Language of document : ECLI:EU:C:2011:133

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NIILO JÄÄSKINEN

vom 10. März 2011(1)

Rechtssache C‑462/09

Stichting de Thuiskopie

gegen

Mijndert van der Lee,

Hananja van der Lee,

Opus Supplies Deutschland GmbH

(Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden [Niederlande])

„Urheberrecht – Richtlinie 2001/29/EG – Art. 5 Abs. 2 Buchst. b – Art. 5 Abs. 5 – Vervielfältigungsrechte – Gerechter Ausgleich – Versandkaufgeschäfte“





1.        Im vorliegenden Fall geht es um die Auslegung des Begriffs „gerechter Ausgleich“ im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG(2). Die Frage, wer diesen Ausgleich schuldet, ist zwar vor Kurzem bereits im Urteil Padawan(3) behandelt worden, die hier im Vorabentscheidungsersuchen angesprochene Problematik unterscheidet sich jedoch von der Fragestellung in jener Rechtssache durch ein grenzüberschreitendes Element. Die neue Frage lautet dementsprechend, ob nationale Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie dahin auszulegen sind, dass ein Unternehmen, das im Wege des Versandhandels Waren über das Internet an Kunden verkauft, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind, nach dessen nationalem Recht ein gerechter Ausgleich zu zahlen ist, zur Zahlung dieses Ausgleichs in einem der beiden Mitgliedstaaten verpflichtet ist.

I –    Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht(4)

2.        Nach Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(5) wird das geistige Eigentum geschützt.

3.        Art. 28 EG verbietet mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung. In Art. 30 EG sind Rechtfertigungsgründe für solche Beschränkungen genannt, darunter ausdrücklich auch der Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums.

4.        Die Erwägungsgründe 35, 38 und 39 der Richtlinie 2001/29 lauten:

„(35)  In bestimmten Fällen von Ausnahmen oder Beschränkungen sollten Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten, damit ihnen die Nutzung ihrer geschützten Werke oder sonstigen Schutzgegenstände angemessen vergütet wird. Bei der Festlegung der Form, der Einzelheiten und der etwaigen Höhe dieses gerechten Ausgleichs sollten die besonderen Umstände eines jeden Falls berücksichtigt werden. Für die Bewertung dieser Umstände könnte der sich aus der betreffenden Handlung für die Rechtsinhaber ergebende etwaige Schaden als brauchbares Kriterium herangezogen werden. In Fällen, in denen Rechtsinhaber bereits Zahlungen in anderer Form erhalten haben, z. B. als Teil einer Lizenzgebühr, kann gegebenenfalls keine spezifische oder getrennte Zahlung fällig sein. Hinsichtlich der Höhe des gerechten Ausgleichs sollte der Grad des Einsatzes technischer Schutzmaßnahmen gemäß dieser Richtlinie in vollem Umfang berücksichtigt werden. In bestimmten Situationen, in denen dem Rechtsinhaber nur ein geringfügiger Nachteil entstünde, kann sich gegebenenfalls keine Zahlungsverpflichtung ergeben.

(38)  Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit erhalten, unter Sicherstellung eines gerechten Ausgleichs eine Ausnahme oder Beschränkung in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht für bestimmte Arten der Vervielfältigung von Ton-, Bild- und audiovisuellem Material zu privaten Zwecken vorzusehen. Dazu kann die Einführung oder Beibehaltung von Vergütungsregelungen gehören, die Nachteile für Rechtsinhaber ausgleichen sollen. Wenngleich die zwischen diesen Vergütungsregelungen bestehenden Unterschiede das Funktionieren des Binnenmarkts beeinträchtigen, dürften sie sich, soweit sie sich auf die analoge private Vervielfältigung beziehen, auf die Entwicklung der Informationsgesellschaft nicht nennenswert auswirken. Die digitale private Vervielfältigung dürfte hingegen eine weitere Verbreitung finden und größere wirtschaftliche Bedeutung erlangen. Daher sollte den Unterschieden zwischen digitaler und analoger privater Vervielfältigung gebührend Rechnung getragen und hinsichtlich bestimmter Punkte zwischen ihnen unterschieden werden.

(39)  Bei der Anwendung der Ausnahme oder Beschränkung für Privatkopien sollten die Mitgliedstaaten die technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, insbesondere in Bezug auf die digitale Privatkopie und auf Vergütungssysteme, gebührend berücksichtigen, wenn wirksame technische Schutzmaßnahmen verfügbar sind. Entsprechende Ausnahmen oder Beschränkungen sollten weder den Einsatz technischer Maßnahmen noch deren Durchsetzung im Falle einer Umgehung dieser Maßnahmen behindern.“

5.        In Art. 2 der Richtlinie 2001/29 ist die für Vervielfältigungsrechte geltende Grundregel normiert. Es heißt dort:

„Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten:

a)       für die Urheber in Bezug auf ihre Werke,

b)       für die ausübenden Künstler in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Darbietungen,

c)       für die Tonträgerhersteller in Bezug auf ihre Tonträger,

d)       für die Hersteller der erstmaligen Aufzeichnungen von Filmen in Bezug auf das Original und die Vervielfältigungsstücke ihrer Filme,

e)       für die Sendeunternehmen in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Sendungen, unabhängig davon, ob diese Sendungen drahtgebunden oder drahtlos, über Kabel oder Satellit übertragen werden.“

