Language of document : ECLI:EU:C:2012:474

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 19. Juli 2012(1)

Rechtssache C‑342/10

Europäische Kommission

gegen

Republik Finnland

„Freier Kapitalverkehr – Diskriminierende Besteuerung von an gebietsfremde Pensionsfonds ausgeschütteten Dividenden“





1.        Im vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren ist der Gerichtshof mit der Frage befasst, ob Finnland Dividenden, die an gebietsfremde, kapitalgedeckte Pensionsfonds (im Folgenden: gebietsfremde Pensionsfonds)(2) ausgezahlt werden, diskriminierend besteuert.

2.        Pensionsfonds der hier in Rede stehenden Art nehmen typischerweise Beitragszahlungen von und/oder für Mitglieder ein, mit denen sie Kapitalanlagen erwerben, um Einkünfte in Form von Dividendenzahlungen zu erzielen. Ein Teil dieser Einkünfte wird zur Deckung der Betriebskosten verwendet, ein erheblicher Teil wird jedoch Rücklagen zugeführt, aus denen Pensionen an Leistungsempfänger gezahlt werden. In einigen Fällen kann der Träger des Fonds auch einen Gewinn erzielen.

3.        In Finnland niedergelassene Pensionsfonds (im Folgenden: gebietsansässige Pensionsfonds) unterliegen dort mit Dividendeneinkünften grundsätzlich einer Besteuerung zu einem Steuersatz von 19,5 %(3). Der Teil der Einkünfte, der Rücklagen zugeführt wird, wird behandelt, als handele es sich um Ausgaben, und kann daher von den zu versteuernden Einkünften in Abzug gebracht werden. Diese Anlageerträge unterliegen infolgedessen zu diesem Zeitpunkt überhaupt keiner Besteuerung. Sie sind allerdings zum Zeitpunkt der Auszahlung aus Versicherungsverträgen bei den Leistungsempfängern einkommensteuerpflichtig.

4.        Bei gebietsfremden Pensionsfonds kann Finnland nur Dividendenzahlungen besteuern, die innerhalb seines Hoheitsgebiets erfolgen. Somit werden gebietsfremde Pensionsfonds insoweit unterschiedlich behandelt, als solche Dividendenzahlungen einer Quellensteuer in Höhe eines Steuersatzes von 19,5 % unterliegen(4). Einen demjenigen für gebietsansässige Pensionsfonds entsprechenden Mechanismus, nach dem für Einkünfte, die Rücklagen zugeführt werden, nach dem nationalen System ein Steuervorteil gilt, gibt es jedoch nicht.

5.        Die Kommission hält diese unterschiedliche Behandlung für diskriminierend.

 Rechtsvorschriften

 AEU-Vertrag und EWR-Abkommen

 Der Vertrag

6.        Art. 63 AEUV verbietet alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten.

7.        Nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV berührt Art. 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten, „die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln“.

8.        Nach Art. 65 Abs. 3 AEUV dürfen die in Abs. 1 genannten Maßnahmen und Verfahren „weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital‑ und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 63 darstellen“.

9.        Art. 40 des EWR-Abkommens(5) erstreckt das Verbot des Art. 63 AEUV im Ergebnis auf den Europäischen Wirtschaftsraum (im Folgenden: EWR).

10.      Nach Art. 6 des EWR-Abkommens werden dessen Bestimmungen, soweit sie mit den entsprechenden Bestimmungen der damaligen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (sowie der aufgrund dieser beiden Verträge erlassenen Rechtsakte) in ihrem wesentlichen Gehalt identisch sind, im Einklang mit den einschlägigen Entscheidungen ausgelegt, die der Gerichtshof vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens erlassen hat(6). Der Gerichtshof ist für die Auslegung des EWR-Abkommens in Bezug auf das Unionsgebiet zuständig(7).

11.      Somit sind die Vorschriften des EWR-Abkommens, die Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs verbieten, nach Möglichkeit ebenso wie die Art. 63 und 65 AEUV auszulegen.

 Richtlinie 77/799/EWG

12.      Die Richtlinie 77/799/EWG(8) regelt den Austausch von Auskünften zwischen den Mitgliedstaaten, die für die zutreffende Festsetzung der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen erforderlich sind. Diese Richtlinie ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens; sie ist aber insoweit relevant, als der Feststellungsantrag der Kommission sich nach deren Vortrag nur auf diejenigen EWR-Staaten bezieht, auf die die Richtlinie 77/799/EWG anwendbar ist(9).

 Richtlinie 88/361/EWG

13.      Mit der Richtlinie 88/361/EWG(10) wurde der Kapitalverkehr vollständig liberalisiert; im Hinblick darauf hatten die Mitgliedstaaten gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zu beseitigen. Nach der Aufnahme der Art. 56 und 58 EG (jetzt Art. 63 und 65 AEUV) in den Vertrag im Jahr 1994(11) kommt der Nomenklatur im Anhang der Richtlinie 88/361/EWG bei der Prüfung, ob eine Transaktion unter den Kapitalverkehr im Sinne von Art. 63 AEUV fällt, Hinweischarakter zu(12). Art. 40 des EWR-Abkommens ist in Verbindung mit dessen Anhang XII zu sehen. Beide beziehen sich ausdrücklich auf die Richtlinie 88/361/EWG und darauf, wie diese im Sinne des EWR-Abkommens auszulegen ist.

 Mutter-Tochter-Richtlinie

14.      Die Mutter-Tochter-Richtlinie(13) ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Sie ist jedoch insofern relevant, als sie die Doppelbesteuerung von Dividendenausschüttungen regelt. Das Ziel der Mutter-Tochter-Richtlinie besteht darin, durch Schaffung eines gemeinsamen Steuersystems jede Benachteiligung der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten gegenüber der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften desselben Staates zu beseitigen und so grenzüberschreitende Zusammenschlüsse von Gesellschaften auf der Unionsebene zu erleichtern(14). Mit der Mutter-Tochter-Richtlinie soll sichergestellt werden, dass im Fall des Bezugs von Dividenden (im Wortlaut der Richtlinie: Gewinnausschüttungen) durch eine Muttergesellschaft als Teilhaberin ihrer Tochtergesellschaft der Staat der Muttergesellschaft diese entweder nicht besteuert oder, im Fall der Erhebung von Abgaben oder Steuern, die Muttergesellschaft den Steuerteilbetrag, den die Tochtergesellschaft für ihre Dividendenzahlungen entrichtet, auf die geschuldete Steuer anrechnen kann(15). Darüber hinaus sieht die Mutter-Tochter-Richtlinie zur Sicherung der steuerlichen Neutralität in Art. 5 vor, dass die „von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne … vom Steuerabzug an der Quelle befreit“ sind(16).

