Language of document : ECLI:EU:C:2017:926

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NILS WAHL

vom 30. November 2017(1)

Rechtssache C426/16

Liga van Moskeeën en Islamitische Organisaties Provincie Antwerpen VZW u. a.

gegen

Vlaams Gewest

(Vorabentscheidungsersuchen der Nederlandstalige rechtbank van eerste aanleg Brussel [Niederländischsprachiges Gericht erster Instanz Brüssel, Belgien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Schutz von Tieren zum Zeitpunkt ihrer Tötung – Spezielle Schlachtmethoden – Islamisches Opferfest – Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 – Art. 4 Abs. 4 – Pflicht, rituelle Schlachtungen ohne Betäubung in zugelassenen Schlachthöfen vorzunehmen – Verordnung (EG) Nr. 853/2004 – Voraussetzungen für die Zulassung von Schlachthöfen – Gültigkeit – Art. 13 AEUV – Berücksichtigung nationaler Gepflogenheiten in Bezug auf religiöse Riten – Art. 10 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Religionsfreiheit – Beschränkung – Rechtfertigung“






1.        Rituelles Schlachten ist seit Langem in den europäischen Rechtsvorschriften, die die Tötung von Tieren regeln, als Ausfluss der Religionsfreiheit anerkannt. Das Bestreben des Unionsgesetzgebers, den Schutz der Kultusfreiheit mit dem Tierschutz in Einklang zu bringen, zeigte sich bereits beim Erlass der Richtlinie 74/577/EWG(2) und findet sich auch in der gegenwärtig geltenden Verordnung (EG) Nr. 1099/2009(3).

2.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit von Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009. Der Gerichtshof wird ersucht, zu entscheiden, ob die Bestimmung, wonach die Schlachtung von Tieren ohne Betäubung, die durch bestimmte religiöse Gebote vorgeschrieben ist, nur in einem zugelassenen Schlachthof(4), der alle insoweit einschlägigen Vorschriften erfüllt, stattfinden darf, in Anbetracht des Grundrechts auf Religionsfreiheit gültig ist.

3.        Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen mehreren islamischen Vereinigungen und Moschee-Dachverbänden sowie einigen Privatpersonen in der Flämischen Region (im Folgenden: Kläger des Ausgangsverfahrens) einerseits und dem Vlaams Gewest (Flämische Region, Belgien) andererseits über die Entscheidung des für das Tierwohl zuständigen flämischen Ministers, ab dem Jahr 2015 während des islamischen Opferfestes (Aïd-el-Adha)(5) keine rituellen Schlachtungen von Tieren ohne Betäubung in temporären Schlachtstätten, die sich in den Gemeinden dieser Region befinden, mehr zuzulassen.

4.        Vorab bedarf es einer Klarstellung, um welche Frage es in der vorliegenden Rechtssache genau geht. Was im vorliegenden Fall im Streit steht, ist in keiner Weise das völlige Verbot, Tiere ohne Betäubung zu schlachten, das gegenwärtig in zahlreichen Mitgliedstaaten diskutiert wird(6); es geht vielmehr um die Bedingungen in Bezug auf die materielle Ausstattung und die betrieblichen Verpflichtungen, unter denen eine solche Schlachtung nach der einschlägigen Regelung der Europäischen Union durchzuführen ist. Es stellt sich somit die Frage, ob das Erfordernis, dass die Schlachtung in einem Schlachthof im Sinne von Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 stattfinden muss – eine Regel, die allgemein, unabhängig von der angewandten Schlachtmethode, gilt –, geeignet ist, die Religionsfreiheit einzuschränken.

5.        Meines Erachtens vermag keiner der im Rahmen der vorliegenden Rechtssache angeführten Gesichtspunkte die Gültigkeit der Verordnung Nr. 1099/2009 zu beeinträchtigen. Die Regel, dass Schlachtungen grundsätzlich nur in zugelassenen Schlachthöfen durchgeführt werden dürfen, ist eine vollkommen neutrale Regel, die unabhängig von den Umständen und der gewählten Art der Schlachtung gilt. Meines Erachtens hängt die dem Gerichtshof vorgelegte Problematik eher mit einem konjunkturellen Kapazitätsproblem bei Schlachthöfen in bestimmten geografischen Gebieten anlässlich des islamischen Opferfestes – und letztlich mit den Kosten, die bei der Befolgung eines religiösen Gebots entstehen – zusammen als mit den Anforderungen, die sich aus der Unionsregelung ergeben, einer Regelung, die einen Ausgleich vornimmt zwischen der Religionsfreiheit auf der einen und den Erfordernissen, die sich u. a. aus dem Schutz der menschlichen Gesundheit, dem Tierschutz und der Lebensmittelsicherheit ergeben, auf der anderen Seite.

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Verordnung Nr. 1099/2009

6.        Mit der Verordnung Nr. 1099/2009 werden gemeinsame Regeln für den Tierschutz bei der Tötung oder Schlachtung von Tieren in der Europäischen Union festgelegt.

7.        Nach Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 bezeichnet der Ausdruck „Schlachthof“ im Sinne dieser Verordnung „einen Betrieb, der für die Schlachtung von Landtieren genutzt wird und in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 fällt“.

8.        Art. 4 der Verordnung Nr. 1099/2009 bestimmt:

„(1)      Tiere werden nur nach einer Betäubung im Einklang mit den Verfahren und den speziellen Anforderungen in Bezug auf die Anwendung dieser Verfahren gemäß Anhang I getötet. Die Wahrnehmungs- und Empfindungslosigkeit muss bis zum Tod des Tieres anhalten.

(4)      Für Tiere, die speziellen Schlachtmethoden unterliegen, die durch bestimmte religiöse Riten vorgeschrieben sind, gelten die Anforderungen gemäß Absatz 1 nicht, sofern die Schlachtung in einem Schlachthof erfolgt.“

B.      Verordnung Nr. 853/2004

9.        Art. 4 der Verordnung Nr. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs(7) bestimmt:

„(1)      Lebensmittelunternehmer dürfen in der Gemeinschaft hergestellte Erzeugnisse tierischen Ursprungs nur in Verkehr bringen, wenn sie ausschließlich in Betrieben bearbeitet und behandelt worden sind, … die

a)      den einschlägigen Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 852/2004, denen der Anhänge II und III der vorliegenden Verordnung und anderen einschlägigen lebensmittelrechtlichen Vorschriften genügen

und

b)      von der zuständigen Behörde registriert oder – sofern dies nach Absatz 2 erforderlich ist – zugelassen worden sind.

…“

10.      Art. 10 („Änderung und Anpassung der Anhänge II und III“) der Verordnung Nr. 853/2004 erlaubt in seinen Abs. 4 bis 8 den Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen und unter Beachtung bestimmter Modalitäten, einzelstaatliche Vorschriften zur Anpassung der Anforderungen des Anhang III zu erlassen; zu diesen Anforderungen gehören die in Kapitel II genannten „Vorschriften für Schlachthöfe“.

II.    Ausgangsrechtsstreit, Vorlagefrage und Verfahren vor dem Gerichtshof

11.      Das islamische Opferfest wird jedes Jahr drei Tage lang gefeiert(8). Praktizierende Muslime sehen es als ihre religiöse Pflicht an, ein Tier(9) – vorzugsweise am ersten Tag des Opferfestes – zu schlachten oder schlachten zu lassen, dessen Fleisch anschließend teilweise in der Familie verzehrt und teilweise mit Bedürftigen, Nachbarn und entfernteren Verwandten geteilt wird.

12.      Wie sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten ergibt, besteht unter den Muslimen in Belgien ein mehrheitlicher – vom Rat der Theologen innerhalb der Exekutive der Muslime dieses Landes zum Ausdruck gebrachter – Konsens, dass die rituelle Schlachtung ohne Betäubung und unter Beachtung der übrigen Vorschriften des Ritus vorgenommen werden muss.

13.      Der Königliche Erlass vom 11. Februar 1988 in der durch den Königlichen Erlass vom 25. März 1998 geänderten Fassung sah in Ausführung von Art. 16 § 2 des Gesetzes vom 14. August 1986 über den Schutz und das Wohlbefinden der Tiere vor, dass durch einen religiösen Ritus vorgeschriebene Schlachtungen nur in regulären Schlachthöfen (im Folgenden: zugelassene Schlachthöfe) oder „in Betrieben, die der für die Landwirtschaft zuständige Minister in Absprache mit dem für Volksgesundheit zuständigen Minister zugelassen hat“(10), durchgeführt werden durften.

14.      In Anwendung dieser Regelung hatte der belgische Föderalminister seit dem Jahr 1998 temporäre Schlachtstätten zugelassen, die es zusammen mit den zugelassenen Schlachthöfen ermöglichten, die rituellen Schlachtungen während des islamischen Opferfestes sicherzustellen, und dadurch die – infolge der während dieses Zeitraums höheren Nachfrage – fehlende Kapazität der zugelassenen Schlachthöfe ausgeglichen hatten(11). Nach Abstimmung mit der muslimischen Gemeinschaft veröffentlichte der Föderale Öffentliche Dienst Volksgesundheit, Sicherheit der Nahrungsmittelkette und Umwelt bis zum Jahr 2013 wiederholt einen „Leitfaden“ für die Organisation des islamischen Opferfestes (Handleiding voor de Organisatie van het Islamitisch Offerfeest), der speziell Empfehlungen für die Eröffnung und den Betrieb temporärer Schlachtstätten enthielt, die keine zugelassenen Schlachthöfe waren.

15.      Infolge der sechsten Staatsreform wurde die Zuständigkeit für das Tierwohl ab dem 1. Juli 2014 auf die Regionen übertragen. Die Flämische Region erließ daher zur Koordinierung des islamischen Opferfestes des Jahres 2014 in ihrem Gebiet einen dem föderalen Leitfaden aus dem Jahr 2013 vergleichbaren Leitfaden, wonach temporäre Schlachtstätten aufgrund einer individuellen Zulassung durch den zuständigen Minister genehmigt werden konnten, sofern in zumutbarer Entfernung eine unzureichende Schlachtkapazität in den zugelassenen Schlachthöfen festgestellt wurde und eine Reihe von Ausstattungsbedingungen und operationellen Verpflichtungen beachtet wurden.

16.      Am 12. September 2014 kündigte der für das Tierwohl zuständige flämische Minister an, ab dem Jahr 2015 für temporäre Schlachtstätten, in denen während des islamischen Opferfestes rituelle Schlachtungen durchgeführt werden könnten, keine Zulassungen mehr zu erteilen, und begründete dies damit, dass solche Zulassungen gegen Unionsrechtsvorschriften, u. a. gegen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1099/2009, verstießen(12).

17.      Am 4. Juni 2015 sandte der genannte Minister daher an die flämischen Bürgermeister ein Rundschreiben (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), in dem er ihnen mitteilte, dass ab 2015 alle Schlachtungen ohne Betäubung, auch solche, die im Rahmen des muslimischen Opferfestes stattfänden, ausschließlich in zugelassenen Schlachthöfen durchgeführt werden dürften.