6.        In Art. 5 sind Ausnahmen und Beschränkungen geregelt. Dort ist in den hier einschlägigen Teilen bestimmt:

„(2)  Die Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf das in Artikel 2 vorgesehene Vervielfältigungsrecht vorsehen:

b)       in Bezug auf Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch und weder für direkte noch indirekte kommerzielle Zwecke unter der Bedingung, dass die Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten, wobei berücksichtigt wird, ob technische Maßnahmen gemäß Artikel 6 auf das betreffende Werk oder den betreffenden Schutzgegenstand angewendet wurden;

(5)       Die in den Absätzen 1, 2, 3 und 4 genannten Ausnahmen und Beschränkungen dürfen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.“

Nationales Recht

7.        Art. 16c der Auteurswet (Urheberrechtsgesetz) lautet:

„1.       Als Verstoß gegen das Urheberrecht an einem Werk der Literatur, Wissenschaft oder Kunst gilt nicht die Vervielfältigung des Werkes … auf einem Gegenstand, der dazu bestimmt ist, ein Werk … wiederzugeben, wenn das Vervielfältigen ohne unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen Zweck erfolgt und ausschließlich zur eigenen Übung zum eigenen Studium oder zum eigenen Gebrauch der natürlichen Person dient, die die Vervielfältigung anfertigt.

2.       Für die Vervielfältigung im Sinne von Abs. 1 wird dem Urheber oder dessen Rechtsnachfolger eine gerechte Vergütung geschuldet. Zur Zahlung der Vergütung ist der Hersteller oder der Importeur der Gegenstände im Sinne von Nr. 1 verpflichtet.

3.       Für den Hersteller entsteht die Zahlungsverpflichtung zu dem Zeitpunkt, zu dem die von ihm gefertigten Gegenstände in den Verkehr gebracht werden können. Für den Importeur entsteht diese Verpflichtung zum Zeitpunkt der Einfuhr.

…“

8.        Die Stichting de Thuiskopie (im Folgenden: Thuiskopie) ist gemäß Art. 16d der Auteurswet mit der Erhebung der gerechten Vergütung im Sinne von Art. 16c Abs. 2 der Auteurswet betraut.

II – Sachverhalt und Vorlagefragen

9.        Die Opus GmbH hat ihren Sitz in Deutschland und bietet u. a. über niederländischsprachige und auf die Niederlande ausgerichtete Websites unbespielte Datenträger an. In ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die auf diesen Websites zur Kenntnis genommen werden können, heißt es:

„Bestellungen werden vom Kunden unmittelbar bei Opus Supplies Deutschland GmbH in Heinsberg, Deutschland, aufgegeben.

Die angegebenen Preise verstehen sich ohne Levy, Auvibel, Thuiskopie, GEMA und andere Abgaben. Der Versand der Waren erfolgt im Auftrag des Kunden durch TPG Post oder DHL Express und geschieht stets im Namen des Kunden. Daher ist es möglich, dass Sie in Ihrem Land als Einführer betrachtet werden …“

10.      Seit Ende 2003 bietet die Opus GmbH unbespielte Datenträger zu Preisen an, in denen dem vorlegenden Gericht zufolge keine Privatkopievergütung enthalten ist, da die Preise gewöhnlich unter dem Betrag liegen, auf den in den Niederlanden die Privatkopievergütung für die betreffende Kategorie Datenträger festgesetzt ist.

11.      Über die Websites eingegangene Bestellungen werden dem Kunden von der Opus GmbH per E-Mail bestätigt. Die Bestellung wird in Deutschland bearbeitet, und die Waren werden über von der Opus GmbH eingeschaltete Transportunternehmen per Post u. a. in den Niederlanden ausgeliefert.

12.      Die Datenträger können über die Websites gekauft werden, ohne dass der Verbraucher die auf der Website der Opus GmbH eingestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Kenntnis nehmen muss. Die Bezahlung kann auf ein niederländisches Bankkonto vorgenommen werden, und Rücksendungen können an eine Anschrift in den Niederlanden gerichtet werden.

13.      Für die Datenträger wird weder von der Opus GmbH noch von den Abnehmern in den Niederlanden eine Vergütung an die Thuiskopie gezahlt. Die Opus GmbH zahlt für die an die Abnehmer in den Niederlanden verkauften Datenträger auch in Deutschland keine mit der Privatkopievergütung vergleichbare Vergütung.

14.      Neben der Opus GmbH sind weitere Verfahrensbeteiligte die Opus Supplies BV, die sich mit dem Verkauf unbespielter Datenträger an Abnehmer in den Niederlanden befasste, sowie Mijndert und Hananja van der Lee, die mittelbar Geschäftsführer der beiden Gesellschaften sind.

15.      Am 26. Juli 2005 beantragte Thuiskopie bei der Rechtbank ’s-Gravenhage den Erlass einer einstweiligen Entscheidung gegen Opus. Der zuständige Richter wies den Antrag mit Urteil vom 16. September 2005 zurück. Thuiskopie legte beim Gerechtshof ’s-Gravenhage Rechtsmittel ein. Mit Urteil vom 12. Juli 2007 bestätigte der Gerechtshof das Urteil des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters. Thuiskopie legte gegen das Urteil des Gerechtshof Kassationsbeschwerde beim Hoge Raad der Nederlanden ein, der ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof gerichtet hat.