 Nationale Rechtsvorschriften

15.      Das Laki elinkeinotulon verottamisesta (Gesetz über die Besteuerung von Unternehmenserträgen, 360/1968) (im Folgenden: LEV) regelt die Besteuerung von Dividendenzahlungen an gebietsansässige Pensionsfonds. Nach § 6a in Verbindung mit § 11 LEV werden an Pensionsfonds gezahlte Dividenden als Einkünfte besteuert.

16.      Nach § 6a LEV in Verbindung mit § 2 des tuloverolaki (Einkommensteuergesetz, 1535/1992) unterliegen Pensionsfonds einer Steuer in Höhe eines Steuersatzes von 19,5 % auf Dividendenzahlungen.

17.      Nach § 7 LEV können Ausgaben und Verluste aus der Erzielung oder Erhaltung von Einkünften aus einer wirtschaftlichen Tätigkeit steuerlich in Abzug gebracht werden.

18.      Nach § 8 Abs. 1 Nr. 10 LEV gehören zu den abzugsfähigen Ausgaben im Sinne des § 7 gesetzliche Rücklagen, die Versicherungsgesellschaften, Versicherungsverbände, Sparkassen und andere ähnliche Versicherungseinrichtungen zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus Versicherungsverbindlichkeiten vornehmen, ebenso wie die zur Erfüllung dieser Verpflichtungen notwendigen Mittel sowie die Mittel, die nach den geltenden Grundsätzen der Versicherungswirtschaft(17) zur Deckung von mit der Kapitalanlage für Pensionen und anderen hiermit verbundenen Verbindlichkeiten notwendig sind(18).

19.      Dividendenzahlungen finnischer Gesellschaften an gebietsfremde Pensionsfonds unterliegen nach dem lähdeverolaki (Gesetz über die Quellensteuer, 627/1978) einer Quellensteuer. Nach den Art. 3 bis 7 des lähdeverolaki wird die Quellensteuer in Höhe eines Steuersatzes von 19,5 % erhoben. Der Steuersatz ist niedriger, wenn ein Doppelbesteuerungsabkommen anwendbar ist(19).

 Verfahren

20.      Im Anschluss an ein Verfahren nach Art. 258 AEUV beantragt die Kommission die Feststellung durch den Gerichtshof, dass die Republik Finnland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 63 AEUV und Art. 40 des EWR-Abkommens verstoßen hat, dass sie eine Regelung erlassen und aufrechterhalten hat, nach der an gebietsfremde Pensionsfonds ausgeschüttete Dividenden diskriminierend besteuert werden. Die Kommission beantragt außerdem, die Republik Finnland zur Tragung der Kosten des Verfahrens zu verurteilen.

21.      Die Regierungen Dänemarks, Frankreichs, der Niederlande, Schwedens und des Vereinigten Königreichs sind dem Verfahren zur Unterstützung der Anträge Finnlands beigetreten.

22.      In der Sitzung vom 10. Mai 2012 haben die Kommission sowie die Regierungen Finnlands, der Niederlande und Schwedens mündliche Erklärungen abgegeben.

 Würdigung

 Vorbemerkungen

23.      Erstens macht die finnische Regierung geltend, dass die Klage der Kommission unzulässig sei. Die Klageschrift entspreche insoweit nicht den Voraussetzungen des Art. 38 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung, als die Klagegründe nicht so klar und genau dargestellt seien, dass Finnland seine Verteidigung vorbereiten und der Gerichtshof entscheiden könne.

24.      Auch wenn die Klageschrift leichter verständlich wäre, wenn sie genauer formuliert wäre, ist der Klagebeantwortung der finnischen Regierung doch eindeutig zu entnehmen, dass diese den Vorwurf der Kommission verstanden hat. Ferner ist die Klageschrift auch insofern hinreichend klar, als sie den Regierungen von fünf Mitgliedstaaten ermöglicht hat, Erklärungen abzugeben, in denen sie auf den streitigen Punkt eingehen. Ich bin daher nicht der Ansicht, dass Finnland in der Vorbereitung seiner Verteidigung beeinträchtigt worden ist.

25.      Zweitens betrifft das laufende Verfahren „kapitalgedeckte“ Pensionsfonds. Solche Pensionsfonds bilden Vermögen, das zur Auszahlung von Leistungen an Personen verwendet wird, mit denen sie Versicherungsverträge abgeschlossen haben. Das Vermögen wird vom Fonds gehalten, und seine Verwendung ist nur zur Auszahlung dieser Leistungen gestattet(20). Kapitalgedeckte Pensionsfonds führen Zuflüsse aus ihren Kapitalanlagen typischerweise Rücklagen zu, die zur Erfüllung künftiger Verbindlichkeiten gebildet werden(21). In der mündlichen Verhandlung hat Finnland erläutert, dass die Rücklagen aufgrund gesetzlicher Regelungen gebildet würden. Es ist unstreitig, dass gebietsfremde Pensionsfonds in gleicher Weise verfahren und Dividendenzahlungen zum gleichen Zweck wie gebietsansässige Pensionsfonds Rücklagen zuführen.

26.      Drittens werden Dividendenzahlungen üblicherweise als Einkünfte (Zuflüsse) und nicht als Ausgaben angesehen(22). Dividenden werden somit allgemein grundsätzlich als Einkünfte besteuert(23). Nach den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften ist es Pensionsfonds (oder anderen ähnlichen Einrichtungen, die ähnliche Versicherungsleistungen erbringen) jedoch gestattet, Dividendenzahlungen, die sie beziehen und Rücklagen zuführen, steuerlich als Ausgaben zu behandeln. Bei der Berechnung der Steuerschuld werden Dividenden daher von den Einkünften eines Pensionsfonds in Abzug gebracht, um den zu versteuernden Betrag zu ermitteln.

27.      Diese Möglichkeit stellt meines Erachtens einen Steuervorteil dar, der sich aus der Natur der besonderen Verpflichtungen und Tätigkeiten von Pensionsfonds ergibt.

