Language of document : ECLI:EU:C:2012:700

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Juliane Kokott

vom 8. November 2012(1)

Rechtssache C‑415/11

Mohamed Aziz

gegen

Caixa d´Estalvis de Catalunya, Tarragona i Manresa (Catalunyacaixa)

(Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de lo Mercantil nº 3 Barcelona, Spanien)

„Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Hypothekendarlehen – Rechtsschutzmöglichkeiten im Vollstreckungsverfahren – Erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner – Verzugszinsen – Vorzeitige Fälligstellung des Darlehens durch den Gläubiger“





I –    Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen(2).

2.        Herr Aziz, der Kläger des Ausgangsverfahrens, hatte zur Finanzierung eines Eigenheims mit der beklagten Sparkasse einen Kreditvertrag abgeschlossen sowie zur Sicherung dieses Darlehens eine Hypothek bestellt. Wegen Zahlungsschwierigkeiten von Herrn Aziz betrieb die Beklagte die Vollstreckung in die Immobilie in einem im spanischen Recht vorgesehenen vereinfachten Hypothekenvollstreckungsverfahren.

3.        Nach Abschluss des Vollstreckungsverfahrens rügte Herr Aziz in einem separaten Verfahren die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Klausel des Darlehensvertrags. Nach der Darstellung des vorlegenden Gerichts kann im Hypothekenvollstreckungsverfahren die Missbräuchlichkeit von Klauseln des Darlehensvertrags nicht geltend gemacht werden. Diese kann der Verbraucher vielmehr nur in einem separaten Erkenntnisverfahren rügen. Mit diesem Verfahren kann er aber keinen Einfluss auf die Vollstreckung nehmen. Vor diesem Hintergrund fragt das vorlegende Gericht nach der Vereinbarkeit nationaler Verfahrensregelungen, die die Einwendung der Rechtsmissbräuchlichkeit von Klauseln ausschließen, mit der Richtlinie 93/13. Außerdem fragt es nach der Rechtsmissbräuchlichkeit einzelner Klauseln des Darlehensvertrags.

4.        Dieses Verfahren bietet dem Gerichtshof somit die Gelegenheit, seine Rechtsprechung zur effektiven Gewährleistung des Verbraucherschutzes durch das nationale Verfahrensrecht fortzuentwickeln. Darüber hinaus geht es um die Erörterung der Umstände, die bei der Bestimmung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel zu berücksichtigen sind.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

5.        Art. 3 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„(1) Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Mißverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.

(3) Der Anhang enthält eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können.“

6.        Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„(1) Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluß begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.“

7.        Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

8.        Der Anhang der Richtlinie 93/13, überschrieben mit „Klauseln gemäß Art 3 Abs. 3“, führt auf:

„1. Klauseln, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass […]

e) dem Verbraucher, der seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, ein unverhältnismäßig hoher Entschädigungsbetrag auferlegt wird; …

q) dem Verbraucher die Möglichkeit, Rechtsbehelfe bei Gericht einzulegen oder sonstige Beschwerdemittel zu ergreifen, genommen oder erschwert wird, und zwar insbesondere dadurch, daß er ausschließlich auf ein nicht unter die rechtlichen Bestimmungen fallendes Schiedsgerichtsverfahren verwiesen wird, die ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel ungebührlich eingeschränkt werden oder ihm die Beweislast auferlegt wird, die nach dem geltenden Recht einer anderen Vertragspartei obläge.

B –    Nationales Recht

9.        Das Verfahren der gerichtlichen Hypothekenvollstreckung ist geregelt in den Art. 693 und Art. 695 bis 698 des Ley de Enjuiciamiento Civil(3).

10.      Art. 695 LEC sieht vor:

„1.      In den im vorliegenden Kapitel genannten Verfahren kann der Vollstreckungsschuldner nur Einspruch erheben, wenn sich dieser auf folgende Gründe stützt:

(1) Erlöschen der Sicherheit oder der gesicherten Forderung, sofern eine Registerbescheinigung, aus der sich der Wegfall der Hypothek oder gegebenenfalls des besitzlosen Pfandrechts (Registerpfandrechts) ergibt, oder eine notarielle Urkunde über den Eingang der Zahlung oder den Wegfall der Sicherheit vorgelegt wird;

(2) Fehler bei der Bestimmung des fälligen Betrags, wenn es sich bei der gesicherten Forderung um den Abschlusssaldo eines Kontos zwischen Vollstreckungsgläubiger und Vollstreckungsschuldner handelt. Der Vollstreckungsschuldner hat sein Exemplar des Kontoauszugs vorzulegen, und der Einwand ist nur zulässig, wenn der dort ausgewiesene Saldo von demjenigen abweicht, der sich aus dem vom Vollstreckungsgläubiger vorgelegten Kontoauszug ergibt. …

2.      Im Falle des Einspruchs gemäß Abs. 1 setzt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Vollstreckung aus und lädt die Parteien zu einem Termin vor dem Gericht, das den Vollstreckungsbefehl erlassen hat, wobei zwischen der Vorladung und dem fraglichen Termin mindestens vier Tage liegen müssen; bei diesem Termin hört das Gericht die Parteien an, lässt die Schriftstücke, die vorgelegt werden, zu, und erlässt binnen zwei Tagen in Form eines Beschlusses die von ihm als angemessen erachtete Entscheidung …“

11.      Art. 698 LEC bestimmt:

„1.      Über jeden nicht von den vorstehenden Artikeln erfassten Einwand des Schuldners, des Drittbesitzers oder sonstiger Beteiligter, einschließlich der Einwände, die die Nichtigkeit des Titels sowie die Fälligkeit, die Gewissheit, das Erlöschen oder die Höhe der Forderung betreffen, wird in dem entsprechenden Verfahren entschieden, ohne dass dies zur Aussetzung oder einer Verzögerung des im vorliegenden Kapitel vorgesehenen Verfahrens führt.

2.      Mit Erhebung eines Einwands nach Abs. 1 oder im Laufe des sich daran anschließenden Verfahrens kann beantragt werden, dass die Wirksamkeit des in diesem Verfahren ergehenden Urteils durch Zurückbehaltung des ganzen oder eines Teils des Betrags sichergestellt wird, der nach dem im vorliegenden Kapitel geregelten Verfahren an den Gläubiger zu zahlen ist.

Das Gericht ordnet durch eine Verfügung auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen die genannte Zurückbehaltung an, wenn es die geltend gemachten Gründe für hinreichend hält. Ist der Antragsteller nicht offenkundig hinreichend zahlungsfähig, muss das Gericht von ihm vorab eine ausreichende Sicherheit für Verzugszinsen und etwaige anderweitige Schadensersatzansprüche des Gläubigers verlangen.

3.      Leistet der Gläubiger für den Betrag, dessen Zurückbehaltung infolge des in Abs. 1 genannten Verfahrens angeordnet wurde, Sicherheit, die das Gericht für ausreichend hält, wird die Zurückbehaltung aufgehoben.“

III – Sachverhalt und Vorabentscheidungsersuchen

12.      Im Juli 2007 vereinbarte Herr Aziz mit der Caixa d’Estalvis de Catalunya, Tarragona i Manresa (Catalunyacaixa)(4) in notarieller Urkunde ein Hypo­thekendarlehen. Gegenstand dieses Darlehensvertrags über ein Kapital von 138 000 Euro war im Wesentlichen die Ablösung der gegenüber einem anderen Kreditinstitut bestehenden Kreditschuld für den Erwerb einer Familienwohnung in Höhe von 115 821 Euro. Belasteter Vermögensgegenstand blieb die Familienwohnung, deren Wert im notariellen Darlehensvertrag mit 194 000 Euro angegeben wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte Herr Aziz ein festes Monatseinkommen von 1 341 Euro.

