Language of document : ECLI:EU:C:2013:337

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NILS WAHL

vom 29. Mai 2013(1)

Rechtssache C‑140/12

Peter Brey

gegen

Pensionsversicherungsanstalt

(Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs [Österreich])

„Unionsbürgerschaft – Freizügigkeit – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG – Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten – Personen, die aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind – Bedingungen für den Aufenthalt – Antrag auf Gewährung einer besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung (Ausgleichszulage) – Begriff der Sozialhilfeleistung“






1.        Dem Gedanken, dass ein Unionsbürger sagen kann „civis europeus sum“ und sich auf diesen Status bei Eintritt von Bedürftigkeit in anderen Mitgliedstaaten berufen kann, wurde in beeindruckender Weise vor 20 Jahren der Weg gebahnt(2). Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob sich gegenüber den wirtschaftlichen Widrigkeiten des modernen Lebens auf diesen Status berufen werden kann.

2.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen wurde vom Obersten Gerichtshof (Österreich) vorgelegt, der letztinstanzlich über den von der Pensionsversicherungsanstalt zurückgewiesenen Anspruch des Herrn Brey auf Gewährung einer Ausgleichszulage nach österreichischem Recht zu entscheiden hat. Insbesondere möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Ausgleichszulage eine Sozialhilfeleistung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG (im Folgenden auch: Richtlinie) darstellt(3).

3.        Obwohl der Rechtsstreit das Sozialrecht betrifft, geht es eigentlich um die Streitfrage, ob der Aufenthalt von Herrn Brey in Österreich rechtmäßig ist, was eine Voraussetzung nach österreichischem Recht für den Anspruch auf Gewährung der Ausgleichszulage ist. Die österreichische Regierung ist offensichtlich über die wachsende Zahl nicht erwerbstätiger übersiedelnder Unionsbürger besorgt, die sich in Österreich niederlassen und die Ausgleichszulage beantragen(4). Die Ausgleichszulage ist kürzlich vom Gerichtshof(5) in Bezug auf die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71(6) geprüft worden. Das vorlegende Gericht möchte jetzt wissen, ob die Ausgleichszulage unter den Begriff der Sozialhilfeleistung im Sinne der Richtlinie fällt.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

1.      Richtlinie 2004/38

4.        Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie gewährt einer Person, die kein Arbeitnehmer, Selbstständiger oder Student ist, das Recht auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er „für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen“.

5.        Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie hindert die Mitgliedstaaten daran, einen festen Betrag für die Existenzmittel festzulegen, die als ausreichend im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b zu betrachten sind, und verlangt stattdessen, dass die persönliche Situation des Betroffenen zu berücksichtigen ist.

6.        In Bezug auf die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts sieht Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie u. a. vor, dass sich die Unionsbürger in dem Aufnahmemitgliedstaat aufhalten können, solange sie die in Art. 7 genannten Voraussetzungen erfüllen. Bestehen begründete Zweifel, ob der Unionsbürger diese Voraussetzungen erfüllt, kann der Aufnahmemitgliedstaat in nicht systematischer Weise prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Schließlich darf nach Art. 14 Abs. 3 die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen im Aufnahmemitgliedstaat nicht automatisch zu einer Ausweisung führen.

2.      Verordnung Nr. 883/2004

7.        Nach dem ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 883/2004(7) (im Folgenden: Verordnung) sind die Vorschriften zur Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit Teil des freien Personenverkehrs. Jedoch wird im 4. Erwägungsgrund die Notwendigkeit betont, die Eigenheiten der nationalen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit zu berücksichtigen und nur eine Koordinierungsregelung vorzusehen. Nach Art. 3 Abs. 5 Buchst. a ist die soziale Fürsorge vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen.

8.        Gleichwohl gilt die Verordnung nach Art. 3 Abs. 3 auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen, die die in Art. 70 aufgeführten Voraussetzungen erfüllen. Der Grund hierfür ist, dass, wie in Art. 70 Abs. 1 angeführt, diese Leistungen sowohl Merkmale der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen.

9.        Art. 70 Abs. 2 der Verordnung nennt die wesentlichen Merkmale, die eine Leistung aufweisen muss, um als besondere beitragsunabhängige Geldleistung angesehen zu werden(8). Die Rechtsfolge ist, dass nach Art. 70 Abs. 3 bestimmte Vorschriften der Verordnung – einschließlich der Aufhebung der Wohnortklauseln nach Art. 7 – für diese Leistungen nicht gelten. Art. 70 Abs. 4 sieht nämlich vor, dass die Leistungen ausschließlich in dem Mitgliedstaat, in dem die betreffenden Personen wohnen, nach dessen Rechtsvorschriften und zu Lasten des Trägers des Wohnorts gewährt werden.

10.      Gemäß Art. 90 Abs. 1 wurde die Verordnung Nr. 1408/71 mit dem Beginn der Anwendung der Verordnung (1. Mai 2010) aufgehoben, jedoch mit einer Reihe von Ausnahmen. Wie bei der Verordnung Nr. 883/2004 war die Sozialhilfe von der Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 nach Art. 4 Abs. 4 ausgenommen. Darüber hinaus enthielten Art. 4 Abs. 2a und Art. 10a der Verordnung Nr. 1408/71 ebenso wie deren Anhang IIa Bestimmungen, die den vorstehend angeführten Bestimmungen ähnelten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 1247/92(9) eingefügt wurden.

B –    Nationales Recht

1.      Das österreichische Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz

11.      Die rechtmäßige Einreise nach Österreich wird durch das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (im Folgenden: NAG) geregelt. § 51 Abs. 1 und 2 NAG sieht vor, dass nicht erwerbstätige EWR-Bürger aufgrund der Richtlinie zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt sind, wenn sie u. a. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen.

12.      EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zusteht, haben, wenn sie sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten wollen, dies nach § 53 NAG binnen vier Monaten ab Einreise der zuständigen Behörde anzuzeigen, die auf Antrag bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Anmeldebescheinigung auszustellen hat. Nicht erwerbstätige Personen haben Nachweise über ausreichende Existenzmittel vorzulegen.

13.      Das vorlegende Gericht und die österreichische Regierung führen aus, die geltende Fassung des § 51 Abs. 1 NAG sei die Folge einer Änderung des NAG durch das Budgetbegleitgesetz 2011, das eine zusätzliche Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt mit Wirkung ab 1. Januar 2011 eingefügt habe(10). Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts sollte mit dieser Änderung vermieden werden, dass nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das österreichische Budget übermäßig belasten.

2.      Das österreichische Allgemeine Sozialversicherungsgesetz

14.      § 292 Abs. 1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (im Folgenden: ASVG)(11) bestimmt, dass der Pensionsberechtigte Anspruch auf eine Ausgleichszulage hat, wenn die Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens nicht die Höhe des geltenden Richtsatzes für das Existenzminimum erreicht. Seit Erlass des vorstehend in Nr. 13 genannten Budgetbegleitgesetzes ist der ständige und rechtmäßige Aufenthalt in Österreich Voraussetzung für diesen Anspruch.

II – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

15.      Herr Brey ist deutscher Staatsangehöriger. Er und seine Ehefrau, die ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, übersiedelten im März 2011 nach Österreich und wollten dort dauerhaft bleiben.

16.      Am 22. März 2011 stellte die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg für Herrn Brey und seine Ehefrau eine Anmeldebescheinigung für EWR-Bürger gemäß dem NAG aus.

17.      Nach den Angaben im Vorlagebeschluss bezog Herr Brey im Zeitpunkt seiner Einreise nach Österreich in Deutschland zwei Arten von Einkünften: eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 864,74 Euro brutto monatlich sowie ein Pflegegeld in Höhe von 225 Euro monatlich. Er verfügt über keine sonstigen Einkünfte oder Vermögen. Während des Aufenthalts des Ehepaares in Deutschland bezog die Ehefrau von Herrn Brey eine Grundleistung, die allerdings aufgrund ihrer Übersiedelung nach Österreich seit dem 1. April 2011 nicht mehr ausbezahlt wird. Herr Brey und seine Ehefrau zahlen einen monatlichen Mietzins von 532,29 Euro für ihre Wohnung in Österreich.

18.      Mit Bescheid vom 2. März 2011 lehnte die Pensionsversicherungsanstalt den Antrag von Herrn Brey auf Gewährung einer Ausgleichszulage in Höhe von 326,82 Euro monatlich mit der Begründung ab, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfüge und sein Aufenthalt daher nicht rechtmäßig sein könne.

19.      Herr Brey focht diesen Bescheid vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen (Graz) an, das der Klage gegen die Pensionsversicherungsanstalt mit Urteil vom 17. Mai 2011 stattgab. Hiergegen wurde Berufung vor dem Oberlandesgericht (Graz) eingelegt, das das erstinstanzliche Urteil im Wesentlichen bestätigte. Gegen das Berufungsurteil legte die Pensionsversicherungsanstalt bei dem vorlegenden Gericht Revision ein, das beschloss, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist die Ausgleichszulage als „Sozialhilfeleistung“ im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie anzusehen?

