Language of document : ECLI:EU:C:2012:516

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

5. September 2012(*)

„Schengener Grenzkodex – Beschluss 2010/252/EU – Überwachung der Seeaußengrenzen – Festlegung zusätzlicher Modalitäten für die Grenzüberwachung – Durchführungsbefugnisse der Kommission – Reichweite – Antrag auf Nichtigerklärung“

In der Rechtssache C‑355/10

betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 12. Juli 2010,

Europäisches Parlament, vertreten durch M. Dean, A. Auersperger Matić und K. Bradley als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Kläger,

gegen

Rat der Europäischen Union, vertreten durch Z. Kupčová und R. Szostak als Bevollmächtigte,

Beklagter,

unterstützt durch

Europäische Kommission, vertreten durch C. O’Reilly und M. Wilderspin als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelferin,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts und J.‑C. Bonichot, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin R. Silva de Lapuerta, der Richter K. Schiemann, E. Juhász, G. Arestis und T. von Danwitz (Berichterstatter), der Richterin M. Berger und des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2012,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. April 2012

folgendes

Urteil

1        Mit seiner Klageschrift beantragt das Parlament die Nichtigerklärung des Beschlusses 2010/252/EU des Rates vom 26. April 2010 zur Ergänzung des Schengener Grenzkodex hinsichtlich der Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union koordinierten operativen Zusammenarbeit (ABl. L 111, S. 20, im Folgenden: angefochtener Beschluss).

2        Das Parlament stützt seine Klage insbesondere darauf, dass der angefochtene Beschluss über die Durchführungsbefugnisse hinausgehe, die in Art. 12 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 105, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 296/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2008 (ABl. L 97, S. 60) geänderten Fassung (im Folgenden: SGK oder Grenzkodex) vorgesehen seien. Das Parlament steht auf dem Standpunkt, dass die Vorschriften des angefochtenen Beschlusses im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hätten erlassen werden müssen und dass ihr Erlass im Ausschussverfahren gemäß Art. 12 Abs. 5 SGK unzulässig gewesen sei.

I –  Rechtlicher Rahmen

A –  Der Beschluss 1999/468/EG

3        Auf der Grundlage von Art. 202 EG wurde der Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. L 184, S. 23) in der durch den Beschluss 2006/512/EG des Rates vom 17. Juli 2006 (ABl. L 200, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: zweiter Komitologiebeschluss) erlassen.

4        Zum Regelungsverfahren mit Kontrolle wird im Erwägungsgrund 7a des zweiten Komitologiebeschlusses ausgeführt:

„Auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle sollte bei Maßnahmen von allgemeiner Tragweite zur Änderung von nicht wesentlichen Bestimmungen eines nach dem Verfahren des Artikels 251 des [EG-Vertrags] erlassenen Rechtsakts zurückgegriffen werden, einschließlich durch Streichung einiger dieser Bestimmungen oder Hinzufügung neuer nicht wesentlicher Bestimmungen. Dieses Verfahren soll es den beiden an der Rechtsetzung beteiligten Organen ermöglichen, vor der Annahme solcher Maßnahmen eine Kontrolle durchzuführen. Die wesentlichen Elemente eines Rechtsakts dürfen nur durch den Gesetzgeber auf der Grundlage des Vertrags geändert werden.“

5        Art. 2 Abs. 2 des zweiten Komitologiebeschlusses bestimmt:

„Ist in einem nach dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags erlassenen Basisrechtsakt vorgesehen, dass Maßnahmen von allgemeiner Tragweite angenommen werden, die eine Änderung von nicht wesentlichen Bestimmungen dieses Rechtsakts bewirken, einschließlich durch Streichung einiger dieser Bestimmungen oder Hinzufügung neuer nicht wesentlicher Bestimmungen, so werden diese Maßnahmen nach dem Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.“

6        Der Ablauf des Regelungsverfahrens mit Kontrolle ist in Art. 5a des zweiten Komitologiebeschlusses festgelegt. An diesem Verfahren ist auch ein Regelungskontrollausschuss beteiligt, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt und in dem der Vertreter der Kommission den Vorsitz führt (im Folgenden: Ausschuss). Dieser Ausschuss gibt zu dem Entwurf der zu ergreifenden Maßnahmen seine Stellungnahme ab. Das Verfahren verläuft unterschiedlich, je nachdem, ob die beabsichtigten Maßnahmen mit der Stellungnahme des Ausschusses im Einklang stehen oder ob sie mit dieser Stellungnahme nicht im Einklang stehen oder eine solche vom Ausschuss nicht abgegeben wurde.

7        Wenn die beabsichtigten Maßnahmen mit der Stellungnahme des Ausschusses nicht im Einklang stehen oder eine solche vom Ausschuss nicht abgegeben wurde, ist nach Art. 5a Abs. 4 des zweiten Komitologiebeschlusses folgendes Verfahren anzuwenden:

„a)      Die Kommission unterbreitet dem Rat unverzüglich einen Vorschlag für die zu ergreifenden Maßnahmen und übermittelt diesen Vorschlag gleichzeitig dem Europäischen Parlament.

b)      Der Rat befindet innerhalb von zwei Monaten nach seiner Befassung mit qualifizierter Mehrheit über diesen Vorschlag.

c)      Spricht sich der Rat innerhalb dieser Frist mit qualifizierter Mehrheit gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen aus, so werden diese nicht erlassen. In diesem Fall kann die Kommission dem Rat einen geänderten Vorschlag unterbreiten oder einen Vorschlag für einen Rechtsakt auf der Grundlage des Vertrags vorlegen.

d)      Beabsichtigt der Rat den Erlass der vorgeschlagenen Maßnahmen, so unterbreitet er diese unverzüglich dem Europäischen Parlament. Befindet der Rat nicht innerhalb der genannten Frist von zwei Monaten, so unterbreitet die Kommission dem Europäischen Parlament unverzüglich die Maßnahmen.

e)      Der Erlass dieser Maßnahmen kann vom Europäischen Parlament innerhalb einer Frist von vier Monaten ab Übermittlung des Vorschlags gemäß Buchstabe a mit der Mehrheit seiner Mitglieder abgelehnt werden, wobei diese Ablehnung darin begründet sein muss, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen über die im Basisrechtsakt vorgesehenen Durchführungsbefugnisse hinausgehen oder dass diese Maßnahmen mit dem Ziel oder dem Inhalt des Basisrechtsakts unvereinbar sind oder gegen die Grundsätze der Subsidiarität oder Verhältnismäßigkeit verstoßen.

f)      Spricht sich das Europäische Parlament innerhalb dieser Frist gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen aus, so werden diese nicht erlassen. In diesem Fall kann die Kommission dem Ausschuss einen geänderten Entwurf von Maßnahmen unterbreiten oder einen Vorschlag für einen Rechtsakt auf der Grundlage des Vertrags vorlegen.

g)      Hat sich das Europäische Parlament nach Ablauf der genannten Frist nicht gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen ausgesprochen, so werden sie je nach Fall vom Rat oder von der Kommission erlassen.“

B –  Der SGK

8        Wie aus seinem Art. 1 Abs. 2 hervorgeht, legt der SGK Regeln für die Grenzkontrollen in Bezug auf Personen fest, die die Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union überschreiten.

