Language of document : ECLI:EU:C:2018:242

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 12. April 2018(1)

Rechtssache C335/17

Neli Valcheva

gegen

Georgios Babanarakis

(Vorabentscheidungsersuchen des Varhoven kasatsionen sad [Oberstes Kassationsgericht, Bulgarien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 – Geltungsbereich – Begriff ‚Umgangsrecht‘ – Geltung für Großeltern“






I.      Einleitung

1.        Eine Großmutter möchte ein Umgangsrecht mit ihrem Enkel haben. Fällt ein Rechtsstreit, der ein solches Begehren zum Gegenstand hat, unter die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003(2)? Dies ist im Wesentlichen die Frage, die der Varhoven kasatsionen sad (Oberstes Kassationsgericht, Bulgarien) stellt.

2.        Die vorliegende Rechtssache gibt dem Gerichtshof somit Gelegenheit, erstmals über die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 2201/2003 auf ein von Großeltern beantragtes Umgangsrecht zu entscheiden, um festzustellen, ob das Gericht, das für die Entscheidung über die Modalitäten der Wahrnehmung eines solchen Rechts zuständig ist, nach dieser Verordnung oder nach dem internationalen Privatrecht der Mitgliedstaaten ermittelt werden muss. Die Verordnung weist die Zuständigkeit den Gerichten des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Kindes zu und stellt dabei insbesondere auf das Kriterium der räumlichen Nähe ab. Mit der nachfolgenden Untersuchung soll daher festgestellt werden, welches das für das Umgangsrecht zuständige Gericht ist, ohne in materiell-rechtliche Erwägungen einzutreten.

3.        Vor allem kann diese Rechtssache nicht unabhängig von einer grundsätzlichen Frage untersucht werden: der Frage, wie wichtig es für ein Kind ist, persönliche Beziehungen zu seinen Großeltern zu unterhalten, soweit dieser Kontakt seinem Wohl nicht zuwiderläuft. Deshalb ist die Verordnung Nr. 2201/2003 im Bereich der elterlichen Verantwortung unter Berücksichtigung des Grundsatzes des Vorrangs des Kindeswohls auszulegen.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Charta

4.        Art. 7 („Achtung des Privat- und Familienlebens“) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) bestimmt:

„Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.“

5.        Nach Art. 24 Abs. 2 der Charta muss „[b]ei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen … das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein“.

2.      Verordnung Nr. 2201/2003

6.        Im zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003 heißt es: „Auf seiner Tagung in Tampere hat der Europäische Rat den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, der für die Schaffung eines echten europäischen Rechtsraums unabdingbar ist, anerkannt und die Besuchsrechte als Priorität eingestuft.“

7.        Der fünfte Erwägungsgrund dieser Verordnung lautet: „Um die Gleichbehandlung aller Kinder sicherzustellen, gilt diese Verordnung für alle Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, einschließlich der Maßnahmen zum Schutz des Kindes, ohne Rücksicht darauf, ob eine Verbindung zu einem Verfahren in Ehesachen besteht.“

8.        Der zwölfte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003 stellt klar, dass „[d]ie in dieser Verordnung für die elterliche Verantwortung festgelegten Zuständigkeitsvorschriften … dem Wohle des Kindes entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe ausgestaltet [wurden]. Die Zuständigkeit sollte vorzugsweise dem Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes vorbehalten sein, außer in bestimmten Fällen, in denen sich der Aufenthaltsort des Kindes geändert hat oder in denen die Träger der elterlichen Verantwortung etwas anderes vereinbart haben.“

9.        Hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Verordnung Nr. 2201/2003 bestimmt ihr Art. 1:

„(1)      Diese Verordnung gilt, ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit, für Zivilsachen mit folgendem Gegenstand:

а)      die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und die Ungültigerklärung einer Ehe,

b)      die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung.

(2)      Die in Absatz 1 Buchstabe b) genannten Zivilsachen betreffen insbesondere:

а)      das Sorgerecht und das Umgangsrecht,

…“

10.      Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Verordnung sieht in seinen Nrn. 1, 7, 8, 9 und 10 vor:

„1.      ‚Gericht‘ alle Behörden der Mitgliedstaaten, die für Rechtssachen zuständig sind, die gemäß Artikel 1 in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen;

7.      ‚elterliche Verantwortung‘ die gesamten Rechte und Pflichten, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen wurden. Elterliche Verantwortung umfasst insbesondere das Sorge- und das Umgangsrecht;

8.      ‚Träger der elterlichen Verantwortung‘ jede Person, die die elterliche Verantwortung für ein Kind ausübt;

9.      ‚Sorgerecht‘ die Rechte und Pflichten, die mit der Sorge für die Person eines Kindes verbunden sind, insbesondere das Recht auf die Bestimmung des Aufenthaltsortes des Kindes;

10.      ‚Umgangsrecht‘ insbesondere auch das Recht, das Kind für eine begrenzte Zeit an einen anderen Ort als seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort zu bringen“.

11.      Zur allgemeinen Zuständigkeit heißt es in Art. 8 dieser Verordnung wie folgt:

„(1)      Für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(2)      Absatz 1 findet vorbehaltlich der Artikel 9, 10 und 12 Anwendung.“

B.      Bulgarisches Recht

12.      Hinsichtlich des Umgangsrechts von Familienangehörigen sieht Art. 128 des Semeen kodeks (Familiengesetzbuch)vor:

„(1)      Der Großvater und die Großmutter können beim Rayonen sad (Bezirksgericht, Bulgarien) am gegenwärtigen Wohnsitz des Kindes beantragen, dass es Maßnahmen für den Umgang mit ihm bestimmt, wenn dies dem Wohl des Kindes dient. Dieses Recht hat auch das Kind.

(2)      Das Gericht wendet Art. 59 Abs. 8 und 9 entsprechend an.

(3)      Ist der Elternteil, dem das Gericht ein Umgangsrecht eingeräumt hat, wegen Abwesenheit oder Krankheit vorübergehend nicht in der Lage, dieses Recht auszuüben, kann es von der Großmutter oder dem Großvater des Kindes ausgeübt werden.“

13.      Der Zakon za litsata i semeystvoto (Gesetz über die Personen und die Familie) (DV Nr. 182 vom 9. August 1949 in der geänderten, im DV Nr. 120 vom 29. Dezember 2002 erschienenen Fassung) sieht in Art. 4 vor:

„Personen, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet, aber das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind [in der Geschäftsfähigkeit beschränkte] minderjährige Jugendliche.

Sie bedürfen zur Vornahme von Rechtshandlungen der Einwilligung ihrer Eltern oder ihres Vormunds, können jedoch einfache Geschäfte des täglichen Lebens tätigen sowie über selbst erwirtschaftete Mittel verfügen.“

III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, Vorlagefrage und Verfahren vor dem Gerichtshof

14.      Frau Neli Valcheva ist die Mutter von Frau Mariana Koleva und die Großmutter von Christos Babanarakis, der am 8. April 2002 als eheliches Kind von Frau Koleva und Herrn Georgios Babanarakis geboren wurde. Diese Ehe wurde durch ein griechisches Gericht geschieden, das das Sorgerecht für Christos Babanarakis seinem Vater übertrug. Das griechische Gericht bestimmte die Einzelheiten für die Ausübung des Umgangsrechts der Mutter mit dem Kind, einschließlich der Internet- und Telefonkontakte sowie persönlicher Treffen in Griechenland für einige Stunden einmal im Monat.

15.      Nachdem Frau Valcheva geltend gemacht hatte, dass es ihr nicht möglich sei, einen vollwertigen Kontakt mit ihrem Enkel aufrechtzuerhalten, und dass sie die griechischen Behörden ohne Erfolg um Unterstützung gebeten habe, beantragte sie beim Rayonen sad (Bezirksgericht), dass es die Modalitäten für die Ausübung des Umgangsrechts zwischen ihr und ihrem minderjährigen Enkel auf der Grundlage von Art. 128 des Familiengesetzbuchs festlege. Sie beantragte, ihr zu gewähren, dass ihr Enkel sie regelmäßig an einem Wochenende pro Monat besuchen sowie zweimal im Jahr zwei oder drei Wochen seiner Ferien bei ihr verbringen dürfe.

16.      Der Rayonen sad (Bezirksgericht) stellte fest, dass er für die Prüfung des Antrags von Frau Valcheva unzuständig sei. Der Okrazhen sad Burgas (Regionalgericht Burgas, Bulgarien) bestätigte in der Berufung das Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung und stützte dies auf die Verordnung Nr. 2201/2003. Dieses Gericht entschied, dass die Verordnung auf Rechtssachen anwendbar sei, die das Umgangsrecht mit dem Kind für einen erweiterten Familienkreis, einschließlich der Großeltern, beträfen, und dass gemäß Art. 8 dieser Verordnung die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig seien, in dem das Kind zu dem Zeitpunkt, zu dem die Gerichte angerufen worden seien, seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe, d. h. die griechischen Gerichte.

