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Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 1. März 2016 (Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts – Deutschland) – Kreis Warendorf/Ibrahim Alo (C-443/14) und Amira Osso/Region Hannover (C-444/14)

(Verbundene Rechtssachen C-443/14 und C-444/14)1

(Vorlage zur Vorabentscheidung – Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, unterzeichnet am 28. Juli 1951 in Genf – Art. 23 und 26 – Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Richtlinie 2011/95/EU – Normen für den Inhalt des internationalen Schutzes – Durch den subsidiären Schutz vermittelte Rechtsstellung – Art. 29 – Sozialhilfeleistungen – Zugangsvoraussetzungen – Art. 33 – Freizügigkeit innerhalb des Aufnahmemitgliedstaats – Begriff – Beschränkung – Verpflichtung zur Wohnsitznahme an einem bestimmten Ort – Unterschiedliche Behandlung – Vergleichbarkeit der Situationen – Gleichmäßige Verteilung der Haushaltslasten auf die Verwaltungskörperschaften – Migrations- und integrationspolitische Gründe)

Verfahrenssprache: Deutsch

Vorlegendes Gericht

Bundesverwaltungsgericht

Parteien des Ausgangsverfahrens

Kläger: Kreis Warendorf (C-443/14, Amira Osso (C–444/14)

Beklagte: Ibrahim Alo (C-443/14), Region Hannover (C-444/14)

Beteiligter: Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht (C-443/14 und C-444/14)

Tenor

Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass eine Wohnsitzauflage, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus erteilt wird, auch dann eine Einschränkung der durch diesen Artikel gewährleisteten Freizügigkeit darstellt, wenn sie es dieser Person nicht verbietet, sich frei im Hoheitsgebiet des den Schutz gewährenden Mitgliedstaats zu bewegen und sich dort vorübergehend außerhalb des in der Wohnsitzauflage bezeichneten Ortes aufzuhalten.

Die Art. 29 und 33 der Richtlinie 2011/95 sind dahin auszulegen, dass sie einer Wohnsitzauflage entgegenstehen, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen erteilt wird, um eine angemessene Verteilung der mit der Gewährung dieser Leistungen verbundenen Lasten auf deren jeweilige Träger zu erreichen, wenn in der anwendbaren nationalen Regelung nicht vorgesehen ist, dass eine solche Maßnahme Flüchtlingen, Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, und Angehörigen dieses Mitgliedstaats im Fall des Bezugs der genannten Leistungen auferlegt wird.

Art. 33 der Richtlinie 2011/95 ist dahin auszulegen, dass er einer Wohnsitzauflage nicht entgegensteht, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen mit dem Ziel erteilt wird, die Integration von Drittstaatsangehörigen in den Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, zu erleichtern – während die anwendbare nationale Regelung nicht vorsieht, dass eine solche Maßnahme Drittstaatsangehörigen auferlegt wird, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten und die genannten Leistungen beziehen –, sofern sich die Personen mit subsidiärem Schutzstatus nicht in einer Situation befinden, die im Hinblick auf das genannte Ziel mit der Situation von Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, objektiv vergleichbar ist; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.

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1 ABl. C 439 vom 8.12.2014.