Language of document : ECLI:EU:C:2013:289

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

8. Mai 2013(*)

„Rechtsmittel – Wettbewerb – Kartelle – Markt für Butadienkautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk – Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung von Tochtergesellschaften an ihre Muttergesellschaften – Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses – Begründungspflicht – Schwere der Zuwiderhandlung – Multiplikator aus Gründen der Abschreckung – Konkrete Auswirkungen auf den Markt – Erschwerende Umstände – Wiederholungsfall“

In der Rechtssache C‑508/11 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 24. September 2011,

Eni SpA mit Sitz in Rom (Italien), Prozessbevollmächtigte: G. M. Roberti und I. Perego, avvocati,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch V. Di Bucci, G. Conte und L. Malferrari als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Borg Barthet, E. Levits und J.‑J. Kasel,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Januar 2013,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Eni SpA (im Folgenden: Eni oder Rechtsmittelführerin) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 13. Juli 2011, Eni/Kommission (T‑39/07, Slg. 2011, II-4457, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung C(2006) 5700 endg. der Kommission vom 29. November 2006 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/F/38.638 – Butadienkautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk) (im Folgenden: streitige Entscheidung), soweit sie Eni betrifft, und, hilfsweise, auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße teilweise abgewiesen hat.

2        Die Europäische Kommission hat ein Anschlussrechtsmittel eingelegt, mit dem sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit damit die streitige Entscheidung hinsichtlich der Berücksichtigung eines erschwerenden Umstands wegen eines Wiederholungsfalls für nichtig erklärt und dementsprechend die Geldbuße herabgesetzt worden ist.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

3        Am 7. Juni 2005 eröffnete die Kommission ein Verfahren nach Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) betreffend den Markt für Butadienkautschuk (im Folgenden: BR) und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk (im Folgenden: ESBR), synthetische Kautschuke, die vor allem in der Reifenproduktion verwendet werden. Sie richtete eine erste Mitteilung der Beschwerdepunkte u. a. an Eni, an deren 100%ige Tochtergesellschaft Polimeri Europa SpA (jetzt Versalis SpA, im Folgenden: Versalis) und an die Syndial SpA (vormals EniChem SpA, im Folgenden: Syndial), eine weitere Gesellschaft des Eni-Konzerns.

4        Am 6. April 2006 erließ die Kommission eine zweite Mitteilung der Beschwerdepunkte. Nachdem sie am 22. Juni 2006 eine Anhörung durchgeführt hatte, beschloss die Kommission, das Verfahren u. a. gegen Syndial einzustellen.

5        Das Verwaltungsverfahren führte am 29. November 2006 zum Erlass der streitigen Entscheidung.      Nach Art. 1 dieser Entscheidung hatten Eni, Versalis und die übrigen Unternehmen, die Adressaten der streitigen Entscheidung waren, nämlich die Bayer AG, The Dow Chemical Company, die Dow Deutschland Inc., die Dow Deutschland Anlagengesellschaft mbH, Dow Europe, die Shell Petroleum NV, die Shell Nederland BV, die Shell Nederland Chemie BV, die Unipetrol a.s., die Kaučuk a.s. und die Trade‑Stomil sp. z o.o. gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen verstoßen, indem sie − was Eni betrifft, in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis zum 28. November 2002 − an einer einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligt waren, in deren Rahmen sie Preisziele für ihre Produkte festgelegt, Kunden durch Nichtangriffsvereinbarungen aufgeteilt und sensible Geschäftsinformationen über Preise, Wettbewerber und Kunden im BR- und im ESBR-Sektor ausgetauscht hatten.

6        Nach den Erwägungsgründen 26 ff. der streitigen Entscheidung wurde in diesem Zeitraum der Geschäftsbereich für die fraglichen Produkte im Eni-Konzern ursprünglich von der EniChem Elastomeri srl geführt (im Folgenden: EniChem Elastomeri), einer Gesellschaft, die von Eni mittelbar durch ihre Tochtergesellschaft EniChem SpA kontrolliert wurde. Zum 1. November 1997 wurde EniChem Elastomeri mit der EniChem SpA verschmolzen, die zu 99,97 % von Eni kontrolliert wurde. Am 1. Januar 2002 übertrug die EniChem SpA ihren strategischen Geschäftsbereich Chemie, einschließlich BR und ESBR, auf Versalis. Versalis steht seit dem 21. Oktober 2002 unmittelbar und vollständig unter der Kontrolle von Eni.

7        Die von der Kommission in der streitigen Entscheidung verhängte Geldbuße war anhand der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), festgesetzt worden.

8        Die Kommission hielt den Verstoß für „besonders schwerwiegend“ und setzte zunächst den Ausgangsbetrag für die Bemessung der Geldbuße fest, indem sie anhand der BR- und ESBR-Verkäufe jedes einzelnen der betroffenen Unternehmen im Jahr 2001 unterschied. Für alle im Sinne des 36. Erwägungsgrundes der streitigen Entscheidung im Besitz von Eni befindlichen Unternehmen (im Folgenden: EniChem) belief sich die Summe der BR- und ESBR-Verkäufe im Jahr 2001 auf 164,902 Mio. Euro. Mit diesem Verkaufsergebnis habe EniChem unter den Unternehmen, die BR und ESBR vermarkteten und an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien, den ersten Rang eingenommen. Auf dieser Grundlage setzte die Kommission den Ausgangsbetrag der Geldbuße für Eni auf 55 Mio. Euro fest.

9        Anschließend wandte die Kommission zu Abschreckungszwecken Multiplikatoren an, die nach Maßgabe der Weltumsätze der beteiligten Unternehmen im Jahr 2005 gestaffelt waren. Sie entschied, dass gegen die Trade-Stomil sp. z o.o. (38 Mio. Euro Umsatz) und die Kaučuk a.s. (2,718 Mrd. Euro Umsatz) kein Multiplikator anzuwenden sei, und wandte gegen die Bayer AG (27,383 Mrd. Euro Umsatz) einen Multiplikator von 1,5, gegen The Dow Chemical Company, die Dow Deutschland Inc., die Dow Deutschland Anlagengesellschaft mbH und Dow Europe (37,221 Mrd. Euro Umsatz) einen Multiplikator von 1,75, gegen Eni und Versalis (73,738 Mrd. Euro Umsatz) einen Multiplikator von 2 und gegen die Shell Petroleum NV, die Shell Nederland BV und die Shell Nederland Chemie BV (246,549 Mrd. Euro Umsatz) einen Multiplikator von 3 an.

10      Außerdem wurde bei Eni und Versalis dieser Betrag um 65 % erhöht, weil diese Unternehmen sechs Jahre und sechs Monate an der in Rede stehenden Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien.

11      Schließlich erhöhte die Kommission den gegen Eni festgelegten Grundbetrag der Geldbuße wegen eines Wiederholungsfalls um 50 %, weil dieses Unternehmen bereits Adressatin zweier früherer Entscheidungen gewesen sei, mit denen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union festgestellt worden seien, nämlich der Entscheidungen 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81 EG] (IV/31.149 – Polypropylen) (ABl. L 230, S. 1) (im Folgenden: Entscheidung Polypropylen) und 94/599/EG der Kommission vom 27. Juli 1994 betreffend ein Verfahren nach Artikel [81 EG] (IV/31.865 – PVC II) (ABl. L 239, S. 14) (im Folgenden: Entscheidung PVC II).

12      Dementsprechend setzte die Kommission in Art. 2 Buchst. c der streitigen Entscheidung gegen Eni und deren Tochtergesellschaft Versalis gesamtschuldnerisch eine Geldbuße von 272,25 Mio. Euro fest.

 Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

13      Mit am 16. Februar 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift hatte Eni eine Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung und, hilfsweise, auf Aufhebung oder Herabsetzung der gegen sie festgesetzten Geldbuße erhoben. Eni stützte ihre Anträge auf zwei Klagegründe.

14      Mit ihrem ersten Klagegrund wandte sich Eni dagegen, dass die Kommission sie für die Zuwiderhandlung verantwortlich gemacht habe. Dieser erste Klagegrund bestand aus vier Teilen. Im Rahmen des ersten Teils trug Eni vor, die Kommission habe ein falsches Kriterium zur Bewertung der Verantwortlichkeit einer Muttergesellschaft angewendet. Im Rahmen des zweiten Teils machte Eni geltend, die Kommission habe zu Unrecht eine „objektive Haftung“ von Eni angenommen. Im Rahmen des dritten Teils trug Eni vor, sie habe während des Verwaltungsverfahrens Beweise vorgelegt, die die Kommission zu dem Schluss hätten führen müssen, dass sie keinen Einfluss auf die Geschäftspolitiken von Syndial und von Versalis ausgeübt habe. Im Rahmen des vierten Teils vertrat Eni die Auffassung, die Kommission habe den Grundsatz der beschränkten Haftung von Kapitalgesellschaften und die „allgemeinen“ Grundsätze der Haftung verletzt.

15      Mit ihrem zweiten Klagegrund machte Eni geltend, die Kommission habe die Höhe der Geldbuße falsch festgesetzt. Dieser Klagegrund bestand aus drei Teilen. Im Rahmen des ersten Teils wandte sie sich gegen die Anwendung eines Multiplikators zu Abschreckungszwecken. Im Rahmen des zweiten Teils machte sie geltend, die Kommission habe einen Fehler begangen, indem sie den erschwerenden Umstand des Wiederholungsfalls angenommen habe. Im Rahmen des dritten Teils trug Eni vor, die Kommission hätte Syndial bei der Berechnung der Geldbuße unberücksichtigt lassen müssen.

16      In seinem Urteil hat das Gericht zum ersten Teil des ersten Klagegrundes im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass „eine widerlegbare Vermutung dahin gehend besteht, dass eine Muttergesellschaft, die 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, einen bestimmenden Einfluss auf deren Verhalten ausübt“, und dass „die Zurechnung der Zuwiderhandlung an die Muttergesellschaft im Ermessen der Kommission steht“, die insoweit nicht an ihre frühere Entscheidungspraxis gebunden sei (Randnrn. 63 und 64 des angefochtenen Urteils).

17      Was diese frühere Entscheidungspraxis angehe, habe die Kommission „eine hinreichende Begründung für ihre Entscheidung geliefert …, Eni das Verhalten ihrer Tochtergesellschaften zuzurechnen“ (Randnr. 65 des angefochtenen Urteils). Da sich die Praxis der Kommission im vorliegenden Fall „auf eine zutreffende Auslegung von Art. 81 Abs. 1 EG [gestützt hat]“, könne der Grundsatz der Rechtssicherheit „daher einer möglichen Neuorientierung der Entscheidungspraxis der Kommission nicht entgegenstehen“ (Randnr. 66 des angefochtenen Urteils). Dementsprechend hat das Gericht diesen Teil des ersten Klagegrundes zurückgewiesen.