16.      In der Begründung seines Vorabentscheidungsersuchens legt der Hoge Raad dar, dass nach dem Vertrag die Lieferung durch Besitzübertragung erfolge, und zwar in Deutschland, da der Versand der Ware vertragsgemäß im Auftrag des Kunden geschehe. Da nach niederländischem Recht der Einführer zur Zahlung des gerechten Ausgleichs verpflichtet sei, bedeute dies, dass die Verpflichtung im vorliegenden Fall den Kunden in den Niederlanden und nicht die Opus GmbH treffe. Das vorlegende Gericht möchte deshalb wissen, ob nach der Richtlinie 2001/29 der im nationalen Recht verwendete Begriff „Einführer“ in einem seiner gewöhnlichen Bedeutung entgegengesetzten Sinne auszulegen ist.

17.      Unter diesen Umständen hat der Hoge Raad der Nederlanden den Gerichtshof um Vorabentscheidung folgender Fragen ersucht:

1.       Bietet die Richtlinie 2001/29 insbesondere in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b und Abs. 5 Anknüpfungspunkte für die Beantwortung der Frage, wer im nationalen Recht als Schuldner des „gerechten Ausgleichs“ im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b anzusehen ist? Falls ja, welche?

2.       Verpflichtet Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie im Fall eines Versandkaufs, bei dem der Käufer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist als der Verkäufer, zu einer so weiten Auslegung des nationalen Rechts, dass ein gewerbsmäßig handelnder Schuldner den „gerechten Ausgleich“ im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b zumindest in einem der am Versandkauf beteiligten Mitgliedstaaten schuldet?

III – Würdigung

A –    Frage 1

18.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2001/29 vorschreibt, wer Schuldner des gerechten Ausgleichs sein soll, wenn eine Ausnahme von der Grundregel des Art. 2 der Richtlinie Anwendung findet.

19.      In der Tat ist in der Richtlinie 2001/29 nicht ausdrücklich geregelt, wer Schuldner des gerechten Ausgleichs sein soll. Dort ist lediglich das angestrebte Ergebnis aufgeführt, nämlich dass ein Mitgliedstaat, falls er eine Ausnahme von der in Art. 2 normierten Grundregel vorsieht, für einen gerechten Ausgleich sorgen muss, es sei denn, dem Rechtsinhaber entsteht ein nur geringfügiger Schaden.

20.      Demzufolge verfügen die Mitgliedstaaten bei der Regelung, wer diesen Ausgleich zahlen soll, über einen weiten Ermessensspielraum.

21.      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist bei der Ermittlung, wer Schuldner des gerechten Ausgleichs ist, eine in der gesamten Union einheitliche Auslegung erforderlich, um die Ziele der Richtlinie 2001/29 zu erreichen, nämlich die Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts, damit der Wettbewerb auf dem Binnenmarkt nicht verzerrt wird.(6)

22.      Hierbei muss die Zielsetzung der Richtlinie und der betreffenden Bestimmung berücksichtigt werden. Durch den gerechten Ausgleich nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 soll den Urhebern die ohne ihre Genehmigung erfolgte Nutzung ihrer geschützten Werke angemessen vergütet und der sich für die Urheber ergebende Schaden ausgeglichen werden.(7)

23.      In jüngster Zeit hat sich der Gerichtshof im Urteil Padawan mit der Frage befasst, wer Schuldner der Ausgleichszahlung sein soll. Er hat ausgeführt, dass Verursacher des Schadens des ausschließlichen Inhabers des Vervielfältigungsrechts die Person sei, die ohne vorherige Genehmigung des Rechtsinhabers eine solche Vervielfältigung eines geschützten Werks für ihren privaten Gebrauch vornehme, und dass daher grundsätzlich diese Person verpflichtet sei, den Schaden wiedergutzumachen.(8) Angesichts der praktischen Schwierigkeiten, die privaten Nutzer zu identifizieren, seien jedoch Regelungen der Mitgliedstaaten zulässig, wonach diejenigen Personen, die über Anlagen, Geräte und Medien zur digitalen Vervielfältigung verfügen und sie zu diesem Zweck Privatpersonen zur Verfügung stellen, Schuldner des gerechten Ausgleichs sein können.(9)

24.      Dem genannten Urteil kann daher wohl entnommen werden, dass Schuldner des gerechten Ausgleichs grundsätzlich sowohl die Privatperson als auch das Unternehmen sein kann, das die fragliche Ware verkauft, die den Schaden des Rechtsinhabers verursacht oder verursachen kann.

25.      Ein Mitgliedstaat darf nur dann Privatkopien zulassen und Privatpersonen die Ausgleichspflicht auferlegen, wenn er eine Regelung schafft, die wirksam gewährleistet, dass der Ausgleich gezahlt wird. Andernfalls hätten Art. 2 und Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29 keine praktische Wirksamkeit. Außerdem würde den Rechtsinhabern der durch Art. 17 Abs. 2 der Grundrechtecharta garantierte Schutz vorenthalten.