17.      Frau Valcheva legte Kassationsbeschwerde beim Varhoven kasatsionen sad (Oberstes Kassationsgericht) ein. Dieses Gericht führt aus, dass es der Ansicht des Berufungsgerichts zuneige, fügt jedoch hinzu, dass für die Bestimmung des zuständigen Gerichts seines Erachtens nach die Frage entscheidend sei, ob die Verordnung Nr. 2201/2003 für das Umgangsrecht der Großeltern gelte.

18.      Unter diesen Umständen hat der Varhoven kasatsionen sad (Oberstes Kassationsgericht) mit Entscheidung vom 29. Mai 2017, die bei der Kanzlei des Gerichtshofs am 6. Juni 2017 eingegangen ist, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist der in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 2201/2003 verwendete Begriff ‚Umgangsrecht‘ dahin auszulegen, dass er nicht nur den Umgang zwischen den Eltern und dem Kind, sondern auch den Umgang mit anderen [Familienmitgliedern] als den Eltern, nämlich den Großeltern, umfasst?

19.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist den Beteiligten am 6. Juli 2017 zugestellt worden. Der Beschwerdegegnerin im Ausgangsverfahren ist dieses Ersuchen ein zweites Mal am 15. September 2017 zugestellt worden. Den Beteiligten sind für die Abgabe schriftlicher Erklärungen Fristen gewährt worden, die zwischen dem 18. September und 4. Dezember 2017 geendet haben. Das vorlegende Gericht und die Beteiligten wurden bei der Zustellung über die Entscheidung des Gerichtshofs informiert, über das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs mit Vorrang zu entscheiden.

20.      Die Tschechische Republik und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben. Da keiner der Beteiligten einen entsprechenden Antrag gestellt hat, hat der Gerichtshof beschlossen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

IV.    Analyse

21.      In dem Fall, der im Ausgangsverfahren in Rede steht, ist Frau Valcheva, die bulgarische Staatsangehörige ist, Großmutter mütterlicherseits eines minderjährigen Kindes, das am 8. April 2002 geboren wurde(3). Das Kind hat seit der Auflösung der Ehe der Eltern seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Griechenland bei seinem Vater, der griechischer Staatsangehöriger ist. Die Großmutter möchte ein Umgangsrecht für ihren Enkel erhalten.

22.      Da jedoch nach den Angaben des vorlegenden Gerichts das Sorgerecht dem Vater des Kindes zugesprochen wurde, während die Mutter nur über ein Umgangsrecht verfügt, stellt sich die Frage, ob sich ein Großelternteil, der eine persönliche Beziehung zu seinem Enkel aufrechterhalten möchte, für den Antrag auf ein Umgangsrecht auf die Zuständigkeitsregeln der Verordnung Nr. 2201/2003 berufen kann.

A.      Allgemeine Erwägungen

23.      Es erscheint mir zweckmäßig, vor der Prüfung der Vorlagefrage einige allgemeine Erwägungen anzustellen, mit denen sich der Rahmen bestimmen lässt, in den sich die Verordnung Nr. 2201/2003 einfügt. Diese Erwägungen betreffen die Auswirkungen der europäischen Integration auf die Zuständigkeiten der Union im Bereich des internationalen Privatrechts, den sozioökonomischen Kontext dieser Verordnung und den Vorrang des Kindeswohls.

1.      Europäische Integration und internationales Privatrecht

24.      Seit der Veröffentlichung des erläuternden Berichts vom 28. Mai 1998 zum Brüsseler Übereinkommen(4) sind fast 20 Jahre vergangen. Dieser Bericht betonte zu Recht die Notwendigkeit, die Probleme anzugehen, die sich im Familienrecht unter dem Gesichtspunkt der europäischen Integration stellen. In den 1990er Jahren kam der Frage der „Vergemeinschaftung“ des Privatrechts in akademischen Programmen, Forschungsprojekten und Konferenzen an Universitäten ein hoher Rang zu(5). In den an der Akademie für internationales Recht in Den Haag abgehaltenen Veranstaltungen(6) galt das Interesse insbesondere den Ergebnissen dieser Debatten und dieser Überlegung in Bezug auf den Einfluss der Regeln der „Gemeinschaft“ auf das internationale Privatrecht und die Folgen der europäischen Integration für dessen Entwicklung.

25.      Aus ihnen ging u. a. hervor, dass die Entwicklung der Union und ihrer Ziele reale Auswirkungen auf ihre eigenen Zuständigkeiten im Bereich des internationalen Privatrechts hatte. Denn die Rolle des europäischen internationalen Privatrechts, die zunächst angesichts des ursprünglichen Ziels der Schaffung eines gemeinsamen Markts sehr begrenzt war, profitierte von der Einführung eines zweiten Ziels, der Unionsbürgerschaft, mit der die Union über die Grenzen einer einfachen wirtschaftlichen Integration hinausgehen und sich einem Europa der Bürger zuwenden konnte(7). Des Weiteren hat nach dem Vertrag von Amsterdam ein drittes Ziel das Voranschreiten des europäischen Vorhabens gefördert, nämlich die Anerkennung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem die Freizügigkeit gewährleistet ist, der einen Rahmen für die zunehmende Mobilität bildet und der dieser Unionsbürgerschaft einen Inhalt verleiht(8), insbesondere mit dem Recht auf Zugang zur Justiz(9). Dieses für die Ausübung anderer Verfahrens- und Grundrechte zentrale Recht ist meines Erachtens offenkundig wesentlich dafür, dass der Prozess der europäischen Integration für die Unionsbürger in gewissem Maße Wirklichkeit wird, dass in Bereichen wie der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen „schnelle und greifbare Ergebnisse“ erzielt werden können(10).

26.      Dies ist also ganz allgemein der Kontext, in dem die Regeln des europäischen internationalen Privatrechts und insbesondere die Regeln der Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung im Bereich der elterlichen Verantwortung stehen.

2.      Der Wandel der Gesellschaft und die Verordnung Nr. 2201/2003

27.      Ich möchte auch darauf zu sprechen kommen, wie sich die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte auf den Anwendungsbereich der Unionsvorschriften im Bereich der elterlichen Verantwortung ausgewirkt haben. Dadurch wird der Kontext der Verordnung Nr. 2201/2003 besser definiert werden können, um dann die Frage des vorlegenden Gerichts zu prüfen.

28.      Was erstens den gesellschaftlichen Wandel in der Union (und im Allgemeinen in der abendländischen Gesellschaft) betrifft, so haben zum einen wirtschaftliche Veränderungen im Zusammenhang mit der Globalisierung zu tiefgreifenden Änderungen bei den Arbeitsverhältnissen geführt, was u. a. das Phänomen Trennung des Wohnorts und des Arbeitsorts zur Folge hat. In einem Mitgliedstaat zu wohnen und in einem anderen Mitgliedstaat zu arbeiten, ist für einen Teil der Unionsbürger Alltag geworden. Die Situation ist jedoch komplexer in Fällen, in denen Bürger, die in einem Mitgliedstaat ihren Wohnsitz haben, für Rechnung einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft in ein Drittland entsandt werden. Diese Veränderungen haben auch erheblichen Einfluss auf das Familienleben der Unionsbürger.

29.      Zum anderen haben in soziokultureller Hinsicht ebenso tiefgreifende Veränderungen Einfluss auf die Lebensumstände der Bürger: Das Phänomen der Familien, in denen die Mitglieder (Eltern und Kinder) eine doppelte Staatsangehörigkeit oder verschiedene Staatsangehörigkeiten besitzen (ein Phänomen, das eng mit der Freizügigkeit und ganz allgemein der Globalisierung verbunden ist), die außer der Ehe bestehenden verschiedenen Formen der Partnerschaft und des Zusammenlebens, insbesondere die eingetragene Lebenspartnerschaft, neue Familienstrukturen, insbesondere Familien mit nur einem Elternteil, neu zusammengesetzte Familien oder Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern, und neue Formen der Elternschaft gegenüber Kindern aus einer früheren Partnerschaft, Kindern aus künstlicher Fortpflanzung oder adoptierten Kindern sind nur einige Beispiele. Die Diversifizierung der Familienstrukturen ist somit eine Realität in der heutigen Gesellschaft. Einige dieser Erscheinungen sind zwar nicht neu, doch seit den 1960er Jahren haben sich die Veränderungen verstärkt und exponentiell zugenommen. Diese wirtschaftlichen und soziokulturellen Veränderungen, deren vielfältige Auswirkungen sich regelmäßig im Leben der Bürger niederschlagen, machen es erforderlich, in manchen Fällen die den Rechtssystemen zugrunde liegenden Postulate und den Inhalt der Normen dieser Systeme zu überdenken, und verlangen eine Anpassung des Rechts, insbesondere des Unionsrechts (einschließlich des europäischen internationalen Privatrechts).

