Language of document : ECLI:EU:C:2016:789

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

20. Oktober 2016(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2004/83/EG – Mindestnormen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus – Nationale Verfahrensvorschrift, die für die Stellung eines Antrags auf subsidiären Schutz eine Frist von 15 Werktagen ab der Mitteilung der Ablehnung des Asylantrags vorsieht – Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten – Äquivalenzgrundsatz – Effektivitätsgrundsatz – Ordnungsgemäßer Ablauf des Verfahrens zur Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz – Ordnungsgemäßer Ablauf des Rückkehr- bzw. Rückführungsverfahrens – Unvereinbarkeit“

In der Rechtssache C‑429/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Court of Appeal (Berufungsgerichtshof, Irland) mit Entscheidung vom 29. Juli 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 5. August 2015, in dem Verfahren

Evelyn Danqua

gegen

Minister for Justice and Equality,

Ireland,

Attorney General

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richter M. Vilaras, J. Malenovský, M. Safjan und D. Šváby,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2016,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Frau Danqua, vertreten durch M. Trayers, Solicitor, P. O’Shea, BL, und C. Power, SC,

–        des Minister for Justice and Equality, vertreten durch R. Cotter und E. Creedon als Bevollmächtigte im Beistand von F. O’Sullivan, BL, und R. Barron, SC,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und X. Lewis als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. Juni 2016

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Äquivalenzgrundsatzes.

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Evelyn Danqua, einer ghanaischen Staatsangehörigen, einerseits und dem Minister for Justice and Equality (Minister für Justiz und Gleichberechtigung, Irland) (im Folgenden: Minister), Irland und dem Attorney General andererseits wegen der Weigerung des Ministers, den Antrag von Frau Danqua auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus zu prüfen.

 Rechtlicher Rahmen

 Richtlinie 2004/83/EG

3        Nach Art. 2 Buchst. a, e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2004, L 304, S. 12) bezeichneten die Ausdrücke

„a)      ‚internationaler Schutz‘ die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus im Sinne der Buchstaben d und f;

e)      ‚Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz‘ einen Drittstaatsangehörigen …, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland … tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Artikel[s] 15 zu erleiden …

f)      ‚subsidiärer Schutzstatus‘ die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen … durch einen Mitgliedstaat als Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat“.

4        Art. 18 dieser Richtlinie lautete:

„Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen …, der die Voraussetzungen der Kapitel II und V erfüllt, den subsidiären Schutzstatus zu.“

 Richtlinie 2005/85/EG

5        Die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. 2005, L 326, S. 13, und Berichtigung ABl. 2006, L 236, S. 36) regelt u. a. die Rechte der Asylbewerber.

6        Gemäß ihrem Art. 3 Abs. 1 gilt sie für alle Asylanträge, die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gestellt werden.

7        Ihr Art. 3 Abs. 3 sieht vor:

„Wenn Mitgliedstaaten ein Verfahren anwenden oder einführen, nach dem Asylanträge sowohl als Anträge aufgrund [des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954])] als auch als Anträge auf Gewährung anderer Formen internationalen Schutzes, der unter den in Artikel 15 der Richtlinie [2004/83] definierten Umständen gewährt wird, geprüft werden, wenden sie die vorliegende Richtlinie während des gesamten Verfahrens an.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

8        Aus der Akte des Gerichtshofs ergibt sich, dass Frau Danqua, eine ghanaische Staatsangehörige, in Irland am 13. April 2010 einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft stellte, den sie damit begründete, dass sie befürchte, Opfer der Trokosi-Praxis zu werden, einer in Ghana praktizierten Form ritueller Sklaverei, die mehrheitlich Frauen trifft.

9        Der Refugee Applications Commissionner (Beauftragter für Flüchtlingsanträge, Irland) gab in einem Bericht vom 16. Juni 2010 zu diesem Antrag eine Negativempfehlung mangels Glaubwürdigkeit ab. Diese Empfehlung wurde vom Refugee Appeals Tribunal (Beschwerdegericht in Flüchtlingssachen, Irland) auf Beschwerde mit Entscheidung vom 13. Januar 2011 bestätigt.

10      Am 9. Februar 2011 teilte der Minister Frau Danqua die Entscheidung mit, ihren Asylantrag abzulehnen, sowie seine Absicht, ihre Ausweisung zu verfügen (proposal to deport). Dabei informierte er sie u. a. darüber, dass sie die Möglichkeit habe, innerhalb von 15 Werktagen nach dieser Mitteilung einen Antrag auf subsidiären Schutz zu stellen.

11      Im Anschluss an diese Entscheidung unterrichtete der Refugee Legal Service (Rechtsberatungsstelle für Flüchtlinge, Irland) Frau Danqua darüber, dass ihr infolge dieser Ablehnung kein Beistand im Rahmen von Bemühungen um subsidiären Schutz geleistet werde.