13.      Die wesentlichen Klauseln des Vertrags werden im Vorabentscheidungsersuchen folgendermaßen zusammengefasst: Als Tilgungszeitraum sind 33 Jahresraten vorgesehen, zu tilgen in 396 Monatsraten vom 1. August 2007 bis zum 31. Juli 2040. Die Höhe der Monatsrate beträgt, solange der anfängliche Zinssatz unverändert war, 701,04 Euro. Der ordentliche Zinssatz wird wie folgt festgelegt: Bis zum 30. Januar 2008 gilt ein fester Nominalzins von 4,87 % pro Jahr. Ab dem folgenden Tag bis zur vollständigen Tilgung des Darlehens ist der Nominalzins variabel (Euribor plus 1,10 %).

14.      Die sechste Klausel des Vertrages sieht vor, dass der Darlehensnehmer auch ohne Mahnung in Verzug gerät, wenn er einen – auch vorzeitig – fällig gewordenen Zins- oder Tilgungsbetrag nicht zahlt. Die Verzugszinsen werden täglich abgerechnet und unterliegen einem Zinssatz von 18,75 %.

15.      Es heißt weiter, dass die Sparkasse das gesamte Darlehen u. a. dann fällig stellen kann, wenn eine der vereinbarten Raten fällig wird und der Schuldner seiner Verpflichtung zur Zahlung auf das Darlehenskapital oder die Darlehenszinsen nicht nachgekommen ist. Die Parteien vereinbaren, diesen Fälligkeitsgrund im Grundbuch eintragen zu lassen, damit gegebenenfalls die gesamte Forderung (Kapital nebst Zinsen) gemäß den Bestimmungen von Art. 693 LEC gerichtlich geltend gemacht werden kann.

16.      Die elfte Klausel betrifft die Bewilligung der Hypothek. Die Hypothek dient der Sicherung des Darlehenskapitals von 138 000 Euro, der vereinbarten Zinsen für eine Annuität und der Verzugszinsen bis zu einem Höchstbetrag von 51 750 Euro, sowie weiterer 13 800 Euro für veranschlagte Kosten und Auslagen. Die persönliche Haftung des Darlehensnehmers bleibt unberührt.

17.      Die fünfzehnte Klausel hat die gerichtliche Hypothekenvollstreckung zum Gegenstand: Bei ihr wird der im notariellen Darlehensvertrag genannte Schätzwert der Wohnung (194 000 Euro) zugrunde gelegt. Es wird vereinbart, dass die Schuld sowohl im Erkenntnisverfahren als auch im ordentlichen Vollstreckungsverfahren oder im Hypothekenvollstreckungsverfahren gerichtlich geltend gemacht werden kann. Der Sparkasse wird ausdrücklich das Recht eingeräumt, insbesondere zum Zwecke des Betreibens der Zwangsvollstreckung, die fällige Schuld einseitig zu beziffern, indem sie mit der Urkunde über die Bewilligung der Hypothek eine Abrechnung in der vereinbarten notariellen Form über die ausstehenden Zahlungen nebst entsprechender Bescheinigungen vorlegt.

18.      Ab Oktober 2007 kam Herr Aziz mit der Zahlung mehrerer Raten in Verzug (Oktober 2007, Dezember 2007, Januar 2008, Februar 2008, März, April und Mai 2008). Wegen der Verspätung der Zahlungen forderte die Sparkasse die vereinbarten Verzugszinsen. Im Zeitraum vom 31. Juli 2007 – dem Zeitpunkt, zu dem die erste Darlehensrate fällig wurde – bis zum 31. Mai 2008 hat Herr Aziz 1 325,98 Euro auf die Hauptforderung und 6 656,44 Euro als vertragliche bzw. Verzugszinsen gezahlt.

19.      Ende Mai 2008 stellte Herr Aziz die mehr oder weniger regelmäßige Zahlung der monatlichen Darlehensraten ein. Die Sparkasse machte von ihrem Recht auf vorzeitige Fälligstellung des Kredits Gebrauch. Aufgrund der vorzeitigen Fälligstellung verlangte sie Rückzahlung des gesamten Darlehensbetrags (Hauptforderung nebst Zinsen).

20.      Im Oktober 2008 ließ ein Vertreter der Sparkasse von einem Notar eine Urkunde errichten, in der der von Herrn Aziz noch zu zahlende Betrag festgestellt wurde. In dieser notariellen Urkunde wurde die – nach allgemein anerkannten finanzmathematischen Kriterien berechnete – Schuld nach Maßgabe der zwischen den Parteien vereinbarten Bedingungen und entsprechend den Bescheinigungen des Kreditinstituts auf 139 764,76 Euro beziffert. Dieser Betrag setzt sich aus folgenden Posten zusammen: 136 674,02 Euro als Hauptforderung, 3 017,97 Euro als vertragliche Zinsen, 72,77 Euro als Verzugszinsen.

21.      Im Januar 2009 setzte die Sparkasse Herrn Aziz telegrafisch von der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens wegen Zahlung des von ihm bis zum 16. Oktober 2008 geschuldeten Betrags nebst den vereinbarten Zinsen ab diesem Zeitpunkt bis zur vollständigen Zahlung und den entsprechenden Kosten in Kenntnis. Das Telegramm, mit dem er zur Begleichung der Schuld aufgefordert wurde, wurde am 2. Februar 2009 einem Familienmitglied von Herrn Aziz in seiner Wohnung ausgehändigt.

22.      Im März 2009 eröffnete die Sparkasse ein Hypothekenvollstreckungsverfahren für außergerichtliche Titel gemäß dem spanischen Zivilprozessgesetz und verlangte von Herrn Aziz 136 674,02 Euro als Hauptforderung, 90,74 Euro für fällige gewordene Zinsen und 41 902,21 Euro für Zinsen und Kosten. Bei der Einreichung des Antrags auf Vollstreckung aus der Hypothek beliefen sich die fällig gewordenen und noch ausstehenden Raten auf 3 153,46 Euro. Gegenstand der Zwangsvollstreckung in das Vermögen war die mit der Hypothek belastete Immobilie, d. h. die Wohnung von Herrn Aziz und seiner Familie.

23.      Das Hypothekenvollstreckungsverfahren wurde dem Juzgado de Primera Instancia n° 5 Martorell zugewiesen. Das Gericht forderte Herrn Aziz erfolglos zur Zahlung der Schuld auf.

24.      Das vorlegende Gericht verweist darauf, dass nach dem spanischen Zivilprozessrecht die Einwendungen im Rahmen des Hypothekenvollstreckungsverfahrens beschränkt sind. Möglich sind nur der Einwand des Erlöschens der Sicherheit oder der gesicherten Forderung, der Einwand eines Fehlers bei der Berechnung des geschuldeten Betrags (wenn es sich bei der Schuld um den Abschlusssaldo eines Kontos zwischen Vollstreckungsgläubiger und Vollstreckungsschuldner handelt) und der Einwand des Vorhandenseins einer anderen – nicht gelöschten – Hypothek, die früher eingetragen wurde. Keine dieser Einwendungen komme im vorliegenden Fall in Betracht.

25.      Gemäß Art. 698 Abs. 1 LEC werde über jede auf andere Gründe (wie die Ungültigkeit der Klauseln des der Schuld zugrunde liegenden Darlehensvertrags) gestützte Einwendung des Schuldners in einem gesonderten ordentlichen Zivilverfahren entschieden, ohne dass das Vollstreckungsverfahren ausgesetzt werde. Nach Art. 698 Abs. 2 LEC könne das für die Entscheidung im ordentlichen Verfahren zuständige Gericht die Umsetzung seines Urteils nur dadurch sicherstellen, dass es den ganzen oder einen Teil des an den Gläubiger auszukehrenden Versteigerungserlöses zurückbehält.