20.      Herr Brey, die deutsche, die griechische, die irische, die niederländische, die österreichische und die schwedische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. In der Sitzung vom 7. März 2013 haben die deutsche, die irische, die niederländische, die österreichische und die schwedische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission mündliche Ausführungen gemacht.

III – Ausführungen des vorlegenden Gerichts und Erklärungen der Beteiligten vor dem Gerichtshof

21.      Der Oberste Gerichtshof unterbreitet dem Gerichtshof zwei Auffassungen. Die erste Argumentationslinie besagt, dass die Richtlinie und die Verordnung übereinstimmend und einheitlich auszulegen seien. Der Begriff der sozialen Fürsorge bzw. der Sozialhilfe im Sinne der Verordnung könne daher auf die Richtlinie übertragen werden. Die Verordnung nehme die Sozialhilfe von ihrer Anwendung aus, regele jedoch gemäß Art. 3 Abs. 3 gleichwohl die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen, ungeachtet dessen, dass diese Geldleistungen nicht „exportiert“ werden könnten. Da die Ausgleichszulage im Urteil Skalka als eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung angesehen worden sei, müsse hieraus der Schluss gezogen werden, dass diese Leistung keine Sozialhilfe im Sinne der Verordnung sei und folglich auch keine Sozialhilfe im Sinne der Richtlinie darstellen könne. Diese Auffassung wird von Herrn Brey und von der Kommission vertreten.

22.      Nach der anderen Argumentationslinie ist der Begriff der Sozialhilfeleistung im Sinne der Richtlinie im Zusammenhang mit dem besonderen Ziel dieser Richtlinie zu sehen und daher von dem Sozialhilfebegriff der Verordnung zu unterscheiden. Dieser Ansatz vertrage sich besser mit dem 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/109/EG(12). Der in der Richtlinie verwendete Begriff der Sozialhilfeleistung umfasse demgemäß die Grundversorgung eines Mitgliedstaats aus allgemeinen Steuermitteln, wobei es unerheblich sei, ob ein Rechtsanspruch oder ein bestimmtes Risiko bestehe. Die Pensionsversicherungsanstalt, die diese Auffassung vertritt, meint, die Ausgleichszulage werde bedürfnisorientiert gewährt und sei nicht beitragsfinanziert, sondern werde aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. Es handele sich daher um eine Sozialhilfeleistung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie. Dies sei der Standpunkt des österreichischen Gesetzgebers.

23.      Alle Regierungen, die Erklärungen in der Sache eingereicht haben, folgen im Wesentlichen der zweiten Argumentationslinie.

IV – Würdigung

A –    Tragweite der Vorlagefrage

24.      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung wie die Ausgleichszulage eine Sozialhilfeleistung im Sinne der Richtlinie darstellt. Das vorlegende Gericht führt aus, dass der Gerichtshof die Ausgleichszulage bereits als besondere beitragsunabhängige Geldleistung gemäß der Verordnung Nr. 1408/71 angesehen habe. Es bittet daher um weiteren Aufschluss über den Begriff der Sozialhilfeleistung im Sinne der Richtlinie und über dessen Verhältnis zu dem in anderen Rechtsvorschriften, vor allem in der Verordnung verwendeten Sozialhilfebegriff.

25.      Zahlreiche Beteiligte vor dem Gerichtshof, die Erklärungen eingereicht haben, beschränken ihre Ausführungen nicht auf diese eine Frage. Im Großen und Ganzen befassen sich ihre Erklärungen mit zwei weiteren Fragen, nämlich der Frage, ob i) das Erfordernis eines rechtmäßigen Aufenthalts als Voraussetzung für den Anspruch auf Ausgleichszulage nicht nur mit der Verordnung, sondern auch mit der Richtlinie vereinbar ist, und ob ii) jemand in der Lage von Herrn Brey die Voraussetzung der ausreichenden Existenzmittel nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie erfüllt.

26.      In ihren schriftlichen Erklärungen macht die Kommission geltend, die österreichische Rechtsvorschrift sei weder mit der Richtlinie noch mit der Verordnung vereinbar. Die Kommission fordert den Gerichtshof auf, die Frage umzuformulieren und über die Frage zu entscheiden, ob nach dem Unionsrecht, insbesondere der Richtlinie, die Gewährung der Ausgleichszulage an eine Person in der Lage von Herrn Brey abgelehnt werden kann.

27.      Da es jedoch in diesem Rechtsstreit um das Sozialrecht geht, ist in diesem Stadium die einzige Frage, über die der Gerichtshof zu entscheiden hat, die, ob die Leistung an Herrn Brey zu erbringen ist. Aus dem Wortlaut der Frage geht eindeutig hervor, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, ob die Ausgleichszulage als Sozialhilfeleistung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie angesehen werden kann. Da das vorlegende Gericht dem Gerichtshof keine anderen Fragen gestellt hat – z. B. zur Rechtmäßigkeit des Wohnsitzerfordernisses –, brauchen die Ausführungen zu anderen Fragen, die von der Kommission und den verschiedenen Mitgliedstaaten, die Erklärungen eingereicht haben, gemacht worden sind, nicht in Betracht gezogen zu werden(13).

28.      Aus demselben Grund möchte ich den Vorschlag der niederländischen Regierung ablehnen, wonach der Gerichtshof zusätzlich darüber entscheiden möge, ob eine nicht erwerbstätige Person, die die Voraussetzungen nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie nicht erfüllt, gleichwohl eine Leistung im Aufnahmemitgliedstaat beanspruchen kann. Nach Art. 267 AEUV hat nämlich nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen (14).

29.      Jedenfalls setzt die Frage, ob ein Unionsbürger in der Lage des Herrn Brey das Erfordernis ausreichender Existenzmittel erfüllt, voraus, dass die Ausgleichszulage als Sozialhilfeleistung im Kontext der Richtlinie zu beurteilen ist. Diese Feststellung ist zu trennen von der Frage nach dem Aufenthaltsrecht, um das es im Ausgangsverfahren nicht geht. Selbstverständlich jedoch kann das vorlegende Gericht hierzu eine weitere Frage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV vorlegen.

30.      Mit ist jedoch bewusst, dass der Ausgang dieses Verfahrens Auswirkungen auf das Recht von Herrn Brey auf Aufenthalt in Österreich hat. Für den Fall, dass sich der Gerichtshof mit Fragen befassen will, die nach dem Wortlaut der Vorlagefrage nicht gestellt sind, werde ich daher am Ende dieser Schlussanträge weitere Erwägungen zu diesem Punkt anstellen.

B –    Der Begriff „Sozialhilfeleistung“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie

1.      Vorbemerkungen

31.      Der Begriff „Sozialhilfeleistung“ wird in der Richtlinie nicht definiert. Er ist somit vom Gerichtshof auszulegen.

32.      Die Kommission und Herr Brey beziehen sich nicht nur auf die Richtlinie, sondern auch auf die Verordnung. Sie sind der Auffassung, dass keine der Leistungen, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fielen – unabhängig davon, in welcher Weise, Gestalt oder Form sie geregelt seien –, eine Sozialhilfeleistung sein könne.

33.      Demgegenüber beziehen sich zahlreiche Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, im Wesentlichen auf zwei weitere Sekundärrechtsakte, nämlich auf die Richtlinie 2003/109 und die Richtlinie 2003/86/EG(15), und führen aus, dass der in diesen Richtlinien verwendete Begriff der Sozialhilfeleistung eher dem in der Richtlinie enthaltenen Begriff nahe komme.

34.      Im Allgemeinen sollten Begriffe des Unionsrechts einheitlich ausgelegt werden, da dies zu größerer Rechtssicherheit beiträgt. Doch ist in der Praxis eine einheitliche Auslegung nicht immer möglich(16). Im vorliegenden Fall kommen die Beteiligten vor dem Gerichtshof bezüglich des in der Richtlinie enthaltenen Begriffs der Sozialhilfeleistung dadurch zu entgegengesetzten Ergebnissen, dass sie ihn im Licht verschiedener anderer Sekundärrechtsakte auslegen. Angesichts der Unterschiedlichkeit dieser Rechtsakte liegt es auf der Hand, dass der Begriff der Sozialhilfeleistung, wie er in diesen verschiedenen Zusammenhängen verwendet wird, nicht denselben Inhalt haben kann. Es muss daher eine Wahl getroffen werden.