26.      Meines Erachtens ist die praktische Wirksamkeit der genannten Bestimmungen tatsächlich nur gegeben, wenn der Mitgliedstaat eine Regelung schafft, in deren Rahmen die Rechtsinhaber im Wege einer Kollektivvereinbarung entschädigt werden. Angesichts der Feststellung des Gerichtshofs im Urteil Padawan, dass grundsätzlich die Einzelpersonen den Schaden wiedergutmachen sollten, erscheint es folgerichtig, dass der Ausgleich wirtschaftlich von ihnen zu tragen sein sollte. Eine Ausgleichsregelung eines Mitgliedstaats, die die durch Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 zugelassene Ausnahme vorsieht, muss daher sicherstellen, dass der Ausgleichsbetrag bei dem Endnutzer erhoben wird, was in der Praxis bedeutet, dass dieser Betrag in dem Preis enthalten sein muss, den der Einzelne beim Erwerb der Datenträger entrichtet.

27.      Dieses Ergebnis wird nicht durch das Vorbringen der Kommission zu Beschränkungen des freien Warenverkehrs berührt.

28.      Die Kommission trägt vor, dass die Richtlinie 2001/29 so ausgelegt werden müsse, dass sie nicht mit dem Primärrecht kollidiere(10), d. h. mit den Art. 28 EG und 30 EG über den freien Warenverkehr. Es gebe verschiedene Möglichkeiten, die Leistung eines wirksamen Ausgleichs sicherzustellen, und die Richtlinie 2001/29 scheine Formen des gerechten Ausgleichs zu bevorzugen, die nicht an die Waren selbst anknüpften und sich deshalb nicht auf den grenzüberschreitenden Handel auswirkten.(11) Die Regelung der Frage, wer Schuldner des gerechten Ausgleichs sein solle, dürfe daher nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der mit dem gerechten Ausgleich nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 verfolgten Ziele erforderlich sei.

29.      Zunächst ist insoweit zu fragen, ob die betreffende Bestimmung der Richtlinie 2001/29 mit den Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr vereinbar ist.

30.      Da Art. 30 EG nationale Beschränkungen zum Schutz des geistigen Eigentums zulässt, kann meines Erachtens nicht bezweifelt werden, dass der Unionsgesetzgeber berechtigt ist, die Bedingungen für die Wahrnehmung solcher Rechte zu harmonisieren, um deren wirksame Durchsetzung zu gewährleisten.

31.      Zweitens ist zu fragen, ob eine Ausgleichsregelung, die für der Vervielfältigung dienende Datenträger gilt, die aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt werden, mit dem freien Warenverkehr vereinbar ist, da auch vermeintlich weniger restriktive Lösungen denkbar sind, um das Ziel des gerechten Ausgleichs zu erreichen.(12)

32.      Gewiss muss jeder Sekundärrechtsakt vertragskonform ausgelegt werden. Das bedeutet aber nicht, dass die Mitgliedstaaten nicht den Spielraum nutzen dürften, der ihnen vom Unionsgesetzgeber für die Umsetzung zugebilligt worden ist, es sei denn, die Richtlinie selbst kollidierte mit der Einräumung eines solchen Spielraums mit dem Vertrag.

33.      Ein anderes Ergebnis würde meines Erachtens dem Wesen einer Richtlinie selbst zuwiderlaufen. Oft gibt es mehrere Wege für die Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht. In solchen Fällen zu argumentieren, dass diese verschiedenen Lösungen angesichts der im Vertrag verankerten Grundsätze nicht gleichwertig seien, stünde in Widerspruch zu der ausdrücklichen Entscheidung des Unionsgesetzgebers, im Rahmen der abgeleiteten Rechtsvorschriften mehr als eine einzige Umsetzungsmethode zuzulassen. Es würde zugleich auch die Verfassungsgrundsätze in Frage stellen, die für die Wahrnehmung der Gesetzgebungsbefugnisse des Unionsgesetzgebers und die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Unionsgesetzgeber und den Mitgliedstaaten gelten.

34.      Meiner Ansicht nach verbieten weder der EG-Vertrag noch die Richtlinie 2001/29 Ausgleichsregelungen, wonach grundsätzlich die Verkäufer von der Vervielfältigung dienenden Datenträgern den Ausgleich an die die Rechtsinhaber vertretenden Erhebungsgesellschaften zu zahlen haben. Die Richtlinie bestimmt nicht, dass Einfuhren von der Vervielfältigung dienenden Datenträgern aus anderen Mitgliedstaaten vom gerechten Ausgleich ausgenommen werden sollen, und ich bezweifle, dass der Unionsgesetzgeber dies hätte bestimmen können, ohne damit gegen die die Union bindenden völkerrechtlichen Urheberrechtsübereinkünfte zu verstoßen. Dies kann daher auch nicht unverhältnismäßig sein. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen lediglich die Auslegung des Begriffs „Einführer“ im Fall eines Versandkaufs betrifft und nicht den Grundsatz, dass Ausgleichsvergütungen auch für eingeführte Datenträger zu zahlen sind, die Vervielfältigungszwecken dienen.

35.      Drittens ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 2 der Richtlinie 2001/29 dem Rechtsinhaber das Recht zusteht, die Vervielfältigung zu erlauben oder zu verbieten. Ausnahmen von diesem Recht dürfen nur unter der Bedingung vorgesehen werden, dass der Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhält.