28.      Viertens enthält der Vertrag keine Definition dafür, was als „Kapitalverkehr“ im Sinne von Art. 63 AEUV anzusehen ist. Wenngleich der Bezug von Dividenden in der Nomenklatur im Anhang der Richtlinie 88/361/EWG nicht ausdrücklich als Kapitalverkehr erwähnt ist, setzt das Recht zum Bezug solcher Zahlungen eine Beteiligung an neuen oder bestehenden Unternehmen im Sinne von Rubrik I Nr. 2 des Anhangs und/oder Transaktionen mit Kapitalmarktpapieren im Sinne von Rubrik IIIA Nr. 1 oder 3 voraus(24). Der Erwerb von Vermögenswerten, mit denen Dividenden erzielt werden, fällt eindeutig unter den Anhang zur Nomenklatur, auch wenn Dividendenzahlungen als solche steuerlich allgemein als Einkünfte behandelt werden.

29.      Fünftens ist es im Bereich der nichtharmonisierten direkten Steuern Sache der Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob sie ihre Befugnisse zur Steuererhebung ausüben. Nach ständiger Rechtsprechung müssen sie diese Befugnisse aber im Einklang mit dem Unionsrecht ausüben und daher eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit vermeiden(25).

 Diskriminierung

30.      Die Kommission macht geltend, dass gebietsansässige Pensionsfonds (praktisch) steuerbefreit seien, weil sie Dividendenzahlungen, die Rücklagen zugeführt würden, als abzugsfähige Ausgaben behandeln dürften. Gebietsfremde Pensionsfonds würden benachteiligt, weil an sie geleistete Dividendenzahlungen mittels der Quellensteuer an der Quelle besteuert würden und keine Abzüge erlaubt seien. Durch diese unterschiedliche Behandlung würden grenzüberschreitende Kapitaltransfers weniger attraktiv, da gebietsfremde Pensionsfonds davon abgehalten würden, Anteile an finnischen Gesellschaften zu erwerben. Damit würden Pensionsfonds daran gehindert, ihre Anlagen zu streuen und ihre Gewinne, die zur Zahlung der Renten an die Versicherten verwendet werden sollen, zu maximieren.

31.      Finnland bestreitet, dass gebietsansässige Pensionsfonds hinsichtlich der von ihnen bezogenen Dividenden steuerbefreit seien. Es betont, dass grundsätzlich alle Pensionsfonds der Besteuerung unterlägen. Gleichwohl räumt es ein, dass gebietsfremde Pensionsfonds anders behandelt würden als gebietsansässige Pensionsfonds und dass die Möglichkeit, Dividendenzahlungen als abzugsfähige Ausgaben zu behandeln, in bestimmten Fällen dazu führen könne, dass eine Steuerschuld entfalle.

32.      Es steht fest, dass die nach den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften bestehende Möglichkeit einen Steuervorteil darstellt, der gebietsfremden Pensionsfonds nicht gewährt wird.

33.      Pensionsfonds erwerben und erhalten Kapitalvermögen, um langfristig Einkünfte zu erzielen. Ein solcher Unterschied bei der steuerlichen Behandlung von Dividenden behindert den freien Kapitalverkehr, da er Kapitalanlagen in Finnland für gebietsfremde Pensionsfonds weniger attraktiv macht. Infolgedessen sind den Möglichkeiten finnischer Unternehmen, Anlagekapital von ausländischen Pensionsfonds aufzunehmen, engere Grenzen gesetzt(26).

34.      Ich bin daher der Ansicht, dass die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften dadurch, dass sie gebietsansässigen Pensionsfonds gestatten, Dividendenzahlungen, die Rücklagen zugeführt werden, als abzugsfähige Ausgaben zu behandeln, gebietsfremden Pensionsfonds diesen Vorteil aber nicht gewähren, eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 63 AEUV darstellen.

 Rechtfertigung

35.      Ist die unterschiedliche Behandlung gebietsansässiger und gebietsfremder Pensionsfonds gerechtfertigt?

 Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV

36.      Finnland, das von den Regierungen der dem Verfahren beigetretenen Mitgliedstaaten unterstützt wird, trägt vor, es sei ihm nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV gestattet, Pensionsfonds, die sich hinsichtlich ihres Niederlassungsorts nicht in der gleichen Situation befänden, unterschiedlich zu behandeln und somit die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften anzuwenden.

37.      Insoweit ist festzustellen, dass Art. 65 Abs. 1 Buchst. a, der eine Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs darstellt, eng auszulegen ist(27). Er kann nicht dahin verstanden werden, dass jede nationale Regelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort differenziert, ohne Weiteres mit dem Vertrag vereinbar wäre(28).

38.      Zu unterscheiden ist zwischen einer nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV erlaubten Ungleichbehandlung und einer nach Art. 65 Abs. 3 verbotenen willkürlichen Diskriminierung. Die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften können nur dann als mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr, Art. 63 AEUV, vereinbar angesehen werden, wenn die unterschiedliche Behandlung entweder Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist(29).

39.      Diese Frage hat der Gerichtshof in einer Reihe von Fällen untersucht, die eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung betrafen(30). Als allgemeine Regel gilt, dass Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen können, um eine mehrfache Belastung oder wirtschaftliche Doppelbesteuerung der von einer gebietsansässigen Gesellschaft ausgeschütteten Gewinne zu vermeiden oder abzuschwächen, und dass sich Dividenden beziehende gebietsansässige und gebietsfremde Anteilseigner nicht unbedingt in einer vergleichbaren Situation befinden(31).

40.      Sobald jedoch ein Mitgliedstaat nicht nur die gebietsansässigen, sondern auch die gebietsfremden Anteilseigner hinsichtlich der Dividenden, die sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft beziehen, einseitig oder im Wege eines Abkommens der Einkommensteuer unterwirft, nähert sich die Situation der gebietsfremden Anteilseigner derjenigen der gebietsansässigen Anteilseigner an(32).

