Language of document : ECLI:EU:C:2014:300

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

8. Mai 2014(*)

„Vorabentscheidungsersuchen – Soziale Sicherheit – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 – Verordnung (EWG) Nr. 574/72 – Familienleistungen – Familienbeihilfen – Erziehungszulage – Elterngeld – Kindergeld – Berechnung des Unterschiedsbetrags“

In der Rechtssache C‑347/12

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Luxemburg) mit Entscheidung vom 12. Juli 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Juli 2012, in dem Verfahren

Caisse nationale des prestations familiales

gegen

Ulrike Wiering,

Markus Wiering

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter E. Juhász, A. Rosas (Berichterstatter), D. Šváby und C. Vajda,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Caisse nationale des prestations familiales, vertreten durch A. Rodesch und R. Jazbinsek, avocats,

–        von Frau und Herrn Wiering, vertreten durch G. Pierret und S. Coï, avocats,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und V. Kreuschitz als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Juli 2013

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Buchst. u Ziff. i, Art. 4 Abs. 1 Buchst. h und Art. 76 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, wie sie durch die Verordnung (EG) Nr. 1606/98 des Rates vom 29. Juni 1998 (ABl. L 209, S. 1) geändert worden ist (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), sowie von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (ABl. L 74, S. 1) in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 574/72).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Caisse nationale des prestations familiales (Nationale Familienleistungskasse; im Folgenden: CNPF) einerseits und Frau und Herrn Wiering, die in Deutschland wohnen und dort bzw. in Luxemburg arbeiten, andererseits wegen der Weigerung der CNPF, ihnen den Unterschiedsbetrag zwischen den Familienleistungen für ihre Kinder zu zahlen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Die Erwägungsgründe 1, 5, 8 und 10 der Verordnung Nr. 1408/71 haben folgenden Wortlaut:

„Die Vorschriften zur Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit gehören zur Freizügigkeit von Personen und sollen zur Verbesserung von deren Lebensstandard und Arbeitsbedingungen beitragen.

Bei dieser Koordinierung ist innerhalb der Gemeinschaft sicherzustellen, dass alle Arbeitnehmer und Selbständige, die Staatsangehörige der Mitgliedstaaten sind, sowie ihre Angehörigen und Hinterbliebenen nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gleichbehandelt werden.

Für Arbeitnehmer und Selbständige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, soll jeweils das System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats gelten, so dass eine Kumulierung anzuwendender innerstaatlicher Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen vermieden werden.

Um die Gleichbehandlung aller im Gebiet eines Mitgliedstaats erwerbstätigen Arbeitnehmer und Selbständigen am besten zu gewährleisten, ist es zweckmäßig, im Allgemeinen die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats anzuwenden, in dessen Gebiet der Betreffende seine Arbeitnehmer[tätigkeit] oder Selbständigkeit ausübt.“

4        Art. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 legt die Definitionen für die Begriffe fest, die im Geltungsbereich der Verordnung Anwendung finden.

5        Nach Art. 1 Buchst. u dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

„i)      ‚Familienleistungen‘: alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h) genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, jedoch mit Ausnahme der in Anhang II aufgeführten besonderen Geburts- oder Adoptionsbeihilfen;

ii)      ‚Familienbeihilfen‘: regelmäßige Geldleistungen, die ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und gegebenenfalls des Alters von Familienangehörigen gewährt werden“.

6        Gemäß ihrem Art. 4 Abs. 1 Buchst. a gilt die Verordnung Nr. 1408/71 für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die Familienleistungen betreffen.

7        In Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 heißt es:

„Ein Anspruch auf mehrere Leistungen gleicher Art aus derselben Pflichtversicherungszeit kann aufgrund dieser Verordnung weder erworben noch aufrechterhalten werden. …“

8        Der mit „Allgemeine Regelung“ überschriebene Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

„(1)      Vorbehaltlich der Artikel 14c und 14f unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2)      Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt Folgendes:

a)      Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat;

…“

9        Art. 73 dieser Verordnung sieht vor:

„Ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, hat, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.“

10      Art. 76 der Verordnung lautet:

„(1)      Sind für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, Familienleistungen aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vorgesehen, so ruht der Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegebenenfalls gemäß Artikel 73 bzw. 74 geschuldeten Familienleistungen bis zu dem in den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats vorgesehenen Betrag.

(2)      Wird in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, kein Antrag auf Leistungsgewährung gestellt, so kann der zuständige Träger des anderen Mitgliedstaates Absatz 1 anwenden, als ob Leistungen in dem ersten Mitgliedstaat gewährt würden.“

11      In den Art. 7 bis 10a der Verordnung Nr. 574/72 werden die Modalitäten für die Anwendung von Art. 12 der Verordnung Nr. 1408/71 genannt.

