Language of document : ECLI:EU:C:2015:717

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

22. Oktober 2015(*)

„Rechtsmittel – Wettbewerb – Kartelle – Europäische Märkte für Zinn- und ESBO/Ester-Wärmestabilisatoren – Art. 81 Abs. 1 EG – Anwendungsbereich – Beratungsunternehmen, das nicht auf den betroffenen Märkten tätig ist – Begriffe ‚Vereinbarung zwischen Unternehmen‘ und ‚abgestimmte Verhaltensweise‘ – Berechnung der Geldbußen – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen von 2006 – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung“

In der Rechtssache C‑194/14 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 17. April 2014,

AC‑Treuhand AG mit Sitz in Zürich (Schweiz), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte C. Steinle, I. Bodenstein und C. von Köckritz,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch H. Leupold, F. Ronkes Agerbeek und R. Sauer als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Ersten Kammer R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter), A. Arabadjiev, C. Lycourgos und J.‑C. Bonichot,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. März 2015,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Mai 2015

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die AC‑Treuhand AG (im Folgenden: AC‑Treuhand) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 6. Februar 2014, AC‑Treuhand/Kommission (T‑27/10, EU:T:2014:59, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem dieses ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung K (2009) 8682 endg. der Kommission vom 11. November 2009 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/38589 – Wärmestabilisatoren) (im Folgenden: streitige Entscheidung) und, hilfsweise, auf Herabsetzung der mit dieser Entscheidung verhängten Geldbußen abgewiesen hat.

 Rechtlicher Rahmen

 Verordnung (EG) Nr. 1/2003

2        Art. 23 („Geldbußen“) Abs. 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) bestimmt:

„(2)      Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig

a)      gegen Artikel 81 [EG] oder Artikel 82 [EG] verstoßen …

Die Geldbuße für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen oder jede beteiligte Unternehmensvereinigung darf 10 % seines bzw. ihres jeweiligen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen.

(3)      Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen.“

3        Art. 31 („Nachprüfung durch den Gerichtshof“) dieser Verordnung lautet:

„Bei Klagen gegen Entscheidungen, mit denen die Kommission eine Geldbuße oder ein Zwangsgeld festgesetzt hat, hat der Gerichtshof die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Entscheidung. Er kann die festgesetzte Geldbuße oder das festgesetzte Zwangsgeld aufheben, herabsetzen oder erhöhen.“

 Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003

4        In den Ziff. 4 bis 6, 13, 36 und 37 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien von 2006) heißt es:

„4.      … [Die Geldbuße] sollte so hoch festgesetzt werden, dass nicht nur die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen sanktioniert werden (Spezialprävention), sondern auch andere Unternehmen von der Aufnahme oder Fortsetzung einer Zuwiderhandlung gegen die Artikel 81 [EG] oder 82 [EG] abgehalten werden (Generalprävention).

5.      Zur Verwirklichung dieser Ziele sollten die Geldbußen auf der Grundlage des Wertes der verkauften Waren oder Dienstleistungen berechnet werden, mit denen der Verstoß in Zusammenhang steht. Auch die Dauer der Zuwiderhandlung sollte bei der Bestimmung des angemessenen Betrags der Geldbuße eine wichtige Rolle spielen …

6.      Die Verbindung des Umsatzes auf den vom Verstoß betroffenen Märkten mit der Dauer stellt eine Formel dar, die die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung und das jeweilige Gewicht des einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmens angemessen wiedergibt …

13.      Zur Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße verwendet die Kommission den Wert der von dem betreffenden Unternehmen im relevanten räumlichen Markt innerhalb des [Europäischen Wirtschaftsraums (EWR)] verkauften Waren oder Dienstleistungen, die mit dem Verstoß in einem unmittelbaren oder mittelbaren [(Dies ist beispielsweise der Fall bei horizontalen Preisabsprachen bei denen der Preis des Produkts als Referenzpreis für Produkte höherer oder geringerer Qualität genommen wird.)] Zusammenhang stehen …

36.      In bestimmten Fällen kann die Kommission eine symbolische Geldbuße verhängen. Die Gründe sind in der Entscheidung darzulegen.

37.      In diesen Leitlinien wird die allgemeine Methode für die Berechnung der Geldbußen dargelegt; jedoch können die besonderen Umstände eines Falles oder die Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung ein Abweichen von dieser Methode … rechtfertigen.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

5        Mit der streitigen Entscheidung legt die Kommission einer Reihe von Unternehmen zur Last, gegen Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) verstoßen zu haben, indem sie sich an einer Reihe wettbewerbswidriger Vereinbarungen und aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen im Gebiet des EWR, zum einen im Bereich Zinnstabilisatoren und zum anderen im Bereich Epoxid Sojaöle und Ester (im Folgenden: Bereich ESBO/Ester), beteiligt hätten.