2.      Auslegung des Begriffs „Sozialhilfeleistung“ im Sinne des Richtlinie

35.      Die Richtlinie regelt das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Sie ist so strukturiert, dass sie unterscheidet zwischen dem Recht auf Aufenthalt von bis zu drei Monaten, dem Recht auf Aufenthalt von mehr als drei Monaten und dem Recht auf Daueraufenthalt, das nach einem ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren erworben wird.

36.      Aus dieser Struktur ergeben sich unterschiedliche Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht. Insbesondere haben nach Art. 6 der Richtlinie alle Unionsbürger ein Recht auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat von bis zu drei Monaten. Einen Aufenthalt von mehr als drei Monaten macht Art. 7 davon abhängig, dass der Unionsbürger erwerbstätig ist. Eine Person, die weder Arbeitnehmer, noch Selbstständiger, noch Student ist, muss, wie vorstehend in Nr. 4 ausgeführt, über ausreichende Existenzmittel verfügen. Nach Art. 16 der Richtlinie ist das Aufenthaltsrecht nicht mehr an die Voraussetzungen des Art. 7 geknüpft, wenn das Recht auf Daueraufenthalt erworben wurde.

37.      Die Analyse der Richtlinie zeigt, dass eine ihrer Bestimmungen – Art. 8 Abs. 4 – den Begriff der Sozialhilfe mit dem der sozialen Sicherheit verknüpft. Nach dieser Bestimmung darf der Betrag für die Existenzmittel, die als „ausreichend“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b angesehen werden, nicht über dem Schwellenbetrag liegen, unter dem der Aufnahmemitgliedstaat seinen Staatsangehörigen Sozialhilfe gewährt, oder, wenn dieses Kriterium nicht anwendbar ist, über der Mindestrente der Sozialversicherung des Aufnahmemitgliedstaats. Hier wird die Mindestrente der Sozialversicherung anstelle der Sozialhilfe als Maßstab benutzt, und anhand dieser Mindestrente wird daher beurteilt, ob der Unionsbürger über ausreichende Finanzmittel verfügt. Im Rahmen der Entscheidung, ob ein bestimmter Unionsbürger ein Recht auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hat, überschneiden sich somit bis zu einem gewissen Punkt die Begriffe der Sozialhilfe und der sozialen Sicherheit.

38.      Während das vorrangige Ziel der Richtlinie die Vereinfachung und die Stärkung des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts aller Unionsbürger ist(17), besteht das besondere Ziel des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b darin, sicherzustellen, dass Personen, die ihr Aufenthaltsrecht ausüben, während ihres ersten Aufenthalts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen(18). Das zeigt, dass die genannte Bestimmung nicht erwerbstätige Unionsbürger daran hindern soll, das Vorsorgesystem des Aufnahmemitgliedstaats zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch zu nehmen.

39.      Dem Begriff „Sozialhilfeleistungen des Mitgliedstaats“ ist eine eigenständige Bedeutung im Unionsrecht zuerkannt(19). Zwar ist der Gerichtshof zu diesem Ergebnis in Bezug auf eine andere Richtlinie gelangt, nämlich in Bezug auf die Richtlinie 2003/86. Den Ausführungen des Gerichtshofs ist jedoch nicht zu entnehmen, dass sich die Feststellungen ausschließlich auf diese Richtlinie bezogen. Überdies fehlt in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie jeder Verweis auf nationales Recht.

40.      Auch wenn der in der Richtlinie verwendete Begriff „Sozialhilfeleistung“ eine eigenständige Bedeutung im Unionsrecht hat, ist er doch nicht zwangsläufig genauso auszulegen wie im Rahmen anderer Rechtsvorschriften der Union.

41.      Seinem Wortlaut nach hat der Begriff „Sozialhilfeleistung“ einen technischen Sinn und keine allgemein gängige Bedeutung. Überdies zeigt ein Vergleich der verschiedenen offiziellen Sprachfassungen, dass der Begriff nicht einheitlich verwendet wird(20). Dies zeigt, dass der Begriff „Sozialhilfeleistungen“ im Sinne der Richtlinie keine genau festgelegte Bedeutung haben sollte. In Anbetracht der Ziele und Zwecke der Richtlinie geht es bei ihm, wenn überhaupt, um Leistungen, für die ein Unionsbürger keine Beiträge erbracht hat und die durch allgemeine Steuermittel finanziert werden.

42.      Die Kommission meint, die Bedeutung des Begriffs „Sozialhilfeleistungen“ im Sinne der Richtlinie müsse vor dem Hintergrund des der Annahme der Richtlinie vorausgegangenen Legislativvorschlags ermittelt werden(21). Indem die Vorarbeiten auf den Grundsatz verwiesen, dass Sozialhilfeleistungen nicht exportierbar seien – ein Grundprinzip der Verordnung –, zeigten sie, dass sich die Auslegung der Richtlinie an der Verordnung zu orientieren habe. Dieser besondere Punkt wurde jedoch von den anderen Organen im Gesetzgebungsverfahren nicht aufgenommen, was für sich genommen – ungeachtet der Unbestimmtheit der Erwägungsgründe („… [sind] meistens nicht …“) – weder für noch gegen die Ausführungen der Kommission in ihrem Dokument spricht. Außerdem wird dieses Argument durch die oben angeführte Verknüpfung des Begriffs der Sozialhilfe mit dem der sozialen Sicherheit in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie entkräftet.

43.      Sollte die Nicht-Exportierbarkeit das Hauptkriterium für den Begriff der Sozialhilfeleistungen im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie sein, was die Vorarbeiten nahezulegen scheinen, wäre jedenfalls die Ausgleichszulage entgegen der Auffassung der Kommission eine Sozialhilfeleistung. Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen nämlich können nach Art. 70 Abs. 4 der Verordnung nicht exportiert werden.

44.      Aus dem Vorstehenden folgere ich, dass i) der Begriff „Sozialhilfeleistung“ im Sinne der Richtlinie nach dem von dieser verfolgten Ziel das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit dadurch beschränken soll, dass die öffentlichen Finanzmittel eines Mitgliedstaats geschützt werden (vgl. oben, Nr. 38), ii) der Begriff nicht zwangsläufig mit anderen Unionsvorschriften in Beziehung steht (vgl. oben, Nrn. 39 und 40) und iii), der Begriff offenbar gewollt unscharf ist (vgl. oben, Nrn. 37 und 47). Im Folgenden werde ich prüfen, ob diese Auslegung durch andere Teile von Sekundärrechtsakten, die von dem vorlegenden Gericht und den Beteiligten, die Erklärungen eingereicht haben, herangezogen worden sind, bestätigt oder widerlegt wird.

3.      Vergleich mit dem Begriff „Sozialhilfe“ im Sinne der Verordnung

45.      Wie bereits dargelegt, halten die Kommission und das vorlegende Gericht es für möglich, die Richtlinie übereinstimmend mit der Verordnung auszulegen. Dies soll dazu führen, dass die Ausgleichszulage nicht als „Sozialhilfe“ angesehen werden könne, da sie in den Geltungsbereich der Verordnung falle.

46.      Die Verordnung koordiniert die in den Mitgliedstaaten geltenden Systeme der sozialen Sicherheit. Im Rahmen dieser Koordinierung regelt Titel I die allgemein geltenden Vorschriften, zu denen in Art. 3 Abs. 1 eine Liste mit den Zweigen der sozialen Sicherheit gehört, für die die Verordnung gilt. Titel II sieht Regeln vor, nach denen sich die anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften bestimmen. Die Vorschriften der Verordnung bilden daher ein System von Kollisionsnormen(22). Titel III enthält den Löwenanteil der Vorschriften, die die einzelnen unter die Verordnung fallenden Leistungsarten näher koordinieren, einschließlich Kapitel 9 über besondere beitragsunabhängige Geldleistungen. Die Titel IV, V und VI enthalten verschiedene andere Bestimmungen (z. B. über die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten). Der Verordnung sind eine Reihe von Anhängen (I bis XI) beigefügt, die u. a. die in den Geltungsbereich der Verordnung fallenden Rechtsvorschriften, die in den einzelnen Mitgliedstaaten auf die Leistungsarten Anwendung finden, namentlich aufführen.

47.      Zum besseren Verständnis der Struktur und des Kontextes der Verordnung ist näher auf die Unterschiede einzugehen, die zwischen der sozialen Sicherheit, der Sozialhilfe und den besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen bestehen.

48.      In Art. 3 Abs. 5 Buchst. a unterscheidet die Verordnung zwischen der sozialen Fürsorge und der sozialen Sicherheit. Nach der Rechtsprechung können jedoch bestimmte Leistungsarten eine doppelte Funktion haben, die der Sozialhilfe und die der sozialen Sicherheit („hybride“ Leistungen)(23). Diese Leistungsarten werden jetzt durch Art. 70 der Verordnung geregelt. Art. 70 Abs. 1 legt ihre wesentlichen Merkmale fest.

