SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
VERICA Trstenjak
vom 21. Oktober 2008(1)
Verbundene Rechtssachen C‑261/07 und C‑299/07
VTB-VAB NV
gegen
Total Belgium NV
und
Galatea BVBA
gegen
Sanoma Magazines Belgium NV
(Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank van koophandel te Antwerpen [Belgien])
„Zulässigkeit einer Vorlage zur Vorabentscheidung – Statthafter Auslegungsgegenstand – Entscheidungserheblichkeit – Kopplungsangebote – Richtlinie 2005/29/EG – Richtlinienkonforme Auslegung – Auslegung des Gemeinschaftsrechts vor Ablauf der Umsetzungsfrist – Harmonisierung – Verbraucherschutz – Unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen – Art. 28 EG – Warenverkehrsfreiheit – Verkaufsmodalitäten – Art. 49 EG – Dienstleistungsfreiheit – Konkurrenz der Grundfreiheiten“
Inhaltsverzeichnis
I – Einführung
II – Rechtlicher Rahmen
A – Gemeinschaftsrecht
B – Nationales Recht
III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
V – Wesentliches Vorbringen der Parteien
Zur Richtlinie 2005/29
Bezüglich Art. 49 EG
VI – Rechtliche Würdigung
A – Einleitende Ausführungen
B – Zulässigkeit der Vorlagen
1. Statthafter Auslegungsgegenstand
2. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen
C – Vereinbarkeit von Art. 54 des belgischen Gesetzes mit der Richtlinie 2005/29
1. Der Begriff der „Geschäftspraktiken“ in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29
2. Persönlicher Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29
3. Untersuchung der Strukturen beider Regelungswerke
a) Die Regelungen der Richtlinie 2005/29
i) Vollständige und maximale Angleichung der nationalen Regelungen als Regelungsziel
ii) Regelungsstruktur der Richtlinie 2005/29
b) Die Regelungen des belgischen Gesetzes
4. Zur Rücknahme des Kommissionsvorschlags für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt
5. Ergebnis
D – Vereinbarkeit von Art. 54 des belgischen Gesetzes mit den Grundfreiheiten
1. Grundfreiheiten als Prüfungsmaßstab
2. Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
a) Dienstleistungsfreiheit
b) Warenverkehrsfreiheit
c) Verhältnis zwischen Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit
3. Beschränkung der Grundfreiheiten
a) Warenverkehrsfreiheit
i) Maßnahme gleicher Wirkung
– Dassonville-Formel
– Verkaufsmodalitäten
ii) Zwischenergebnis
b) Dienstleistungsfreiheit
4. Rechtfertigung
a) Verbraucherschutz als zwingender Grund des Allgemeinwohls
b) Geeignetheit eines grundsätzlichen Verbots von Kopplungsangeboten
c) Erforderlichkeit/Verhältnismäßigkeit
5. Zwischenergebnis
VII – Ergebnis
I – Einführung
1. Den vorliegenden Rechtssachen liegen zwei Vorlagen gemäß Art. 234 EG der Rechtbank van koophandel te Antwerpen zugrunde, mit dem diese den Gerichtshof im Wesentlichen um Beantwortung der Frage ersucht, ob die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im Binnenmarkt (im Folgenden: Richtlinie 2005/29)(2) und Art. 49 EG dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Gesetzgebung, die Kopplungsangebote grundsätzlich verbietet, entgegenstehen.
2. Im Mittelpunkt der nachfolgend zu untersuchenden Rechtssachen stehen wesentliche Aspekte der harmonisierenden Rechtsetzung der Gemeinschaft im Bereich des Verbraucherschutzes sowie der grenzüberschreitenden Warenverkehrs- und der Dienstleistungsfreiheit im Binnenmarkt.
II – Rechtlicher Rahmen
A – Gemeinschaftsrecht
3. Der elfte und der siebzehnte Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/29 lauten folgendermaßen:
„(11) Das hohe Maß an Konvergenz, das die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften durch diese Richtlinie hervorbringt, schafft ein hohes allgemeines Verbraucherschutzniveau. Diese Richtlinie stellt ein einziges generelles Verbot jener unlauteren Geschäftspraktiken auf, die das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers beeinträchtigen. Sie stellt außerdem Regeln über aggressive Geschäftspraktiken auf, die gegenwärtig auf Gemeinschaftsebene nicht geregelt sind.
…
(17) Es ist wünschenswert, dass diejenigen Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen unlauter sind, identifiziert werden, um größere Rechtssicherheit zu schaffen. Anhang I enthält daher eine umfassende Liste solcher Praktiken. Hierbei handelt es sich um die einzigen Geschäftspraktiken, die ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Bestimmungen der Artikel 5 bis 9 als unlauter gelten können. Die Liste kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden.“
4. Art. 2 der Richtlinie bestimmt Folgendes:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
d) „Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern“ (nachstehend auch „Geschäftspraktiken“ genannt) jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt;
…“
5. Abs. 1 und 5 des Art. 3 der Richtlinie lauten wie folgt:
„(1) Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts.
…
(5) Die Mitgliedstaaten können für einen Zeitraum von sechs Jahren ab dem 12. Juni 2007 in dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich nationale Vorschriften beibehalten, die restriktiver oder strenger sind als diese Richtlinie und zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden und die Klauseln über eine Mindestangleichung enthalten. Diese Maßnahmen müssen unbedingt erforderlich sein, um sicherzustellen, dass die Verbraucher auf geeignete Weise vor unlauteren Geschäftspraktiken geschützt werden und müssen zur Erreichung dieses Ziels verhältnismäßig sein. Im Rahmen der nach Artikel 18 vorgesehenen Überprüfung kann gegebenenfalls vorgeschlagen werden, die Geltungsdauer dieser Ausnahmeregelung um einen weiteren begrenzten Zeitraum zu verlängern.“
6. Gemäß Art. 4 der Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Warenverkehr nicht aus Gründen, die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen, einschränken.
7. Art. 5 der Richtlinie, der die Überschrift „Verbot unlauterer Geschäftspraktiken“ trägt, bestimmt Folgendes:
„(1) Unlautere Geschäftspraktiken sind verboten.
(2) Eine Geschäftspraxis ist unlauter, wenn
a) sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht
und
b) sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet oder des durchschnittlichen Mitglieds einer Gruppe von Verbrauchern, wenn sich eine Geschäftspraxis an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen.
(3) Geschäftspraktiken, die voraussichtlich in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die aufgrund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese Praktiken oder die ihnen zugrunde liegenden Produkte besonders schutzbedürftig sind, werden aus der Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe beurteilt. Die übliche und rechtmäßige Werbepraxis, übertriebene Behauptungen oder nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen aufzustellen, bleibt davon unberührt.
(4) Unlautere Geschäftspraktiken sind insbesondere solche, die
a) irreführend im Sinne der Artikel 6 und 7
oder
b) aggressiv im Sinne der Artikel 8 und 9 sind.
(5) Anhang I enthält eine Liste jener Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind. Diese Liste gilt einheitlich in allen Mitgliedstaaten und kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden.“
8. Art. 6 der Richtlinie definiert den Begriff der „irreführenden Geschäftspraktiken“ folgendermaßen:
„(1) Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte …
(2) Eine Geschäftspraxis gilt ferner als irreführend, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände einen Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst oder zu veranlassen geeignet ist, die er ansonsten nicht getroffen hätte …“
9. Art. 8 der Richtlinie definiert seinerseits den Begriff der „Aggressiven Geschäftspraktiken“:
„Eine Geschäftspraxis gilt als aggressiv, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des Durchschnittsverbrauchers in Bezug auf das Produkt durch Belästigung, Nötigung, einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt, oder durch unzulässige Beeinflussung tatsächlich oder voraussichtlich erheblich beeinträchtigt und dieser dadurch tatsächlich oder voraussichtlich dazu veranlasst wird, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.“
10. Art. 19 der Richtlinie sieht Folgendes vor:
„Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis zum 12. Juni 2007 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. …
Sie wenden diese Vorschriften ab dem 12. Dezember 2007 an. …“
B – Nationales Recht
11. Art. 54 des belgischen Gesetzes über die Handelspraktiken sowie die Aufklärung und den Schutz der Verbraucher (im Folgenden: belgisches Gesetz)(3) besagt Folgendes:
„Im Sinne des vorliegenden Artikels ist ein Kopplungsgeschäft gegeben, wenn der entgeltliche oder kostenlose Erwerb von Waren, Dienstleistungen, sonstigen Vorteilen oder von Scheinen, die zu ihrem Erwerb berechtigen, an den Erwerb sonstiger, selbst identischer Waren oder Dienstleistungen gebunden ist.