26.      Herr Aziz erschien im Vollstreckungsverfahren nicht und erhob auch keine Einwendungen gegen die Vollstreckung. Er machte auch nicht von der in Art. 693 Abs. 3 LEC vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, „den Vermögensgegenstand freizustellen“ und die Versteigerung zu verhindern, indem er die zum Zeitpunkt der Vollstreckung ausstehenden vertraglichen Raten sowie die aufgelaufenen Zinsen, Kosten und Auslagen zahlte.

27.      Daher erging am 15. Dezember 2009 ein Beschluss, mit dem die Zwangsversteigerung der mit der Hypothek belasteten Immobilie angeordnet wurde.

28.      Am 20. Juli 2010 fand die Zwangsversteigerung statt, zu der keine Bieter erschienen. Infolgedessen beantragte die Sparkasse, ihr die Immobilie zu 50 % des vertraglichen Schätzwerts (97.200,00 Euro) zuzuschlagen, was im spanischen Vollstreckungsrecht möglich ist und dann auch so geschah. Herr Aziz hat damit das Eigentum an seiner Wohnung verloren und schuldet der Sparkasse darüber hinaus weiterhin über 40 000 Euro des Darlehenskapitals sowie darüber hinaus die offenen Zinsen und Kosten. Am 20. Januar 2011 erschien die vom Juzgado de Primera Instancia n° 5 de Martorell beauftragte Gerichtskommission am Versteigerungsobjekt, um der Sparkasse den Besitz an der Immobilie zu verschaffen. Herr Aziz wurde der Wohnung verwiesen.

29.      Im Ausgangsverfahren vor dem vorlegenden Gericht, dem Juzgado Mercantil n° 3 Barcelona, beantragt Herr Aziz als Kläger, die Missbräuchlichkeit und damit Unwirksamkeit der Vertragsklausel 15 festzustellen und damit, wie das vorlegende Gericht erläutert, im Ergebnis die Nichtigkeit des durchgeführten Vollstreckungsverfahrens. Das vorlegende Gericht hat sein Verfahren bis zu einer Entscheidung über die Vorlagefragen ausgesetzt.

30.      Der Juzgado Mercantil legt dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1)      Stellt das im spanischen Verfahrensrecht in den Art. 695 ff. LEC geregelte System der Vollstreckung von gerichtlichen Titeln über hypothekarisch belastete oder verpfändete Sachen mit der in diesen Vorschriften enthaltenen Beschränkung der Einwendungen gegen die Vollstreckung eine klare Beschränkung des Verbraucherschutzes dar, da es den Verbraucher formell und materiell an der Erhebung von Klagen oder der Einlegung von Rechtsbehelfen vor Gericht hindert, die einen effektiven Schutz seiner Rechte gewährleisten?

2)      Der Gerichtshof der Europäischen Union wird um Erläuterung des Begriffes der Unverhältnismäßigkeit gebeten im Hinblick auf:

a)      die Möglichkeit der vorzeitigen Fälligstellung von Verträgen mit langer Laufzeit – im vorliegenden Fall von 33 Jahren – wegen Nichterfüllung in einem eng begrenzten konkreten Zeitraum;

b)      die Festlegung von Verzugszinsen – im vorliegenden Fall von mehr als 18 % –, die nicht mit den Kriterien zur Festlegung von Verzugszinsen in anderen Verbraucherverträgen (Verbraucherkredite) übereinstimmen und in anderen Bereichen von Verbraucherverträgen als missbräuchlich angesehen werden könnten, im Bereich der Verträge über Grundeigentum aber sogar in Fällen, in denen diese Zinsen nicht nur auf die fällig gewordenen Raten, sondern auch auf den Gesamtbetrag der aufgrund der vorzeitigen Fälligstellung geschuldeten Raten anzuwenden sind, keiner eindeutigen gesetzlichen Beschränkung unterliegen;

c)      die Festlegung von Mechanismen zur Abrechnung und Festlegung der variablen Zinsen – sowohl der ordentlichen als auch der Verzugszinsen –, die einseitig vom Darlehensgeber in Verbindung mit der Möglichkeit der Vollstreckung aus der Hypothek in Anspruch genommen werden und die dem Vollstreckungsschuldner verwehren, seine Einwendungen gegen die Bezifferung der Schuld im Vollstreckungsverfahren geltend zu machen und ihn damit auf das Erkenntnisverfahren verweisen, wobei zum Zeitpunkt der Endentscheidung in diesem Verfahren das Vollstreckungsverfahren abgeschlossen ist oder der Schuldner zumindest die mit der Hypothek belastete oder als Sicherheit hingegebene Sache verloren hat, was von besonderer Tragweite ist, wenn das Darlehen zum Erwerb einer Wohnung aufgenommen worden ist und die Vollstreckung die Räumung der Immobilie zur Folge hat.

31.      Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben Herr Aziz, Catalunyacaixa, die spanische Regierung und die Europäische Kommission schriftlich und mündlich Stellung genommen.

IV – Rechtliche Würdigung

A –    Erste Vorlagefrage

1.      Zulässigkeit

32.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein im nationalen Verfahrensrecht geregeltes System der Hypothekenvollstreckung, das keine Möglichkeit einer Einwendung der Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln des der Hypothek zu Grunde liegenden Darlehensvertrags gegen die Vollstreckung vorsieht, eine Beschränkung des Verbraucherschutzes darstellt und damit gegen die Richtlinie 93/13 verstößt.

33.      Die im Ausgangsverfahren beklagte Sparkasse bezweifelt die Zulässigkeit dieser Frage. Sie sei rein hypothetisch und stehe mit dem Ausgangsverfahren vor dem vorlegenden Gericht in keinem Zusammenhang. Streitgegenstand sei dort nämlich allein die Frage, ob die Ziffer 15 der Vertragsklauseln wirksam sei. Auch die spanische Regierung verneint die Zulässigkeit. Die Frage der Beschränkung der Einwendungen im Vollstreckungsverfahren könne allenfalls für den Richter im Vollstreckungsverfahren relevant sein. Das Vollstreckungsverfahren sei im vorliegenden Fall aber bereits abgeschlossen. Die erste Vorlagefrage sei daher irrelevant für das Verfahren vor dem vorlegenden Gericht, das die Wirksamkeit einer Vertragsklausel abstrakt und losgelöst von dem stattgefundenen Vollstreckungsverfahren zu beurteilen habe.

34.      Auch die Kommission hält die Frage nach den Prüfungsmöglichkeiten des Vollstreckungsrichters für hypothetisch und damit unzulässig. Sie schlägt eine Umformulierung der Vorlagefrage vor. Zu untersuchen sei die Frage, welche Kompetenzen dem Richter des Erkenntnisverfahrens vor dem Hintergrund der Beschränkung der Einwendungen im Vollstreckungsverfahren zukommen müssen.

35.      Den Verfahrensbeteiligten ist darin zuzustimmen, dass die konkret formulierte Frage insofern hypothetisch ist, als in der Tat nicht der Richter des Vollstreckungsverfahrens vorlegt. Nur dem Richter des Vollstreckungsverfahrens stellt sich aber unmittelbar die Frage nach den Einwendungsmöglichkeiten in seinem Verfahren und nach dem Einfluss der Richtlinie 93/13 auf die Rechtsschutzmöglichkeiten im Vollstreckungsverfahren.