18.      In diesem Kontext haben die Kläger des Ausgangsverfahrens verschiedene Klagen eingereicht und u. a. am 5. Februar 2016 die Flämische Region vor der Nederlandstalige rechtbank van eerste aanleg Brussel (Niederländischsprachiges Gericht erster Instanz Brüssel, Belgien) verklagt.

19.      Die Kläger des Ausgangsverfahrens machen geltend, selbst wenn die Verordnung Nr. 1099/2009 auf rituelle Schlachtungen von Tieren während des islamischen Opferfestes anwendbar sein sollte – was sie bestreiten(13) –, sei die Gültigkeit der in Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 aufgestellten Regel fraglich, da sie zum einen gegen die Religionsfreiheit verstoße, die von Art. 10 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und Art. 9 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) geschützt werde, und zum anderen die belgischen Gepflogenheiten in Bezug auf die religiösen Riten des islamischen Opferfestes nicht berücksichtige, die von Art. 13 AEUV garantiert würden.

20.      Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass die angefochtene Entscheidung bei der Umsetzung der in Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 aufgestellten Regel die Ausübung der Religionsfreiheit einschränke und die belgischen Gepflogenheiten in Bezug auf religiöse Riten beeinträchtige, da sie die Muslime verpflichte, rituelle Schlachtungen während des islamischen Opferfestes in nach der Verordnung Nr. 853/2004 zugelassenen Schlachthöfen vorzunehmen. Es hält diese Einschränkung im Hinblick auf die Erreichung der legitimen Ziele, das Tierwohl und die öffentliche Gesundheit zu schützen, weder für sachdienlich noch für verhältnismäßig.

21.      Unter diesen Umständen hat die Nederlandstalige rechtbank van eerste aanleg te Brussel (Niederländischsprachiges Gericht erster Instanz Brüssel) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 wegen Verstoßes gegen Art. 9 EMRK, Art. 10 der Charta und/oder Art. 13 AEUV ungültig, weil er vorsieht, dass Tiere, die speziellen, durch bestimmte religiöse Riten vorgeschriebenen Schlachtmethoden unterliegen, ohne Betäubung nur in einem Schlachthof geschlachtet werden dürfen, der in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 853/2004 fällt, obwohl in der Flämischen Region nicht genügend Kapazität in solchen Schlachthöfen vorhanden ist, um die jährlich anlässlich des islamischen Opferfestes auftretende Nachfrage nach ohne Betäubung rituell geschlachteten Tieren zu befriedigen, und die Belastungen, die mit der Umwandlung vorübergehender für das islamische Opferfest behördlich zugelassener und kontrollierter Schlachtbetriebe in Schlachthöfe, die in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 853/2004 fallen, verbunden sind, nicht sachdienlich erscheinen, um die verfolgten Ziele des Tierwohls und der Volksgesundheit zu erreichen, und in keinem angemessenen Verhältnis hierzu zu stehen scheinen?

22.      Schriftliche Erklärungen haben die Vereinigungen Liga van Moskeeën en Islamitische Organisaties Provincie Antwerpen VZW u. a. und Global Action in the Interest of Animals VZW (im Folgenden: GAIA), die Flämische Region, die estnische und die niederländische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Rat und die Europäische Kommission eingereicht.

23.      Eine mündliche Verhandlung hat am 18. September 2017 stattgefunden, an der die Kläger des Ausgangsverfahrens, GAIA, die Flämische Region, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Rat und die Kommission teilgenommen haben.

III. Würdigung

24.      Das vorlegende Gericht fragt den Gerichtshof, ob Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen Art. 10 der Charta und Art. 9 EMRK sowie gegen Art. 13 AEUV ungültig ist. Die Einschränkung der Ausübung der Religionsfreiheit und der nationalen Gepflogenheiten in Bezug auf religiöse Riten ergebe sich daraus, dass nach diesen Bestimmungen die rituelle Schlachtung von Tieren anlässlich des islamischen Opferfestes nur in zugelassenen Schlachthöfen möglich sei. Solche Betriebe bedürften einer Zulassung durch die zuständigen nationalen Behörden und müssten zu diesem Zweck sämtliche „besonderen Anforderungen“ an Bau, Auslegung und Ausrüstung, die u. a. Anhang III der Verordnung Nr. 853/2004 vorgebe, einhalten.

25.      Die Zweifel des vorlegenden Gerichts ergeben sich daraus, dass es in Ermangelung ausreichender Schlachtkapazitäten der bestehenden zugelassenen Schlachthöfe zur Befriedigung der höheren Nachfrage nach rituellen Schlachtungen anlässlich des islamischen Opferfestes erforderlich wäre, neue zugelassene Betriebe zu schaffen. Die Umwandlung ehemaliger temporärer Schlachtstätten, die im Zeitraum 1998–2014 in Betrieb gewesen seien(14), in zugelassene Schlachthöfe im Sinne der Verordnung Nr. 853/2004 würde aber erhebliche Finanzinvestitionen erfordern, die – abgesehen davon, dass sie sich nicht über das gesamte Jahr amortisieren ließen – überflüssig wären, um zu gewährleisten, dass der Tierschutz und die öffentliche Gesundheit beachtet würden.

26.      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hindert die Vorgabe, dass rituelle Schlachtungen ohne Betäubung ausschließlich in zugelassenen Schlachthöfen durchgeführt werden dürften, zahlreiche praktizierende Muslime daran, ihrer religiösen Pflicht nachzukommen, am ersten Tag des islamischen Opferfestes ein Tier gemäß den Vorschriften des Ritus zu schlachten oder schlachten zu lassen, was dazu führe, dass sie in nicht gerechtfertigter Weise in der Ausübung ihrer Religionsfreiheit beschränkt und die Rechts- und Verwaltungsvorschriften sowie die Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten in Bezug auf religiöse Riten nicht berücksichtigt würden.

27.      Im vorliegenden Fall erscheint es angebracht, vor einer inhaltlichen Prüfung der Vorlagefrage auf deren Zulässigkeit einzugehen, die von der Flämischen Region, der niederländischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie vom Rat und von der Kommission mehr oder weniger direkt in Frage gestellt wird.

A.      Zur Zulässigkeit der Vorlagefrage

1.      Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

28.      Die geltend gemachten Einwände und Vorbehalte betreffen im Wesentlichen zum einen die Formulierung der Vorlagefrage, die zu Unrecht den Eindruck erwecke, dass das Problem seinen Ursprung in der Verordnung Nr. 1099/2009 habe, und zum anderen und grundsätzlicher ihre Entscheidungserheblichkeit, da jedenfalls die Problematik, dass die Kapazität der Schlachthäuser in der Flämischen Region unzureichend sei, in keinem Zusammenhang mit der Anwendung der Bestimmungen der Verordnungen Nrn. 853/2004 und 1099/2009 stehe.

29.      Was zunächst die Formulierung der Vorlagefrage betrifft, haben einige Verfahrensbeteiligte (die Flämische Region und die Regierung des Vereinigten Königreichs) geltend gemacht, dass die Voraussetzungen für die Zulassung von Schlachthöfen in der Verordnung Nr. 853/2004 festgelegt seien, so dass sich eine etwaige Einschränkung der Ausübung der Religionsfreiheit nur aus dieser Verordnung ergeben könne. Das vorlegende Gericht habe daher seine Vorabentscheidungsfrage nicht richtig formuliert, da sie sich stattdessen auf die Gültigkeit von Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 beziehe.

30.      Was sodann die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage betrifft, haben einige Beteiligte (die Flämische Region, die niederländische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Rat und die Kommission) Vorbehalte hinsichtlich der Sachdienlichkeit der Antwort des Gerichtshofs für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits zum Ausdruck gebracht. Es ist u. a. vorgetragen worden, dass die Vorlagefrage auf einem inländischen Sachverhalt beruhe, der keinen Zusammenhang mit den Bestimmungen der Verordnungen Nrn. 1099/2009 und 853/2004 aufweise und daher deren Gültigkeit nicht beeinträchtigen könne.

31.      Die in Rede stehende Problematik bestehe nämlich in der unzureichenden Kapazität der zugelassenen Schlachthäuser in der Flämischen Region während des islamischen Opferfestes und den hohen Finanzinvestitionen, die erforderlich wären, damit die ehemaligen temporären Schlachtstätten selbst gemäß der Verordnung Nr. 853/2004 zugelassen werden könnten. Hierzu haben der Rat und – in geringerem Maße – die Flämische Region geltend gemacht, dass es für das vorlegende Gericht sachdienlicher gewesen wäre, den Gerichtshof nicht mit einer Frage zur Gültigkeit von Bestimmungen der Verordnungen Nrn. 1099/2009 und 853/2004 anzurufen, sondern mit einer Frage zur Auslegung dieser Bestimmungen, um Hinweise dazu zu erhalten, welcher Gestaltungsspielraum den Mitgliedstaaten zuzugestehen sei, um u. a. die Zulassungsbedingungen besonderen Situationen wie derjenigen, die während des islamischen Opferfestes auftrete, anzupassen.

2.      Würdigung

32.      Nach gefestigter Rechtsprechung kann der Gerichtshof die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind(15).

33.      Was als Erstes die Formulierung der Frage betrifft, bin ich der Ansicht, dass sie nicht offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht.

34.      Mit der angefochtenen Entscheidung (siehe Nr. 17 dieser Schlussanträge) wird nämlich angekündigt, dass ab 2015 während des islamischen Opferfestes keine rituellen Schlachtungen ohne Betäubung in temporären Schlachtstätten, die die Anforderungen der Verordnung Nr. 853/2004 nicht erfüllten, mehr genehmigt würden. Es steht aber fest, dass diese Entscheidung auf der Grundlage der in Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 vorgesehenen Regel erlassen wurde, die selbst vorschreibt, dass solche rituellen Schlachtungen in Betrieben durchgeführt werden müssen, die die Anforderungen der Verordnung Nr. 853/2004 erfüllen.

35.      Diese beiden Verordnungen verfolgen unterschiedliche Ziele: Während die Verordnung Nr. 853/2004 Teil des „Hygienepakets“(16) ist, geht es bei der Verordnung Nr. 1099/2009 um das Wohl von Tieren bei ihrer Tötung. Unbeschadet dessen hängen beide Verordnungen miteinander zusammen, da sie die Normen aufstellen, denen der Bau und die Auslegung von Schlachthöfen und das dort verwendete Material entsprechen müssen.

36.      Es erscheint daher nicht angebracht, die Vorlagefrage mit der Begründung für unzulässig zu erklären, dass sie nicht richtig formuliert sei. Somit lässt sich die Zulässigkeit der Vorlagefrage wohl nicht unter dem Gesichtspunkt der zutreffenden Benennung der Unionsrechtsvorschrift, um die es im Ausgangsverfahren tatsächlich geht, in Frage stellen.

37.      Im vorliegenden Fall ist dem Gerichtshof eine sachdienliche Antwort möglich, da das nationale Gericht hinreichende Angaben zum Sachverhalt der Rechtssache, zum einschlägigen Unionsrecht und zum Zusammenhang, der zwischen diesem Recht und den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften besteht, gemacht hat. Diese Angaben haben es den Parteien des Rechtsstreits, den Regierungen der Mitgliedstaaten und den anderen Verfahrensbeteiligten ermöglicht, beim Gerichtshof Erklärungen abzugeben, wie im Übrigen der Inhalt der eingereichten Schriftsätze zeigt(17).