30.      Zu zweitens konkret die Rückwirkungen der Entwicklung der Gesellschaft auf die Verordnung Nr. 2201/2003 ist festzustellen, dass in Bezug auf Rechtsstreitigkeiten, die Kinder betreffen, die Tragweite dieser Regelung gegenüber dem Brüsseler Übereinkommen vom 28. Mai 1998(11) und der Verordnung Nr. 1347/2000(12) erheblich erweitert ist. Während nämlich die Verordnung Nr. 1347/2000 nur die Zivilverfahren über die elterliche Verantwortung im Hinblick auf gemeinsame Kinder der Ehegatten anlässlich von Verfahren über die Auflösung (Scheidung oder Ungültigerklärung) der Ehe oder die Trennung ohne die Auflösung des Ehebandes(13) betraf, erstreckt sich die Verordnung Nr. 2201/2003 nunmehr ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit auf alle Rechtsstreitigkeiten betreffend die elterliche Verantwortung. Um nämlich die Gleichheit „aller Kinder“ ohne Unterschied zu gewährleisten, wird die Verordnung auf die Situation von einer früheren Beziehung entstammenden Kindern und auf nichteheliche Kinder angewandt, unabhängig davon, ob die elterliche Verantwortung von den Eltern oder einem Dritten ausgeübt wird; dabei werden auch neu zusammengesetzte Familien berücksichtigt.

31.      Trotz der Bemühungen des Unionsgesetzgebers, die Vorschriften über die elterliche Verantwortung dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen, unterliegt dieser Wandel einem viel schnelleren Rhythmus als der Prozess der Rechtsanpassung, und es ist offensichtlich, dass gewisse „Grauzonen“ fortbestehen, für die die Vorschriften keine ausdrückliche Antwort bieten. Die Rechtssache des Ausgangsverfahrens veranschaulicht diese durch den gesellschaftlichen Wandel geschaffenen Grauzonen insbesondere in Bezug auf die persönlichen Beziehungen des Kindes zu anderen Personen, mit denen es rechtlich oder tatsächlich familiär verbunden ist (wie mit dem früheren Ehegatten eines Elternteils, den Geschwistern des Kindes, den Großeltern oder dem Partner eines Elternteils mit elterlicher Verantwortung). Diese Grauzonen können manchmal paradoxe Unsicherheiten hinsichtlich des Bestehens eines Umgangsrechts anderer Personen als der Eltern, im vorliegenden Fall: der Großeltern, hervorrufen.

32.      Ist gerade mit Blick auf die Großeltern diese Unsicherheit indes nicht verwirrend, wenn man bedenkt, dass die persönliche Beziehung zwischen den Großeltern und ihren Enkeln, insbesondere in einer Gesellschaft, die sich in ständigem Wandel befindet, grundsätzlich und vorbehaltlich des Kindeswohls eine wichtige Quelle der Stabilität für die Kinder und ein wichtiger Faktor der Verbindung zwischen den Generationen ist, der zweifellos zur Bildung ihrer eigenen Identität beiträgt?

3.      Der Grundsatz des Vorrangs des Kindeswohls

33.      Ich kann diesen allgemeinen Erwägungen gewidmeten Teil nicht beenden, ohne auf den wichtigsten Grundsatz der Verordnung Nr. 2201/2003 einzugehen: den Vorrang des Kindeswohls.

34.      Dieser Grundsatz ist einer der die Rechtsordnung der Union prägenden Grundsätze(14). Zum einen haben nicht nur alle Mitgliedstaaten das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes(15) ratifiziert, sondern der Gerichtshof hatte außerdem bereits Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass dieses Übereinkommen jeden Mitgliedstaat bindet und dass es zu den völkerrechtlichen Instrumenten zum Schutz der Menschenrechte gehört, denen er bei der Anwendung der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts Rechnung trägt(16). Zum anderen bestimmt Art. 3 Abs. 3 EUV, dass „[d]ie Union … einen Binnenmarkt [errichtet]“, und sieht sodann vor, dass die Union „die soziale Gerechtigkeit …, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes [fördert]“(17).

35.      Die Verordnung Nr. 2201/2003 stützt sich auf den Grundsatz, dass dem Wohl des Kindes eine vorrangige Stellung zukommt und dass seine Rechte gewahrt werden. Nach ihrem 33. Erwägungsgrund zielt sie insbesondere darauf ab, die Wahrung der Grundrechte des Kindes im Sinne des Art. 24 der Charta zu gewährleisten. Dieser Artikel erkennt Kinder als unabhängige und selbständige Rechtsinhaber an, indem er das Kindeswohl als vorrangige Erwägung für staatliche Behörden und private Einrichtungen bestimmt(18). In diesem Zusammenhang ist auch Art. 7 der Charta zur Achtung des Privat- und Familienlebens zu erwähnen.

36.      Was konkret die in der Verordnung Nr. 2201/2003 für die elterliche Verantwortung festgelegten Zuständigkeitsregeln betrifft, so sind diese diesem Grundsatz entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe ausgestaltet. Daher sind die Gerichte des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Kindes am besten geeignet, alle Fragen zu regeln, die die elterliche Verantwortung und mithin das Umgangsrecht betreffen(19). Außerdem kann nach der Verordnung Nr. 2201/2003 das zuständige Gericht den Fall im Interesse des Kindes ausnahmsweise und unter bestimmten Umständen an das Gericht eines anderen Mitgliedstaats verweisen, wenn dieses den Fall besser beurteilen kann(20).

37.      Schließlich hat der Gerichtshof den Vorrang des Kindeswohls als das Prisma bezeichnet, durch das die Vorschriften des Unionsrechts betrachtet werden müssen(21). In seiner Rechtsprechung verweist er auf das Interesse des Kindes am Fortbestand des Familienlebens, das auch durch das in Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistete Grundrecht auf Achtung des Familienlebens geschützt wird(22).

38.      Somit gibt es keinen Zweifel daran, dass der Grundsatz des Vorrangs des Kindeswohls jede teleologische Auslegung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 2201/2003 leiten muss, die, wie das hier der Fall ist, einen Antrag auf das Umgangsrecht der Großeltern betreffen. Ich komme später darauf zurück.

B.      Vorlagefrage

39.      Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Begriff „Umgangsrecht“ in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 2201/2003 dahin auszulegen ist, dass er sich auch auf das Umgangsrecht der Großeltern mit ihren Enkeln erstreckt.

40.      Auch wenn der Begriff „Umgangsrecht“ in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und Art. 2 Nr. 10 der Verordnung ausdrücklich genannt ist, regeln diese Vorschriften nicht ausdrücklich, ob dieses Recht auch das Umgangsrecht anderer Personen abdeckt.

41.      Für die Auslegung dieser Vorschriften ist also nicht nur ihr Wortlaut, sondern es sind auch ihr Kontext und die Ziele, die die Verordnung Nr. 2201/2003 verfolgt, zu berücksichtigen.

42.      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die tschechische Regierung und die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen zum Begriff der elterlichen Verantwortung und zur Zielsetzung der Verordnung Nr. 2201/2003 insbesondere auf der Grundlage des Wortlauts dieser Verordnung den Standpunkt vertreten haben, dass die Verordnung für das Umgangsrecht der Großeltern gelte. Das vorlegende Gericht scheint in seiner Vorlageentscheidung diese Auffassung zu teilen(23).

1.      Der Wortlaut und die Systematik der Vorschriften der Verordnung Nr. 2201/2003

43.      Zur elterlichen Verantwortung stellt Art. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 klar, dass diese Verordnung ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit für folgende Bereiche gilt: „die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung“. Um den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2201/2003 angemessen festlegen zu können(24), musste der Unionsgesetzgeber den Begriff der elterlichen Verantwortung präzisieren. Dieser Begriff war nämlich weder im Brüsseler Übereinkommen von 1998(25) noch in der Verordnung Nr. 1347/2000 definiert. Der Gesetzgeber hat sich daher für eine einheitliche Definition der elterlichen Verantwortung entschieden(26). Dieser Begriff wird in Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 2201/2003 definiert. Ich erinnere daran, dass die elterliche Verantwortung in Art. 2 Nr. 7 dieser Verordnung definiert wird als „die gesamten Rechte und Pflichten, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen wurden“. Somit können sowohl natürliche als auch juristische Personen Träger der elterlichen Verantwortung sein(27). Ferner umfasst der Begriff der elterlichen Verantwortung „insbesondere“ das Sorge- und das Umgangsrecht, was bedeutet, dass sie in diese zwei Teile aufgeteilt werden kann(28). Daher können im Sinne der Verordnung Nr. 2201/2003 sowohl die Inhaber des Sorgerechts als auch die Inhaber des Umgangsrechts im nationalen Recht Träger der elterlichen Verantwortung sein, welche insbesondere diese beiden Rechte umfasst(29).

44.      Was das Umgangsrecht im Sinne von Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 2201/2003 betrifft, so ist dieses definiert als „das Recht, das Kind für eine begrenzte Zeit an einen anderen Ort als seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort zu bringen“. Diese Definition enthält somit nur einen Teil des Inhalts des Umgangsrechts, ohne auf die Personen hinzuweisen, die Inhaber dieses Rechts sein können(30).

