Language of document : ECLI:EU:C:2011:781

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

25. November 2011(*)

„Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung – Humanarzneimittel – Ergänzendes Schutzzertifikat – Verordnung (EG) Nr. 469/2009 – Art. 3 und 4 – Bedingungen für die Erteilung des Zertifikats – Begriff ‚durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschütztes Erzeugnis‘ – Kriterien – Bestehen zusätzlicher oder anderer Kriterien für ein Medikament, das mehr als einen Wirkstoff enthält“

In der Rechtssache C‑6/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Patents Court) (Vereinigtes Königreich), mit Entscheidung vom 8. Dezember 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Januar 2011, in dem Verfahren

Daiichi Sankyo Company

gegen

Comptroller General of Patents, Designs and Trade Marks

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot sowie der Richterin A. Prechal, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: A. Calot Escobar,

gemäß Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung, wonach der Gerichtshof durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden kann,

nach Anhörung der Generalanwältin

folgenden

Beschluss

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (ABl. L 152, S. 1).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Daiichi Sankyo Company (im Folgenden: Daiichi Sankyo) und dem Comptroller General of Patents, Designs and Trade Marks (im Folgenden: Patent Office) über die Zurückweisung der von Daiichi Sankyo eingereichten Anmeldung eines ergänzenden Schutzzertifikats (im Folgenden auch: ESZ).

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Die Erwägungsgründe 1 und 4 bis 10 der Verordnung Nr. 469/2009 lauten:

„(1)      Die Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel [ABl. L 182, S. 1] wurde mehrfach und erheblich geändert … Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Klarheit empfiehlt es sich, die genannte Verordnung zu kodifizieren.

(4)      Derzeit wird durch den Zeitraum zwischen der Einreichung einer Patentanmeldung für ein neues Arzneimittel und der Genehmigung für das Inverkehrbringen desselben Arzneimittels der tatsächliche Patentschutz auf eine Laufzeit verringert, die für die Amortisierung der in der Forschung vorgenommenen Investitionen unzureichend ist.

(5)      Diese Tatsache führt zu einem unzureichenden Schutz, der nachteilige Auswirkungen auf die pharmazeutische Forschung hat.

(6)      Es besteht die Gefahr, dass die in den Mitgliedstaaten gelegenen Forschungszentren nach Ländern verlagert werden, die einen größeren Schutz bieten.

(7)      Auf Gemeinschaftsebene sollte eine einheitliche Lösung gefunden werden, um auf diese Weise einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen, die neue Unterschiede zur Folge hätte, welche geeignet wären, den freien Verkehr von Arzneimitteln innerhalb der Gemeinschaft zu behindern und dadurch das Funktionieren des Binnenmarktes unmittelbar zu beeinträchtigen.

(8)      Es ist deshalb notwendig, ein [ESZ] für Arzneimittel, deren Vermarktung genehmigt ist, vorzusehen, das der Inhaber eines nationalen oder europäischen Patents unter denselben Voraussetzungen in jedem Mitgliedstaat erhalten kann. Die Verordnung ist deshalb die geeignetste Rechtsform.

(9)      Die Dauer des durch das Zertifikat gewährten Schutzes sollte so festgelegt werden, dass dadurch ein ausreichender tatsächlicher Schutz erreicht wird. Hierzu müssen demjenigen, der gleichzeitig Inhaber eines Patents und eines Zertifikats ist, insgesamt höchstens fünfzehn Jahre Ausschließlichkeit ab der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels in der Gemeinschaft eingeräumt werden.

(10)      In einem so komplexen und empfindlichen Bereich wie dem pharmazeutischen Sektor sollten jedoch alle auf dem Spiel stehenden Interessen einschließlich der Volksgesundheit berücksichtigt werden. Deshalb kann das Zertifikat nicht für mehr als fünf Jahre erteilt werden. Der von ihm gewährte Schutz sollte im Übrigen streng auf das Erzeugnis beschränkt sein, für das die Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel erteilt wurde.“

4        In Art. 1 („Definitionen“) dieser Verordnung heißt es:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚Arzneimittel‘ einen Stoff oder eine Stoffzusammensetzung, der (die) als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher … Krankheiten bezeichnet wird …;

b)      ‚Erzeugnis‘ den Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels;

c)      ‚Grundpatent‘ ein Patent, das ein Erzeugnis als solches, ein Verfahren zur Herstellung eines Erzeugnisses oder eine Verwendung eines Erzeugnisses schützt und das von seinem Inhaber für das Verfahren zur Erteilung eines Zertifikats bestimmt ist;

d)      ‚Zertifikat‘ das ergänzende Schutzzertifikat;