Abgesehen von den weiter unten festgelegten Ausnahmen dürfen Verkäufer Verbrauchern keine Kopplungsgeschäfte anbieten. Ebenfalls untersagt sind Kopplungsgeschäfte, die mehrere in gemeinsamer Absicht handelnde Verkäufer Verbrauchern anbieten.“
12. Art. 55 bis 57 des belgischen Gesetzes sehen einige Ausnahmen zu diesem Verbot vor.
13. Art. 55 des belgischen Gesetzes bestimmt Folgendes:
„Zu einem Globalpreis dürfen gekoppelt angeboten werden:
1. Waren oder Dienstleistungen, die ein Ganzes bilden.
…
2. identische Waren oder Dienstleistungen, vorausgesetzt:
a) jede Ware und jede Dienstleistung kann in derselben Niederlassung zum üblichen Preis getrennt erworben werden,
b) der Käufer wird deutlich über diese Möglichkeit und über den Einzelpreis jeder Ware und jeder Dienstleistung informiert,
c) die dem Käufer der Gesamtheit der Waren oder Dienstleistungen gegebenenfalls gewährte Preisermäßigung beträgt höchstens ein Drittel der zusammengezählten Einzelpreise.“
14. Art. 56 des belgischen Gesetzes lautet wie folgt:
„Folgendes darf gekoppelt mit einer Hauptware beziehungsweise -dienstleistung kostenlos angeboten werden:
1. Zubehör einer Hauptware, das der Hersteller der Ware dieser Ware speziell angepasst hat und das zusammen mit dieser Ware geliefert wird, um ihre Verwendung zu erweitern beziehungsweise zu vereinfachen,
2. die für den Schutz und die Aufbereitung der Ware verwendeten Verpackungen oder Behälter, wobei Art und Wert dieser Ware berücksichtigt werden,
3. handelsübliche kleine Waren und Dienstleistungen sowie Lieferung, Montage, Kontrolle und Unterhalt der verkauften Waren,
4. Proben aus dem Sortiment des Herstellers beziehungsweise Lieferanten der Hauptware, sofern sie in den für eine Beurteilung der Eigenschaften der Ware strikt erforderlichen Mengen beziehungsweise Abmessungen angeboten werden,
5. Farbbilder, Aufkleber und sonstige Bilder mit geringfügigem Handelswert,
6. Teilnahmescheine für gesetzlich zugelassene Lotterien,
7. Gegenstände mit unauswischbaren und deutlich sichtbaren Werbeaufschriften, die als solche nicht im Handel zu finden, unter der Bedingung, dass der vom Anbieter gezahlte Einkaufspreis höchstens 5 % des Verkaufspreises der Hauptware beziehungsweise -dienstleistung beträgt, mit der sie verteilt werden.“
III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
15. Gegenstand des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑261/07 ist eine Klage von VTB-VAB (im Folgenden: VTB), einer Gesellschaft, die Dienstleistungen im Bereich der Pannen- und Unfallhilfe erbringt, gegen Total Belgium NV (im Folgenden: Total), eine Filiale der Total-Gruppe, die vor allem Kraftstoffe an Tankstellen vertreibt.
16. Seit dem 15. Januar 2007 bietet Total Verbrauchern, die Inhaber einer TOTAL-CLUB-Karte sind, für jedes Tanken von mindestens 25 l Kraftstoff für das eigene Kraftfahrzeug oder mindestens 10 l für das eigene Kleinkraftrad einen unentgeltlichen Pannendienst für die Dauer von drei Wochen (TOTAL ASSISTANCE) an.
17. Am 5. Februar 2007 hat VTB bei der Rechtbank van koophandel te Antwerpen Klage gegen Total Belgium NV auf Unterlassung dieser Geschäftspraxis mit der Begründung erhoben, sie stelle ein durch Art. 54 des belgischen Gesetzes verbotenes Kopplungsangebot dar.
18. Gegenstand des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑299/07 ist eine Klage von BVBA Galatea, einer Firma, die ein Wäschegeschäft in Schoten (Belgien) betreibt, gegen Sanoma Magazines Belgium NV, eine Filiale der finnischen Sanoma-Gruppe (im Folgenden: Sanoma) die u. a. Frauenzeitschriften verlegt und u. a. die Wochenzeitschrift „Flair“ herausgibt.
19. Diese Zeitschrift enthielt in der Ausgabe vom 13. März 2007 eine angeheftete 47-seitige Beilage einschließlich eines Bons, der im Zeitraum vom 13. März bis zum 15. Mai 2007 Anspruch auf Rabatte in Höhe von 15 % bis 25 % auf diverse Produkte gewährte, die in verschiedenen Wäschegeschäften vertrieben werden.
20. Am 22. März 2007 erhob Galatea bei der Rechtbank van koophandel te Antwerpen Klage auf Unterlassung dieser Geschäftspraxis mit der Begründung, diese Praxis verstoße u. a. gegen Art. 54 des belgischen Gesetzes.
21. Die Rechtbank van koophandel te Antwerpen weist in ihren Vorlagebeschlüssen zwar darauf hin, dass die Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG zum damaligen Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Indes äußert sie gewisse Zweifel bezüglich der Vereinbarkeit des in Art. 54 des belgischen Gesetzes enthaltenen Verbots von Kopplungsangeboten mit der Richtlinie 2005/29/EG sowie, zumindest was die Rechtssache C‑299/07 betrifft, mit Art. 49 EG. Aus diesem Grund hat sie beschlossen, beide Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
In der Rechtssache C‑261/07
„Steht die Richtlinie 2005/29 des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken einer nationalen Bestimmung wie Art. 54 des belgischen Gesetzes vom 14. Juli 1991 über die Handelspraktiken sowie die Aufklärung und den Schutz der Verbraucher vom 14. Juli 1991 entgegen, der – mit Ausnahme der im Gesetz abschließend aufgezählten Fälle – jedes Kopplungsangebot eines Verkäufers an einen Verbraucher einschließlich eines Angebots verbietet, bei dem eine Ware, die der Verbraucher kaufen muss, mit einer unentgeltlichen Dienstleistung gekoppelt wird, deren Bezug an den Kauf der Ware gebunden ist, und zwar ungeachtet der Umstände des Falles, insbesondere ungeachtet des Einflusses, den das konkrete Angebot auf den Durchschnittsverbraucher haben kann, und ungeachtet dessen, ob dieses Angebot unter den konkreten Umständen als der beruflichen Sorgfaltspflicht oder den lauteren Handelsbräuchen zuwiderlaufend anzusehen ist?“
In der Rechtssache C‑299/07
„Stehen Art. 49 EG über den freien Dienstleistungsverkehr sowie die Richtlinie 2005/29 des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken einer nationalen Bestimmung wie Art. 54 des belgischen Gesetzes vom 14. Juli 1991 über die Handelspraktiken sowie die Aufklärung und den Schutz der Verbraucher entgegen, der – mit Ausnahme der im Gesetz abschließend aufgezählten Fälle – jedes Kopplungsangebot eines Verkäufers an einen Verbraucher verbietet, bei dem der entgeltliche oder kostenlose Erwerb von Waren, Dienstleistungen, sonstigen Vorteilen oder von Scheinen, die zu deren Erwerb berechtigen, an den Erwerb sonstiger, selbst identischer Waren oder Dienstleistungen geknüpft ist – und zwar ungeachtet der Umstände des Falles, insbesondere ungeachtet des Einflusses, den das konkrete Angebot auf den Durchschnittsverbraucher haben kann, und ungeachtet dessen, ob dieses Angebot unter den konkreten Umständen als der beruflichen Sorgfaltspflicht oder den lauteren Handelsbräuchen zuwiderlaufend anzusehen ist?“
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
22. Die Vorlagebeschlüsse mit Datum vom 24. Mai 2007 (Rechtssache C‑261/07) und vom 21. Juni 2007 (Rechtssache C‑299/07) sind am 1. Juni 2007 bzw. am 27. Juni 2007 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.
23. Der Präsident des Gerichtshofs hat am 29. August 2007 beschlossen, die beiden Rechtssachen miteinander zu verbinden.
24. VTB, Total und Sanoma, die Regierungen des Königreichs Belgien, der Französischen Republik, des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik sowie die Kommission haben nach Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs schriftliche Erklärungen eingereicht.
25. Der Gerichtshof hat im Rahmen prozessleitender Maßnahmen eine Frage an die Verfahrensbeteiligten gerichtet, die diese beantwortet haben.
26. In der mündlichen Verhandlung, die am 18. Juni 2008 stattgefunden hat, haben die Prozessbevollmächtigten von VTB, Total und Sanoma, die Bevollmächtigten der Regierungen des Königreichs Belgien, der Französischen Republik und des Königreichs Spanien sowie der Bevollmächtigte der Kommission Ausführungen gemacht.
V – Wesentliches Vorbringen der Parteien
Zur Richtlinie 2005/29
27. In den beiden Rechtssachen stellt das vorlegende Gericht dem Gerichtshof im Wesentlichen die Frage, ob das Verbot von Kopplungsangeboten, wie es das belgische Gesetz in Art. 54 vorsehe, in Einklang mit der Richtlinie 2005/29 steht.
28. VTB stellt zunächst die Zulässigkeit der Vorlagefrage in Frage, da sie die Auslegung einer Richtlinie betreffe, deren Umsetzungsfrist zu dem Zeitpunkt des streitigen Ereignisses noch nicht abgelaufen gewesen sei.
29. Aus dem gleichen Grund und ohne ausdrücklich die Unzulässigkeit geltend zu machen, sind die spanische und die belgische Regierung der Ansicht, dass die Richtlinie auf einen Fall wie den vorliegenden nicht anwendbar sei. Insbesondere könne eine nationale Regelungen nicht von einem Richter wegen Verstoßes gegen die Richtlinie für unanwendbar erklärt werden, solange die Umsetzungsfrist für diese Richtlinie noch nicht abgelaufen sei.