12      Allerdings stellte der Refugee Legal Service im Namen von Frau Danqua einen Antrag auf humanitäres Bleiberecht.

13      Mit Schreiben vom 23. September 2013 informierte der Minister Frau Danqua, dass dieser Antrag abgelehnt worden sei und dass am 17. September 2013 eine Rückkehrentscheidung gegen sie ergangen sei.

14      Frau Danqua reichte am 8. Oktober 2013 einen Antrag auf subsidiären Schutz ein.

15      Mit Schreiben vom 5. November 2013 informierte der Minister Frau Danqua, dass ihrem Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus keine Folge geleistet werden könne, da er nicht innerhalb der Frist von 15 Werktagen eingereicht worden sei, die in der Mitteilung der Entscheidung des Ministers vom 9. Februar 2011 über die Ablehnung ihres Asylantrags genannt worden sei.

16      Frau Danqua wandte sich vor dem High Court (Oberstes Zivil- und Strafgericht, Irland) gegen diese Entscheidung und machte namentlich einen Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz geltend, weil derjenige, der um subsidiären Schutz ansuche, im Hinblick auf die Einreichung des entsprechenden Antrags eine Frist wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende einhalten müsse, während für die Stellung eines Asylantrags keine vergleichbare Frist beachtet werden müsse.

17      Mit Urteil vom 16. Oktober 2014 wies der High Court (Oberstes Zivil- und Strafgericht) die Klage von Frau Danqua ab, weil er insbesondere befand, dass der Äquivalenzgrundsatz in diesem Fall nicht anwendbar sei, da die Betroffene zwei auf das Unionsrecht gestützte Verfahrensvorschriften vergleiche.

18      Am 13. November 2014 legte Frau Danqua beim Court of Appeal (Berufungsgerichtshof) Berufung gegen dieses Urteil ein. Sie wiederholte dort ihre Argumentation, dass die Obliegenheit für denjenigen, der subsidiären Schutz beantrage, eine Frist wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende einzuhalten, gegen den Äquivalenzgrundsatz verstoße, da für Personen, die einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft stellten, keine vergleichbare Frist gelte.

19      Der Court of appeal (Berufungsgerichtshof) stellt sich zwar auch die Frage nach der Relevanz des Äquivalenzgrundsatzes in der vorliegenden Sache, ist aber der Auffassung, dass ein Asylantrag ein geeigneter Vergleichsmaßstab sein könne, wenn es darum gehe, die Beachtung des Äquivalenzgrundsatzes sicherzustellen.

20      Er führt dazu aus, dass die Mitgliedstaaten, obwohl mit Asylanträgen mehrheitlich nach der Regelung der Richtlinie 2004/83 verfahren werde, zumindest theoretisch immer noch Asyl gemäß ihrem innerstaatlichen Recht gewähren könnten. Insofern könnten Asylanträge teils unter das Unionsrecht und teils unter das innerstaatliche Recht fallen.

21      Was die Obliegenheit eines um subsidiären Schutz Ansuchenden betrifft, für die Stellung eines entsprechenden Antrags eine Frist wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende einzuhalten, hält das vorlegende Gericht diese Frist für durch objektive Erwägungen gerechtfertigt. Die vor Verkündung des Urteils vom 8. Mai 2014, N. (C‑604/12, EU:C:2014:302), geltende nationale Regelung sei nämlich durch das Bestehen zweier gesonderter und aufeinanderfolgender Verfahren für die Prüfung des Asylantrags und des Antrags auf subsidiären Schutz gekennzeichnet gewesen, wobei die Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz von der vorherigen Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abhängig gemacht worden sei.

22      Die Regelung, die zu der für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens relevanten Zeit in Kraft gewesen sei, habe sicherstellen sollen, dass Anträge auf internationalen Schutz innerhalb einer angemessenen Frist bearbeitet würden.

23      In diesem Kontext hat der Court of appeal (Berufungsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Kann ein Asylantrag, auf den innerstaatliche Rechtsvorschriften anwendbar sind, mit denen den Verpflichtungen eines Mitgliedstaats aus der Richtlinie 2004/83 nachgekommen wird, für die Zwecke des Äquivalenzgrundsatzes als ein geeigneter Vergleichsmaßstab für einen Antrag auf subsidiären Schutz angesehen werden?

2.      Für den Fall der Bejahung der ersten Frage: Ist es insoweit von Bedeutung, dass die für Anträge auf subsidiären Schutz geltende Frist dem wichtigen Interesse dient, zu gewährleisten, dass Anträge auf internationalen Schutz binnen angemessener Frist bearbeitet werden?