49.      Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Leistung nach der Verordnung dann als eine Leistung der sozialen Sicherheit betrachtet werden, wenn sie den Begünstigten aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands ohne jede im Ermessen liegende individuelle Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit gewährt wird und wenn sie sich auf eines der in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht(24). Besondere beitragsunabhängige Leistungen werden durch ihren Zweck definiert. Sie müssen eine Leistung der sozialen Sicherheit ersetzen oder ergänzen, sich zugleich aber von dieser unterscheiden, sie müssen den Charakter einer Sozialhilfeleistung haben, die aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen gerechtfertigt ist, und es muss nach objektiven rechtlichen Kriterien über sie entschieden werden(25). Der Begriff „Leistung der sozialen Sicherheit“ und der Begriff „besondere beitragsunabhängige Leistung“ schließen sich daher gegenseitig aus(26).

50.      Indessen wird Sozialhilfe durch die Verordnung nicht definiert. Sie wird daher negativ definiert als die Leistungen, die nicht der vorstehend in Nr. 49 wiedergegebenen positiven Beschreibung der „Leistung der sozialen Sicherheit“ entsprechen(27). Ein wichtiges Merkmal der Sozialhilfe ist jedoch die Bedürftigkeit. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die Abhängigkeit der Leistungsgewährung von einer Einzelfallbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit des Antragstellers „für die Sozialhilfe [kennzeichnend]“(28) ist. Auch folgt hieraus, dass Art. 3 Abs. 5 der Verordnung, der u. a. die soziale Fürsorge ausschließt, eng auszulegen ist(29).

51.      Sinn und Zweck der Verordnung ist es, im Einklang mit Art. 42 EG (jetzt Art. 48 AEUV) die Freizügigkeit der zu- und abwandernden Arbeitnehmer und Selbstständigen sowie deren Angehörigen durch geeignete Bestimmungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit zu gewährleisten. Die Verordnung soll u. a. sicherstellen, dass Beiträge, die in dem System der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats geleistet werden, in einen anderen Mitgliedstaat exportiert werden können, und dadurch das Recht auf Freizügigkeit stärken und zur Verbesserung des Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen beitragen(30). Diese Maßnahmen wurden nach Art. 308 EG (jetzt Art. 352 AEUV) allgemein auf Nichtarbeitnehmer ausgedehnt.

52.      Aus dem vierten Erwägungsgrund ergibt sich jedoch, dass die Verordnung nicht die Harmonisierung, sondern lediglich die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten bezweckt. Der Gerichtshof hat nämlich festgestellt, dass die Sozialhilfe oder ähnliche Leistungen, die nicht in den Geltungsbereich der Verordnung fallen, in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbleiben(31).

53.      Vor diesem Hintergrund liegt der besondere Zweck des Art. 3 Abs. 5 Buchst. a der Verordnung offenbar darin, dass die Sozialhilfe als solche unkoordiniert und in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bleibt. Aus denselben Gründen liegt der Zweck der Vorschriften der Verordnung, die die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen regeln, darin, dass diese Leistungen – die hybrider Natur sind und die, wäre dies nicht der Fall, exportierbar wären – vom Aufenthalt in dem Mitgliedstaat abhängig bleiben, der die Kosten der Leistungen trägt(32).

54.      An dieser Stelle ist es angebracht, den in der Verordnung verwendeten Begriff der Sozialhilfe mit dem in der Richtlinie verwendeten Begriff zu vergleichen.

55.      Abgesehen davon, dass weder die Verordnung noch die Richtlinie aufeinander Bezug nehmen, ist die in den verschiedenen Sprachfassungen der beiden Rechtsvorschriften benutzte Terminologie nicht einheitlich. Darüber hinaus findet in der Richtlinie, wie dargelegt, eine gewisse Überschneidung der „Sozialhilfe“ mit der „sozialen Sicherheit“ statt. Die Verordnung dagegen trennt diese Begriffe säuberlich voneinander. Ferner kann die enge Auslegung des Begriffs „Sozialhilfe“ im Sinne der Verordnung (vgl. oben, Nr. 50) vernünftigerweise nicht auf die Richtlinie angewandt werden, für die nicht dieselbe Zweiteilung gilt.

56.      Vor allem kann der Begriff „Sozialhilfe“, wie er in den beiden Rechtsakten verwendet wird, deswegen nicht identisch sein, weil mit ihm in den beiden Rechtsakten unterschiedliche Ziele verfolgt werden(33). Das Ziel der Art. 3 Abs. 5 Buchst. a und 70 Abs. 4 der Verordnung besteht darin, den Export der von ihnen geregelten Leistungen zu verhindern. Das Ziel des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie dagegen liegt darin, dass die Inhaber eines Aufenthaltsrechts die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen. Diese Problematik wurde durch die Richtlinie harmonisiert, und den Mitgliedstaaten fehlt die Zuständigkeit, um diese Frage – im Unterschied zum Inhalt des Begriffs „Sozialhilfe“ im Sinne der Verordnung – zu regeln.

57.      Unter Zugrundelegung dieser Feststellung stellt der Inhalt des Begriffs „Sozialhilfe“ im Sinne der Verordnung meines Erachtens das vorstehend in Nr. 44 festgestellte vorläufige Ergebnis nicht in Frage, da sich die beiden Begriffe nicht auf dieselben Problempunkte beziehen. Damit sind die beiden übrigen Rechtsakte zu prüfen, die zur Klärung des Begriffs „Sozialhilfe“ angeführt worden sind.

4.      Vergleich mit dem Begriff „Sozialhilfeleistungen“ im Sinne der Richtlinie 2003/86 und der Richtlinie 2003/109

58.      Die niederländische, die österreichische und die schwedische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs verweisen auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86, der dem Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie entspreche und vom Gerichtshof im Urteil Chakroun ausgelegt worden sei.

59.      Die Richtlinie 2003/86 regelt das Recht von Drittstaatsangehörigen auf Familienzusammenführung nach Unionsrecht. Ziel dieser Richtlinie ist die Festlegung der Bedingungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten, und sie legt die Voraussetzungen für die Ausübung dieses Rechts fest(34). Art. 7 Abs. 1 Buchst. c beschränkt insoweit das Recht auf Drittstaatsangehörige, die feste und regelmäßige Einkünfte haben, die „ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaates“ für ihren Haushalt ausreichen. Kapitel VI regelt die Einreise und den Aufenthalt der Familienangehörigen.

60.      Im Urteil Chakroun hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Begriff „Sozialhilfe“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86 dahin auszulegen ist, dass er sich auf eine Hilfe bezieht, die einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften ausgleicht, nicht aber eine Hilfe, die es erlauben würde, außergewöhnliche oder unvorhergesehene Bedürfnisse zu befriedigen(35).

61.      Die Richtlinie 2003/109, auf die sich das vorlegende Gericht und die österreichische Regierung beziehen, regelt nicht nur die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in einem Mitgliedstaat, sondern auch den Aufenthalt in anderen Mitgliedstaaten aufgrund dieser Rechtsstellung und die wirtschaftlichen Voraussetzungen hierfür. Art. 11 Abs. 4 dieser Richtlinie sieht vor, dass Mitgliedstaaten die Gleichbehandlung bei Sozialhilfe und Sozialschutz auf die „Kernleistungen“ beschränken können. Hierzu verweisen die österreichische Regierung und das vorlegende Gericht auf den 13. Erwägungsgrund(36) und, was die Erstere betrifft, auf das Urteil Kamberaj(37).

62.      Im Urteil Kamberaj hat der Gerichtshof in Randnr. 90 festgestellt, dass das Ziel der Richtlinie 2003/109 in der Integration der sich rechtmäßig und langfristig in den Mitgliedstaaten aufhaltenden Drittstaatsangehörigen besteht. Er hat weiterhin in Randnr. 92 festgestellt, dass die Unterstützung für die Wohnung eine Kernleistung im Sinne von Art. 11 Abs. 4 der genannten Richtlinie darstellt, sofern die betreffende Leistung allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, gemäß Art. 34 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen soll. In Randnr. 85 des Urteils Kamberaj hat der Gerichtshof ferner entschieden, dass die Aufzählung der Kernleistungen im 13. Erwägungsgrund nicht erschöpfend ist.

63.      Die vorstehend in Nr. 44 vertretene Auffassung bezüglich des Begriffs „Sozialhilfeleistungen“ im Sinne der Richtlinie wird daher durch die Richtlinien 2003/86 und 2003/109 bestätigt.