36.      Die Frage des vorlegenden Gerichts ist daher, wie die Kommission zu Recht vorschlägt, in einem weiteren Sinne dahin gehend zu verstehen, welche Möglichkeiten ein Verbraucher zumindest im Rahmen des Erkenntnisverfahrens vor dem vorlegenden Gericht haben muss, Rechtsschutz gegen die Vollstreckung zu erwirken. Auch diese Frage könnte auf den ersten Blick hypothetisch sein, da die Vollstreckung bereits abgeschlossen ist. Dennoch ist sie entscheidungserheblich.

37.      Denn das vorlegende Gericht gibt in seinem Vorabentscheidungsersuchen zu erkennen, dass es im Ausgangsrechtsstreit auch um etwaige Ersatzleistungen nach der bereits vollständig abgeschlossenen Zwangsvollstreckung aus der Hypothek geht. Die Frage des Rechtsschutzes gegen die Vollstreckung ist daher für die Entscheidung des vorlegenden Gerichts von Bedeutung, das aufgrund des Effektivitätsgrundsatzes gehalten sein kann, etwaige Mängel des bisherigen Verfahrens nachträglich durch seine Entscheidung auszugleichen.

38.      Im Folgenden ist daher zu untersuchen, welche Anforderungen die Richtlinie 93/13 im Zusammenhang mit einer Vollstreckung an die Möglichkeiten des Verbrauchers stellt, die Rechtsmissbräuchlichkeit von Klauseln einzuwenden.

2.      Würdigung

39.      Zur Beantwortung der ersten Vorlagefrage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das mit der Richtlinie 93/13 geschaffene Schutzsystem auf dem Gedanken beruht, dass der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren Informationsstand besitzt. Das führt dazu, dass er den vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren Inhalt Einfluss nehmen zu können.(5)

40.      In Anbetracht dieser schwächeren Position sieht Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vor, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher unverbindlich sind. Wie sich aus der Rechtsprechung ergibt, handelt es sich um eine zwingende Bestimmung, die darauf abzielt, die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen.(6)

41.      Um den durch die Richtlinie 93/13 angestrebten Schutz zu gewährleisten, hat der Gerichtshof bereits mehrfach wiederholt, dass die bestehende Ungleichheit zwischen Verbraucher und Gewerbetreibenden nur durch ein positives Eingreifen von dritter, von den Vertragsparteien unabhängiger Seite ausgeglichen werden kann.(7)

42.      Im Licht dieser Grundsätze hat der Gerichtshof entschieden, dass das nationale Gericht sogar von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 fällt, prüfen und damit dem Ungleichgewicht zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden abhelfen muss.(8)

43.      Die vorliegende Rechtssache betrifft die Frage, welche Möglichkeiten ein Verbraucher haben muss, die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Klausel des Darlehensvertrags der Vollstreckung aus der diesen sichernden Hypothek entgegenzuhalten.

44.      Da die nationalen Maßnahmen der Zwangsvollstreckung nicht unionsrechtlich vereinheitlicht sind, ist es nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten festzulegen. Die Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten findet jedoch im Äquivalenzprinzip sowie dem Effektivitätsprinzip ihre Grenzen.(9) Eine Regelung darf nicht ungünstiger sein als diejenige, die gleichartige Sachverhalte regelt, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen, und sie darf die Ausübung der den Verbrauchern durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.(10)

45.      Der Grundsatz der Äquivalenz besagt, dass die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht weniger günstig ausgestaltet sein dürfen als diejenigen, die für entsprechende innerstaatliche Klagen gelten.(11) Diesbezüglich stellt sich im vorliegenden Fall kein Problem. Denn Art. 698 LEC schließt nicht nur die Einwendung der Rechtsmissbräuchlichkeit von Klauseln im Vollstreckungsverfahren aus, sondern generell alle Einwendungen, die die Nichtigkeit des Titels betreffen könnten.

46.      Näher zu untersuchen ist im Folgenden die Einhaltung des Effektivitätsprinzips. Aus diesem folgt, dass die Ausgestaltung des nationalen Verfahrensrechts nicht dazu führen darf, dass die Geltendmachung der in der Richtlinie 93/13 dem Verbraucher gewährten Rechte behindert wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung der Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen.(12)

47.      Nach dem durch das vorlegende Gericht gezeichneten Bild stellt sich das spanische vereinfachte Hypothekenvollstreckungsverfahren so dar, dass es im Sinne einer effektiven und zügigen Verwertung einer Hypothek nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten des Schuldnerschutzes kennt. Mit wenigen Ausnahmen, die nach Auffassung des vorlegenden Gerichts hier nicht einschlägig waren, muss ein Schuldner somit die Verwertung der Hypothek ungeachtet etwaiger missbräuchlicher Klauseln hinnehmen. Erst in einem gesonderten Erkenntnisverfahren, in der die Gültigkeit des Titels Gegenstand ist, kann er Einwendungen gegen die der Vollstreckung zugrundeliegende Forderung vorbringen und damit die Rechtsmissbräuchlichkeit der verwendeten Klauseln rügen.

48.      Hierdurch hat der Schuldner allerdings nur die Möglichkeit, auf die Verteilung des Vollstreckungserlöses Einfluss zu nehmen oder Schadensersatzansprüche aufgrund der Vollstreckung geltend zu machen. Und in diesem gesonderten Erkenntnisverfahren hat das Gericht auch die Möglichkeit, den Rückbehalt des Versteigerungserlöses anzuordnen und so sicherzustellen, dass ein Zahlungsanspruch des Schuldners gegen den Vollstreckungsgläubiger auch realisiert werden kann.

49.      Weder im Rahmen des vereinfachten Vollstreckungsverfahrens selbst noch in dem gesonderten Erkenntnisverfahren hat das angerufene Gericht jedoch nach den Ausführungen im Vorabentscheidungsersuchen die Möglichkeit, die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung, d. h. der Zwangsversteigerung der Immobilie, anzuordnen.

50.      Selbst dann, wenn die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Klausel des der Hypothek zu Grunde liegenden Darlehensvertrags einer Vollstreckung in die Immobilie entgegenstehen würde, hätte also der Verbraucher nach spanischem Recht nicht die Möglichkeit, die Zwangsversteigerung und den hiermit einhergehenden Eigentumsverlust zu verhindern. Der Verbraucher ist auf nachgelagerten Rechtsschutz in Form eines Schadensersatzes begrenzt und muss – wie im vorliegenden Ausgangssachverhalt – den Verlust seines Eigenheims hinnehmen.

51.      Eine solche Verfahrensausgestaltung beeinträchtigt die Effektivität des mit der Richtlinie 93/13 beabsichtigten Schutzes.

52.      Insbesondere dann, wenn die mit einer Hypothek belastete Immobilie das Eigenheim des Schuldners darstellt, ist nämlich ein bloßer Schadensersatzanspruch schwerlich geeignet, die dem Verbraucher durch die Richtlinie 93/13 eingeräumten Rechte effektiv zu gewährleisten. Es stellt keinen effektiven Schutz gegen missbräuchliche Vertragsklauseln dar, wenn ein Verbraucher im Zusammenhang mit solchen Klauseln die Verwertung einer Hypothek und damit die Zwangsversteigerung seines Eigenheims, den damit verbundenen Eigentumsverlust und die Räumung schutzlos hinnehmen muss und er erst durch nachgelagerten Rechtsschutz Schadensersatzansprüche erstreiten kann.

53.      Die Richtlinie 93/13 verlangt vielmehr, dass dem Verbraucher ein effektiver Rechtsbehelf zur Prüfung der Rechtsmissbräuchlichkeit der Klauseln seines Darlehensvertrags zur Verfügung stehen muss und hierdurch gegebenenfalls die Zwangsvollstreckung verhindert werden kann.