41.      In den Worten des Gerichtshofs: „Allein schon die Ausübung der Steuerhoheit durch diesen Mitgliedstaat birgt nämlich unabhängig von einer Besteuerung in einem anderen Mitgliedstaat die Gefahr einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung in sich. In einem solchen Fall hat der Staat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft dafür zu sorgen, dass die gebietsfremden Empfänger im Hinblick auf den in seinem nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Vermeidung oder Abschwächung einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eine Behandlung erfahren, die derjenigen der gebietsansässigen Empfänger gleichwertig ist, damit sie sich nicht einer – nach Art. 56 EG grundsätzlich verbotenen – Beschränkung des freien Kapitalverkehrs gegenübersehen.“(33)

42.      Im vorliegenden Verfahren besteht das Ziel der fraglichen nationalen Rechtsvorschriften darin, dem besonderen Zweck Rechnung zu tragen, den Pensionsfonds (und andere ähnliche Einrichtungen) mit der Bildung von Kapital verfolgen, das Rücklagen zugeführt wird, die schließlich zur Erfüllung ihrer künftigen Versicherungsverbindlichkeiten verwendet werden. Indem diesen Einrichtungen gestattet wird, Dividenden als abzugsfähige Ausgaben zu behandeln, wird die Besteuerung bis zu dem Zeitpunkt aufgeschoben, zu dem die Zahlung aus den Versicherungsverträgen erfolgt, und dann diese Zahlung beim Leistungsempfänger besteuert.

43.      Obwohl gebietsfremde Pensionsfonds in gleicher Weise vorgehen und die gleichen Ziele wie gebietsansässige Pensionsfonds verfolgen, wenn sie Rückstellungen bilden, hat Finnland die Entscheidung getroffen, die an diese Fonds gezahlten Dividenden zu besteuern. Da es wesentlicher Bestandteil ihrer Tätigkeit ist, Rückstellungen zu bilden, befinden sich gebietsfremde Pensionsfonds, die Dividenden von finnischen Gesellschaften beziehen, meines Erachtens in einer mit gebietsansässigen Pensionsfonds vergleichbaren Situation.

44.      Unter diesen Umständen bin ich der Ansicht, dass die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften insoweit, als es gebietsfremden Pensionsfonds nicht gestattet ist, Dividendenzahlungen, die sie von finnischen Gesellschaften beziehen und die Rücklagen zugeführt werden, als abzugsfähige Ausgaben zu behandeln, eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellen, die nach Art. 63 AEUV untersagt ist.

 Steuerliche Territorialität

45.      Finnland und die Regierungen der dem Verfahren beigetretenen Mitgliedstaaten machen geltend, dass die unterschiedliche steuerliche Behandlung von gebietsansässigen und gebietsfremden Pensionsfonds durch den Grundsatz der steuerlichen Territorialität gerechtfertigt sei. Aus diesem Grundsatz folge, dass gebietsfremde Fonds (die einer begrenzten Steuerpflicht unterlägen) nur für im besteuernden Staat (Finnland) erzielte Einkünfte besteuert würden und dass Ausgaben, die unmittelbar mit der Tätigkeit zusammenhingen, aus der diese Einkünfte erzielt worden seien, steuerlich abzugsfähig seien(34). Bei Gebietsansässigen (die der vollen Steuerpflicht unterlägen) bildeten jedoch die weltweiten Einkünfte und Ausgaben die steuerliche Bemessungsgrundlage.

46.      Der Grundsatz der steuerlichen Territorialität im internationalen Steuerrecht ist nicht definiert, der Gerichtshof hat ihn jedoch anerkannt(35). Ich teile die Ansicht, dass der besteuernde Staat seine Befugnisse nach diesem Grundsatz ausübt(36).

47.      Gleichwohl folgt hieraus meines Erachtens nicht, dass die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften von vornherein vom Anwendungsbereich des Art. 63 AEUV ausgenommen wären. Die unterschiedliche Behandlung von gebietsansässigen und gebietsfremden Pensionsfonds lässt sich nicht mit dem bloßen Verweis auf diesen Grundsatz unter Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV subsumieren(37).

48.      Finnland und die dem Verfahren beigetretenen Mitgliedstaaten berufen sich auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Gerritse(38) und machen geltend, dass Dividendenzahlungen, die Rücklagen zugeführt würden, keine Ausgaben darstellten, die unmittelbar mit der wirtschaftlichen Tätigkeit (Kapitalanlage in Finnland) zusammenhingen, aus der diese Dividenden erzielt worden seien. Bei gebietsfremden Pensionsfonds könnten solche Rücklagen nicht als abzugsfähige Ausgaben behandelt werden, da aus dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität folge, dass gebietsfremde Pensionsfonds in Finnland nur einer begrenzten Steuerpflicht unterlägen. Gebietsansässige Pensionsfonds, die in Finnland voll steuerpflichtig seien, dürften daher anders behandelt werden.

49.      Die Kommission beruft sich ebenfalls auf das Urteil Gerritse und trägt vor, die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften seien dahin auszulegen, dass damit ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Zuführungen von Dividenden zu Rücklagen und den Kapitalanlagen in Finnland, durch die diese Dividenden erzielt würden, anerkannt werde. Daher müssten diese Rücklagen auch bei gebietsfremden Pensionsfonds als steuerlich abzugsfähige Ausgaben behandelt werden.

50.      Im Urteil Gerritse(39) hat der Gerichtshof entschieden, dass sich Gebietsansässige und Gebietsfremde, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den fraglichen Ausgaben und der Tätigkeit besteht, aus der die zu versteuernden Einkünfte erzielt wurden, in einer vergleichbaren Situation befinden und dass solche Ausgaben daher steuerlich abzugsfähig sein müssen.

51.      Die vorliegende Rechtssache unterscheidet sich von früheren Rechtssachen, in denen der Gerichtshof geprüft hat, ob bei der Berechnung der steuerlichen Bemessungsgrundlage gebietsfremden Steuerpflichtigen der gleiche Vorteil bezüglich des Abzugs von Ausgaben einzuräumen ist wie gebietsansässigen Steuerpflichtigen(40).

52.      Die Umstände sind insofern ungewöhnlich, als Dividendenzahlungen als Einkünfte anzusehen sind. Sie sind keine Ausgaben. Die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften arbeiten mit einer rechtlichen Fiktion, die es gebietsansässigen Pensionsfonds gestattet, solche Ausschüttungen als Ausgaben zu behandeln.