45.      Art. 2 Nr. 8 der Verordnung Nr. 2201/2003 definiert den Träger der elterlichen Verantwortung als „jede Person, die die elterliche Verantwortung ausübt“(31).

46.      Art. 2 Nrn. 7, 8 und 10 der Verordnung Nr. 2201/2003 sind nach meinem Dafürhalten so zu verstehen, dass der Unionsgesetzgeber absichtlich weite Definitionen verwendet hat, um eine Vielzahl von Fällen zu erfassen. Diese Absicht ergibt sich aus dem Gebrauch allgemeiner Formulierungen wie „die gesamten Rechte und Pflichten“, „jede Person“ sowie dem Adverb „insbesondere“. Besonders die Verwendung dieses Adverbs in der Definition des Begriffs des Umgangsrechts in Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 2201/2003 zeugt meiner Ansicht nach vom Willen des Unionsgesetzgebers, eine weite Definition dieses Rechts zu verwenden.

47.      Wenn folglich der Begriff der elterlichen Verantwortung unter Berücksichtigung von Art. 2 Nrn. 7 und 8 der Verordnung Nr. 2201/2003 jede natürliche oder juristische Person erfasst, die ein Umgangsrecht hat – wobei auch dieses in Art. 2 Nr. 10 der Verordnung weit definiert wird – ist es meines Erachtens klar, dass sowohl die elterliche Verantwortung (als globaler Begriff) als auch das Umgangsrecht (als Element dieses globalen Begriffs) für die Zwecke dieser Verordnung jeder natürlichen oder juristischen Person zustehen können(32).

48.      Es ergibt sich zwar aus der Definition des Begriffs der elterlichen Verantwortung in Nr. 7 dieses Artikels, dass das Umgangsrecht nur ein Teil der elterlichen Verantwortung ist(33). Insbesondere in einer Situation wie derjenigen der Rechtssache im Ausgangsverfahren, in der die elterliche Verantwortung nach nationalem Recht gemeinsam von den Eltern ausgeübt wird, verfügt nur ein Elternteil (im vorliegenden Fall der Vater) über das Sorgerecht, während der andere Elternteil (im vorliegenden Fall die Mutter) normalerweise ein Umgangsrecht besitzt. Beantragt ein Dritter ein Umgangsrecht, stellt sich in diesem Zusammenhang für die Ermittlung der gerichtlichen Zuständigkeit die Frage, ob die Verordnung Nr. 2201/2003 auch ein anderes Umgangsrecht als dasjenige abdeckt, das vom nationalen Recht einem der beiden Elternteile (im vorliegenden Fall der Mutter) zuerkannt wurde, und ob demnach die Ausübung dieses Rechts auch von Dritten, wie den Großeltern, beantragt werden kann.

49.      Zur Beantwortung dieser Frage ist daran zu erinnern, dass sich aus dem Wortlaut und der Systematik der Vorschriften der Verordnung Nr. 2201/2003 ergibt, dass der Wille des Unionsgesetzgebers dahin ging, eine möglichst große Zahl von Modalitäten abzudecken, die dem Kind erlauben, persönliche Beziehungen nicht nur mit seinen Eltern zu unterhalten, sondern auch mit anderen Familienmitgliedern oder nahestehenden Personen(34). Ich meine, dass weder die geprüften Definitionen noch ihr Kontext dem entgegenstehen, dass eine Großmutter sich auf die Zuständigkeitsregeln der Verordnung berufen kann, um ein Umgangsrecht zu beantragen.

50.      Es ist zu überprüfen, ob diese Auslegung auch vom Zweck der Vorschriften der Verordnung Nr. 2201/2003 getragen wird.

2.      Die teleologische Auslegung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 2201/2003

51.      Auch die Auslegung unter Berücksichtigung der Ziele der Verordnung Nr. 2201/2003 bestätigt die Anwendung dieser Verordnung auf das Umgangsrecht der Großeltern.

52.      Ich erinnere zunächst daran, dass es ein Ziel der Verordnung Nr. 2201/2003 ist, die gegenseitige Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen zu fördern. Dies ist dem zweiten Erwägungsgrund dieser Verordnung zu entnehmen, in dem betont wird, dass diese gegenseitige Anerkennung „für die Schaffung eines echten europäischen Rechtsraums unabdingbar ist“(35). Deshalb „sollten die Anerkennung und Vollstreckung der in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen … auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruhen und die Gründe für die Nichtanerkennung auf das notwendige Minimum beschränkt sein“, wie im 21. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003 ausgeführt wird. Weiter ergibt sich aus dem zweiten Erwägungsgrund, dass der Unionsgesetzgeber das Umgangsrecht als Priorität einstuft.

53.      Zur Sicherstellung der Gleichbehandlung aller Kinder führt sodann der fünfte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003 aus, dass diese für alle Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, einschließlich der Maßnahmen zum Schutz des Kindes, gilt, ohne Rücksicht darauf, ob eine Verbindung zu einem Verfahren in Ehesachen besteht(36). Wie sich aus der Prüfung von Art. 2 Nrn. 7, 8 und 10 ergibt, enthält die Verordnung Nr. 2201/2003 einen weiten Begriff der Träger der elterlichen Verantwortung, der nicht nur jede natürliche Person, die die elterliche Verantwortung gegenüber einem Kind ausübt, sondern auch Dritte und juristische Personen wie Kinderschutzbehörden umfasst.

54.      Schließlich sind, wie bereits aus den Nrn. 35 bis 37 der vorliegenden Schlussanträge hervorgeht, die Vorschriften der Verordnung Nr. 2201/2003 im Bereich der elterlichen Verantwortung und insbesondere ihre Zuständigkeitsregeln nicht nach Maßgabe des Interesses des Antragstellers, sondern des Wohls des Kindes und insbesondere nach Maßgabe des Kriteriums der räumlichen Nähe(37) ausgestaltet – und müssen infolgedessen dementsprechend ausgelegt werden. Daher ist die teleologische Auslegung der Verordnung Nr. 2201/2003 im Licht des Vorrangs des Kindeswohls als leitenden Grundsatzes, der sowohl in den Erwägungsgründen als auch in den Vorschriften verankert ist, vorzunehmen(38).

55.      Zu welchem Schluss können wir unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen bei der Prüfung der Ziele der Verordnung Nr. 2201/2003 kommen?

56.      Die Antwort ist meines Erachtens nun offensichtlich. Es gibt zwar keine besonderen Vorschriften, die auf eine Situation wie die in der Rechtssache des Ausgangsverfahrens, in der ein Großelternteil, der ein Umgangsrecht mit seinem Enkel fordert, anwendbar sind. Nach meinem Dafürhalten gibt es aber gleichwohl keinen rechtsfreien Raum. Den Zielen der Verordnung Nr. 2201/2003 ist nämlich ganz eindeutig zu entnehmen, dass es durch nichts gerechtfertigt ist, das Umgangsrecht vom Anwendungsbereich dieser Verordnung auszuschließen, wenn es sich bei der Person, die das Umgangsrecht beantragt, zwar nicht um einen Elternteil handelt, diese Person aber eine rechtliche oder tatsächliche familiäre Bindung zu dem Kind hat, wie dies hier der Fall ist. Im Übrigen könnte die Anerkennung eines Umgangsrechts einer anderen Person als der Eltern in deren Rechte und Pflichten eingreifen (im vorliegenden Fall in das Sorgerecht des Vaters und das Umgangsrecht der Mutter). Zur Vermeidung sich widersprechender Maßnahmen und zum Schutz des Kindeswohls sollte dasselbe Gericht, nämlich das Gericht des gewöhnlichen Aufenthalts, über die Umgangsrechte entscheiden(39).

57.      In diesem Sinne bin ich mit dem Vorbringen der Kommission einverstanden, wonach, wenn die von anderen Personen als den Eltern gestellten Anträge auf ein Umgangsrecht vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2201/2003 ausgeschlossen werden müssten, sich die gerichtliche Zuständigkeit für diese Anträge nach den nicht harmonisierten nationalen Regeln richten würde. Die Gefahr, das Kind einem Rechtsstreit vor einem Gericht auszusetzen, mit dem es keine enge Verbindung hat, und die Gefahr paralleler Verfahren sowie unvereinbarer Entscheidungen würden zunehmen, was dem Zweck der Verordnung Nr. 2201/2003, die einheitliche Zuständigkeitsregeln errichten soll, die in den Gerichtsverfahren den Grundsatz der räumlichen Nähe beachten, widersprechen würde.

58.      Aus den Nrn. 43 bis 57 der vorliegenden Schlussanträge folgt, dass eine Auslegung der Vorschriften der Verordnung Nr. 2201/2003, nach der diese Verordnung für ein von einem Großelternteil beantragtes Umgangsrecht gilt, dem vom Unionsgesetzgeber im Rahmen dieser Verordnung verfolgten Ziel nicht zuwiderläuft.

59.      Wie ich nachfolgend ausführen werde, wird diese Auslegung auch durch die Geschichte der Verordnung Nr. 2201/2003 gestützt.