54.      In die gleiche Richtung weist das kürzlich ergangene Urteil in der Rechtssache Banco Español de Crédito. Darin entschied der Gerichtshof für ein gerichtliches Mahnverfahren, dass zur Wahrung des Effektivitätsprinzips im Zusammenhang mit der Richtlinie 93/13 ein nationales Gericht sogar gehalten ist, bereits vor Erlass des Mahnbescheids, gegen den der Verbraucher dann Widerspruch einlegen könnte, von Amts wegen Vertragsklauseln auf ihre Missbräuchlichkeit hin zu untersuchen, sofern das Gericht über sämtliche hierzu erforderlichen rechtlichen und sachlichen Grundlagen verfügt.(13) Es bestehe nämlich eine nicht zu vernachlässigende Gefahr, dass der Verbraucher den erforderlichen Widerspruch nicht erhebt.(14)

55.      Folgt daraus auch, dass der Verbraucher unmittelbar im Vollstreckungsverfahren die Möglichkeit haben muss, die Missbräuchlichkeit von Klauseln zu rügen und nicht erst in einem gesonderten Verfahren? Zweifel an einer Übertragbarkeit der Rechtsprechung Banco Español de Crédito könnten dadurch aufkommen, dass im Gegensatz zum Mahnverfahren in einer Konstellation wie der vorliegenden mit der notariellen Urkunde bereits ein Vollstreckungstitel existiert und ein Gläubigerinteresse anzuerkennen ist, die Zwangsvollstreckung zügig zu betreiben. Durch eine formale Ausgestaltung des eigentlichen Vollstreckungsverfahrens und einen weitgehenden Einwendungsausschluss dort verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, titulierte Forderungen zügig vollstrecken zu können. Vor diesem Hintergrund erscheint es mir nicht zwingend geboten, es von vornherein als eine übermäßige Erschwerung des Rechtsschutzes des Verbrauchers zu qualifizieren, wenn dieser durch Einleitung eines Verfahrens erst die Voraussetzungen dafür schaffen muss, dass das angerufene Gericht Vertragsklauseln prüft.

56.      Diese Frage ist im vorliegenden Verfahren jedoch nicht abschließend zu klären. Wie ich nämlich bereits im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung dargelegt habe, ist vorliegend nicht die Frage zu beantworten, ob der Verbraucher explizit bereits im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens die Möglichkeit haben muss, die Missbräuchlichkeit einer Klausel des Darlehensvertrags geltend zu machen. Noch weniger ist daher zu klären, ob aus dem Urteil in der Rechtssache Banco Español de Crédito abzuleiten ist, dass auch der Richter des Vollstreckungsverfahrens von Amts wegen die Wirksamkeit einzelner Vertragsklauseln prüfen muss, die Auswirkungen auf die Zwangsvollstreckung haben können(15). Schließlich geht es in der ersten Vorlagefrage ausdrücklich um die Einwendungsmöglichkeiten des Verbrauchers, nach einer Prüfungsmöglichkeit von Amts wegen hat das vorlegende Gericht nicht gefragt.

57.      Entscheidend ist im Rahmen des vorliegenden Verfahrens daher allein, dass der Effektivitätsgrundsatz jedenfalls verlangt, dass der Richter des Erkenntnisverfahrens über die Möglichkeit verfügen muss, das Vollstreckungsverfahren (einstweilen) auszusetzen, um die Zwangsvollstreckung anzuhalten, bis die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Vertragsklausel geprüft ist, und so zu verhindern, dass zu Lasten des Verbrauchers durch das Vollstreckungsverfahren nur schwer oder gar nicht wiedergutzumachende Tatsachen geschaffen werden.

3.      Zwischenergebnis

58.      Auf die erste Vorlagefrage ist somit zu antworten, dass ein System der Vollstreckung notarieller Titel über hypothekarisch belastete und verpfändete Sachen, in dem die Einwendungsmöglichkeiten gegen die Vollstreckung beschränkt sind, unvereinbar mit der Richtlinie 93/13 ist, wenn der Verbraucher weder im Vollstreckungsverfahren selbst, noch in einem gesonderten gerichtlichen Verfahren zur Durchsetzung der in der Richtlinie 93/13 eingeräumten Rechte effektiven Rechtsschutz etwa dadurch erlangen kann, dass das Gericht die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung erwirken kann.

B –    Zweite Vorlagefrage

59.      Im Wortlaut der zweiten Vorlagefrage wird der Begriff „Unverhältnismäßigkeit“ verwendet, sie knüpft damit an die Terminologie von Nr. 1 Buchst. e des Anhangs der Richtlinie an. Das Vorabentscheidungsersuchen ist jedoch dahingehend zu verstehen, dass mit der zweiten Vorlagefrage eine Auslegung des in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie verwandten Oberbegriffs des „Missverhältnisses“ der vertraglichen Rechte und Pflichten begehrt wird, an dessen Stelle allein im speziellen Fall von Entschädigungsbeträgen im Anhang unter Nr. 1 Buchst. 1e der Richtlinie von „unverhältnismäßig“ gesprochen wird.

60.      Mit seiner zweiten Vorlagefrage begehrt das vorlegende Gericht daher im Kern eine nähere Erläuterung des Begriffs des Missverhältnisses im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13. Danach ist eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.

61.      Das vorlegende Gericht nennt insofern drei konkrete Klauseln, die Bestandteil des im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Vertrages sind. Diese Klauseln wurden nach den Angaben des vorlegenden Gerichts einem Verbraucher einseitig gestellt und fallen damit in den Anwendungsbereich der Richtlinie.

1.      Zulässigkeit

62.      Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist nach Angabe der Sparkasse und der spanischen Regierung allerdings bislang nur eine der vom vorlegenden Gericht angeführten Klauseln. Dennoch ist auch die Beantwortung im Hinblick auf die weiteren Klauseln nicht irrelevant für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass eine Gesamtschau der einzelnen Vertragsbedingungen und deren rechtliche Bewertung Auswirkungen auch auf die Auslegung der im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Klausel hat.

63.      Darüber hinaus ist bereits im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung der ersten Vorlagefrage darauf hingewiesen worden, dass sich der Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens nach den Angaben des vorlegenden Gerichts auf eine etwaige Unwirksamkeit des Vollstreckungsverfahrens erstreckt. In Betracht kommt, dass auch die rechtliche Würdigung der mit der zweiten Vorlagefrage bezeichneten Klauseln, die der vorlegende Richter im Übrigen auch von Amts wegen zu prüfen hat, Konsequenzen für die Wirksamkeit des Vollstreckungsverfahrens haben könnte. Die zweite Vorlagefrage ist daher in ihrer Gesamtheit zulässig.

2.      Würdigung

a)      Allgemeines

64.      Der Gerichtshof hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Art. 3 der Richtlinie 93/13 mit der Bezugnahme auf die Begriffe von Treu und Glauben und des erheblichen und ungerechtfertigten Missverhältnisses zwischen den Rechten und Pflichten der Vertragspartner nur abstrakt die Faktoren definiert, die einer Vertragsklausel missbräuchlichen Charakter verleihen.(16)

65.      Es bedarf einer konkreten Bewertung einer bestimmten Vertragsklausel anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls im Hinblick auf ihren eventuellen missbräuchlichen Charakter.(17) Diese Beurteilung erfolgt gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses.