36.      Folglich kann dem Rechtsinhaber das unionsrechtliche Recht auf diesen Ausgleich nicht allein deshalb versagt werden, weil es vielleicht bessere Lösungen zur Umsetzung dieses Rechts gegeben hat als diejenige, die der betreffende Mitgliedstaat gewählt hat. Zudem enthält die Richtlinie 2001/29 keine Anhaltspunkte dafür, dass ein bestimmter Teil der in dem Mitgliedstaat vertriebenen Vervielfältigungsmedien vom Geltungsbereich des Rechts auf einen gerechten Ausgleich allein deshalb ausgenommen werden kann, weil diese auf einem gewerblichen Vertriebsweg in den Verkehr gebracht werden, bei dem die Zahlung des Ausgleichs nicht gewährleistet ist.

B –    Frage 2

37.      Die zweite Frage betrifft die in Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 geregelte dreiteilige Voraussetzung sowie die Anforderungen, die sich daraus für das vorlegende Gericht bei der Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften ergeben. Im Wesentlichen soll geklärt werden, ob diese Voraussetzung zur Folge hat, dass im Fall eines Versandkaufs der in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Verkäufer den gerechten Ausgleich zumindest in einem der am Versandkauf beteiligten Mitgliedstaaten schuldet.

38.      Das vorlegende Gericht geht in seiner Frage davon aus, dass der Verkäufer in einem solchen Fall zur Zahlung des gerechten Ausgleichs verpflichtet werden kann. Im Urteil Padawan, das zeitlich nach dem Vorlagebeschluss im vorliegenden Fall erging, hat der Gerichtshof in der Tat entschieden, dass auch ein Unternehmen Schuldner des gerechten Ausgleichs gemäß der Richtlinie 2001/29 sein kann.(13) Der vorliegende Fall liegt jedoch anders wegen eines grenzüberschreitenden Elements, das Territorialitätsfragen im Hinblick auf den nach der Richtlinie 2001/29 geschuldeten gerechten Ausgleich aufwirft.

39.      Dem vorlegenden Gericht zufolge trifft nach dem Wortlaut der niederländischen Rechtsvorschriften den privaten Käufer als Einführer der Datenträger in die Niederlande die Verpflichtung zur Zahlung des gerechten Ausgleichs. Hierdurch könne diese Vergütung faktisch nicht vereinnahmt werden. Es stelle sich somit die Frage, ob dieses Ergebnis mit der Richtlinie 2001/29 vereinbar sei oder ob die Richtlinie dazu zwinge, den Begriff „Einführer“ weiter zu verstehen, als es seiner sprachlichen Bedeutung nach nationalem Recht entspreche, indem auch die letztendliche, auch für den gewerbsmäßig handelnden Verkäufer erkennbare Bestimmung der Datenträger berücksichtigt werde.

40.      Nach ständiger Rechtsprechung muss ein nationales Gericht nationales Recht möglichst so auslegen, dass die mit der betreffenden Richtlinie verfolgten Ziele erreicht werden.(14) Es ist jedoch nicht zu einer Auslegung contra legem des nationalen Rechts verpflichtet. (15)

1.      Zur Anwendbarkeit der dreiteiligen Voraussetzung im vorliegenden Fall

41.      Die dreiteilige Voraussetzung ist allgemein an die nationalen Gesetzgeber gerichtet, die diese bei der Formulierung der nach Art. 5 der Richtlinie 2001/29 zulässigen Ausnahmen und Beschränkungen im nationalen Recht beachten müssen.(16)

42.      Soweit innerstaatliche Bestimmungen jedoch mehrdeutig sind oder Spielraum für unterschiedliche Ergebnisse lassen, müssen sie von den nationalen Gerichten im Licht dieser Voraussetzung ausgelegt werden. Obwohl somit in erster Linie der Gesetzgeber Normadressat der dreiteiligen Voraussetzung ist, ist diese doch auch von den nationalen Gerichten zu prüfen, um sicherzustellen, dass sich die praktische Anwendung der Ausnahme von Art. 2 der Richtlinie 2001/29, die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist, in den Grenzen des nach Art. 5 der Richtlinie Erlaubten hält.

2.      Zur Frage, ob die Richtlinie 2001/29 gebietet, dass im Fall eines Versandkaufs der Verkäufer einen gerechten Ausgleich zumindest in einem der Mitgliedstaaten zahlt

43.      Zunächst ist zu beachten, dass die Richtlinie 2001/29 in Fällen des Versandkaufs keine Ausnahmen von dem den Rechtsinhabern zustehenden Rechtsschutz erlaubt.

44.      Art. 5 der Richtlinie 2001/29 weist insoweit eine Besonderheit auf, als darin ein nur teilweise harmonisiertes System vorgesehen ist. Im Rahmen dieses Systems steht es den Mitgliedstaaten frei, ob sie eine Ausnahme von der allgemeinen Regel vorsehen wollen, indem sie private Vervielfältigungen geschützter Werke und sonstiger Schutzgegenstände ohne Genehmigung der Rechtsinhaber zulassen.