30. In der Sache sind Total, Sanoma, die portugiesische Regierung und die Kommission der Ansicht, dass die Richtlinie einem Verbot der Kopplungsangebote, wie es Art. 54 des belgischen Gesetzes vorsehe, entgegenstehe.
31. Sanoma, Total und die Kommission machen geltend, dass Kopplungsangebote zum Begriff der „Geschäftspraxis“ im Sinne der Richtlinie gehörten. Da Letztere eine vollkommene Harmonisierung im Bereich der unlauteren Handelspraktiken vornehme, könnten einzig und allein solche Praktiken „unter allen Umständen“ von den Mitgliedstaaten verboten werden, die, in Übereinstimmung mit Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie, im Anhang I der Richtlinie genannt seien. Da aber die Kopplungsangebote als solche in jenem Anhang nicht genannt seien, könnten sie auch nicht per se bereits verboten sein, sondern lediglich dann, wenn der nationale Richter angesichts der konkreten Umstände des jeweiligen Falles die Voraussetzungen von Art. 5 der Richtlinie als erfüllt sehe. Infolgedessen verstoße das grundsätzliche Verbot, wie es Art. 54 des belgischen Gesetzes vorsehe, gegen die Richtlinie. Diesbezüglich fügt die Kommission hinzu, dieses Verbot sei jedenfalls nicht nötig zum angemessenen Schutz der Verbraucher gegen die unlauteren Geschäftspraktiken, noch sei es verhältnismäßig im Hinblick auf dieses Ziel.
32. Die portugiesische Regierung beschränkt sich darauf, geltend zu machen, dass Art. 54 des belgischen Gesetzes insoweit gegen die Richtlinie verstoße, als sie ein generelles Verbot der gemeinsamen Angebote festlege und dies, obwohl das belgische Gesetz bestimmte Ausnahmen in den Art. 55 und 56 vorsehe.
33. VTB sowie die belgische und die französische Regierung vertreten eine entgegengesetzte Auslegung.
34. VTB macht geltend, dass Kopplungsangebote nicht unter den Begriff der „Geschäftspraxis“ im Sinne der Richtlinie fielen und dementsprechend von Letzterer nicht erfasst seien. Jedenfalls schließe Art. 5 der Richtlinie nicht aus, dass die Mitgliedstaaten auch andere unlautere Geschäftspraktiken festlegen könnten als solche, die im Anhang I genannt seien.
35. Auch die belgische Regierung macht geltend, dass Kopplungsangebote nicht unter den Begriff der „Geschäftspraxis“ im Sinne der Richtlinie fielen. Sie präzisiert, dass die Kopplungsangebote vielmehr dem Vorschlag für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt(4) zuzuordnen seien, welche die Kopplungsangebote anders behandle als die von der Richtlinie erfassten Geschäftspraktiken. Da dieser Vorschlag jedoch gerade erst im Jahr 2006 zurückgenommen worden sei, seien die belgischen Behörden zu Recht davon ausgegangen, dass die gemeinsamen Angebote keine „Geschäftspraktiken“ darstellten. Demzufolge sei der belgische Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie nicht davon ausgegangen, Art. 54 des belgischen Rechts ändern oder im Licht des Art. 5 der Richtlinie auslegen zu müssen.
36. Die französische Regierung macht im Wesentlichen ähnliche Argumente geltend wie die belgische Regierung und fügt hinzu, dass, falls die Richtlinie die Mitgliedstaaten dazu verpflichte, unlautere Geschäftspraktiken gegenüber dem Verbraucher zu verbieten, dies jedenfalls die Mitgliedstaaten nicht daran hindere, zum Zweck des Verbraucherschutzes auch andere Geschäftspraktiken zu verbieten, unabhängig von deren unlauterem Charakter im Sinne der Richtlinie. Dazu zählten auch die Kopplungsangebote, die außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie lägen.
Bezüglich Art. 49 EG
37. In der Rechtssache C‑299/07 stellt das vorlegende Gericht zudem die Frage, ob Art. 49 EG einem Verbot der Kopplungsangebote, wie es Art. 54 des belgischen Gesetzes vorsehe, entgegensteht.
38. VTB ebenso wie die spanische, die belgische und die französische Regierung schlagen eine Verneinung dieser Frage vor.
39. VTB zufolge zieht das fragliche Verbot, das unterschiedslos sowohl auf Händler in Belgien als auch auf Händler in anderen Mitgliedstaaten anwendbar sei, für Letztere keinerlei zusätzliche wirtschaftliche Kosten oder Verwaltungsgebühren nach sich, die geeignet seien, den freien Dienstleistungsverkehr zu behindern. Jedenfalls sei ein solches Verbot auch aus Gründen des Allgemeinwohls, insbesondere des Verbraucherschutzes, gerechtfertigt.
40. Die belgische und die französische Regierung machen geltend, dass Art. 49 EG nicht relevant sei für die Beantwortung der Vorlagefrage. Diesbezüglich weisen die französischen Behörden darauf hin, dass die fraglichen Angebote vorwiegend den Verkauf von Waren (Kraftstoff im Fall C‑261/07 und Unterwäsche im Fall C‑299/07) beträfen und nicht etwa Dienstleistungen. In dem Fall, dass die Richtlinie in der Weise auszulegen sei, dass sie dem belgischen Gesetz nicht entgegenstehe, müsse das Verbot von Kopplungsangeboten also vielmehr im Licht des Art. 28 EG betreffend die Warenverkehrsfreiheit, auf welche sich das vorlegende Gericht übrigens in seinem Vorlagebeschluss beziehe, ausgelegt werden.
41. Somit betreffe das Verbot der Kopplungsangebote, wie es das belgische Gesetz vorsehe, eine Verkaufsmodalität im Sinne des Urteils Keck und Mithouard (Urteil vom 24. November 1993, C‑267/91 und C‑268/91, Slg. 1993, I‑6097) und sei folglich nicht geeignet, die Warenverkehrsfreiheit zu behindern, da die beiden von dieser Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen erfüllt seien. Tatsächlich sei das Verbot auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbar, die ihre Aktivität auf belgischem Territorium ausübten, und betreffe ebenso, rechtlich wie tatsächlich, die Vermarktung sowohl von nationalen Produkten als auch von Produkten aus anderen Mitgliedstaaten. Schließlich macht die französische Regierung geltend, dass das fragliche Verbot jedenfalls zum einen aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls, insbesondere des Verbraucherschutzes und der Aufrechterhaltung eines lauteren Wettbewerbs, gerechtfertigt sei und zum anderen auch verhältnismäßig sei im Hinblick auf diese Ziele, da mehrere Ausnahmen von diesem Verbot vorgesehen seien.
42. Die spanische Regierung wiederum schließt die Anwendbarkeit von Art. 49 EG auf eine rein innerstaatliche Situation wie im vorliegenden Fall, wo sich alle Elemente auf einen einzigen Mitgliedstaat beschränkten, aus. Tatsächlich betreffe der vorliegende Fall in Belgien ansässige Unternehmen, die Dienstleistungen im Staatsgebiet Belgiens anböten.
43. Sanoma, die portugiesische Regierung und, in gewissem Umfang, auch die Kommission gehen demgegenüber davon aus, dass das Verbot der Kopplungsangebote, wie es Art. 54 des belgischen Gesetzes vorsehe, gegen die Dienstleistungsfreiheit, garantiert in Art. 49 EG, verstößt.
44. Insbesondere macht Sanoma geltend, dass ihr Recht auf Dienstleistungsfreiheit insofern verletzt sei, als sie ihren Vertrieb in Belgien nicht in dem Maße bewerben dürfe wie sie dies in anderen Mitgliedstaaten, die Kopplungsangebote erlaubten (insbesondere die Niederlande und Luxemburg), tue. Sanoma stellt weiterhin fest, dass ihre belgischen Kunden aufgrund des Verbots keinen Gebrauch von den Ermäßigungsscheinen machen könnten, die in niederländischen Zeitschriften in Flandern und in den Niederlanden, die aber auch in ganz Belgien verbreitet würden, veröffentlicht würden. Schließlich vertritt Sanoma die Ansicht, dass aufgrund der vollständigen Harmonisierung durch die Richtlinie das fragliche Verbot auch nicht gerechtfertigt werden könne. Jedenfalls sei ein solches Verbot weder notwendig noch verhältnismäßig, um den Verbraucher zu schützen und einen fairen Wettbewerb sicherzustellen.
45. Die Kommission wiederum gibt eine eher mehrdeutige Antwort.
46. Auch wenn sie ähnliche Argumente vorbringt wie die französische Regierung, so geht sie davon aus, dass vorliegend tatsächlich Art. 28 EG die einschlägige Vorschrift sei und dass in Anwendung der Rechtsprechung Keck und Mithouard das vorliegend streitige Verbot von Kopplungsangeboten aus dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift herausfalle. Die Kommission stellt ferner klar, dass es nicht nötig sei, sich einer Analyse unter dem Gesichtspunkt der Dienstleistungsfreiheit zu widmen, da unter Umständen wie den vorliegenden diese Freiheit, im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs, völlig zweitrangig im Verhältnis zur Warenverkehrsfreiheit sei und dieser zugeordnet werden könne (siehe insbesondere Urteil vom 22. Januar 2002, Canal Satélite Digital, Slg. 2002, I‑607, Randnr. 31). Zudem weist die Kommission darauf hin, dass die Untersuchung, die das vorlegende Gericht in seinem Vorlagebeschluss vornehme, sich nicht auf eventuelle Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit erstrecke.