12      Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 574/72 sieht vor:

„a)      Der Anspruch auf Familienleistungen oder ‑beihilfen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats geschuldet werden, nach denen der Erwerb des Anspruchs auf diese Leistungen oder Beihilfen nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit abhängig ist, ruht, wenn während desselben Zeitraums für dasselbe Familienmitglied Leistungen allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats oder nach Artikel 73, 74, 77 oder 78 der Verordnung geschuldet werden, bis zur Höhe dieser geschuldeten Leistungen.

b)      Wird jedoch

i)      in dem Fall, in dem Leistungen allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats oder nach Artikel 73 oder 74 der Verordnung geschuldet werden, von der Person, die Anspruch auf die Familienleistungen hat, oder von der Person, an die sie zu zahlen sind, in dem unter Buchstabe a) erstgenannten Mitgliedstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt, so ruht der Anspruch auf die allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats oder nach den genannten Artikeln geschuldeten Familienleistungen, und zwar bis zur Höhe der Familienleistungen, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats vorgesehen sind, in dessen Gebiet das Familienmitglied wohnhaft ist. Leistungen, die der Mitgliedstaat zahlt, in dessen Gebiet das Familienmitglied wohnhaft ist, gehen zu Lasten dieses Staates;

…“

13      Die Verordnung Nr. 1408/71 wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1) ersetzt und die Verordnung Nr. 574/72 durch die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004 (ABl. L 284, S. 1); diese neuen Verordnungen sind gemäß Art. 91 der Verordnung Nr. 883/2004 bzw. Art. 97 der Verordnung Nr. 987/2009 seit 1. Mai 2010 anwendbar. Unter Berücksichtigung des Zeitraums, in dem sich der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zugetragen hat, gelten für diesen jedoch die Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72.

 Luxemburgisches Recht

14      Am 15. März 2013 hat der Gerichtshof gemäß Art. 101 seiner Verfahrensordnung ein Ersuchen um Klarstellung an das vorlegende Gericht gerichtet. Dieses wurde insbesondere ersucht, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden luxemburgischen Familienleistungen und die Voraussetzungen für ihre Gewährung genauer darzulegen. Mit Schreiben vom 29. April 2013 hat das vorlegende Gericht u. a. angegeben, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Familienleistungen die Familienzulagen sowie die Erziehungszulage seien, und dem Gerichtshof den Text der luxemburgischen Rechtsvorschriften, die die Gewährung dieser Leistungen regeln, übermittelt. Es hat ferner klargestellt, dass das Elternurlaubsgeld in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit nicht in Rede stehe, da der hierauf gerichtete Antrag von Frau und Herrn Wiering für unzulässig erklärt worden sei.

15      Nach den vom vorlegenden Gericht zur Verfügung gestellten Angaben bestimmt Art. 269 Abs. 1 des luxemburgischen Code de la sécurité sociale (Sozialgesetzbuch) Folgendes:

„Anspruch auf die Familienzulagen hat unter den in diesem Kapitel vorgesehenen Voraussetzungen

a)      für sich selbst jedes Kind, das tatsächlich und ständig in Luxemburg wohnt und hier seinen gesetzlichen Wohnsitz hat;

b)       für seine Familienangehörigen gemäß dem anwendbaren internationalen Abkommen jede Person, die den luxemburgischen Rechtsvorschriften unterworfen ist und dem Anwendungsbereich der Gemeinschaftsverordnungen oder einem anderen von Luxemburg geschlossenen zwei- oder mehrseitigen Abkommen über die soziale Sicherheit, die die Zahlung von Familienzulagen gemäß den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats vorsehen, unterfällt. Als Familienangehöriger einer Person gilt ein Kind, das zu dem Familienverband der betreffenden Person im Sinne von Art. 270 gehört. Die unter die vorliegende Vorschrift fallenden Familienangehörigen müssen in einem Land wohnen, das unter die betreffende Verordnung oder das betreffende Abkommen fällt.

      …“

16      Nach Art. 271 Abs. 1 des luxemburgischen Sozialgesetzbuchs wird die Familienzulage von der Geburt des Kindes bis zur Vollendung seines 18. Lebensjahrs geschuldet. Gemäß dessen Art. 271 Abs. 3 bleibt der Anspruch auf Familienzulagen für Schüler in der Sekundarausbildung oder technischen Sekundarausbildung, die sich hauptsächlich ihrer Ausbildung widmen, bis zum Alter von 27 Jahren bestehen.

17      Art. 299 des luxemburgischen Sozialgesetzbuchs sieht vor:

„(1)      Eine Erziehungszulage wird auf Antrag jeder Person gewährt, die

a)      ihren gesetzlichen Wohnsitz im Sinne von Art. 269 im Großherzogtum Luxemburg hat und hier tatsächlich wohnt oder in Luxemburg aufgrund einer beruflichen Tätigkeit sozialversicherungspflichtig ist und in den Anwendungsbereich der Gemeinschaftsverordnungen fällt;

b)      in seinem Haushalt ein oder mehrere Kinder erzieht, für die der antragstellenden Person, ihrem nicht von ihr getrennt lebenden Ehegatten oder ihrem Partner … Familienzulagen gezahlt werden und die im Verhältnis zu ihr die Voraussetzungen des Art. 270 [des Sozialgesetzbuchs über den Familienverband] erfüllen;

c)      sich hauptsächlich der Erziehung der Kinder im Haushalt der Familie widmet und weder eine Erwerbstätigkeit ausübt noch ein Ersatzeinkommen bezieht.

(2)      Abweichend von der Voraussetzung nach Abs. 1 Buchst. c kann die Zulage auch diejenige Person beanspruchen, die eine oder mehrere Erwerbstätigkeiten ausübt oder ein Ersatzeinkommen bezieht und unabhängig von der Dauer der geleisteten Arbeit gemeinsam mit ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder der Person, mit der sie in häuslicher Gemeinschaft lebt, über ein Einkommen verfügt, das nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge folgende Beträge nicht übersteigt:

a)       das Dreifache des sozialen Mindestlohns, wenn sie ein Kind erzieht;

b)       das Vierfache des sozialen Mindestlohns, wenn sie zwei Kinder erzieht;

c)       das Fünffache des sozialen Mindestlohns, wenn sie drei oder mehr Kinder erzieht.