45.      Sehen sie eine solche Ausnahme vor, haben sie selbstverständlich die Zahlung eines gerechten Ausgleichs sicherzustellen, es sei denn, der Schaden ist nur geringfügig – in diesem Fall ergibt sich möglicherweise keine Zahlungsverpflichtung.(17) Angesichts der durch Art. 5 der Richtlinie 2001/29 nur teilweise erfolgten Harmonisierung ist jedoch zweifelhaft, ob und unter welchen Voraussetzungen ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen zur Zahlung des Ausgleichs verpflichtet sein kann.

46.      Meines Erachtens gebietet die Richtlinie 2001/29 die Zahlung eines gerechten Ausgleichs nicht bei allen Versandkaufgeschäften zwischen Parteien in unterschiedlichen Mitgliedstaaten, zumal Käufer in Mitgliedstaaten betroffen sein können, in denen private Vervielfältigungen nicht erlaubt sind.

47.      Erstens würden andernfalls Wettbewerbsverzerrungen auf dem Binnenmarkt drohen. So stehen z. B. der Identifizierung aller Unternehmen, die unbespielte Datenträger an Abnehmer in den Niederlanden verkaufen, praktische Schwierigkeiten entgegen. Wenn keine Möglichkeit besteht, alle in anderen Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen zu identifizieren, die zur Vervielfältigung dienende Datenträger in dem Mitgliedstaat verkaufen, in dem der gerechte Ausgleich geschuldet wird, wäre eine solche Differenzierung willkürlich und liefe dem Kernanliegen der Richtlinie 2001/29 entgegen, nämlich sicherzustellen, dass der Wettbewerb auf dem Binnenmarkt nicht verzerrt wird.(18)

48.      Im Übrigen ist es meines Erachtens auch nicht notwendig, alle Versandhandel betreibenden Unternehmen zur Zahlung des in den Niederlanden geschuldeten gerechten Ausgleichs zu verpflichten, da der Schaden in solchen Fällen möglicherweise nur geringfügig ist. Faktoren wie eine andere Sprache, andere Domänennamen, die dem Kunden nicht vertraut sind, sowie hohe Versandkosten dürften dazu führen, dass Abnehmer in den Niederlanden nur in begrenzter Zahl bei in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen einkaufen. In Fällen, in denen ein Unternehmen seine Tätigkeit nicht auf Abnehmer in einem bestimmten Mitgliedstaat ausrichtet und der Schaden geringfügig ist, ergeben sich auch insofern praktische Schwierigkeiten, als Bagatellbeträge bei Unternehmen erhoben werden müssten, die nur ein oder zwei Artikel an einen Abnehmer in den Niederlanden verkauft haben.

49.      Darüber hinaus wirft der Verkauf von Waren über das Internet auch viele Probleme betreffend die Verpflichtungen der Unternehmen auf, deren Produkte online erhältlich sind. Da das Internet Waren unmittelbar in der gesamten Union verfügbar macht, ergibt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmen Schuldner sein soll. Meines Erachtens müssen zwangsläufig einige Beschränkungen gelten, da andernfalls ein Unternehmen in allen Ländern der Welt zahlungspflichtig wäre. Solche Fälle sollen ausdrücklich durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001(19) geregelt werden, wonach eine Zuständigkeit nur dann begründet wird, wenn ein Unternehmen seine Tätigkeit auf ein bestimmtes Hoheitsgebiet ausrichtet.

50.      Mit der genannten Verordnung soll zwar ein anderes Rechtsgebiet geregelt werden als mit der Richtlinie 2001/29, dennoch ist es zweckmäßig, die Auslegung der Verordnung in Betracht zu ziehen, da die Fragestellung ähnlich ist, nämlich unter welchen Voraussetzungen ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen für Waren haftet bzw. im vorliegenden Fall entgeltpflichtig ist, die es über das Internet an einen Kunden in einem anderen Mitgliedstaat verkauft.

51.      Die zum Versandhandel entschiedenen Rechtsfragen in Verbindung mit der in der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Teilharmonisierung führen zu dem Ergebnis, dass ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen nur dann zur Zahlung eines gerechten Ausgleichs verpflichtet sein sollte, wenn es seine Tätigkeit auf Abnehmer im Mitgliedstaat des vorlegenden Gerichts ausrichtet.

52.      Zudem dürfte in solchen Fällen auch der entstehende Schaden am größten sein, so dass die Auferlegung der Pflicht zum gerechten Ausgleich gerechtfertigt ist. Nach insoweit unbestrittenen Angaben der Thuiskopie macht der von der Opus GmbH erzielte Absatz ungefähr ein Drittel aller in den Niederlanden verkauften unbespielten Datenträger aus.

53.      Zur Beantwortung der Frage, nach welchen Kriterien zu ermitteln ist, ob ein Unternehmen seine Tätigkeit auf den Markt eines bestimmten Mitgliedstaats ausrichtet, lässt sich die jüngere Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung des Begriffs des „Ausrichtens“ einer Tätigkeit auf den Mitgliedstaat, in dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, im Sinne der Verordnung Nr. 44/2001 heranziehen.