38.      Außerdem kann der Gerichtshof, will er nicht einem überzogenen Formalismus verfallen, meines Erachtens diejenigen Elemente des Unionsrechts herausarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung oder gegebenenfalls einer Beurteilung ihrer Gültigkeit bedürfen.

39.      Was als Zweites die an der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage geäußerten Zweifel angeht, so sollten diese besser im Zusammenhang mit der inhaltlichen Erörterung der Vorlagefrage untersucht werden.

40.      Es ist darauf hingewiesen worden, dass im Ausgangsverfahren die Frage angesprochen wird, ob es möglich ist, aus dem Blickwinkel des Primärrechts – insbesondere der Bestimmungen der Charta und des AEUV zur Religionsfreiheit – die Pflicht, rituelle Schlachtungen ohne Betäubung in einem zugelassenen Schlachthof durchzuführen, in Anbetracht der eventuellen finanziellen Auswirkungen dieser Pflicht auf die Möglichkeit zur Vornahme solcher Schlachtungen während des islamischen Opferfestes in Frage zu stellen.

41.      Auch wenn die von etlichen Verfahrensbeteiligten geäußerten einleitenden Vorbehalte es nicht erlauben, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen für von vornherein für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich und damit für unzulässig zu erklären, sind sie doch – wie ich in den nachfolgenden Ausführungen erläutern werde – bei der inhaltlichen Erörterung der Vorlagefrage eingehend zu würdigen. Im Rahmen dieser Erörterung wird u. a. zu prüfen sein, ob die im Ausgangsverfahren in Frage gestellten Unionsrechtsvorschriften tatsächlich der Grund für die mutmaßliche Einschränkung der Ausübung der Religionsfreiheit und der Gepflogenheiten in Bezug auf religiöse Riten sind.

42.      In diesem Rahmen muss somit geprüft werden, ob die betreffenden Vorschriften, die konkret nur die Art und Weise betreffen, wie jedwede – rituelle oder nicht rituelle – Schlachtung vorgenommen werden muss, die zentrale Problematik des Ausgangsrechtsstreits berühren, in dem es konkret um die Kapazität der derzeit bestehenden ständigen zugelassenen Schlachthöfe zur Befriedigung der gesamten Nachfrage nach rituellen Schlachtungen während des islamischen Opferfestes geht(18).

43.      In Anbetracht aller dieser Erwägungen und im Geist der Zusammenarbeit, der die Beziehungen zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof prägen sollte, bin ich der Auffassung, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen in vollem Umfang zulässig ist.

B.      Zur Beantwortung der Vorlagefrage

1.      Vorbemerkungen

44.      Den Hintergrund meiner Ausführungen sollen zwei allgemeine Vorbemerkungen bilden. Die erste betrifft die Benennung der Regeln und Grundsätze, anhand deren im vorliegenden Fall die Gültigkeit von Bestimmungen der Verordnung Nr. 1099/2009 in Frage gestellt wird. Bei der zweiten geht es grundsätzlicher darum, dass sich der Gerichtshof – anders als einige bei ihm eingereichte Erklärungen nahelegen könnten – im vorliegenden Fall davor hüten sollte, sich an einer Debatte theologischer Natur über die Bedeutung der religiösen Pflicht zur Schlachtung während des islamischen Opferfestes zu beteiligen.

a)      Zu den Regeln und Grundsätzen, anhand deren im vorliegenden Fall die Gültigkeit der Bestimmungen von Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 in Frage gestellt wird

45.      Das vorlegende Gericht führt in seiner Vorlagefrage Art. 10 der Charta, Art. 9 EMRK und schließlich Art. 13 AEUV an.

46.      Insoweit sollte sich der Gerichtshof meines Erachtens auf die Prüfung beschränken können, ob eine Einschränkung der in Art. 10 der Charta verankerten „Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ vorliegt.

47.      Was nämlich die Anführung von Art. 9 EMRK betrifft, geht aus der ständigen Rechtsprechung hervor, dass die durch die EMRK anerkannten Grundrechte, wie Art. 6 Abs. 3 EUV bestätigt, als allgemeine Grundsätze zwar Teil des Unionsrechts sind und dass nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die in dieser enthaltenen Rechte, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der EMRK verliehen werden, dass die EMRK aber, solange die Union ihr nicht beigetreten ist, kein Rechtsinstrument darstellt, das förmlich in die Unionsrechtsordnung übernommen worden ist(19).

48.      Daher kann eine Prüfung der Gültigkeit des Sekundärrechts der Union allein anhand der durch die Charta garantierten Grundrechte vorgenommen werden(20). Aus Art. 52 Abs. 3 der Charta und der Erläuterung zu ihrem Art. 10 geht allerdings hervor, dass das in ihrem Art. 10 Abs. 1 garantierte Recht dem Recht entspricht, das durch Art. 9 EMRK garantiert ist. Es hat die gleiche Bedeutung und die gleiche Tragweite wie dieser Artikel. Die Auslegung dieses Rechts durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) kann daher für die Auslegung von Art. 10 der Charta von gewisser Bedeutung – und zumindest eine Inspirationsquelle – sein. So hat der Gerichtshof befunden, dass die Rechtsprechung des EGMR bei der Auslegung der Charta zu berücksichtigen ist(21).

49.      Was die Anführung von Art. 13 AEUV betrifft, der u. a. von den Mitgliedstaaten verlangt, dem Wohlergehen der Tiere unter Berücksichtigung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften und der Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten insbesondere in Bezug auf religiöse Riten Rechnung zu tragen, gibt das vorlegende Gericht nicht genau an, auf welche Gepflogenheiten oder Vorschriften es Bezug nehmen will.

50.      Selbst wenn die Vorlageentscheidung so zu verstehen wäre, dass in Wirklichkeit die in der Flämischen Region bis zum Jahr 2014 angewandte Praxis gemeint sein soll, die es ermöglichte, auf nicht zugelassene temporäre Schlachthöfe zurückzugreifen, um die Nachfragespitze bei rituellen Schlachtungen anlässlich des islamischen Opferfestes zu bewältigen, ist offensichtlich, dass, selbst wenn diese Praxis als religiöse Gepflogenheit gewertet werden kann, ihre Prüfung sich im Wesentlichen mit der Prüfung der Gültigkeit der streitigen Verordnungsvorschriften aus der Sicht der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 10 der Charta deckt.

b)      Zur Bedeutung der religiösen Pflicht, während des islamischen Opferfestes (ohne Betäubung) zu schlachten

51.      Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache ist geltend gemacht worden, dass Schlachtungen ohne Betäubung und speziell die Pflicht, während des islamischen Opferfestes zu schlachten, nicht unbedingt als eine unantastbare Pflicht der islamischen Religion anzusehen sei und die Vorlagefrage daher auf einer falschen Prämisse beruhe.

52.      Insbesondere die Vereinigung GAIA hat hervorgehoben, dass einige Vertreter der muslimischen Gemeinschaft der Auffassung seien, dass die Elektronarkose oder jedes andere Verfahren zur Betäubung vor der Schlachtung, das sich nicht auf die lebenswichtigen Funktionen des Tieres, vor allem auf dessen Blutzirkulation auswirke (so dass das Tier das Bewusstsein wiedererlangen könnte, wenn es nicht geschlachtet würde), im Einklang mit den Vorschriften der islamischen Religion stünden(22).

53.      Ebenso ist darauf hingewiesen worden, dass eine Reihe islamischer Staaten als „halal“ gekennzeichnetes Fleisch einführten und erzeugten, das von Tieren stamme, die mit Betäubung geschlachtet worden seien(23).

54.      Was schließlich speziell die religiöse Pflicht betrifft, während des islamischen Opferfestes ein Tier zu schlachten, ist außerdem vorgetragen worden, dass viele islamische Gelehrte und praktizierende Muslime der Ansicht seien, dass diese Schlachtung nicht unbedingt am ersten Tag des Opferfestes stattfinden müsse. Es gebe außerdem – vor allem bei jüngeren praktizierenden Muslimen – eine zunehmende Tendenz zu der Auffassung, dass sich die Schlachtung eines Tieres während dieses Festes durch eine Spende ersetzen lasse.

55.      Meines Erachtens ist es nicht Sache des Gerichtshofs, darüber zu befinden, ob die islamische Religion den Rückgriff auf die Betäubung von Tieren tatsächlich verbietet oder ob dagegen dieses Verbot – wie GAIA in der mündlichen Verhandlung mit Nachdruck geltend gemacht hat – nur von bestimmten religiösen Strömungen vertreten wird.

56.      Da im vorliegenden Fall ausweislich der dem Gerichtshof vorgelegten Akten bei der Mehrheit der Muslime in Belgien offenbar ein – vom Rat der Theologen innerhalb der Exekutive der Muslime dieses Landes zum Ausdruck gebrachter – Konsens darüber besteht, dass rituelle Schlachtungen ohne – ob umkehrbare oder nicht umkehrbare – Betäubung erfolgen müssen, kann der Gerichtshof dies nur zur Kenntnis nehmen.

57.      Es erscheint ebenso wenig angebracht, zu untersuchen, ob dieses Erfordernis von sämtlichen Muslimen als eine grundlegende religiöse Pflicht angesehen wird oder ob es eine Alternative zur Erfüllung dieser Pflicht gibt. Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, kann der Gerichtshof lediglich zur Kenntnis nehmen, dass es bestimmte religiöse Strömungen gibt. Es steht dem Gerichtshof nicht zu, darüber zu befinden, ob bestimmte religiöse Lehrsätze oder Gebote als orthodox oder als heterodox einzustufen sind.

58.      Demzufolge – und wie das vorlegende Gericht mit anderen Worten zum Ausdruck gebracht hat – ist die Schlachtung ohne Betäubung während des islamischen Opferfestes sehr wohl ein religiöses Gebot, dem der Schutz der Religionsfreiheit zugutekommt, und zwar unabhängig davon, ob es innerhalb des Islams verschiedene Strömungen gibt oder Alternativlösungen für den Fall der Unmöglichkeit der Erfüllung dieser Pflicht(24).

59.      Insoweit kann ich mich nur der Auffassung anschließen, die das vorlegende Gericht und die meisten Verfahrensbeteiligten vertreten, wonach die rituelle Schlachtung während des islamischen Opferfestes sehr wohl ein „religiöser Ritus“ im Sinne von Art. 2 Buchst. g der Verordnung Nr. 1099/2009 ist und somit als Ausdruck einer religiösen Überzeugung unter die Ausübung der in Art. 10 der Charta und Art. 9 EMRK verankerten Religionsfreiheit fällt.

60.      Diese Auffassung steht im Übrigen völlig im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR, der rituelle Schlachtungen als religiösen Brauch ansieht, so dass sie in den Anwendungsbereich der vorstehend genannten Bestimmungen fallen(25).

