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Rechtsmittel, eingelegt am 25. September 2015 von der HIT Groep BV gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz (Sechste Kammer) vom 15. Juli 2015 in der Rechtssache T-436/10, Hit Groep/Kommission

(Rechtssache C-514/15 P)

Verfahrenssprache: Niederländisch

Parteien

Rechtsmittelführerin: HIT Groep BV (Prozessbevollmächtigte: G. van der Wal und L. Parret, advocaten)

Andere Verfahrensbeteiligte: Europäische Kommission

Anträge

Die Rechtsmittelführerin beantragt,

die von ihr geltend gemachten Rechtsmittelgründe für begründet zu erklären, das angefochtene Urteil aufzuheben, ihre Klage gegen den streitigen Beschluss1 (nachträglich) für begründet zu erklären und den streitigen Beschluss, soweit er sie betrifft, und insbesondere Art. 1 Nr. 9 Buchst. b, Art. 2 Nr. 9 und Art. 4 Nr. 22 aufzuheben, hilfsweise, die gegen sie mit Art. 2 Nr. 9 des streitigen Beschlusses verhängte Geldbuße aufzuheben oder in einem vom Gerichtshof für angemessen gehaltenen Umfang herabzusetzen, zumindest aber das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Gericht zur erneuten Entscheidung unter Beachtung des vom Gerichtshof zu erlassenden Urteils zurückzuverweisen;

der Kommission die der Rechtsmittelführerin im erstinstanzlichen Verfahren und im Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten, einschließlich der Kosten für ihren Rechtsbeistand, aufzuerlegen.

Rechtsmittelgründe und wesentliche Argumente

a)    In den Rn. 174-188 und 224 des angefochtenen Urteils habe das Gericht zu Unrecht, rechtsfehlerhaft, unvollständig oder aber nicht nachvollziehbar begründet und unter Verstoß gegen Art. 296 Abs. 2 AEUV, Art. 41 Abs. 2 Buchst. c der Charta der Grundrechte der Europäischen Union2 (im Folgenden: Charta), Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003, Art. 7 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK), Art. 49 der Charta und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, entschieden und im angefochtenen Urteil beschlossen, dass die Kommission bei der Anwendung der für die Rechtsmittelführerin geltenden Obergrenze für die Geldbuße nach Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1/20033 den Umsatz der Rechtsmittelführerin im (Geschäfts-)Jahr 2003 habe zugrunde legen dürfen und mit der Zugrundelegung dieses Geschäftsjahrs nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen habe; das Gericht habe deshalb die Klage der (nunmehrigen) Rechtsmittelführerin abgewiesen und dieser die Kosten auferlegt.

b)    Das Gericht habe es zu Unrecht, rechtsfehlerhaft und unter Verstoß gegen Art. 296 Abs. 2 AEUV, Art. 41 Abs. 2 Buchst. c und Art. 49 Abs. 3 der Charta und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, unterlassen, die Verhältnismäßigkeit der Geldbuße, die der Rechtsmittelführerin von der Kommission auferlegt worden sei, zu beurteilen; (zumindest) insoweit sei das Urteil des Gerichts nicht oder unzureichend (nachvollziehbar) begründet; das Gericht habe deshalb die Klage der (nunmehrigen) Rechtsmittelführerin abgewiesen und dieser die Kosten auferlegt.

Anders als das Gericht entschieden habe, sei eine Abweichung von Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 (in der vorliegenden Rechtssache) nicht zulässig und rechtsfehlerhaft. Eine solche Abweichung – bei der anstelle des vorausgegangenen Geschäftsjahrs (2009) das Geschäftsjahr 2003 im Rahmen dieser Bestimmung zur Anwendung komme – widerspreche dieser Bestimmung und deren Zweck. Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 solle verhindern, dass eine Geldbuße in einer Höhe verhängt werde, die die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens zu dem Zeitpunkt überschreite, zu dem es für die Zuwiderhandlung haftbar gemacht werde und zu dem ihm von der Kommission eine finanzielle Sanktion auferlegt werde. Diese Bestimmung sei eine Gewährleistung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der nicht mehr gewährleistet sei, wenn von ihrem Wortlaut abgewichen werde.

Die Abweichung von dieser Bestimmung (ihrem Wortlaut) verstoße (in der vorliegenden Rechtssache) auch gegen Art. 7 Abs. 1 der EMRK, Art. 49 der Charta und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und das Bestimmtheitsgebot).

Die Urteile des Gerichtshofs, in denen eine Abweichung vom ausdrücklichen Wortlaut des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 zugelassen worden sei (Urteile vom 7. Juni 2007, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, C-76/06 P, EU:C:2007:326, und vom 14. Mai 2014, 1.garantovaná/Kommission, C-90/13 P, EU:C:2014:326), seien (lange) nach den tatsächlichen Geschehnissen erlassen worden, derentwegen der Rechtsmittelführerin die Geldbuße auferlegt worden sei. Eine rückwirkende Anwendung dieser Rechtsprechung verstoße daher gegen Art. 7 Abs. 1 der EMRK und Art. 49 der Charta.

Sollte eine Abweichung von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 1/2003 in Ausnahmefällen rechtlich zulässig sein (können), erfordere dies eine eingehende Begründung; im angefochtenen Urteil fehle jedoch entgegen Art. 7 Abs. 1 der EMRK und Art. 41 Abs. 2 Buchst. c der Charta eine solche Begründung bzw. diese sei unzureichend.

Die Gewährleistung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordere, dass der Unionsrichter (in jedem Fall), wenn von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung Nr. 1/2003 abgewichen worden sei, (anschließend) prüfe, ob die Geldbuße dem Ziel dieser Bestimmung und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspreche, was das Gericht im angefochtenen Urteil (und die Kommission im streitigen Beschluss) unterlassen habe, zumindest aber nicht oder unzureichend begründet habe.

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1     Beschluss K(2010) 4387 endg. der Kommission vom 30. Juni 2010 in einem Verfahren nach Artikel 101 [AEUV] und Artikel 53 EWR-Abkommen (COMP/38344 – Spannstahl), geändert durch den Beschluss K(2010) 6676 endgültig der Kommission vom 30. September 2010 und durch den Beschluss C(2011) 2269 final der Kommission vom 4. April 2011.

2     ABl. 2000, C 364, S. 1.

3     Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 AEUV] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1).