53.      Die Frage ist, ob die gleiche Fiktion auch auf gebietsfremde Pensionsfonds Anwendung finden muss.

54.      Im Urteil FKP Scorpio Konzertproduktionen(41) hat der Gerichtshof zu den damaligen Art. 59 und 60 EG (jetzt Art. 56 und 57 AEUV) entschieden, dass diese Bestimmungen der etwaigen Berücksichtigung von Ausgaben nicht entgegenstehen, die nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang – im Sinne der Rechtsprechung Gerritse – mit der wirtschaftlichen Tätigkeit stehen, aus denen die fraglichen zu versteuernden Einkünfte erzielt wurden.

55.      Ich komme daher zu dem Ergebnis, dass aus dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität nicht ohne Weiteres folgt, dass an gebietsfremde Pensionsfonds gezahlte Dividenden, die Rücklagen zugeführt werden („Ausgaben“ im Sinne der fraglichen nationalen Rechtsvorschriften), nur dann als steuerlich abzugsfähig behandelt werden können, wenn sie mit der Tätigkeit, aus der die Einkünfte erzielt wurden, in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen.

 Kohärenz des Steuersystems

56.      Finnland macht ferner hilfsweise geltend, dass die unterschiedliche Behandlung deshalb gerechtfertigt sei, weil sie zur Wahrung der Kohärenz seines Steuersystems erforderlich sei.

57.      Zwar erkennt der Gerichtshof an, dass die Notwendigkeit, die Kohärenz einer nationalen Steuerregelung zu wahren, eine Beschränkung der Grundfreiheiten in Form einer Ungleichbehandlung je nachdem, ob ein bestimmter Steuertatbestand erfüllt ist oder nicht, rechtfertigen kann, entscheidet aber in ständiger Rechtsprechung, dass eine Rechtfertigung nur vorliegen kann, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung besteht(42).

58.      Die Rechtssache Bachmann(43) betraf das belgische Einkommensteuersystem, insbesondere die Frage, ob in einem anderen Mitgliedstaat geleistete Versicherungsbeiträge steuerlich absetzbar waren. Herr Bachmann hatte Kranken- und Invaliditätsversicherungsverträge sowie einen Vertrag über eine Lebensversicherung in Deutschland abgeschlossen (wo er damals erwerbstätig war), war dann nach Belgien umgezogen, um dort zu leben und zu arbeiten, hatte die nach den Verträgen fälligen Beiträge aber weiter eingezahlt. Nach belgischem Recht durfte er diese Beiträge – anders als wenn er sie in Belgien eingezahlt hätte – nicht von seinen Erwerbseinkünften abziehen. Die belgische Regierung machte jedoch mit Erfolg geltend, dass die Steuerbefreiung der Beiträge durch die Besteuerung der von den Versicherern zu zahlenden Pensionen, Renten oder Kapitalabfindungen ausgeglichen werde. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Kohärenz der Steuerregelung voraussetzt, dass ein Staat, wäre er verpflichtet, den Abzug der in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Versicherungsbeiträge zuzulassen, die von den Versicherern zu zahlenden Beträge besteuern könnte. Dies konnte aber nicht garantiert werden. Folglich konnte die Kohärenz der Steuerregelung nicht durch weniger einschränkende Bestimmungen als die belgische Regelung gewährleistet werden.

59.      Das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Bachmann beruhte auf der Feststellung, dass im belgischen Recht bei ein und demselben der Einkommensteuer unterliegenden Steuerpflichtigen ein unmittelbarer Zusammenhang(44) zwischen der Möglichkeit, Versicherungsbeiträge von den steuerbaren Einkünften abzuziehen, und der späteren Besteuerung der von den Versicherern gezahlten Beträge bestand. Nach den fraglichen belgischen Rechtsvorschriften waren für den Fall, dass Beitragszahlungen nicht vom zu versteuernden Einkommen eines Versicherten abgezogen wurden, die vom Versicherer ausgezahlten Leistungen nicht zu versteuern.

60.      In der vorliegenden Sache besteht aber kein solcher Zusammenhang, durch den der Steuervorteil und die Steuerschuld ausgeglichen werden.

61.      Das finnische System hat drei Elemente: i) Pensionsfonds unterliegen der Gewerbesteuer auf Dividendenzahlungen, ii) Dividendenzahlungen, die Rücklagen zugeführt werden, werden als steuerlich abzugsfähige Ausgaben behandelt, und iii) es besteht die Möglichkeit, die aufgeschobene Steuer auf Dividendenzahlungen auf künftige Zahlungen an Leistungsempfänger aus Versicherungsverträgen zu erheben.

62.      Diese drei verschiedenen Elemente mögen Teil einer steuerlichen Gesamtregelung sein, ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen ihnen ist jedoch nicht nachgewiesen.

63.      Hinsichtlich des Steuervorteils für Pensionsfonds und der möglichen späteren Besteuerung der Leistungen beim Leistungsempfänger hat Finnland nicht dargelegt, dass die Abzüge mit einer Erhebung von Einkommensteuer beim Leistungsempfänger nach Bezug von Leistungen aus einem Versicherungsvertrag in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Ferner investieren Pensionsfonds im Allgemeinen in verschiedene Vermögenswerte und verwenden daher zur Erhaltung ihrer Rücklagen Einkommen aus unterschiedlichen Quellen. Dividenden aus Unternehmensanlagen sind nur eine solche Quelle. Vor diesem Hintergrund werden die Leistungen, die Pensionsfonds aus Versicherungsverträgen auszahlen, nicht nur aus Dividendenzahlungen erwirtschaftet. Dementsprechend besteht kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der besonderen steuerlichen Behandlung von Dividendenzahlungen nach den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften und Leistungen, die als Pensionen an Versicherte ausgezahlt werden und möglicherweise der Einkommensbesteuerung unterliegen.

64.      Meines Erachtens kann die unterschiedliche Behandlung daher nicht damit gerechtfertigt werden, dass sie zur Wahrung der Kohärenz des Steuersystems erforderlich ist.

65.      Ich gelange daher zu dem Schluss, dass die fragliche nationale Regelung nicht gerechtfertigt ist.

 Ergänzende Aspekte

 Doppelbesteuerung

66.      Im Zusammenhang mit der Doppelbesteuerung bedürfen zwei Punkte der Klärung.

67.      Erstens unterliegen im finnischen Steuersystem Dividendenzahlungen einer finnischen Tochtergesellschaft an einen gebietsfremden Pensionsfonds, der auch eine Muttergesellschaft im Sinne der Art. 2 und 3 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie ist, nicht der Quellensteuer in Höhe von 19,5 % nach den Art. 3 bis 7 des lähdevrolaki(45).