18      Zum zweiten Teil des ersten Klagegrundes betreffend die fehlerhafte Anwendung der „objektiven Haftung“ führte das Gericht u. a. aus, dass die Tatsache, dass die Kommission „die von Eni zur Widerlegung der Vermutung, die sich auf die 100%ige Kontrolle ihrer Tochtergesellschaften stützt, vorgetragenen Argumente verwirft, … die Vermutung nicht unwiderlegbar [macht]“ (Randnr. 78 des angefochtenen Urteils) und dass „[d]araus folgt …, dass das Fehlen einer Begründung, das Eni insoweit rügt, nicht gegeben ist“ (Randnr. 79 des angefochtenen Urteils).

19      Zum dritten Teil des ersten Klagegrundes hat das Gericht insbesondere festgestellt, dass „die Zurechnung der Zuwiderhandlung einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft nicht den Beweis [erfordert], dass die Muttergesellschaft die Politik ihrer Tochtergesellschaft in dem konkreten Bereich beeinflusst, der Gegenstand der Zuwiderhandlung war … Insbesondere genügt die Tatsache, dass Eni nur technische und finanzielle Koordinatorin war und ihre Tochtergesellschaften finanziell unterstützte, nicht, um auszuschließen, dass sie einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten dieser Tochtergesellschaften ausgeübt hat, indem sie insbesondere die finanziellen Investitionen innerhalb des Konzerns koordinierte“ (Randnr. 97 des angefochtenen Urteils).

20      Was den behaupteten Umstand angeht, dass die Chemiesparte nur eine relative Bedeutung für die Industriepolitik des Eni-Konzerns gehabt habe, hat das Gericht ausgeführt, dass „Eni damit nicht beweisen [kann], dass sie ihren Tochtergesellschaften vollständige Freiheit bei der Festlegung ihres Marktverhaltens gelassen hat“ (Randnr. 98 des angefochtenen Urteils). Außerdem hat das Gericht darauf hingewiesen, dass nach Angaben der Kommission die Berichtslinien unmittelbar zum Vorstandsvorsitzenden der EniChem SpA (heute Syndial) und zu dem von Versalis geführt hätten und dass die Vorstandsvorsitzenden der EniChem SpA und von Versalis gegenüber ihrem Board of Directors rechenschaftspflichtig seien, was Eni nicht bestritten habe. Diese Boards of Directors seien jedoch direkt oder indirekt von Eni ernannt worden (Randnr. 99 des angefochtenen Urteils).

21      Darüber hinaus hat das Gericht entschieden, dass der Umstand, dass Eni nur indirekt 100 % des Kapitals der im Bereich der BR- und ESBR-Herstellung tätigen Unternehmen gehalten habe, „als solcher nicht belegen kann, dass Eni und die betroffenen Unternehmen keine wirtschaftliche Einheit bildeten“ (Randnr. 102 des angefochtenen Urteils). Eni habe eine Verletzung des Grundsatzes der ordnungsgemäßen Verwaltung durch die Kommission nicht nachgewiesen (Randnr. 103 des angefochtenen Urteils).

22      In Bezug auf den vierten Teil des ersten Klagegrundes war das Gericht der Auffassung, dass „die Kommission vorliegend keine unwiderlegbare Vermutung aufgestellt hat“ (Randnr. 114 des angefochtenen Urteils). Was die Argumente von Eni bezüglich der anwendbaren Bestimmungen im Fall der Unternehmensnachfolge angehe, seien diese unerheblich, „da sich die Verantwortlichkeit von Eni, die die Kommission vorliegend annimmt, nicht aus einer solchen Situation ergibt“ (Randnr. 117 des angefochtenen Urteils).

23      Das Gericht hat daher alle Teile des ersten Klagegrundes und in Randnr. 118 des angefochtenen Urteils den ersten Klagegrund insgesamt zurückgewiesen.

24      Zum ersten Teil des zweiten Klagegrundes hat das Gericht u. a. festgestellt, dass „Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen, die insbesondere, wie hier der Fall, auf die Festlegung von Preiszielen oder die Aufteilung der Märkte gerichtet sind, allein schon aufgrund ihrer Natur als ‚besonders schwerwiegend‘ eingestuft werden können, ohne dass die Kommission eine konkrete Auswirkung auf den Markt nachweisen muss“ (Randnr. 140 des angefochtenen Urteils).

25      Weiter hat es in Randnr. 143 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass, „[w]as … die Größe des betroffenen Marktes auf dem EWR im Jahr 2001 (550 Mio. Euro) oder … den von den betroffenen Unternehmen gehaltenen Marktanteil angeht, … auch die anderen im gegebenen Fall erheblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen“ seien, nämlich die Tatsache, dass die in Rede stehende Zuwiderhandlung „ihrem Wesen nach ein sehr schwerer Verstoß ist und sich auf das gesamte Gebiet des EWR erstreckt“.

26      Das Gericht hat außerdem in Randnr. 143 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass „nach Nr. 1 Abschnitt A der Leitlinien die Geldbuße für einen besonders schweren Verstoß oberhalb von 20 Mio. Euro liegen kann“. Da der Umsatz aller im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz von Eni befindlichen Unternehmen „mit den in Rede stehenden Produkten im Jahr 2001 164 Mio. Euro überstieg [und] die gegen sie festgesetzte Geldbuße nicht die in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung [(EG)] Nr. 1/2003 [des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 (EG) und 82 (EG) niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1)] vorgesehene Obergrenze von 10 % ihres im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes überschreitet“, erscheine die Festsetzung eines Ausgangsbetrags der Geldbuße von 55 Mio. Euro nicht unverhältnismäßig.

27      Schließlich hat das Gericht auch das Vorbringen von Eni zurückgewiesen, die betroffenen Unternehmen hätten nur einen kleinen Teil des BR- und ESBR-Markts beherrscht, denn dieses Vorbringen „stütz[t] sich auf einen Markt, der diese beiden Produkte sowie Naturkautschuk umfass[t], wobei Letzterer von der [streitigen] Entscheidung nicht betroffen war“ (Randnr. 144 des angefochtenen Urteils).

28      Zum zweiten Teil des zweiten Klagegrundes hat das Gericht in Randnr. 164 des angefochtenen Urteils zunächst darauf hingewiesen, dass die Kommission davon ausgegangen sei, dass EniChem bereits wegen Kartelltätigkeiten Adressatin von Kommissionsentscheidungen, nämlich der Entscheidungen Polypropylen und PVC II, gewesen sei.

29      Aus der streitigen Entscheidung – so das Gericht – gehe hervor, dass die Kommission im vorliegenden Fall bei der Annahme des Wiederholungsfalls als erschwerender Umstand auf den Begriff „Unternehmen“ im Sinne von Art. 81 EG abgestellt habe. Das Gericht hat jedoch hervorgehoben, dass die Kommission, wenn sie „auf den Begriff ‚Unternehmen‘ … zurückgreifen will, hierfür substantiierte und genaue Anhaltspunkte anführen muss“ (Randnr. 166 des angefochtenen Urteils).

30      Die Kommission nehme aber „im 487. Erwägungsgrund der [streitigen] Entscheidung allgemein auf ‚EniChem‘ Bezug[,] und … dieser Begriff steht nach der Definition im 36. Erwägungsgrund der [streitigen] Entscheidung ‚für alle im Besitz der Eni SpA befindlichen Unternehmen‘“, was nach Auffassung des Gerichts „relativ unscharf“ ist. Außerdem habe „das von der Entscheidung Polypropylen betroffene Unternehmen, [die Anic SpA], nicht zu den … juristischen Personen gehört“, die in den Erwägungsgründen 26 bis 35 der streitigen Entscheidung genannt seien, in denen „in erster Linie die Entwicklung der zu Eni gehörenden Gesellschaften während der Zuwiderhandlung [beschrieben wird], die nach dem Erlass der Entscheidungen Polypropylen und PVC II liegt“ (Randnr. 167 des angefochtenen Urteils).

31      Die Kommission verweise auf die Entscheidungen Polypropylen und PVC II „mit der Angabe, ‚Eni‘ sei von diesen betroffen gewesen“. Dieser Begriff sei in der streitigen Entscheidung jedoch nicht definiert. Insbesondere „geht aus den Erwägungsgründen 26 bis 36 der [streitigen] Entscheidung hervor, dass die Kommission, wenn sie das Unternehmen Eni als Muttergesellschaft der anderen Unternehmen meint, den Begriff ‚Eni SpA‘ verwendet“ (Randnr. 168 des angefochtenen Urteils).

32      Nach Auffassung des Gerichts ist, „unterstellt, mit dem Begriff ‚Eni‘ … sind die Unternehmen gemeint, die zu dem ‚Unternehmen‘ … gehören sollen, das die von Eni kontrollierten juristischen Personen bilden, festzustellen, dass die Kommission dafür in der [streitigen] Entscheidung keine substantiierten und genauen Anhaltspunkte angeführt hat“ (Randnr. 169 des angefochtenen Urteils). Da jedoch im vorliegenden Fall die Entwicklung der Struktur und der Kontrolle der betroffenen Unternehmen besonders komplex sei, „[oblag es in] diesem Kontext … der Kommission, besonders genau zu sein und sämtliche substantiierten Anhaltspunkte anzuführen, die für die Annahme erforderlich sind, dass die von der [streitigen] Entscheidung betroffenen Unternehmen und die von den Entscheidungen Polypropylen und PVC II betroffenen Unternehmen dasselbe ‚Unternehmen‘ im Sinne von Art. 81 EG bildeten“ (Randnr. 170 des angefochtenen Urteils). Da die Kommission nach Auffassung des Gerichts dieser Begründungspflicht nicht nachgekommen war, hat es diesen zweiten Teil des zweiten Klagegrundes somit für begründet gehalten.

33      Schließlich hat das Gericht zum dritten Teil des zweiten Klagegrundes betreffend die Anwendung der in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehenen Obergrenze entschieden, dass „[d]ie in dieser Bestimmung festgelegte Obergrenze von 10 % … anhand des gesamten Umsatzes aller Gesellschaften zu ermitteln [ist], aus denen die als Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG auftretende wirtschaftliche Einheit besteht“ (Randnr. 177 des angefochtenen Urteils). Daher gehe das Vorbringen von Eni zum Nachweis dessen, dass der Betrag der Geldbuße, für dessen Zahlung sie gesamtschuldnerisch in Haftung genommen worden sei, auf 10 % des Umsatzes von Syndial hätte beschränkt werden müssen, ins Leere (Randnr. 178 des angefochtenen Urteils).