61.      In diesem Sinne – und obgleich es einige Verfahrensbeteiligte für notwendig erachtet haben, diesen Gesichtspunkt zu erörtern, um festzustellen, ob zur Zeit der Feier des islamischen Opferfestes in der Flämischen Region ein Schlachtkapazitätsproblem besteht oder nicht – halte ich es auch nicht für wünschenswert, dass sich der Gerichtshof zu der Frage äußert, ob die rituelle Schlachtung aus theologischer Sicht unbedingt am ersten Tag des Opferfestes stattfinden muss oder ob sie auch an den drei nachfolgenden Tagen möglich ist(26).

62.      Nach diesen einleitenden Klarstellungen ist auf die Frage einzugehen, ob die Pflicht, Schlachtungen ohne Betäubung in zugelassenen Schlachthöfen im Sinne von Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 vorzunehmen, eine Einschränkung der Ausübung dieser Religionsfreiheit zur Folge hat.

2.      Zum Vorliegen einer Einschränkung der Ausübung der Religionsfreiheit und der nationalen Gepflogenheiten in Bezug auf religiöse Riten

63.      Zunächst werde ich einen Überblick über die allgemeinen Regeln geben, die für die Schlachtung von Tieren unabhängig von der gewählten Schlachtmethode (d. h. mit oder ohne Betäubung des Tieres) nach der Verordnung Nr. 853/2004 im Rahmen des Erlasses des „Hygienepakets“ gelten. Danach werde ich erläutern, aus welchen Gründen die Bestimmungen von Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009, die wie dargelegt in erster Linie den Tierschutz bezweckt, keine Einschränkung der Religionsfreiheit beinhalten können.

a)      Zu den allgemeinen Regeln, die nach der Verordnung Nr. 853/2004 für alle Schlachtungen gelten

64.      Lebensmittel tierischen Ursprungs müssen, unabhängig von der gewählten Art der Schlachtung, nach strengen Standards hergestellt und vertrieben werden, deren erstes Ziel ist, die Lebensmittelhygiene und ‑sicherheit zu gewährleisten(27).

65.      Die mit der Verordnung Nr. 853/2004 erfolgte Ausarbeitung genauer Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs – also Lebensmittel, die besondere Gefahren in sich bergen können – bezweckt die Schaffung hoher Hygienestandards, um insbesondere Beeinträchtigungen der menschlichen Gesundheit zu vermeiden(28). Diese Vorschriften enthalten somit gemeinsame Grundregeln, „insbesondere betreffend die Pflichten der Hersteller und der zuständigen Behörden, die Anforderungen an Struktur, Betrieb und Hygiene der Unternehmen, die Verfahren für die Zulassung von Unternehmen, die Lager- und Transportbedingungen und die Genusstauglichkeitskennzeichnung“(29). Die Verordnung Nr. 853/2004 sieht daher spezifische Anforderungen insbesondere für den Bau, die Auslegung und die Ausrüstung von Schlachthöfen vor. Nur Schlachthöfe, die diese Anforderungen erfüllen, dürfen nach dieser Verordnung zugelassen werden.

66.      Um die Tragfähigkeit und die Wirksamkeit des geschaffenen Systems sicherzustellen und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten(30), erscheint es zwingend, dass diese Anforderungen in sämtlichen Mitgliedstaaten und von sämtlichen Erzeugern und Unternehmen der Branche beachtet werden(31). Auch wenn eine gewisse Flexibilität zugelassen werden kann, darf sie trotzdem die Ziele der Lebensmittelhygiene keinesfalls in Frage stellen(32).

67.      Von entscheidender Bedeutung ist daher, dass die Anforderungen an Schlachthöfe, die nach der Verordnung Nr. 853/2004 zugelassen werden können, unabhängig davon gelten, ob die Schlachtung mit einer Betäubung einhergeht oder nicht. Die allgemeine Pflicht zur Nutzung zugelassener Schlachthöfe steht mit der Art und Weise der Schlachtung (ob also rituell oder nicht) nur in einem sehr entfernten Zusammenhang. Zudem beruht diese Pflicht nicht ausschließlich auf Erwägungen des Tierwohls, sondern ist Ausfluss der aus dem „Hygienepaket“ folgenden Vorgaben, wie sie u. a. in der Verordnung Nr. 853/2004 enthalten sind.

68.      Das sich aus Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1099/2009 ergebende Erfordernis, dass Schlachtungen in zugelassenen Schlachthöfen stattfinden müssen, die sämtlichen Vorschriften des Anhangs III dieser Verordnung entsprechen, trägt nämlich dazu bei, die Lebensmittelsicherheit unabhängig von der angewandten Schlachtmethode zu garantieren. Dieses Erfordernis, das im Übrigen – wie die Kläger des Ausgangsverfahrens bestätigt haben – nicht im Widerspruch zu den Vorschriften der islamischen Religion steht, verliert nicht dadurch an Bedeutung, dass das Tier ohne vorherige Betäubung geschlachtet wird.

b)      Zur Prüfung der Auswirkungen der sich aus der Verordnung Nr. 1099/2009 ergebenden Tierschutzbestimmungen auf die Religionsfreiheit

69.      Es ist ausgeführt worden, der Anlass dafür, dass die Gültigkeit von Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1099/2009 im Ausgangsverfahren in Frage gestellt werde, sei unbestreitbar die Ankündigung des für das Tierwohl verantwortlichen flämischen Ministers vom 12. September 2014, temporären Schlachtstätten ab 2015 deshalb keine Zulassung mehr zu erteilen, weil derartige Zulassungen gegen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1099/2009 verstießen(33).

70.      Die Gültigkeit der letztgenannten Vorschriften unter dem Gesichtspunkt der Religionsfreiheit in Frage zu stellen, erscheint mir allerdings zumindest paradox.

71.      Nach der gegenwärtigen Rechtslage gilt der Grundsatz der Schlachtung mit Betäubung. Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1099/2009 sieht dementsprechend vor, dass Tiere nur nach einer Betäubung im Einklang mit den Verfahren und Anforderungen gemäß Anhang I dieser Verordnung getötet werden.

72.      Infolge einer Abwägung zwischen Kultusfreiheit und Tierschutz und unter Berücksichtigung des Ziels der Verordnung Nr. 1099/2009, nämlich einer Harmonisierung der Normen für den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung, sieht Art. 4 Abs. 4 dieser Verordnung allerdings derzeit eine Ausnahme für rituelle Schlachtungen ohne Betäubung der Tiere in Schlachthöfen vor.

73.      Wie aus dem 18. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1099/2009 hervorgeht, begünstigt ihr Art. 4 Abs. 4 dadurch, dass er eine Ausnahme von der in seinem Abs. 1 aufgestellten allgemeinen Regel vorsieht, wonach Tiere nur nach einer Betäubung getötet werden dürfen, in Wirklichkeit rituelle Schlachtungen ohne Betäubung, und zwar aus Rücksicht auf bestimmte religiöse Gebote.

74.      Hingegen sieht diese Bestimmung – entgegen dem, was das Vorbringen der Kläger vermuten lassen könnte – keinerlei zusätzliches spezielles Erfordernis vor, das nur für rituelle Schlachtungen und nicht für andere Schlachtungen gelten würde.

75.      Unter diesen Umständen könnte diese Bestimmung meines Erachtens nur dann unter dem Gesichtspunkt der Achtung der Religionsfreiheit für ungültig erklärt werden, wenn feststünde, dass die Nutzung zugelassener Schlachthöfe als solche gegen bestimmte religiöse Gebote verstößt, oder wenn belegt wäre, dass die mit dieser Vorschrift aufgestellten Voraussetzungen die Möglichkeit, Schlachtungen ohne Betäubung der Tiere in Übereinstimmung mit bestimmten religiösen Riten vorzunehmen, objektiv beeinträchtigen.

76.      Wie jedoch aus den Akten hervorgeht und während der mündlichen Verhandlung bestätigt worden ist, behaupten die Kläger des Ausgangsverfahrens nicht, dass die Pflicht, rituelle Schlachtungen in einem Schlachthof durchzuführen, als solche mit ihren religiösen Überzeugungen unvereinbar sei.

77.      Im Übrigen geben die Kläger des Ausgangsverfahrens nicht an, aus welchen grundsätzlichen Erwägungen – d. h. unabhängig von den vermuteten Kapazitätsproblemen der derzeit bestehenden Schlachthöfe und vor allem den Kosten, die aufgewandt werden müssten, um im Einklang mit den Verordnungsbestimmungen neue Betriebe einzurichten oder bestehende Betriebe umzuwandeln – die Bedingung, dass Schlachtungen von Tieren in zugelassenen Schlachthöfen durchgeführt werden müssen, unter dem Gesichtspunkt der Achtung der Religionsfreiheit problematisch ist.

78.      Wie u. a. der Rat und die Kommission vorgetragen haben, ist die Pflicht, sicherzustellen, dass alle Schlachtstätten zugelassen sind und folglich die Bedingungen der Verordnung Nr. 853/2004 erfüllen, vollkommen neutral und betrifft jeden, der Schlachtungen durchführt. Rechtsvorschriften, die auf eine neutrale Weise ohne irgendeinen Zusammenhang mit religiösen Überzeugungen Anwendung finden, können grundsätzlich nicht als eine Einschränkung der Ausübung der Religionsfreiheit angesehen werden(34).

79.      Der Umstand, dass die Nutzung zugelassener Betriebe dieser Art im Vergleich zu temporären Schlachthöfen, die in der Flämischen Region bis dahin toleriert worden waren, mit Mehrkosten verbunden ist, ist meines Erachtens deshalb unerheblich. Was zählt, ist die Feststellung, dass die Kosten, die für die Einrichtung zugelassener Schlachthöfe aufgewandt werden müssen, die gleichen sind, unabhängig davon, ob sie für rituelle Schlachtungen bestimmt sind oder nicht.

80.      Insoweit hat der EGMR entschieden, dass eine Maßnahme nicht deshalb einen Eingriff in ein Grundrecht darstellt, weil sie für eine Gruppe von Anhängern bestimmter religiöser Gebote oder Überzeugungen mit Kosten verbunden ist(35). Dies sollte erst recht gelten, wenn die Kosten, die mit der Befolgung eines religiösen Gebots verbunden sind, grundsätzlich die gleichen sind wie diejenigen, die Personen entstehen, die dieser Religion nicht angehören.

81.      Eine solche Regel vermag daher als solche die Möglichkeit, rituelle Schlachtungen vorzunehmen, nicht zu beseitigen oder einzuschränken, sondern stellt nur noch einmal klar, dass jede Schlachtung in einem Betrieb stattfinden muss, der die im Anhang der Verordnung Nr. 853/2004 genannten Standards erfüllt.

82.      Mir scheint, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens mit ihrem Vorbringen letztlich über die für rituelle Schlachtungen vorgesehene Ausnahme hinaus eine zusätzliche Ausnahme von der Pflicht, solche Schlachtungen in zugelassenen Schlachthöfen durchzuführen, beanspruchen möchten.

83.      Der Hauptgrund, der das vorlegende Gericht offenbar zu der Vorlage veranlasst hat, ist nämlich der Umstand, dass die derzeit bestehenden ständigen zugelassenen Schlachthöfe wegen einer Steigerung der Nachfrage nach Schlachtungen während des islamischen Opferfestes nicht über ausreichende Kapazitäten verfügen und die Kosten für den Bau solcher Schlachthöfe oder die Umwandlung von temporären Schlachtstätten in ständige zugelassene Schlachtstätten sehr hoch sind.

