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Rechtsmittel, eingelegt am 4. September 2015 von der Servizi assicurativi del commercio estero SpA (SACE) und der Sace BT SpA gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz (Siebte Kammer) vom 25. Juni 2015 in der Rechtssache T-305/13, SACE und Sace BT/Kommission

(Rechtssache C-472/15 P)

Verfahrenssprache: Italienisch

Parteien

Rechtsmittelführerinnen: Servizi assicurativi del commercio estero SpA (SACE SpA) und SACE BT SpA (Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M. Siragusa und G. Rizza)

Andere Parteien des Verfahrens: Europäische Kommission, Italienische Republik

Anträge

SACE ersucht den Gerichtshof, unter Stattgabe des Rechtsmittels die im Tenor des angefochtenen Urteils enthaltene Entscheidung des Gerichts aufzuheben und – ohne dass es einer Zurückverweisung der Rechtssache an das Gericht bedarf – den von den Klägerinnen im ersten Rechtszug gestellten Anträgen stattzugeben und deswegen

den Beschluss C(2013) 1501 final der Kommission vom 20. März 2013 in Bezug auf die Maßnahmen SA.23425, die Italien in den Jahren 2004 und 2009 zugunsten der SACE BT SpA ergriffen hat, insgesamt für nichtig zu erklären;

hilfsweise, ihn teilweise für nichtig zu erklären, soweit einem oder mehreren Klagegründen stattgeben wird;

der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, einschließlich der Kosten des Verfahrens T-305/13 R im vorläufigen Rechtsschutz.

Rechtsmittelgründe und wesentliche Argumente

Erster Rechtsmittelgrund betreffend die Zurechenbarkeit der streitigen Maßnahmen zum italienischen Staat: Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV in seiner Auslegung durch den Gerichtshof in seinem Urteil „Stardust Marine“ (Rechtssache C-482/99); offensichtliche Fehlerhaftigkeit der Auslegung von Rn. 177 Buchst. b Ziff. i der Begründung des Beschlusses; Tatsachenfeststellungen, deren inhaltliche Unrichtigkeit sich aus den Akten ergebe, und Verfälschung des Inhalts des Beschlusses; unlogische Begründung; rechtswidrige Ergänzung der Begründung des angefochtenen Beschlusses; falsche Anwendung des Grundsatzes, dass die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses im Bereich staatlicher Beihilfen aufgrund der Informationen zu beurteilen sei, über die die Kommission bei seinem Erlass verfügt habe, in Bezug auf die beiden Schreiben des Ministeriums für Wirtschaft und Finanzen (MEF) an die SACE S.p.A., die von der italienischen Regierung in der Anlage zu ihrem Streithilfeschriftsatz vorgelegt worden seien