34      Dementsprechend hat das Gericht dem zweiten Teil des zweiten Klagegrundes stattgegeben, hat Art. 2 Buchst. c der streitigen Entscheidung für nichtig erklärt, soweit darin die Geldbuße gegen Eni auf 272,25 Mio. Euro festgesetzt wird, und hat diesen Betrag auf 181,5 Mio. Euro festgesetzt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

 Anträge der Parteien

35      Mit ihrem Rechtsmittel beantragt Eni,

–        das angefochtene Urteil ganz oder teilweise aufzuheben, soweit damit die Klage von Eni in der Rechtssache T‑39/07 abgewiesen wurde, und dementsprechend

–        die streitige Entscheidung ganz oder teilweise für nichtig zu erklären;

–        und/oder die mit der streitigen Entscheidung gegen Eni verhängte Geldbuße aufzuheben oder zumindest herabzusetzen;

–        hilfsweise, das angefochtene Urteil ganz oder teilweise aufzuheben, soweit damit die Klage von Eni in der Rechtssache T‑39/07 abgewiesen wurde, und die Rechtssache zur Entscheidung über die Begründetheit unter Berücksichtigung der Hinweise des Gerichtshofs an das Gericht zurückzuverweisen;

–        der Kommission die Kosten beider Rechtszüge aufzuerlegen;

–        das Anschlussrechtsmittel der Kommission, da es teilweise unzulässig und jedenfalls unbegründet ist, zurückzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

36      Die Kommission beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen;

–        das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit damit die streitige Entscheidung hinsichtlich der Berücksichtigung eines erschwerenden Umstands wegen eines Wiederholungsfalls für nichtig erklärt und dementsprechend die Geldbuße herabgesetzt worden ist;

–        der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel und zum Anschlussrechtsmittel

 Zum Rechtsmittel

37      Eni stützt ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund rügt Eni im Wesentlichen, dass das Gericht die streitige Entscheidung insoweit hätte für nichtig erklären müssen, als sie darin für die von Syndial und/oder Versalis begangene Zuwiderhandlung verantwortlich gemacht werde. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund werden Rechtsfehler bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße geltend gemacht.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund, mit dem Verstöße gegen die Art. 101 AEUV, 41, 47 bis 49 und 52 der Charta sowie 6 und 7 EMRK, gegen allgemeine Rechtsgrundsätze sowie ein Begründungsmangel gerügt werden

38      Mit dem ersten Rechtsmittelgrund rügt Eni Verstöße gegen Art. 101 AEUV, gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie gegen die Art. 6 und 7 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK), einen Verstoß gegen die Grundsätze der Unschuldsvermutung, der Gesetzmäßigkeit, der individuellen Zumessung von Strafen und der persönlichen Verantwortlichkeit, einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, gegen die Verteidigungsrechte und das Recht auf ein faires Verfahren sowie einen Begründungsmangel unter Verstoß gegen Art. 296 AEUV.

39      Der erste Rechtsmittelgrund besteht im Wesentlichen aus vier Teilen. Mit dem ersten Teil werden Rechtsfehler des Gerichts hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung und der Beweisvorschriften geltend gemacht. Mit dem zweiten und dem dritten Teil wird gerügt, das Gericht habe die Möglichkeit, die Vermutung der Verantwortlichkeit zu widerlegen, falsch beurteilt, was dazu geführt habe, dass die Eni zugewiesene Verantwortlichkeit objektiven Charakter erhalten habe und die Vermutung der Verantwortlichkeit unwiderlegbar geworden sei. Mit dem vierten Teil wird ein Verstoß gegen den Grundsatz der beschränkten Haftung von Kapitalgesellschaften, gegen die allgemeinen Haftungsgrundsätze und gegen die Grundsätze auf dem Gebiet der Unternehmensnachfolge geltend gemacht.

–       Zur Zulässigkeit einzelner Rügen

40      Zu den Rügen eines Verstoßes gegen Art. 47 der Charta und gegen Art. 6 EMRK, die nicht eindeutig einem konkreten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes zugeordnet werden können, macht die Kommission zunächst geltend, dass sie in erster Instanz nicht erhoben worden seien und daher unzulässig seien. Das Gleiche gelte für die Rüge von Eni, dass die aus der 100%igen Kontrolle abgeleitete Vermutung der Verantwortlichkeit auf eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung des allgemeinen Falles einer nicht vollständigen Kontrolle durch die Muttergesellschaft und solchen Situationen hinauslaufe, in denen die Muttergesellschaft 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft halte.

41      Hierzu ist festzustellen, dass diese Rügen, wie die Kommission bemerkt hat, tatsächlich nicht vor dem Gericht erhoben wurden. Dieser Umstand allein führt jedoch nicht bereits zur Unzulässigkeit dieser Rügen, da sie nicht dazu dienen, ein neues Angriffsmittel geltend zu machen, um die beim Gericht erhobene Klage zu rechtfertigen, sondern dazu, die Richtigkeit des angefochtenen Urteils in Abrede zu stellen. Im vorliegenden Fall können die in der vorstehenden Randnummer aufgeführten Rügen in der Tat in diesem Sinne ausgelegt werden.

42      Daher ist davon auszugehen, dass die von Eni erhobenen Rügen eines Verstoßes gegen Art. 47 der Charta und gegen Art. 6 EMRK sowie einer ungerechtfertigten, allein auf den Umfang der Beteiligung einer Muttergesellschaft an ihrer Tochtergesellschaft gestützten Ungleichbehandlung zulässig sind.

–       Zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, mit dem Rechtsfehler des Gerichts hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung und der Beweisvorschriften gerügt werden.


 i) Vorbringen der Parteien

43      Eni trägt vor, das Gericht habe entgegen dem, was der Gerichtshof im Urteil vom 20. Januar 2011, General Química u. a./Kommission (C‑90/09 P, Slg. 2011, I‑1, Randnr. 78), von der Kommission verlangt habe, nicht konkret zu den von ihr vorgebrachten Argumenten Stellung genommen, wonach die Kommission verpflichtet sei, den Beweis für die Ausübung eines bestimmenden Einflusses von Eni auf ihre Tochtergesellschaft Versalis zu erbringen.

44      Das Gericht habe sich insoweit darauf beschränkt, das Urteil vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission (C‑97/08 P, Slg. 2009, I‑8237), originalgetreu wiederzugeben, was zu einem Begründungsmangel des angefochtenen Urteils geführt habe. Zudem entbehre eine Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses einer Gesellschaft auf ihre zu 100 % in ihrem Besitz befindliche Tochtergesellschaft einer Grundlage und stehe insbesondere zu den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit, der individuellen Zumessung von Strafen, der persönlichen Verantwortlichkeit und der Rechtssicherheit im Widerspruch.

45      Die Kommission trägt im Wesentlichen vor, sie sei nach gefestigter Rechtsprechung berechtigt, allein aufgrund der 100%igen Kapitalbeteiligung der Muttergesellschaft an einer Tochtergesellschaft auf eine tatsächliche Kontrolle durch die Muttergesellschaft zu schließen.

 ii) Würdigung durch den Gerichtshof

46      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der Anwendung von Art. 101 AEUV das Verhalten einer Tochtergesellschaft ihrer Muttergesellschaft insbesondere dann zugerechnet werden kann, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht eigenständig bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt, und zwar vor allem wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen, die die beiden Rechtssubjekte verbinden. Da nämlich in einem solchen Fall die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit sind und damit ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV bilden, kann die Kommission eine Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden, an die Muttergesellschaft richten, ohne dass deren persönliche Beteiligung an der Zuwiderhandlung nachzuweisen wäre (vgl. u. a. Beschluss vom 13. Dezember 2012, Transcatab/Kommission, C‑654/11 P, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Weiter ist der ständigen Rechtsprechung zu entnehmen, dass in dem besonderen Fall, dass eine Muttergesellschaft das gesamte oder nahezu das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft hält, die gegen die Wettbewerbsregeln der Union verstoßen hat, eine widerlegbare Vermutung besteht, dass diese Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft ausübt. Bei einer solchen Sachlage kann die Kommission schon dann von der Anwendbarkeit dieser Vermutung ausgehen, wenn sie nachweist, dass die Muttergesellschaft das gesamte oder nahezu das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft hält (vgl. u. a. Urteil vom 3. Mai 2012, Legris Industries/Kommission, C‑289/11 P, Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Außerdem besteht in dem besonderen Fall, dass eine Holdinggesellschaft das gesamte Kapital einer Zwischengesellschaft hält, die ihrerseits sämtliche Anteile einer Tochtergesellschaft ihres Konzerns besitzt, die eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union begangen hat, ebenfalls eine widerlegbare Vermutung, dass diese Holdinggesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten der Zwischengesellschaft und mittelbar durch diese auch auf das Verhalten dieser Tochtergesellschaft ausübt (Urteil General Química u. a./Kommission, Randnr. 88).

49      Im vorliegenden Fall hielt Eni über die gesamte Dauer der in Rede stehenden Zuwiderhandlung unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 99,97 % das Kapital der Gesellschaften, die innerhalb ihres Konzerns unmittelbar in den Geschäftsbereichen BR und ESBR tätig waren, nämlich der EniChem Elastomeri, der EniChem SpA und von Versalis, was Eni nicht bestreitet. Folglich ist die in den Randnrn. 47 und 48 des vorliegenden Urteils erwähnte und sich aus einer ständigen Rechtsprechung ergebende Vermutung auf Eni anwendbar.

50      Zum Vorbringen von Eni, diese Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses stehe im Widerspruch zu den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit, der individuellen Zumessung von Strafen, der persönlichen Haftung und der Rechtssicherheit genügt der Hinweis, dass mit dieser Vermutung gerade ein Gleichgewicht zwischen der Bedeutung des Ziels, Verhaltensweisen, die gegen die Wettbewerbsregeln, insbesondere gegen Art. 101 AEUV, verstoßen, zu unterbinden und ihre Wiederholung zu verhindern, auf der einen Seite und den Anforderungen bestimmter allgemeiner Grundsätze des Unionsrechts wie etwa der Grundsätze der Unschuldsvermutung, der individuellen Zumessung von Strafen und der Rechtssicherheit sowie der Verteidigungsrechte einschließlich des Grundsatzes der Waffengleichheit auf der anderen Seite hergestellt werden soll. Insbesondere aus diesem Grund ist die Vermutung widerlegbar (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C‑521/09 P, Slg. 2011, I-8947, Randnr. 59). Da das Vorbringen von Eni nicht stichhaltig ist, weist das angefochtene Urteil insoweit keinen Fehler auf.

51      Was sodann einen angeblichen Begründungsmangel betrifft, hat das Gericht in den Randnrn. 56 bis 67 des angefochtenen Urteils im Einzelnen erläutert, aus welchem Grund es im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung davon ausgegangen ist, dass sich die Kommission auf die betreffende Vermutung stützen durfte, als sie die Verantwortlichkeit von Eni für die u. a. von Versalis begangene Zuwiderhandlung feststellte. Diese Erläuterungen lassen keinerlei Zweifel an den Erwägungen aufkommen, auf die das Gericht das angefochtene Urteil in diesem Punkt gestützt hat, und sie ermöglichen dem Gerichtshof, seine Kontrollaufgabe wahrzunehmen. Das angefochtene Urteil weist daher in diesem Zusammenhang auch keinen Begründungsmangel auf. Im Übrigen ist es entgegen dem, was Eni geltend zu machen scheint, ohne Bedeutung, dass das Gericht sich zur Begründung seines Urteils auf das Urteil Akzo Nobel u. a./Kommission gestützt hat.