…“

5        Art. 2 („Anwendungsbereich“) der Verordnung sieht vor:

„Für jedes im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durch ein Patent geschützte Erzeugnis, das vor seinem Inverkehrbringen als Arzneimittel Gegenstand eines verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens gemäß der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel [ABl. L 311, S. 67] oder der Richtlinie 2001/82/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel [ABl. L 311, S. 1] ist, kann nach den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen und Modalitäten ein Zertifikat erteilt werden.“

6        Art. 3 („Bedingungen für die Erteilung des Zertifikats“) der Verordnung Nr. 469/2009 bestimmt:

„Das Zertifikat wird erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem die Anmeldung nach Artikel 7 eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung

a)      das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist;

b)      für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 2001/83/EG bzw. der Richtlinie 2001/82/EG erteilt wurde;

c)      für das Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt wurde;

d)      die unter Buchstabe b erwähnte Genehmigung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel ist.“

7        Art. 4 („Schutzgegenstand“) der Verordnung lautet:

„In den Grenzen des durch das Grundpatent gewährten Schutzes erstreckt sich der durch das Zertifikat gewährte Schutz allein auf das Erzeugnis, das von der Genehmigung für das Inverkehrbringen des entsprechenden Arzneimittels erfasst wird, und zwar auf diejenigen Verwendungen des Erzeugnisses als Arzneimittel, die vor Ablauf des Zertifikats genehmigt wurden.“

8        Art. 5 („Wirkungen des Zertifikats“) der Verordnung Nr. 469/2009 sieht vor: „Vorbehaltlich des Artikels 4 gewährt das Zertifikat dieselben Rechte wie das Grundpatent und unterliegt denselben Beschränkungen und Verpflichtungen.“

 Das Europäische Patentübereinkommen

9        Art. 69 („Schutzbereich“) des am 5. Oktober 1973 unterzeichneten Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente (im Folgenden: Europäisches Patentübereinkommen) in seiner geänderten, für das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung bestimmt:

„(1)      Der Schutzbereich des europäischen Patents und der europäischen Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

(2)      Für den Zeitraum bis zur Erteilung des europäischen Patents wird der Schutzbereich der europäischen Patentanmeldung durch die in der veröffentlichten Anmeldung enthaltenen Patentansprüche bestimmt. Jedoch bestimmt das europäische Patent in seiner erteilten oder im Einspruchs-, Beschränkungs- oder Nichtigkeitsverfahren geänderten Fassung rückwirkend den Schutzbereich der Anmeldung, soweit deren Schutzbereich nicht erweitert wird.“

10      Art. 1 des Protokolls über die Auslegung des Art. 69 des Europäischen Patentübereinkommens, das nach dessen Art. 164 Abs. 1 Bestandteil des Übereinkommens ist, lautet:

„Artikel 69 ist nicht in der Weise auszulegen, dass unter dem Schutzbereich des europäischen Patents der Schutzbereich zu verstehen ist, der sich aus dem genauen Wortlaut der Patentansprüche ergibt, und dass die Beschreibung sowie die Zeichnungen nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten in den Patentansprüchen anzuwenden sind. Ebenso wenig ist Artikel 69 dahingehend auszulegen, dass die Patentansprüche lediglich als Richtlinie dienen und der Schutzbereich sich auch auf das erstreckt, was sich dem Fachmann nach Prüfung der Beschreibung und der Zeichnungen als Schutzbegehren des Patentinhabers darstellt. Die Auslegung soll vielmehr zwischen diesen extremen Auffassungen liegen und einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte verbinden.“

 Nationales Recht

11      In Section 60 des Patentgesetzes des Vereinigten Königreichs von 1977 (UK Patents Act 1977), die die „Definition der Patentverletzung“ betrifft, heißt es:

„(1)      Vorbehaltlich der Bestimmungen dieser Section verletzt eine Person ein für eine Erfindung erteiltes Patent, wenn sie, während das Patent in Kraft ist, im Vereinigten Königreich ohne Zustimmung des Patentinhabers eine der folgenden Handlungen in Bezug auf die Erfindung vornimmt:

a)      wenn die Erfindung ein Erzeugnis ist, dieses Erzeugnis herstellt, überträgt, anbietet, es zu übertragen, es gebraucht oder einführt oder es zum Zweck der Übertragung oder zu anderen Zwecken besitzt;

…“

12      Section 125 des UK Patents Act 1977, die den „Erfindungsumfang“ betrifft, sieht vor:

(1)      Eine Erfindung im Sinne dieses Gesetzes, … für die ein Patent erteilt wurde, wird, soweit nichts anderes bestimmt ist, durch die Patentansprüche in der … Patentschrift in der Auslegung durch die Beschreibung und etwaige Zeichnungen bestimmt, die in der Patentschrift enthalten sind; der Schutzumfang eines Patents … wird entsprechend bestimmt.