68.      Nach der Mutter-Tochter-Richtlinie ist die Besteuerung solcher Dividendenzahlungen Sache des Staates, in dem der gebietsfremde Pensionsfonds ansässig ist. Dieser Staat kann von der Besteuerung solcher Dividenden beim Pensionsfonds (Muttergesellschaft) absehen. Alternativ kann er den Pensionsfonds besteuern, muss ihm dann jedoch gestatten, den Steuerteilbetrag, der auf die Dividendenzahlungen entfällt, die er von seiner finnischen Tochtergesellschaft erhalten hat, vom zu versteuernden Betrag abzuziehen(46).

69.      Daher ist die Besteuerung von Dividendenzahlungen, die gebietsfremde Pensionsfonds beziehen, die Muttergesellschaften im Sinne der Mutter-Tochter-Richtlinie sind, Sache des Staates, in dem diese Pensionsfonds ansässig sind, und nicht Finnlands.

70.      Zweitens hat Finnland Doppelbesteuerungsabkommen mit allen Mitgliedstaaten außer Zypern und mit den EWR-Staaten außer Liechtenstein abgeschlossen(47). Nach den Doppelbesteuerungsabkommen liegt der für Dividendenzahlungen geltende Steuersatz bei höchstens 15 %. Finnland hat in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass er in einigen Fällen (etwa im Fall Frankreichs, Irlands und des Vereinigten Königreichs) bei null liege(48).

71.      Frankreich ist der Ansicht, dass die weniger günstige Behandlung gebietsfremder Pensionsfonds durch die Doppelbesteuerungsabkommen insoweit abgemildert werde, als ein niedrigerer Steuersatz (bis höchstens 15 %) gelte als derjenige von 19,5 %, der für gebietsansässige Pensionsfonds gelte.

72.      Der Gerichtshof hat zwar entschieden, dass Mitgliedstaaten die Beachtung ihrer Verpflichtungen aus dem Vertrag dadurch sicherstellen können, dass sie Doppelbesteuerungsabkommen mit anderen Mitgliedstaaten schließen(49), doch ist erforderlich, dass die Anwendung eines solchen Abkommens es erlaubt, die Wirkungen der sich aus dem nationalen Recht ergebenden unterschiedlichen Behandlung auszugleichen(50).

73.      Um die unterschiedliche Behandlung nach den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften zu neutralisieren, müsste Finnland nachweisen, dass die belastendere steuerliche Behandlung gebietsfremder Pensionsfonds gegenüber gebietsansässigen Pensionsfonds nicht seinem Steuersystem anzulasten wäre(51). Richtig ist, dass bei Anwendung eines Steuersatzes von null auf Dividendenzahlungen an gebietsfremde Pensionsfonds (wie dies für Frankreich, Irland und das Vereinigte Königreich der Fall ist) die Dividenden einer Besteuerung im Staat der Niederlassung unterlägen und nicht in Finnland.

74.      Finnland räumt jedoch ein, dass sich der gebietsansässigen Pensionsfonds gewährte Steuervorteil in der Praxis dahin auswirkt, dass an sie geleistete Dividendenzahlungen häufig einer geringen oder gar keiner Gewerbesteuer unterliegen. Gilt nach einem Doppelbesteuerungsabkommen für gebietsfremde Pensionsfonds ein Steuersatz von höchstens 15 %, wird die ungünstigere Behandlung meines Erachtens durch ein solches Abkommen nicht ausgeglichen (es sei denn, der Steuersatz liegt nach diesem Abkommen bei oder nahe null). Ich bin daher nicht der Ansicht, dass diese Abkommen die unterschiedliche Behandlung nach den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften voll ausgleichen.

 Quellensteuer

75.      Abschließend möchte ich mit einigen Anmerkungen auf die Bedenken Dänemarks, der Niederlande und Schwedens betreffend Quellensteuern eingehen(52).

76.      Die Regierungen dieser Mitgliedstaaten tragen vor, aus dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität folge, dass Mitgliedstaaten in Ausübung ihrer Steuerhoheit in der Lage sein sollten, der Besteuerung von Dividenden, die an nicht gebietsansässige Steuerpflichtige gezahlt würden, den bezogenen Bruttobetrag und nicht den Nettobetrag (Dividendenzahlungen abzüglich Abzüge, z. B. Ausgaben) zugrunde zu legen.

77.      In der Rechtssache Truck Centre(53) hat der Gerichtshof entschieden, dass die Steuererhebung im Wege einer Quellensteuer die Situation widerspiegelt, dass nur gebietsansässige Steuerpflichtige unmittelbar der Kontrolle der Steuerverwaltungen des Staates unterliegen, in dem die Zahlung erfolgt, und diese Steuerverwaltungen die Zwangsbeitreibung der Steuer sicherstellen können. Bei gebietsfremden Steuerpflichtigen verhält sich dies anders, weil bei ihnen für die Steuereinziehung die Unterstützung und Zusammenarbeit mit den Steuerverwaltungen eines anderen Mitgliedstaats erforderlich ist(54). Das Unionsrecht erkennt somit an, dass unterschiedliche Besteuerungstechniken für gebietsansässige und gebietsfremde Steuerpflichtige zulässig sind, wenn die Situation dieser beiden Kategorien von Steuerpflichtigen hinsichtlich der Steuerverwaltung und -erhebung nicht als vergleichbar anzusehen ist.

78.      Ich würde mich also der Ansicht anschließen, dass es im Ermessen der Mitgliedstaaten steht, in Ausübung ihrer Steuerhoheit zu entscheiden, die Steuern auf Dividendenzahlungen an gebietsfremde Steuerpflichtige im Wege des Abzugs an der Quelle zu erheben. Mein in Nr. 34 dargelegtes Ergebnis bezieht sich jedoch nicht auf den Quellensteuerabzug, sondern auf eine unterschiedliche Behandlung bezüglich eines bestimmten Steuervorteils.

 Ergebnis

79.      Nach alledem bin ich der Ansicht, dass die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften gegen Art. 63 AEUV und Art. 40 des EWR-Abkommens verstoßen. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, die von der Kommission beantragte Feststellung auszusprechen und der Republik Finnland – dem Antrag der Kommission entsprechend und gemäß Art. 69 Abs. 2 der Verfahrensordnung – die Kosten aufzuerlegen.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 –      Siehe unten, Nr. 25.


