Language of document : ECLI:EU:C:2007:408

Rechtssache C-321/05

Hans Markus Kofoed

gegen

Skatteministeriet

(Vorabentscheidungsersuchen des Østre Landsret)

„Richtlinie 90/434/EWG – Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen – Nationale Entscheidung, mit der ein Anteilstausch besteuert wird – Anteilstausch – Kurz danach erfolgende Gewinnausschüttung – Rechtsmissbrauch“

Leitsätze des Urteils

1.        Rechtsangleichung – Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen – Richtlinie 90/434

(Richtlinie 90/434 des Rates, Art. 2 Buchst. d)

2.        Handlungen der Organe – Richtlinien – Umsetzung durch die Mitgliedstaaten

(Art. 249 Abs. 3 EG)

3.        Rechtsangleichung – Gemeinsames Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen – Richtlinie 90/434

(Richtlinie 90/434 des Rates, Art. 11 Abs. 1 Buchst. a)

1.        Die Richtlinie 90/434 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ist dahin auszulegen, dass das darin vorgesehene gemeinsame Steuersystem, das verschiedene steuerliche Vorteile umfasst, gleichermaßen auf alle Fusionen, Spaltungen, Einbringungen von Unternehmensteilen und Austausche von Anteilen anzuwenden ist, ungeachtet ihrer Gründe (seien diese finanzieller, wirtschaftlicher oder rein steuerlicher Art).

Der Begriff der „baren Zuzahlung“, die den Gesellschaftern der im Zuge eines Austauschs von Anteilen erworbenen Gesellschaft erbracht wird, im Sinne von Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie bezieht sich auf Geldleistungen, die den Charakter einer echten Gegenleistung im Erwerbsvorgang haben, nämlich Leistungen, die verbindlich zusätzlich zur Zuteilung von Anteilen am Gesellschaftskapital der erwerbenden Gesellschaft vereinbart worden sind, und zwar unabhängig von den etwaigen dem Vorgang zugrunde liegenden Motiven. Eine Geldleistung, die den Gesellschaftern der erworbenen Gesellschaft von einer erwerbenden Gesellschaft erbracht wird, ist somit nicht allein deshalb als „bare Zuzahlung“ im Sinne der genannten Vorschrift zu qualifizieren, weil ein gewisser zeitlicher oder anderweitiger Zusammenhang mit dem Erwerbsvorgang besteht oder eventuell eine betrügerische Absicht vorliegt. Es ist vielmehr in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Umstände zu prüfen, ob die fragliche Leistung den Charakter einer verbindlichen Gegenleistung im Erwerbsvorgang aufweist.

Daraus folgt, dass eine Gewinnausschüttung, die von einer erwerbenden Gesellschaft den Gesellschaftern der erworbenen Gesellschaft kurze Zeit nach dem Austausch der Anteile gezahlt wird, aber nicht integraler Bestandteil der von der erwerbenden Gesellschaft zu entrichtenden Gegenleistung ist, nicht in die Berechnung der „baren Zuzahlung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie einzubeziehen ist.

(vgl. Randnrn. 27-31, 33, 48 und Tenor)

2.        Sämtliche Stellen eines Mitgliedstaats sind bei der Anwendung des nationalen Rechts dazu angehalten, dieses so weit wie möglich im Licht des Wortlauts und der Zielsetzung der gemeinschaftlichen Richtlinien auszulegen, um das mit diesen verfolgte Ziel zu erreichen. Auch wenn dieses Erfordernis der richtlinienkonformen Auslegung nicht so weit reichen kann, dass eine Richtlinie selbst und unabhängig von einem nationalen Umsetzungsakt Einzelnen Verpflichtungen auferlegt oder die strafrechtliche Verantwortlichkeit der ihren Bestimmungen Zuwiderhandelnden bestimmt oder verschärft, so kann doch der Staat grundsätzlich Einzelnen eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts entgegenhalten.

(vgl. Randnr. 45)

3.        Gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/434 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, können die Mitgliedstaaten ausnahmsweise in besonderen Fällen die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen, wenn der Austausch von Anteilen insbesondere als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder ‑umgehung hat.

Liegen bestimmte Hinweise vor, die womöglich eine Anwendung des genannten Artikels rechtfertigen könnten, enthält aber das nationale Recht des betreffenden Mitgliedstaats keine spezifische Bestimmung zu seiner Umsetzung, so lässt sich die Besteuerung des fraglichen Austauschs von Anteilen rechtfertigen, wenn das nationale Recht eine Bestimmung oder einen allgemeinen Grundsatz kennt, wonach Rechtsmissbrauch verboten ist, oder andere Vorschriften über Steuerhinterziehung oder ‑umgehung, die im Einklang mit dem genannten Artikel ausgelegt werden könnten.

(vgl. Randnrn. 37, 39, 46, 48 und Tenor)