66.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob eine Vertragsklausel die Kriterien erfüllt, um als missbräuchlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 qualifiziert zu werden. Nur der nationale Richter kann umfassend die Folgen würdigen, die die jeweilige Klausel im Rahmen des auf den Vertrag anwendbaren Rechts haben kann, was eine Prüfung des nationalen Rechtssystems impliziert.(18)

67.      Die endgültige Beurteilung des missbräuchlichen Charakters der streitgegenständlichen Klauseln obliegt dem nationalen Richter und nicht dem Gerichtshof.(19) Aufgabe des Gerichtshofs ist es, die allgemeinen Kriterien auszulegen, anhand deren die Missbräuchlichkeit der unter die Bestimmungen der Richtlinie fallenden Vertragsklauseln beurteilt werden kann.(20)

b)      Klausel betreffend die vorzeitige Fälligstellung

68.      Die erste Klausel, um die es in der zweiten Vorlagefrage geht, betrifft die Möglichkeit der vorzeitigen Fälligstellung von Verträgen mit langer Laufzeit wegen Nichterfüllung in einem eng begrenzten Zeitraum.

69.      Im konkreten Fall findet sich unter Klausel 6 des Darlehensvertrags die Regelung, dass die darlehensgewährende Sparkasse bereits bei Verzug des Schuldners mit nur einer der insgesamt in der Vertragslaufzeit von 33 Jahren zu erbringenden 396 Monatsraten ohne Weiteres das gesamte Darlehen zur Rückzahlung fällig stellen darf.

70.      Die Kommission hält diese Vertragsklausel für evident wirksam, da die Nichtzahlung auch nur einer Rate eine Verletzung der wesentlichen Vertragsverpflichtung des Darlehensnehmers darstelle und dem Darlehensgeber ein weiteres Festhalten an dem Vertrag nicht zuzumuten sei.

71.      Ob eine Klausel ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner zu Lasten des Verbrauchers verursacht, lässt sich nicht ohne einen Vergleich mit der Rechtslage beurteilen, wie sie das nationale Recht für den Fall vorsieht, dass die Parteien selbst keine vertragliche Regelung getroffen haben. Nur dann, wenn der Verbraucher durch die Vertragsklausel gegenüber den gesetzlichen Regelungen schlechter gestellt wird, verursacht die Klausel überhaupt eine womöglich missbräuchliche Verschiebung der vertraglichen Rechte und Pflichten zu Lasten des Verbrauchers.

72.       Und selbst wenn eine Vertragsklausel eine Schlechterstellung des Verbrauchers gegenüber der Gesetzeslage verursacht, so muss dies das vertragliche Gleichgewicht nicht unweigerlich in einer Art und Weise verschieben, dass dies als missbräuchlich im Sinne des Art. 3 der Richtlinie 93/13 zu qualifizieren ist.

73.      Vielmehr verlangt Art. 3 der Richtlinie 93/13 ausdrücklich, dass eine Vertragsklausel nur dann als missbräuchlich anzusehen ist, wenn durch sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten verursacht wird. So wird der Grundsatz der Vertragsfreiheit gewahrt und anerkannt, dass Parteien vielfach ein berechtigtes Interesse an einer gegenüber der Gesetzeslage abweichenden Ausgestaltung ihrer Vertragsbeziehungen besitzen.

74.      Ob die durch die Vertragsklausel gegenüber der Gesetzeslage verursachte Verschiebung der vertraglichen Rechte und Pflichten zu Lasten des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis verursacht, ist nur durch eine umfassende Würdigung sämtlicher individueller Vertragsumstände möglich, wie sie Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie aufführt. Ein erhebliches Missverhältnis wird insbesondere dann als ungerechtfertigt anzusehen sein, wenn die Rechte und Pflichten des Verbrauchers in einem solchen Umfang beschnitten werden, dass der Steller der Vertragsbedingungen nach Treu und Glauben nicht davon ausgehen durfte, dass sich der Verbraucher auf eine entsprechende Regelung im Rahmen individueller Vertragsverhandlungen eingelassen hätte.

75.      In diesem Zusammenhang ist unter anderem von Bedeutung, ob entsprechende Vertragsklauseln gebräuchlich sind, d. h., in vergleichbaren Verträgen regelmäßig im Rechtsverkehr verwendet werden, oder aber überraschend sind, ob ein sachlicher Grund für die Klauselregelung besteht und ob der Verbraucher trotz Verschiebung des vertraglichen Gleichgewichts zugunsten des Klauselverwenders hinsichtlich des Regelungsgegenstands der jeweiligen Klausel nicht schutzlos gestellt wird.

76.      Im Ausgangsrechtsstreit ist daher zunächst relevant, wie die gesetzlichen Regelungen über die Kündigung eines Darlehens ausgestaltet sind, insbesondere unter welchen Voraussetzungen der Darlehensgeber bei Schuldnerverzug mit einzelnen Raten zur Kündigung und Gesamtfälligstellung des Darlehens berechtigt ist. An diesem Maßstab wird die streitgegenständliche Klausel sodann zu messen sein.

77.      Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Ratenzahlungsverpflichtung die wesentliche Vertragspflicht des Darlehensnehmers ist. Bei der Beantwortung der Frage, ob bereits nach Nichtzahlung auch nur einer Rate grundsätzlich der darlehensgebenden Sparkasse ein Festhalten an dem Vertrag nicht mehr zumutbar erscheint, ist andererseits zu bedenken, dass die Sparkasse mit der Hypothek eine Sicherheit gewährt wurde, und dass allein der Verzug mit nur einer Rate auf einem bloßen Versehen beruhen kann und nicht zwingend auf Zahlungsschwierigkeiten des Darlehensnehmers schließen lässt. Die Höhe des gewährten Darlehens, seine Laufzeit sowie seine existenzielle Bedeutung für den Darlehensnehmer wird darüber hinaus mit dem Interesse der Darlehensgeberin, sich bereits nach Nichtzahlung nur einer Rate von dem Darlehensvertrag lösen zu können, in Verhältnis zu setzen sein.

78.      Das vorlegende Gericht hat schließlich auch zu beachten, welche Möglichkeiten das nationale Recht, auch das nationale Prozessrecht, dem Verbraucher zur Seite stellt, die Wirkungen einer erfolgten Gesamtfälligstellung wieder zu beseitigen. Dabei ist insbesondere die in Art. 693 Abs. 3 LEC dem Darlehensnehmer gewährte Möglichkeit von Interesse, über den Ausgleich fälliger Raten im Ergebnis die Wirkung der Kündigung/Gesamtfälligstellung wieder entfallen zu lassen. Dies ist im Rahmen der gebotenen Gesamtschau, ob durch die streitgegenständliche Klausel der Verbraucher entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unverhältnismäßig benachteiligt wird, zu berücksichtigen.

79.      Vorstehende Ausführungen zeigen, dass entgegen der Ansicht der Kommission, welche die streitgegenständliche Klausel als abstrakt, losgelöst von bestimmten Rechtssystemen und Umständen als wirksam erachtet, allein der nationale Richter in der Lage ist, die gebotene Missbräuchlichkeitsprüfung am Maßstab des Art. 3 der Richtlinie 93/13 vorzunehmen.

80.      Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, anhand von Art. 3 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 93/13 die Missbräuchlichkeit einer Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Verbraucherverträgen zu beurteilen. Im Zusammenhang mit einer Klausel über die vorzeitige Fälligstellung eines Immobiliendarlehens durch den Gläubiger hat das Gericht insbesondere zu prüfen, in welchem Maße die Klausel von der ansonsten einschlägigen gesetzlichen Regelung abweicht, ob ein sachlicher Grund für die Klauselregelung besteht und ob der Verbraucher trotz Verschiebung des vertraglichen Gleichgewichts zugunsten des Verwenders der Klausel hinsichtlich des Regelungsgegenstands der jeweiligen Klausel nicht schutzlos gestellt wird.

c)      Klausel betreffend Verzugszinsen

81.      Gegenstand der zweiten Vorlagefrage ist darüber hinaus eine Klausel über Verzugszinsen. Im konkreten Fall findet sich unter Ziffer 6 des im Ausgangsrechtsstreit streitgegenständlichen Vertrages die Regelung, dass vom Darlehensnehmer bei auch ohne Mahnung eintretendem Verzug Verzugszinsen in Höhe von 18,75 % p. a. zu entrichten sind. Der ordentliche Zinssatz des Darlehens beläuft sich hingegen auf anfänglich nominal 4,87 %.