3 –      Siehe unten, Nr. 16.


4 –      Siehe unten, Nr. 19.


5 –      Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. L 1, S. 3) (im Folgenden: EWR-Abkommen).


6 –      Urteile des Gerichtshofs vom 26. Oktober 2006, Kommission/Portugal (C‑345/05, Slg. 2006, I‑10633, Randnr. 39), und vom 23. Februar 2006, Keller Holding (C‑471/04, Slg. 2006, I‑2107, Randnr. 48); vgl. auch die dort angeführte Rechtsprechung.


7 –      Schlussanträge von Generalanwalt Geelhoed in der Rechtssache Ospelt und Schlössle Weissenberg (C‑452/01, Urteil vom 23. September 2003, Slg. 2003, I‑9743, Randnr. 67) und Urteil des Gerichtshofs vom 15. Juni 1999, Andersson und Wåkerås-Andersson (C‑321/97, Slg. 1999, I‑3551, Randnr. 28).


8 –      Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern (ABl. L 336, S. 15). Mit der Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung wird die Richtlinie 77/799/EWG mit Wirkung vom 1. Januar 2013 aufgehoben und ersetzt (ABl. L 64, S. 1).


9 –      Siehe unten, Nr. 70 und Fn. 47.


10 –      Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages (ABl. L 178, S. 5).


11 –      Die Art. 56 und 58 EG wurden mit Wirkung vom 1. Januar 1994 durch den Vertrag von Maastricht (Vertrag über die Europäische Union) eingeführt (ABl. 1992, C 191, S. 1).


12 –      Urteil des Gerichtshofs vom 2. Juni 2005, Kommission/Italien (C‑174/04, Slg. 2005, I‑4933, Randnr. 27).


13 –      Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6). Im Sinne der Mutter-Tochter-Richtlinie gilt als Muttergesellschaft jede Gesellschaft eines Mitgliedstaats, die die Bedingungen des Art. 2 der Richtlinie erfüllt und die einen Anteil von wenigstens 10 % am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats hält, die die gleichen Bedingungen erfüllt, vgl. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie.


14 –      Urteil des Gerichtshofs vom 26. Juni 2008, Burda (C‑284/06, Slg. 2008, I‑4571, Randnr. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).


15 –      Vgl. den vierten Erwägungsgrund und Art. 4 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie. Siehe auch Urteil des Gerichtshofs vom 12. Februar 2009, Cobelfret (C‑138/07, Slg. 2009, I‑731, Randnrn. 29 f.).


16 –      Siehe unten, Nrn. 67 bis 69 zur Mutter-Tochter-Richtlinie.


17 –      Kapitalgedeckte Pensionsfonds (siehe unten, Nr. 25) sind zum Schutz der bei ihnen Versicherten zu einer zur Deckung künftiger Verbindlichkeiten ausreichenden Kapitalausstattung verpflichtet. Grundsätzlich sind die Mitgliedstaaten für die Regelung der Altersversorgung in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet zuständig. Die Richtlinie 2003/41/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Juni 2003 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (ABl. L 235, S. 10) sieht jedoch bestimmte Verpflichtungen zum Schutz der Rechte von über kapitalgedeckte Pensionsfonds versicherten Leistungsempfängern vor. Hierzu gehört die Verpflichtung solcher Fonds zur Bildung hinreichender Rückstellungen von Vermögenswerten, um die künftig entstehenden Verbindlichkeiten erfüllen zu können.


18 –      In diesen Schlussanträgen bezeichne ich §§ 7 und 8 Abs. 1 Nr. 10 LEV als die „fraglichen nationalen Rechtsvorschriften“.


19 –      Siehe unten, Nr. 70.


20 –      Vgl. zur privaten Altersversorgung: „OECD classification and glossary (OECD Klassifizierung und Glossar)“, www.oecd.org/dataoecd/49/38356329.pdf. Vgl. auch das Grünbuch der Europäischen Kommission „Angemessene, nachhaltige und sichere europäische Pensions- und Rentensysteme“ (KOM[2010] 365 endg.). Solche Pensionsfonds (die betrieblichen oder privaten Charakter haben können) bilden zweckgebundenes Vermögen zur Deckung ihrer künftigen Verbindlichkeiten.


21 –      Im Gegensatz hierzu sind nicht kapitalgedeckte (auch als umlagefinanziert bezeichnete) Pensionsfonds nicht verpflichtet, Vermögensrücklagen zu bilden – die Leistungen werden aus den laufenden Beiträgen und/oder Abgaben der Arbeitnehmer finanziert.


22 –      Dividendenzahlungen werden im „OECD Model Tax Convention on income and capital (OECD-Musterabkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen)“, verfügbar unter www.oecd-ilibrary.org/taxation/model-tax-convention-on-income-and-on-capital, als Einkommen klassifiziert. Die aktuellste Version datiert vom 22. Juli 2010.


23 –      Siehe oben, Nr. 15.


24 –      Siehe oben, Nr. 13.


25 –      Urteil des Gerichtshofs vom 3. Juni 2010, Kommission/Spanien (C‑487/08, Slg. 2010, I‑4843, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).


26 –      Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 6. Oktober 2011, Kommission/Portugal (C‑493/09, Slg. 2011, I‑9247, Randnrn. 28 bis 32).


27 –      Urteil des Gerichtshofs vom 10. Mai 2012, Santander Asset Management (C‑338/11 bis C‑347/11, Randnr. 21).


28 –      Urteil Kommission/Spanien, oben in Fn. 25 angeführt, Randnr. 47.


29 –      Urteil Kommission/Spanien, oben in Fn. 25 angeführt, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung.


30 –      Eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung ist nicht definiert. Sie entsteht, wenn die gleichen Einkünfte zweimal bei zwei verschiedenen Steuerpflichtigen besteuert werden, wenn z. B. Körperschaftsteuer auf Gewinne erhoben wird und auf dieselben Gewinne nach ihrer Ausschüttung als Dividenden an die Anteilseigner bei diesen Einkommensteuer erhoben wird. Vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofs vom 6. Juni 2000, Verkooijen (C‑35/98, Slg. 2000, I‑4071).


31 –      Vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 8. November 2007, Amurta (C‑379/05, Slg. 2007, I‑9569, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).