9        Laut dem sechsten Erwägungsgrund des SGK sollten diese „Grenzkontrollen … zur Bekämpfung der illegalen Zuwanderung und des Menschenhandels sowie zur Vorbeugung jeglicher Bedrohung der inneren Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Gesundheit und der internationalen Beziehungen der Mitgliedstaaten beitragen“.

10      Im 17. Erwägungsgrund des SGK heißt es, es solle „ein Verfahren vorgesehen werden, das es der Kommission ermöglicht, bestimmte für die Grenzkontrollen geltende praktische Modalitäten anzupassen. In solchen Fällen sollten die zur Durchführung [des SGK] erforderlichen Maßnahmen gemäß dem Beschluss 1999/468/EG … erlassen werden“.

11      In Art. 2 Nr. 9 des SGK werden „Grenzkontrollen“ dahin definiert, dass sie aus Grenzübertrittskontrollen und Grenzüberwachung bestehen und „die an einer Grenze nach Maßgabe und für die Zwecke [des SGK] unabhängig von jedem anderen Anlass ausschließlich aufgrund des beabsichtigten oder bereits erfolgten Grenzübertritts durchgeführten Maßnahmen“ umfassen.

12      Die Grenzüberwachung wird in Art. 2 Nr. 11 SGK definiert als „die Überwachung der Grenzen zwischen den Grenzübergangsstellen und die Überwachung der Grenzübergangsstellen außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden, um zu vermeiden, dass Personen die Grenzübertrittskontrollen umgehen“.

13      In seinen Art. 6 bis 11 enthält der SGK Regelungen für Grenzkontrollen an den Außengrenzen.

14      Was die Grenzüberwachung anbelangt, sieht Art. 12 SGK vor:

„(1)      Die Grenzüberwachung dient insbesondere der Verhinderung des unbefugten Grenzübertritts, der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und der Veranlassung von Maßnahmen gegen Personen, die die Grenze unerlaubt überschreiten.

(2)      Die Grenzschutzbeamten setzen zur Grenzüberwachung stationär postierte oder mobile Kräfte ein.

Diese Überwachung wird in einer Weise durchgeführt, dass Personen daran gehindert und davon abgehalten werden, die Kontrollen an den Grenzübergangsstellen zu umgehen.

(3)      Die Überwachung zwischen den Grenzübergangsstellen erfolgt durch Grenzschutzbeamte, deren Anzahl und Methoden bestehenden oder vorhergesehenen Gefahren und Bedrohungen anzupassen sind. Sie erfolgt unter häufigem, nicht vorhersehbarem Wechsel der Überwachungszeiten, so dass das unbefugte Überschreiten der Grenze das ständige Risiko birgt, entdeckt zu werden.

(4)      Zur Durchführung der Überwachung werden stationär postierte oder mobile Kräfte eingesetzt, die ihre Aufgaben in Form von Bestreifung oder Postierung überwiegend an erkannten oder vermuteten Schwachstellen mit dem Ziel erfüllen, Personen aufzugreifen, die die Grenze unbefugt überschreiten. Die Überwachung kann auch durch Verwendung technischer – einschließlich elektronischer – Mittel erfolgen.

(5)      Alle zusätzlichen Überwachungsmodalitäten, die durch Ergänzungen eine Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung bewirken, werden gemäß dem in Artikel 33 Absatz 2 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen.“

15      Die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten wird Drittstaatsangehörigen mittels einer begründeten Entscheidung verweigert, die gemäß Art. 13 Abs. 2 SGK mit dem Standardformular nach Anhang V Teil B SGK erteilt wird.

16      Art. 33 Abs. 2 SGK lautet:

„Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten die Artikel 5a Absätze 1 bis 4 sowie Artikel 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8.“

C –  Die Verordnung (EG) Nr. 2007/2004

17      Die Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates vom 26. Oktober 2004 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. L 349, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 863/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 (ABl. L 199, S. 30) geänderten Fassung (im Folgenden: Frontex-Verordnung) legt insbesondere die Aufgaben dieser Europäischen Agentur (im Folgenden: Agentur) fest.

18      Nach Art. 2 Abs. 1 der Frontex-Verordnung hat die Agentur u. a. folgende Aufgaben:

„a)      Koordinierung der operativen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes der Außengrenzen;

e)      Unterstützung der Mitgliedstaaten in Situationen, die eine verstärkte technische und operative Unterstützung an den Außengrenzen erfordern;

g)      Einsatz von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke in den Mitgliedstaaten …“

19      Entscheidet der Exekutivdirektor der Agentur auf Ersuchen eines Mitgliedstaats, ein oder mehrere Soforteinsatzteams an die Außengrenzen dieses Mitgliedstaats zu entsenden, so erstellen gemäß Art. 8d Abs. 5 der Frontex-Verordnung die Agentur und der anfordernde Mitgliedstaat einen Einsatzplan.

20      In Art. 8e („Einsatzplan“) der Frontex-Verordnung heißt es:

„(1)      Der Exekutivdirektor und der anfordernde Mitgliedstaat vereinbaren einen Einsatzplan, in dem die genauen Bedingungen des Einsatzes der Teams niedergelegt sind. Er enthält:

a)      eine Beschreibung der Lage mit der Vorgehensweise und den Zielen des Einsatzes einschließlich des Operationsziels;

b)      die voraussichtliche Dauer des Einsatzes der Teams;

c)      das geografische Zuständigkeitsgebiet in dem anfordernden Mitgliedstaat, in dem die Teams eingesetzt werden;

d)      eine Beschreibung der Aufgaben und besonderen Anweisungen für die Teammitglieder einschließlich der zulässigen Abfrage von Datenbanken und der zulässigen Dienstwaffen, Munition und Ausrüstung in dem Einsatzmitgliedstaat;

e)      die Zusammensetzung der Teams für Grenzsicherungszwecke;

f)      Name und Dienstgrad der für die Zusammenarbeit mit den Teams zuständigen Grenzschutzbeamten des Einsatzmitgliedstaats, insbesondere jener Grenzschutzbeamten, die während der Dauer des Einsatzes die Befehlsgewalt über die Teams innehaben, sowie die Stellung der Teams in der Befehlskette;

g)      die gemäß Artikel 8 zusammen mit den Teams zu entsendende technische Ausrüstung.

(2)      Änderungen und Anpassungen des Einsatzplans setzen das Einverständnis des Exekutivdirektors und des anfordernden Mitgliedstaats voraus. Eine Kopie des geänderten oder angepassten Einsatzplans wird von der Agentur unverzüglich an die beteiligten Mitgliedstaaten übermittelt.“

21      Für die Durchführung des Einsatzplans bestimmt Art. 8g Abs. 2 der Frontex-Verordnung:

„Der Koordinierungsbeamte handelt in Bezug auf alle Aspekte des Einsatzes der Teams im Namen der Agentur. Der Koordinierungsbeamte hat insbesondere die Aufgabe,

c)      die korrekte Durchführung des Einsatzplans zu überwachen;

…“

D –  Der angefochtene Beschluss

22      Der angefochtene Beschluss wurde auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 5 SGK im Regelungsverfahren mit Kontrolle gemäß Art. 5a des zweiten Komitologiebeschlusses erlassen. Da der Ausschuss zu dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission keine Stellungnahme abgegeben hatte, unterbreitete die Kommission gemäß Art. 5a Abs. 4 dem Rat einen Vorschlag für die zu ergreifenden Maßnahmen und übermittelte diesen Vorschlag dem Parlament. Da sich das Parlament nicht gegen diesen Vorschlag aussprach, erließ der Rat den angefochtenen Beschluss.