 Zu den Vorlagefragen

24      Mit seinen zusammen zu prüfenden beiden Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Äquivalenzgrundsatz dahin auszulegen ist, dass er einer innerstaatlichen Verfahrensvorschrift wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, nach der für einen Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus eine Ausschlussfrist von 15 Werktagen ab der Mitteilung durch die zuständige Behörde gilt, dass der abgelehnte Asylbewerber die Möglichkeit hat, einen solchen Antrag zu stellen.

25      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2004/83 keine Verfahrensvorschriften für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz enthielt.

26      Die Richtlinie 2005/85 errichtet ihrerseits Mindestnormen für Verfahren zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz und regelt die Rechte der Asylbewerber. Art. 3 Abs. 1 und 3 dieser Richtlinie stellt klar, dass diese für Asylanträge gilt, die sowohl als Anträge aufgrund des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge als auch als Anträge auf Gewährung anderer Formen internationalen Schutzes, der unter den in Art. 15 der Richtlinie 2004/83 definierten Umständen gewährt wird, geprüft werden.

27      Der Gerichtshof hat daher festgestellt, dass die Richtlinie 2005/85 keine Anwendung auf Anträge auf subsidiären Schutz findet, sofern ein Mitgliedstaat nicht ein einheitliches Verfahren eingeführt hat, in dessen Rahmen er einen Antrag unter dem Aspekt beider Formen internationalen Schutzes – Schutz im Zusammenhang mit der Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz – prüft (Urteil vom 8. Mai 2014, N., C‑604/12, EU:C:2014:302, Rn. 39).

28      Aus der Akte ergibt sich jedoch, dass es sich im Fall Irlands zu der für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens relevanten Zeit nicht so verhielt.

29      Daraus folgt, dass es in Ermangelung in Irland anwendbarer unionsrechtlicher Vorschriften zu den Verfahrensmodalitäten für die Stellung und die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz der innerstaatlichen Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats zukommt, diese Modalitäten zu regeln, die aber zum einen nicht ungünstiger sein dürfen als die Modalitäten, die für gleichartige interne Sachverhalte gelten (Äquivalenzgrundsatz), und zum anderen die Ausübung der vom Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Mai 2014, N., C‑604/12, EU:C:2014:302, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Zum Äquivalenzgrundsatz ist daran zu erinnern, dass seine Beachtung verlangt, dass bei der Anwendung einer nationalen Regelung nicht danach unterschieden wird, ob ein Verfahren auf das Unionsrecht oder auf das innerstaatliche Recht gestützt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Januar 2015, ÖBB Personenverkehr, C‑417/13, EU:C:2015:38, Rn. 74).

31      Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob, um die Beachtung dieses Grundsatzes sicherzustellen, ein Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine geeignete Grundlage für einen Vergleich mit einem Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus bildet.

32      Im vorliegenden Fall geht es aber, wie vom Generalanwalt in den Nrn. 54 und 58 seiner Schlussanträge ausgeführt, bei dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalt um zwei Anträge, die auf das Unionsrecht gestützt werden, nämlich den Antrag der Betroffenen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und ihren Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus.

33      Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Wortlaut der ersten Vorlagefrage selbst mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die Prüfung von Asylanträgen den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der Richtlinie 2004/83 „nachgekommen wird“.

34      Des Weiteren geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Angaben nicht hervor, dass das irische Asylrecht innerstaatliche materielle Vorschriften umfassen würde, die das Unionsrecht ergänzen.

35      Demnach ist festzustellen, dass bei einem Sachverhalt wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, bei dem es um zwei Arten von gleichermaßen auf das Unionsrecht gestützten Anträgen geht, die Geltendmachung des Äquivalenzgrundsatzes fehlgeht.

36      Davon abgesehen ist es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingerichteten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Letzteren, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits dienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom 28. April 2016, Oniors Bio, C‑233/15, EU:C:2016:305, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Außerdem kommt es dem Gerichtshof zu, dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die für die Entscheidung der bei diesem anhängigen Sache von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob das vorlegende Gericht bei seiner Fragestellung Bezug darauf genommen hat oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 2006, Ritter-Coulais, C‑152/03, EU:C:2006:123, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Im vorliegenden Fall sind zu diesem Zweck die beiden Fragen des vorlegenden Gerichts so zu verstehen, dass damit Aufschluss darüber begehrt wird, ob der Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen ist, dass er einer innerstaatlichen Verfahrensvorschrift wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, nach der für einen Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus eine Ausschlussfrist von 15 Werktagen ab der Mitteilung durch die zuständige Behörde gilt, dass der abgelehnte Asylbewerber die Möglichkeit hat, einen solchen Antrag zu stellen.

39      Was den besagten Grundsatz betrifft, darf, wie oben in Rn. 29 in Erinnerung gerufen, eine innerstaatliche Verfahrensvorschrift wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht so geartet sein, dass sie die Ausübung der vom Unionsrecht verliehenen Rechte praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert. Sie muss deshalb in diesem Fall Personen, die subsidiären Schutz beantragen, einen wirksamen Zugang zu den ihnen mit der Richtlinie 2004/83 verliehenen Rechten ermöglichen.