(3)      Abweichend von der Voraussetzung nach Abs. 1 Buchst. c kann eine Person die Hälfte der Erziehungszulage unabhängig von ihrem Einkommen beanspruchen, wenn sie

a)       eine oder mehrere Erwerbstätigkeiten in Teilzeit ausübt, soweit die wöchentliche Gesamtdauer der tatsächlich geleisteten Arbeit nicht mehr als die Hälfte der für sie während dieses Zeitraums geltenden gesetzlichen oder tarifvertraglichen Normalarbeitszeit beträgt, oder ein Ersatzeinkommen bezieht, das der vorstehend genannten Dauer der Arbeitszeit entspricht;

b)       sich mindestens für die Hälfte der Zeit, die der Normalarbeitszeit im Sinne von Buchst. a entspricht, hauptsächlich der Erziehung der Kinder im Haushalt der Familie widmet.

…“

18      Art. 302 des luxemburgischen Sozialgesetzbuchs bestimmt:

„Die Erziehungszulage wird ab dem ersten Tag des Monats geschuldet, der auf das Ende des Mutterschafts- oder Adoptionsurlaubs oder den Ablauf der achten Woche nach der Geburt folgt.

Sie wird im Laufe des Monats gezahlt, für den sie geschuldet wird.

Der Anspruch auf die Zulage erlischt mit dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat folgt, in dem das Kind das zweite Lebensjahr vollendet.

Abweichend von dem vorstehenden Absatz

a)       bleibt der Anspruch auf die Zulage bestehen, wenn der Empfänger in seinem Haushalt Zwillinge oder mindestens drei Kinder erzieht, solange mindestens eines der Kinder noch nicht das vierte Lebensjahr vollendet hat;

b)       wird die Altersgrenze für die Zahlung der Zulage im Fall der Geburt oder der Mehrfachadoption von mehr als zwei Kindern zugunsten des Empfängers, der die Voraussetzungen nach Buchst. a erfüllt, um zwei Jahre je weiterem Kind angehoben.

Bei einer Mehrfachadoption von Kindern unterschiedlichen Alters wird die Altersgrenze auf das jüngste der adoptierten Kinder angewandt.

Der Anspruch bleibt auch zugunsten jeder Person bestehen, die in ihrem Haushalt ein Kind erzieht, das das vierte Lebensjahr noch nicht vollendet hat und für das die zusätzliche Sonderzulage nach Art. 272 Abs. 4 gezahlt wird.

Der Anspruch auf die Zulage erlischt, wenn die Voraussetzungen für ihre Gewährung nach dem vorliegenden Kapitel nicht mehr erfüllt sind.“

19      Art. 303 des luxemburgischen Sozialgesetzbuchs hat folgenden Wortlaut:

„Die Erziehungszulage beträgt unabhängig von der Zahl der in ein und demselben Haushalt erzogenen Kinder 458,01 Euro monatlich. Falls die in Art. 299 Abs. 2 genannten Grenzbeträge einschlägig sind, wird die Zulage um den Betrag gemindert, um den die Summe der Einkünfte abzüglich der Sozialversicherungsbeiträge und der Erziehungszulage die genannten Grenzbeträge übersteigt.“

20      Art. 304 des luxemburgischen Sozialgesetzbuchs bestimmt:

„Die Erziehungszulage ruht bis zur Höhe einer nicht luxemburgischen Leistung gleicher Art, die für dasselbe Kind bzw. dieselben Kinder geschuldet wird.

[S]ie wird nicht geschuldet, wenn ein Elternteil für dasselbe oder dieselben Kinder das Elternurlaubsgeld nach Kapitel VI des vorliegenden Buches oder eine nicht luxemburgische Leistung bezieht, die wegen eines Elternurlaubs gezahlt wird …“

 Deutsches Recht

21      Am 19. März 2013 hat der Gerichtshof die deutsche Regierung ersucht, u. a. die Ziele des Kindergelds und des Elterngelds sowie die Voraussetzungen für ihre Gewährung näher darzulegen. Mit Schreiben vom 17. April 2013 übermittelte die Bundesregierung dem Gerichtshof Informationen zu diesen Leistungen.

22      Nach diesen Informationen ist das Kindergeld Bestandteil des steuerlichen Familienleistungsausgleichs gemäß § 31 des Einkommensteuergesetzes (im Folgenden: EStG).

23      Dieser Vorschrift zufolge soll das Kindergeld Familienleistungen ausgleichen und dem Kind ein Existenzminimum sichern.

24      Nach § 62 Abs. 1 EStG muss der Anspruchsberechtigte – im Allgemeinen ein Elternteil – seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben oder in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig sein oder als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden. Gemäß § 63 Abs. 1 EStG muss das Kind seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, in der Schweiz, in Island, in Liechtenstein oder in Norwegen haben.