52      Demnach ist der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als unbegründet zurückzuweisen.

–       Zum zweiten und zum dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, mit denen gerügt wird, das Gericht habe die Möglichkeit, die Vermutung der Verantwortlichkeit zu widerlegen, falsch beurteilt, was dazu geführt habe, dass die Eni zugewiesene Verantwortlichkeit objektiven Charakter erhalten habe und die Vermutung der Verantwortlichkeit nicht widerlegbar sei


 i) Vorbringen der Parteien

53      Mit dem zweiten und dem dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, die zusammen zu prüfen sind, macht Eni geltend, dass die Beweismittel, die sie der Kommission im Verwaltungsverfahren vorgelegt habe, als für die Widerlegung der Vermutung der Verantwortlichkeit ausreichend hätten angesehen werden müssen. Das Gericht habe keine vollständige, unvoreingenommene und konkrete Prüfung des gesamten Akteninhalts vorgenommen. Insbesondere habe es dem Umstand nicht Rechnung getragen, dass Eni in dem betreffenden Geschäftsbereich nie unmittelbar tätig gewesen sei, dass es keine Management-Überschneidungen zwischen der Muttergesellschaft und den Tochtergesellschaften gegeben habe, dass Eni weder über Informationen zu den strategischen und geschäftlichen Plänen noch über Informationen zu deren Umsetzung, wie sie von den operativen Gesellschaften festgelegt worden seien, verfügt habe und dass Eni keineswegs in die Entscheidungsfindungsprozesse zur Festlegung der strategischen und geschäftlichen Pläne sowie insbesondere der jährlichen Verkaufsvolumina und der Preise einbezogen gewesen sei.

54      Das Gericht habe sich vielmehr darauf beschränkt, auf zwei Aspekte abzustellen, nämlich zum einen auf die Rolle, die Eni als technische und finanzielle Koordinatorin gespielt habe, und zum anderen auf die relative Bedeutung der Chemiesparte innerhalb des Konzerns. Das Vorbringen von Eni, dass die von ihrer Tochtergesellschaft ausgeübte Tätigkeit andersartig und von den übrigen Tätigkeiten weit entfernt gewesen sei, habe das Gericht auf der Grundlage einer schlichten Bezugnahme auf seine Rechtsprechung zurückgewiesen. Ein solches Vorgehen habe der Gerichtshof jedoch in den Randnrn. 76 ff. des Urteils General Química u. a./Kommission verworfen.

55      Zudem wiederhole das Gericht die Ausführungen der Kommission, wonach die Berichtslinien in den Tochtergesellschaften zu deren Vorstandsvorsitzenden geführt hätten, die ihrerseits gegenüber ihrem indirekt von Eni ernannten Board of Directors rechenschaftspflichtig gewesen seien. Die Ernennung des Board of Directors sei jedoch nichts anderes als ein typisches Vorrecht eines Hauptanteilseigners und stelle als solche keine Ausübung eines bestimmenden Einflusses auf das Verhalten der Tochtergesellschaft dar. In Randnr. 100 des angefochtenen Urteils verweise das Gericht allein auf die von der Kommission insoweit durchgeführte Prüfung und gelange, ohne zum Vorbringen von Eni Stellung zu nehmen, zu dem Ergebnis, dass diese Prüfung nicht offensichtlich fehlerhaft sei. Die Begründung des angefochtenen Urteils sei daher offensichtlich unzureichend.

56      Außerdem sei die vom Gericht in Randnr. 102 des angefochtenen Urteils gezogene Schlussfolgerung, wonach die Tatsache, dass die Rechtsmittelführerin nur indirekt 100 % des Kapitals der im Bereich der BR- und ESBR-Herstellung tätigen Unternehmen gehalten habe, nicht belegen könne, dass Eni und die betroffenen Unternehmen keine wirtschaftliche Einheit bildeten, nicht hinreichend begründet und stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichts selbst.

57      Eni ist ferner der Ansicht, dass ihre Argumentation zum objektiven Charakter der ihr zugewiesenen Verantwortlichkeit entgegen den Ausführungen des Gerichts nicht auf einer irrigen Annahme beruhe. Der Widerlegbarkeit der Vermutung eines tatsächlich bestimmenden Einflusses müsse bei deren Anwendung nämlich eine echte Bedeutung zukommen. Die Kommission vertrete jedoch im Kern die Auffassung, dass die tatsächliche Ausübung eines bestimmenden Einflusses mit dem Innehaben der Kontrolle einhergehe. Das Gericht bestätige diese Auffassung, indem es den von Eni geltend gemachten objektiven Gesichtspunkten von vornherein die Bedeutung abspreche. Dieses Vorgehen verstoße gegen die Verteidigungsrechte, die auch in der Charta genannten fundamentalen Rechtsgrundsätze, gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung sowie gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und sei darüber hinaus ein Verstoß gegen den Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen und der persönlichen Verantwortlichkeit.

58      Schließlich habe das Gericht im Licht der Ausführungen von Eni zu Unrecht die Auffassung vertreten, dass die Kommission nicht den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verletzt habe.

59      Die Kommission hält die von Eni erhobenen Rügen für unzulässig, da sie in Wirklichkeit auf eine neue Sachverhaltswürdigung gerichtet seien. Auf jeden Fall aber seien sie unbegründet. Die tatsächlichen Gesichtspunkte, die Eni vorgebracht habe, um die aus der 100%igen Kontrolle abgeleitete Vermutung zu widerlegen, habe das Gericht berücksichtigt, und es habe erläutert, weshalb sie ins Leere gegangen oder unbegründet gewesen seien. Eni hätte dartun müssen, dass ihre Tochtergesellschaft aus rechtlichen Gründen oder aufgrund (verwaltungs)rechtlicher Regelungen als eigenständiges Unternehmen hätte geführt werden müssen oder dass die 100%ige Beteiligung nur befristet und vorübergehend gewesen sei, um so zu belegen, dass sie und ihre Tochtergesellschaft nicht ein einziges Unternehmen gebildet hätten, das die betreffende Zuwiderhandlung begangen habe. Hinsichtlich dieser Frage seien die Urteilsgründe zutreffend, ausreichend und überzeugend.

 ii) Würdigung durch den Gerichtshof

60      Zunächst ist auf das Vorbringen der Kommission zu antworten, die den zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes für unzulässig hält, weil er darauf gerichtet sei, die Sachverhaltswürdigung durch das Gericht in Frage zu stellen.

61      Hierzu ist festzustellen, dass Eni in ihrer Rechtsmittelschrift bestimmte, in Randnr. 53 des vorliegenden Urteils erwähnte Tatsachen anführt, um ihre Behauptung zu stützen, sie habe die Vermutung der Verantwortlichkeit, die sie als Muttergesellschaft treffe, die 100 % oder nahezu 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft halte, widerlegt.

62      Wie Eni in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, greift sie in diesem Zusammenhang jedoch nicht die Würdigung dieser Gesichtspunkte auf tatsächlicher Ebene an, sondern deren rechtliche Bewertung durch das Gericht, aufgrund deren es zu dem Ergebnis gelangt ist, dass diese Gesichtspunkte, selbst unterstellt, sie hätten sich als zutreffend erwiesen, nicht den Schluss zuließen, dass Eni und insbesondere Versalis nicht ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV gebildet hätten. Daher ist diese Rüge zulässig, da sie darauf gerichtet ist, diese rechtliche Würdigung durch den Gerichtshof überprüfen zu lassen.

63      Was die Begründetheit dieser Rüge betrifft, ist erstens auf die in den Randnrn. 47 ff. des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung hinzuweisen, wonach die Kommission in einem Fall 100%iger oder nahezu 100%iger Kontrolle eine Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden, an die Muttergesellschaft richten kann, ohne dass deren persönliche Beteiligung an der Zuwiderhandlung nachzuweisen wäre, da die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV bilden (vgl. in diesem Sinne Beschluss Transcatab/Kommission, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung), und zwar auch in den in Randnr. 48 des vorliegenden Urteils genannten Fällen einer mittelbaren Kontrolle, wie sie hier gegeben ist.

64      In Bezug auf die Gesichtspunkte, die Eni vorgebracht hat, um die betreffende Vermutung zu widerlegen, ist festzustellen, dass diese Gesichtspunkte, unterstellt, ihr Vorliegen wäre vor dem Gericht tatsächlich nachgewiesen worden, geeignet wären, zu belegen, dass Versalis hinsichtlich ihrer Tätigkeit in der Chemiesparte über eine gewisse Eigenständigkeit verfügte. Dieser Umstand an sich genügt jedoch nicht für den Nachweis, dass Eni und insbesondere Versalis nicht ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV bildeten. Außerdem zeigt der Umstand, dass Eni – wie sie geltend gemacht hat − die Rolle einer „schlichten“ technischen und finanziellen Koordinatorin gespielt oder diese Gesellschaften finanziell und vermögensbezogen unterstützt habe, dass sie es nicht unterlassen hat, einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaften auszuüben. Wie das Gericht in Randnr. 97 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt hat, führt „im Rahmen einer Unternehmensgruppe … eine Gesellschaft, die insbesondere die finanziellen Investitionen innerhalb des Konzerns koordiniert, die Beteiligungen an mehreren Gesellschaften zusammen und soll insbesondere durch die Budgetkontrolle die einheitliche Leitung sicherstellen“.

65      Dieses Ergebnis kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass Eni in der Chemiesparte nie unmittelbar tätig war oder dass es keine Management-Überschneidungen zwischen der Muttergesellschaft und den Tochtergesellschaften gab. Der Umstand, dass die Muttergesellschaft weder unmittelbar an dieser Zuwiderhandlung beteiligt war noch zu deren Begehung angestiftet hat, kann nämlich nicht den Beweis liefern, dass diese beiden Gesellschaften nicht ein und dieselbe wirtschaftliche Einheit bildeten (vgl. in diesem Sinne Urteile General Química u. a./Kommission, Randnr. 103, und vom 29. September 2011, Arkema/Kommission, C‑520/09 P, Slg. 2011, I-8901, Randnrn. 48 bis 50). Außerdem konnte Eni die Koordinierung der Investitionen innerhalb des Konzerns auch ohne eine solche Überschneidung oder ihre unmittelbare Beteiligung am operativen Betrieb ihrer Tochtergesellschaften gewährleisten, was sie nicht bestreitet.

66      In diesem Zusammenhang können auch die übrigen von Eni geltend gemachten Argumente, dass sie weder über Informationen zu den strategischen und geschäftlichen Plänen noch über Informationen zu deren Umsetzung verfügt habe und dass sie keineswegs in die Entscheidungsfindungsprozesse zur Festlegung der strategischen und geschäftlichen Pläne sowie der jährlichen Verkaufsvolumina und der Preise einbezogen gewesen sei, nicht durchgreifen, da sie sich nur auf das operative Geschäft in der Chemiesparte beziehen.

67      Zum weiteren Vorbringen von Eni, das im Wesentlichen dahin geht, sie habe lediglich über die typischen Vorrechte eines Hauptanteilseigners verfügt und das Innehaben dieser Befugnisse stelle als solches keine Ausübung eines bestimmenden Einflusses auf das Verhalten der Tochtergesellschaft dar, ist darauf hinzuweisen, dass die Vermutung eines tatsächlich bestimmenden Einflusses darauf beruht, dass gerade diese Vorrechte einer Muttergesellschaft, die 100 % oder nahezu 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, der Muttergesellschaft – von außergewöhnlichen Umständen abgesehen – ermöglichen, einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteil Elf Aquitaine/Kommission, Randnr. 60), und dass nicht die Kommission, sondern die Muttergesellschaft selbst den Nachweis zu führen hat, dass keine solche tatsächliche Einflussnahme vorliegt.