6        Der streitigen Entscheidung zufolge waren die betroffenen Unternehmen an diesen beiden Zuwiderhandlungen in verschiedenen Zeiträumen zwischen dem 24. Februar 1987 und dem 21. März 2000 im Bereich Zinnstabilisatoren sowie zwischen dem 11. September 1991 und dem 26. September 2000 im Bereich ESBO/Ester beteiligt.

7        AC‑Treuhand, deren Hauptsitz sich in Zürich befindet, ist ein Beratungsunternehmen, das verschiedene Dienstleistungen für nationale und internationale Verbände und Interessengemeinschaften anbietet, einschließlich der Geschäftsführung und Administration von schweizerischen und internationalen Fachverbänden, Vereinigungen und Non-Profit-Organisationen, der Beschaffung, Verarbeitung und Auswertung von Marktdaten, der Präsentation von Marktstatistiken und der Prüfung von gemeldeten Zahlen bei den Mitgliedern.

8        Nach Art. 1 der streitigen Entscheidung hat sich AC‑Treuhand vom 1. Dezember 1993 bis zum 21. März 2000 im Bereich Zinnstabilisatoren und vom 1. Dezember 1993 bis zum 26. September 2000 im Bereich ESBO/Ester an einer Reihe von Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen im EWR beteiligt, die aus der Festsetzung von Preisen, der Aufteilung des Marktes unter Zuweisung von Lieferquoten, der Aufteilung und Zuteilung von Kunden und dem Austausch wirtschaftlich sensibler Informationen insbesondere über Kunden sowie Produktions- und Liefermengen bestanden hätten.

9        AC‑Treuhand hat nach Ansicht der Kommission bei beiden Zuwiderhandlungen eine ähnliche, zentrale Rolle gespielt, indem sie mehrere Zusammenkünfte organisiert habe, bei denen sie anwesend gewesen sei und sich aktiv beteiligt habe, indem sie Liefermengen der betreffenden Güter erfasst und den betreffenden Herstellern zur Verfügung gestellt habe, indem sie angeboten habe, bei Spannungen zwischen diesen Herstellern als Moderator aufzutreten, und indem sie diese zu Kompromissen ermutigt habe, und zwar gegen Vergütung.

10      Gemäß Art. 2 der streitigen Entscheidung wurden gegen AC‑Treuhand zwei Geldbußen zu je 174 000 Euro verhängt.

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

11      Mit Klageschrift, die am 27. Januar 2010 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob AC‑Treuhand Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung, hilfsweise auf Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbußen.

12      AC‑Treuhand stützte ihre Klage auf neun Klagegründe, von denen nur der dritte, der vierte und der fünfte für das vorliegende Rechtsmittel relevant sind. Das Gericht hat sie in den Rn. 36 und 268 des angefochtenen Urteils wie folgt dargestellt:

„36      Die Klägerin begehrt … die Nichtigerklärung der [streitigen] Entscheidung und rügt dabei Folgendes: … einen Verstoß gegen Art. 81 EG und gegen den Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen (dritter Klagegrund), …

268      Die Klägerin stützt ihren Hilfsantrag auf Abänderung der [streitigen] Entscheidung hinsichtlich der Höhe der gegen sie verhängten Geldbußen [u. a.] auf … eine Verpflichtung der Kommission, im vorliegenden Fall nur eine symbolische Geldbuße zu verhängen (vierter Klagegrund), [und] einen Verstoß gegen die Leitlinien von 2006 hinsichtlich der Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße (fünfter Klagegrund) …“

13      Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht die Klage insgesamt abgewiesen.

 Anträge der Parteien

14      AC‑Treuhand beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben und die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären;

–        hilfsweise, die gegen sie verhängten Geldbußen herabzusetzen oder die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen;

–        die Kommission zu verurteilen, die Kosten zu tragen.

15      Die Kommission beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen,

–        AC‑Treuhand die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

16      AC‑Treuhand stützt ihr Rechtsmittel auf vier Gründe.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 81 EG und den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit

 Vorbringen der Parteien

17      Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund trägt AC‑Treuhand vor, das Gericht habe dadurch gegen Art. 81 EG und den in Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) niedergelegten Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen (nullum crimen, nulla poena sine lege) verstoßen, dass es in den Rn. 43 und 44 des angefochtenen Urteils unter Verweisung auf sein Urteil AC‑Treuhand/Kommission (T‑99/04, EU:T:2008:256, im Folgenden: Urteil AC‑Treuhand I) festgestellt habe, dass zum einen das Verhalten eines Beratungsunternehmens, das durch die Erbringung von Dienstleistungen Beihilfe zu einem Kartell leiste, in den Anwendungsbereich von Art. 81 Abs. 1 EG falle und zum anderen diese Auslegung zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlungen hinreichend vorhersehbar gewesen sei.