84.      Der genannte Kapazitätsmangel und die Kosten, die die Schaffung neuer zugelassener Betriebe möglicherweise mit sich bringt, weisen aber keinen Zusammenhang mit der Anwendung der Verordnung Nr. 1099/2009 auf.

85.      Meines Erachtens haben die konjunkturbedingten Probleme bei den Schlachtkapazitäten in einem bestimmten Gebiet – wie die, die angeblich(36) wegen der starken Nachfrage nach rituellen Schlachtungen, die anlässlich des islamischen Opferfestes an wenigen Tagen besteht, in der Flämischen Region auftreten – ebenfalls weder unmittelbar noch mittelbar etwas mit der Pflicht zu tun, zugelassene Schlachthöfe im Sinne der Verordnung Nr. 853/2004 zu nutzen. Diese Schwierigkeiten weisen vielmehr – wie die Kommission und die Regierung des Vereinigten Königreichs geltend gemacht haben – auf die Frage hin, wer die Kosten für die Schaffung solcher Betriebe zur Bewältigung der Nachfragespitze bei rituellen Schlachtungen während des islamischen Opferfestes tragen muss.

86.      Die in der mündlichen Verhandlung gestellte Frage, ob „Halal“-Fleisch im Allgemeinen außerhalb des Zeitraums, in dem das islamische Opferfest begangen wird, ausreichend zur Verfügung steht, haben die Kläger des Ausgangsverfahrens bejaht. Sie haben außerdem bestätigt, dass das Problem ihres Erachtens daher rühre, dass der Bau neuer zugelassener Schlachthöfe zur Bewältigung der Nachfragespitze bei rituellen Schlachtungen während des Opferfestes über das ganze Jahr betrachtet keine wirtschaftlich rentable Option sei.

87.      Das bestätigt, dass die eventuellen Kapazitätsprobleme, sowohl von der Angebots- als auch von der Nachfrageseite aus betrachtet, nicht durch Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1099/2009 verursacht worden sind, sondern vielmehr die Folge des Zusammentreffens mehrerer besonderer Umstände sind, die von der Anwendung dieser Vorschrift völlig unabhängig sind und sich hauptsächlich daraus ergeben, dass sich die Nachfrage nach rituellen Schlachtungen auf einen ganz bestimmten Zeitpunkt im Jahr konzentriert, der zudem von sehr kurzer Dauer ist.

88.      Indessen ist – wie die Kommission meines Erachtens sehr zutreffend hervorgehoben hat – die Frage, ob eine Unionsrechtsvorschrift gültig ist, anhand ihrer Tatbestandsmerkmale zu beurteilen und kann nicht von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängen(37).

89.      Im Ergebnis und trotz der vom vorlegenden Gericht gehegten Zweifel sehe ich kein überzeugendes Argument für die Annahme, dass die streitige Regelung, die – worauf ich nochmals hinweise – vollkommen neutral ist und allgemein gilt, eine Einschränkung der Religionsfreiheit begründet.

3.      Zur Rechtfertigung einer eventuell festgestellten Einschränkung der Religionsfreiheit

90.      Da sich meines Erachtens im Ergebnis eine Einschränkung der Religionsfreiheit infolge der allgemeinen Pflicht zur Nutzung zugelassener Schlachthöfe nicht feststellen lässt, stellt sich die Frage, ob eine solche Einschränkung gerechtfertigt ist, nicht mehr.

91.      Unbeschadet dessen und für den Fall, dass der Gerichtshof meine Schlussfolgerung nicht teilen und der Ansicht sein sollte, dass die Pflicht zur Nutzung zugelassener Schlachthöfe – und allein diese Pflicht steht im vorliegenden Fall im Streit – einen Eingriff in die Religionsfreiheit darstelle, da sie praktizierende Muslime daran hindere, ihrer religiösen Pflicht während des Opferfestes nachzukommen, bin ich der Ansicht, dass kein im Allgemeininteresse liegendes legitimes Ziel geeignet wäre, das Bestehen einer Einschränkung dieser Freiheit zu rechtfertigen.

92.      Diese Schlussfolgerung – die angesichts meiner Würdigung der Frage, ob sich eine Einschränkung der Religionsfreiheit feststellen lässt, auf den ersten Blick überraschen mag – erklärt sich durch folgende Erwägungen.

93.      Zwar lässt sich a priori die Auffassung vertreten, dass die Einschränkung der Möglichkeit zu rituellen Schlachtungen legitime Ziele der öffentlichen Ordnung und Gesundheit verfolgt, nämlich den Schutz des Tierwohls, der öffentlichen Gesundheit und der Lebensmittelsicherheit.

94.      Sollte aber entschieden werden, dass die Pflicht, während des islamischen Opferfestes zugelassene Schlachthöfe zu nutzen, gegen die Religionsfreiheit verstößt, wäre der Gerichtshof zwangsläufig zu einer unmöglichen Entscheidung aufgerufen zwischen dieser Freiheit und den zwingenden Erfordernissen des Schutzes des Tierwohls, der öffentlichen Gesundheit und der Lebensmittelsicherheit, die wie dargelegt die drei allgemeinen Ziele sind, die mit der Pflicht zur Nutzung zugelassener Schlachthöfe verfolgt werden. Dies liefe nämlich letztlich darauf hinaus, eine Hierarchie zwischen der Achtung der Religionsfreiheit und der erforderlichen Verfolgung dieser im Allgemeininteresse liegenden legitimen Ziele herzustellen, während der Gesetzgeber gerade einen Ausgleich zwischen der Achtung der Religionsfreiheit und der Verfolgung dieser verschiedenen Ziele schaffen wollte, u. a. in den Bestimmungen von Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1099/2009.

95.      Mit anderen Worten: Sollte entschieden werden, dass die letztgenannte Vorschrift, die das Bestreben des europäischen Gesetzgebers belegt, einen gerechten Ausgleich zwischen der Religionsfreiheit und der Verfolgung von im Allgemeininteresse liegenden legitimen Zielen, nämlich dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, der Lebensmittelsicherheit und des Tierwohls(38), zu finden, eine Einschränkung der Religionsfreiheit begründet, kann ich kaum erkennen, wie diese Einschränkung gerade in dem besonderen Rahmen der Begehung des islamischen Opferfestes durch die genannten zwingenden Erfordernisse gerechtfertigt sein könnte.

96.      Grundsätzlich muss zwar Erwägungen in Bezug auf die menschliche Gesundheit Vorrang gegenüber Tierschutzerwägungen eingeräumt werden; im vorliegenden Fall wurde aber der Förderung des Tierwohls als im Allgemeininteresse liegendem legitimen Ziel, dem der Erlass der Bestimmungen von Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 speziell dienen soll, offenbar ganz besondere Beachtung geschenkt.

97.      Demgemäß werde ich im Folgenden erstens darlegen, warum der Tierschutz kein Ziel darstellt, das geeignet wäre, eine Einschränkung der Religionsfreiheit zu rechtfertigen, sofern anzunehmen wäre, dass Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1099/2009 eine solche Einschränkung beinhaltet, und zweitens, warum eine solche Einschränkung nicht sachdienlicher und nicht angemessener ist, um die Lebensmittelsicherheit und die öffentliche Gesundheit in dem sehr speziellen Rahmen der Begehung des muslimischen Opferfestes zu gewährleisten.

a)      Religionsfreiheit und Tierschutz bei der Prüfung von Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009

98.      Auch wenn ich nicht die Auffassung teile, dass Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 unter dem Gesichtspunkt der Religionsfreiheit problematisch ist, so kann ich mich doch der Ansicht, die die Kläger des Ausgangsverfahrens in ihren beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen vertreten, nur anschließen, dass unbedingt Vorsicht geboten ist, wenn das Ziel des Tierschutzes potenziell mit einem Grundrecht kollidiert.

99.      Insoweit genügt ein Hinweis auf Art. 13 AEUV, wonach „die Mitgliedstaaten den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung [tragen]; sie berücksichtigen hierbei die Rechts- und Verwaltungsvorschriften und die Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten insbesondere in Bezug auf religiöse Riten“(39).

100. Im vorliegenden Fall halte ich die Schlussfolgerung für heikel, dass die Pflicht nach Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1099/2009 zur Nutzung zugelassener Schlachthöfe im Sinne der Verordnung Nr. 853/2004, obwohl sie eine Einschränkung der Religionsfreiheit bewirkt, im Hinblick auf die Verfolgung eines legitimen Ziels erforderlich und verhältnismäßig ist.

101. Bevor ich nacheinander auf die Fragen der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit der streitigen Bestimmung eingehe, halte ich eine allgemeine Vorbemerkung zum Ausgleich zwischen den von der einschlägigen Regelung – speziell mit Rücksicht auf bestimmte religiöse Überzeugungen – eingeräumten Möglichkeiten zur Durchführung von Schlachtungen ohne Betäubung einerseits und dem Schutz des Tierwohls andererseits für angebracht.

102. Während des vorliegenden Verfahrens ist – oft mit großer Überzeugung und ein wenig kategorisch – vorgetragen worden, es sei unbestreitbar, dass die Schlachtung eines nicht betäubten Tieres dem Tier mehr Schmerzen und Leid verursachen könne(40).

103. Die – aus theoretischer Sicht gut nachvollziehbare – Anerkennung dieser Prämisse sollte aber meines Erachtens nicht auf die Wertung hinauslaufen, dass religiöse Gemeinschaften, die Schlachtungen ohne Betäubung des Tieres befürworteten, das Tierwohl missachteten, weil sie Praktiken anhingen, die archaisch und barbarisch seien und mit den in modernen demokratischen Gesellschaften anerkannten Grundsätzen kaum in Einklang ständen.

104. Es genügt im Übrigen, sich den Umstand vor Augen zu halten, dass sich der Unionsgesetzgeber gerade dafür entschieden hat, den Mitgliedstaaten mit dem Erlass von Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1099/2009 die Möglichkeit zu lassen, besondere, durch religiöse Riten vorgeschriebene Schlachtmethoden zuzulassen. Erneut ist hervorzuheben, dass das Erfordernis, wonach Schlachtungen aufgrund dieser Vorschrift nur in einem Schlachthof durchgeführt werden dürfen, lediglich eine Wiederholung der – unabhängig von der angewandten Methode zur Schlachtung des Tieres geltenden – allgemeinen Regel ist, die durch die Verordnung Nr. 853/2004 vorgegeben wird.

105. Insoweit ist daran zu erinnern, dass die „Einschränkung“, um die es im vorliegenden Fall geht, nicht in der Schlachtung ohne Betäubung, sondern vielmehr in der – allgemeineren – Pflicht zur Nutzung eines zugelassenen Schlachthofs im Sinne der Verordnung Nr. 853/2004 besteht.

106. Wie im Rahmen von Diskussionen auf nationaler Ebene betont worden ist, taucht hinter der speziellen Frage der rituellen Schlachtung sehr schnell die Gefahr der Stigmatisierung auf, eine Gefahr, die historisch gesehen groß ist und der kein Vorschub geleistet werden sollte(41).

