Language of document : ECLI:EU:C:2012:723

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

15. November 2012(*)

„Rechtsmittel – Beschlüsse der Europäischen Zentralbank – Nichtigkeitsklage – Verspätete Klageerhebung – Offensichtlich unbegründetes Rechtsmittel“

In der Rechtssache C‑102/12 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 27. Februar 2012,

Stefan Städter, wohnhaft in Berlin (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Kerber,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt am Main (Deutschland),

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Richters A. Rosas in Wahrnehmung der Aufgaben der Präsidentin der Sechsten Kammer sowie der Richter U. Lõhmus und C. G. Fernlund (Berichterstatter),

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: A. Calot Escobar,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgenden

Beschluss

1        Mit seinem Rechtsmittel beantragt Herr Städter die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 16. Dezember 2011, Städter/EZB (T‑532/11, im Folgenden: angefochtener Beschluss), mit dem das Gericht seine Klage auf Nichtigerklärung der Beschlüsse der Europäischen Zentralbank vom 6. Mai 2010, vom 31. März 2011 und vom 7. Juli 2011 über temporäre Maßnahmen hinsichtlich der Notenbankfähigkeit der von der griechischen, der irischen bzw. der portugiesischen Regierung begebenen oder garantierten marktfähigen Schuldtitel (ABl. 2010, L 117, S. 102, ABl. 2011, L 94, S. 33, und ABl. 2011, L 182, S. 31) und auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Zentralbank vom 14. Mai 2010 zur Einführung eines Programms für die Wertpapiermärkte (ABl. L 124, S. 8) (im Folgenden zusammen: streitige Beschlüsse) abgewiesen hat.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und angefochtener Beschluss

2        Da Herr Städter der Auffassung war, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die streitigen Beschlüsse unter Verstoß gegen die Art. 123 AEUV bis 125 AEUV über die Wirtschaftspolitik und insbesondere das an die EZB und die Zentralbanken der Mitgliedstaaten gerichtete Verbot, bestimmte Kredite zu gewähren, erlassen habe, erhob er mit Klageschrift, die am 11. Oktober 2011 bei der Kanzlei des Gerichts einging, Klage auf Nichtigerklärung dieser Beschlüsse.

3        Mit dem angefochtenen Beschluss, der in Anwendung von Art. 111 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangen ist, hat das Gericht die Klage, ohne das Verfahren fortzusetzen, als offensichtlich unzulässig abgewiesen.

4        Das Gericht hat seine Entscheidung auf die für Fristen geltenden Vorschriften des Art. 263 Abs. 6 AEUV und des Art. 102 §§ 1 und 2 seiner Verfahrensordnung gestützt. In der zeitlichen Reihenfolge der streitigen Beschlüsse seien die Klagefristen am 4. August 2010, am 13. August 2010, am 4. Juli 2011 und am 6. Oktober 2011 abgelaufen. In Randnr. 9 des angefochtenen Beschlusses hat das Gericht ausgeführt, dass das Vorbringen von Herrn Städter, wonach die Durchführung der angefochtenen Maßnahmen andauere und sich die „Einzeltransaktionen“ bei ihrer Anwendung mangels Veröffentlichung seiner Kenntnis entzögen, an diesem Ergebnis nichts ändere. Im Übrigen habe Herr Städter die fraglichen Maßnahmen nicht einzeln angegeben.

5        Das Gericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich Herr Städter nicht den Klagefristen entziehen könne, und hat daher seine Klage als offensichtlich unzulässig angesehen. Daher brauchte nach Auffassung des Gerichts über den Streithilfeantrag eines Mitglieds des Europäischen Parlaments nicht entschieden zu werden.

 Zum Rechtsmittel

6        Mit seinem Rechtsmittel beantragt Herr Städter, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und seinen im ersten Rechtszug gestellten Anträgen stattzugeben.

7        Nach Art. 181 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof das Rechtsmittel jederzeit auf Vorschlag des Berichterstatters nach Anhörung des Generalanwalts ohne mündliche Verhandlung durch mit Gründen versehenen Beschluss zurückweisen, wenn es ganz oder teilweise offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist.