54.      Hierzu hat der Gerichtshof im Urteil Pammer und Hotel Alpenhof in einer nicht erschöpfenden Aufzählung Kriterien genannt, die als Anhaltspunkte dafür geeignet sind, dass die Tätigkeit des Gewerbetreibenden auf einen bestimmten Mitgliedstaat ausgerichtet ist. Danach ist zu prüfen, ob vor einem möglichen Vertragsschluss mit dem Verbraucher aus den Websites und der gesamten Tätigkeit des Gewerbetreibenden hervorgeht, dass dieser mit Verbrauchern, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten, darunter dem Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers, wohnhaft sind, Geschäfte zu tätigen beabsichtigte. Zu den heranzuziehenden Kriterien, die für den vorliegenden Fall besonders relevant sind, gehören i) die Verwendung einer anderen Sprache oder Währung als der in dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Gewerbetreibenden üblicherweise verwendeten Sprache oder Währung, ii) die Möglichkeit der Buchung und Buchungsbestätigung in dieser anderen Sprache, iii) die Angabe von Telefonnummern mit internationaler Vorwahl, iv) die Tätigung von Ausgaben für einen Internetreferenzierungsdienst, um in anderen Mitgliedstaaten wohnhaften Verbrauchern den Zugang zur Website des Gewerbetreibenden oder seines Vermittlers zu erleichtern, v) die Verwendung eines anderen Domänennamens oberster Stufe als desjenigen des Mitgliedstaats der Niederlassung des Gewerbetreibenden und vi) die Erwähnung einer internationalen Kundschaft, die sich aus in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnhaften Kunden zusammensetzt.(20)

55.      Meines Erachtens sollte ein Unternehmen auch dann nicht zur Zahlung eines gerechten Ausgleichs verpflichtet werden, wenn es diesen bereits in einem anderen Mitgliedstaat geleistet hat. Schreibt also der Mitgliedstaat, in dem das Unternehmen ansässig ist, die Zahlung eines gerechten Ausgleichs vor und kommt das Unternehmen dieser Verpflichtung nach, werden die dem Rechtsinhaber nach der Richtlinie 2001/29 zustehenden Rechte geschützt. Dies gilt im Übrigen auch in Fällen, in denen der Verkäufer in seinem Heimatstaat den Ausgleich freiwillig gezahlt hat und es den Erhebungsstellen, die die Rechtsinhaber in diesem Staat vertreten, überlassen bleibt, den vereinnahmten Betrag an die Stellen in den Ländern zu verteilen, auf die die Tätigkeit des Verkäufers ausgerichtet ist. Eine anderslautende Regelung hätte eine doppelte Ausgleichsleistung zur Folge, die zur Erreichung der mit der Richtlinie verfolgten Ziele nicht erforderlich ist.

56.      Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass ein Unternehmen die Erfüllung seiner unionsrechtlichen Pflichten nicht vertraglich abbedingen kann. 

57.      Im vorliegenden Fall vereinbaren die Opus GmbH und ihre Kunden im Rahmen der Vertragsfreiheit, dass der Vertrag außerhalb der Niederlande erfüllt wird mit der Folge, dass der gemäß der Auteurswet ausgleichsabgabenpflichtige „Einführer“ nicht der Verkäufer, sondern der Käufer ist. Offenbar beruht dieses Ergebnis auf der recht ungewöhnlichen Vertragsgestaltung, wonach der Verkäufer den Versand der Waren an den Verbraucher als dessen Stellvertreter und nicht in eigenem Namen veranlasst.

58.      Meines Erachtens kann das in Art. 5 Abs. 2 vorgesehene Recht auf einen gerechten Ausgleich nicht in einem Vertrag zwischen dem Verkäufer der Datenträger und dessen Kunden abbedungen werden. Solche Vereinbarungen bezwecken die Umgehung des Unionsrechts. Folglich dürfen die nationalen Vorschriften, mit denen die Richtlinie 2001/29 umgesetzt wird, bei der Anwendung im Zusammenspiel mit den nationalen Vorschriften des Vertragsrechts nicht so ausgelegt werden, dass sie zu diesem Ergebnis führen.

3.      Zur Frage, ob die dreiteilige Voraussetzung verlangt, dass im Fall eines Versandkaufs der Verkäufer zumindest in einem der Mitgliedstaaten einen gerechten Ausgleich zahlt

59.      Das nationale Recht muss so ausgelegt werden, dass die dreiteilige Voraussetzung beachtet wird, dass also die Ausnahmen nur in Sonderfällen gelten, die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigen und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzen.

60.      Im vorliegenden Fall sprechen die ersten beiden Elemente der Voraussetzung dafür, dass in allen Fällen eines Versandkaufs zumindest in einem Mitgliedstaat ein gerechter Ausgleich geschuldet werden muss. Was das erste Element betrifft, lässt der gerechte Ausgleich das Erfordernis, dass die Ausnahme nur in Sonderfällen gelten darf, unberührt, denn er stellt lediglich die sich aus der Ausnahme ergebende Folge dar. Was das zweite Element betrifft, steht eine Regelung, bei der kein gerechter Ausgleich geschuldet wird, sicherlich einer normalen Verwertung des Werks entgegen, da der Rechtsinhaber dann weder sein Recht behält, über die Vervielfältigung und Nutzung seines Werks zu bestimmen, noch das Recht auf einen gerechten Ausgleich erhält.

61.      Ich bin jedoch der Meinung, dass – sofern die Tätigkeit nicht auf die Verbraucher in dem betreffenden Mitgliedstaat ausgerichtet ist – keine unzumutbare Verletzung der berechtigten Interessen der Rechtsinhaber vorliegt, da, wie oben dargelegt, der ihnen entstehende Schaden geringfügig ist.