– Das angefochtene Urteil habe folgenden Grundsatz aufgestellt: Dass mit dem streitigen Vorgang Interessen des öffentlichen Unternehmens verfolgt würden, die mit einem im Allgemeininteresse liegenden Ziel zusammenfielen, bedeute nicht zwangsläufig, dass dieses Unternehmen seine Entscheidung habe treffen können, ohne die Anforderungen der öffentlichen Stellen zu berücksichtigen. Nach Ansicht des Gerichts stehe nichts dem entgegen, dass der Staat einem öffentlichen Unternehmen vorschreiben könne, einen unternehmerischen Vorgang durchzuführen, der – auch wenn er gegebenenfalls mit dem Kriterium des marktwirtschaftlich handelnden privaten Kapitalgebers (dem „MEIP“) vereinbar sein könne – in jedem Fall dem Staat zurechenbar bleibe. Deshalb sei die Kommission – um dem Erfordernis der Zurechenbarkeit zu genügen – nicht verpflichtet, nachzuweisen, dass das Verhalten des öffentlichen Unternehmens anders gewesen wäre, wenn es eigenständig gehandelt hätte. Mit dieser Argumentation sei das Gericht von den im Urteil „Stardust Marine“ aufgestellten Grundsätzen abgewichen. Aus seinem Urteil folge, dass die bloße Tatsache, dass ein öffentliches Unternehmen vom Staat kontrolliert werde und einer organisatorischen Sonderregelung unterliege, für sich ausreichend sei, um daraus zu schließen, dass die Behörden stets und – per definitionem – in jedem Fall an dem Erlass von Entscheidungen, zugunsten der Tochtergesellschaften des Unternehmens einzugreifen, beteiligt seien. In einem Fall wie dem vorliegenden könne die Zurechenbarkeit zum Staat nur durch den Nachweis ausgeschlossen werden, dass der Verwaltungsrat der Muttergesellschaft eine Entscheidung mit dem Inhalt erlassen habe, dass sie es nicht erlaube, parallel auch allgemeine Interessen zu verfolgen. Vorliegend habe nur die Liquidierung der SACE BT eine solche Entscheidung sein können, der die Kommission im Übrigen – per definitionem – nicht widersprochen habe. Wenn die Entscheidung des öffentlichen Unternehmens dagegen abstrakt auch einem im Allgemeininteresse liegenden Ziel entsprechen könne oder auch unter Berücksichtigung eines solchen Interesses erlassen worden sei, sei anzunehmen, dass der Verwaltungsrat so entschieden habe, weil er bei seiner Entscheidung nicht die Anforderungen der öffentlichen Stellen habe unberücksichtigt lassen können und es weder zulässig noch möglich sei, das Gegenteil nachzuweisen.

– Die von der Kommission verwendeten und vom Gericht gebilligten allgemeinen Zurechenbarkeitsindizien sagten nichts über den Grad der Eigenständigkeit aus, mit der der Verwaltungsrat der SACE S.p.A. die Geschäfte des Unternehmens geführt habe und führe: Dies gelte nicht nur bei einer einzelnen Betrachtung der Indizien, sondern auch bei ihrer Gesamtbetrachtung. Diese Indizien wiesen nichts anderes als den Umstand nach, dass der italienische Staat im Jahr 2009 die SACE S.p.A. kontrolliert habe, weil er alle ihre Aktien gehalten habe. Das Urteil „Stardust Marine“ verlange aber, dass die zum Nachweis der Beteiligung des Staates verwendbaren Indizien in engem Zusammenhang zu den fraglichen Maßnahmen stünden, wenn man deren Umfang, Inhalt und Voraussetzungen berücksichtige. Das angefochtene Urteil erkenne ausdrücklich an, dass die im Beschluss verwendeten Zurechenbarkeitsindizien – die alle (außer einem) die Tätigkeiten von SACE im Bereich der Versicherung marktunabhängiger Risiken beträfen, einem Sektor, in dem die SACE BT nicht tätig sei – dagegen den allgemeinen Kontext der Tätigkeit der SACE S.p.A. beträfen, und nicht die Umstände des vorliegenden Falls und den Kontext, in dem die streitigen Maßnahmen erlassen worden seien. Dessen ungeachtet habe das Gericht nicht ausgeführt, dass solche Indizien ihrem Wesen nach nicht dazu geeignet seien, die Vermutung einer konkreten Beteiligung des Staates am Erlass der fraglichen Maßnahmen unmittelbar zu stützen. Damit habe sich das Gericht bei der Prüfung der Zurechenbarkeit auf den Komplex der Verbindungen zwischen dem Staat und den Unternehmen konzentriert, die dem organisatorischen Modell öffentlich-rechtlich getragener Unternehmen entsprächen und nach italienischem Recht ausdrücklich als Aktiengesellschaften eingestuft würden, und infolgedessen dem speziellen Gegenstand, dem speziellen Wesen und dem speziellen Inhalt der fraglichen Maßnahmen sowie den konkreten Gründen für ihren Erlass jede Relevanz genommen. In Wirklichkeit zeigten die von der Kommission verwendeten Indizien, dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass es eine Beteiligung des Staates am Erlass der streitigen Maßnahmen gegeben habe.