18      AC‑Treuhand macht insoweit geltend, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit, die dem Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen entsprängen, der Schlussfolgerung entgegenstünden, dass sie sich an einer wettbewerbsbeschränkenden „Vereinbarung zwischen Unternehmen“ oder wettbewerbsbeschränkenden „aufeinander abgestimmten Verhaltensweise“ im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG beteiligt habe. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung gehe nämlich hervor, dass das darin verankerte Verbot ausschließlich die Parteien dieser Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen selbst betreffe und nicht die Verhaltensweisen, die eine einfache Beihilfe darstellten.

19      Ihr Verhalten könne aber nicht als Beteiligung an den fraglichen Kartellen eingestuft werden, in die nur die Hersteller von Wärmestabilisatoren verwickelt gewesen seien. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erfordere der Begriff „Vereinbarung zwischen Unternehmen“, dass mindestens zwei Parteien ihren übereinstimmenden Willen erklärten, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten.

20      Dieser Begriff setzte somit bei den Parteien einen gewissen Bezug zu den von den Wettbewerbsbeschränkungen betroffenen Märkten voraus. Ein solcher Bezug liege aber bei AC‑Treuhand nicht vor, da ihr Wille allein auf die Erbringung von Dienstleistungen zur Unterstützung der Kartelle gerichtet gewesen sei, und zwar auf der Grundlage von Verträgen, die keine Unmittelbarkeit mit den von der Kommission festgestellten Wettbewerbsbeschränkungen aufwiesen. Zudem sei AC‑Treuhand nicht auf Märkten tätig, die den von den Kartellen betroffenen Märkten vorgelagert, nachgelagert oder benachbart seien, und sie habe ihr Marktverhalten nicht beschränkt, ein Aspekt, der gerade zum Wesensgehalt von Kartellen gehöre.

21      Das ihr vorgeworfene Verhalten entspreche auch nicht den konstitutiven Merkmalen des Begriffs „abgestimmte Verhaltensweise“ im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs, da sie ihre Selbständigkeit im Geschäftsverhalten nicht zugunsten einer Koordinierung mit anderen Unternehmen aufgegeben habe.

22      Außerdem hätte ihr Verhalten im Einklang mit den Anforderungen der auf dem Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen beruhenden Vorhersehbarkeit bestraft werden können, wenn es zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlungen eine ständige Rechtsprechung gegeben hätte, der sich die Strafbarkeit hinreichend klar hätte entnehmen lassen können. Bis zum Urteil AC‑Treuhand I habe es jedoch keine Rechtsprechung gegeben, die das in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehende Verhalten missbilligt hätte.

23      Im Übrigen sei vor der Entscheidung 2005/349/EG der Kommission vom 10. Dezember 2003 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/E‑2/37.857 – Organische Peroxide) (ABl. 2005, L 110, S. 44, im Folgenden: Entscheidung Organische Peroxide), die Anlass für das Urteil AC‑Treuhand I gewesen sei, kein Beratungsunternehmen, das Dienstleistungen an ein Kartell erbracht habe, nach Art. 81 Abs. 1 EG für schuldig befunden worden. Die Kommission habe in dieser Entscheidung außerdem eingeräumt, dass sie mit einer an ein Unternehmen in einer derartigen besonderen Rolle gerichteten Entscheidung in gewisser Weise Neuland betrete.

24      Unter diesen Umständen könne sich das Gericht nicht auf Nützlichkeitserwägungen im Bereich der Wettbewerbspolitik stützen, um die im angefochtenen Urteil vorgenommene Auslegung zu rechtfertigen.

25      Die Kommission tritt dem Vorbringen von AC‑Treuhand entgegen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

26      In der vorliegenden Rechtssache ist festzustellen, ob ein Beratungsunternehmen für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG verantwortlich gemacht werden kann, wenn es sich aktiv und in voller Kenntnis der Sachlage an der Durchführung oder der Überwachung eines Kartells zwischen Herstellern beteiligt, die auf einem anderen Markt tätig sind als es selbst.

27      Was als Erstes Art. 81 Abs. 1 EG betrifft, wonach Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die bestimmte Merkmale aufweisen, mit dem Gemeinsamen Mark unvereinbar und verboten sind, ist zunächst festzustellen, dass der Wortlaut dieser Bestimmung keinen Anhaltspunkt dafür enthält, dass dieses Verbot ausschließlich die Parteien solcher Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen betrifft, die auf den davon betroffenen Märkten tätig sind.

28      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird eine „Vereinbarung“ dadurch begründet, dass der übereinstimmende Wille mindestens zweier Parteien zum Ausdruck kommt, wobei die Form, in der dies geschieht, als solche nicht entscheidend ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Volkswagen, C‑74/04 P, EU:C:2006:460, Rn. 37).