23      Der neunte Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses lautet:

„Zur Sicherstellung einer besseren Koordinierung zwischen den an der Maßnahme teilnehmenden Mitgliedstaaten im Hinblick auf derartige Situationen und zur Erleichterung der Durchführung solcher Maßnahmen sollten unverbindliche Leitlinien in diesen Beschluss aufgenommen werden. Dieser Beschluss sollte die Verantwortlichkeiten der für die Suche und Rettung auf See zuständigen Behörden unberührt lassen, einschließlich ihrer Verantwortlichkeit sicherzustellen, dass die Koordinierung und die Zusammenarbeit in der Weise erfolgen, dass die geretteten Personen an einen sicheren Ort gebracht werden können.“

24      Art. 1 des angefochtenen Beschlusses bestimmt:

„Die Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der operativen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, die von der [Agentur] koordiniert wird, ist in den in Teil I des Anhangs niedergelegten Vorschriften geregelt. Diese Vorschriften und die nicht verbindlichen Leitlinien in Teil II des Anhangs sind Teil des von der Agentur für den jeweiligen Einsatz aufgestellten Einsatzplans.“

25      Teil I des Anhangs des angefochtenen Beschlusses enthält in Nr. 1 allgemeine Grundsätze für die von der Agentur koordinierten Einsätze an den Seegrenzen und in Nr. 2 Regeln für die konkreten Maßnahmen im Rahmen dieser Einsätze. In den Nrn. 2.1 bis 2.3 dieses Teils I ist geregelt, wie die Einsatzkräfte sich einem gesichteten Schiff annähern und es beobachten und wie Informationen über solche Schiffe den zuständigen Behörden übermittelt werden. Nr. 2.4 des Teils I betrifft die Maßnahmen, die gegen gesichtete Schiffe und die an Bord befindlichen Personen zu ergreifen sind, und in Nr. 2.5 des Teils I sind die Bedingungen aufgeführt, die bei der Durchführung dieser Maßnahmen eingehalten werden müssen. Diese Bedingungen sind unterschiedlich, je nachdem, ob die Maßnahmen in den Hoheitsgewässern und der Anschlusszone oder ob sie auf hoher See zu treffen sind.

26      Hinsichtlich der Maßnahmen, die gegen gesichtete Schiffe oder die an Bord befindlichen Personen zu ergreifen sind, bestimmt Nr. 2.4 des genannten Teils I:

„Im Rahmen von Überwachungseinsätzen gegen Schiffe oder andere Wasserfahrzeuge, bei denen ein begründeter Verdacht auf Beförderung von Personen besteht, die sich den Grenzkontrollen zu entziehen versuchen, können folgende Maßnahmen ergriffen werden:

a)      Ersuchen um Information und Vorlage von Dokumenten zum Nachweis der Eigentumsverhältnisse, der Registrierung, des Reiseverlaufs sowie der Identität, Staatsangehörigkeit und anderer einschlägiger Personalien der an Bord befindlichen Personen;

b)      Anhalten und Betreten des Schiffs, Durchsuchen des Schiffs, seiner Ladung und der an Bord befindlichen Personen sowie Befragung der an Bord befindlichen Personen;

c)      Unterrichtung der an Bord befindlichen Personen, dass sie nicht zum Grenzübertritt berechtigt sind und dass Schiffsführer durch das Ermöglichen der Fahrt mit Sanktionen belegt werden können;

d)      Beschlagnahme des Schiffs und Festnahme der an Bord befindlichen Personen;

e)      Erteilen der Anweisung an das Schiff, den Kurs zu ändern und entweder einen Bestimmungsort außerhalb der Hoheitsgewässer oder der Anschlusszone anzusteuern bzw. diese zu verlassen, Eskortieren oder Geleiten des Schiffs, bis es sich auf diesem Kurs befindet;

f)      Führen des Schiffs bzw. Beförderung der an Bord befindlichen Personen zu einem Drittstaat oder aber Überstellung des Schiffs bzw. der an Bord befindlichen Personen an die Behörden eines Drittstaates;

g)      Führen des Schiffs bzw. Beförderung der an Bord befindlichen Personen bis zu dem Aufnahmemitgliedstaat oder einem anderen am Einsatz beteiligten Mitgliedstaat.“

27      Teil II des Anhangs des angefochtenen Beschlusses trägt die Überschrift „Leitlinien für Such- und Rettungsmaßnahmen und für die Ausschiffung im Rahmen von durch die Agentur koordinierten Maßnahmen an den Seegrenzen“.

28      Laut Nr. 1.1 dieses Teils II kommen die Mitgliedstaaten insbesondere „der Pflicht [nach], Personen in Seenot Hilfe zu leisten“, und leisten „[d]ie beteiligten Einsatzkräfte … jedem Schiff oder jeder Person in Seenot Hilfe“. Die Nrn. 1.2 bis 1.5 dieses Teils betreffen die Lagebeurteilung, die Übermittlung dieser Lagebeurteilung und anderer Informationen an die Rettungsleitstelle und das Ergreifen geeigneter oder erforderlicher Maßnahmen, um die Sicherheit der Betroffenen zu gewährleisten. Gemäß Nr. 1.6 dieses Teils II ist unter bestimmten Voraussetzungen die Maßnahme gemäß den Bestimmungen in Teil I des Anhangs des angefochtenen Beschlusses fortzusetzen.

29      Weiter sind nach Nr. 2.1 Abs. 1 Satz 1 des Teils II des Anhangs des angefochtenen Beschlusses „[i]m Einsatzplan … die Einzelheiten für die Ausschiffung der aufgegriffenen oder geretteten Personen im Einklang mit dem Völkerrecht und etwaigen bilateralen Abkommen festzulegen“. Nach Satz 2 dieser Vorschrift „bewirkt [der Einsatzplan] nicht, dass den am Einsatz nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten Verpflichtungen auferlegt werden“. Laut Nr. 2.1 Abs. 2 sollte, wenn im Einsatzplan nichts anderes vorgesehen ist, „die Ausschiffung [dieser Personen] vorrangig in dem Drittland erfolgen, von dem aus das Schiff mit den Personen in See gestochen ist oder durch dessen Hoheitsgewässer oder Such- und Rettungszone dieses Schiff gereist ist“.

II –  Anträge der Verfahrensbeteiligten und Verfahren vor dem Gerichtshof

30      Das Parlament beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        anzuordnen, dass die Wirkungen des angefochtenen Beschlusses aufrechterhalten werden, bis dieser ersetzt worden ist;

–        dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

31      Der Rat beantragt

–        in erster Linie, die Klage des Parlaments als unzulässig abzuweisen;

–        hilfsweise, diese Klage als unbegründet abzuweisen;

–        die Verurteilung des Parlaments zur Tragung der Kosten.