25      Nach § 32 Abs. 4 EStG wird ein Kind bis zu seinem 18. Lebensjahr ohne weitere Voraussetzungen für das Kindergeld berücksichtigt oder bis zu seinem 21. Lebensjahr, wenn es nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als Arbeitsuchender gemeldet ist, oder bis zu seinem 25. Lebensjahr, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird oder einen anerkannten freiwilligen Dienst leistet, oder schließlich ohne Altersbegrenzung, wenn es wegen körperlicher oder geistiger Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.

26      Das Kindergeld beträgt nach § 66 Abs. 1 Satz 1 EStG für das erste und zweite Kind jeweils 184 Euro im Monat, für das dritte Kind 190 Euro und für jedes weitere Kind jeweils 215 Euro, unabhängig vom Einkommen und dem Vermögen der Familienmitglieder.

27      Nach § 1 Abs. 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (im Folgenden: BEEG) hat Anspruch auf Elterngeld, wer seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, mit seinem Kind in einem Haushalt lebt, dieses Kind selbst betreut und erzieht und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Gemäß § 4 Abs. 1 BEEG kann Elterngeld ab der Geburt des Kindes bis zu seinem 14. Lebensmonat bezogen werden.

28      Nach § 2 Abs. 1 BEEG beträgt das Elterngeld 67 % des Einkommens aus der Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes. Es wird bis zu einem Höchstbetrag von 1 800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen der Anspruchsberechtigte kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat.

29      Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 BEEG erhöht sich in den Fällen, in denen das Erwerbseinkommen vor der Geburt geringer als 1 000 Euro war, der Prozentsatz von 67 % um 0,1 Prozentpunkte für je 2 Euro, um die dieses Einkommen den Betrag von 1 000 Euro unterschreitet, auf bis zu 100 %. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 sinkt in den Fällen, in denen das Erwerbseinkommen vor der Geburt höher als 1 200 Euro war, der Prozentsatz BEEG von 67 % um 0,1 Prozentpunkte für je 2 Euro, um die dieses Einkommen den Betrag von 1 200 Euro überschreitet, auf bis zu 65 %. Elterngeld wird nach § 2 Abs. 4 Satz 1 BEEG mindestens in Höhe von 300 Euro gezahlt. Dies gilt nach § 2 Abs. 4 Satz 2 BEEG auch, wenn der Anspruchsberechtigte vor der Geburt des Kindes kein Erwerbseinkommen bezog.

30      Nach § 2a Abs. 1 Satz 1 BEEG erhöht sich das Elterngeld, wenn die berechtigte Person mit zwei Kindern, die noch nicht drei Jahre alt sind, oder drei oder mehr Kindern, die noch nicht sechs Jahre alt sind, in einem Haushalt lebt, um 10 %, mindestens jedoch um 75 Euro. Bei Mehrlingsgeburten erhöht sich das Elterngeld gemäß § 2a Abs. 4 Satz 1 BEEG um je 300 Euro für das zweite und jedes weitere Kind.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

31      Frau und Herr Wiering wohnen mit ihren beiden Kindern in Trier (Deutschland). Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich, dass Herr Wiering in Luxemburg als Arbeitnehmer tätig ist, während seine Ehefrau in Deutschland als Beamtin beschäftigt ist.

32      Am 12. Oktober 2007 beantragte Herr Wiering bei der CNPF die Gewährung von Familienzulagen für seine beiden Kinder.

33      Der Vorstand der CNPF lehnte es ab, an Frau und Herrn Wiering als Familienzulage für ihre beiden Kinder den Unterschiedsbetrag in Höhe der Differenz zwischen den Leistungen, die nach luxemburgischem Recht vorgesehen sind, und denen, die nach den Rechtsvorschriften ihres Wohnmitgliedstaats gezahlt werden, zu zahlen, und begründete dies damit, dass der Betrag der letztgenannten Leistungen, nämlich das Kindergeld und das Elterngeld, für den Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis 31. Mai 2008 den Betrag der nach luxemburgischem Recht vorgesehenen Leistungen, nämlich die Familienzulagen und die Erziehungszulage, übersteige.

34      Mit Urteil vom 31. Juli 2009 wies der Conseil arbitral des assurances sociales (Schiedsgericht für Sozialversicherungssachen) die Klage von Frau und Herrn Wiering gegen die Entscheidung des Vorstands der CNPF als unbegründet ab.

35      Auf die von Frau und Herrn Wiering eingelegte Berufung änderte der Conseil supérieur de la sécurité sociale (Oberster Rat der Sozialversicherung) mit Urteil vom 16. März 2011 das erstgenannte Urteil ab und stellte fest, dass Frau und Herr Wiering in dem betreffenden Zeitraum Anspruch auf Zahlung des Unterschiedsbetrags für ihre beiden Kinder hätten. Er sah das Elterngeld als Familienleistung an, die dem Familienmitglied, das sich um die Erziehung der Kinder kümmere, zustehe und nicht den Kindern selbst. Seiner Ansicht nach darf diese Leistung daher nicht bei der Festlegung des Unterschiedsbetrags, der einem Arbeitnehmer als für seine Kinder geschuldete Familienzulage zu zahlen sei, berücksichtigt werden, weil nur die für dasselbe Familienmitglied geschuldeten Familienleistungen unter Ausschluss der für andere Familienmitglieder geschuldeten Leistungen bei der Festlegung dieses Unterschiedsbetrags zu berücksichtigen seien.