47. Dennoch prüft die Kommission dies rein vorsorglich, wobei sie zu dem Schluss kommt, dass das Verbot von Kopplungsangeboten eindeutig eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit darstelle, die über das hinausgehe, was nötig sei, um die Ziele des Verbraucherschutzes und des fairen Handels zu erreichen.
VI – Rechtliche Würdigung
A – Einleitende Ausführungen
48. Die am 11. Mai 2005 vom Europäischen Parlament und vom Rat verabschiedete Richtlinie 2005/29 zielt darauf ab, einen einheitlichen Rechtsrahmen für die Regelung unlauterer Geschäftspraktiken im Verhältnis zum Verbraucher zu schaffen. Dieses Ziel soll ausweislich ihres fünften Erwägungsgrundes durch eine Harmonisierung des Lauterkeitsrechts in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft im Interesse einer Beseitigung von Hemmnissen im Binnenmarkt erreicht werden(5). Ihr Regelungsziel besteht somit in einer vollständigen Harmonisierung dieses Lebensbereichs auf Gemeinschaftsebene(6).
49. In Kraft getreten ist die Richtlinie 2005/29 laut ihrem Art. 20 bereits am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, d. h. am 12. Juni 2005. Gemäß ihrem Art. 19 Abs. 1 waren die Mitgliedstaaten verpflichtet, sie bis zum 12. Juni 2007 durch Erlass der erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in das nationale Recht umzusetzen, allerdings mit einer weiteren sechsjährigen Übergangsfrist für bestimmte strengere nationale Regelungen. Angewandt werden mussten diese Rechts- und Verwaltungsvorschriften jedoch erst ab dem 12. Dezember 2007.
50. Das Königreich Belgien ist dieser Umsetzungspflicht formal durch die Verabschiedung des Gesetzes vom 5. Juni 2007 zur Änderung des Gesetzes vom 14. Juli 1991 über die Handelspraktiken sowie die Aufklärung und den Schutz der Verbraucher(7), das am 1. Dezember 2007 in Kraft getreten ist, nachgekommen. Das vorlegende Gericht verweist in seinen Vorlagebeschlüssen allerdings auf eine ältere nationale Bestimmung, nämlich Art. 54 des belgischen Gesetzes, die bereits vor Inkrafttreten der Richtlinie 2005/29 Bestand hatte, wobei es Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit dem Gemeinschaftsrecht äußert.
B – Zulässigkeit der Vorlagen
1. Statthafter Auslegungsgegenstand
51. Statthafter Auslegungsgegenstand im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 234 EG kann ausschließlich eine Norm des Gemeinschaftsrechts sein. Dazu gehören Rechtssätze des Primär- und Sekundärrechts. Die Vorlagefragen der Rechtbank van koophandel betreffen insofern einen statthaften Auslegungsgegenstand, als mit ihnen der Gerichtshof um Auslegung von Art. 49 EG und der Richtlinie 2005/29 ersucht wird.
52. Unbeachtlich für die Frage der Zulässigkeit der Vorlagen ist aus meiner Sicht der Umstand, dass die Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2005/29 zum Zeitpunkt der Entscheidung des nationalen Gerichts, den Gerichtshof um Auslegung dieser Gemeinschaftsnorm zu ersuchen, noch nicht abgelaufen war, denn jedenfalls war die Richtlinie 2005/29 seit dem 12. Juni 2005 in Kraft und damit bereits als für die Mitgliedstaaten rechtlich verbindlicher Rechtsakt existent(8).
53. Der Gerichtshof entscheidet im Wege der Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EG über die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft, ohne dass es darauf ankommt, ob diese Handlungen unmittelbar anwendbar sind oder nicht(9). Eine Richtlinie, deren Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist, ist eine solche Handlung, und der Gerichtshof kann deshalb wirksam um eine Vorabentscheidung hierüber ersucht werden, wenn dieses Ersuchen im Übrigen den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs festgelegten Zulässigkeitsvoraussetzungen entspricht(10).
2. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen
54. Im Hinblick auf die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen ist daran zu erinnern, dass das mit Art. 234 EG eingerichtete Verfahren der Vorabentscheidung ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten die Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen(11).
55. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden(12).
56. Der Gerichtshof hat jedoch auch entschieden, dass es ihm in Ausnahmefällen obliegt, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er von dem nationalen Gericht angerufen wird. Er kann die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Frage erforderlich sind(13).
57. Indes haben VTB, die spanische und die belgische Regierung keine stichhaltigen Argumente für die These anführen können, die Auslegung der Richtlinie 2005/29 sei nicht für die Entscheidung im Ausgangsverfahren relevant. Vielmehr spricht vieles für eine Bejahung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen.
58. So ist festzustellen, dass die Ereignisse, die zu den Ausgangsverfahren führten, nur wenige Monate vor Ablauf der Umsetzungsfrist am 12. Juni 2007 stattgefunden haben. Zu diesem Zeitpunkt war das nationale Recht weder angepasst worden, noch schien das Königreich Belgien eine Aufhebung des grundsätzlichen Verbots von Kopplungsangeboten in Erwägung zu ziehen, was auch dem nationalen Gericht bewusst war, wie aus den Vorlagebeschlüssen eindeutig hervorgeht(14).
59. In seiner Eigenschaft als funktionelles Gemeinschaftsgericht wäre das nationale Gericht bei einer nicht auszuschließenden Unvereinbarkeit des belgischen Gesetzes mit der Richtlinie 2005/29 notfalls dazu verpflichtet gewesen, die entsprechenden nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen. Dies folgt aus dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Recht(15), vor allem aber aus der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Art. 10 Abs. 2 EG und Art. 249 Abs. 3 EG, alle Maßnahmen zu treffen, die zur Erreichung des durch die betreffende Richtlinie vorgeschriebenen Ziels erforderlich sind.
60. Damit verbunden ist auch die Pflicht, alles zu unterlassen, was die Erreichung des Ziels einer Richtlinie vereiteln könnte. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich aus den oben genannten Bestimmungen des Vertrags in Verbindung mit der betreffenden Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten, an die die Richtlinie gerichtet ist, während der Frist für deren Umsetzung keine Vorschriften erlassen dürfen, die geeignet sind, die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Ziels ernstlich zu gefährden(16). Diese Unterlassungspflicht erstreckt sich auf alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten einschließlich der Gerichte im Rahmen ihrer Zuständigkeit(17). Diesen obliegt es, gegebenenfalls zu prüfen, ob vor Ablauf der Umsetzungsfrist erlassene nationale Rechtsakte das Erreichen des Richtlinienziels beeinträchtigen(18).
61. Dementsprechend hat der Gerichtshof im Urteil Adeneler(19) entschieden, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Richtlinie es so weit wie möglich unterlassen müssen, das innerstaatliche Recht auf eine Weise auszulegen, die die Erreichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels nach Ablauf der Umsetzungsfrist ernsthaft gefährden würde. Zudem ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Anwendungsbereich einer Richtlinie nicht nur die nationalen Vorschriften, die als ausdrückliches Ziel die Umsetzung der Richtlinie verfolgen, sondern – vom Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie an – auch die schon vorher bestehenden nationalen Vorschriften fallen, die geeignet sind, die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit der Richtlinie zu gewährleisten(20).
62. Drängt sich also bei dem nationalen Richter wie in den vorliegenden Rechtssachen der Verdacht auf, dass eine nationale Gesetzgebung geeignet ist, das Ziel einer bevorstehend umzusetzenden Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist zu vereiteln(21), so ist er gehalten, bereits während der Umsetzungsphase die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Dazu gehört grundsätzlich auch die Möglichkeit, das entgegenstehende nationale Recht nicht anzuwenden, sofern eine richtlinienkonforme Auslegung des geltenden Rechts nicht in Betracht kommt(22).
63. Eine Nichtanwendung von Art. 54 des belgischen Gesetzes hätte indes zur Folge gehabt, dass das vorlegende Gericht die von VTB und Galatea jeweils gegen Total und Sanoma gerichteten Unterlassungsklagen aller Voraussicht nach teilweise hätte abweisen müssen.
64. Nach alledem kann den Vorlagefragen nicht die Entscheidungserheblichkeit abgesprochen werden.
65. Folglich sind die Vorlagen zur Vorabentscheidung zulässig.
C – Vereinbarkeit von Art. 54 des belgischen Gesetzes mit der Richtlinie 2005/29
66. Vorab ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof in einem nach Art. 234 EG eingeleiteten Verfahren nicht zur Entscheidung über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht befugt ist. Er kann jedoch dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben, die es diesem ermöglichen, die Frage der Vereinbarkeit bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens zu beurteilen(23).
67. Beide Vorlagen zielen darauf ab, feststellen zu lassen, ob die Richtlinie 2005/29 einer nationalen Bestimmung wie Art. 54 des belgischen Gesetzes entgegensteht. Zu diesem Zweck muss zunächst geprüft werden, ob eine solche Bestimmung von ihrem Regelungsgegenstand her vom sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29 erfasst ist.
1. Der Begriff der „Geschäftspraktiken“ in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29
68. Dies hängt von der Beantwortung der Frage ab, ob Kopplungsangebote überhaupt als „Geschäftspraktiken“ im Sinne des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 angesehen werden können. Diese Bestimmung enthält eine weite Legaldefinition der „Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern“, die meines Erachtens unproblematisch eine Subsumtion des Begriffs des Kopplungsangebots darunter erlaubt.