– Bei der Prüfung des Erfordernisses der Zurechenbarkeit habe das Gericht dagegen den offensichtlichen Umstand außer Acht gelassen, dass das MEF nicht zur Führung oder Lenkung von Beteiligungsgesellschaften befugt sei, wie SACE unter Angabe der einschlägigen Vorschriften in der Klage vorgetragen habe. Das Gericht habe auch in Bezug auf die beiden Schreiben des MEF an die SACE S.p.A., die von der italienischen Regierung in der Anlage zu ihrem Streithilfeschriftsatz vorgelegt worden seien, den Grundsatz falsch angewandt, nach dem die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses im Bereich staatlicher Beihilfen aufgrund der Informationen zu beurteilen sei, über die die Kommission bei seinem Erlass verfügt habe. Diese Schreiben bestätigten nämlich den Grundsatz, dass das Verhältnis MEF/SACE S.p.A. durch Eigenständigkeit der Geschäftsführung gekennzeichnet sei, was der Kommission sehr wohl bekannt gewesen sei, allein schon deshalb, weil er der Kommission von der italienischen Regierung im Verlauf des eingehenden Prüfverfahrens nach Art. 108 Abs. 2 AEUV mehrfach aufgezeigt worden sei. Die beiden Dokumente seien daher nur zur Bestätigung dessen vorgelegt worden, was bereits vorgetragen worden sei, und enthielten keine bedeutende Änderung der wesentlichen Bestandteile der geprüften Maßnahmen.

Zweiter Rechtsmittelgrund betreffend das Nichtvorliegen eines angeblich der SACE BT durch die zweite streitige Maßnahme gewährten Vorteils: Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV und falsche Anwendung des MEIP; Tatsachenfeststellungen, deren inhaltliche Unrichtigkeit sich aus den Akten ergebe; Entstellung des Vorbringens, dass die SACE S.p.A. de facto eine implizite Erhöhung um 5/12 des Satzes der bezogenen Provision im Vergleich zu der von der SACE BT an die privaten Rückversicherer gezahlten Provision erhalten habe; unzutreffende Einstufung dieses Vorbringens als unzulässiges „neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel“

– Das Gericht habe – ebenso wie zuvor die Kommission –gezeigt, dass es hinsichtlich der Dynamiken im Versicherungsbereich, insbesondere in Bezug auf die Schadenexzedenten-Rückversicherung (Excess of Loss [XoL]), über ein offenkundig begrenztes Wissen und Verständnis verfüge. Es habe schwere und offensichtliche Fehler begangen, indem es Tatsachen festgestellt habe, deren inhaltliche Unrichtigkeit sich aus den Akten ergebe. Die Schadenexzedenten-Risikoexposition des Rückversicherers nehme nicht zu, wenn die Deckungsbeteiligung des Rückversicherers sehr hoch sei: Dem sei so, da die höhere Beteiligung am XoL-Vertrag einer proportional höheren eingenommenen Provision entspreche. Außerdem bestehe für den Rückversicherer keine Erhöhung des Risikos, wenn der zedierende Versicherer in finanzielle Schwierigkeiten gerate, weil in einem XoL-Vertrag das Hauptverlustrisiko für den Rückversicherer nicht mit den Schwierigkeiten des zedierenden Versicherers zusammenhänge, sondern mit dem Insolvenzrisiko der Erwerber der Versicherten. Hinzu komme, dass bei der zedierenden SACE BT auch im Fall von finanziellen Schwierigkeiten absolut kein Ausfallrisiko bestanden habe, da die Zahlung der Provision an die Muttergesellschaft für die Unterzeichnung des Rückversicherungsvertrags in einer einmaligen Vorauszahlung bestanden habe, so dass diese Rückversicherungsdeckung im Fall der Nichtzahlung einfach nicht aktiviert würde. Der fragliche XoL-Vertrag habe nicht nur 25 % der von der SACE BT rückversicherten Risiken betroffen, und daher sei die Behauptung falsch, dass in Bezug auf den Saldo der Rückversicherungsdeckung ein zweiter Vertrag, der eine andere Provision vorsehe, mit der SACE S.p.A. habe ausgehandelt werden können, wie in dem Urteil behauptet worden sei. Das Gericht habe schließlich das Vorbringen völlig entstellt, dass – da die die SACE S.p.A. erst am 5. Juni 2009 in den Vertrag und daher in die Rückversicherungsdeckung der Risiken eingetreten sei, auch wenn sie eine auf Jahresbasis berechnete Provision als Gegenleistung erhalten habe – dieser Gesellschaft de facto eine implizite Erhöhung um 5/12 des Satzes der bezogenen Provision im Vergleich zu der Provision zugute gekommen sei, die die SACE BT den privaten Rückversicherern für den Risikozeitraum gezahlt habe, der ohne Eintritt von Versicherungsfällen abgelaufen sei. Da sich diese Umstände aus dem angefochtenen Beschluss ergäben, sei die Ausführung des Gerichts rechtsfehlerhaft, dass sie nicht im Verwaltungsverfahren der Kommission bekannt gegeben worden seien. Da SACE – im Zusammenhang und als Erweiterung ihres zweiten Klagegrundes – lediglich ein weiteres Vorbringen zum Nachweis dafür geltend gemacht habe, dass die materielle Voraussetzung des Vorteils nicht vorliege, habe das Gericht dieses Vorbringen unzutreffend als unzulässiges neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel eingestuft.