3.      Die historische Auslegung der Verordnung Nr. 2201/2003

60.      Bevor ich eine Antwort auf die Frage des vorlegenden Gerichts vorschlage, erscheint es mir angebracht, nicht nur den historischen Rahmen der Verordnung Nr. 2201/2003 zu untersuchen, sondern auch die dieser Verordnung vorausgehenden Rechtsvorschriften.

a)      Die Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 2201/2003

61.      Hinsichtlich der Vorarbeiten ist erstens darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus den Nrn. 30 und 43 der vorliegenden Schlussanträge ergibt, der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1347/2000, der Vorläuferin der Verordnung Nr. 2201/2003, hinsichtlich der elterlichen Verantwortung auf Rechtsstreitigkeiten, die die Eltern betrafen, beschränkt war. Diese Beschränkung galt auch für Verfahren, die das Umgangsrecht betrafen (Umgangsrecht eines Elternteils).

62.      Im Jahr 2000 legte die Französische Republik in Anbetracht der großen Zahl von Familienstreitigkeiten, die den Umstand betrafen, dass es einem Elternteil nicht möglich war, sein Umgangsrecht in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, eine Initiative für den Erlass einer Verordnung des Rates über die gegenseitige Vollstreckung von Entscheidungen über das Umgangsrecht vor(40). Bei der Prüfung dieser Initiative stellte der Rat der Union fest, dass diese ohne eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Verordnung Nr. 1347/2000 nicht fortgeführt werden könne. Auf diese Weise sollte die Gleichbehandlung aller Kinder gewährleistet und sozialen Gegebenheiten wie der Herausbildung alternativer Familienstrukturen Rechnung getragen werden(41).

63.      Im Jahr 2001, während der Ausarbeitung des Vorschlags der Kommission für eine Verordnung über die elterliche Verantwortung, veröffentlichte diese eine Arbeitsunterlage, der ganz deutlich zu entnehmen war, dass darin ein erheblich weiteres Umgangsrecht vorgesehen werden sollte, als es in der Verordnung Nr. 1347/2000 enthalten war(42). In dieser Arbeitsunterlage wies die Kommission darauf hin, dass „[sich i]m Unterschied zu der Verordnung [Nr. 1347/2000], die das Umgangsrecht dem innerstaatlichen Recht überlässt, … die neue Regelung, so wurde vorgeschlagen, auch des Umgangsrechts annehmen und beispielsweise vorschreiben [sollte], dass Mitglieder der früheren Familie des Kindes (z. B. der frühere Ehepartner eines Elternteils) umgangsberechtigt sind oder das Umgangsrecht beantragen können“(43). Die Kommission führte in dem Dokument weiter aus, dass diese Überlegungen zur Stellung des Kindes im Verfahren und zum Umgangsrecht als Bedingungen formuliert werden könnten, die eine Entscheidung erfüllen müsste, um in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt zu werden. Im Übrigen wies sie in demselben Dokument darauf hin, dass, würden entsprechende Bestimmungen vorgesehen, die Gefahr bestünde, dass der Anerkennungsmitgliedstaat versucht sein könnte, die Entscheidung inhaltlich nachzuprüfen, was dem Ziel der gegenseitigen Anerkennung völlig zuwiderliefe. Die Kommission war deshalb zu dem Schluss gekommen, dass mit einer Ausdehnung des neuen Rechtsinstruments auf alle Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, „unabhängig von ihrem Gegenstand, von den betroffenen Kindern oder den Personen, die [das Sorgerecht oder das Umgangsrecht] wahrnehmen“, dem Mandat des Rates in Bezug auf dieses neue Instrument am besten entsprochen und die erste Stufe des Maßnahmenprogramms zur Umsetzung der gegenseitigen Anerkennung, deren Ziel die Abschaffung des Exequaturverfahrens sei, verwirklicht würde(44).

64.      In ihren schriftlichen Erklärungen betont die Kommission, dass die Arbeitsunterlage sich auch auf das Europäische Übereinkommen über das Umgangsrecht beziehe(45). Sie erklärt, dass dieser Entwurf das Recht des Kindes auf Umgang nicht nur mit seinen Eltern, sondern auch mit anderen Personen, zu denen es familiäre Bindungen habe und wie das bei den Großeltern der Fall sei, anerkenne(46).

65.      Meiner Meinung nach ergibt sich aus den Nrn. 61 bis 63 der vorliegenden Schlussanträge eindeutig, dass die Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 2201/2003 bestätigen, dass der Unionsgesetzgeber den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1347/2000, der auf Rechtsstreitigkeiten der Eltern beschränkt war, ausweiten wollte. Dieser Wille wird dadurch untermauert, dass diese Arbeiten ganz eindeutig alle Entscheidungen zur elterlichen Verantwortung und mithin zum Umgangsrecht unabhängig von den es ausübenden Personen ins Auge fassten, und zwar ohne Ausschluss der Großeltern.

b)      Das Haager Übereinkommen von 1996

66.      Es ist anzumerken, dass die Vorschriften der Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit im Bereich der elterlichen Verantwortung in großem Umfang dem Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 nachgebildet wurden(47). Die Verordnung Nr. 2201/2003 richtet sich nach dem in diesem Übereinkommen verankerten Grundsatz einer einzigen Zuständigkeit(48), nämlich der der Behörden des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Kindes(49).

67.      Art. 3 des Haager Übereinkommens von 1996 bestimmt die Maßnahmen, die in seinen Anwendungsbereich fallen. Zu diesen Maßnahmen zählen insbesondere die zur elterlichen Verantwortung und die zum Umgangsrecht(50). Die Verordnung Nr. 2201/2003 hat die Definition der elterlichen Verantwortung des Haager Übereinkommens von 1996 in Art. 2 Nr. 7 übernommen, doch in dieser Definition(51) wird, anders als in der Definition der elterlichen Verantwortung in der Verordnung Nr. 2201/2003, das Umgangsrecht nicht ausdrücklich erwähnt. Dieses Schweigen lässt grundsätzlich die Annahme zu, dass im Rahmen dieses Übereinkommens der Inhaber des Umgangsrechts nicht zwangsläufig der Träger der elterlichen Verantwortung ist(52).

68.      Die Definition des Umgangsrechts in Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 2201/2003 wurde identisch zu der im Haager Übereinkommen von 1996 formuliert(53). Der Lagarde-Bericht schweigt jedoch zu der Frage, ob von anderen Personen als den Eltern, insbesondere von den Großeltern, gestellte Anträge auf ein Umgangsrecht in den Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens von 1996 fallen.

69.      In den späteren Regeln, die von den Mitgliedstaaten der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht erlassen wurden, wird jedoch ausgeführt, dass die Bedeutung, die der Aufrechterhaltung persönlicher Beziehungen des Kindes mit anderen Personen, zu denen es familiäre Bindungen hat, zukommt, weitgehend anerkannt ist, und es wird in ihnen klargestellt, dass „weder das Haager Übereinkommen von 1980 noch das Haager Übereinkommen von 1996 das Umgangsrecht auf das zwischen Eltern und Kindern bestehende Umgangsrecht beschränkt“(54).

70.      Unter Berücksichtigung all dieser Gesichtspunkte und insbesondere des Vorrangs des Kindeswohls als Leitprinzip für jede Auslegung der Verordnung Nr. 2201/2003 im Bereich der elterlichen Verantwortung bin ich überzeugt, dass diese Verordnung auch auf einen Antrag der Großeltern auf ein Umgangsrecht anwendbar ist.

4.      Andere völkerrechtliche Instrumente betreffend persönliche Beziehungen zu Kindern

71.      Die weite Auslegung des Umgangsrechts ist nicht auf die Verordnung Nr. 2201/2003 beschränkt. Andere völkerrechtliche Instrumente betreffend persönliche Beziehungen zu Kindern sehen nämlich einen weiten Begriff des Umgangsrechts vor.

72.      Insoweit bemerke ich erstens, dass das Übereinkommen über den Umgang von und mit Kindern in Art. 5 Abs. 1 bestimmt, dass „[z]wischen einem Kind und Personen, die nicht seine Eltern sind, aber gleichwohl familiäre Bindungen zu ihm haben, … Umgang aufgenommen werden [kann], soweit dies dem Wohl des Kindes dient“(55). Art. 2 Buchst. d dieses Übereinkommens definiert „familiäre Bindungen“ als „eine enge Beziehung wie die zwischen einem Kind und seinen Großeltern oder Geschwistern, die auf dem Gesetz oder einer faktischen familiären Beziehung beruht“.

73.      Hierzu führt der erläuternde Bericht zu diesem Übereinkommen zunächst aus, dass die Bestimmung der Personen, mit denen das Kind – neben seinen Eltern – Umgang unterhalten kann, soweit dem das Wohl des Kindes nicht entgegensteht, von „zentraler Bedeutung“ ist(56). Dann hebt er hervor, dass in einigen Mitgliedstaaten die Rechtsvorschriften dahin gehen, den Kreis der Personen auszuweiten, die Umgang mit einem Kind haben oder beantragen können. Er weist darauf hin, „in [manchen von diesen] Rechtsvorschriften Großeltern das Recht auf Umgang mit dem Kind gewährt wird, wohingegen ihnen in anderen nur das Recht, den Umgang zu beantragen, zuerkannt wird“(57). Schließlich wird in diesem Bericht festgestellt, dass die Rechtsprechung zur EMRK anerkannt hat, dass der Schutz von Art. 8 EMRK die Aufrechterhaltung des Umgangs zwischen einem Großelternteil und seinem Enkel erfasst(58).