32      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 30. November 2010 ist die Kommission zur Unterstützung der Anträge des Rates als Streithelferin zugelassen worden, und in ihrem Streithilfeschriftsatz hat sie beantragt, die Klage des Parlaments abzuweisen und diesem die Kosten aufzuerlegen.

III –  Zur Klage

A –  Zur Zulässigkeit der Klage

1.     Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

33      Der Rat macht in erster Linie geltend, dass die Klage des Parlaments unzulässig sei. Zur Begründung verweist er darauf, dass das Parlament weder ein Rechtsschutzinteresse noch das Recht zur Anfechtung des angefochtenen Beschlusses habe, weil es nicht sein Recht ausgeübt habe, den Erlass dieses Beschlusses wegen eines der in Art. 5a Abs. 4 Buchst. e des zweiten Komitologiebeschlusses aufgeführten Rechtsverstöße abzulehnen. Der Rat meint, dass das Parlament, wenn es Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses hege, diesen im Regelungsverfahren mit Kontrolle hätte ablehnen müssen, womit er nicht hätte erlassen werden können.

34      Die vorliegende Fallkonstellation unterscheide sich von der, die dem Urteil vom 12. Juli 1979, Italien/Rat (C‑166/78, Slg. 1979, 2575), zugrunde gelegen habe, in dem der Gerichtshof die Klage eines Mitgliedstaats für zulässig erklärt habe, der zuvor im Rat für den angefochtenen Rechtsakt gestimmt habe. Die vom Parlament auszuübende Kontrolle, ob eine vorgeschlagene Maßnahme über die im Basisrechtsakt vorgesehenen Durchführungsbefugnisse hinausgehe, bilde einen förmlichen Verfahrensabschnitt in dem Verfahren zum Erlass des fraglichen Rechtsakts und erfordere keine politische Beurteilung, sondern die Überprüfung der Einhaltung der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen.

35      Das Parlament macht geltend, dass es nach Art. 263 Abs. 2 AEUV und der Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. Urteil vom 26. März 1987, Kommission/Rat, 45/86, Slg. 1987, 1493, Randnr. 3) kein Rechtsschutzinteresse darzutun brauche. Selbst dann, wenn es ein Rechtsschutzinteresse dartun müsste, wäre dies im vorliegenden Fall unstreitig gegeben, weil die Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts der Union mit bindenden Wirkungen bestritten werde und weil der Erlass eines Rechtsakts im Verfahren zum Erlass von Durchführungsvorschriften statt im Gesetzgebungsverfahren die Rechte des Parlaments verletze (Urteil vom 18. Juni 1996, Parlament/Rat, C‑303/94, Slg. 1996, I‑2943, Randnrn. 19 und 20).

36      Die in Art. 5a Abs. 4 Buchst. e des zweiten Komitologiebeschlusses vorgesehene Überprüfung einer vorgeschlagenen Durchführungsregelung durch das Parlament habe nicht zur Folge, dass dessen Recht zur Erhebung einer Klage beschränkt werde, um die gerichtliche Kontrolle einer solchen Regelung zu erwirken. Das Parlament sei auch nicht verpflichtet, sein Vetorecht auszuüben, wenn es Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer vorgeschlagenen Durchführungsmaßnahme hege.

2.     Beurteilung durch den Gerichtshof

37      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs setzt das in Art. 263 Abs. 2 AEUV vorgesehene Klagerecht der Mitgliedstaaten, des Parlaments, des Rates und der Kommission nicht voraus, dass ein Rechtsschutzinteresse dargetan wird (vgl. in diesem Sinne Urteile Italien/Rat, Randnr. 6, Kommission/Rat, Randnr. 3, vom 21. Januar 2003, Kommission/Parlament und Rat, C‑378/00, Slg. 2003, I‑937, Randnr. 28, vom 1. Oktober 2009, Kommission/Rat, C‑370/07, Slg. 2009, I‑8917, Randnr. 16, und vom 13. Oktober 2011, Deutsche Post und Deutschland/Kommission, C‑463/10 P und C‑475/10 P, Slg. 2011, I‑9639, Randnr. 36).

38      Der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist weiter zu entnehmen, dass die Ausübung dieses Rechts nicht davon abhängt, welche Position das klagende Organ oder der klagende Mitgliedstaat bei der Annahme des betreffenden Rechtsakts eingenommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteile Italien/Rat, Randnr. 6, und Kommission/Parlament und Rat, Randnr. 28).

39      Dass das Parlament gemäß Art. 5a Abs. 4 Buchst. e des zweiten Komitologiebeschlusses die Möglichkeit hatte, mit der Mehrheit seiner Mitglieder den Erlass des angefochtenen Beschlusses abzulehnen, ist, wie der Generalanwalt in den Nrn. 20 und 22 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht geeignet, sein Klagerecht auszuschließen.

40      Wenn laut dem Erwägungsgrund 7a des zweiten Komitologiebeschlusses das Regelungsverfahren mit Kontrolle es auch dem Parlament ermöglicht, vor der Annahme einer Maßnahme eine Kontrolle durchzuführen, kann dieses Verfahren nicht an die Stelle der gerichtlichen Kontrolle treten. Dass das Parlament den Erlass eines Rechtsakts im Rahmen eines solchen Verfahrens nicht abgelehnt hat, kann daher nicht zur Unzulässigkeit einer Nichtigkeitsklage führen, mit der die Rechtmäßigkeit des auf diese Weise angenommenen Rechtsakts bestritten wird.

41      Demnach ist die Nichtigkeitsklage zulässig.

B –  Zur Begründetheit

1.     Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

42      Zwischen den Verfahrensbeteiligten sind im Wesentlichen zum einen die Grundsätze streitig, die für Durchführungsbefugnisse maßgebend sind, und zum anderen die Frage, ob der angefochtene Beschluss aufgrund von Durchführungsbefugnissen hätte erlassen werden dürfen.

a)     Zu den für Durchführungsbefugnisse maßgebenden Grundsätzen

43      Das Parlament ist der Auffassung, dass im Regelungsverfahren mit Kontrolle nicht wesentliche Bestimmungen eines Basisrechtsakts geändert oder aufgehoben, nicht aber dessen wesentliche Bestimmungen geändert werden dürften. Bei jeder Ausübung der Durchführungsbefugnis seien die wesentlichen Aspekte des Inhalts des Basisrechtsakts zu wahren. Ebenso wenig sei die Kommission befugt, Regelungen über Tätigkeiten zu erlassen, die nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Basisrechtsakts fielen.

44      Der Begriff der „wesentlichen Bestimmungen“ umfasst nach Ansicht des Parlaments insbesondere die in einer Grundregelung gegebenen Definitionen zur Abgrenzung ihres sachlichen Anwendungsbereichs und zieht den Rahmen, in dem diese Regelung gelte, die durch die Hinzufügung neuer nicht wesentlicher Bestimmungen ergänzt werden dürfe. Um die Grenzen der Durchführungsbefugnisse zu bestimmen, seien vor allem die sich aus den wesentlichen Aspekten des Basisrechtsakts ergebenden sachlichen Beschränkungen dieser Befugnisse, die Bestimmungen des EG-Vertrags und die Verpflichtung zur Einhaltung der Grundrechte zu berücksichtigen.