82.      Hinsichtlich der allgemeinen Herangehensweise zur rechtlichen Beurteilung der Frage, ob eine solche Verzugszinsregelung eine gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 unwirksame Vertragsklausel darstellt, kann an dieser Stelle zunächst auf die vorangestellten allgemeinen Ausführungen verwiesen werden.(21)

83.      Der nationale Richter muss zunächst einen Vergleich mit dem gesetzlichen Zinssatz vornehmen, um dann in einem weiteren Schritt unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles zu überprüfen, ob eine Abweichung zu Lasten des Verbrauchers nach Treu und Glauben zu einem erheblichen und ungerechtfertigten Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner führt.(22)

84.      Im Anhang der Richtlinie, auf den Art. 3 Abs. 3 Bezug nimmt, werden als Beispiel einer missbräuchlichen Klausel unter Buchst. 1e ausdrücklich Klauseln aufgeführt, durch die dem Verbraucher, der seinen Vertragspflichten nicht nachkommt, ein unverhältnismäßig hoher Entschädigungsbetrag auferlegt wird. Die im Anhang der Richtlinie enthaltene Liste dient allerdings gemäß deren Art. 3 Abs. 3 lediglich als Hinweis, welche Klauseln als missbräuchlich erklärt werden können und ist nicht erschöpfend. Folglich lässt sich die Missbräuchlichkeit einer Klausel nicht ohne Weiteres allein aus deren Nennung im Anhang herleiten; ihre Nennung ist jedoch eine wesentliche Grundlage, auf die das Gericht seine Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klausel stützen kann.(23)

85.      Bei der konkreten Betrachtung kann von Bedeutung sein, welche Verzugszinsen in Hypothekendarlehen üblicherweise vereinbart werden. Kennt das spanische Recht für sonstige Verbraucherdarlehen eine Begrenzung des Verzugszinssatzes auf das 2,5fache der gesetzlichen Zinsen, worauf die Kommission hinweist, so kann dies ebenso Anhaltspunkt für ein etwaiges Missverhältnis sein wie der Umstand, dass die Refinanzierungskosten der Banken und Sparkassen bei Hypothekendarlehen aufgrund der gewährten Sicherheit in der Regel deutlich geringer ausfallen als bei sonstigen Verbraucherdarlehen.

86.      Bei der vorzunehmenden Abwägung ist weiter zu berücksichtigen, welche Zwecke ein Verzugszinssatz nach nationalem Recht zulässigerweise verfolgen darf, ob er etwa nur einen pauschalierten Verzugsschaden darstellt oder aber auch dazu dienen soll, den Vertragspartner zur Vertragstreue anzuhalten. Die mit einem Verzugszins zulässigerweise verfolgten Zwecke können je nach Mitgliedstaat unterschiedlich sein. Sinn und Zweck der Richtlinie 93/13 ist es insofern nicht, Unterschiede zwischen den nationalen Rechtskulturen einzuebnen.

87.      Soll ein Verzugszins lediglich den Verzugsschaden pauschal abgelten, wird ein Verzugszinssatz bereits dann erheblich überhöht sein, wenn er weit über den anzunehmenden konkreten Verzugsschaden hinausgeht. Jedoch leuchtet ein, dass ein hoher Verzugszinssatz den Schuldner dazu motiviert, nicht in Verzug mit seinen Vertragspflichten zu geraten und einen bereits eingetretenen Verzug schnell zu beenden. Dient der Verzugszins nach nationalem Recht dem Anhalten zur Vertragstreue und damit der Aufrechterhaltung der Zahlungsmoral, wird er erst dann als missbräuchlich zu qualifizieren sein, wenn er deutlich höher ausfällt als zur Erreichung dieses Ziels erforderlich.

88.      Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass im Zusammenhang mit einer Klausel über Verzugszinsen das Gericht insbesondere zu prüfen hat, inwieweit der Zinssatz vom ansonsten anwendbaren gesetzlichen Zinssatz abweicht und ob er außer Verhältnis zu dem mit dem Verzugszins verfolgten Zweck steht.

d)      Klausel betreffend die einseitige Feststellung des geschuldeten Betrags

89.      Schließlich zielt die zweite Vorlagefrage auf die Erläuterung des Begriffs der Unverhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Klausel 15 der im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Vertragsbedingungen. Diese legt fest, dass zur Durchführung des Zwangsvollstreckungsverfahrens der Darlehensgeber den offenstehenden Darlehensbetrag einseitig bestimmen darf und somit eigenständig eine wesentliche Voraussetzung zur Durchführung des vereinfachten Hypothekenvollstreckungsverfahren schaffen kann. Zur Erläuterung des rechtlichen Rahmens, in dem diese Klausel Bedeutung erlangt, legt das vorlegende Gericht dar, dass es dem Schuldner nicht möglich sei, im Vollstreckungsverfahren gegen diese Bezifferung Einwendungen zu erheben und er insofern auf ein gesondertes Erkenntnisverfahren verwiesen werde. Das Erkenntnisverfahren hindere den weiteren Verlauf des Vollstreckungsverfahrens jedoch nicht, weshalb der Schuldner die mit der Hypothek belastete Sache bereits verloren habe, wenn das Erkenntnisverfahren entschieden werde.

90.      Auch insofern ist es Aufgabe des nationalen Richters, alle konkreten Umstände des Einzelfalls bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Dafür gelten allerdings folgende Kriterien:

91.      Ausgangspunkt muss wiederum die Frage sein, wie sich die Rechtslage – hier das Vollstreckungsverfahren – darstellen würde, wenn der Vertrag die streitgegenständliche Klausel nicht enthielte.

92.      Ich verstehe an dieser Stelle die Ausführungen des vorlegenden Gerichts sowie der Beteiligten dahin, dass ohne eine entsprechende Klausel die darlehensfinanzierende Sparkasse zunächst gegen den Darlehensschuldner einen Rechtsstreit zur Bezifferung ihrer offenstehenden Forderung führen müsste, um so im Vollstreckungsverfahren den erforderlichen konkret bezifferten Betrag belegen zu können. Durch die einseitige Bezifferung durch den Darlehensgläubiger erübrigt sich dieses vorgeschaltete Erkenntnisverfahren. Das hat zur Folge, dass der Darlehensschuldner sich vor der Vollstreckung nicht gegen die Höhe der zu vollstreckenden Forderung wehren kann. Das vorlegende Gericht stellt freilich im Einklang mit den Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten klar, dass der einseitig bezifferte Betrag zwischen den Parteien keine Bindungswirkung entfaltet, mithin in einem nachgeschalteten Erkenntnisverfahren vom Schuldner bestritten werden kann und den Schuldner insofern auch hinsichtlich der Beweislast keine Nachteile treffen.

93.      In der mit der Klausel einhergehenden Verkürzung des der Vollstreckung vorgelagerten Rechtsschutzes liegt eine Verschiebung der vertraglichen Rechte und Pflichte zu Lasten des Verbrauchers. Hieraus ergibt sich jedoch noch nicht ohne Weiteres, dass diese entgegen Treu und Glauben ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten zu Lasten des Verbrauchers zur Folge hat. Dies ist abschließend durch eine Gesamtabwägung der mit der Klausel verbundenen Vor- und Nachteile für beide Vertragsteile zu ermitteln.