Dritter Rechtsmittelgrund betreffend das Nichtvorliegen eines angeblich der SACE BT durch die dritte und die vierte streitige Maßnahme gewährten Vorteils: Verstoß gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV und falsche Anwendung des MEIP; rechtswidrige Ergänzung der Begründung des angefochtenen Beschlusses

– Der Verwaltungsrat der SACE S.p.A. habe völlig entsprechend der Geschäftsführung anderer privater Marktteilnehmer gehandelt, die in Anbetracht des hohen Grades an Unsicherheit und Dringlichkeit im Kontext des Marktes im Jahre 2009 entsprechende Kapitalspritzen in von ihnen kontrollierte Gesellschaften vorgenommen hätten, obwohl für die künftigen Kapitalflüsse keine Prognosen vorgelegen hätten, die aus buchhalterischer Sicht die zumindest langfristigen Erwartungen an eine angemessene Rentabilität dieser Gesellschaften gestützt hätten. Dieses objektive Ergebnis, das sich aus der bloßen Beobachtung der Marktdynamik zu einem bestimmten Zeitpunkt ergeben habe, hätte jeder Erwägung theoretischer oder spekulativer Natur vorgehen müssen, die die Kommission bei der Anwendung des MEIP angestellt habe. Zudem sei in dem Beschluss kein einziger konkreter Fall einer unter normalen Marktbedingungen tätigen privaten Gesellschaft angeführt worden, die bei krisenbedingten schwerwiegenden Problemen von ihren Aktionären liquidiert und nicht rekapitalisiert worden sei. Es sei nicht erkennbar und jedenfalls vom Gericht nicht erklärt worden, warum SACE in jedem Fall verpflichtet gewesen sei, im Voraus die künftige Rentabilität von SACE BT zu bewerten und der Kommission die geeigneten Elemente der vorläufigen Bewertung zu übermitteln, obwohl sich aus den Marktdaten ergeben habe, dass die privaten Kapitalgeber dies nicht getan hätten. Da schließlich die Kommission in ihrem eingehenden Prüfverfahren angenommen habe, dass sie das Vorbringen von SACE im Hinblick auf die Anwendung des empirischen Kriteriums im Zusammenhang mit dem MEIP nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit würdigen müsse, habe das Gericht bei seiner Feststellung einen Fehler begangen, dass die Kommission dieses Vorbringen aufgrund der abstrakten Möglichkeit habe zurückweisen dürfen, dass die Kapitaltransaktionen der privaten Marktteilnehmer ihrerseits für nicht mit dem MEIP vereinbar angesehen werden könnten, da sie Beihilfeelemente enthielten.

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