45      Der Rat macht demgegenüber geltend, dass der Unionsgesetzgeber selbst die Grenzen der Delegierung festlegen, die wesentlichen Ziele der Grundregelung festlegen und entscheiden dürfe, welches die wesentlichen Aspekte seien, die nicht Gegenstand einer Delegierung an die Kommission sein dürften. Der Umfang der Delegierung von Durchführungsbefugnissen hänge insbesondere von dem Ermessen ab, das der Gesetzgeber der Kommission eingeräumt habe, und insoweit habe der Gerichtshof anerkannt, dass eine umfassende Delegierung von Durchführungsbefugnissen an die Kommission zulässig sei.

46      Nach Auffassung der Kommission ist hinsichtlich des Begriffs der „wesentlichen Aspekte“ die Rechtsprechung des Gerichtshofs heranzuziehen, nach der es sich bei diesen Aspekten um die Vorschriften handele, die für die zu regelnde Materie wesentlich seien (Urteile vom 17. Dezember 1970, Köster und Berodt & Co., 25/70, Slg. 1970, 1161, Randnr. 6, und vom 27. Oktober 1992, Deutschland/Kommission, C‑240/90, Slg. 1992, I‑5383, Randnr. 36). Die Verwendung der Worte „Hinzufügung neuer nicht wesentlicher Bestimmungen“ in Art. 2 Abs. 2 des zweiten Komitologiebeschlusses erlaube es, der Kommission die Befugnis zu übertragen, diejenigen wesentlichen Bestimmungen zu konkretisieren, die von den Mitgesetzgebern nicht detailliert ausgestaltet worden seien. Die Kommission dürfe diese Bestimmungen ergänzen und Regelungen für neue Tätigkeiten erlassen, die in den Anwendungsbereich der geregelten Materie und ihrer wesentlichen Bestimmungen fielen.

b)     Zum angefochtenen Beschluss

47      Was den angefochtenen Beschluss anbelangt, so wendet sich das Parlament nicht gegen die mit ihm verfolgten Ziele, sondern ist der Ansicht, dass sein Inhalt mittels eines Gesetzgebungsakts und nicht als eine Durchführungsregelung hätte erlassen werden müssen. Der Beschluss gehe über den Anwendungsbereich der in Art. 12 Abs. 5 SGK vorgesehenen Durchführungsbefugnisse hinaus, da er neue wesentliche Aspekte in den Grenzkodex einführe und sowohl dessen wesentliche Bestimmungen als auch den Inhalt der Frontex-Verordnung ändere.

i)     Zur Einführung neuer wesentlicher Aspekte in den SGK

48      Zur Einführung neuer wesentlicher Aspekte in den SGK trägt das Parlament vor, dass die Teile I und II des Anhangs des angefochtenen Beschlusses Maßnahmen vorsähen, die nicht als in den Anwendungsbereich der Grenzüberwachung, wie sie der Grenzkodex definiere, fallend oder als nur unwesentlicher Aspekt des Grenzkodex angesehen werden könnten.

49      So regele Nr. 2.4 des Teils I dieses Anhangs entgegen Art. 12 Abs. 5 des Grenzkodex und dessen 17. Erwägungsgrund nicht bloß praktische Modalitäten der Grenzüberwachung, sondern verleihe den Grenzschutzbeamten sehr weitgehende Befugnisse. Der SGK sage nichts über Maßnahmen, die gegen Personen oder Schiffe ergriffen werden dürften. Dagegen sehe der angefochtene Beschluss sehr weitreichende Zwangsmaßnahmen vor, garantiere aber den auf hoher See aufgegriffenen Personen nicht die Möglichkeit, das Asylrecht oder die mit diesem verbundenen Rechte geltend zu machen, obwohl nach Art. 13 SGK die Rückführung der Betroffenen in das Land, aus dem sie kämen, nur im Rahmen einer förmlichen Einreiseverweigerung stattfinden dürfe.

50      Weiter falle die Regelung der in Teil II des Anhangs des angefochtenen Beschlusses genannten Tätigkeiten der Such- und Rettungsmaßnahmen sowie der Ausschiffung nicht unter den Begriff der Überwachung. Auch wenn in der Überschrift dieses Teils II das Wort „Leitlinien“ verwendet werde, seien diese doch aufgrund ihrer Formulierungsweise und ihrer Einbeziehung in einen bindenden Rechtsakt sowie des Umstands, dass sie Teil des in der Frontex-Verordnung vorgesehenen Einsatzplans seien, verbindlich und dazu bestimmt, Rechtswirkungen gegenüber den Mitgliedstaaten zu erzeugen, die an von der Agentur koordinierten Einsätzen teilnähmen. Damit enthalte der angefochtene Beschluss wesentliche Aspekte des SGK und könne daher nicht Gegenstand einer Durchführungsmaßnahme sein.

51      Das Parlament macht ferner geltend, dass der angefochtene Beschluss über den räumlichen Anwendungsbereich des SGK hinausgehe. Gemäß Art. 2 Nr. 11 SGK sei die Überwachung beschränkt auf die Überwachung der Grenzen zwischen den Grenzübergangsstellen und auf die Überwachung der Grenzübergangsstellen außerhalb der festgesetzten Verkehrsstunden, wohingegen der angefochtene Beschluss gemäß Nr. 2.5 des Teils I seines Anhangs nicht nur in den Hoheitsgewässern, sondern auch in den Anschlusszonen und auf hoher See gelte.

52      Der Rat trägt vor, dass nach Auffassung des Unionsgesetzgebers die Grenzübertrittskontrollen den wesentlichen Aspekt der Kontrolle an den Außengrenzen bildeten, den er erschöpfend geregelt habe. Was die Grenzüberwachung angehe, sei der Gesetzgeber hingegen davon ausgegangen, dass nur die allgemeinen Ziele und Grundmethoden hätten festgelegt werden müssen, wobei der Kommission die Zuständigkeit verliehen worden sei, erforderlichenfalls ergänzende Bestimmungen für die Überwachung und umfassende Durchführungsbefugnisse zu normieren.

53      Der Rat meint, dass die in Nr. 2.4 des genannten Teils I aufgeführten Maßnahmen den in Art. 12 SGK definierten Zielen der Grenzüberwachung nicht zuwiderliefen. Die in Nr. 2.5 dieses Teils I enthaltenen Bestimmungen für die Koordinierung von Überwachungsmaßnahmen im Rahmen gemeinsamer Einsätze sollten den Ablauf dieser Einsätze erleichtern. Die Rüge einer angeblichen Ausweitung des räumlichen Anwendungsbereichs des SGK sei unbegründet, weil der Grenzkodex den Begriff der Seegrenze nicht definiere, der dahin verstanden werden müsse, dass er auch die Grenzüberwachung in den Anschlusszonen und auf hoher See umfasse.