68      Diese Auslegung der Tragweite der Vermutung eines tatsächlich bestimmenden Einflusses, die die Kommission zugrunde gelegt hat und die vom Gericht bestätigt worden ist, wandelt diese Vermutung auch nicht zu einer unwiderlegbaren Vermutung. Die Tatsache, dass es schwierig ist, den Gegenbeweis zu erbringen, der notwendig ist, um eine Vermutung zu widerlegen, als solche bedeutet nämlich nicht, dass diese Vermutung tatsächlich unwiderlegbar wäre (vgl. Urteil Elf Aquitaine/Kommission, Randnr. 70). Konkreter ausgedrückt, hätte Eni, um die betreffende Vermutung zu widerlegen, nachweisen müssen, dass Versalis nicht nur auf operativer, sondern auch auf finanzieller Ebene völlig eigenständig handeln konnte, was sie nicht getan hat.

69      Da das Vorbringen von Eni, das Gericht habe der Vermutung eines tatsächlich bestimmenden Einflusses objektiven Charakter verliehen bzw. sie unwiderlegbar gemacht, nicht begründet ist, können auch die Rügen nicht durchgreifen, die darauf gestützt sind, dass das Gericht durch die Annahme, die Vermutung habe einen solchen Charakter, gegen die Grundsätze der Unschuldsvermutung, der individuellen Zumessung von Strafen, der persönlichen Verantwortlichkeit, der Gleichbehandlung und der Gesetzmäßigkeit im Sinne von Art. 52 der Charta sowie der Art. 6 und 7 EMRK verstoßen.

70      Das Gericht hat im angefochtenen Urteil daher rechtsfehlerfrei die Argumentation der Kommission bestätigt, dass weder das in den Erwägungsgründen 382 bis 398 der streitigen Entscheidung ausdrücklich behandelte Vorbringen von Eni noch deren weiteres Vorbringen vor dem Gericht ausreichen könne, um die betreffende Vermutung zu widerlegen. Folglich sind die hierzu erhobenen Rügen zurückzuweisen.

71      Was zweitens einen angeblichen Verstoß gegen die Begründungspflicht durch die Kommission und anschließend durch das Gericht betrifft, ist zunächst auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hinzuweisen, wonach die Pflicht zur Begründung einer Einzelentscheidung neben der Ermöglichung einer gerichtlichen Überprüfung den Zweck hat, den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob die Entscheidung eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht (vgl. in diesem Sinne Urteil Elf Aquitaine/Kommission, Randnr. 148 und die dort angeführte Rechtsprechung).

72      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die ausführliche Begründung der Verantwortlichkeit von Eni für die in Rede stehende Zuwiderhandlung, die die Kommission in den Erwägungsgründen 382 bis 398 der streitigen Entscheidung gegeben hat, den Anforderungen genügt, die sich aus der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung ergeben. Zwar hat die Kommission die Gesichtspunkte, die Eni vor dem Gericht geltend gemacht hat, um die Vermutung eines tatsächlich bestimmenden Einflusses zu widerlegen, nicht alle im Einzelnen behandelt, doch hat sie eine so ausreichende Erklärung gegeben, dass erkennbar ist, ob die Entscheidung eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht. Die Kommission hat vor allem im 388. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung ausgeführt, dass die Vorrechte von Eni, wie sie sich insbesondere aus den „Corporate Governance“-Regeln des Konzerns ergäben, dieser ermöglicht hätten, die wesentlichen Aspekte der Geschäftspolitik ihrer Tochtergesellschaften zu kontrollieren.

73      Das Gericht hat daher die diesbezügliche Begründung der streitigen Entscheidung rechtsfehlerfrei für ausreichend gehalten.

74      Was die Begründung des angefochtenen Urteils angeht, genügt der Hinweis, dass nach ständiger Rechtsprechung aus der Begründung eines Urteils die Überlegungen des Gerichts klar und eindeutig hervorgehen müssen, so dass die Betroffenen die Gründe für die Entscheidung des Gerichts erkennen können und der Gerichtshof seine Kontrollfunktion ausüben kann (vgl. u. a. Urteil vom 2. April 2009, France Télécom/Kommission, C‑202/07 P, Slg. 2009, I‑2369, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

75      Im vorliegenden Fall gibt es kein Anzeichen dafür, dass die detaillierten Ausführungen in den Randnrn. 93 bis 105 des angefochtenen Urteils zur diesbezüglichen Begründung der streitigen Entscheidung diesen Anforderungen nicht genügten. Daher ist das Argument, die Begründung des angefochtenen Urteils sei unzureichend, soweit sie diejenige der streitigen Entscheidung in Bezug auf die Widerlegung der Vermutung eines tatsächlich bestimmenden Einflusses bestätige, ebenfalls unbegründet.

76      Schließlich hat im Licht dieser Erwägungen das Gericht in Randnr. 103 des angefochtenen Urteils gleichfalls zutreffend ausgeführt, dass der Kommission auch keine Verletzung des Grundsatzes der ordnungsgemäßen Verwaltung unterlaufen sei. Mithin ist auch das entsprechende Vorbringen von Eni als unbegründet zurückzuweisen.

77      Da keines der Argumente durchgreift, die Eni zur Begründung des zweiten und des dritten Teils des ersten Rechtsmittelgrundes vorgetragen hat, sind diese Teile als unbegründet zurückzuweisen.

–       Zum vierten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz der beschränkten Haftung von Kapitalgesellschaften, gegen die allgemeinen Haftungsgrundsätze und gegen die Grundsätze auf dem Gebiet der Unternehmensnachfolge geltend gemacht wird


 i) Vorbringen der Parteien

78      Nach Ansicht von Eni ergibt sich aus dem Grundsatz der beschränkten Haftung von Kapitalgesellschaften, den allgemeinen Haftungsgrundsätzen und den Grundsätzen auf dem Gebiet der Unternehmensnachfolge, dass ein etwaiger Übergang von der eigenen Rechtspersönlichkeit der Gesellschaften zur einheitlichen Konzeption des Konzerns nur ganz ausnahmsweise akzeptiert werden könne, nämlich dann, wenn ein Missbrauch des Grundsatzes der beschränkten Haftung festgestellt und nachgewiesen sei. Das Gericht habe ohne Begründung weder diese Erwägungen noch die beiden der Klageschrift beigefügten Gutachten, von denen das eine das amerikanische Gesellschaftsrecht und das andere das amerikanische Wettbewerbsrecht betroffen habe, konkret untersucht. Das Gericht habe letztlich nur die im 396. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung getroffene Feststellung wiederholt, wonach „Verweise auf andere Rechtsgebiete … nicht stichhaltig [seien]“. Das angefochtene Urteil sei daher in diesem Punkt rechtswidrig.

79      Des Weiteren macht die Rechtsmittelführerin einen Begründungsmangel des angefochtenen Urteils in Bezug auf ihr Vorbringen zur Rechtsprechung des Gerichtshofs auf dem Gebiet der Unternehmensnachfolge geltend. Sie betont, dass die Möglichkeit, eine Einheit, die gegenüber dem Zuwiderhandelnden eigenständig sei, als verantwortlich anzusehen, auf Sonder- und Ausnahmefälle beschränkt sei, da sie eine Abweichung vom Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit bedeute. Das Gericht habe aber nicht geprüft, welche Bindungen auf juristischer und organisatorischer Ebene zwischen Syndial und Versalis bestanden und ob diese Gesellschaften im Wesentlichen dieselben geschäftlichen Leitlinien angewandt hätten, sondern es habe sich auf den Hinweis beschränkt, dass die beiden Tochtergesellschaften unmittelbar oder mittelbar vollständig im Besitz von Eni gestanden hätten.

80      Die Kommission führt hierzu aus, dass sich aus den im Rahmen des Gesellschaftsrechts allgemein anwendbaren Grundsätzen keine Erkenntnisse hinsichtlich des Wettbewerbsrechts der Union ergäben. Die Vorschriften des amerikanischen Kartellrechts seien für das Unionsrecht nicht verbindlich. Die Gutachten zum erstgenannten Recht, die der Klageschrift in erster Instanz beigefügt und als Anlagen zur Rechtsmittelschrift erneut vorgelegt worden seien, seien daher für die vorliegende Rechtssache offensichtlich irrelevant und außerdem unzulässig, da sie Vorbringen enthielten, das die Klageschrift nicht enthalten habe. Schließlich sei auch das auf die Rechtsprechung zur wirtschaftlichen Unternehmensnachfolge gestützte Vorbringen offensichtlich nicht erheblich, da die in Rede stehende Zuwiderhandlung Eni nicht aufgrund der Nachfolge zugerechnet worden sei, wie das Gericht in Randnr. 117 des angefochtenen Urteils hinreichend erläutert habe. Diese Rechtsprechung spräche allenfalls für den Standpunkt der Kommission.

 ii) Würdigung durch den Gerichtshof

81      Zum einen ist zu den Bezugnahmen von Eni auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze, nämlich den der beschränkten Haftung der Kapitalgesellschaften und den der eigenständigen Rechtspersönlichkeit von Gesellschaften, die einer Verantwortlichkeit von Eni für die von ihren Tochtergesellschaften begangene Zuwiderhandlung entgegenstünden, sowie zu den beiden zur Stützung ihrer Ansicht der Klageschrift beigefügten Gutachten festzustellen, dass diese Rüge offensichtlich unbegründet ist.

82      Hierzu genügt ein Hinweis auf die ständige Rechtsprechung, wonach das Wettbewerbsrecht der Union die Tätigkeit von Unternehmen betrifft (vgl. u. a. Urteil vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 59) und unter dem Begriff des Unternehmens eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen ist, selbst wenn diese wirtschaftliche Einheit rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen gebildet wird (vgl. u. a. Urteil vom 14. Dezember 2006, Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio, C‑217/05, Slg. 2006, I‑11987, Randnr. 40); verstößt eine solche wirtschaftliche Einheit gegen die Wettbewerbsregeln, hat sie nach dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit für diese Zuwiderhandlung einzustehen (Urteil Akzo Nobel u. a./Kommission, Randnr. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

83      Angesichts dieser ständigen Rechtsprechung war das Gericht berechtigt, in den Randnummern 113 ff. des angefochtenen Urteils die von Eni in erster Instanz erhobenen entsprechenden Rügen zurückzuweisen, ohne dies im Einzelnen zu begründen. Da Eni in Wirklichkeit die Gültigkeit der Vermutung eines tatsächlich bestimmenden Einflusses einer Muttergesellschaft auf ihre zu 100 % oder nahezu 100 % in ihrem Besitz befindliche Tochtergesellschaft in Zweifel ziehen wollte, ist dem Gericht ferner auch nicht dadurch ein Fehler unterlaufen, dass es auf seine Erwägungen zu dieser Frage verwiesen und festgestellt hat, dass das entsprechende Vorbringen von Eni auf einer irrigen Annahme beruhe.

