussfolgerung, dass die Richtlinie 2001/23 auf eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens keine Anwendung findet.
VII – Ergebnis
80. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Tribunal Superior de Justicia de Castilla-La Mancha gestellte Vorlagefrage wie folgt zu antworten:
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist dahin gehend auszulegen, dass die Richtlinie eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens, in der eine Gemeindeverwaltung, die zuvor ein Privatunternehmen mit der Reinigung ihrer Räumlichkeiten beauftragt hat und diesen Auftrag später kündigt, um den Reinigungsdienst selbst durchzuführen, nicht erfasst, wenn die Gemeindeverwaltung nicht einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, den auch das Privatunternehmen bei dieser Tätigkeit zuvor eingesetzt hat.