(3)      Das Protokoll über die Auslegung des Art. 69 des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente (der eine Subsection 1 entsprechende Bestimmung enthält) ist während seiner Geltung auf Subsection 1 so anzuwenden wie auf Art. 69 des Übereinkommens.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13      Daiichi Sankyo ist Inhaberin des europäischen Patents EP 0503785 mit der Bezeichnung „1-Biphenyl-imidazol-Derivate, ihre Herstellung und therapeutische Verwendung“. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ist der Wirkstoff Olmesartan Medoxomil ausdrücklich im vierten Anspruch dieses Patents genannt. Dieser Wirkstoff ist ein Angiotensin-II Rezeptor-Antagonist und wird als Arzneimittel zur Behandlung und Prophylaxe von Bluthochdruck eingesetzt.

14      Der Wirkstoff Hydrochlorothiazid ist ein Diuretikum, das ebenfalls als Antihypertensivum verwendet werden kann.

15      Am 13. November 2003 erteilte das Patent Office Daiichi Sankyo ein ESZ (SPC/GB03/24), das am 17. Februar 2017 abläuft und bei dem das „Erzeugnis“ im Sinne der Verordnung Nr. 469/2009 der Wirkstoff Olmesartan Medoxomil ist. Zur Stützung ihrer ESZ-Anmeldung hatte Daiichi Sankyo die im Vereinigten Königreich in Kraft befindliche, von den nationalen Behörden am 22. Mai 2003 erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels Olmetec, das Olmesartan als einzigen Wirkstoff enthält, sowie als erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels in der Europäischen Union die von den deutschen Behörden am 13. August 2002 erteilte Genehmigung für ein entsprechendes Arzneimittel vorgelegt.

16      Am 14. Februar 2006 erhielt Daiichi Sankyo im Vereinigten Königreich eine Genehmigung für das Inverkehrbringen von Olmetec Plus, einem aus den beiden Wirkstoffen Olmesartan Medoxomil und Hydrochlorothiazid zusammengesetzten Arzneimittel. Dieses Arzneimittel ermöglicht es, den Patienten diese beiden Wirkstoffe in einer Doppeltherapie als Einmalgabe zu verabreichen. Das vorlegende Gericht hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass Daiichi Sankyo erhebliche Zeit und Mittel für die Durchführung von klinischen Tests und Studien investiert habe, um für diese Kombinationstherapie die Genehmigung für das Inverkehrbringen zu erhalten.

17      Gestützt auf ihr Patent, auf dessen Grundlage das mit Olmetec in Zusammenhang stehende ESZ erteilt worden war, sowie auf die Genehmigung für das Inverkehrbringen von Olmetec Plus und eine von den deutschen Behörden am 12. Mai 2005 für ein entsprechendes Arzneimittel erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen reichte Daiichi Sankyo beim Patent Office eine ESZ-Anmeldung für die Zusammensetzung aus den Wirkstoffen Olmesartan Medoxomil und Hydrochlorothiazid (SPC/GB/06/019) ein; würde dieses ESZ erteilt, liefe es am 17. Februar 2017, also am selben Tag wie das am 13. November 2003 erteilte ESZ, ab.

18      Mit Entscheidung vom 5. Februar 2010 lehnte das Patent Office die Erteilung des ESZ, das Gegenstand der Anmeldung SPC/GB06/019 war, mit der Begründung ab, das erfasste Erzeugnis, also die Zusammensetzung aus den Wirkstoffen Olmesartan Medoxomil und Hydrochlorothiazid, sei nicht im Sinne des Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 durch das Grundpatent, dessen Inhaberin Daiichi Sankyo sei, geschützt, da in diesem Patent nur der Wirkstoff Olmesartan Medoxomil angegeben sei, nicht aber dieser Wirkstoff in Verbindung mit einem oder weiteren Wirkstoffen.