36      Die CNPF legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde ein und machte vier Kassationsbeschwerdegründe geltend. Mit dem zweiten, dem dritten und dem vierten Kassationsbeschwerdegrund werden die Verletzung, die Nichtanwendung bzw. eine falsche Auslegung von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i und Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 574/72 sowie von Art. 76 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 gerügt.

37      Nach Ansicht der CNPF hat der Conseil supérieur de la sécurité sociale in seinem Urteil gegen diese Vorschriften verstoßen, weil er das Elterngeld bei der Berechnung des Unterschiedsbetrags nicht berücksichtigt habe.

38      Das vorlegende Gericht hat Zweifel, ob nur Familienleistungen gleicher Art oder aber alle Familienleistungen, die die Familie eines Wanderarbeitnehmers erhält, bei der Berechnung des Unterschiedsbetrags zu berücksichtigen sind. Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind bei der Berechnung des gemäß Art. 1 Buchst. u Ziff. i, Art. 4 Abs. 1 Buchst. h und Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71 sowie Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 574/72 eventuell von der zuständigen Stelle des Beschäftigungsstaats zu zahlenden Unterschiedsbetrags sämtliche an die Familie des Wanderarbeitnehmers im Wohnortstaat gezahlten Leistungen, im vorliegenden Fall das nach dem deutschen Recht vorgesehene Elterngeld und Kindergeld, als gleichartige Familienleistungen zu berücksichtigen?

 Zur Vorlagefrage

39      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Buchst. u Ziff. i, Art. 4 Abs. 1 Buchst. h und Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71 sowie Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 574/72 dahin auszulegen sind, dass bei der Berechnung des einem Wanderarbeitnehmer in seinem Beschäftigungsmitgliedstaat eventuell zu zahlenden Unterschiedsbetrags sämtliche an die Familie des Wanderarbeitnehmers nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats gezahlten Leistungen, im vorliegenden Fall das nach dem deutschen Recht vorgesehene Elterngeld und Kindergeld, als gleichartige Familienleistungen zu berücksichtigen sind.

40      Zunächst ist daran zu erinnern, dass Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71, wenn er bestimmt, dass ein Erwerbstätiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates hat, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten, im Bereich der Familienleistungen zwar eine allgemeine, aber keine absolute Regel darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil Schwemmer, C‑16/09, EU:C:2010:605, Rn. 41 und 42).

41      Denn nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1408/71 kann ein Anspruch auf mehrere Leistungen gleicher Art aus derselben Pflichtversicherungszeit aufgrund dieser Verordnung weder erworben noch aufrechterhalten werden.

42      Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 ist daher, falls eine Kumulierung der Ansprüche nach den Rechtsvorschriften des Wohnstaats mit den Ansprüchen nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats eintreten kann, den Antikumulierungs-Regeln der Verordnungen Nrn. 1408/71 und 574/72 – also insbesondere Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71 und Art. 10 der Verordnung Nr. 574/72 – gegenüberzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil Schwemmer, EU:C:2010:605, Rn. 43 und 44).

43      Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass der Anspruch auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats von Frau und Herrn Wiering – d. h. den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland – unter der Voraussetzung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in diesem Mitgliedstaat und nicht – wie Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71 für seine Anwendung verlangt – „aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit“ besteht. Was speziell das Elterngeld betrifft, ist seine Gewährung von der Voraussetzung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland und der Voraussetzung, dass keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, abhängig, obgleich sich die Höhe dieser Leistung im Allgemeinen anhand des vorherigen Erwerbseinkommens berechnet.

44      Folglich ist Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71 auf eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens nicht anwendbar (vgl. in diesem Sinne Urteile Dodl und Oberhollenzer, C‑543/03, EU:C:2005:364, Rn. 53, und Schwemmer, EU:C:2010:605, Rn. 46).

45      Der Fall hingegen, in dem der Anspruch auf Familienleistungen im Wohnmitgliedstaat nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit, sondern vom Wohnsitz abhängig ist, ist in Art. 10 der Verordnung Nr. 574/72 geregelt.

46      Gemäß der in Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 574/72 aufgestellten Antikumulierungs-Regel haben die vom Beschäftigungsmitgliedstaat gezahlten Beihilfen Vorrang gegenüber den vom Wohnmitgliedstaat gezahlten, die infolgedessen ruhen. Wird jedoch im letztgenannten Staat eine Erwerbstätigkeit ausgeübt, sieht Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i dieser Verordnung die entgegengesetzte Lösung vor, d. h., dass der Anspruch auf die vom Wohnmitgliedstaat gezahlten Beihilfen dem vom Beschäftigungsmitgliedstaat gezahlten vorgehen, die somit ruhen.

47      Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass, sofern eine Person, die das Sorgerecht für die Kinder hat, insbesondere der Ehegatte des Leistungsempfängers im Sinne von Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71, eine Erwerbstätigkeit im Mitgliedstaat der Wohnung der Kinder ausübt, der Anspruch auf die in Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehenen Leistungen nach Art. 10 der Verordnung Nr. 574/72 bis zur Höhe der vom Wohnmitgliedstaat tatsächlich gezahlten Beihilfen gleicher Art ausgesetzt wird, und zwar unabhängig davon, wen die Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats als unmittelbaren Empfänger der Familienbeihilfen bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteile Dodl und Oberhollenzer, EU:C:2005:364, Rn. 59, sowie Weide, C‑153/03, EU:C:2005:428, Rn. 30).