69. Kopplungsangebote basieren auf der Kopplung von mindestens zwei unterschiedlichen Angeboten von Waren oder Dienstleistungen zu einer Verkaufseinheit. Ein Kopplungsangebot liegt also nur dann vor, wenn die Komponenten der Kopplung zwei oder mehrere getrennte Güter sind. Charakteristisches Merkmal für die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen, in denen diese Bindungen auftreten, ist die Art und Weise der Kopplung, sind also die jeweiligen Bedingungen, unter denen die Anbieter ihre Gesamtangebote gestalten und sie auf den Markt bringen(24). Aus betriebswirtschaftlicher Sicht stellen Kopplungsangebote eine Maßnahme der Preis- und Kommunikationspolitik, zwei der wichtigsten Politiken im Marketing, dar. Da konkurrenzlose Märkte eher selten sind, die Werbenden fast immer gegen andere Anbieter antreten müssen, sind die Marktbeteiligten gezwungen, um sich vom Wettbewerbsumfeld abzusetzen, Angebote zu gestalten, die nicht nur interessant sind, sondern auch eine starke Anziehungskraft auf die jeweiligen Verbraucher ausüben. Kopplungsofferten sollen, wegen der eigenartigen Zusammensetzung unterschiedlicher Waren oder Dienstleistungen in einem Angebot und wegen ihrer von dieser Kombinationsform ausgehenden faktischen oder scheinbaren Preisgünstigkeit, einen Kaufanreiz für die Kunden schaffen. Mit anderen Worten, sie dienen dazu, Kunden anzulocken und das akquisitorische Potenzial von Unternehmen zu erhöhen(25).
70. Legt man die oben beschriebene Funktion von Kopplungsangeboten sowie die Art und Weise zugrunde, in der der Verbraucher ihnen im Alltag begegnet, so ist es folgerichtig, sie als Handlungen bzw. kommerzielle Mitteilungen einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung oder dem Verkauf zusammenhängen, zu definieren. Damit entsprechen sie durchaus dem Begriff der Geschäftspraktiken im Sinne des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29. Folglich fallen die in Art. 54 des belgischen Gesetzes geregelten Kopplungsangebote in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29.
2. Persönlicher Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29
71. Nichts anderes gilt für den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29, denn zwar bezweckt diese unmittelbar den Schutz der Verbraucher, doch werden die wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig handelnder Mitbewerber deshalb nicht für weniger schutzwürdig gehalten.
72. Dies folgt zunächst aus ihrem sechsten, vor allem aber aus ihrem achten Erwägungsgrund, aus dem hervorgeht, dass die Richtlinie 2005/29 auch mittelbar Unternehmen vor Mitbewerbern schützt, die sich nicht an die Regeln dieser Richtlinie halten, womit sie einen lauteren Wettbewerb in dem durch sie koordinierten Bereich gewährleistet(26).
3. Untersuchung der Strukturen beider Regelungswerke
73. Um feststellen zu können, ob die Richtlinie 2005/29 einer nationalen Bestimmung wie Art. 54 des belgischen Gesetzes entgegensteht, ist es erforderlich, beide Regelungswerke im Hinblick auf ihre normative Zielsetzung und ihre Regelungsstruktur zu untersuchen und anschließend zu vergleichen.
a) Die Regelungen der Richtlinie 2005/29
i) Vollständige und maximale Angleichung der nationalen Regelungen als Regelungsziel
74. Wie eingangs ausgeführt(27) zielt die Richtlinie 2005/29 auf eine vollständige Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften über unlautere Geschäftspraktiken ab. Angestrebt wird zudem, anders als es in den sektorspezifischen Rechtsinstrumenten zur Harmonisierung des Verbraucherschutzrechts bisher der Fall war, nicht nur eine Mindestharmonisierung, sondern eine maximale Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften, die den Mitgliedstaaten, von bestimmen Ausnahmen abgesehen, verwehrt, strengere Regelungen beizubehalten oder einzuführen(28). Beides ergibt sich aus einer Auslegung sowohl der Präambel als auch der allgemeinen Bestimmungen zu dieser Richtlinie.
75. Zum einen folgt dies aus ihrem elften Erwägungsgrund, wonach die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften durch diese Richtlinie ein hohes allgemeines Verbraucherschutzniveau schaffen soll. Zum anderen spricht ihr zwölfter Erwägungsgrund davon, dass die Verbraucher und die Unternehmer in die Lage versetzt werden sollen, sich an einem einzigen Rechtsrahmen zu orientieren, der auf einem klar definierten Rechtskonzept beruht, das alle Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken in der Europäischen Union regelt. Auf die Methode der Rechtsangleichung wird erneut in Art. 1 Richtlinie 2005/29 Bezug genommen, aus dem hervorgeht, dass sie dem Zweck der Verbesserung des Verbraucherschutzes und der Perfektionierung des Binnenmarkts dienen soll.
76. Das Ziel einer umfassenden und maximalen Regelung auf Gemeinschaftsebene in dem vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfassten Lebensbereich wird wiederum in den Aussagen in ihren Erwägungsgründen 14 und 15 deutlich, in denen ausdrücklich von einer vollständigen Angleichung die Rede ist. Darüber hinaus ergibt sich dies aus der Binnenmarktklausel in Art. 4 der Richtlinie 2005/29, wonach die Mitgliedstaaten den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Warenverkehr nicht aus Gründen, die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen, einschränken dürfen.
77. Als Ausnahme sieht Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29 vor, dass die Mitgliedstaaten für einen Zeitraum von sechs Jahren ab dem 12. Juni 2007 in dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich nationale Vorschriften beibehalten dürfen, die restriktiver oder strenger sind als die Richtlinie. Allerdings ist diese Ausnahme auf jene nationalen Regelungen beschränkt, die zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden und die Klauseln über eine Mindestangleichung enthalten(29). Eine weitere Ausnahme von der vollständigen Harmonisierung findet sich schließlich in Art. 3 Abs. 9 im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen im Sinne der Richtlinie 2002/65/EG und Immobilien.
ii) Regelungsstruktur der Richtlinie 2005/29
78. Herzstück der Richtlinie 2005/29 ist die Generalklausel in Art. 5 Abs. 1, die das Verbot unlauterer Geschäftspraktiken statuiert. Was im Einzelnen unter „unlauter“ zu verstehen ist, wird in Art. 5 Abs. 2 präzisiert. Danach ist eine Geschäftspraktik unlauter, wenn sie zum einen den Erfordernissen der „beruflichen Sorgfaltspflicht“ widerspricht und zum anderen geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers „wesentlich zu beeinflussen“. Gemäß Abs. 4 sind unlautere Geschäftspraktiken insbesondere solche, die irreführend (Art. 6 und 7) oder aggressiv (Art. 8 und 9) sind. Abs. 5 verweist auf den Anhang I und die dort genannten Geschäftspraktiken, die „unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind“. Diese Liste gilt einheitlich in allen Mitgliedstaaten und kann nur durch eine Änderung der Richtlinie abgeändert werden.
79. Für die Rechtsanwendung durch die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden folgt daraus, dass zunächst an die in Anhang I enthaltene Liste der 31 Fälle unlauterer Geschäftspraktiken anzuknüpfen ist. Ist eine Geschäftspraktik unter einen der Tatbestände subsumierbar, muss sie verboten werden; auf eine weitere Prüfung, z. B. der Auswirkungen, kommt es nicht an. Fällt der konkrete Sachverhalt nicht unter diese Verbotsliste, ist zu prüfen, ob einer der geregelten Beispielsfälle der Generalklausel – irreführende und aggressive Geschäftspraktiken – vorliegt. Nur wenn dies nicht der Fall ist, kommt unmittelbar die Generalklausel in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 zur Anwendung(30).
b) Die Regelungen des belgischen Gesetzes
80. Nach ständiger Rechtsprechung hat jeder Mitgliedstaat, der Adressat einer Richtlinie ist, die Verpflichtung, in seiner nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die volle Wirksamkeit der Richtlinie gemäß ihrer Zielsetzung zu gewährleisten(31). Damit verbunden ist die Verpflichtung des nationalen Gesetzgebers, die betreffende Richtlinie ordnungsgemäß in nationales Recht umzusetzen(32).
81. Zunächst ist festzustellen, dass das belgische Gesetz eine andere Regelungsstruktur als die Richtlinie 2005/29 aufweist, da es in Art. 54 ein grundsätzliches, in der Richtlinie selbst nicht vorgesehenes Verbot von Kopplungsangeboten verhängt. Anders als das belgische Gesetz geht die Richtlinie von der Lauterkeit von Geschäftspraktiken aus, solange die näher umschriebenen rechtlichen Voraussetzungen für ein Verbot nicht gegeben sind(33). Sie verfolgt somit einen dazu konträren Ansatz zugunsten der unternehmerischen Freiheit des Gewerbetreibenden, der im Wesentlichen dem Rechtsgedanken in dubio pro libertate(34) entspricht.