84      Zum anderen ist die Rüge haltlos, das angefochtene Urteil sei in Bezug auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs auf dem Gebiet der Unternehmensnachfolge unzureichend begründet.

85      Wie das Gericht in Randnr. 117 des angefochtenen Urteils im Kern festgestellt hat, ergibt sich die im vorliegenden Fall angenommene Verantwortlichkeit von Eni nämlich nicht aus einer Situation der Unternehmensnachfolge, da Eni zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung weiterhin die vollständige oder nahezu vollständige Kontrolle über ihre Tochtergesellschaften innehatte, was nicht bestritten worden ist. Die Kommission konnte daher auf der Grundlage der in den Randnrn. 47 und 48 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung vermuten, dass Eni vorbehaltlich des Gegenbeweises während der in Rede stehenden Zuwiderhandlung zu keinem Zeitpunkt aufgehört hatte, Teil des „Unternehmens“ im Sinne von Art. 101 AEUV zu sein, das die den Gegenstand der streitigen Entscheidung bildende Zuwiderhandlung begangen hat. Wie das Gericht im angefochtenen Urteil zutreffend festgestellt hat, wurde der Gegenbeweis nicht erbracht. Das Gericht hat das angefochtene Urteil daher rechtlich hinreichend begründet.

86      Folglich ist auch der vierte Teil des ersten Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

87      Da alle vier Teile des ersten Rechtsmittelgrundes erfolglos geblieben sind, ist dieser insgesamt zurückzuweisen.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie ein Begründungsmangel unter Verstoß gegen Art. 296 AEUV gerügt werden

88      Der zweite Grund, auf den Eni ihr Rechtsmittel stützt, besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen. Mit dem ersten Teil werden Beurteilungsfehler des Gerichts in Bezug auf die Schwere der Zuwiderhandlung und den Multiplikator und mit dem zweiten die Nichtberücksichtigung der Folgen des Ausschlusses von Syndial für die Festsetzung der Geldbuße gerügt.

–       Zum ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes, mit dem Beurteilungsfehler des Gerichts in Bezug auf die Schwere der Zuwiderhandlung und den Multiplikator gerügt werden


 i) Vorbringen der Parteien

89      Mit dem ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes macht Eni geltend, das Gericht habe bei der Bestimmung des Grundbetrags der Geldbuße entsprechend der Schwere der Zuwiderhandlung nur deren − allein im Licht des rechtswidrigen Zwecks des Kartells definierte − Art berücksichtigt, ohne eine Reihe weiterer Faktoren in Betracht zu ziehen.

90      Zunächst habe das Gericht außer Acht gelassen, dass die Auswirkungen des in der streitigen Entscheidung festgestellten wettbewerbswidrigen Verhaltens im Sinne von Nr. 1 Abschnitt A der Leitlinien „messbar“ gewesen seien und dass sie von der Kommission in der ersten Mitteilung der Beschwerdepunkte tatsächlich auch bemessen worden seien. Die Kommission sei daher verpflichtet gewesen, diese Auswirkungen zu prüfen.

91      Sodann habe das Gericht in seinen eigenen Ausführungen nicht erläutert, aufgrund welcher Kriterien der Ausgangsbetrag statt auf den Mindestbetrag von 20 Mio. Euro auf 55 Mio. Euro festgesetzt worden sei.

92      Schließlich wirft Eni dem Gericht vor, ihr Vorbringen, dass sie sich des wettbewerbswidrigen Charakters des in Rede stehenden Verhaltens nicht bewusst gewesen sei, zurückgewiesen zu haben, indem es in Randnr. 145 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, dass sich die EniChem SpA zwangsläufig des wettbewerbswidrigen Charakters dieses Verhaltens bewusst gewesen sei. Die Begründung des Gerichts sei widersprüchlich, da die Kommission Eni lediglich wegen ihrer Rolle als Muttergesellschaft, nicht aber aufgrund der Tatsache für verantwortlich gehalten habe, dass sie sich des in Rede stehenden Verhaltens bewusst gewesen sei.

93      In Bezug auf den zu Abschreckungszwecken angewandten Multiplikator trägt Eni vor, das Gericht habe nicht berücksichtigt, dass die Chemiesparte nie zum Kerngeschäft der Rechtsmittelführerin gehört und nur eine relative Bedeutung für die Industriepolitik des Konzerns gehabt habe. Das Gericht habe auch die fehlerhafte Anwendung eines Multiplikators von 2 durch die Kommission nicht zutreffend beurteilt, die ihrerseits den Umsatz der Adressaten der streitigen Entscheidung nicht richtig beurteilt und diesen Punkt auch nicht angemessen begründet habe.

94      Die Kommission weist insbesondere darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung horizontale Preisabsprachen schon an sich als „besonders schwere“ Verstöße angesehen werden könnten. Die Feststellung besonderer Auswirkungen sei bestenfalls ein weiterer Gesichtspunkt, der bei der Erhöhung des Ausgangsbetrags der Geldbuße zu berücksichtigen sei. Dass die Kommission erst nach einem ergebnislosen Versuch in der ersten Mitteilung der Beschwerdepunkte zu der Ansicht gelangt sei, zu dieser Bewertung nicht in der Lage zu sein, ändere daran nichts.

95      Das Vorbringen der Rechtsmittelführerin, das Kartell habe nur einen begrenzten Teil des relevanten Marktes betroffen, ziele auf Sachverhaltselemente ab und sei daher unzulässig. Den Grund für die Festsetzung eines Betrags von 55 Mio. Euro als Ausgangspunkt für die Bemessung der Geldbuße habe das Gericht in Randnr. 143 des angefochtenen Urteils erschöpfend erläutert. Die Kommission sei, auch wenn sie den subjektiven Tatbestand nicht für relevant halte, der Meinung, dass Eni, die an der Spitze des Unternehmens gestanden habe, das an dem betreffenden Kartell beteiligt gewesen sei, auch hinsichtlich des fraglichen wettbewerbswidrigen Verhaltens auf dem Laufenden gewesen.

 ii) Würdigung durch den Gerichtshof

96      Erstens ist zur Bedeutung der Auswirkungen der betreffenden Zuwiderhandlung darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Schwere der Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (vgl. u. a. Urteil vom 19. Dezember 2012, Bavaria/Kommission, C‑445/11 P, Randnr. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung). Was speziell die konkreten Auswirkungen einer Zuwiderhandlung auf den Markt betrifft, sind diese für die Bestimmung der Höhe der Geldbußen kein entscheidendes Kriterium (vgl. Urteile vom 8. Dezember 2011, KME Germany u. a./Kommission, C‑272/09 P, Slg. 2011, I-12789, Randnr. 34, und C‑389/10 P, Slg. 2011, I-13125, Randnr. 44).

97      Zudem können horizontale Preisabsprachen oder Marktaufteilungen allein aufgrund ihrer Art als besonders schwere Verstöße angesehen werden, ohne dass die Kommission konkrete Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt nachweisen müsste (vgl. u. a. Beschluss Transcatab/Kommission, Randnr. 42). In diesem Fall sind die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung nur ein Kriterium neben anderen, das der Kommission, wenn es messbar ist, erlauben kann, den Ausgangsbetrag der Geldbuße über den voraussichtlichen Mindestbetrag von 20 Mio. Euro zu erhöhen (Urteil vom 3. September 2009, Prym und Prym Consumer/Kommission, C‑534/07 P, Slg. 2009, I‑7415, Randnr. 75).

98      Folglich hätte das Gericht, wenn es die konkreten Auswirkungen der in Rede stehenden Zuwiderhandlung − unterstellt man ihre tatsächliche Messbarkeit – berücksichtigt hätte, dies nur beiläufig getan. Da außerdem diese Zuwiderhandlung ihrem Wesen nach ein sehr schwerer Verstoß ist, hätte die Berücksichtigung ihrer konkreten Auswirkungen nur zu einer Erhöhung der Geldbuße führen können. Diese Rüge geht daher ins Leere (vgl. in diesem Sinne Urteil Prym und Prym Consumer/Kommission, Randnr. 75, und Beschluss Transcatab/Kommission, Randnrn. 43 und 44).

99      Zweitens genügt zu der Rüge, das Gericht habe in seinen eigenen Ausführungen nicht erläutert, aufgrund welcher Kriterien der Ausgangsbetrag statt auf den Mindestbetrag von 20 Mio. Euro auf 55 Mio. Euro festgesetzt worden sei, die Feststellung, dass das Gericht in Randnr. 143 des angefochtenen Urteils ausführlich dargelegt hat, welche Faktoren es bei der Bewertung der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigt hat. Diese Rüge ist daher offensichtlich unbegründet. Die Tatsache allein, dass das Gericht dabei in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auch mehrere Teile der Beurteilung bestätigt hat, die die Kommission in der streitigen Entscheidung vorgenommen hatte, kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. November 2012, E.ON Energie/Kommission, C‑89/11 P, Randnr. 133).

100    Drittens genügt zu dem Umstand, dass sich Eni des wettbewerbswidrigen Charakters der Zuwiderhandlung nicht bewusst gewesen sei, der Hinweis, dass diese Gesellschaft deshalb für die Zuwiderhandlung verantwortlich gemacht wurde, weil sie, wie sich aus den Ausführungen des vorliegenden Urteils zum ersten Rechtsmittelgrund ergibt, mit der EniChem SpA, heute Syndial, ein Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV bildete. Daher genügt die unbeanstandete Feststellung des Gerichts in Randnr. 145 des angefochtenen Urteils, dass die EniChem SpA zwangsläufig über die begangene Zuwiderhandlung auf dem Laufenden gewesen sei, um das Vorbringen in erster Instanz, die Kommission habe den Ausgangsbetrag der Geldbuße falsch festgesetzt, indem sie den subjektiven Tatbestand bei Eni unberücksichtigt gelassen habe, zurückzuweisen. Diese Rüge ist daher offensichtlich unbegründet, ohne dass es einer Beantwortung der Frage bedarf, ob das Bewusstsein vom wettbewerbswidrigen Charakter des betreffenden Verhaltens bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße von Belang ist oder nicht.

101    Viertens geht die Rüge, das Gericht habe die angeblich relative Bedeutung der Chemiesparte für die Industriepolitik des Konzerns nicht berücksichtigt, ins Leere. Dieser Umstand wäre nämlich für sich genommen, selbst wenn er nachgewiesen worden wäre, für die Festsetzung des Ausgangsbetrags bei der Bemessung der Geldbuße nicht von Belang. Er kann auch kein mildernder Umstand im Sinne von Nr. 2 der Leitlinien sein.