40      Zu prüfen ist daher, ob jemand wie Frau Danqua, der subsidiären Schutz beantragt, konkret in der Lage ist, die aus der Richtlinie 2004/83 abgeleiteten Rechte geltend zu machen, d. h. hier das Recht, einen Antrag auf subsidiären Schutz zu stellen, und für den Fall, dass die notwendigen Voraussetzungen für die Beanspruchung dieses Schutzes erfüllt sind, das Recht, den Status nach dieser Richtlinie zuerkannt zu bekommen.

41      Aus der Vorlageentscheidung und der Akte des Gerichtshofs geht hervor, dass nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden innerstaatlichen Verfahrensvorschrift wer um subsidiären Schutz ansucht, grundsätzlich keinen Antrag auf Zuerkennung des entsprechenden Schutzstatus mehr stellen kann, wenn eine Frist von 15 Werktagen ab der Mitteilung der Ablehnung seines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelaufen ist.

42      Hierzu ist festzustellen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen innerstaatlichen Stellen zu prüfen ist. Zu berücksichtigen sind dabei gegebenenfalls u. a. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. November 2015, Klausner Holz Niedersachsen, C‑505/14, EU:C:2015:742, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Im vorliegenden Fall ist genauer zu untersuchen, ob eine Ausschlussfrist wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende in Anbetracht ihrer Konsequenzen für die Anwendung des Unionsrechts unter dem Blickwinkel der Gewährleistung des ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens zur Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz gerechtfertigt werden kann (vgl. entsprechend Urteil vom 3. September 2009, Fallimento Olimpiclub, C‑2/08, EU:C:2009:506, Rn. 28).

44      Der Gerichtshof hat zu den Ausschlussfristen entschieden, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, für nationale Regelungen, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, Fristen festzulegen, die insbesondere der Bedeutung der zu treffenden Entscheidungen für die Betroffenen, der Komplexität der Verfahren und der anzuwendenden Rechtsvorschriften, der Zahl der potenziell Betroffenen und den anderen zu berücksichtigenden öffentlichen oder privaten Belangen entsprechen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Oktober 2009, Pontin, C‑63/08, EU:C:2009:666, Rn. 48).

45      Was die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung angeht, so ist das Verfahren zur Prüfung von Anträgen auf subsidiären Schutz, wie vom Generalanwalt in den Nrn. 75 bis 78 seiner Schlussanträge betont, insoweit von besonderer Bedeutung, als es erlaubt, denjenigen, die um internationalen Schutz ansuchen, die Wahrung ihrer grundlegendsten Rechte durch die Zuerkennung eines solchen Schutzes zu gewährleisten.

46      In diesem Zusammenhang ist unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten, denen entsprechende Antragsteller namentlich aufgrund ihrer in menschlicher und materieller Hinsicht potenziell schwierigen Lage begegnen können, festzustellen, dass sich eine Ausschlussfrist wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende als besonders kurz erweist und in der Praxis nicht allen diesen Antragstellern die effektive Möglichkeit gewährleistet, einen Antrag auf subsidiären Schutz zu stellen und gegebenenfalls den betreffenden Schutzstatus zuerkannt zu bekommen. Eine solche Frist kann daher nicht damit annehmbar gerechtfertigt werden, dass der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens zur Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gewährleistet werden soll.

47      Daran kann im Übrigen auch die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Rückkehr- bzw. Rückführungsverfahren sicherzustellen, nichts ändern, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Frist nicht unmittelbar mit dem Rückkehr- bzw. Rückführungsverfahren, sondern mit der Ablehnung des Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zusammenhängt.

48      Das Ergebnis kann daher nur lauten, dass eine innerstaatliche Verfahrensvorschrift wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende geeignet ist, den wirksamen Zugang von Personen, die um subsidiären Schutz ansuchen, zu den ihnen mit der Richtlinie 2004/83 zuerkannten Rechten zu gefährden.

49      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass der Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen ist, dass er einer innerstaatlichen Verfahrensvorschrift wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, nach der für einen Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus eine Ausschlussfrist von 15 Werktagen ab der Mitteilung durch die zuständige Behörde gilt, dass der abgelehnte Asylbewerber die Möglichkeit hat, einen solchen Antrag zu stellen.

 Kosten

50      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Der Effektivitätsgrundsatz ist dahin auszulegen, dass er einer innerstaatlichen Verfahrensvorschrift wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, nach der für einen Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus eine Ausschlussfrist von 15 Werktagen ab der Mitteilung durch die zuständige Behörde gilt, dass der abgelehnte Asylbewerber die Möglichkeit hat, einen solchen Antrag zu stellen.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.