48      Insoweit haben die in der mündlichen Verhandlung vertretenen Beteiligten übereinstimmend vorgetragen, dass Frau Wiering während des Zeitraums, in dem sie Elterngeld bezogen habe, ihren Beamtenstatus nicht verloren habe, was allerdings vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist. Sollte dies tatsächlich zutreffen, wäre – da somit angenommen werden könnte, dass Frau Wiering während des betreffenden Zeitraums eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat – Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 574/72 die im Ausgangsverfahren anwendbare Antikumulierungs-Regel.

49      Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen folgt daraus, dass die Bundesrepublik Deutschland der Mitgliedstaat war, der während des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraums für die Zahlung der Familienleistungen an Frau und Herrn Wiering vorrangig zuständig war, so dass diese vom zuständigen Träger des Beschäftigungsmitgliedstaats von Herrn Wiering, nämlich der CNPF, nur die Zahlung des Unterschiedsbetrags in Höhe der Differenz zwischen den nach luxemburgischem Recht vorgesehenen Leistungen und den nach deutschem Recht bezogenen Leistungen beanspruchen konnten (vgl. in diesem Sinne Urteil McMenamin, C‑119/91, EU:C:1992:503, Rn. 26).

50      Im Übrigen ist festzustellen, dass die Einstufung der verschiedenen im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Leistungen als Familienleistungen nicht in Frage gestellt worden ist.

51      Es ist daher zu prüfen, ob Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 574/72, wie die CNPF meint, bei der Berechnung eines Unterschiedsbetrags, der in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens beantragt wird, die Berücksichtigung sämtlicher im Wohnmitgliedstaat der Familie eines Wanderarbeitnehmers gezahlten Familienleistungen erfordert.

52      Wie der Generalanwalt in Nr. 52 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sind, da Art. 12 der Verordnung Nr. 1408/71 in deren Titel I mit „allgemeinen Vorschriften“ enthalten ist, die von dieser Bestimmung aufgestellten Grundsätze sowohl auf die in Art. 76 dieser Verordnung als auch auf die in Art. 10 der Verordnung Nr. 574/72 für den Fall der Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen oder ‑beihilfen vorgesehenen Prioritätsregeln anzuwenden.

53      Nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1408/71 stellt nur ein Anspruch auf mehrere Leistungen gleicher Art aus derselben Pflichtversicherungszeit eine ungerechtfertigte Kumulierung dar.

54      Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass Leistungen der sozialen Sicherheit unabhängig von den besonderen Eigenheiten der Rechtsvorschriften der verschiedenen Mitgliedstaaten als Leistungen gleicher Art zu betrachten sind, wenn ihr Sinn und Zweck sowie ihre Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für ihre Gewährung übereinstimmen. Dagegen sind rein formale Merkmale nicht als wesentliche Tatbestandsmerkmale für die Einstufung der Leistungen anzusehen (vgl. u. a. Urteile Valentini, 171/82, EU:C:1983:189, Rn. 13, und Knoch, C‑102/91, EU:C:1992:303, Rn. 40).

55      Der Gerichtshof hat allerdings klargestellt, dass die Forderung, dass die Berechnungsgrundlagen und die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung völlig gleich sein müssten, angesichts der zahlreichen Unterschiede zwischen den nationalen Systemen der sozialen Sicherheit dazu führen würde, dass die Anwendung des in Art. 12 der Verordnung Nr. 1408/71 enthaltenen Kumulierungsverbots erheblich eingeschränkt würde. Dies widerspräche dem Sinn dieses Verbots, nicht gerechtfertigte Kumulierungen von Sozialleistungen zu verhindern (vgl. Urteil Knoch, EU:C:1992:303, Rn. 42).

56      Der Gerichtshof hat außerdem entschieden, dass dem Wortlaut dieser Bestimmung zufolge eine Kumulierung nicht nur dann gegeben ist, wenn eine Person gleichzeitig Anspruch auf zwei verschiedene Familienleistungen hat, sondern auch dann, wenn zwei verschiedenen Personen, im vorliegenden Fall beiden Elternteilen, Ansprüche auf derartige Leistungen für ein und dasselbe Kind zustehen. Aus Sinn und Zweck der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71, die die Kumulierung von Familienleistungen regeln, und aus den darin für den Fall einer Kumulierung vorgesehenen Lösungen ist nämlich herzuleiten, dass mit der in Rede stehenden Bestimmung verhindert werden soll, dass sowohl der unmittelbare Familienleistungsberechtigte, d. h. der Erwerbstätige, als auch die mittelbaren Leistungsberechtigten, d. h. dessen Familienangehörige, gleichzeitig zwei Leistungen gleicher Art erlangen können (vgl. in diesem Sinne Urteil Dammer, C‑168/88, EU:C:1989:652, Rn. 10 und 12).

57      Zudem erfasst die Verordnung Nr. 1408/71 zum einen die „Familienleistungen“, die in Art. 1 Buchst. u Ziff. i dieser Verordnung definiert werden, und zum anderen die „Familienbeihilfen“, die eine Kategorie der „Familienleistungen“ darstellen und in Art. 1 Buchst. u Ziff. ii der genannten Verordnung definiert sind.

58      Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die verschiedenen Familienleistungen, die ein Wanderarbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsmitgliedstaats beanspruchen kann, und die Familienleistungen, die ihm oder seinen Familienangehörigen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats gezahlt werden, nicht zwangsläufig Leistungen „gleicher Art“ im Sinne von Art. 12 der Verordnung Nr. 1408/71 sind.