64.      Allen drei Richtlinien lässt sich ein unscharfer und weiter Begriff der „Sozialhilfe“ entnehmen. So können z. B. die Mitgliedstaaten für die Feststellung, ob ein Drittstaatsangehöriger über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt und damit die Voraussetzungen der Familienzusammenführung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86 erfüllt, „die Höhe der Mindestlöhne und ‑renten sowie die Anzahl der Familienangehörigen berücksichtigen“. Dasselbe gilt für Drittstaatsangehörige mit der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten, der sich nach Maßgabe des Art. 15 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2003/109 in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten will. Diese Bestimmungen sind mit Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie vergleichbar. Auch unterscheidet Art. 11 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2003/109 nicht zwischen sozialer Sicherheit, Sozialhilfe und Sozialschutz.

65.      Obwohl sich die Richtlinie und die beiden anderen Richtlinien an unterschiedliche Personenkreise wenden und ihr Zweck und ihr Geltungsbereich nicht völlig identisch sind(38), ist das Ziel von allen doch die Regelung des Aufenthaltsrechts. Auch beruhen die Vorschriften über die Sozialhilfe in allen drei Richtlinien offenbar auf dem gemeinsamen Wunsch, die allgemeinen Steuermittel zu schützen. „Sozialhilfeleistung“ kann daher als Bezeichnung desselben Konzepts in allen drei Richtlinien verstanden werden. Angesichts des Verweises im Urteil Chakroun bezüglich des Begriffs „Sozialhilfe“ auf Randnr. 29 des Urteils Eind(39), das u. a. die Auslegung der Richtlinie 90/364/EWG(40) betraf, entspricht dies der Auffassung des Gerichtshofs.

66.      Die Feststellung des Gerichtshofs, dass der Begriff „Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86 eine Sozialhilfe meint, die von öffentlichen Behörden auf nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene gewährt wird(41), ist auch in Bezug auf die Richtlinie 2004/38 relevant. Sie stimmt überein mit dem Gedanken, dass die Leistung zu einem System der Sozialhilfe gehören muss.

67.      Aus diesen Gründen komme ich zu dem Ergebnis, dass der Begriff „Sozialhilfeleistungen“ im Sinne der Richtlinie mit dem Begriff übereinstimmt, der in den anderen beiden Richtlinien verwendet wird. Folglich ist er dementsprechend auszulegen.

5.      Zwischenergebnis

68.      Nach alledem bin ich der Auffassung, dass die Definition der Sozialhilfe im Urteil Chakroun auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie anzuwenden ist. „Sozialhilfe“ im Sinne dieser Bestimmung bezieht sich somit auf eine Hilfe, die von öffentlichen Behörden – auf nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene – gewährt wird und die einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften ausgleicht, nicht aber auf eine Hilfe, die es erlauben würde, außergewöhnliche oder unvorhergesehene Bedürfnisse zu befriedigen.

69.      Die Frage, ob eine Leistung durch die Verordnung geregelt wird, sollte für den Begriff der Sozialhilfeleistungen im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie zwar nicht entscheidend sein, doch bedeutet dies nicht, dass die Verordnung gar nicht relevant ist. Auch werden die Feststellungen des Gerichtshofs im Urteil Skalka dadurch nicht obsolet. Soweit eine Leistung Sozialhilfe im Sinne der Verordnung darstellt – was einschließt, dass der Leistungsanspruch auf der Bedürftigkeit des Empfängers und nicht auf Beiträgen beruht –, wird dies auch im Sinne der Richtlinie der Fall sein.

70.      Im Urteil Skalka hat der Gerichtshof ferner darauf hingewiesen, dass die Ausgleichszulage den Personen ein Existenzminimum garantiert, deren gesamten Einkünfte eine gesetzlich festgelegte Grenze unterschreiten, und dass sie eng mit der wirtschaftlichen und sozialen Situation in Österreich verbunden ist, wobei der dortige Lebensstandard berücksichtigt wird. Die mit der Ausgleichszulage verbundenen Ausgaben werden vom Bundeshaushalt und nicht von den Leistungsempfängern über Beitragszahlungen übernommen. Diese Leistung hat daher „Sozialhilfecharakter, soweit sie dem Empfänger im Fall einer unzureichenden Rente ein Existenzminimum gewährleisten soll“(42).

71.      Da die Ausgleichszulage folglich dazu dient, einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften auszugleichen und nicht nur außergewöhnliche oder unvorhergesehene Bedürfnisse zu befriedigen, ist sie als „Sozialhilfeleistung“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie anzusehen.

C –    Bemerkungen zu Fragen, die über die Vorlagefrage hinausgehen

72.      Sollte der Gerichtshof beschließen, dem vorlegenden Gericht weitere Hinweise zur Auslegung zu geben, kann er nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der Anwendung von Art. 267 AEUV aus den Vorlagefragen dem im Vorabentscheidungsersuchen mitgeteilten Sachverhalt das herausschälen, was die Auslegung des Unionsrechts betrifft(43). Zwar ist es nicht Sache des Gerichtshofs, im Rahmen des Art. 267 AEUV die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Unionsrecht zu beurteilen, er kann jedoch dem vorlegenden Gericht Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben, die es diesem ermöglichen, für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache über die Frage der Vereinbarkeit zu befinden(44).

73.      Demgemäß sollten zwei Fragen näher geprüft werden, nämlich i) die Frage, ob innerstaatliche Vorschriften wie die im Ausgangsverfahren geltenden mit der Richtlinie vereinbar sind, und ii) die Frage, ob die Zahlung der Ausgleichszulage eine unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des österreichischen Staats darstellt.

1.      Zur Frage, ob die innerstaatlichen Rechtsvorschriften, wonach der rechtmäßige Aufenthalt Voraussetzung für den Anspruch auf Sozialhilfeleistungen ist, mit der Richtlinie vereinbar sind

74.      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die deutsche Fassung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie die Wendung enthält, „so dass sie … keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen“. Die Bestimmung ist im Deutschen somit enger gefasst als in mehreren anderen Sprachfassungen. Sie scheint zu bedeuten, dass Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats überhaupt nicht in Anspruch genommen werden können.

75.      Ein dahin gehendes Verständnis stünde im Widerspruch zu anderen Bestimmungen der Richtlinie. Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie nämlich verlangt eine individuelle Beurteilung der persönlichen Situation des Unionsbürgers. Art. 14 Abs. 2 bestimmt, dass nur, wenn begründete Zweifel bestehen, ob der Unionsbürger noch das Erfordernis der ausreichenden Existenzmittel gemäß Art. 7 erfüllt, der Aufnahmemitgliedstaat in nicht systematischer Weise prüfen kann, ob diese Voraussetzungen für den Aufenthalt erfüllt sind. Ebenfalls verbietet Art. 14 Abs. 3 ausdrücklich die Ausweisung, wenn diese nur wegen der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen im Aufnahmemitgliedstaat erfolgen soll. Im Urteil Kommission/Belgien(45), das u. a. die Richtlinie 90/364 betraf, hat der Gerichtshof ausdrücklich die Praxis missbilligt, Unionsbürger ohne weitere Prüfung auszuweisen, wenn sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt keine ausreichenden Existenzmittel nachweisen können.

76.      Auch wäre ein solches Verständnis nicht mit den Erwägungsgründen der Richtlinie zu vereinbaren. Der zehnte Erwägungsgrund nämlich bezieht sich nicht auf die bloße Inanspruchnahme, sondern auf eine unverhältnismäßige Inanspruchnahme. Anders gesagt, nicht jede Inanspruchnahme kann den Verlust des Aufenthaltsrechts begründen, sondern nur die Inanspruchnahme, die das ordnungsgemäße Funktionieren des Sozialhilfesystems des Aufnahmemitgliedstaats erheblich stört. Mitgliederstaaten müssen eine bestimmte finanzielle Solidarität der Angehörigen des Aufnahmemitgliedstaats mit denen der anderen Mitgliedstaaten zulassen(46). Der 16. Erwägungsgrund nennt die relevanten Kriterien für die Feststellung, ob ein Unionsbürger die Sozialhilfeleistungen des Mitgliedstaats unangemessen in Anspruch nimmt. Zu diesen Kriterien gehören die Frage, ob es sich um vorübergehende Schwierigkeiten handelt, die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen Umstände und der gewährte Sozialhilfebetrag.

77.      Die deutsche Fassung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ist angesichts dieser Ausführungen befremdlich. Würde man das Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedstaat davon abhängig machen, dass der Betreffende keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen hat, würden die vorstehenden Bestimmungen der Richtlinie gänzlich ihren Sinn verlieren. Um die Bedeutung dieser Bestimmung zu ermitteln, muss daher die deutsche Fassung nach dem Zweck und der Systematik der Richtlinie ausgelegt werden. Die Formulierung der Bestimmung kann nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder den Vorrang vor den anderen sprachlichen Fassungen beanspruchen(47).