82. Da Kopplungsangebote nicht zu den in Anhang I genannten Geschäftspraktiken gezählt werden, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind, dürfen sie im Prinzip nur verboten werden, wenn sie unlautere Geschäftspraktiken darstellen, etwa weil sie irreführend oder aggressiv im Sinne der Richtlinie sind. Davon abgesehen kommt nach der Richtlinie 2005/29 ein Verbot nur dann in Frage, wenn eine Geschäftspraxis deshalb als unlauter zu bewerten ist, weil sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht oder sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen.
83. Ob dies in Bezug auf Kopplungsangebote der Fall ist, lässt sich jedoch nicht allgemeingültig feststellen, sondern es bedarf hierzu, wie die belgische Regierung selbst einräumt(35), vielmehr einer Beurteilung der konkreten Geschäftspraxis im Einzelfall. Von der Notwendigkeit einer Einzelfallbeurteilung anhand der Bestimmungen der Art. 5 bis 9 der Richtlinie 2005/29 für den Fall, dass eine Geschäftspraxis nicht unter die in Anhang I aufgeführten Geschäftspraktiken fällt, geht übrigens auch der Gemeinschaftsgesetzgeber ausweislich des 17. Erwägungsgrundes aus(36).
84. Die belgische Regierung bringt indes vor, der nationale Gesetzgeber habe durch die Schaffung der Ausnahmetatbestände in Art. 55 bis 57 des belgischen Gesetzes diese Beurteilung selbst vorgenommen. Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass, auch wenn die genannten Ausnahmetatbestände das grundsätzliche Verbot in Art. 54 des belgischen Gesetzes in der Tat einschränken, dies nichts an dem Umstand ändert, dass es sich hierbei um eine abschließende Aufzählung von erlaubten Geschäftspraktiken handelt, die keine Erweiterungen zugunsten der unternehmerischen Freiheit zulässt. Die belgische Regelung ist von ihrem Konzept her statisch und könnte nur im Wege einer Gesetzesänderung modifiziert werden, um den Anforderungen der Richtlinie zu genügen.
85. Dieses grundsätzliche Verbot läuft im Ergebnis darauf hinaus, die von der Richtlinie 2005/29 beabsichtigte liberale Ausrichtung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in ihr Gegenteil zu verkehren, indem das Verbot zum Grundsatz erhoben und die unternehmerische Freiheit zur Ausnahme gemacht wird. Rechtlich betrachtet hat das Verbot in Art. 54 des belgischen Gesetzes, ungeachtet der darin enthaltenen Ausnahmetatbestände, eine nicht zu überblickende Ausweitung des in Anhang I enthaltenen Katalogs verbotener Geschäftspraktiken zur Folge, was den Mitgliedstaaten angesichts der mit der Richtlinie 2005/29 einhergehenden vollständigen und maximalen Harmonisierung jedoch gerade verwehrt ist(37).
86. Art. 54 des belgischen Gesetzes ist damit trotz der Ausnahmetatbestände in den Art. 55 bis 57 von seiner Regelungsstruktur her deutlich repressiver und weniger flexibel ausgestaltet als die Richtlinie 2005/29, die eine Beurteilung des Vorliegens des Tatbestandsmerkmals der Unlauterkeit im Einzelfall verlangt(38).
87. Die Aufgabe der Beurteilung der Lauterkeit einer Geschäftspraxis anhand konkreter Umstände, insbesondere im Hinblick auf ihre Wirkung auf das wirtschaftliche Verhalten eines Durchschnittsverbrauchers, überträgt der Gemeinschaftsgesetzgeber, wie die Kommission zutreffend darlegt, den nationalen Gerichten bzw. Verwaltungsbehörden. Darauf weist der Wortlaut des 18. Erwägungsgrundes zur Richtlinie ausdrücklich hin(39). Ihnen obliegt gemäß ihren Art. 11 und 12 die Aufgabe, im Rahmen der auf nationaler Ebene zu schaffenden Sanktionssysteme die Einhaltung dieser Richtlinie durchzusetzen(40). Wenn der belgische Gesetzgeber aber die ausschließlich erlaubten Geschäftspraktiken gesetzlich festlegt und den Organen der gesetzesauslegenden und ‑ausführenden Staatsgewalt, die insofern gleichermaßen Adressaten der Richtlinie 2005/29 sind, keine Beurteilungsspielräume belässt, wird das Ziel der effektiven Umsetzung dieser Richtlinie auf mitgliedstaatlicher Ebene vereitelt(41).
88. Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine nationale Regelung wie Art. 54 des belgischen Gesetzes, die ein grundsätzliches Verbot von Kopplungsangeboten verhängt, ohne die Möglichkeit vorzusehen, die Umstände des jeweils konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen , von ihrem Wesen her restriktiver und strenger als die Regelungen der Richtlinie 2005/29 ist(42).
89. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass Art. 54 des belgischen Gesetzes einen Bereich betrifft, der der vollständigen Harmonisierung unterliegt und für den die Übergangsregelungen des Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29 nicht gelten. Jedenfalls ist nicht zu erkennen, inwiefern Art. 54 des belgischen Gesetzes die darin erwähnten Richtlinien(43) umsetzen sollte. Dies ist auch nicht von der belgischen Regierung vorgetragen worden. Ebenso wenig anwendbar ist die Ausnahmebestimmung des Art. 3 Abs. 9 der Richtlinie 2005/29.
4. Zur Rücknahme des Kommissionsvorschlags für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt
90. Es fragt sich, welche Folgen die Rücknahme des Kommissionsvorschlags für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt für diese Auslegung hat. Die belgische Regierung, unterstützt von der französischen Regierung, beruft sich nämlich im Wesentlichen darauf, sie sei davon ausgegangen, dass der Regelungsgegenstand dieser Verordnung u. a. auch Kopplungsangebote umfasse. Ihrer Ansicht nach lässt die Rücknahme des Kommissionsvorschlags nicht den Schluss zu, dass der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29 nunmehr diesen Bereich abdecken könne.
91. Meines Erachtens kann sich die belgische Regierung nicht mit Erfolg auf Vertrauensschutz berufen, zumal ihr geltend gemachtes Vertrauen sich lediglich auf einen Vorschlag für eine Gemeinschaftsrechtsnorm bezieht, die letztlich nie in Kraft getreten ist. Wie sie selbst erklärt, verliefen die Rechtsetzungsverfahren zu der Verordnung und der Richtlinie 2005/29 teilweise zeitgleich. Als verfassungsmäßige Vertreterin eines im Rat repräsentierten Mitgliedstaats war die belgische Regierung maßgeblich an beiden Rechtsetzungsverfahren beteiligt und deshalb stets über ihren Fortgang informiert. Auf Unkenntnis über die Vorgänge in beiden Rechtsetzungsverfahren kann sie sich daher nicht rechtswirksam berufen(44).
92. Der Gerichtshof hat die besondere Verantwortung der im Rat vertretenen Regierungen der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien unterstrichen. So hat er aus dem Umstand, dass diese an den vorbereitenden Arbeiten für die Richtlinien teilnehmen, gefolgert, dass diese in der Lage sein müssen, innerhalb der festgesetzten Frist die zu ihrer Durchführung erforderlichen Gesetzestexte auszuarbeiten(45).
93. Spätestens zum Zeitpunkt der Rücknahme des Kommissionsvorschlags(46) hätte die belgische Regierung daher gegebenenfalls prüfen müssen, inwiefern der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29 sich auch auf bisher von der geplanten Verordnung abgedeckte Bereiche erstrecken würde. Die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens lag nahe, zumal die Richtlinie 2005/29 ihrem ursprünglichen Konzept zufolge dazu bestimmt war, zum einen allgemeine, subsidiäre Regelungen im Bereich des Verbraucherschutzrechts der Gemeinschaft einzuführen und zum anderen eine Vollharmonisierung der mitgliedstaatlichen Regeln über unlautere Geschäftspraktiken zu erreichen(47). Vor dem Hintergrund, dass die Rücknahme zu einem Zeitpunkt erfolgte, als die Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2005/29 noch lief, oblag es dem belgischen Gesetzgeber, diesen Erkenntnissen bei der Anpassung des nationalen Rechts Rechnung zu tragen.
94. Somit ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.
5. Ergebnis
95. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen komme ich zu dem Schluss, dass die Richtlinie 2005/29 einer nationalen Bestimmung wie Art. 54 des belgischen Gesetzes entgegensteht.
D – Vereinbarkeit von Art. 54 des belgischen Gesetzes mit den Grundfreiheiten
96. Die Vorlage in der Rechtssache C‑299/07 zielt ferner darauf ab, feststellen zu lassen, ob Art. 49 EG einer nationalen Bestimmung wie Art. 54 des belgischen Gesetzes entgegensteht.
97. Zwar ist in der die Rechtssache C‑261/07 betreffenden Vorlagefrage ein entsprechendes Ersuchen um Auslegung von Art. 49 EG nicht explizit zu erkennen, doch spricht das vorlegende Gericht diese Problematik in der Begründung zu seiner Vorlageentscheidung ausdrücklich an. Insoweit ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu geben hat, die diesem bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, worauf dieses Gericht bei der Darlegung seiner Fragen Bezug genommen hat(48). Angesichts der Auswirkungen, die eine Vorabentscheidung auf die Rechtsordnung des Königreichs Belgien haben wird, erscheint es mir unentbehrlich, auch im Rahmen einer Untersuchung der Rechtssache C‑261/07 auf Art. 49 EG einzugehen.