102    Fünftens ist zu der Rüge, das Gericht habe die angeblich fehlerhafte Anwendung eines Multiplikators von 2 durch die Kommission nicht zutreffend beurteilt und das angefochtene Urteil insoweit nicht hinreichend begründet, darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung ein Rechtsmittel die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen muss (vgl. u. a. Urteil Arkema/Kommission, Randnr. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

103    Es ist jedoch festzustellen, dass Eni in diesem Zusammenhang die rechtlichen Argumente, die ihren Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils speziell stützen, nicht genau bezeichnet. Sie beschränkt sich nämlich darauf, in Randnr. 72 ihrer Rechtsmittelschrift vorzutragen, dass die Kommission die für die Bemessung „relevanten“ Faktoren, darunter den Umsatz, nicht „richtig“ bewertet habe und dass das Gericht diese angeblich fehlerhafte Anwendung nicht „zutreffend“ beurteilt habe. Ebenso wenig hat Eni erläutert, weshalb das angefochtene Urteil insoweit nicht richtig begründet gewesen sein soll. Unter diesen Umständen kann der Gerichtshof seine Rechtmäßigkeitskontrolle nicht ausüben, da er sonst mit seiner Entscheidung über die Anträge hinausgehen würde (vgl. entsprechend Urteil Arkema/Kommission, Randnr. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung). Diese Rügen sind daher unzulässig.

104    Schließlich ist zu der Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit festzustellen, dass die Argumentation von Eni sich nicht von derjenigen unterscheidet, auf die die übrigen im Rahmen des ersten Teils des zweiten Rechtsmittelgrundes erhobenen Rügen gestützt sind. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsmittelführerin im Kern die gleichen Argumente vor dem Gericht geltend gemacht hat, um dieses zu veranlassen, in Ausübung seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung die gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen, und dass das Gericht, nachdem es diese Argumente geprüft hatte, zu dem Ergebnis gelangt ist, dass sie – unbeschadet dessen, dass es die Geldbuße aus anderen Gründen herabgesetzt hat – eine solche Herabsetzung nicht rechtfertigten (vgl. Beschluss vom 2. Februar 2012, Elf Aquitaine/Kommission, C‑404/11 P, Randnr. 89).

105    Unter diesen Umständen ist es nicht Sache des Gerichtshofs, die Beurteilung, die das Gericht in Ausübung seiner unbeschränkten Nachprüfungsbefugnis bezüglich der Höhe der gegen Unternehmen wegen eines Verstoßes gegen unionsrechtliche Vorschriften verhängten Geldbußen vorgenommen hat, aus Gründen der Billigkeit durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen (vgl. Beschluss Elf Aquitaine/Kommission, Randnr. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher kann auch diese Rüge keinen Erfolg haben.

106    Da keine der im ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes erhobenen Rügen begründet ist, ist dieser Teil zurückzuweisen.

–       Zum zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes, mit dem die Nichtberücksichtigung der Folgen des Ausschlusses von Syndial für die Bemessung der Geldbuße gerügt wird


 i) Vorbringen der Parteien

107    Eni ist der Meinung, dass der Ausschluss von Syndial als Adressatin der streitigen Entscheidung schwerwiegende Folgen hinsichtlich der Anwendung der in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehenen Obergrenze von 10 % gehabt habe. Sie argumentiert erneut mit einer Rechtsprechung, nach der eine Haftung im Fall der Unternehmensnachfolge notwendig voraussetze, dass die Gesellschaft, die die Zuwiderhandlung begangen habe, wirtschaftlich und/oder rechtlich aufgehört habe, zu existieren, was hier nicht der Fall sei.

108    Die Kommission erwidert, dass dem Gericht, das die entsprechenden Argumente in den Randnrn. 177 bis 179 des angefochtenen Urteils behandelt habe, kein Fehler unterlaufen sei. Während der gesamten Dauer des Kartells habe Eni die Kontrolle über die Gesellschaft ausgeübt, die unmittelbar an dem Kartell beteiligt gewesen sei, so dass es keinen Einfluss auf ihre Verantwortlichkeit habe, dass gegen Syndial keine Geldbuße verhängt worden sei. Im Übrigen beziehe sich, wie das Gericht in den Randnrn. 177 bis 179 des angefochtenen Urteils ausgeführt habe, die in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehene Obergrenze von 10 % auf den Konzern.

 ii) Würdigung durch den Gerichtshof

109    Zunächst ist festzustellen, dass das Gericht, das in den Randnrn. 177 bis 179 des angefochtenen Urteils bereits das Vorbringen von Eni, der Ausschluss von Syndial als Adressatin der streitigen Entscheidung habe „schwerwiegende Folgen“ hinsichtlich der Anwendung der in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehenen Obergrenze von 10 % gehabt, zurückgewiesen hat, hierzu an seine Rechtsprechung erinnert, wonach diese Obergrenze anhand des gesamten Umsatzes aller Gesellschaften zu ermitteln ist, aus denen die als Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV auftretende wirtschaftliche Einheit besteht. Der Gerichtshof hat bereits bestätigt, dass diese Rechtsprechung nicht mit Rechtsfehlern behaftet ist (vgl. Beschluss vom 3. Mai 2012, World Wide Tobacco España/Kommission, C‑240/11 P, Randnrn. 45 und 46).

110    Daher geht die von Eni erhobene Rüge ins Leere, denn selbst wenn Syndial Adressatin der streitigen Entscheidung gewesen wäre, hätte der Betrag der Geldbuße, für dessen Zahlung Eni gesamtschuldnerisch hätte einstehen müssen, nicht auf 10 % des Umsatzes von Syndial beschränkt werden müssen.

111    Außerdem ist in Anbetracht der in Randnr. 109 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung auch das Argument nicht einschlägig, dass eine Haftung im Fall der Unternehmensnachfolge voraussetze, dass die Gesellschaft, die die Zuwiderhandlung begangen habe, wirtschaftlich und/oder rechtlich aufgehört habe, zu existieren, was hier nicht der Fall sei. Ausschlaggebend ist in diesem Zusammenhang, dass Syndial, was Eni nicht bestreitet, zumindest bis zur Übertragung ihrer Chemiesparte auf Versalis, an der in Rede stehenden Zuwiderhandlung unmittelbar beteiligt war und dass sie, solange sie an der Zuwiderhandlung unmittelbar beteiligt war, von Eni kontrolliert wurde.

112    Schließlich hat Eni nicht behauptet, dass Syndial nach der Übertragung ihrer Chemiesparte auf Versalis und vor dem Erlass der streitigen Entscheidung aufgehört habe, Teil des von Eni kontrollierten Konzerns zu sein. Daher war die Rechtsmittelführerin während der gesamten Dauer der in Rede stehenden Zuwiderhandlung und bis zum Erlass der streitigen Entscheidung die Gesellschaft, die an der Spitze des Unternehmens stand, das diese Zuwiderhandlung begangen hat, so dass das Vorbringen von Eni zur Unternehmensnachfolge in diesem Zusammenhang unerheblich ist.

113    Folglich ist auch der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes und damit der zweite Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen.

114    Da beide Rechtsmittelgründe erfolglos geblieben sind, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

 Zum Anschlussrechtsmittel

 Vorbringen der Parteien

115    Die Kommission stützt ihr Anschlussrechtsmittel auf einen einzigen Rechtsmittelgrund, mit dem sie einen Verstoß gegen Art. 296 AEUV in Verbindung mit Art. 101 AEUV, Verfahrensfehler, durch die ihre Interessen beeinträchtigt worden seien, und einen Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens beanstandet. Im angefochtenen Urteil sei zu Unrecht entschieden worden, dass die in der streitigen Entscheidung angeführten Beweismittel zum Nachweis des erschwerenden Umstands eines Wiederholungsfalls bei Eni und bei Versalis unzureichend gewesen seien.

116    Die Kommission weist zunächst darauf hin, dass sie in Randnr. 430 der zweiten Mitteilung der Beschwerdepunkte ihre Absicht bekundet habe, bereits festgestellte frühere Zuwiderhandlungen als erschwerenden Umstand zu berücksichtigen, und dass sie die Beteiligung von Eni an den in den Entscheidungen Polypropylen und PVC II dargestellten Zuwiderhandlungen ausdrücklich erwähnt habe. Eni habe hierzu im Verfahren vor der Kommission nicht Stellung genommen. Sie habe erstmals in ihrer Klageschrift in erster Instanz geltend gemacht, dass zum einen die Person, die die früheren Zuwiderhandlungen begangen habe, und die gegenwärtig an der Zuwiderhandlung beteiligte Person nicht identisch seien, da die fraglichen Sparten unterschiedliche Erzeugnisse und Märkte betroffen hätten und bereits vor dem Erlass der Entscheidungen Polypropylen und PVC II übertragen worden seien, und dass zum anderen die EniChem SpA das in die früheren Wettbewerbssachen verwickelte Unternehmen des Konzerns gewesen sei.

117    Eni habe aber zu keiner Zeit behauptet, dass die Gesellschaften, gegen die in den Entscheidungen Polypropylen und PVC II Sanktionen verhängt worden seien, nicht unter Leitung des Eni-Konzerns gestanden hätten. Die Kommission ist der Meinung, dass sie, wenn sie es gewollt hätte, in diesen Entscheidungen die Geldbuße derselben Muttergesellschaft, nämlich Eni, hätte auferlegen können, die die Adressaten dieser Entscheidungen, die EniChem SpA und die Anic SpA, vollständig kontrolliert habe. Das Gericht habe im Urteil vom 30. September 2003, Michelin/Kommission (T‑203/01, Slg. 2003, II‑4071), bestätigt, dass die Kommission unter solchen Umständen davon habe ausgehen dürfen, dass dasselbe Unternehmen bereits für die gleiche Art Zuwiderhandlung verurteilt worden sei.

118    Das Gericht habe zum Thema Wiederholungsfall keine schriftlichen Fragen an die Parteien gerichtet und in der mündlichen Verhandlung keine Aufklärung des Sachverhalts verlangt. Es sei daher völlig unerwartet gewesen, dass die streitige Entscheidung im angefochtenen Urteil wegen eines angeblichen Begründungsmangels teilweise für nichtig erklärt worden sei. Daher verstoße das angefochtene Urteil gegen Art. 296 AEUV in Verbindung mit Art. 101 AEUV. Das Gericht habe Gegenstand und Umfang der Begründungspflicht falsch bestimmt. Außerdem beinhalte das Vorgehen des Gerichts eine schwerwiegende Verletzung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens und somit einen Verfahrensfehler, der die Interessen der Kommission beeinträchtige.

119    Die Kommission hebt hervor, dass die Begründung eines Rechtsakts insbesondere anhand seines Kontexts zu beurteilen sei. So habe der Gerichtshof im Urteil vom 22. Juni 2004, Portugal/Kommission (C‑42/01, Slg. 2004, I‑6079, Randnr. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung), eine summarische Begründung in einer Entscheidung, die in einem Kontext erlassen worden sei, der dem Adressaten gut bekannt gewesen sei, für ausreichend gehalten. Außerdem hätte nach Ansicht der Kommission das Gericht ihr die Möglichkeit bieten müssen, ihre Begründung klarzustellen und zu präzisieren, wie es dies in der Rechtssache getan habe, in der das Urteil des Gerichts vom 13. Dezember 2012, Versalis und Eni/Kommission (T‑103/08), ergangen sei.