74.      Somit ist zweitens darauf hinzuweisen, dass in Art. 8 der EMRK anerkannt ist, dass „[j]ede Person … das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens [hat]“. Wie ich bereits in der vorhergehenden Nummer ausgeführt habe, hat der EGMR entschieden, dass „die Bindungen zwischen Großeltern und Enkeln zu den Familienbanden im Sinne von Art. 8 der Konvention gehören“(59). Insbesondere in einer Rechtssache, die die Aussetzung der elterlichen Verantwortung der Eltern betrifft, hat der EGMR entschieden, dass „nicht bestritten wird, dass die Fragen betreffend Bindungen zwischen der Großmutter und ihren Enkeln durch Art. 8 der Konvention gedeckt sind“. Der EGMR hat im Übrigen daran erinnert, „dass ‚Familienleben‘ im Sinne von Art. 8 zumindest die Beziehungen zwischen nahen Verwandten, denen eine bedeutende Rolle zukommen kann, beispielsweise zwischen Großeltern und Enkeln, umfasst. Die ‚Achtung‘ des so verstandenen Familienlebens bedeutet für den Staat die Verpflichtung, so zu handeln, dass eine normale Entwicklung dieser Beziehungen möglich ist“(60).

75.      Meines Erachtens ergibt sich aus den Nrn. 43 bis 74 der vorliegenden Schlussanträge, dass die grammatikalische, die teleologische, die systematische und die historische Analyse der Vorschriften der Verordnung Nr. 2201/2003 die Annahme stützen, dass die Zuständigkeitsregel des Art. 8 dieser Verordnung auch für einen Antrag auf Ausübung des Umgangsrechts gilt, den andere Personen als die Eltern, insbesondere andere Personen, die rechtlich oder faktisch Familienmitglieder sind, stellen.

76.      Folglich bin ich der Meinung, dass auf die Vorlagefrage zu antworten ist, dass der Begriff „Umgangsrecht“ in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und Art. 2 Nr. 10 der Verordnung Nr. 2201/2003 dahin auszulegen ist, dass er auch das Umgangsrecht der Großeltern gegenüber ihren Enkeln erfasst.

C.      Schlussbemerkungen

77.      Wie ich in den vorstehenden Ausführungen dargelegt habe, folgt nicht nur aus dem Wortlaut, den Zielen und der Systematik, sondern auch aus der Entstehungsgeschichte der Verordnung Nr. 2201/2003, dass diese Verordnung sich auch auf einen Antrag der Großeltern betreffend das Umgangsrecht erstreckt.

78.      Aus meiner Untersuchung folgt auch, dass die Verordnung Nr. 2201/2003 andere Personen als die Eltern, die rechtliche oder tatsächliche familiäre Bindungen mit dem Kind haben (insbesondere Geschwister oder der frühere Ehegatte oder der frühere Partner eines Elternteiles), vom Begriff des Umgangsrechts nicht ausschließt. Unter Berücksichtigung des ständigen Wandels unserer Gesellschaft und des Bestehens neuer Formen von Familienstrukturen könnten sich hinsichtlich der Personen, die von der Ausübung des Umgangsrechts im Sinne der Verordnung Nr. 2201/2003 erfasst sind, zahlreiche Möglichkeiten ergeben(61). Der Fall des früheren Partners des Elternteils, der Träger der elterlichen Verantwortung ist, und folglich die Eltern dieses früheren Partners, – die von dem Kind als Großeltern angesehen werden – oder der Fall einer Tante oder eines Onkels, die bei einer vorübergehenden Abwesenheit eines oder beider Elternteile beauftragt sind, sich um das Kind zu kümmern, sind nur einige Beispiele, mit denen sich der Gerichtshof im Rahmen der Auslegung dieser Verordnung möglicherweise konfrontiert sehen könnte(62).

79.      Die Verordnung Nr. 2201/2003 betrifft zwar nur die Regeln über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, insbesondere zur elterlichen Verantwortung. Somit ist in diesem Stadium der Entwicklung des Unionsrechts die Frage, welchen Personen ein Umgangsrecht zuzuerkennen sein wird, eine Frage des nationalen Rechts. Deshalb ist es umso wichtiger, eine einzige und gleichlautende Zuständigkeitsregel zu haben, nämlich die der Behörden des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Kindes, um die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, die in unterschiedlichen Mitgliedstaaten getroffen wurden, sicherzustellen.

V.      Ergebnis

80.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Varhoven kasatsionen sad (Oberstes Kassationsgericht, Bulgarien) zu antworten:

Der Begriff „Umgangsrecht“ in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a und Art. 2 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 ist dahin auszulegen, dass er auch das Umgangsrecht der Großeltern gegenüber ihren Enkeln erfasst.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338, S. 1).


3      Das vorlegende Gericht erläutert, dass im bulgarischen Recht zwischen „Kindern“ unter 14 Jahren („maloletni“) und „Jugendlichen“ zwischen 14 und 18 Jahren unterschieden werde („nepalnoletni“, wörtlich „Nichtvolljährige“, die beschränkt geschäftsfähig sind). Insoweit ist zu präzisieren, dass die Verordnung Nr. 2201/2003 für alle „Kinder“ ohne Unterschied gilt und dass keine Altersgrenze festgelegt wurde. Nach dem Schrifttum ist „angesichts dieses Fehlens einer Regelung und mangels einer selbständigen gemeinschaftlichen Bestimmung des Begriffs ‚Kind‘ … das nationale Recht für die Frage heranzuziehen, bis zu welchem Alter von einem Kind auszugehen ist“, vgl. Corneloup, S., „Les règles de compétence relatives à la responsabilité parentale“, Le nouveau droit communautaire du divorce et de la responsabilité parentale, Actes du colloque organisé les 7 et 8 avril 2005 par le Centre de droit de la famille de l’université Lyon III, Dalloz, 2005, S. 69 bis 84.


4      Rechtsakte des Rates vom 28. Mai 1998 über die Ausarbeitung des Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen (ABl. 1998, C 221, S. 1) (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen von 1998). Erläuternder Bericht zu dem Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrages über die Europäische Union über die Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen, erstellt von Frau Alegría Borrás, Professorin für internationales Privatrecht an der Universität Barcelona (ABl. 1998, C 221, S. 27, im Folgenden: Borrás-Bericht).


5      Vgl. insbesondere von Hoffman, B. (Hrsg.), European Private International Law, Nijmegen, 1998, S. 13 bis 37; Kohler, C. „Interrogations sur les sources du droit international privé après le Traité d’Amsterdam“, Revue critique de droit international privé, 1999, Nr. 1, S. 1.


6      Vgl. insbesondere Struycken, A. V. M., „Les conséquences de l’intégration européenne sur le développement du droit international privé“, Recueil des cours, Bd. 232, 1992, S. 256 bis 383; Fallon, M., „Les conflits de lois et de juridictions dans un espace économique intégré. L’expérience de la Communauté européenne“, Recueil des cours, Bd. 253, 1995, S. 9 bis 290, und Borrás, A., „Le droit international privé communautaire: réalités, problèmes et perspectives d’avenir“, Recueil des Cours, Bd. 317, 2005, S. 313 bis 516.


7      Vgl. in diesem Sinne Borrás, A., a. a. O., S. 333 bis 369. Siehe auch Borrás-Bericht, S. 28: „Die europäische Integration hatte anfänglich einen im wesentlichen wirtschaftlichen Charakter, weshalb auch die geschaffenen Rechtsinstrumente auf diese Art der Integration ausgerichtet waren. Diese Situation hat sich jedoch in neuerer Zeit grundlegend gewandelt, so dass die Integration heutzutage nicht nur den Wirtschaftsbereich, sondern in fortschreitendem und immer tiefgreifenderem Maße das tägliche Leben des europäischen Bürgers betrifft.“


8      Der erste Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003 weist wie folgt auf dieses Ziel der Union hin: „Die Europäische Gemeinschaft hat sich die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zum Ziel gesetzt, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist.“


9      Hinsichtlich des Zugangs von Kindern zur Justiz und insbesondere zu dem Recht, in grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten Kontakt zu beiden Elternteilen zu unterhalten, ist die Richtlinie über den Zugang zum Recht von besonderer Bedeutung: Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (ABl. 2003, L 26, S. 41).