54      Was Teil II des Anhangs des angefochtenen Beschlusses angehe, so erhelle nicht nur aus dem Wortlaut der Erwägungsgründe 7 bis 9 dieses Beschlusses, sondern auch aus der unterschiedlichen Fassung der Überschriften der beiden Teile des Anhangs und der Formulierungsweise der Leitlinien die Absicht des Urhebers des Beschlusses, Teil II keine Bindungskraft zu verleihen. Zwar sei die Hilfeleistung für Schiffe in Seenot keine Überwachungsmaßnahme im engeren Sinne. Da eine solche Situation aber im Verlauf eines von der Agentur koordinierten Überwachungseinsatzes auftrete, sei es unerlässlich gewesen, im Voraus zu regeln, wie Such- und Rettungsmaßnahmen von den verschiedenen teilnehmenden Mitgliedstaaten geleistet würden. Daher führe der angefochtene Beschluss keine neuen Aspekte in den SGK ein.

55      Die Kommission trägt vor, dass die Grenzüberwachung ein wesentlicher Aspekt des SGK sei, dass aber die für diese Materie wesentlichen Bestimmungen in Art. 12 SGK normiert seien, der sowohl Vorschriften über den Inhalt als auch über Ziel und Zweck der Überwachung enthalte, ohne diese umfassend und erschöpfend zu regeln. Die Mitgesetzgeber hätten der Kommission die Befugnis übertragen, diese wesentlichen Bestimmungen zu ergänzen. Die Befugnis zur Regelung neuer Tätigkeiten ermögliche es der Kommission, den Inhalt der Grenzüberwachung zu bestimmen und zu definieren, was diese Tätigkeit einschließe.

56      Die Kommission meint, dass der angefochtene Beschluss keine neuen wesentlichen Aspekte in den SGK einführe. Die Überwachung müsse angesichts ihres Zwecks nicht nur die Aufdeckung illegaler Einreiseversuche in die Union umfassen, sondern auch konkrete Maßnahmen wie das Abfangen von Schiffen, von denen anzunehmen sei, dass sie in die Union einzudringen versuchten, ohne sich den Grenzübertrittskontrollen zu stellen. In Art. 12 Abs. 4 SGK sei speziell festgelegt, dass eines der Ziele der Überwachung das Aufgreifen von Personen sei. Um zu klären, ob „Such- und Rettungsmaßnahmen“ unter den Begriff der Überwachung fielen, müssten die tatsächlichen Umstände berücksichtigt werden, unter denen sich illegale Einreiseversuche abspielten. In vielen Fällen löse der Überwachungseinsatz seinerseits Such- und Rettungsmaßnahmen aus, ohne dass zwischen beiden Arten von Maßnahmen eine klare Grenze gezogen werden könne. Die Frage, ob die Leitlinien bindend seien, stelle sich nicht, da die in ihnen vorgesehenen Maßnahmen unter den Begriff der Überwachung fielen.

ii)  Zur Änderung von wesentlichen Aspekten des SGK

57      Zur Änderung von wesentlichen Aspekten des SGK führt das Parlament insbesondere aus, dass durch den angefochtenen Beschluss Art. 13 des Grenzkodex geändert werde. Da dieser Artikel für alle Fälle des Abfangens und Aufgreifens gelte, dürften Personen, die illegal in die Hoheitsgewässer und Anschlusszonen eingedrungen seien, nicht abgewiesen oder zur Rückreise aufgefordert werden, ohne dass eine Entscheidung gemäß Art. 13 SGK ergehe. In Nr. 2.4 des Teils I des Anhangs des angefochtenen Beschlusses werde den Grenzschutzbeamten hingegen die Befugnis verliehen, dem Schiff eine Änderung seines Kurses zu befehlen, um die Hoheitsgewässer zu verlassen, ohne dass eine Entscheidung im Sinne des Art. 13 SGK erlassen worden sei und ohne dass die Betroffenen die Möglichkeit hätten, gegen die Einreiseverweigerung ein Rechtsmittel einzulegen.

58      Der Rat und die Kommission tragen vor, dass Art. 13 SGK nicht für die Tätigkeit der Grenzüberwachung gelte, so dass der Beschluss diesen Artikel nicht zu ändern vermöge.

iii)  Zur Änderung der Frontex-Verordnung

59      Hinsichtlich der Änderung der Frontex-Verordnung macht das Parlament geltend, dass Art. 12 Abs. 5 SGK der Kommission keine Zuständigkeit für den Erlass von Vorschriften einräume, durch die die Befugnisse und Verpflichtungen geändert würden, die die Frontex-Verordnung für von der Agentur koordinierte Einsätze vorsehe. Der angefochtene Beschluss sei nicht das geeignete juristische Instrument, um Verpflichtungen hinsichtlich solcher Einsätze zu begründen oder die Bestimmungen der Frontex-Verordnung zu ändern.

60      Dementgegen solle der angefochtene Beschluss ausschließlich für von der Agentur koordinierte Einsätze gelten und sei für die Agentur und die Mitgliedstaaten bindend, da sein Anhang Teil des für jeden Einsatz ausgearbeiteten Einsatzplans sei, obwohl dessen Hauptbestandteile in Art. 8e der Frontex-Verordnung festgelegt seien. Die zwingend vorgeschriebene Einbeziehung der im Anhang des angefochtenen Beschlusses enthaltenen Vorschriften und Leitlinien in den Einsatzplan verändere erheblich die Liste der für die Durchführung des Einsatzplans erforderlichen Bestandteile wie die Rolle der Grenzschutzbeamten, der beteiligten Einheiten und der Rettungsleitstelle.

61      Insoweit trägt der Rat vor, dass der angefochtene Beschluss an den Aufgaben der Agentur nichts ändere, auch wenn der Anhang dieses Beschlusses Teil des Einsatzplans sei. Die Modalitäten der Grenzüberwachung gehörten zu den in Art. 8e der Frontex-Verordnung aufgeführten notwendigen Aspekten des Einsatzplans. Auch wenn der angefochtene Beschluss der Regelung des Art. 8e neue nicht wesentliche Aspekte hinzufüge, habe dies nicht die Rechtswidrigkeit des Beschlusses zur Folge. Der SGK und seine Durchführungsvorschriften einerseits und die Frontex-Verordnung andererseits ergänzten einander. Die beiden Basisrechtsakte bildeten Rechtsinstrumente, die der Umsetzung der in Art. 77 AEUV umschriebenen Politik im Bereich Grenzkontrollen dienten, und die Koordination mit dem durch die Frontex-Verordnung geschaffenen System werde durch den SGK geregelt. Daher seien die durch den angefochtenen Beschluss hinzugefügten neuen nicht wesentlichen Aspekte mit der Frontex-Verordnung und dem SGK vereinbar.

62      Die Kommission meint, dass sich der angefochtene Beschluss auf die Funktionsweise der Frontex-Verordnung nicht auswirke. Die in Art. 1 des Beschlusses normierte Anforderung, dass die beiden Teile des Anhangs des Beschlusses zum Einsatzplan gehören müssten, binde nicht die Agentur, sondern die Mitgliedstaaten als Adressaten des Beschlusses, die die Einbeziehung des Anhangs in den Einsatzplan sicherzustellen hätten. Unter diesen Umständen ändere der angefochtene Beschluss die Frontex-Verordnung nicht.