19      Das vorlegende Gericht führt aus, dass in mehreren Mitgliedstaaten, u. a. von den zuständigen Behörden des Königreichs Belgien, der Italienischen Republik, des Großherzogtums Luxemburg und der Republik Finnland, sowie von den zuständigen Behörden des Königreichs Norwegen allerdings ESZ erteilt worden seien, die denjenigen entsprächen, deren Erteilung das Patent Office abgelehnt habe. In Frankreich sei jedoch eine ähnliche Anmeldung vom Direktor des Institut national de la propriété industrielle [Nationales Institut für gewerbliches Eigentum] zurückgewiesen worden. Mit Urteil vom 6. November 2009 habe die Cour d’appel de Paris diese Zurückweisung bestätigt und u. a. festgestellt, dass „die Zusammensetzung aus Olmesartan Medoxomil und Hydrochlorothiazid nicht durch das Grundpatent geschützt ist, da es darin nicht beansprucht wird“, und „schließlich, dass Olmesartan Medoxomil, das allein durch das Patent geschützt ist, bereits Gegenstand der Genehmigung für das Inverkehrbringen Nr. NL 28292 vom 6. August 2003 und des am 11. Februar 2005 auf der Grundlage desselben Patents erteilten ESZ Nr. 03C0037 ist“. Daiichi Sankyo habe gegen dieses Urteil bei der Cour de Cassation (Frankreich) Rechtsmittel eingelegt und werde beantragen, das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs in der vorliegenden Rechtssache auszusetzen.

20      Unter diesen Umständen hat der High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Patents Court), das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Die Verordnung (EG) Nr. 469/2009 erkennt neben den übrigen in den Erwägungsgründen genannten Zielsetzungen die Notwendigkeit an, dass Inhaber nationaler oder europäischer Patente ein ESZ in jedem Mitgliedstaat der Gemeinschaft unter denselben Voraussetzungen erhalten können, wie dies in den Erwägungsgründen 7 und 8 dieser Verordnung ausgeführt wird. Wie ist angesichts des Fehlens einer gemeinschaftlichen Harmonisierung des Patentrechts die Formulierung in Art. 3 Buchst. a der Verordnung zu verstehen, dass „das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist“, und nach welchen Kriterien bestimmt sich, ob dies der Fall ist?

2.      Gibt es in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem es um ein Arzneimittel mit mehr als einem Wirkstoff geht, zusätzliche oder andere Kriterien, nach denen sich bestimmt, ob im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 „das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist“, und wenn ja, um welche zusätzlichen oder anderen Kriterien handelt es sich?

3.      Ist, damit eine in einer Genehmigung für das Inverkehrbringen genannte Wirkstoffzusammensetzung Gegenstand eines ESZ sein kann, in Anbetracht des Wortlauts von Art. 4 der Verordnung Nr. 469/2009 die Bedingung, dass das Erzeugnis gemäß den Art. 1 und 3 dieser Verordnung „durch ein Grundpatent geschützt“ sein muss, erfüllt, wenn das Erzeugnis nach nationalem Recht das Grundpatent verletzt?

4.      Hängt, damit eine in einer Genehmigung für das Inverkehrbringen genannte Wirkstoffzusammensetzung Gegenstand eines ESZ sein kann, in Anbetracht des Wortlauts von Art. 4 der Verordnung Nr. 469/2009 die Erfüllung der Bedingung, dass das Erzeugnis gemäß den Art. 1 und 3 dieser Verordnung „durch ein Grundpatent geschützt“ sein muss, davon ab, ob das Grundpatent einen (oder mehrere) Patentansprüche enthält, der/die ausdrücklich eine Zusammensetzung von (1) einer Gruppe von Verbindungen, zu der ein Wirkstoff des Erzeugnisses gehört, und (2) einer Gruppe weiterer Wirkstoffe, die nicht näher bezeichnet sein, aber den anderen Wirkstoff des Erzeugnisses enthalten müssen, ausdrücklich nennt/nennen, oder genügt es, dass das Grundpatent einen (oder mehrere) Patentansprüche enthält, der/die (1) eine Gruppe von Verbindungen, zu der ein Wirkstoff des Erzeugnisses gehört, beansprucht/beanspruchen und (2) einen bestimmten Sprachgebrauch verwendet/verwenden, durch den nach nationalem Recht der Schutzumfang dahin erweitert wird, dass das fragliche Erzeugnis andere nicht näher bezeichnete Wirkstoffe einschließlich des anderen Wirkstoffs enthält?

 Zu den Vorlagefragen

21      Nach Art. 104 § 3 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage mit einer Frage übereinstimmt, über die er bereits entschieden hat, oder wenn die Antwort auf eine solche Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann, nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit durch Beschluss entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist. Dies ist hier der Fall.

22      Die im vorliegenden Fall gestellten Fragen entsprechen nämlich im Wesentlichen den Fragen, die der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) in der Rechtssache vorgelegt hat, in der das Urteil vom 24. November 2011, Medeva (C‑322/10, Slg. 2011, I‑0000), ergangen ist.