10      Vgl. in diesem Sinne Borrás, A., a. a. O., S. 369. Vgl. auch Lagarde, P., „En guise de synthèse“, Quelle architecture pour un code européen de droit international privé, Fallon, M., Lagarde, P., und Poillot-Peruzzetto (Hrsg.), Peter Lang, 2011, S. 365 bis 388, S. 366: „Aus dem Blickwinkel des internationalen Privatrechts bedeutet das, dass der beabsichtigte Kodex sich nicht mehr auf die Regeln, die im wirtschaftlichen Bereich die Ausübung der vier großen Vertragsfreiheiten garantieren, beschränken darf. Er muss dem Unionsbürger die Freizügigkeit in der Union nicht nur für seine wirtschaftliche Tätigkeit gewährleisten, sondern auch dann, wenn er innerhalb der Union reist, jede Garantie der Sicherheit und des Rechts verbürgen, und zwar unabhängig vom Grund des Reisens.“


11      Dieses Übereinkommen ist niemals in Kraft getreten, da es im Anschluss an die „Vergemeinschaftung“ der gerichtlichen Zusammenarbeit in Zivilsachen durch die Verschiebung aus dem einschlägigen Kapitel der früheren dritten Säule in die erste Säule (dritter Teil, Titel IV des EG-Vertrags) mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam am 1. Mai 1999 durch die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (ABl. 2000, L 160, S. 19) ersetzt wurde.


12      Der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1347/2000 ist seit ihrem Erlass als sehr begrenzt angesehen worden. Zu den positiven und negativen Aspekten dieser Verordnung vgl. Borrás, A., „Le règlement n° 1347/2000 sur la compétence, la reconnaissance et l’exécution des décisions en matière matrimoniale et en matière de responsabilité parentale des enfants communs“, Petites affiches, 2002, Nr. 248, S. 12. Die „chaotische und rasche Abfolge von Texten allein im Bereich von Trennung und elterlicher Verantwortlichkeit“ erklärt sich u. a. durch das Bestehen unterschiedlicher nationaler Traditionen, deren Unterschiedlichkeit ausgeprägter und sensibler ist als im Bereich des Vermögens, vgl. Ancel, B., und Muir Watt, H., „L’intérêt supérieur de l’enfant dans le concert des juridictions: le règlement Bruxelles II bis“, Revue critique de droit international privé, 2005, Nr. 94 (4), S. 569 bis 586.


13      Mit anderen Worten, die Verordnung Nr. 1347/2000 galt weder für Kinder, die außerhalb einer sich in einer Krise befindenden Ehe geboren wurden, noch für den Schutz von Kindern eines Paares, das außerhalb einer Ehekrise stand. Borrás, A., S. 12. Zur Verordnung Nr. 1347/2000 vgl. insbesondere Gaudemet-Tallon, H., „Le règlement n° 1347/2000 …“, Journal de droit international, 2001, S. 381.


14      Für einen Überblick über die Rechtsvorschriften der Union zum Recht des Kindes, vgl. Europäische Kommission, GD Justiz, EU acquis and policy documents on the rights of the child, Dezember 2015, S. 1 bis 83. Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Chavez-Vilchez u. a. (C‑133/15, EU:C:2016:659, Nr. 42).


15      In New York am 20. November 1989 geschlossenes Übereinkommen. Dieser Art. 3 sieht in Abs. 1 vor, dass „[b]ei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel, ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, … das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt [ist], der vorrangig zu berücksichtigen ist“.


16      Vgl. Urteil vom 27. Juni 2006, Parlament/Rat (C‑540/03, EU:C:2006:429, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).


17      Der Schutz der Rechte des Kindes ist auch ein wichtiger Aspekt der Außenpolitik der Union. Vgl. Art. 5 Abs. 5 EUV.


18      Art. 24 der Charta nennt drei grundlegende Prinzipien der Rechte des Kindes: Das Recht, ihre Meinung entsprechend ihrem Alter und ihrem Reifegrad frei zu äußern (Art. 24 Abs. 1), das Recht, dass bei allen sie betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen und privater Einrichtungen ihr Wohl eine vorrangige Erwägung ist (Art. 24 Abs. 2), und das Recht auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht ihrem Wohl entgegen (Art. 24 Abs. 3).


19      Siehe den zwölften Erwägungsgrund und Art. 8 der Verordnung Nr. 2201/2003.


20      Siehe den 13. Erwägungsgrund und Art. 15 der Verordnung Nr. 2201/2003. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass diese Verordnung der Anhörung des Kindes besondere Beachtung schenkt. Vgl. insoweit den 19. Erwägungsgrund, Art. 41 Abs. 2 Buchst. c und Art. 42 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 2201/2003.


21      Vgl. zur Verordnung Nr. 2201/2003 insbesondere Urteile vom 11. Juli 2008, Rinau (C‑195/08 PPU, EU:C:2008:406, Rn. 48 und 51), und vom 2. April 2009, A (C‑523/07, EU:C:2009:225, Rn. 61 und 64). Vgl. auch Stellungnahme der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Rinau (C‑195/08 PPU, EU:C:2008:377, Nr. 20). Siehe ferner Urteil vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 66, 81 und 85), und Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in den Rechtssachen Rendón Marín und CS (C‑165/14 und C‑304/14, EU:C:2016:75, Nr. 174).


22      Am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK).


23      Das vorlegende Gericht führt nämlich in Nr. 5.3 der Vorlageentscheidung aus: „selbst wenn sich diese Schlussfolgerung nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Verordnung … ergibt, kann sie aus der allgemeinen Systematik, dem Inhalt und dem Ziel der Verordnung entnommen werden“.


24      Vgl. Nr. 30 der vorliegenden Schlussanträge.


25      Hinsichtlich des Begriffs der elterlichen Verantwortung im Brüsseler Übereinkommen von 1998 wies der Borrás-Bericht darauf hin, dass dieser Begriff „in der Rechtsordnung des Mitgliedstaats, in dem diese Verantwortung geprüft wird, definiert sein muss“. Daher wurden in diesem Übereinkommen die Rechte und Pflichten der Eltern durch das nationale Recht definiert.


26      Im Gegensatz zum Brüsseler Übereinkommen von 1998 war für die Anwendung der Verordnung Nr. 2201/2003 eine selbständige Auslegung der elterlichen Verantwortung notwendig, was schließlich durch die Definition dieses Begriffs, den diese Verordnung in Art. 2 Nr. 7 vorsieht, bestätigt wurde. Vgl. in diesem Sinne Pintens, W., in Magnus, U., und Mankowski, P. (Hrsg.), „Brussels IIa Regulation“, European Commentaries on Private International Law, Sellier European Law Publishers, 2016, Art. 1 Nr. 59 und Art. 2 Nr. 19.


27      Etwas ganz anderes ist die Frage der Bestimmung des Trägers der elterlichen Verantwortung. Die Verordnung Nr. 2201/2003 bestimmt nicht, welche Person Träger der elterlichen Verantwortung sein kann, sondern verweist für die Bestimmung des Trägers insbesondere des Sorgerechts und des Umgangsrechts auf die Mitgliedstaaten. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 2010, McB. (C‑400/10 PPU, EU:C:2010:582, Rn. 40 bis 43).


28      Das Sorgerecht wird in Art. 2 Nr. 9 der Verordnung Nr. 2201/2003 definiert als „die Rechte und Pflichten, die mit der Sorge für die Person eines Kindes verbunden sind, insbesondere das Recht auf die Bestimmung des Aufenthaltsortes des Kindes“. Zu diesem Begriff vgl. Urteil vom 5. Oktober 2010, McB. (C‑400/10 PPU, EU:C:2010:582, Rn. 40 bis 43).


29      Vgl. in dieser Hinsicht Francq, S., „La responsabilité parentale en droit international privé. Entrée en vigueur du règlement Bruxelles II bis et du Code de droit international privé“, Revue trimestrielle de droit familial, 2005, Nr. 3, S. 691 bis 711. Siehe auch, Pintens, W., a. a. O., Art. 2, Nr. 23. Diese Autoren sind im Übrigen der Ansicht, dass ein Großelternteil, der Inhaber eines Umgangsrechts mit seinem Enkel ist, auch Träger der elterlichen Verantwortung im Sinne der Verordnung Nr. 2201/2003 sei. Es ist jedoch anzumerken, dass in einigen nationalen Rechtsordnungen allein die Eltern Träger der elterlichen Verantwortung sind, während Dritte nur beschränkte Befugnisse besitzen, selbst wenn ihnen ein Umgangsrecht zuerkannt wurde.


30      In der Verordnung Nr. 2201/2003 ist diese Definition nur zeitlich begrenzt („für eine begrenzte Zeit“), aus dieser Definition ergibt sich keine Beschränkung hinsichtlich der Personen.


31      Diese Definition erläutert, dass andere Personen als die Eltern ebenfalls Träger der elterlichen Verantwortung sein können. Dieser Begriff umfasst nicht nur die Träger elterlicher Verantwortung, die diese als Folge der Abstammung, der Vormundschaft und der Pflegschaft und vergleichbarer Institute erworben haben, sondern auch die Träger, die die elterliche Verantwortung als Partner eines Elternteils, der Träger der elterlichen Verantwortung ist, erworben haben. Vgl. Pintens, W., 2016, a. a. O., Art. 2 Nr. 22.