98. Vorab ist allerdings zu klären, ob die Bestimmungen des EG-Vertrags als Prüfungsmaßstab überhaupt in Frage kommen und welche Grundfreiheiten im konkreten Fall gegebenenfalls anwendbar wären.
1. Grundfreiheiten als Prüfungsmaßstab
99. Es entspricht zwar der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass nationale Maßnahmen in einem Bereich, für den auf Gemeinschaftsebene eine harmonisierte Regelung geschaffen worden ist, anhand dieser Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand der Bestimmungen des EG-Vertrags zu beurteilen sind(49), doch ist, worauf die Kommission zu Recht hinweist, in Erinnerung zu rufen, dass die Mitgliedstaaten spätestens bis zum 12. Dezember 2007 zur Umsetzung der Richtlinie 2005/29 verpflichtet waren(50). Wie bereits dargelegt, oblag es dem nationalen Gericht, zu prüfen, ob eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts noch vor Ablauf der Umsetzungsfrist erforderlich war, um die Erreichung des Richtlinienziels sicherzustellen. Dieses Problem betraf jedoch nicht die nicht umsetzungsbedürftigen, unmittelbar anwendbaren Bestimmungen des EG-Vertrags zu den Grundfreiheiten, so dass deren grundsätzliche Anwendbarkeit außer Frage stand. Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass die Bestimmungen des EG-Vertrags, zumindest was die vorliegenden Ausgangsverfahren betrifft, als Prüfungsmaßstab neben der Richtlinie 2005/29 in Betracht kommen.
2. Anwendungsbereich der Grundfreiheiten
100. Die Rechtbank van koophandel te Antwerpen untersucht in ihrem Vorlagebeschluss in der Rechtssache C‑299/07 die Gemeinschaftsrechtskonformität der streitgegenständlichen nationalen Regelungen im Licht der primärrechtlichen Bestimmungen zur Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit. Dabei legt es den Schwerpunkt der Prüfung auf Art. 28 EG. Die belgische und die französische Regierung sowie die Kommission verweisen darauf zur Stützung ihrer These, dass die Grundfreiheit des Warenverkehrs und nicht der Dienstleistung im Mittelpunkt beider Rechtssachen stehe.
a) Dienstleistungsfreiheit
101. Dienstleistungen sind gemäß Art. 50 EG Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden. Sanoma erbringt nach eigenen Angaben entgeltliche Marketing- und Werbeleistungen beim Vertrieb zahlreicher Zeitschriften, darunter die Zeitschrift „Flair“, in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union, etwa in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg. Zu diesen Leistungen gehört die im Hintergrund des Ausgangsrechtsstreits stehende Veröffentlichung des Rabattangebots in ebenjener Zeitschrift. Also kann darin eine Dienstleistung im Sinne von Art. 50 EG erblickt werden.
102. Dem Vorlagebeschluss in der Rechtssache C‑261/07 ist wiederum zu entnehmen, dass Total seinen Kunden einen unentgeltlichen Pannendienst anbietet, wobei die entsprechenden Dienstleistungen von einem Dritten, nämlich dem Unternehmen Touring, erbracht werden. Zwar sind keine Einzelheiten zum vertraglichen Verhältnis zwischen beiden Unternehmen bekannt, jedoch kann davon ausgegangen werden, dass Touring dadurch entgeltliche Dienstleistungen für Total erbringt.
b) Warenverkehrsfreiheit
103. Aus der Perspektive eines Verbrauchers, auf die es meines Erachtens ankommt, stellt sich der Kauf einer Zeitschrift verbunden mit einem Rabattangebot, wie es in der Rechtssache C‑299/07 der Fall ist, jedoch letztlich als die Inanspruchnahme einer Ware und nicht einer Dienstleistung dar, mit der Folge, dass der sachliche Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit als eröffnet angesehen werden kann.
104. Gleiches gilt für den der Rechtssache C‑261/07 zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem es in erster Linie um den Erwerb von Kraftstoff und damit einer Ware geht. Zwar kommen dem Verbraucher die unentgeltlichen Pannendienstleistungen des mit Total assoziierten Unternehmens Touring zugute, doch kauft der Verbraucher die Ware nicht allein um der damit verbundenen Dienstleistungen willen. Vielmehr sollen diese, entsprechend der Funktion von Kopplungsangeboten, einen Anreiz für den Kauf schaffen(51).
105. Folglich ist der Anwendungsbereich beider Grundfreiheiten eröffnet.
c) Verhältnis zwischen Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit
106. Fraglich ist, in welchem Verhältnis diese grundlegenden Freiheiten zueinander stehen. Die Ausführungen der belgischen und der französischen Regierung sind dahin zu verstehen, dass ihrer Ansicht nach die Warenverkehrsfreiheit die Dienstleistungsfreiheit verdrängt.
107. Beschränkt eine nationale Maßnahme sowohl den freien Warenverkehr als auch den freien Dienstleistungsverkehr, so prüft sie der Gerichtshof in der Tat grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser beiden Grundfreiheiten, wenn sich herausstellt, dass im konkreten Fall eine der beiden Freiheiten im Vergleich zu der anderen völlig zweitrangig ist und dieser zugeordnet werden kann(52). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 50 EG gegenüber der Warenverkehrsfreiheit subsidiär ist.
108. In den vorliegenden Fällen kann jedoch die Dienstleistungsfreiheit nicht ohne Weiteres der Warenverkehrsfreiheit zugeordnet werden. Eine Abgrenzung zwischen Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit wie sie die belgische und die französische Regierung vorschlagen, kommt nur im Fall von sogenannten „gemischten Leistungen“ innerhalb derselben Leistungsbeziehung in Betracht(53).
109. Wie die Kommission zu Recht erkannt hat(54), betreffen beide Grundfreiheiten jeweils unterschiedliche Rechtsverhältnisse – auf der einen Seite das Verhältnis zwischen den Unternehmen, auf der anderen Seite das Verhältnis zwischen dem Unternehmen und dem Verbraucher –, so dass keine als im Vergleich zu der anderen zweitrangig angesehen werden kann. Folgerichtig ist die Vereinbarkeit von Art. 54 des belgischen Gesetzes mit dem Gemeinschaftsrecht im Lichte beider Grundfreiheiten zu prüfen.
3. Beschränkung der Grundfreiheiten
a) Warenverkehrsfreiheit
i) Maßnahme gleicher Wirkung
– Dassonville-Formel
110. Die Warenverkehrsfreiheit wird insbesondere durch das Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen sowie aller Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft nach Art. 28 EG gewährleistet.
111. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs erfasst das in Art. 28 EG aufgestellte Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern(55). Auch wenn mit einer Maßnahme nicht bezweckt ist, den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zu regeln, kommt es entscheidend auf ihre Wirkung auf den innergemeinschaftlichen Handel an, gleichgültig, ob diese tatsächlich oder potentiell ist(56). Im Übrigen genügen nach der Rechtsprechung bereits potenzielle Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel, um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt in einem konkreten Fall anzunehmen(57).
112. In dem Urteil Oosthoek’s Uitgeversmaatschappij(58) hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit einem niederländischen Verbot von Zugaben das Vorliegen einer Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit bejaht. Er hat damals die Auffassung vertreten, dass eine Regelung, die bestimmte Formen der Werbung und bestimmte Methoden der Absatzförderung beschränkt oder verbietet – obwohl sie die Einfuhren nicht unmittelbar regelt –, geeignet sein kann, das Einfuhrvolumen zu beschränken, weil sie die Absatzmöglichkeiten für die eingeführten Erzeugnisse beeinträchtigt. Es sei nicht auszuschließen, dass der für den betroffenen Unternehmer bestehende Zwang, sich entweder für die einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlicher Systeme der Werbung und Absatzförderung zu bedienen oder ein System, das er für besonders wirkungsvoll hält, aufzugeben, selbst dann ein Einfuhrhindernis darstellen könne, wenn eine solche Regelung unterschiedslos für inländische und eingeführte Erzeugnisse gelte.
113. Ich sehe darin eine gewisse Parallele zu dem der Rechtssache C‑299/07 zugrunde liegenden Sachverhalt. Ein Verbot von Kopplungsangeboten, wie es das belgische Gesetz vorsieht, kann nämlich, obwohl es selbst die Einfuhren nicht unmittelbar regelt, für Unternehmen den Absatz bestimmter Güter in Belgien potenziell schwieriger machen als in anderen Mitgliedstaaten, in denen Kopplungsangebote zugelassen sind. Dies gilt etwa für Sanoma, ein Unternehmen mit Hauptsitz in Finnland, das nach eigenen Angaben über seine Zeitschriften Kopplungsangebote diverser Anbieter vermittelt, darunter auch in Finnland, den Niederlanden und Luxemburg, in denen kein entsprechendes Verbot besteht. Ein solches Verbot hat jedenfalls zur Folge, dass Sanoma solche Zeitschriften in Belgien erst dann verkaufen darf, wenn sie sich vergewissert hat, dass die Vorgaben des belgischen Gesetzes eingehalten werden.
114. Somit läge zumindest nach der weiten Definition der Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 28 EG eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit vor.
– Verkaufsmodalitäten
115. Der Gerichtshof hat jedoch im Urteil Keck und Mithouard(59) klargestellt, dass nationale Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, nicht geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern, sofern diese Bestimmungen zum einen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und zum anderen den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren.