107. Es kann keineswegs ausgeschlossen werden, dass eine Schlachtung ohne Betäubung, die unter guten Bedingungen vorgenommen wird(42), für die Tiere möglicherweise weniger schmerzhaft ist als eine Schlachtung mit vorheriger Betäubung unter Bedingungen, bei denen aus offenkundigen Rentabilitätserwägungen und in Anbetracht des hohen Industrialisierungsgrads des Wirtschaftszweigs, in dem Lebensmittel tierischen Ursprungs hergestellt werden, die Tiere übermäßigem Stress und Leiden ausgesetzt sind(43).

108. Auf die Gefahr hin, eine Selbstverständlichkeit auszusprechen: Alle Tötungsformen sind ihrem Wesen nach gewaltsam und infolgedessen unter dem Gesichtspunkt des Tierleids problematisch(44).

109. Persönlich bin ich – im Einklang mit zahlreichen Studien und Untersuchungen(45) – nicht überzeugt, dass die Nutzung zugelassener Schlachthöfe stets ein sehr wirksames Bollwerk gegen das Leiden von Tieren darstellt, das für sich genommen eine Einschränkung der Religionsfreiheit rechtfertigen würde.

1)      Zur Notwendigkeit einer Einschränkung der Religionsfreiheit zugunsten des Tierschutzes

110. Nach nunmehr gefestigter(46) Rechtsprechung des Gerichtshofs kann der Schutz des Wohlergehens der Tiere ein im Allgemeininteresse liegendes legitimes Ziel darstellen, dessen Bedeutung u. a. in der Annahme des dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über den Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere durch die Mitgliedstaaten zum Ausdruck gekommen ist(47). Diesem Protokoll entspricht nunmehr Art. 13 AEUV, eine allgemein geltende Bestimmung im den Grundsätzen gewidmeten Ersten Teil des AEU-Vertrags(48).

111. Es stellt sich die Frage, ob, wenn eine Einschränkung der Religionsfreiheit vorliegt, die Pflicht zur Nutzung zugelassener Schlachthöfe in dem besonderen Kontext des islamischen Opferfestes durch die Notwendigkeit, das Tierwohl zu schützen, gerechtfertigt ist.

112. Meines Erachtens darf dies bezweifelt werden.

113. Zwar liegt es im allgemeinen Interesse, „wilde“ Schlachtungen, die im Hinblick auf das Tierwohl unter fragwürdigen Bedingungen stattfinden, zu vermeiden, was grundsätzlich bedeutet, dass Tiere vorzugsweise in Betrieben geschlachtet werden sollten, die behördlich kontrolliert werden(49) oder genau festgelegten Standards in Bezug auf Ausstattung und Logistik entsprechen.

114. Das darf jedoch nicht auf die Annahme hinauslaufen, dass es sich bei diesen Betrieben in dem sehr speziellen Rahmen der Begehung des islamischen Opferfestes unbedingt um zugelassene Schlachthöfe im Sinne der Verordnung Nr. 853/2004 handeln müsste.

115. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Hier stellt sich nicht die Frage, ob die Schlachtung ohne Betäubung im Namen des Tierschutzes verboten werden muss, sondern es geht vielmehr um die Feststellung, ob dem Tierwohl besser gedient ist, wenn im Rahmen der Ausnahme nach Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1099/2009 anlässlich der Begehung des islamischen Opferfestes zugelassene Schlachthöfe in Anspruch genommen werden, als wenn eine nicht zugelassene temporäre Schlachtstätte genutzt wird.

116. Was insbesondere die in der Flämischen Region bis 2014 bestehende Möglichkeit zur Vornahme ritueller Schlachtungen betrifft, hat die Kommission selbst im Anschluss an die von ihren Dienststellen zwischen dem 24. November und dem 3. Dezember 2014 durchgeführte Prüfung, mit der bewertet werden sollte, wie das Tierwohl bei Schlachtungen in den bis dahin genehmigten temporären Betrieben kontrolliert wurde, ausgeführt, dass diese Schlachtstätten hinreichende Garantien böten, und dabei die von den belgischen Behörden unternommenen Anstrengungen zur Verbesserung der Situation zur Kenntnis genommen.

117. Im Prüfbericht vom 30. Juli 2015 stellte die Kommission daher fest, dass die zuständigen Behörden das Erforderliche unternommen hätten, damit in den ihr bekannten temporären Schlachtstätten hinsichtlich des Tierwohls dieselben Bedingungen beachtet würden. Der Bericht gelangte zu dem Ergebnis, dass, obgleich die Tötung von Tieren ohne Betäubung für religiöse Riten außerhalb eines zugelassenen Schlachthofs nicht im Einklang mit der Verordnung Nr. 1099/2009 gestanden habe, die zuständigen nationalen Behörden große Anstrengungen unternommen hätten, damit während der religiösen Feiertage in den reglementierten Schlachtstätten dieselben Bedingungen hinsichtlich des Tierwohls eingehalten würden.

118. Mit dieser Feststellung sind die Dienststellen der Kommission offenbar davon ausgegangen, dass die temporären Schlachtstätten, die bestimmte Eigenschaften aufwiesen, ohne zwangsläufig der Definition eines zugelassenen Schlachthofs im Sinne von Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 zu entsprechen, als solche ausreichende Garantien für das Tierwohl bei Schlachtungen anlässlich des islamischen Opferfestes bieten könnten. Da es sich um ein Fest handelt, das nur einmal im Jahr begangen wird, und in Anbetracht der Tatsache, dass sich die anlässlich dieses Festes geschlachteten Tiere bestimmungsgemäß grundsätzlich nicht lange an den Schlachtorten aufhalten, scheint die Schaffung derartiger zugelassener Schlachthöfe kein wirklich zweckdienliches Erfordernis zu sein. Denn die Bedingungen, die die Betriebe u. a. nach der Verordnung Nr. 853/2004 erfüllen müssen, sind für Betriebe geschaffen worden, die Angebot und Nachfrage auf dem Alltagsmarkt bedienen sollen.

119. Zudem kann man sich in dem speziellen Kontext einer Nachfragespitze bei Schlachtungen, wie sie sich während des islamischen Opferfestes feststellen lässt, sogar die Frage stellen, ob die Genehmigung von Schlachtungen in temporären Schlachtstätten, die genau festgelegte Gesundheitsstandards erfüllen, ohne jedoch der Definition des zugelassenen Schlachthofs im Sinne von Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 zu entsprechen, nicht eine bessere Lösung ist, um den Bedenken hinsichtlich des Tierwohls Rechnung zu tragen. Die Einrichtung solcher Schlachtstätten kann, weil dadurch die zugelassenen Schlachthöfe entlastet werden, dazu beitragen, dass die Schlachtung letztlich unter besseren Bedingungen für das Tier stattfindet, u. a. was den verursachten Stress betrifft.

2)      Zur Verhältnismäßigkeit einer Einschränkung der Religionsfreiheit im Hinblick auf den Tierschutz

120. Gemäß Art. 52 Abs. 1 der Charta muss eine Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen und verhältnismäßig sein.

121. Die im vorliegenden Fall fragliche Einschränkung – die sich aus der in Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1099/2009 vorgesehenen Pflicht ergeben soll, zugelassene Schlachthöfe, also Betriebe, die die Anforderungen der Verordnung Nr. 853/2004 erfüllen, zu nutzen – ist unbestreitbar gesetzlich vorgesehen.

122. Hingegen und für den Fall, dass hier eine Beschränkung der Religionsfreiheit angenommen werden und diese Beschränkung gerechtfertigt sein sollte, habe ich Zweifel, dass eine solche Beschränkung als im Hinblick auf das verfolgte Ziel verhältnismäßig beurteilt werden könnte.

123. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Handlungen der Unionsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei die durch sie verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen(50) und, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist(51).

124. Meiner Ansicht nach kann die Pflicht, Schlachtungen in einem zugelassenen Schlachthof vorzunehmen, über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels des Tierschutzes unbedingt erforderlich ist, wenn es um die Schlachtung eines Tieres zum Vollzug eines religiösen Ritus während eines genau bestimmten Zeitraums des Jahres geht.

125. Hierzu ist festzustellen, dass Anhang III der Verordnung Nr. 853/2004 zahlreiche Anforderungen vorsieht, die Schlachthöfe erfüllen müssen, um nach dieser Verordnung zugelassen zu werden.

126. Allerdings ist die Frage erlaubt, ob bei Vorliegen einer Einschränkung der Religionsfreiheit alle diese Anforderungen in dem sehr speziellen Kontext der kurzzeitigen Nachfrageerhöhung während des islamischen Opferfestes zwingend beachtet werden müssen.

127. So können sich, ohne dass insoweit Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden soll, bestimmte in Anhang III der Verordnung Nr. 853/2004 vorgesehene Standards – wie die strukturellen Anforderungen u. a. in Bezug auf Zerlegungsbetriebe oder die Kühllagerung von Fleisch – als überflüssig erweisen, um die anlässlich des islamischen Opferfestes festgestellte Nachfragespitze bei rituellen Schlachtungen zu bewältigen, da es um Betriebe geht, die nur einmal im Jahr genutzt werden und in denen das Fleisch grundsätzlich unmittelbar an den Endverbraucher abgegeben wird.

128. Infolgedessen und für den Fall, dass die streitigen Vorschriften als Einschränkung der Religionsfreiheit gewertet werden sollten, bin ich der Ansicht, dass es mit Sicherheit eine weniger belastende Lösung gibt als die Verpflichtung, während des islamischen Opferfestes zugelassene Schlachthöfe zu nutzen.

b)      Religionsfreiheit und Schutz der Lebensmittelsicherheit und der öffentlichen Gesundheit

129. Falls festgestellt werden sollte, dass die Regel, die Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 aufstellt, eine Einschränkung der Religionsfreiheit begründet, würde sich außerdem die Frage stellen, ob sich diese Einschränkung mit legitimen Gründen des Allgemeininteresses in Gestalt der Lebensmittelsicherheit und der menschlichen Gesundheit rechtfertigen lässt.

130. Die Verordnung Nr. 853/2004, auf die die Verordnung Nr. 1099/2009 verweist, verfolgt nämlich vor allem Zwecke der Lebensmittelsicherheit, die letztlich unmittelbar dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen sollen.

131. Allerdings könnte in Anknüpfung an meine vorstehenden Ausführungen ein vollständiges Verbot von Schlachtungen außerhalb von Schlachthöfen, die im Einklang mit den in Anhang III der Verordnung Nr. 853/2004 aufgestellten Normen zugelassen sind, unter dem Gesichtspunkt der Lebensmittelsicherheit und der öffentlichen Gesundheit als nicht hinreichend sachdienlich erscheinen, um eine Einschränkung der Erfüllung der religiösen Pflicht, ein Tier anlässlich eines einmal im Jahr stattfindenden ganz speziellen Ereignisses – des islamischen Opferfestes – zu schlachten oder schlachten zu lassen, zu rechtfertigen.