120    Schließlich belegen nach Ansicht der Kommission die Erwägungsgründe 366 bis 373 der streitigen Entscheidung klar die Kontinuität zwischen dem Unternehmen, das Adressat der Entscheidung PVC II gewesen sei, und demjenigen, das an der im vorliegenden Verfahren in Rede stehenden Zuwiderhandlung beteiligt sei. Die Kommission beantragt daher die Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das Gericht darin die streitige Entscheidung hinsichtlich der Feststellung des Wiederholungsfalls sowohl in Bezug auf die Entscheidung Polypropylen als auch in Bezug auf die Entscheidung PVC II teilweise für nichtig erklärt hat, und auf jeden Fall, soweit die Nichtigerklärung dieser Entscheidung durch das Gericht die Feststellung des Wiederholungsfalls in Bezug auf die Entscheidung PVC II betrifft.

121    Nach Ansicht von Eni stützt sich die Kommission in ihrem Anschlussrechtsmittel auf eine fehlerhafte Auslegung der streitigen Entscheidung und des angefochtenen Urteils sowie auf eine irreführende Darstellung der Einwände, die Eni während des Verwaltungsverfahrens und in erster Instanz erhoben habe.

122    Eni macht geltend, das Unionsrecht zwinge den Adressaten einer Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht, die verschiedenen darin angeführten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte im Verwaltungsverfahren anzugreifen, und sie verweist hierzu auf das Urteil des Gerichts vom 15. September 2011, Koninklijke Grolsch/Kommission (T‑234/07, Slg. 2011, II-6169, Randnr. 37). Das Gericht habe zutreffend festgestellt, dass die Kommission Eni nicht dadurch einen Wiederholungsfall anlasten könne, dass sie ihr nachträglich die Verantwortlichkeit für die der Enichem SpA und der Anic SpA damals zur Last gelegte Zuwiderhandlung zuweise, weil sie das Kapital dieser beiden Gesellschaften kontrolliert habe, eine These, die nach Auffassung des Gerichts im Übrigen nicht ausreichend belegt gewesen sei.

123    Die Kommission habe die Muttergesellschaft Eni keineswegs in die Entscheidungen Polypropylen und PVC II einbezogen, obwohl sich der Kommission tatsächlich ein Problem der Zurechenbarkeit der festgestellten Zuwiderhandlungen gestellt habe. Diese könne sich nicht rückwirkend auf die aus der Kontrolle der Muttergesellschaft über 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaften abgeleitete Vermutung berufen, ohne insbesondere gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zu verstoßen und eine nicht gerechtfertigte Verkürzung der Verteidigungsrechte von Eni zu bewirken.

124    Außerdem habe Eni bereits im Verwaltungsverfahren verneint, dass allein aufgrund der Berücksichtigung ihrer Stellung an der Konzernspitze und im Wege einer Vermutung von ihrer Verantwortlichkeit ausgegangen werden könne. Die Kommission hätte nachweisen müssen, dass Eni in den Geschäftsbereichen PVC und Polypropylen tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaften ausgeübt habe und dass diese kein eigenständiges Marktverhalten an den Tag gelegt hätten.

125    Zur Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens und gegen weitere Verfahrensregeln trägt Eni vor, dass die Kommission diese Regeln in ihrem Schriftsatz nicht nenne und dass diese Rüge – weil völlig vage – unzulässig sei. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens könne wirksam nur in dem Fall geltend gemacht werden, in dem das Gericht Angriffs- oder Verteidigungsmittel von Amts wegen berücksichtige. Der Klagegrund, dem das Gericht stattgegeben habe, sei aber in der Klageschrift von Eni erhoben worden. Im Übrigen wäre eine „Berichtigung“ der Begründung der streitigen Entscheidung nur dann möglich gewesen, wenn sie die Begründung eines konkreten tatsächlichen und rechtlichen Punkts betroffen hätte. Im vorliegenden Fall fehle es an einer solchen Begründung.

 Würdigung durch den Gerichtshof

126    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die nach Art. 296 AEUV vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (vgl. Urteil vom 19. Juli 2012, Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., C‑628/10 P und C‑14/11 P, Randnr. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

127    So ergibt sich im Zusammenhang mit Einzelentscheidungen aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Pflicht zur Begründung einer Einzelentscheidung neben der Ermöglichung einer gerichtlichen Überprüfung den Zweck hat, den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob die Entscheidung eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht (Urteil Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., Randnr. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

128    Die Begründung ist dem Betroffenen daher grundsätzlich gleichzeitig mit der ihn beschwerenden Entscheidung mitzuteilen. Das Fehlen der Begründung kann nicht dadurch geheilt werden, dass der Betroffene die Gründe für die Entscheidung während des Verfahrens vor den Unionsinstanzen erfährt (vgl. u. a. Urteil Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., Randnr. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung)

129    Folglich muss die Kommission, wenn sie gegen eine Gesellschaft wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Union eine Geldbuße verhängt und bei der Bemessung der Geldbuße einen Multiplikator anwendet, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass diese Gesellschaft bereits früher in eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verwickelt war, zusammen mit der Entscheidung, mit der die Geldbuße verhängt wird, eine Darstellung abgeben, die den Unionsgerichten und dieser Gesellschaft ermöglicht, zu erkennen, in welcher Eigenschaft und in welchem Umfang die Gesellschaft an der früheren Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sein soll. Insbesondere muss die Kommission, wenn sie davon ausgeht, dass diese Gesellschaft Teil des Unternehmens war, das Adressatin der die frühere Zuwiderhandlung betreffenden Entscheidung war, diese Behauptung rechtlich hinreichend begründen.

130    Im vorliegenden Fall ist daran zu erinnern, dass die Kommission in Randnr. 430 der zweiten Mitteilung der Beschwerdepunkte erklärt hatte, sie werde frühere Feststellungen ähnlicher Zuwiderhandlungen berücksichtigen, wobei sie insoweit auf die Entscheidungen Polypropylen und PVC II verwies, von denen „ENI“ „betroffen“ gewesen sei. Dieselbe kurze Feststellung findet sich sinngemäß im 487. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung, wo die Kommission im Übrigen ausführt, dass „EniChem“ bereits Adressatin dieser Entscheidungen gewesen sei. Schließlich kann der 488. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung so verstanden werden, dass nach Auffassung der Kommission dasselbe Unternehmen im Sinne von Art. 101 AEUV die Zuwiderhandlungen, die Gegenstand der Entscheidungen Polypropylen und PVC II waren, und die mit der streitigen Entscheidung festgestellte Zuwiderhandlung begangen hat.

131    Da aber die Entscheidung Polypropylen u. a. an die Anic SpA und die Entscheidung PVC II u. a. an die EniChem SpA gerichtet waren, ist festzustellen, dass sich den in der streitigen Entscheidung gemachten und in der vorstehenden Randnummer wiedergegebenen Angaben keineswegs entnehmen lässt, in welcher Eigenschaft und in welchem Umfang Eni, die weder zu den Adressaten der Entscheidung Polypropylen noch zu denen der Entscheidung PVC II gehört, von diesen Entscheidungen betroffen gewesen wäre.

132    Die Kommission trägt zwar vor, dass die Erwägungsgründe 366 bis 373 der streitigen Entscheidung eine genaue Beschreibung sämtlicher EniChem betreffender Ereignisse enthielten, doch betreffen diese Erläuterungen – wie das Gericht in Randnr. 167 des angefochtenen Urteils zutreffend festgestellt hat – nur die Veränderungen im Eni-Konzern in der Zeit vom 20. Mai 1996 bis 28. November 2002. Dagegen enthalten diese Erwägungsgründe keine genaueren Angaben zu den Gesellschaften, aus denen die Unternehmen bestanden, die Adressaten der Entscheidungen Polypropylen und PVC II waren, geben keine Auskunft darüber, ob diese Gesellschaften mit den von der streitigen Entscheidung erfassten identisch sind, was Eni bestreitet, und behandeln auch keine in diesem Zusammenhang eventuell aufgetretenen Veränderungen zwischen dem Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung Polypropylen, nämlich dem 23. April 1986, sowie der Entscheidung PVC II, nämlich dem 27. Juli 1994, und dem Beginn der mit der streitigen Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung, also dem 20. Mai 1996.

133    Daher ist die streitige Entscheidung in diesem Punkt unzureichend begründet.

134    Zum angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens mit der Folge einer Verletzung der Verteidigungsrechte der Kommission genügt sodann der Hinweis, dass Eni, wie diese zu Recht betont, die Rüge einer unzureichenden Begründung bereits in ihrer Klageschrift in erster Instanz erhoben hat. Da die Kommission die Möglichkeit hatte, in ihrer Klagebeantwortung sowie in der mündlichen Verhandlung in erster Instanz umfassend zu dieser Rüge Stellung zu nehmen, kann kein die Verteidigungsrechte der Kommission beeinträchtigender Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens festgestellt werden.

135    Außerdem musste die Kommission, wie aus der in Randnr. 128 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung hervorgeht, bereits mit dem Erlass der streitigen Entscheidung eine ausreichende Begründung liefern. Es ist daher nicht erkennbar, dass weiter gehende Informationen, die die Kommission ohne angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens dem Gericht hätte liefern können, irgendeinen Einfluss auf das Ergebnis des angefochtenen Urteils hätten haben können.

136    Zu dem Vorbringen, dass Eni während des Verfahrens vor der Kommission noch nicht geltend gemacht habe, dass die Adressaten der Entscheidungen Polypropylen und PVC II auf der einen Seite und der streitigen Entscheidung auf der anderen Seite nicht identisch seien, genügt der Hinweis, dass es – wie Eni zutreffend ausgeführt hat – keine unionsrechtliche Vorschrift gibt, die den Adressaten einer Mitteilung der Beschwerdepunkte zwingt, die verschiedenen in dieser Mitteilung angeführten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte im Verwaltungsverfahren anzugreifen.

137    Unter diesen Umständen hat das Gericht keinen Rechtsfehler begangen, als es entschieden hat, dass die Kommission in der streitigen Entscheidung keine hinreichend substantiierten und genauen Anhaltspunkte dafür angeführt hat, dass dasselbe „Unternehmen“ im Sinne von Art. 101 AEUV erneut eine Zuwiderhandlung begangen hatte, und als es dementsprechend Art. 2 Buchst. c der streitigen Entscheidung für nichtig erklärt hat, soweit darin die Höhe der Eni auferlegten Geldbuße auf 272,25 Mio. Euro festgesetzt wird.

138    Da der einzige Grund, auf den die Kommission ihr Anschlussrechtsmittel gestützt hat, nicht durchgreift, ist das Anschlussrechtsmittel zurückzuweisen.

 Kosten

139    Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet dieser über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

140    In Bezug auf das Rechtsmittel sind Eni, da sie mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

141    In Bezug auf das Anschlussrechtsmittel sind der Kommission, da sie mit ihrem einzigen Anschlussrechtsmittelgrund unterlegen ist, entsprechend dem Antrag von Eni die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Rechtsmittel und das Anschlussrechtsmittel werden zurückgewiesen.

2.      Die Eni SpA trägt die Kosten im Zusammenhang mit dem Rechtsmittel.

3.      Die Europäische Kommission trägt die Kosten im Zusammenhang mit dem Anschlussrechtsmittel.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Italienisch.