59      Denn die betreffenden Familienleistungen dienen zwar dem Ausgleich von Familienlasten im Sinne von Art. 1 Buchst. u Ziff. i dieser Verordnung; sie haben jedoch nicht notwendigerweise den gleichen Zweck noch die gleichen Leistungsberechtigten oder Merkmale.

60      Außerdem handelt es sich nur bei einigen von ihnen um Familienbeihilfen im Sinne von Art. 1 Buchst. u Ziff. ii der Verordnung Nr. 1408/71.

61      Bei der Anwendung der Antikumulierungs-Regel nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 574/72 müssen somit im Rahmen der Berechnung des Unterschiedsbetrags, der einem Wanderarbeitnehmer möglicherweise in seinem Beschäftigungsmitgliedstaat geschuldet wird, unter den verschiedenen Familienleistungen, auf die der Wanderarbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften dieses Staats einen Anspruch hat, und den Familienleistungen, die dem betreffenden Arbeitnehmer oder seinen Familienangehörigen nach dem Recht des Wohnmitgliedstaats gezahlt werden, diejenigen erkannt werden, die unter Berücksichtigung ihres Sinn und Zwecks, ihrer Berechnungsgrundlage und der Voraussetzungen für ihre Gewährung sowie ihrer Leistungsberechtigten Leistungen „gleicher Art“ im Sinne von Art. 12 der Verordnung Nr. 1408/71 sind.

62      Es ist letztlich Sache des vorlegenden Gerichts, das für die Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits und die Auslegung des nationalen Rechts allein zuständig ist, im Hinblick auf diese Gesichtspunkte zu prüfen, ob das Elterngeld als Leistung gleicher Art wie die luxemburgischen Familienzulagen angesehen werden kann und es daher bei der Berechnung des Frau und Herrn Wiering eventuell geschuldeten Unterschiedsbetrags berücksichtigt werden durfte (vgl. in diesem Sinne Urteil Ottica New Line di Accardi Vincenzo, C‑539/11, EU:C:2013:591, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63      Jedoch ist der Gerichtshof, der dazu aufgerufen ist, dem nationalen Gericht zweckdienliche Antworten zu geben, befugt, dem vorlegenden Gericht auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise zu geben, die diesem Gericht eine Entscheidung ermöglichen (vgl. Urteil Ottica New Line di Accardi Vincenzo, EU:C:2013:591, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64      Im Ausgangsverfahren wird zwar nicht bestritten, dass die luxemburgischen Familienzulagen gleicher Art seien wie das Kindergeld; Frau und Herr Wiering machen jedoch sinngemäß geltend, dass diese Familienzulagen keine Leistungen gleicher Art seien wie das Elterngeld. Das Elterngeld hätte somit nicht bei der Berechnung des Unterschiedsbetrags, den Herr Wiering bei der CNPF beantragt hat, berücksichtigt werden dürfen.

65      Insoweit geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass das Kindergeld und die luxemburgischen Familienzulagen den Eltern ermöglichen sollen, die mit den Bedürfnissen des Kindes zusammenhängenden Kosten zu decken, und unabhängig von den Einkünften oder dem Vermögen der Familienangehörigen oder einer eventuellen Erwerbstätigkeit der Eltern gewährt werden. Die Endbegünstigten dieser Leistungen sind somit nicht die Eltern, sondern das Kind selbst. Außerdem handelt es sich bei diesen Leistungen offenbar um regelmäßige Geldleistungen, die ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und des Alters der Kinder gewährt werden, so dass sie als „Familienbeihilfen“ im Sinne von Art. 1 Buchst. u Ziff. ii der Verordnung Nr. 1408/71 eingestuft werden können.

66      In Bezug auf das Elterngeld geht – wie der Generalanwalt in Nr. 66 seiner Schlussanträge festgestellt hat – aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass sich dieses in mehrfacher Hinsicht von Leistungen wie dem Kindergeld und den luxemburgischen Familienzulagen unterscheidet, was zum einen seine Zwecke und Merkmale und zum anderen die dadurch Begünstigten betrifft.

67      Den Angaben der deutschen Regierung zufolge soll das Elterngeld nämlich Familien bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage unterstützen, wenn sich die Eltern vorrangig um die Betreuung ihrer Kinder kümmern. Das Elterngeld bezweckt im Wesentlichen, dazu beizutragen, dass diese Lebensgrundlage für den Fall gesichert wird, dass die Eltern ihre Erwerbstätigkeit für die Erziehungsbedürfnisse ihrer kleinen Kinder ganz oder teilweise unterbrechen.

68      Der das Kind betreuende Elternteil, der keine Erwerbstätigkeit ausübt oder diese unterbricht oder einschränkt, erhält somit während des ersten Lebensjahrs des Kindes einen – gegebenenfalls an seinem Einkommen vor der Unterbrechung oder Einschränkung orientierten – Ausgleich für seine Einkommenseinbußen, damit die Lebensgrundlage seiner Familie gesichert wird. Es ist darauf hinzuweisen, dass das Elterngeld im Allgemeinen 67 % des vorherigen Entgelts beträgt, jedoch 1 800 Euro monatlich nicht übersteigen kann.