2.     Würdigung durch den Gerichtshof

63      Es ist festzustellen, dass gemäß der im vorliegenden Fall fraglichen Ermächtigungsnorm, dem Art. 12 Abs. 5 SGK, die „zusätzlichen Überwachungsmodalitäten“ erlassen werden können, „die durch Ergänzungen eine Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen [des SGK] bewirken“. Diese Bestimmung verweist in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 SGK hinsichtlich des zu befolgenden Verfahrens auf den zweiten Komitologiebeschluss, der seinerseits auf der Grundlage von Art. 202 dritter Gedankenstrich EG erlassen wurde.

64      Nach ständiger Rechtsprechung ist der Erlass der wesentlichen Vorschriften der zu regelnden Materie der Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers vorbehalten (vgl. in diesem Sinne Urteile Deutschland/Kommission, Randnr. 36, vom 14. Oktober 1999, Atlanta/Europäische Gemeinschaft, C‑104/97 P, Slg. 1999, I‑6983, Randnr. 76, und vom 6. Juli 2000, Molkereigenossenschaft Wiedergeltingen, C‑356/97, Slg. 2000, I‑5461, Randnr. 21). Die wesentlichen Bestimmungen einer Materie sind in der Grundregelung zu erlassen und können nicht Gegenstand einer Übertragung von Durchführungsbefugnissen sein (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Juli 1995, Parlament/Kommission, C‑156/93, Slg. 1995, I‑2019, Randnr. 18, Parlament/Rat, Randnr. 23, vom 11. November 1999, Söhl & Söhlke, C‑48/98, Slg. 1999, I‑7877, Randnr. 34, und vom 6. Mai 2008, Parlament/Rat, C‑133/06, Slg. 2008, I‑3189, Randnr. 45).

65      Damit können Gegenstand einer solchen Befugnisübertragung nicht Bestimmungen sein, deren Erlass politische Entscheidungen erfordert, die in die eigene Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers fallen.

66      Folglich können Durchführungsvorschriften weder die wesentlichen Aspekte einer Grundregelung ändern noch diese durch neue wesentliche Aspekte ergänzen.

67      Die Frage, welche Aspekte einer Materie als wesentliche einzustufen sind, liegt, anders als der Rat und die Kommission vorgetragen haben, nicht in der alleinigen Beurteilung durch den Unionsgesetzgeber, sondern muss sich nach objektiven Gesichtspunkten richten, die Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle sein können.

68      Insoweit sind die Merkmale und die Besonderheiten des betreffenden Sachgebiets zu berücksichtigen.

69      Was die Frage anbelangt, ob der Rat dazu befugt war, den angefochtenen Beschluss auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 5 SGK als Durchführungsregelung des Art. 12 SGK für die Grenzüberwachung zu erlassen, so ist zunächst der Inhalt dieses Artikels zu prüfen.

70      Gemäß Art. 12 Abs. 1 und 4 SGK dient die Grenzüberwachung der Verhinderung des unbefugten Grenzübertritts, der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität sowie der Veranlassung von Maßnahmen gegen Personen, die die Grenze unerlaubt überschreiten, und dem Aufgreifen dieser Personen. Weiter sollen nach dem sechsten Erwägungsgrund des SGK die Grenzkontrollen „zur Bekämpfung der illegalen Zuwanderung und des Menschenhandels sowie zur Vorbeugung jeglicher Bedrohung der inneren Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Gesundheit und der internationalen Beziehungen der Mitgliedstaaten beitragen“.

71      Was die Maßnahmen der Grenzüberwachung angeht, so enthält Art. 12 SGK in seinen Abs. 2 bis 4 Vorschriften, die bestimmte Aspekte der Art und Weise der Durchführung dieser Maßnahmen regeln, wobei sich diese Vorschriften darauf beschränken, die Aufgabe der Grenzschutzbeamten abstrakt zu beschreiben. So heißt es u. a. in Abs. 2 Unterabs. 2 dieses Artikels, dass die Überwachung „in einer Weise durchgeführt [wird], dass Personen daran gehindert und davon abgehalten werden, die Kontrollen an den Grenzübergangsstellen zu umgehen“. Im gleichen Sinne bestimmt Art. 12 Abs. 3 Satz 1 SGK, dass „[d]ie Überwachung zwischen den Grenzübergangsstellen … durch Grenzschutzbeamte [erfolgt], deren Anzahl und Methoden bestehenden oder vorhergesehenen Gefahren und Bedrohungen anzupassen sind“.

72      Was die Ermächtigung des betreffenden Organs zum Erlass von Durchführungsvorschriften für die Grenzüberwachung anbelangt, sieht Art. 12 Abs. 5 SGK in Übereinstimmung mit der in Randnr. 64 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Rechtsprechung vor, dass „[a]lle zusätzlichen Überwachungsmodalitäten“ erlassen werden dürfen, „die durch Ergänzungen eine Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen [des SGK] bewirken“. Im Übrigen bezieht sich laut dem 17. Erwägungsgrund des SGK und dem vierten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 296/2008 die Delegierung von Durchführungsbefugnissen nur auf bestimmte praktische Modalitäten der Grenzkontrolle.

73      Auch wenn der SGK, der in dieser Materie die Grundregelung bildet, in Art. 12 Abs. 4 erwähnt, dass das Ziel der Überwachung im Aufgreifen von unbefugt die Grenzen überschreitenden Personen besteht, enthält er doch keine Vorschriften über die Maßnahmen, die die Grenzschutzbeamten gegen Personen oder Schiffe bei oder nach deren Aufgreifen oder Abfangen ergreifen dürfen, wie die Anwendung von Zwangsmaßnahmen, den Waffengebrauch oder die Rückführung der aufgegriffenen Personen an einen bestimmten Ort oder auch Maßnahmen gegenüber an Menschenhandel beteiligten Personen.

74      Hingegen sieht der Anhang des angefochtenen Beschlusses in Nr. 2.4 seines Teils I Maßnahmen vor, die von den Grenzschutzbeamten gegen gesichtete Schiffe und die Personen an Bord ergriffen werden dürfen. So gestatten die Buchst. b, d, f und g dieser Nr. 2.4 insbesondere das Anhalten, das Betreten, das Durchsuchen und die Beschlagnahme des Schiffs, das Durchsuchen und die Festnahme der an Bord des Schiffs befindlichen Personen sowie das Führen des Schiffs und die Beförderung der an Bord befindlichen Personen zu einem Drittstaat, also die Ergreifung von Zwangsmaßnahmen gegen Personen und Schiffe, die der Souveränität des Flaggenstaats unterliegen können.

75      Weiter erlegt der Anhang des angefochtenen Beschlusses in Nr. 1.1 seines Teils II den Einsatzkräften, die an von der Agentur koordinierten Einsätzen an den Seeaußengrenzen teilnehmen, die Verpflichtung auf, jedem Schiff oder jeder Person in Seenot Hilfe zu leisten. Derselbe Teil II enthält in Nr. 2 Regeln für die Ausschiffung der aufgegriffenen oder geretteten Personen, wobei in Nr. 2.1 Abs. 2 klargestellt wird, dass die Ausschiffung vorrangig in dem Drittland erfolgen sollte, von dem aus das Schiff mit diesen Personen in See gestochen ist.