8        Herr Städter stützt sein Rechtsmittel auf zwei Gründe. Der erste Rechtsmittelgrund wird aus einem Verstoß gegen die Art. 123 AEUV bis 125 AEUV und die Grundrechte hergeleitet, da das Gericht nicht anerkannt habe, dass die streitigen Beschlüsse gegen diese Artikel und die Grundrechte verstießen. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund wird ein Rechtsfehler geltend gemacht, der darin bestehen soll, dass das Gericht die Rechtsverstöße nicht im Fortsetzungszusammenhang betrachtet und zu Unrecht entschieden habe, dass die Klage verfristet und somit offensichtlich unzulässig sei.

9        Der zweite Rechtsmittelgrund betrifft die Zulässigkeit der Klage. Er ist zuerst zu prüfen.

10      Insoweit hat das Gericht zu Recht darauf hingewiesen, dass die Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 6 AEUV binnen zwei Monaten zu erheben ist; diese Frist läuft je nach Lage des Falles von der Bekanntgabe der betreffenden Handlung, ihrer Mitteilung an den Kläger oder in Ermangelung dessen von dem Zeitpunkt an, zu dem der Kläger von ihr Kenntnis erlangt hat. Das Gericht hat auch zutreffend die Bestimmungen des Art. 102 §§ 1 und 2 seiner Verfahrensordnung angeführt, die den Fristbeginn regeln.

11      Im vorliegenden Fall besteht Einigkeit darüber, dass die streitigen Beschlüsse am 11. Mai 2010, 20. Mai 2010, 8. April 2011 und 12. Juli 2011 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurden und dass die Klagefristen am 4. August 2010, 13. August 2010, 4. Juli 2011 und 6. Oktober 2011 abliefen, während die Klage von Herrn Städter am 11. Oktober 2011 und damit verspätet beim Gericht erhoben wurde.

12      Das Gericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Klagefristen der Wahrung der Rechtssicherheit dienen, indem sie verhindern, dass Handlungen der Union, die Rechtswirkungen entfalten, unbegrenzt in Frage gestellt werden können, und dass das Datum einer etwaigen Veröffentlichung das entscheidende Kriterium für die Bestimmung des Beginns der Klagefrist ist (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 22. Oktober 2010, Seacid/Parlament und Rat, C‑266/10 P, Randnr. 25).

13      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Klagefristen des Art. 263 AEUV zwingendes Recht und stehen nicht zur Disposition der Parteien und des Gerichts (vgl. u. a Urteil vom 23. Januar 1997, Coen, C‑246/95, Slg. 1997, I‑403, Randnr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung, und Beschluss vom 17. Dezember 2010, Platis/Rat und Griechenland, C‑513/10 P, Randnr. 9).

14      Folglich hat das Gericht zutreffend entschieden, dass Herr Städter sich hinsichtlich der Anträge auf Nichtigerklärung der streitigen Beschlüsse als solche nicht mit der Begründung, dass diese Beschlüsse noch Gegenstand von – in seiner Klageschrift nicht näher bezeichneten – Durchführungsmaßnahmen sein würden, der Einhaltung der Klagefristen entziehen kann, die im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Beschlüsse im Amtsblatt der Europäischen Union zu laufen begannen.

15      Daher ist der zweite Rechtsmittelgrund als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen und festzustellen, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, als es die Klage als offensichtlich unzulässig abgewiesen hat.

16      Unter diesen Umständen ist der erste Rechtsmittelgrund, der sich auf die Begründetheit der Klage bezieht, nicht zu prüfen.

17      Nach alledem ist das Rechtsmittel gemäß Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

 Kosten

18      Nach Art. 137 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach ihrem Art. 184 Abs. 2 auf das Rechtsmittelverfahren anzuwenden ist, wird in dem Beschluss, der das Verfahren beendet, über die Kosten entschieden.

19      Da der vorliegende Beschluss ergeht, bevor die Rechtsmittelschrift der anderen Partei des Verfahrens zugestellt worden ist und ihr Kosten entstehen konnten, genügt es, dem Rechtsmittelführer seine eigenen Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) beschlossen:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      Herr Stefan Städter trägt seine eigenen Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.