132. Wie u. a. die Kommission in ihrem Prüfbericht vom 30. Juli 2015 festgestellt hat, können temporäre Schlachtbetriebe, die bestimmte genau festgelegte Hygienestandards erfüllen, als solche im Hinblick auf die Befriedigung der erheblichen, aber zeitlich sehr begrenzten Nachfrage nach Schlachtungen während des islamischen Opferfestes unter dem Gesichtspunkt der menschlichen Gesundheit und der Lebensmittelsicherheit hinreichende Garantien bieten.

133. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass sich meines Erachtens im Ergebnis nicht feststellen lässt, dass Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 eine Einschränkung der Religionsfreiheit beinhaltet. Nur für den Fall, dass im Gegensatz hierzu vom Vorliegen einer solchen Einschränkung ausgegangen werden sollte, bin ich jedoch der Auffassung, dass diese Einschränkung nicht als durch im Allgemeininteresse liegende Gründe des Tierwohls, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und der Lebensmittelsicherheit gerechtfertigt angesehen werden kann. Jedenfalls kann diese Einschränkung meiner Ansicht nach im Hinblick auf die Verfolgung dieser Ziele nicht als verhältnismäßig gewertet werden.

4.      Ersuchen um Prüfung der Gültigkeit und/oder Ersuchen um Auslegung der Bestimmungen von Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009?

134. Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht entschieden, seine Vorlagefrage auf ein Ersuchen um Prüfung der Gültigkeit der Bestimmungen von Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung Nr. 1099/2009 zu beschränken.

135. Der Rat hat jedoch in seinen schriftlichen Erklärungen ausgeführt, dass es zweifellos für das vorlegende Gericht sachdienlicher gewesen wäre, den Gerichtshof um die Auslegung der Bestimmungen der Verordnungen Nrn. 1099/2009 und 853/2004 zu ersuchen, insbesondere was die den Mitgliedstaaten eingeräumte Flexibilität in Bezug auf die Regeln für die Zulassung von Schlachthöfen betrifft, u. a. um festzustellen, inwieweit die Mitgliedstaaten Sondersituationen berücksichtigen dürfen, wie sie in einem Mitgliedstaat (oder einem Teil desselben) anlässlich des islamischen Opferfestes auftreten.

136. Ein solches Vorgehen überzeugt mich nicht völlig, da es im Ergebnis darauf hinausliefe, die Regel in Frage zu stellen, die nach derzeitigem Stand des Unionsrechts allgemein gilt und wonach Tiere in zugelassenen Schlachthöfen geschlachtet werden müssen.

137. Mit den Verordnungen Nrn. 1099/2009 und 853/2004 wird zwar eine gewisse Flexibilität eingeführt, da sie nicht nur bestimmte Ausnahmen von der Pflicht, sich an zugelassene Schlachthöfe zu wenden, vorsehen, sondern auch Ausnahmen von der Einhaltung bestimmter technischer Vorschriften, die für Schlachtstätten gelten(52), u. a. zugunsten mobiler Schlachthöfe und kleiner Schlachthöfe mit Direktvertrieb(53); trotzdem bezweifele ich, dass der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache in der Lage ist, genau und ohne eingehende Prüfung sämtlicher Anforderungen, die sich aus diesen Verordnungen ergeben, die Umstände zu bestimmen, die es rechtfertigen würden, von den für Schlachtstätten geltenden strukturellen Anforderungen, denen bei der Erarbeitung dieser Richtlinien große Bedeutung zukommt, abzuweichen.

138. Insoweit sei daran erinnert, dass es der Gerichtshof im vorliegenden Fall mit einem Problem konjunktureller Art zu tun hat, das, wenn ich die Akten richtig verstehe, offenbar inzwischen gelöst ist.

139. Im Grunde hat es den Anschein, dass die Kläger des Aufgangsverfahrens in Wirklichkeit eine Abschwächung der Gesundheitsstandards und ‑anforderungen anstreben, die in dem Wirtschaftszweig gelten, der mit Lebensmitteln tierischen Ursprungs umgeht, da sie die mit der Einhaltung dieser Anforderungen verbundenen Kosten scheuen.

140. In einem solchen Kontext zu versuchen, allgemeine Auslegungsleitlinien aufzustellen, die letztlich die präzisen Regeln in Frage stellen könnten, die die derzeit für die Tötung von Tieren geltende Regelung enthält, erscheint nicht angebracht.

IV.    Ergebnis

141. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage der Nederlandstalige rechtbank van eerste aanleg Brussel (Niederländischsprachiges Gericht erster Instanz Brüssel, Belgien) wie folgt zu beantworten:

Die Prüfung der Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. k der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 des Rates vom 24. September 2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung im Licht des Rechts auf Religionsfreiheit, wie es in Art. 10 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist und in Art. 13 AEUV im Zusammenhang mit dem Wohlergehen der Tiere Berücksichtigung findet, beeinträchtigen könnte.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Richtlinie des Rates vom 18. November 1974 über die Betäubung von Tieren vor dem Schlachten (ABl. 1974, L 316 S. 10). In der Begründung dieser Richtlinie hieß es u. a.: „Es sind … geeignete und anerkannte Betäubungsmethoden allgemein vorzuschreiben. Dabei ist allerdings den Besonderheiten bestimmter religiöser Riten Rechnung zu tragen.“


3      Verordnung des Rates vom 24. September 2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung (ABl. 2009, L 303, S. 1). Im 18. Erwägungsgrund dieser Verordnung heißt es: „Die Gemeinschaftsvorschriften über die rituelle Schlachtung wurden je nach den einzelstaatlichen Bedingungen unterschiedlich umgesetzt, und die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigen Faktoren, die über den Anwendungsbereich dieser Verordnung hinausgehen; daher ist es wichtig, dass die Ausnahme von der Verpflichtung zur Betäubung von Tieren vor der Schlachtung aufrechterhalten wird, wobei den Mitgliedstaaten jedoch ein gewisses Maß an Subsidiarität eingeräumt wird. Folglich wird mit dieser Verordnung die Religionsfreiheit sowie die Freiheit, seine Religion durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen, geachtet, wie dies in Artikel 10 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist.“


4      Es ist darauf hingewiesen worden, dass die früher anwendbare Regelung keine detaillierten Kriterien für die Zulassung von Schlachthöfen vorsah, so dass die Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum hatten, um – gegebenenfalls auch temporäre – Einrichtungen zu bestimmen, die als schlachthofähnliche Einrichtungen zugelassen werden konnten (vgl. u. a. Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 93/119/EG des Rates vom 22. Dezember 1993 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung oder Tötung [ABl. 1993, L 340, S. 21] in geänderter Fassung).


5      Bei diesem auch als Großes Fest (Aïd-el-Kebir) bezeichneten Fest wird die Glaubensstärke von Ibrahim (Abraham in der biblischen Überlieferung) gefeiert, die durch die Begebenheit symbolisiert wird, in der dieser bereit ist, auf Befehl Gottes seinen einzigen Sohn, Ismael (Isaak in der biblischen Überlieferung), zu opfern. Nachdem er Gottes Befehl akzeptiert hat, sendet Gott den Erzengel Jibril (Gabriel), der im letzten Augenblick das Kind gegen einen Widder austauscht, der zur Opfergabe wird. In Erinnerung an die Ergebenheit, die Ibrahim dabei seinem Gott erwiesen hat, opfert jede muslimische Familie ein Tier nach bestimmten Regeln.


6      Im Einklang mit den Bestimmungen von Art. 26 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1099/2009 lassen bestimmte Mitgliedstaaten rituelle Schlachtungen ohne Betäubung nicht zu. So erlauben meines Wissens das Königreich Dänemark, die Republik Slowenien und auch das Königreich Schweden Schlachtungen von Tieren nur mit vorheriger Betäubung. In jüngerer Zeit scheint es in der Flämischen und in der Wallonischen Region zu einer politischen Einigung gekommen sein, die Schlachtung von Tieren ohne Betäubung ab 2019 zu verbieten.


7      ABl. 2004, L 139, S. 55, berichtigt in ABl. 2004, L 226, S. 22.


8      Es handelt sich um bewegliche Feiertage, die am siebzigsten Tag nach dem Ende des islamischen Monats Ramadan beginnen.


9      Nach der islamischen Tradition können Muslime während des Opferfestes die Tiere wählen, die geopfert werden können: Es kann sich um ein Tier aus der Gattung der Schafe (Schaf, Zibbe oder Widder), der Rinder (Kuh, Stier oder Kalb) oder der Ziegen (Ziege oder Ziegenbock) handeln.


10      Nach der Begründung des Änderungsgesetzes von 1995 war der Grund für die Möglichkeit der Zulassung der letztgenannten Betriebe, dass zu bestimmten Zeiten die Kapazitäten bestimmter Schlachthäuser nicht ausreichten.


11      In diesem Zusammenhang oblag es den Vertretern der muslimischen Gemeinschaft, die Schlachtkapazitäten in einem bestimmten Gebiet einzuschätzen und die betroffene Kommunalverwaltung davon in Kenntnis zu setzen.


12      In diesem Rahmen berief sich der betreffende Minister u. a. auf einen am 30. Juli 2015 veröffentlichten Abschlussbericht über eine Prüfung, die die Dienststellen der Kommission vom 24. November bis 3. Dezember 2014 in Belgien zur Bewertung der Kontrollen im Hinblick auf das Tierwohl bei der Schlachtung und der damit zusammenhängenden Tätigkeiten durchgeführt hatten (DG[SANTE] 2014‑7059‑RM) (im Folgenden: Prüfbericht vom 30. Juli 2015). In diesem Bericht heißt es u. a., dass „die Tötung von Tieren ohne Betäubung für religiöse Riten außerhalb von Schlachthöfen nicht im Einklang mit der Verordnung steht“.


13      Die Kläger berufen sich auf Art. 1 Abs. 3 Buchst. a Ziff. iii der Verordnung Nr. 1099/2009, wonach diese Verordnung nicht bei „kulturellen oder Sportveranstaltungen“ gilt. Nach Art. 2 Buchst. h dieser Verordnung handelt es sich dabei um „Veranstaltungen in Verbindung mit lange bestehenden kulturellen Traditionen oder Sportereignisse, einschließlich Rennen oder anderer Wettbewerbe, bei denen weder Fleisch noch andere tierische Erzeugnisse hergestellt werden oder deren Herstellung im Vergleich zur Veranstaltung selbst unwichtig und wirtschaftlich unbedeutend ist“.


14      Aus den Akten geht hervor, dass es 59 temporäre Schlachtstätten gab. Lediglich zwei davon wurden im Jahr 2015 in Schlachthöfe umgewandelt und drei davon im Jahr 2016.


15      Vgl. u. a. Urteile vom 21. Dezember 2016, Vervloet u. a. (C‑76/15, EU:C:2016:975, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie vom 27. Juni 2017, Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania (C‑74/16, EU:C:2017:496, Rn. 25).


16      Unter diesem Begriff versteht man den gesamten europäischen Vorschriftenkomplex zur Lebensmittelhygiene, der am 1. Januar 2006 in Kraft getreten ist und die Vereinfachung und Harmonisierung der in der Union geltenden Bestimmungen bezweckt.