78.      An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass § 51 Abs. 1 NAG der deutschen Fassung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie entspricht. Das Recht eines Unionsbürgers auf Aufenthalt in Österreich hängt somit offenbar davon ab, dass er keine Ausgleichszulage erhält. Nach § 292 Abs. 1 ASVG wird die Ausgleichszulage ferner nur den Personen gewährt, die ihren rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich haben. Offensichtlich sollen diese Bestimmungen daher Unionsbürger, die sich in Österreich für mehr als drei Monate (und vermutlich bis zum Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt nach Art. 16 der Richtlinie) aufhalten wollen, von der Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen dieses Mitgliedstaats sowie von einer Leistung wie der Ausgleichszulage ausschließen.

79.      Sollte diese Auslegung des nationalen Rechts zutreffend sein – was der Oberste Gerichtshof zu entscheiden hat (48) –, müsste ich der Kommission darin zustimmen, dass Unionsbürger dadurch im Vergleich zu österreichischen Staatsangehörigen benachteiligt würden, die, wie die österreichische Regierung einräumt, ein naturgegebenes Recht auf Aufenthalt in Österreich haben(49) und daher die Voraussetzung leichter erfüllen. Zwar schaffen die betreffenden Vorschriften keine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der Nationalität, doch stellen sie meines Erachtens eine mittelbare Diskriminierung dar(50).

80.      Der Gerichtshof hat unter verschiedenen Umständen entschieden, dass Mitgliedstaaten den rechtmäßigen Aufenthalt zur Voraussetzung für die Gewährung von Sozialhilfeleistungen machen können, sofern diese Voraussetzung mit dem Unionsrecht vereinbar ist(51). Es ist nämlich ein legitimes Anliegen des nationalen Gesetzgebers, sich einer tatsächlichen Verbindung zwischen dem, der eine Leistung beantragt, und dem zuständigen Mitgliedstaat zu vergewissern(52). Auch wird in Art. 70 Abs. 4 der Verordnung klar gesagt, dass besondere beitragsunabhängige Geldleistungen nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats gewährt werden.

81.      Nach der Richtlinie erscheint es gerechtfertigt, dass ein Mitgliedstaat sein Sozialhilfesystem in Bezug auf nicht erwerbstätige Unionsbürger, die noch kein Daueraufenthaltsrecht erworben haben, schützen kann. Entgegen der Auffassung der deutschen Regierung jedoch ergibt sich aus den vorstehenden Nrn. 75 und 76, dass Vorschriften, die das Aufenthaltsrecht davon abhängig machen, dass Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht in Anspruch genommen werden, und die keine individuelle Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unionsbürgers vorsehen, mit den Art. 8 Abs. 4 und 14 Abs. 3 der Richtlinie nicht vereinbar sind. Der bloße Antrag auf Sozialhilfe kann für sich genommen keine unverhältnismäßige Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen eines Mitgliedstaats darstellen und zum Verlust des Aufenthaltsrechts führen – wie die österreichische Regierung offenbar einräumt. Im Urteil Chakroun hat der Gerichtshof eine Hilfe, die außergewöhnliche oder unvorhergesehene Bedürfnisse befriedigen soll, nicht in den Begriff „Sozialhilfe“ einbezogen. Ein Unionsbürger darf daher nicht bestraft werden, wenn er eine solche Hilfe beantragt. Letztlich aber hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob das innerstaatliche Recht solchermaßen in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht ausgelegt werden kann(53).

2.      Zur Frage, ob die Zahlung der Ausgleichszulage eine unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des österreichischen Staats darstellt

82.      Sollte der Gerichtshof meiner Auslegung des Begriffs „Sozialhilfeleistungen“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie folgen und das österreichische Recht in Übereinstimmung mit dem Unionsrechts ausgelegt werden können, bliebe die Frage, ob die Bejahung des Anspruchs von Herrn Brey auf Gewährung der Ausgleichszulage eine unangemessene Inanspruchnahme der österreichischen Sozialhilfeleistungen bedeuten würde. In Anbetracht des 16. Erwägungsgrundes wäre diese Frage zu bejahen.

83.      Nach dem Sachverhalt verfügt Herr Brey, abgesehen von zwei Altersversorgungen in Höhe von insgesamt 1.089,74 Euro monatlich (eine davon vor Steuern), über keinerlei Einkünfte. Von diesem Betrag muss er seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Ehefrau bestreiten – die keine Einkünfte mehr hat – und einen monatlichen Mietzins von 532,29 Euro bezahlen, so dass ihnen höchstens 557,45 Euro monatlich für Verpflegung, Versorgungsleistungen und andere Leistungen des Grundbedarfs verbleiben. Dies liegt unter dem in den österreichischen Rechtsvorschriften festgesetzten Richtsatz für das Existenzminimum. Damit ist eine Situation gegeben, dem die Ausgleichszulage abhelfen soll, und die der Grund ist, weshalb Herr Brey die Zahlung von 326,82 Euro monatlich beantragte.

84.      Da Herr Brey Rentner ist, ist nicht ersichtlich, dass sich an der finanziellen Härte mit der Zeit etwas ändern wird oder dass die Leistung beantragt wurde, um eine außergewöhnliche unvorhergesehene Härte zu überwinden(54).

85.      Der geforderte Betrag ist nicht offensichtlich unverhältnismäßig. Der Gesamtbetrag der Hilfe kann jedoch bis zur Entscheidung der österreichischen Behörden über den Widerruf des Aufenthaltstitels von Herrn Brey einen beträchtlichen Umfang erreichen.

86.      Es ist nicht ersichtlich, dass Herr Brey, ein deutscher Staatsangehöriger russischer Abstammung, persönliche Bindungen an Österreich hat. Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts übersiedelte er nach Österreich, weil er sich, wie er behauptet, in Deutschland aufgrund seiner Abstammung diskriminiert gefühlt habe.

87.      Die ursprüngliche Verwaltungsentscheidung schließlich, mit der der Antrag von Herrn Brey abgelehnt wurde, erging am 2. März 2011, bevor Herrn Brey am 22. März 2011 der Aufenthaltstitel erteilt wurde. Das vorlegende Gericht hat festgestellt, dass sich das Ehepaar im März 2011 in Österreich niedergelassen habe. Herr Brey hatte somit vor seiner Antragstellung keine Aufenthaltszeiten in Österreich zurückgelegt, die von Bedeutung wären. Somit erfüllt Herr Brey tatsächlich nicht mehr die Voraussetzungen eines rechtmäßigen Aufenthalts nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie.

88.      Folgt man diesen Überlegungen, ist es auf den ersten Blick schwer zu verstehen, wie eine einzelne Person die finanziellen Mittel eines Mitgliedstaats unangemessen in Anspruch nehmen kann. Die Bestimmungen der Richtlinie würden allerdings ins Leere gehen, wenn dies nicht denkbar wäre. Wäre es im vorliegenden Fall um eine Einmalzahlung von 326,82 Euro gegangen, könnte vernünftigerweise nicht von einer „unangemessenen Inanspruchnahme“ gesprochen werden. Die Unangemessenheit liegt vorliegend darin, dass die Zahlung der Ausgleichszulage ein auf unbestimmte Zeit wiederkehrendes Ereignis ist, Herr Brey aber keinerlei frühere Verbindungen zu Österreich nachweisen kann, die diese Zahlungen rechtfertigen würden. Hätte er z. B. durch Arbeit, Aufenthalt oder Steuerzahlungen in früheren Zeiten eine Verbindung zur österreichischen Gesellschaft hergestellt, wäre die Lage anders.

89.      Meine Auffassung hat insoweit zur Folge, dass Herr Brey keine Ausgleichszulage erhält. Wegen seiner Übersiedelung nach Österreich verlor sein Haushalt auch die Rente, die seine Ehefrau bezog, sowie andere an den Aufenthalt geknüpfte Leistungen, auf die Herr Brey möglichweise in Deutschland einen Anspruch gehabt hätte. Diese bedauerlichen Folgen sind jedoch der fehlenden Harmonisierung der Sozialhilfevorschriften der Mitgliedstaaten zuzuschreiben.

90.      Meines Erachtens jedenfalls kann die Frage des rechtmäßigen Aufenthalts von Herrn Brey in dem Verfahren vor dem Gerichtshof nicht vollständig geklärt werden. Zum einen würde dies zur Rechtsanwendung auf den Sachverhalt führen. Zum anderen läge darin eine Missachtung des Verfahrens über den Widerruf des Aufenthaltsrechts, und zwar aus folgenden Gründen.

91.      Die österreichische Regierung führt aus, dass die österreichischen Sozialbehörden die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eines Unionsbürgers als eine gesondert zu betrachtende Frage entscheiden würden, und zwar unabhängig davon, dass die Ausländerbehörde Herrn Brey bereits einen Aufenthaltstitel erteilt habe. Da der rechtmäßige Aufenthalt Voraussetzung für die Zahlung der Ausgleichszulage sei, müssten die Sozialbehörden prüfen können, ob sich der Antragsteller rechtmäßig in Österreich aufhalte.