62.      Deshalb gebietet die dreiteilige Voraussetzung meines Erachtens nicht, dass alle Unternehmen, die im Wege des Versandhandels Vervielfältigungsmedien grenzüberschreitend in andere Mitgliedstaaten verkaufen, einen gerechten Ausgleich zahlen, sondern nur diejenigen Unternehmen, deren Tätigkeit auf die Verbraucher in dem betreffenden Mitgliedstaat ausgerichtet ist.

IV – Ergebnis

63.      Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die beiden Vorlagefragen einheitlich wie folgt zu antworten:

Die Art. 5 Abs. 2 Buchst. b und 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft schreiben einem Mitgliedstaat keine bestimmte Lösung vor, wie die Zahlung eines gerechten Ausgleichs an Rechtsinhaber sicherzustellen ist, falls der Mitgliedstaat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, private Vervielfältigungen urheberrechtlich geschützter Werke oder sonstiger Schutzgegenstände zuzulassen. Diese Vorschriften schließen eine Auslegung einschlägiger nationaler Rechtsvorschriften aus, die nicht wirksam die Zahlung des gerechten Ausgleichs durch einen Verkäufer sicherstellt, der Datenträger, die der Vervielfältigung solcher Werke oder sonstiger Schutzgegenstände dienen, im Wege des Versandhandels vertreibt und dessen Tätigkeit dabei auf Abnehmer in dem betreffenden Mitgliedstaat ausgerichtet ist, es sei denn, der Verkäufer hat einen vergleichbaren Ausgleich bereits in dem Mitgliedstaat gezahlt, in dem der Umsatz stattfindet.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft.


3 – Urteil vom 21. Oktober 2010 (C-467/08, Slg. 2010, I‑0000).


4 –      Da die Vorlageentscheidung im vorliegenden Fall vor Inkrafttreten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. 2008, C 115, S. 47) ergangen ist, wurden durchweg die Bezeichnungen der Artikel des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (ABl. 2002, C 325, S. 33) beibehalten.


5 – ABl. 2000, C 364, S. 1.


6 – Urteil Padawan (oben in Fn. 3 angeführt, Randnrn. 32, 33 und 35).


7 – Ebd., Randnrn. 39 f.


8 – Ebd., Randnrn. 44 f.


9 – Ebd., Randnr. 46.


10 – Urteil vom 29. Juni 1995, Kommission/Spanien (C‑135/93, Slg. 1995, I‑1651, Randnr. 37).


11 – Dies wird bestätigt durch die Erwägungsgründe 1, 3 und 6 der Richtlinie 2001/29, denen zufolge i) die Harmonisierung der Urheberrechtsvorschriften zur Verwirklichung des Binnenmarkts beiträgt, ii) die Richtlinie 2001/29 zur Verwirklichung der vier Freiheiten des Binnenmarkts beiträgt und die Beachtung der tragenden Grundsätze des Rechts sicherstellt und iii) die Harmonisierung sicherstellt, dass es nicht zu einer Zersplitterung des Binnenmarkts infolge erheblicher Unterschiede im Rechtsschutz zwischen den Mitgliedstaaten kommt.


12 – Als eine den freien Warenverkehr weniger stark einschränkende Alternative hat die Opus GmbH die Möglichkeit der Einrichtung eines Ausgleichsfonds zugunsten der Rechtsinhaber angeführt. Soweit ein solcher Fonds ausschließlich von inländischen Herstellern oder Händlern finanziert würde, wäre dies wohl aufgrund des Diskriminierungsverbots problematisch. Wenn der Fonds aus Steuergeldern finanziert würde, ergäben sich wohl Schwierigkeiten aufgrund der Rechtsvorschriften über staatliche Beihilfen, da mit einem solchen Fonds eine selektive Beihilferegelung zugunsten von Wirtschaftsteilnehmern geschaffen würde, die der Vervielfältigung dienende Datenträger vertreiben und die in die dafür verlangten Preise nicht einen Ausgleich für den Schaden einkalkulieren müssten, der dadurch entsteht, dass die Käufer die Datenträger zur Vervielfältigung geschützter Werke und sonstiger Schutzgegenstände verwenden dürfen.


13– Urteil Padawan (oben in Fn. 3 angeführt, Randnrn. 46 bis 49).


14 – Urteile vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a. (C‑212/04, Slg. 2006, I‑6057, Randnr. 108), und vom 19. Januar 2010, Kücükdeveci (C‑555/07, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 48).


15 – Urteil vom 24. Juni 2010, Sorge (C‑98/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).


16 – Walter, M., European Copyright Law: A commentary, Ziff. 11.5.79.


17 – 35. Erwägungsgrund, letzter Satz, der Richtlinie 2001/29. Vgl. auch Urteil Padawan, oben in Fn. 3 angeführt, Randnrn. 39 und 46.


18– Urteil Padawan, oben in Fn. 3 angeführt, Randnr. 35. Vgl. auch Urteil vom 12. September 2006, Laserdisken (C‑479/04, Slg. 2006, I‑8089, Randnrn. 26, 31 bis 34).


19 – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).


20 – Urteil vom 7. Dezember 2010, Pammer und Hotel Alpenhof (C‑585/08 und C‑144/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnrn. 75, 76, 80, 81 und 84).