17      Vgl. u. a. Urteil vom 8. September 2015, Taricco u. a. (C‑105/14, EU:C:2015:555, Rn. 31).


18      Vgl. insoweit u. a. das Vorbringen der Flämischen Region, wonach sich die Frage auf einen rein innerstaatlichen Umstand beziehe, nämlich die angeblich unzureichende Schlachtkapazität zugelassener Schlachthöfe in einer bestimmten Region während eines genau festgelegten Zeitraums. Vgl. auch die Erklärungen der niederländischen Regierung, wonach die Möglichkeit, die Verfügbarkeit von „Halal“-Fleisch in diesem Zeitraum sicherzustellen, Sache der Mitgliedstaaten sei und nicht in den Anwendungsbereich der Verordnungen Nrn. 1099/2009 und 853/2004 falle.


19      Vgl. Urteile vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 44), vom 3. September 2015, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Kommission (C‑398/13 P, EU:C:2015:535, Rn. 45), und vom 15. Februar 2016, N. (C‑601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 45).


20      Vgl. u. a. Urteil vom 15. Februar 2016, N. (C‑601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).


21      Vgl. u. a. Urteil vom 30. Juni 2016, Toma und Biroul Executorului Judecătoresc Horațiu-Vasile Cruduleci (C‑205/15, EU:C:2016:499, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).


22      GAIA beruft sich insbesondere auf eine Studie der Universität Bristol, nach der sich 95 % der islamischen Gelehrten darüber einig seien, dass eine Betäubung, die nicht zum Tod des Tieres führe, „halal“ sei (vgl. Fuseini, A., „The perception and acceptability of pre-slaughter and post-slaughter stunning for Halal production: the views of UK scholars and Halal consumers“, Meat Science Nr. 123, 2017, S. 143 bis 153).


23      Einige islamische Länder, wie Jordanien oder Malaysia, tolerieren eine Betäubung bei rituellen Schlachtungen, sofern sie umkehrbar ist, d. h. nicht den Tod des Tieres verursacht. Ferner wird oft das Beispiel Neuseelands erwähnt (des Staates mit der weltweit größten Schaffleischerzeugung), das in islamische Länder Fleisch von Tieren ausführt, die unter Betäubung geschlachtet wurden.


24      Wie der EGMR in seinem Urteil vom 17. Dezember 2013, Vartic/Rumänien (CE:ECHR:2013:1217JUD001415008, § 34 und die dort angeführte Rechtsprechung), entschieden hat, hindert die Neutralitätspflicht die Behörden daran, zu bewerten, ob religiöse Überzeugungen oder die Art und Weise ihrer Bekundung gültig oder legitim sind.


25      Vgl. u. a. EGMR, Urteil vom 27. Juni 2000, Cha’are Shalom Ve Tsedek/Frankreich (CE:ECHR:2000:0627JUD002741795, § 73). Vgl. allgemeiner zu religiös begründeten Ernährungsvorschriften EGMR, Urteile vom 7. Dezember 2010, Jakóbski/Polen (CE:ECHR:2010:1207JUD001842906), und vom 17. Dezember 2013, Vartic/Rumänien (CE:ECHR:2013:1217JUD001415008).


26      Die drei Tage, die auf die Feier des Opferfestes folgen, werden in der islamischen Tradition als Tage des Tachriq bezeichnet. GAIA hat in der mündlichen Verhandlung die insoweit bestehenden verschiedenen Strömungen dargestellt.


27      Vgl. hierzu die Begründung des Vorschlags der Kommission für die Hygieneverordnung (KOM[2000] 438 endg., S. 10) – konkretisiert mit dem Erlass der Verordnung Nr. 853/2004 –, in der es als sehr wichtig bezeichnet wird, dass Schlachtungen in auf der Grundlage strenger Hygienestandards zugelassenen Schlachthöfen erfolgen.


28      Vgl. in diesem Sinne den zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 853/2004.


29      Vgl. den vierten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 853/2004.


30      Vgl. in diesem Sinne den neunten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 853/2004.


31      Vgl. den 18. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 853/2004, wonach „[d]ie Struktur- und Hygienevorschriften dieser Verordnung … für alle Arten von Unternehmen, einschließlich kleiner Betriebe und mobiler Schlachteinheiten, gelten [sollten]“.


32      Vgl. u. a. den 19. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 853/2004. Danach sollte das Verfahren, das den Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Flexibilität einräumt, transparent sein, wobei vorgesehen werden sollte, dass etwaige Meinungsverschiedenheiten im Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit erörtert werden.


33      In diesem Zusammenhang verweist das vorlegende Gericht u. a. auf den Prüfbericht vom 30. Juli 2015. In diesem Bericht heißt es, dass „die Tötung von Tieren ohne Betäubung für religiöse Riten außerhalb von Schlachthöfen nicht im Einklang mit der Verordnung steht“, und dies, obwohl die zuständige zentrale Behörde „große Anstrengungen unternommen [hat], damit dieselben Bedingungen für das Wohlergehen der Tiere während der religiösen Feiertage in den reglementierten Schlachtstätten eingehalten werden“.


34      Die Kommission erwähnt in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des EGMR (vgl. u. a. Urteil des EGMR vom 3. Dezember 2009, Skugar u. a./Russland, CE:ECHR:2009:1203DEC004001004) zur Verwendung einer Steueridentifikationsnummer.


35      Vgl. in diesem Sinne Urteil des EGMR vom 30. Juni 2011, Association des Témoins de Jéhovah/Frankreich (CE:ECHR:2011:0630JUD000891605, § 52 und die dort angeführte Rechtsprechung), demzufolge „die Religionsfreiheit in keiner Weise beinhaltet, dass Kirchen oder ihren Gläubigen ein steuerlicher Status zuerkannt werden müsste, der sich von dem anderer Steuerpflichtiger unterscheidet“.


36      Mehrere Verfahrensbeteiligte, u. a. das Vlaams Gewest, haben vorgetragen, dass dieser Mangel an Schlachtstätten im vorliegenden Fall nicht belegt sei.


37      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2016, Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a. (C‑543/14, EU:C:2016:605, Rn. 29).


38      Und dies unbeschadet der Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, auf der Grundlage von Art. 26 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1099/2009 „nationale Vorschriften, mit denen ein umfassenderer Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung als in dieser Verordnung vorgesehen sichergestellt werden soll, [zu] erlassen“. Dementsprechend wird im 18. Erwägungsgrund dieser Verordnung darauf hingewiesen, dass „es wichtig [ist], dass die Ausnahme von der Verpflichtung zur Betäubung von Tieren vor der Schlachtung aufrechterhalten wird, wobei den Mitgliedstaaten jedoch ein gewisses Maß an Subsidiarität eingeräumt wird“.


39      Hervorhebung nur hier.


40      Vgl. den Standpunkt der Regierung des Vereinigten Königreichs, die ausführt, es sei wissenschaftlich bewiesen, dass die Betäubung von Tieren mit dem Ziel, dass diese bei ihrer Tötung bewusstlos seien, eine wirksame Methode sei, um tierisches Leiden zu verringern. Im gleichen Sinne verweist die estnische Regierung auf eine Studie mit dem Titel „Report on Good and Adverse practices – Animal Welfare concerns in Relation to Slaughter Practices from the Viewpoint of Veterinary Sciences“, die im Rahmen des europäischen Projekts DIALREL („Encouraging Dialogue on issues of Religious Slaughter“) durchgeführt worden ist und unter folgender Adresse abgerufen werden kann: http://www.dialrel.eu/dialrel-results/veterinary-concerns.html.


41      Ich übernehme fast wörtlich die Schlussfolgerungen eines Berichts der französischen Nationalversammlung vom 20. September 2016 über die Bedingungen, unter denen Schlachtvieh in den französischen Schlachthöfen geschlachtet wird (http://www2.assemblee-nationale.fr/14/autres-commissions/commissions-d-enquete/conditions-d-abattage-des-animaux-de-boucherie-dans-les-abattoirs-francais/).


42      In diesem Zusammenhang scheint mir der Hinweis interessant, dass gerade wegen des Respekts, der Tieren entgegengebracht wird, und der Bedeutung, die ihrem Wohlergehen eingeräumt wird, der Akt der Tötung von Tieren in der jüdischen und islamischen Tradition ritualisiert ist.


43      Die Tierschutzvereinigungen weisen regelmäßig auf die sehr kritikwürdigen Bedingungen hin, unter denen Schlachtungen in Schlachthöfen stattfinden, auch wenn diese zugelassen sind. In dem in Fn. 41 angeführten Bericht stellt der Berichterstatter fest, dass „einige Unternehmen des Wirtschaftszweigs versucht sind, die durch rituelle Schlachtungen aufgeworfenen Fragen zu benutzen, um die … schwerwiegenden Probleme vergessen zu machen, die bei traditionellen Schlachtungen im Hinblick auf den Tierschutz auftreten“.


44      Im zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1099/2009 heißt es: „Die Tötung kann selbst unter den besten technischen Bedingungen Schmerzen, Stress, Angst oder andere Formen des Leidens bei den Tieren verursachen. Bestimmte Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Tötung können Stress auslösen, und jedes Betäubungsverfahren hat Nachteile.“


45      Bei meinen Nachforschungen konnte ich feststellen, dass sich, obgleich heute die allgemeine Regel gilt, dass Schlachtungen in zugelassenen Schlachthöfen durchgeführt werden müssen, eine beachtliche Anzahl von Viehzüchtern und Tierschutzvereinigungen dafür ausspricht, dass eine Schlachtung, die in möglichst großer Nähe zu dem Ort stattfindet, an dem die Tiere gehalten wurden, mit Sicherheit die unter Tierschutzgesichtspunkten angemessenste Lösung sei.


46      Vgl. u. a. Urteile vom 17. Januar 2008, Viamex Agrar Handel und ZVK (C‑37/06 und C‑58/06, EU:C:2008:18, Rn. 22 und 23 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), vom 19. Juni 2008, Nationale Raad van Dierenkwekers en Liefhebbers und Andibel (C‑219/07, EU:C:2008:353, Rn. 27), und vom 23. April 2015, Zuchtvieh-Export (C‑424/13, EU:C:2015:259, Rn. 35).


47      ABl. 1997, C 340, S. 110.


48      Vgl. Urteil vom 23. April 2015, Zuchtvieh-Export (C‑424/13, EU:C:2015:259, Rn. 35).


49      Vgl. in diesem Sinne Urteil des EGMR vom 27. Juni 2000, Cha’are Shalom Ve Tsedek/Frankreich (CE:ECHR:2000:0627JUD002741795, § 77).


50      Vgl. u. a. Urteile vom 8. April 2014, Digital Rights Ireland u. a. (C‑293/12 und C‑594/12, EU:C:2014:238, Rn. 46 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 15. Februar 2016, N. (C‑601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 54).


51      Vgl. u. a. Urteile vom 17. Oktober 2013, Schaible (C‑101/12, EU:C:2013:661, Rn. 29), und vom 9. Juni 2016, Pesce u. a. (C‑78/16 und C‑79/16, EU:C:2016:428, Rn. 48).


52      Vgl. hierzu Art. 10 Abs. 3 bis 8 der Verordnung Nr. 853/2004.


53      Vgl. Erwägungsgründe 40 und 47 der Verordnung Nr. 1099/2009.