23      Folglich gelten die Antworten und Ausführungen des Gerichtshofs in diesem Urteil auch für die Vorlagefrage in der vorliegenden Rechtssache.

24      Mit seinen Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 dahin auszulegen ist, dass er es den für den gewerblichen Rechtsschutz zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats verwehrt, ein ESZ zu erteilen, wenn sich unter den in der Anmeldung aufgeführten Wirkstoffen solche befinden, die in den Ansprüchen des Grundpatents, auf das diese Anmeldung gestützt wird, nicht genannt sind.

25      Zu der Frage, ob die nationalen Rechtsvorschriften über Patentverletzungen herangezogen werden können, um zu beurteilen, ob ein Erzeugnis im Sinne des Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 „durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt“ ist, ist festzustellen, dass die patentrechtlichen Bestimmungen nach heutigem Stand des Unionsrechts noch nicht Gegenstand einer Harmonisierung in der Europäischen Union oder einer Rechtsangleichung waren (vgl. Urteile vom 16. September 1999, Farmitalia, C‑392/97, Slg. 1999, I‑5553, Randnr. 26, und Medeva, Randnr. 22).

26      Da es an einer Harmonisierung des Patentrechts in der Union fehlt, ist der Umfang des Patentschutzes anhand der einschlägigen Vorschriften zu bestimmen, die nicht zum Unionsrecht gehören (vgl. Urteile Farmitalia, Randnr. 27, und Medeva, Randnr. 23).

27      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 469/2009 insoweit eine einheitliche Lösung auf Unionsebene vorsieht, als ein ESZ eingeführt wird, das der Inhaber eines nationalen oder europäischen Patents unter denselben Voraussetzungen in jedem Mitgliedstaat erhalten kann. Sie soll auf diese Weise einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorbeugen, die neue Unterschiede zur Folge hätte, welche geeignet wären, den freien Verkehr von Arzneimitteln innerhalb der Union zu behindern und dadurch die Schaffung und das Funktionieren des Binnenmarkts unmittelbar zu beeinträchtigen (vgl. Urteile vom 13. Juli 1995, Spanien/Rat, C‑350/92, Slg. 1995, I‑1985, Randnrn. 34 und 35, vom 11. Dezember 2003, Hässle, C‑127/00, Slg. 2003, I‑14781, Randnr. 37, vom 3. September 2009, AHP Manufacturing, C‑482/07, Slg. 2009, I‑7295, Randnr. 35, und Medeva, Randnr. 24).

28      Im Übrigen gewährt ein ESZ nach Art. 5 der Verordnung Nr. 469/2009 dieselben Rechte wie das Grundpatent und unterliegt denselben Bedingungen und Verpflichtungen. Daraus folgt, dass Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung der Erteilung eines ESZ für Wirkstoffe entgegensteht, die in den Ansprüchen dieses Grundpatents nicht genannt sind (Urteil Medeva, Randnr. 25).

29      Wie die tschechische Regierung zu Recht geltend gemacht hat, gewährt gemäß Art. 5 der Verordnung Nr. 469/2009 ein im Zusammenhang mit einem Erzeugnis erteiltes ESZ bei Ablauf des Grundpatents dieselben Rechte wie diejenigen, die durch das Grundpatent hinsichtlich dieses Erzeugnisses gewährt wurden, in den Grenzen des durch dieses Patent gewährten Schutzes, wie sie in Art. 4 der Verordnung genannt sind. Konnte der Inhaber des genannten Patents während dessen Geltungszeit auf der Grundlage seines Patents jeder Verwendung oder bestimmten Verwendungen seines Erzeugnisses in Form eines Arzneimittels, das aus dem Erzeugnis bestand oder es enthielt, widersprechen, so gewährt ihm ein für dieses Erzeugnis erteiltes ESZ dieselben Rechte für jede vor Ablauf des Zertifikats genehmigte Verwendung des Erzeugnisses als Arzneimittel (vgl. Urteil Medeva, Randnr. 39).

30      Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 dahin auszulegen ist, dass er es den für den gewerblichen Rechtsschutz zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats verwehrt, ein ESZ für Wirkstoffe zu erteilen, die in den Ansprüchen des Grundpatents, auf das die betreffende Anmeldung gestützt wird, nicht genannt sind.

 Kosten

31      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 3 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel ist dahin auszulegen, dass er es den für den gewerblichen Rechtsschutz zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats verwehrt, ein ergänzendes Schutzzertifikat für Wirkstoffe zu erteilen, die in den Ansprüchen des Grundpatents, auf das die betreffende Anmeldung gestützt wird, nicht genannt sind.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.