76      Zum einen erfordert der Erlass der in den beiden vorstehenden Randnummern des vorliegenden Urteils genannten Vorschriften über die Verleihung von Zwangsbefugnissen an die Grenzschutzbeamten politische Entscheidungen, die in die eigene Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers fallen, da sie eine Abwägung der widerstreitenden Interessen auf der Grundlage einer Beurteilung zahlreicher Gesichtspunkte einschließen. Je nach den politischen Entscheidungen, auf denen der Erlass solcher Vorschriften beruht, können die Befugnisse der Grenzschutzbeamten sehr unterschiedlicher Art sein, da ihre Ausübung einer Genehmigung, einer Verpflichtung oder einem Verbot unterliegen kann, so beispielsweise hinsichtlich der Anwendung von Zwangsmaßnahmen, des Gebrauchs von Waffengewalt oder der Rückführung der aufgegriffenen Personen an einen bestimmten Ort. Im Übrigen kann, da diese Befugnisse die Ergreifung von Maßnahmen gegenüber Schiffen betreffen, ihre Wahrnehmung je nach der Flagge, die diese Schiffe führen, in Abhängigkeit vom Umfang dieser Befugnisse in die Souveränitätsrechte von Drittstaaten eingreifen. Der Erlass solcher Vorschriften bildet damit eine bedeutende Entwicklung innerhalb des Systems des SGK.

77      Zum anderen ist hervorzuheben, dass Vorschriften über die Verleihung von Befugnissen der öffentlichen Gewalt an Grenzschutzbeamte wie die im angefochtenen Beschluss vorgesehenen, zu denen die Festnahme aufgegriffener Personen, die Beschlagnahme von Schiffen und die Rückführung der aufgegriffenen Personen an einen bestimmten Ort gehören, Eingriffe in die Grundrechte der betroffenen Personen in einem Umfang erlauben, der das Tätigwerden des Unionsgesetzgebers erforderlich macht.

78      So erfordert der Erlass von Vorschriften wie die der Nr. 2.4 des Teils I und der Nrn. 1.1 und 2.1 des Teils II des Anhangs des angefochtenen Beschlusses politische Entscheidungen im Sinne der beiden obigen Randnummern des vorliegenden Urteils, so dass er über den Rahmen zusätzlicher Maßnahmen im Sinne von Art. 12 Abs. 5 SGK hinausgeht und im institutionellen System der Union der Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers unterliegt.

79      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Teile I und II des Anhangs des angefochtenen Beschlusses, wie der Generalanwalt in den Nrn. 61 und 66 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wesentliche Aspekte der Überwachung der Seeaußengrenzen enthalten.

80      Allein der Umstand, dass die Überschrift des Teils II des Anhangs des angefochtenen Beschlusses das Wort „Leitlinien“ enthält und dass in Art. 1 Satz 2 dieses Beschlusses die in diesem Teil II enthaltenen Vorschriften und Leitlinien als „nicht verbindlich“ gekennzeichnet werden, vermag ihre Einstufung als wesentliche Bestimmungen nicht in Frage zu stellen.

81      Teil II dieses Anhangs ist nämlich gemäß Art. 1 Satz 2 des angefochtenen Beschlusses Teil des Einsatzplans, den die Agentur für jeden von ihr koordinierten Einsatz aufstellt. Gemäß Art. 8e der Frontex-Verordnung sind jedoch in dem Einsatzplan „die genauen Bedingungen des Einsatzes der Teams niedergelegt“, wobei nach Art. 8g dieser Verordnung der Koordinierungsbeamte „die korrekte Durchführung“ des Einsatzplans zu überwachen hat.

82      Da somit die im Einsatzplan festgelegten Bedingungen eingehalten werden müssen, ergibt sich zwingend der Schluss, dass die Vorschriften der Nrn. 1.1 und 2.1 des Teils II des Anhangs des angefochtenen Beschlusses bindende Rechtswirkungen erzeugen sollen.

83      Selbst wenn schließlich der angefochtene Beschluss auch Vorschriften über praktische Modalitäten der Ausübung der Grenzkontrolle enthält, ist dennoch festzustellen, dass die Gesamtheit der in den Teilen I und II des Anhangs des angefochtenen Beschlusses enthaltenen Bestimmungen dadurch miteinander verknüpft sind, dass sie sich auf den Ablauf entweder eines Überwachungseinsatzes oder eines Rettungseinsatzes beziehen.

84      Unter diesen Umständen ist der angefochtene Beschluss insgesamt für nichtig zu erklären, da er wesentliche Aspekte der Überwachung der Seeaußengrenzen der Mitgliedstaaten enthält, die über zusätzliche Modalitäten im Sinne von Art. 12 Abs. 5 SGK hinausgehen, und da allein der Unionsgesetzgeber einen solchen Beschluss hätte erlassen dürfen.

85      Folglich braucht nicht das Vorbringen des Parlaments geprüft zu werden, wonach der angefochtene Beschluss wesentliche Aspekte des SGK sowie der Frontex-Verordnung ändere.

IV –  Zu dem Antrag auf Aufrechterhaltung der Wirkungen des angefochtenen Beschlusses

86      Das Parlament hat beantragt, im Fall der Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses gemäß Art. 264 Abs. 2 AEUV dessen Wirkungen bis zu seiner Ersetzung aufrechtzuerhalten.

87      Nach Auffassung des Parlaments ist die Aufrechterhaltung der Wirkungen des Beschlusses angesichts der Bedeutung erforderlich, die den Zielen der vorgesehenen Maßnahmen im Rahmen der Unionspolitik im Bereich Grenzkontrollen zukommt.

88      Gemäß Art. 264 Abs. 2 AEUV kann der Gerichtshof, falls er dies für notwendig hält, diejenigen Wirkungen einer von ihm für nichtig erklärten Handlung bezeichnen, die als fortgeltend zu betrachten sind.

89      Die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses ohne vorläufige Aufrechterhaltung seiner Wirkungen könnte den ordnungsgemäßen Ablauf der gegenwärtigen oder künftigen Einsätze, die von der Agentur koordiniert werden, und damit die Überwachung der Seeaußengrenzen der Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

90      Damit bestehen wichtige Gründe der Rechtssicherheit, die es rechtfertigen, dass der Gerichtshof die ihm in Art. 264 Abs. 2 AEUV verliehene Befugnis ausübt. Im vorliegenden Fall sind die Wirkungen des angefochtenen Beschlusses aufrechtzuerhalten, bis innerhalb einer angemessenen Frist eine neue Regelung zur Ersetzung des mit dem vorliegenden Urteil für nichtig erklärten Beschlusses in Kraft tritt.

V –  Kosten

91      Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Parlament die Verurteilung des Rates beantragt hat und dieser mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm die Kosten aufzuerlegen. Nach Art. 69 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung trägt die Kommission, die dem Rechtsstreit als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Rates beigetreten ist, ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Der Beschluss 2010/252/EU des Rates vom 26. April 2010 zur Ergänzung des Schengener Grenzkodex hinsichtlich der Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union koordinierten operativen Zusammenarbeit wird für nichtig erklärt.

2.      Die Wirkungen des Beschlusses 2010/252 werden aufrechterhalten, bis innerhalb einer angemessenen Frist eine neue Regelung in Kraft tritt.

3.      Der Rat der Europäischen Union trägt die Kosten.

4.      Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.