69      Eine Leistung wie das Elterngeld bezweckt somit, einem Elternteil zu ermöglichen, einen Beitrag zur Sicherung der Lebensgrundlage seiner Familie in Anspruch zu nehmen, dessen Höhe im Allgemeinen an die Einkünfte anknüpft, die dieser durch seine vorherige Erwerbstätigkeit erzielt hat.

70      Im Gegensatz zum Kindergeld und den luxemburgischen Familienzulagen wird das Elterngeld nicht ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und des Alters der Kinder gewährt. Zwar stellen bestimmte Voraussetzungen für seine Gewährung auf das Vorhandensein eines Kindes und dessen Alter ab; es wird jedoch grundsätzlich anhand des Entgelts berechnet, das der Elternteil, der die Betreuung des Kindes sicherstellt, vor der Unterbrechung seiner Erwerbstätigkeit bezogen hat. Es erhöht sich lediglich bei kinderreichen Familien oder Mehrfachgeburten.

71      Bei einer Leistung wie dem Elterngeld handelt es sich somit um eine „Familienleistung“ im Sinne von Art. 1 Buchst. u Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 (vgl. entsprechend Urteil Kuusijärvi, C‑275/96, EU:C:1998:279, Rn. 60); es kann jedoch nicht als „Familienbeihilfe“ im Sinne von Art. 1 Buchst. u Ziff. ii dieser Verordnung eingestuft werden.

72      Im Übrigen ist festzustellen, dass die CNPF im Ausgangsverfahren auch die Erziehungszulage in die Berechnung des Unterschiedsbetrags einbezogen hat. Frau Wiering hat jedoch – wie der Generalanwalt in den Nrn. 34 und 74 seiner Schlussanträge festgestellt hat und was vom vorlegenden Gericht noch zu prüfen wäre – diese Leistung nicht beantragt, und in Anbetracht von Art. 304 des luxemburgischen Sozialgesetzbuchs ist auch nicht sicher, ob sie diese beanspruchen kann.

73      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es – selbst wenn die betreffende Leistung als eine Leistung gleicher Art wie die luxemburgischen Familienzulagen anzusehen wäre – nach ständiger Rechtsprechung für die Annahme, dass in einem bestimmten Fall eine solche Kumulierung vorliegt, z. B. nicht genügt, dass derartige Leistungen in dem Mitgliedstaat, in dem das Kind wohnt, geschuldet werden und zugleich in einem anderen Mitgliedstaat, in dem ein Elternteil dieses Kindes arbeitet, lediglich geschuldet werden können (vgl. Urteil Schwemmer, EU:C:2010:605, Rn. 52).

74      Der Gerichtshof hat daher im Zusammenhang mit Art. 10 der Verordnung Nr. 574/72 angenommen, dass Familienleistungen nur dann als nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats geschuldet gelten können, wenn das Recht dieses Staates dem Familienangehörigen, der dort arbeitet, einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen verleiht. Der Betroffene muss folglich alle in den internen Rechtsvorschriften dieses Staates aufgestellten – formellen und materiellen – Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, zu denen gegebenenfalls auch die Voraussetzung gehören kann, dass ein Antrag auf Gewährung dieser Leistungen gestellt wird (vgl. Urteil Schwemmer, EU:C:2010:605, Rn. 53).

75      Folglich durfte die Erziehungszulage, selbst wenn diese als Leistung gleicher Art anzusehen wäre wie die luxemburgischen Familienzulagen, für den Fall, dass die vom luxemburgischen Recht vorgegebenen Voraussetzungen für einen Anspruch auf die Erziehungszulage im Ausgangsverfahren nicht erfüllt waren, bei der Berechnung des Frau und Herrn Wiering eventuell geschuldeten Unterschiedsbetrags nicht berücksichtigt werden.

76      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Buchst. u Ziff. i und Art. 4 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung Nr. 1408/71 sowie Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 574/72 dahin auszulegen sind, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens bei der Berechnung des einem Wanderarbeitnehmer in seinem Beschäftigungsmitgliedstaat eventuell zu zahlenden Unterschiedsbetrags nicht sämtliche an die Familie des Wanderarbeitnehmers nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats gezahlten Leistungen als gleichartige Familienleistungen zu berücksichtigen sind, da – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen – das nach deutschem Recht vorgesehene Elterngeld keine Leistung gleicher Art im Sinne von Art. 12 der Verordnung Nr. 1408/71 ist wie das nach deutschem Recht vorgesehene Kindergeld und die nach luxemburgischem Recht vorgesehenen Familienzulagen.

 Kosten

77      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 1 Buchst. u Ziff. i und Art. 4 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung, wie sie durch die Verordnung (EG) Nr. 1606/98 des Rates vom 29. Juni 1998 geändert worden ist, sowie Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung sind dahin auszulegen, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens bei der Berechnung des einem Wanderarbeitnehmer in seinem Beschäftigungsmitgliedstaat eventuell zu zahlenden Unterschiedsbetrags nicht sämtliche an die Familie des Wanderarbeitnehmers nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats gezahlten Leistungen als gleichartige Familienleistungen zu berücksichtigen sind, da – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen – das nach deutschem Recht vorgesehene Elterngeld keine Leistung gleicher Art im Sinne von Art. 12 der Verordnung Nr. 1408/71 ist wie das nach deutschem Recht vorgesehene Kindergeld und die nach luxemburgischem Recht vorgesehenen Familienzulagen.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Französisch.