116. Ein mitgliedstaatliches Verbot von Kopplungsangeboten stellt keine produktbezogene Regelung dar, da es nicht die Bezeichnung, die Form, die Abmessungen, das Gewicht, die Zusammensetzung, die Aufmachung, die Etikettierung oder die Verpackung eines Produkts zum Gegenstand hat(60). Vielmehr handelt es sich dabei um eine vertriebsbezogene Regelung, die bestimmte, der Absatzförderung dienende Marketingmethoden(61) verbietet und damit letztendlich um eine Verkaufsmodalität im Sinne der Rechtsprechung.
117. Dem Vorlagebeschluss(62) ist schließlich zu entnehmen, dass das Verbot, Kopplungsgeschäfte in Belgien anzubieten, für inländische und ausländische Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen gilt.
ii) Zwischenergebnis
118. Nach alledem komme ich zu dem Ergebnis, dass das in Art. 54 des belgischen Gesetzes enthaltene Verbot von Kopplungsangeboten nicht als eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art. 28 EG eingeordnet werden kann.
119. Demgemäß steht Art. 28 EG einer solchen mitgliedstaatlichen Regelung nicht entgegen.
b) Dienstleistungsfreiheit
120. Art. 49 EG verlangt nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten –, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen(63).
121. Das streitgegenständliche Verbot in Art. 54 des belgischen Gesetzes erschwert einem Unternehmen wie Sanoma, Werbeleistungen für andere Unternehmen zu erbringen, die gemäß der in dieser gesetzlichen Bestimmung enthaltenen Legaldefinition als Kopplungsangebote einzustufen sind. Wie bereits dargelegt(64), wäre Sanoma praktisch gezwungen, jede Werbemaßnahme daraufhin zu untersuchen, ob sie im Einklang mit der belgischen Regelung steht, während ein solches Erfordernis in Bezug auf andere Vertriebsländer, in denen kein entsprechendes Verbot gilt, nicht bestünde. Dieses Erfordernis ist durchaus geeignet, das Inserieren bestimmter gemeinsamer Angebote von Sanoma und ihren Geschäftspartnern, die u. a. auch an die Leserschaft in Belgien gerichtet sind, weniger attraktiv zu machen. Demnach liegt eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit vor.
122. Nach ständiger Rechtsprechung ist Art. 49 EG nicht auf Betätigungen anwendbar, deren Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen(65). Es ist festzustellen, dass, anders als in der Rechtssache C‑299/07, ein grenzüberschreitender Sachverhalt in der Rechtssache C‑261/07 nicht ohne Weiteres auf der Hand liegt, zumal sowohl Total als auch Touring ihren Unternehmenssitz in Belgien haben. Dennoch schließt dieser Umstand aus meiner Sicht eine Anwendbarkeit von Art. 49 EG nicht aus, da in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt ist, dass Art. 49 EG immer dann eingreift, wenn ein Leistungserbringer Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen anbietet, in dem er niedergelassen ist, und zwar unabhängig vom Niederlassungsort der Empfänger dieser Dienstleistungen(66). Wie Total in ihrem Schriftsatz erklärt, gilt das Angebot von Total Assistance in mehr als 35 europäischen Ländern. Indem Touring den Kunden von Total auch außerhalb Belgiens Pannenhilfe leistet, erbringt es ihr als Vertragspartner gegenüber eine als grenzüberschreitend zu bezeichnende Dienstleistung im Sinne von Art. 49 EG.
123. Ein generelles Verbot von Kopplungsangeboten, das die Erbringung von Pannenhilfe geknüpft an den Erwerb von Kraftstoff ohne Möglichkeit der Prüfung der Umstände des Einzelfalls untersagt, ist ohne Zweifel geeignet, Dienstleistungen der beschriebenen Art dauerhaft zu unterbinden. Folglich ist darin eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit zu sehen(67).
4. Rechtfertigung
124. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht hervor, dass, da der freie Dienstleistungsverkehr einer der fundamentalen Grundsätze der Gemeinschaft ist(68), eine Beschränkung dieser Freiheit nur zulässig ist, wenn mit ihr ein berechtigtes und mit dem Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt wird und wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, soweit sie in einem solchen Fall geeignet ist, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist(69).
a) Verbraucherschutz als zwingender Grund des Allgemeinwohls
125. Regelungszweck der streitgegenständlichen nationalen Regelungen ist, wie bereits aus der Überschrift des Gesetzes hervorgeht, der Verbraucherschutz. Der Schutz der Verbraucher ist als zwingender Grund des Allgemeinwohls, der eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen kann, in der Rechtsprechung anerkannt(70).
b) Geeignetheit eines grundsätzlichen Verbots von Kopplungsangeboten
126. In dem bereits erwähnten Urteil Oosthoek’s Uitgeversmaatschappij(71) hat der Gerichtshof festgestellt, dass das Angebot von Zugaben als Mittel der Absatzförderung bei den Verbrauchern einen Irrtum über die tatsächlichen Preise der Erzeugnisse bewirken und die Bedingung eines auf Leistung beruhenden Wettbewerbs verfälschen kann. Dementsprechend hat er eine Regelung, die derartige Handelspraktiken aus diesem Grund beschränkt oder sogar verbietet, für geeignet gehalten, zum Verbraucherschutz und zur Lauterkeit des Handelsverkehrs beizutragen.
127. Zwar lässt sich ein Kopplungsangebot begrifflich nicht mit einer Zugabe gleichsetzen(72), doch kann auch ein intransparentes Kopplungsangebot zu einer Täuschung der Verbraucher über den wahren Inhalt und die tatsächlichen Eigenschaften der beworbenen Waren- bzw. Leistungskombination führen. Ein erhöhtes Irreführungspotential besteht insbesondere, wenn der Werbetreibende wesentliche Informationen verbirgt, auf unklare, unverständliche oder zweideutige Weise bereitstellt. Unterliegt der Verbraucher dadurch einer konkreten Fehlvorstellung über die Preisgünstigkeit des Kopplungsgeschäfts, die Eigenschaften oder auch den Wert der gekoppelten Leistungen, so wird ihm zugleich die Möglichkeit genommen, einen Preis- und Qualitätsvergleich dieses Angebots mit entsprechenden Leistungen anderer Anbieter vorzunehmen(73). Insofern ist ein grundsätzliches Verbot von Kopplungsangeboten durchaus geeignet, dieser Gefahr für die Verbraucher vorzubeugen.
c) Erforderlichkeit/Verhältnismäßigkeit
128. Allerdings geht aus meiner Sicht ein grundsätzliches Verbot von Kopplungsangeboten über das hinaus, was erforderlich ist, um das Ziel des Verbraucherschutzes zu erreichen.
129. Ich stimme mit der Kommission darin überein, dass dieser Schutz auch mittels eines flexibleren und differenzierteren Ansatzes gewährleistet werden kann, indem nur jene Kopplungsangebote verboten werden, die je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls entweder als irreführend oder aggressiv zu beurteilen sind, das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers wesentlich beeinflussen oder geeignet sind, es wesentlich zu beeinflussen. Die Richtlinie 2005/29 bietet ein Vorbild für einen entsprechenden Ansatz.
130. Ein differenzierter Ansatz ist umso mehr erforderlich, als, wie bereits dargelegt, nicht jedes Kopplungsangebot sich als eine unlautere Geschäftspraxis bezeichnen lässt(74). Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann deshalb nur eine Regelung entsprechen, die die Dienstleistungsfreiheit weitestgehend zur Geltung bringt und nur unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes schädliche Geschäftspraktiken untersagt. Diesem liberalen Ansatz widerspricht jedoch eine Regelung, wie sie Art. 54 des belgischen Gesetzes vorsieht, wenn sie ein grundsätzliches Verbot von Kopplungsangeboten aufstellt und nur abschließend aufgelistete Typen solcher Angebote zulässt(75).
131. Folglich liegt eine unverhältnismäßige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit vor.
5. Zwischenergebnis
132. Mithin steht Art. 49 EG einer mitgliedstaatlichen Regelung wie Art. 54 des belgischen Gesetzes entgegen.
VII – Ergebnis
133. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen der Rechtbank van koophandel te Antwerpen wie folgt zu antworten:
Die Richtlinie 2005/29 des Europäischen Parlaments und des Rates über unlautere Geschäftspraktiken sowie Art. 49 EG über den freien Dienstleistungsverkehr stehen einer nationalen Bestimmung wie Art. 54 des belgischen Gesetzes vom 14. Juli 1991 über die Handelspraktiken sowie die Aufklärung und den Schutz der Verbraucher entgegen, der – mit Ausnahme der im Gesetz abschließend aufgezählten Fälle – jedes Kopplungsangebot eines Verkäufers an einen Verbraucher verbietet, bei dem der entgeltliche oder kostenlose Erwerb von Waren, Dienstleistungen, sonstigen Vorteilen oder von Scheinen, die zu deren Erwerb berechtigen, an den Erwerb sonstiger, selbst identischer Waren oder Dienstleistungen geknüpft ist – und zwar ungeachtet der Umstände des Falles, insbesondere ungeachtet des Einflusses, den das konkrete Angebot auf den Durchschnittsverbraucher haben kann, und ungeachtet dessen, ob dieses Angebot unter den konkreten Umständen als der beruflichen Sorgfaltspflicht oder den lauteren Handelsbräuchen zuwiderlaufend anzusehen ist.