32 –      Urteil Kommission/Spanien, oben in Fn. 25 angeführt, Randnr. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung.


33 –      Urteil Kommission/Spanien, oben in Fn. 25 angeführt, Randnr. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung.


34 –      Siehe unten, Nr. 50.


35 –      Urteil des Gerichtshofs vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C‑446/03, Slg. 2005, I‑10837, Randnrn. 45 f.).


36 –      Siehe unten, Nrn. 70 bis 74 zur Doppelbesteuerung von Dividendenzahlungen.


37 –      Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs in der Rechtssache Laboratoires Fournier (C‑39/04, Urteil vom 10. März 2005, Slg. 2005, I‑2057, Nr. 12); vgl. auch Schlussanträge von Generalanwalt Tesauro in der Rechtssache Safir (C‑118/96, Urteil vom 28. April 1998, Slg. 1998, I‑1897, Nrn. 20 bis 25). Vgl. ferner Urteil des Gerichtshofs vom 7. September 2004, Manninen (C‑319/02, Slg. 2004, I‑7477, Randnr. 39).


38 –      Urteil des Gerichtshofs vom 12. Juni 2003, Gerritse (C‑234/01, Slg. 2003, I‑5933, Randnr. 27).


39 –      Oben in Fn. 38 angeführt.


40 –      Wie die Rechtssache Gerritse betrafen die Rechtssachen Centro Equestre (C‑345/04, Urteil vom 15. Februar 2007, Slg. 2007, I‑1425) und FKP Scorpio Konzertproduktionen (C‑290/04, Urteil vom 3. Oktober 2006, Slg. 2006, I‑9461) die Dienstleistungsfreiheit und die Frage, ob Betriebsausgaben der betreffenden Steuerpflichtigen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Tätigkeit standen, aus der das zu versteuernde Einkommen erzielt wurde. Die Rechtssache Bouanich (C‑265/04, Urteil vom 19. Januar 2006, Slg. 2006, I‑923) betraf den freien Kapitalverkehr und die Abzugsfähigkeit der Kosten des Erwerbs von Aktien, die bei einem Rückkauf von einem nicht im besteuernden Staat ansässigen Aktionär erworben wurden.


41 –      Oben in Fn. 40 angeführt.


42 –      Urteil des Gerichtshofs vom 28. Januar 1992, Bachmann (C‑204/90, Slg. 1992, I‑249); vgl. auch Urteil des Gerichtshofs vom 28. Januar 1992, Kommission/Belgien (C‑300/90, Slg. 1992, I‑305).


43 –      Oben in Fn. 42 angeführt.


44 –      Der Begriff „unmittelbarer Zusammenhang“ wird hier in dem spezifischen, vom Gerichtshof in der Bachmann-Rechtsprechung erläuterten Sinne verwendet. Er bedeutet also, dass nach den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften eine Verbindung zwischen dem Steuervorteil und der Steuerschuld besteht, vgl. Randnrn. 21 bis 23 des Urteils Bachmann, oben in Fn. 42 angeführt.


45 –      Vgl. Art. 5 der Mutter-Tochter-Richtlinie oben in Nr. 14.


46 –      Vgl. Art. 4 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie und vgl. oben, Nr. 14.


47 –      Die Kommission hat in ihrer Erwiderung bestätigt, dass ihre Klage alle Mitgliedstaaten und EWR-Staaten betreffe, mit denen Finnland Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen hat und/oder die von der Richtlinie 77/799/EWG erfasst sind. Liechtenstein ist deshalb vom vorliegenden Verfahren nicht betroffen, weil es weder von der Richtlinie erfasst ist noch ein Doppelbesteuerungsabkommen mit Finnland geschlossen hat. Die Richtlinie 77/799/EWG ist auf Zypern anwendbar; daher ist dieser Mitgliedstaat von der Klage der Kommission mit umfasst.


48 –      Die Doppelbesteuerungsabkommen beruhen auf dem „Model Tax Convention on income and on capital (Musterabkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen)“ der OECD, das oben in Fn. 22 erwähnt ist. Dieses Abkommen führt einen Mechanismus für Amtshilfe und den Austausch von Auskünften in Steuerangelegenheiten ein und begrenzt die Besteuerung von Dividendenzahlungen an Steuerpflichtige, die in einem anderen Staat als demjenigen der ausschüttenden Gesellschaft ansässig sind, auf den Höchstsatz von 15 %.


49 –      Urteil Kommission/Spanien, oben in Fn. 25 angeführt, Randnr. 58.


50 –      Urteil Kommission/Spanien, oben in Fn. 25 angeführt, Randnr. 59.


51 –      Urteil Kommission/Spanien, oben in Fn. 25 angeführt, Randnr. 60.


52 –      Die Mitgliedstaaten erheben in der Regel Steuern auf Gewinnausschüttungen von Gesellschaften, d. h. auf an die Anteilseigner gezahlte Dividenden. Diese Steuern haben normalerweise die Form von Abzug- oder Quellensteuern, die die Gesellschaft, die die Zahlung vornimmt, für Rechnung der Steuerbehörden an der Quelle erhebt. Quellensteuern dienen im inländischen Zusammenhang oft dazu, die Erfüllung der Steuerpflicht durchzusetzen und die Steuererhebung zu vereinfachen; durch die an der Quelle einbehaltene Steuer wird im Allgemeinen die Steuerschuld von Empfängern, bei denen es sich um gebietsansässige Steuerpflichtige handelt, beglichen, oder sie wird auf diese Schuld angerechnet. Quellensteuern auf grenzüberschreitend gezahlte Dividenden stellen eine zusätzliche Besteuerung von Gebietsfremden durch den sie erhebenden Staat dar, möglicherweise ohne dass Letztere in dem Staat, in dem sie ansässig sind, deswegen eine Erleichterung erlangen können. Vgl. z. B. Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs in den Rechtssachen Denkavit u. a. (C‑283/94, C‑291/94 und C‑292/94, Urteil vom 17. Oktober 1996, Slg. 1996, I‑5063, Nr. 7).


53 –      Urteil des Gerichtshofs vom 22. Dezember 2008, Truck Centre (C‑282/07, Slg. 2008, I‑10767, Randnrn. 38 bis 41).


54 –      Urteil Truck Centre, oben in Fn. 53 angeführt, Randnr. 41.