92.      Meines Erachtens gehen diese Ausführungen ins Leere.

93.      Zwar hat die Aufenthaltserlaubnis eines Unionsbürgers lediglich deklaratorischen Charakter(55). Dies bedeutet, dass das Aufenthaltsrecht erworben oder verloren werden kann in Abhängigkeit davon, ob die in Art. 7 der Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen zu einem bestimmten Zeitpunkt erfüllt sind oder nicht, nicht aber in Abhängigkeit davon, ob der Unionsbürger im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels ist. Gemäß § 53 NAG machte Österreich von der Möglichkeit nach Art. 8 Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie Gebrauch, von den Unionsbürgern, die einen Aufenthaltstitel beantragen, den Nachweis zu verlangen, dass sie die Voraussetzung der ausreichenden Existenzmittel erfüllen. Der Umstand, dass die österreichischen Behörden einen Aufenthaltstitel erteilten, zeigt daher, dass sie der Auffassung waren, dass der Aufenthalt von Herrn Brey zur damaligen Zeit rechtmäßig war. Dies geschah nach der ursprünglichen Entscheidung, mit der sein Antrag auf Gewährung einer Ausgleichszulage abgelehnt worden war. Ferner genießen die Unionsbürger zweifellos die Verfahrensrechte, auf die Art. 15 der Richtlinie verweist und die nicht durch Verfahren umgangen werden können, die nicht nur den Leistungsanspruch der betreffenden Person, sondern auch sein Aufenthaltsrecht im Ganzen zum Gegenstand haben.

94.      Ein Mitgliedstaat kann der Ansicht sein, dass ein Unionsbürger, der Sozialhilfeleistungen in Anspruch nimmt, die Voraussetzungen seines Aufenthaltsrechts nicht mehr erfüllt, und er kann – innerhalb der vom Unionsrecht vorgegebenen Grenzen – Maßnahmen in die Wege leiten, um den Aufenthaltstitel dieser Person zu widerrufen. Der Wegfall ausreichender Existenzmittel stellt nämlich immer ein latentes Risiko dar. Der Aufnahmemitgliedstaat kann daher nach Art. 14 der Richtlinie prüfen, ob Unionsbürger die in Art. 7 aufgestellten Voraussetzungen noch erfüllen(56). In derartigen Fällen war es jedoch die Auffassung des Gerichtshofs, dass ein Unionsbürger, solange er sich rechtmäßig nach Unionsrecht in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, sich auf das Unionsrecht einschließlich des Grundsatzes der Gleichbehandlung berufen kann, um Sozialleistungen zu erhalten, auch wenn dies später sein Aufenthaltsrecht beeinträchtigen kann(57).

95.      In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie nicht uneingeschränkt gilt. Nach Art. 24 Abs. 2 kann ein Aufnahmemitgliedstaat den Anspruch auf Sozialhilfe während der ersten drei Monate des Aufenthalts einschränken, es sei denn, die Leistung soll den Zugang zum Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats erleichtern(58). Eine Leistung, die die Rente des Empfängers ergänzen soll, erleichtert diesen Zugang offensichtlich nicht. Meines Erachtens jedoch ist der Grundsatz der Gleichbehandlung für die Frage des Anspruchs auf Ausgleichszulage nach § 292 Abs. 1 ASVG nicht unmittelbar relevant. Die genannte Bestimmung macht nur den Anspruch davon abhängig, dass ein gewöhnlicher und rechtmäßiger Aufenthalt besteht, was, wie vorstehend in Nr. 93 ausgeführt, die österreichischen Behörden bei Herrn Brey bejaht haben.

96.      Zusammenfassend kann sich ein Unionsbürger wie Herr Brey während seines rechtmäßigen Aufenthalts auf das Unionsrecht so lange berufen, bis – was vorliegend nicht der Fall ist – der Aufnahmemitgliedstaat den rechtmäßigen Aufenthalt durch eine Entscheidung beendet, die die Verfahrensgarantien insbesondere gemäß den Art. 15, 30 und 31 der Richtlinie wahrt. Diese Entscheidung muss unabhängig von der Frage getroffen werden, ob der Unionsbürger das Erfordernis der ausreichenden Existenzmittel erfüllt, d. h. unabhängig von der Frage, um die es in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Sozialrechtsstreit geht.

V –    Ergebnis

97.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Obersten Gerichtshof vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG in geänderter Fassung ist dahin auszulegen, dass eine Leistung wie die Ausgleichszulage im Sinne von § 292 Abs. 1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes eine Sozialhilfeleistung im Sinne der genannten Bestimmung der Richtlinie darstellt.


1 – Originalsprache: Englisch.


2–      Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Konstantinidis (C‑168/91, Urteil vom 30. März 1993, Slg. 1993, I‑1191, Nr. 46).


3–      Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77).


4–      Bezüglich der Personen, die sowohl eine Rente aus dem Ausland als auch die Ausgleichszulage beziehen, weist die österreichische Regierung darauf hin, dass die Anzahl dieser Personen von 498 im 1. Quartal 2009 auf 764 im 1. Quartal 2001 und auf 940 im 1. Quartal 2012 gestiegen seien.


5–      Urteil vom 29. April 2004, Skalka, C‑160/02, Slg. 2004, I‑5613.


6–      Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2) in der geänderten Fassung.


7–      Verordnung (EG) Nr. 883/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EG) 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 (ABl. L 248, S. 43), der Verordnung (EU) Nr. 1244/2010 der Kommission vom 9. Dezember 2010 (ABl. L 338, S. 35) und der Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 (ABL. L 149, S. 4).


8 – Kurz gesagt muss eine solche Leistung Schutz gegen eines der in Art. 3 Abs. 1 aufgeführten Risiken gewähren. Sie muss dem Leistungsempfänger ein Grundeinkommen vorsehen, dessen Höhe sich nach dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat bestimmt. Sie muss auch durch allgemeine Steuermittel finanziert werden, nicht aber durch Beiträge des Leistungsempfängers. Schließlich muss sie in Anhang X aufgeführt sein, was bei der Ausgleichszulage der Fall ist.


9–      Verordnung (EWG) Nr. 1247/92 des Rates vom 30. April 1992 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 136, S. 1).


10–      BGBl. I Nr. 111/2010.


11–      Gesetz vom 9. September 1955, BGBl. Nr. 189/1955, in geänderter Fassung.


12–      Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44) in der Fassung der Richtlinie 2011/51/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 (ABl. L 132, S. 1).


13–      Vgl. Urteil vom 16. Januar 2007, Perez Naranjo (C‑265/05, Slg. 2007, I‑347, Randnr. 60).


14–      Vgl. u. a. Urteile vom 4. Dezember 2008, Zablocka-Weyhermüller (C‑221/07, Slg. 2008, I‑9029, Randnr. 20), und vom 21. Januar 2010, SGI (C‑311/08, Slg. 2010, I‑487, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung). Ich weise darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 18. November 2008, Förster (C‑158/07, Slg. 2008, I‑8507), – anders als der Generalanwalt Mazák (vgl. Nrn. 61 und 76 bis 90 seiner Schlussanträge) – dem Vorschlag der Kommission, die Frage zu prüfen, ob Frau Förster ihren Status als Arbeitnehmerin aufgrund eines anderen Gesetzgebungsaktes behalten habe, nicht gefolgt ist. Er begrenzte stattdessen seine Antwort auf die Tragweite der Vorlagefrage.


15–      Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251, S. 12).


16–      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Mai 1998, Martínez Sala (C‑85/96, Slg. 1998, I‑2691, Randnr. 31), vom 23. März 2004, Collins (C‑138/02, Slg. 2004, I‑2703, Randnr. 32), und vom 14. Oktober 2010, Van Delft u. a. (C‑345/09, Slg. 2010, I‑9879, Randnr. 88).


17–      Vgl. dritter Erwägungsgrund der Richtlinie sowie Urteile vom 23. Februar 2010, Teixeira (C‑480/08, Slg. 2010, I‑1107, Randnr. 60), und vom 23. Februar 2010, Ibrahim und Secretary of State for the Home Department (C‑310/08, Slg. 2010, I‑1065, Randnr. 49).


18–      Vgl. 10. Erwägungsgrund der Richtlinie.


19–      Urteil vom 4. März 2010, Chakroun (C‑578/08, Slg. 2010, I‑1839, Randnr. 45), wo der Gerichtshof im konkreten Fall den Ausdruck „autonomer Begriff des Unionsrechts“ verwendet hat.