94.      Für die darlehensfinanzierende Sparkasse hat die fragliche Klausel zur Folge, dass die als Sicherheit gewährte Hypothek schneller und leichter verwertet werden kann. Dies erhöht – auch im wirtschaftlichen Interesse des Schuldners – den Wert der von ihm gewährten Sicherheit. Spiegelbildlich hierzu sieht sich der Schuldner/Verbraucher der Gefahr ausgesetzt, die Sicherheit zu verlieren, bevor bereits feststeht, in welcher Höhe die darlehensfinanzierende Sparkasse sich aus der Sicherheit befriedigen darf.

95.      Der nationale Richter muss seine Gesamtabwägungsentscheidung unter Berücksichtigung der weiteren konkreten Umstände des Einzelfalls treffen. Dazu gehört die Frage, ob nicht doch schon im Vollstreckungsverfahren Einwendungen des Schuldners bereits möglich sind. Dafür spricht der Wortlaut des Art. 695 Abs. 1 LEC. Weiter kommt es darauf an, wie das Verfahren der einseitigen Bezifferung ausgestaltet ist und welche Prüfungskompetenz der insofern eingeschaltete Notar hat und wie der Umstand zu bewerten ist, dass, wie die spanische Regierung vorgetragen hat, nur der staatlichen Bankenkontrolle unterliegende Banken und Sparkassen zur Verwendung der streitgegenständlichen Klausel berechtigt sind.

96.      Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass im Zusammenhang mit einer Klausel über die einseitige Festlegung des geschuldeten Betrags insbesondere die Auswirkungen einer solchen Klausel im nationalen Verfahrensrecht zu berücksichtigen sind.

V –    Ergebnis

97.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, wie folgt zu entscheiden:

1.       Ein System der Vollstreckung notarieller Titel über hypothekarisch belastete und verpfändete Sachen, in dem die Einwendungsmöglichkeiten gegen die Vollstreckung beschränkt sind, ist unvereinbar mit der Richtlinie 93/13/EWG des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, wenn der Verbraucher weder im Vollstreckungsverfahren selbst, noch in einem gesonderten gerichtlichen Verfahren zur Durchsetzung der in der Richtlinie 93/13 eingeräumten Rechte effektiven Rechtsschutz etwa dadurch erlangen kann, dass das Gericht die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung erwirken kann.

2.       Es ist Sache des nationalen Gerichts anhand von Art. 3 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 93/13 die Missbräuchlichkeit einer Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Verbraucherverträgen zu beurteilen.

a) In Bezug auf eine Klausel über die vorzeitige Fälligstellung eines Immobiliendarlehens durch den Gläubiger hat das Gericht insbesondere zu prüfen, in welchem Maße die Klausel von der ansonsten einschlägigen gesetzlichen Regelung abweicht, ob ein sachlicher Grund für die Klauselregelung besteht und ob der Verbraucher trotz Verschiebung des vertraglichen Gleichgewichts zugunsten des Verwenders der Klausel hinsichtlich des Regelungsgegenstands der jeweiligen Klausel nicht schutzlos gestellt wird.

b) In Bezug auf eine Klausel über Verzugszinsen hat das Gericht insbesondere zu prüfen, inwieweit der Zinssatz vom ansonsten anwendbaren gesetzlichen Zinssatz abweicht und ob er außer Verhältnis zu dem mit dem Verzugszins verfolgten Zweck steht.

c) In Bezug auf eine Klausel über die einseitige Festlegung des geschuldeten Betrags sind insbesondere die Auswirkungen einer solchen Klausel im nationalen Verfahrensrecht zu berücksichtigen.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – ABl. L 95, S. 29, zwischenzeitlich geändert durch die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011, ABl. L 304, S. 64, die jedoch keine für den vorliegenden Fall relevante Änderung der Richtlinie eingeführt hat.


3 – Zivilprozessgesetz, im Folgenden: LEC.


4 – Im Folgenden: Sparkasse.


5 – Urteile vom 27. Juni 2000, Océano Grupo Editorial und Salvat Editores (C‑240/98 bis C‑244/98, Slg. 2000, I‑4941, Randnr. 25), vom 26. Oktober 2006, Mostaza Claro (C‑168/05, Slg. 2006, I‑10421, Randnr. 25), vom 6. Oktober 2009, Asturcom Telecomunicaciones (C‑40/08, Slg. 2009, I‑9579, Randnr. 29), und vom 14. Juni 2012, Banco Español de Crédito (C‑618/10, Randnr. 39).


6 – Urteile Mostaza Claro (zitiert in Fn. 5, Randnr. 36), Asturcom Telecomunicaciones (zitiert in Fn. 5, Randnr. 30), sowie vom 9. November 2010, VB Pénzügyi Lízing (C‑137/08, Slg. 2010, I‑10847, Randnr. 47), und vom 15. März 2012, Pereničová und Perenič (C‑453/10, Randnr. 28).


7 – Urteil Banco Español de Crédito (zitiert in Fn. 5, Randnr. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).


8 – Urteil Banco Español de Crédito (zitiert in Fn. 5, Randnr. 42).


9 – Vgl. Urteil Banco Español de Crédito (zitiert in Fn. 5, Randnr. 46).


10 – Urteil Banco Español de Crédito (zitiert in Fn. 5, Randnr. 46) und die dort angeführte Rechtsprechung.


11 – Urteil vom 18. März 2010, Alassini u. a. (C‑317/08 bis C‑320/08, Slg. 2010, I‑2213, Randnr. 48).


12 – Urteile Asturcom Telecomunicaciones (zitiert in Fn. 5, Randnr. 39) und Banco Español de Crédito (zitiert in Fn. 5, Randnr. 49).


13 – Urteil Banco Español de Crédito (zitiert in Fn. 5, Randnr. 53).


14 – Urteil Banco Español de Crédito (zitiert in Fn. 5, Randnrn. 54 und 55).


15 – Jedenfalls in den Fällen, in denen das Vollstreckungsgericht über sämtliche hierzu erforderlichen rechtlichen und sachlichen Grundlagen verfügt, siehe Urteil Banco Español de Crédito (zitiert in Fn. 5, Randnr. 53).


16 – Urteil Pannon GSM (C‑243/08, Slg. 2009, I‑4713, Randnr. 37).


17 – Urteile VB Pénzügyi Lízing (zitiert in Fn. 6, Randnr. 44) und vom 26. April 2012, Invitel (C‑472/10, Randnr. 22).


18 – Urteil Invitel (zitiert in Fn. 17, Randnr. 30).


19 – Vgl. Urteile Pannon GSM (zitiert in Fn. 16, Randnr. 42), Mostaza Claro (zitiert in Fn. 5, Randnr. 22), und VB Pénzügyi Lízing (zitiert in Fn. 6, Randnrn. 43 und 44).


20 – Vgl. Urteile vom 3. Juni 2010, Caja de Ahorros y Monte de Piedad de Madrid (C‑484/08, Slg. 2010, I-4785, Randnr. 33) und VB Pénzügyi Lízing (zitiert in Fn. 6, Randnr. 40).


21 – Siehe die Nrn. 64-67 dieser Schlussanträge.


22 – In der Rechtssache Banco Español de Crédito hatte der spanische Richter einen vertraglich auf 29 % vereinbarten Zinssatz von Amts wegen unter Berücksichtigung des gesetzlichen Zinssatz und den Verzugszins nach den Haushaltsgesetzen der Jahre 1990 – 2008 auf 19 % herabgesetzt.


23 – Urteil Invitel (zitiert in Fn. 17, Randnr. 26).