32      Insoweit vgl. Pintens, W., a. a. O., S. 88: „Since the Brussels IIbis Regulation has a broader scope – third persons can be holders of parental responsibility – there is no reason to exclude rights of access from the scope of the Regulation when the holder is a third person.“


33      Vgl. Nr. 43 der vorliegenden Schlussanträge.


34      Wie das insbesondere beim Partner eines Elternteils der Fall ist, der Träger der elterlichen Verantwortung ist. Ein Kind kann nämlich eine sehr nahe, starke und stabile persönliche Beziehung zum Partner seiner Mutter oder seines Vaters aufgebaut haben. Vgl. Nr. 45 der vorliegenden Schlussanträge und Fn. 31.


35      Vgl. auch den 23. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003; Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere vom 15. und 16. Oktober 1999, Nr. 34, verfügbar unter folgender Internetadresse: http://www.europarl.europa.eu/summits/tam_de.htm, und Arbeitsunterlage der Kommission „Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die elterliche Verantwortung“ KOM(2001) 166 endg., S. 3.


36      Die Verordnung Nr. 2201/2003 erstreckt sich zwar auf alle Entscheidungen im Bereich der elterlichen Verantwortung, sie muss aber auch alle Entscheidungen des Umgangsrechts nicht nur der Eltern, sondern auch von Dritten, wie „insbesondere den Großeltern“ einschließen. Vgl. in diesem Sinne Pintens, W., a. a. O., Art. 1 Nr. 70.


37      Vgl. den zwölften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003.


38      Vgl. Nrn. 73 und 74 der vorliegenden Schlussanträge.


39      Dies ist umso mehr geboten, als die Kollisionsnormen das Recht bezeichnen, das für Fragen der elterlichen Verantwortung gilt. Folglich würden die Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten, wenn sie über die elterliche Verantwortung mehrerer Personen (Eltern und Großeltern) zu entscheiden hätten, die Kollisionsnormen des nationalen Rechts anwenden. Diese Regeln können aber tiefgreifende Unterschiede aufweisen. Die Entscheidungen über die von mehreren Personen ausgeübte elterliche Verantwortung würden also von verschiedenen Gerichten und aufgrund von Rechten, die erhebliche Unterschiede aufweisen, getroffen, auch wenn diese Entscheidungen im Wesentlichen ein einziges Kind beträfen. Demgegenüber erlaubt die Anwendung eines weiten Ansatzes für die den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 2201/2003 bestimmenden Begriffe eine gewisse Harmonisierung der Entscheidungen, zumindest hinsichtlich des anwendbaren Rechts, und vermeidet die Komplikationen, die sich aus dem Fehlen harmonisierter Kollisionsnormen ergeben.


40      ABl. 2000, C 234, S. 7. Vgl. auch den vierten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003. Diese Initiative betraf nur die Ausübung des Umgangsrechts durch einen Elternteil.


41      Vgl. Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge und KOM(2001) 166 endg., S. 1 und 2.


42      KOM(2001) 166 endg., S. 1.


43      Ebd., S. 20.


44      Ebd., S. 5 und 20. Siehe auch Rat (Justiz, Inneres und Zivilschutz) vom 30. November und 1. Dezember 2000, S. 4 und 5, „Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ (ABl. 2001, C 12, S. 1).


45      KOM(2001) 166 endg., S. 15, Fn. 33. Zu diesem Übereinkommen siehe Nr. 72 der vorliegenden Schlussanträge.


46      Die Arbeitsunterlage der Kommission enthält auch die Definition des Begriffs „familiäre Bindungen“ dieses Entwurfs des Übereinkommens. Vgl. KOM(2001) 166 endg., S. 15, Fn. 33.


47      Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (im Folgenden: Haager Übereinkommen von 1996), abrufbar unter der Internetadresse: https://assets.hcch.net/docs/7e4d94fd-38b5-4c80-ac02-0bf6aba6084d.pdf.


48      Laut Art. 8 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2201/2003 findet sein Abs. 1 vorbehaltlich der Art. 9, 10 und 12 Anwendung.


49      Art. 8 ff. Vgl. auch Nrn. 6, 9 und 34 der vorliegenden Schlussanträge. Zur Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung identischer Begriffe des Haager Übereinkommens von 1996 und der Verordnung Nr. 2201/2003 vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache A (C‑523/07, EU:C:2009:39, Nrn. 24 bis 26).


50      Art. 3 Buchst. a und b dieses Übereinkommens bestimmt: „Die Maßnahmen, auf die in Artikel 1 Bezug genommen wird, können insbesondere Folgendes umfassen: die Zuweisung, die Ausübung und die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung sowie deren Übertragung; … das Recht zum persönlichen Umgang einschließlich des Rechts, das Kind für eine begrenzte Zeit an einen anderen Ort als den seines gewöhnlichen Aufenthalts zu bringen“.


51      Gemäß Art. 1 Abs. 2 dieses Übereinkommens „umfasst der Begriff ‚elterliche Verantwortung‘ die elterliche Sorge und jedes andere entsprechende Sorgeverhältnis, das die Rechte, Befugnisse und Pflichten der Eltern, des Vormunds oder eines anderen gesetzlichen Vertreters in Bezug auf die Person oder das Vermögen des Kindes bestimmt“. Vgl. den erläuternden Bericht von Paul Lagarde über das Haager Übereinkommen von 1996, verfügbar unter der folgenden Internetadresse: https://assets.hcch.net/upload/expl34.pdf.


52      Nach dem Bericht von Paul Lagarde, a. a. O., S. 542: „Die … Definition [der elterlichen Verantwortung] ist weit … Diese Verantwortung wird normalerweise von den Eltern ausgeübt, jedoch kann sie auch ganz oder teilweise durch Dritte unter den vom innerstaatlichen Recht festgelegten Bedingungen im Fall des Todes, der Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit, Untauglichkeit oder Unwürdigkeit der Eltern oder im Fall des Verlassens des Kindes durch seine Eltern ausgeübt werden.“


53      Zum Verhältnis der Verordnung Nr. 2201/2003 und dem Haager Übereinkommen von 1996 vgl. Art. 61 der Verordnung.


54      „Contacts transfrontières relatifs aux enfants. Principes généraux et Guide de bonnes pratiques, Conférence de La Haye de droit international privé“, Family Law, 2008, S. 5 und Fn. 38. Im Übrigen ist anzumerken, dass man Bezugnahmen auf das Umgangsrecht der Großeltern in den Beispielen 5B und 8A im Manuel pratique sur le fonctionnement de la Convention de La Haye de 1996 sur la protection des enfants, 2014, S. 64, 65 und 86, findet, verfügbar unter der folgenden Internetadresse: https://www.hcch.net/fr/instruments/conventions/publications1/?dtid=3&cid=70.


55      Übereinkommen über den Umgang von und mit Kindern, Europarat, Sammlung Europäischer Verträge, Nr. 192, Straßburg, 15. Mai 2003. Dieses Übereinkommen wurde nur von folgenden Mitgliedstaaten ratifiziert: Tschechische Republik, Republik Kroatien, Republik Malta und Rumänien. Es ist jedoch von Bedeutung, da es hauptsächlich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) zur Auslegung des Rechts auf Achtung des Familienlebens in Art. 8 der EMRK kodifiziert, die in allen Mitgliedstaaten verbindlich ist.


56      Erläuternder Bericht zum Übereinkommen über den Umgang von und mit Kindern, Europarat, Sammlung Europäischer Verträge, Nr. 192, Straßburg, 15. Mai 2003, Nrn. 9 und 34. Dieser Bericht erwähnt auch das Europäische Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses, Europarat, Luxemburg, 20. Mai 1980, Sammlung Europäischer Verträge, Nr. 105, in dem auf die „Person“ verwiesen wird, die das Umgangsrecht geltend macht.


57      Erläuternder Bericht zum Übereinkommen über den Umgang von und mit Kindern, a. a. O., Nrn. 9 und 47. Zur vergleichenden Gesetzgebung im Bereich der elterlichen Verantwortung, vgl. Granet, F., „L’exercice de l’autorité parentale dans les législations européennes“, La documentation française, 2002.


58      Erläuternder Bericht zum Übereinkommen über den Umgang von und mit Kindern, a. a. O., Nr. 9.


59      In einer Rechtssache betreffend die Aussetzung des Umgangsrechts der Großeltern wegen eines Strafverfahrens gegen ihren Sohn, den Vater des Kindes, vgl. EGMR, 20. Januar 2015, Manuello und Nevi gegen Italien, CE:ECHR:2015:0120JUD000010710, § 53 und die dort angeführte Rechtsprechung.


60      EGMR, 13. Juli 2000, Scozzari und Giunta gegen Italien, CE:ECHR:2000:0713JUD003922198, § 221, sowie EGMR, 13. Juni 1979, Marckx gegen Belgien, CE:ECHR:1979:0613JUD000683374, § 45.


61      Vgl. Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge.


62      Vgl. Nrn. 31, 32, 49, 64, 69 und 75 dieser Schlussanträge.