20–      Einige Fassungen entsprechen in ihrem Verständnis dem der englischen Fassung. Der in der englischen Fassung verwendete Ausdruck „social assistance“ wird in der französischen Fassung mit „assistance sociale“, in der italienischen Fassung mit „assistenza sociale“, in der spanischen Fassung mit „asistencia social“ und in der rumänischen Fassung mit „asistenţă socială“ wiedergegeben. Die portugiesische Fassung der Richtlinie verwendet dagegen den Begriff „segurança social“, obwohl in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie der Ausdruck „assistência social“ verwendet wird. Auch der finnische Begriff „sosiaalihuoltojärjestelmälle“, der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b verwendet wird, entspricht nicht dem Begriff „sosiaaliavustusta“, der in Art. 8 Abs. 4 benutzt wird, und die deutsche Fassung des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie verwendet den Begriff „Sozialhilfeleistungen“, aber das Wort „Sozialhilfe“ in Art. 8 Abs. 4. Die deutsche Fassung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b unterscheidet sich jedoch insofern von den anderen Fassungen, als sie verlangt, dass die Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügen, „so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen“. Ich werde auf diese Frage unten in Nr. 74 eingehen.


21–      Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Mai 2001 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, KOM(2001) 257 endg., S. 10 und 11 (ABl. C 270 E, S. 150). Er stellt in Bezug auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. b fest: „Die Ausübung [des Aufenthaltsrechts] muss zwar erleichtert werden, da aber die Sozialhilfeleistungen zur Zeit nicht gemeinschaftsrechtlich geregelt und meistens nicht exportierbar sind, kann eine uneingeschränkte Gleichbehandlung auf dem Gebiet der Sozialleistungen nicht gewährleistet werden, weil man dann Gefahr liefe, dass bestimmte Gruppen von Personen, die Aufenthaltsrecht genießen, insbesondere die Nichterwerbstätigen, dem Aufnahmemitgliedstaat in unangemessener Weise zur Last fallen“ (Hervorhebung nur hier).


22–      Vgl. zur Verordnung Nr. 1408/71 Urteil Van Delft u. a. (Randnr. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).


23–      Vgl. z. B. Urteil vom 16. Juli 1992, Hughes u. a. (C‑78/91, Slg. 1992, I‑4839, Randnr. 19).


24–      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, Habelt u. a. (C‑396/05, C‑419/05 und C‑450/05, Slg. 2007, I‑11895, Randnr. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).


25–      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2007, Kommission/Parlament und Rat (C‑299/05, Slg. 2007, I‑8695, Randnr. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).


26–      Urteil vom 21. Februar 2006, Hosse (C‑286/03, Slg. 2006, I‑1771, Randnr. 36).


27–      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2002, Maaheimo (C‑333/00, Slg. 2002, I‑10087, Randnrn. 21 bis 23).


28–      Urteil Hughes (Randnr. 17, Hervorhebung nur hier). Vgl. auch u. a. Urteil vom 9. Oktober 1974, Biason (24/74, Slg. 1974, 999, Randnr. 10).


29–      Vgl. in diesem Sinne Urteil Habelt u. a. (Randnrn. 65 und 108).


30–      Vgl. erster Erwägungsgrund der Verordnung.


31–      Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 26. Oktober 2006, Tas-Hagen und Tas (C‑192/05, Slg. 2006, I‑10451, Randnr. 21), vom 22. Mai 2008, Nerkowska (C‑499/06, Slg. 2008, I‑3993, Randnr. 23), und Zablocka-Weyhermüller (Randnr. 27). Zudem lässt das Unionsrecht die Befugnisse der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt; vgl. Urteil Van Delft u. a. (Randnr. 84).


32–      Vgl. achter Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1247/1992.


33–      Die beiden Rechtsakte haben nicht dieselbe Rechtsgrundlage. Der Erlass der Richtlinie beruhte nach Maßgabe der Art. 12, 18, 40, 44 und 52 EG (jetzt Art. 18, 21, 46, 50 und 59 AEUV) auf dem Grundprinzip des Diskriminierungsverbots, der Unionsbürgerschaft, der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, des Niederlassungsrechts und der Dienstleistungsfreiheit. Die Verordnung dagegen wurde gemäß den Art. 42 und 308 EG (jetzt die Art. 48 und 352 AEUV) erlassen, die sich auf die soziale Sicherheit im Kontext der Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Regelungen zur Unterstützung einer EU-Politik beziehen, für die es im AEU-Vertrag keine ausreichende Rechtsgrundlage gibt.


34–      Vgl. Art. 1 und Kapitel IV der Richtlinie 2003/86.


35      Randnr. 49 des Urteils; vgl. auch Urteil vom 6. Dezember 2012, O und S (C‑356/11 und C‑357/11, Randnr. 73).


36–      Der Erwägungsgrund stellt fest, dass „[h]insichtlich der Sozialhilfe … die Möglichkeit, die Leistungen für langfristig Aufenthaltsberechtigte auf Kernleistungen zu beschränken, so zu verstehen [ist], dass dieser Begriff zumindest ein Mindesteinkommen sowie Unterstützung bei Krankheit, bei Schwangerschaft, bei Elternschaft und bei Langzeitpflege erfasst. Die Modalitäten der Gewährung dieser Leistungen sollten durch das nationale Recht bestimmt werden.“


37      Urteil vom 24. April 2012, Kamberaj (C‑571/10).


38–      Die Rechtsgrundlage der Richtlinie 2003/86 ist die spezielle Bestimmung im früheren Titel IV des EG-Vertrags („Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr“), nämlich Art. 63 Abs. 3 Buchst. a EG (jetzt ersetzt durch Art. 79 AEUV, nach Inkrafttreten des AEU‑Vertrags jetzt in Kapitel II des Titels V AEUV [„Politik im Bereich Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung“]). Die Rechtsgrundlage für die Richtlinie 2003/109 ist Art. 63 Abs. 3 und 4 EG.


39–      Urteil vom 11. Dezember 2007, Eind (C‑291/05, Slg. 2007, I‑10719).


40–      Richtlinie 90/364/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht (ABl. L 180, S. 26).


41–      Urteil Chakroun (Randnr. 45).


42–      Randnrn. 24, 26 und 29 des Urteils.


43–      Urteile vom 8. November 2007, Ing. Auer (C‑251/06, Slg. 2007, I‑9689, Randnr. 38), vom 28. April 2009, Apostolides (C‑420/07, Slg. 2009, I‑3571, Randnr. 63), und vom 5. Mai 2011, McCarthy (C‑434/09, Slg. 2011, I‑3375, Randnr. 24).


44–      Urteil vom 26. Januar 2010, Transportes Urbanos y Servicios Generales (C‑118/08, Slg. 2010, I‑635, Randnr. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).


45–      Urteil vom 23. März 2006, Kommission/Belgien (C‑408/03, Slg. 2006, I‑2647).


46–      Urteile vom 20. September 2001, Grzelczyk (C‑184/99, Slg. 2001, I‑6193, Randnr. 44), und vom 15. März 2005, Bidar (C‑209/03, Slg. 2005, I‑2119, Randnr. 56).


47–      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. November 1998, Institute of the Motor Industry (C‑149/97, Slg. 1998, I‑7053, Randnr. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).


48–      Ich bemerke insoweit, dass das vorlegende Gericht bestätigt, dass der Ausgleichszulagenbezug „aufenthaltsschädlich“ sein solle.


49–      Vgl. in diesem Sinne Art. 3 Abs. 2 des Protokolls Nr. 4 zur Europäischen Menschenrechtskonvention.


50–      Vgl. in diesem Sinne Urteile Collins (Randnr. 65), Bidar (Randnr. 53), vom 15. September 2005, Ioannidis (C‑258/04, Slg. 2005, I‑8275, Randnr. 28), und vom 1. Oktober 2009, Gottwald (C‑2009, I‑9117, Randnr. 28).


51–      Vgl. Urteile Martínez Sala (Randnr. 63), vom 7. September 2004 (Trojani, C‑456/02, Slg. 2004, I‑7573, Randnr. 43) Bidar (Randnr. 37), und Förster (Randnr. 39).


52–      Urteil vom 21. Juli 2011, Stewart (C‑503/09, Slg. 2011, I‑6497, Randnr. 89).


53–      Urteil vom 10. April 1984, Von Colson und Kamann (14/83, Slg. 1984, 1891, Randnr. 26).


54      Urteile Grzelczyk (Randnr. 45), und Chakroun (Randnr. 52).


55–      Vgl. u. a. Urteil vom 21. Juli 2011, Dias (C‑325/09, Slg. 2011, I‑6387, Randnrn. 48 und 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).


56–      Vgl. in diesem Sinne Urteile Grzelczyk (Randnr. 42), und Kommission/Belgien (Randnrn. 47 und 50).


57–      Vgl. in diesem Sinne Urteile Grzelczyk (Randnr. 36), Trojani (Randnr. 40), Bidar (Randnr. 46), und Förster (Randnr. 43).


58–      Vgl. Urteil vom 4. Juni 2009, Vatsouras und Koupatantze (C‑22/08 und C‑23/08, Slg. 2009, I‑4585, Randnr. 45).