29      Zum Begriff „abgestimmte Verhaltensweise“ ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass er in Art. 81 Abs. 1 EG insbesondere von den Begriffen „Vereinbarung“ und „Beschluss von Unternehmensvereinigungen“ allein deshalb unterschieden wird, um verschiedene Formen der Kollusion zwischen Unternehmen zu erfassen, die in subjektiver Hinsicht in ihrer Art übereinstimmen und sich nur in ihrer Intensität und ihren Ausdrucksformen unterscheiden (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Anic Partecipazioni, C‑49/92 P, EU:C:1999:356, Rn. 112, und T‑Mobile Netherlands u. a., C‑8/08, EU:C:2009:343, Rn. 23).

30      Handelt es sich wie im vorliegenden Fall um Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen mit wettbewerbswidrigem Zweck, kann die Kommission nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann auf die Teilnahme eines Unternehmens an der Zuwiderhandlung und seine Verantwortlichkeit für die verschiedenen Elemente, die diese umfasst, schließen, wenn sie nachweist, dass das betreffende Unternehmen durch sein Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele beitragen wollte und von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten tatsächlichen Verhalten wusste oder dieses vernünftigerweise vorhersehen konnte und es bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Anic Partecipazioni, C‑49/92 P, EU:C:1999:356, Rn. 86 und 87, und Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, EU:C:2004:6, Rn. 83).

31      In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof u. a. festgestellt, dass passive Formen der Beteiligung an der Zuwiderhandlung, wie die Teilnahme eines Unternehmens an Sitzungen, bei denen, ohne dass es sich offen dagegen ausgesprochen hat, wettbewerbswidrige Vereinbarungen getroffen wurden, eine Komplizenschaft zum Ausdruck bringen, die geeignet ist, die Verantwortlichkeit des Unternehmens im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EG zu begründen, da die stillschweigende Billigung einer rechtswidrigen Initiative, ohne sich offen von deren Inhalt zu distanzieren oder sie bei den Behörden anzuzeigen, dazu führt, dass die Fortsetzung der Zuwiderhandlung begünstigt und ihre Entdeckung verhindert wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, EU:C:2005:408, Rn. 142 und 143 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Als der Gerichtshof das Vorliegen einer „Vereinbarung“ im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG zu prüfen hatte, hat er zwar bereits festgestellt, dass es um die Erklärung des übereinstimmenden Willens der Parteien ging, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil ACF Chemiefarma/Kommission, 41/69, EU:C:1970:71, Rn. 112). Außerdem seien die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit, die eine „abgestimmte Verhaltensweise“ nach dieser Bestimmung begründen, im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrags zu verstehen, wonach jeder Wirtschaftsteilnehmer selbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt (vgl. u. a. Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, C‑49/92 P, EU:C:1999:356, Rn. 116).

33      Aus diesen Erwägungen geht aber nicht hervor, dass die Begriffe „Vereinbarung“ und „abgestimmte Verhaltensweise“ eine wechselseitige Beschränkung der Handlungsfreiheit auf ein und demselben Markt, auf dem alle Parteien vertreten wären, voraussetzen.

34      Außerdem kann aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht abgeleitet werden, dass Art. 81 Abs. 1 EG nur entweder Unternehmen, die auf dem von den Wettbewerbsbeschränkungen betroffenen Markt oder auch auf den diesem Markt vorgelagerten, nachgelagerten oder benachbarten Märkten tätig sind, oder Unternehmen betrifft, die ihre Selbständigkeit im Verhalten auf einem bestimmten Markt aufgrund einer Vereinbarung oder einer abgestimmten Verhaltensweise beschränken.

35      Nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs bezieht sich nämlich der Wortlaut von Art. 81 Abs. 1 EG allgemein auf alle Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen, die – sei es in horizontalen oder vertikalen Beziehungen – den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt verfälschen, unabhängig davon, auf welchem Markt die Parteien tätig sind, und unabhängig davon, dass nur das Geschäftsverhalten einer der Parteien durch die Bedingungen der in Rede stehenden Vereinbarungen betroffen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile LTM, 56/65, EU:C:1966:38, S. 358, Consten und Grundig/Kommission, 56/64 und 58/64, EU:C:1966:41, S. 492 und 493, Musique Diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, EU:C:1983:158, Rn. 72 bis 80, Binon, 243/83, EU:C:1985:284, Rn. 39 bis 47, und Javico, C‑306/96, EU:C:1998:173, Rn. 10 bis 14).

36      Es ist weiter festzustellen, dass das Hauptziel von Art. 81 Abs. 1 EG in der Aufrechterhaltung eines unverfälschten Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes besteht. Die von AC‑Treuhand befürwortete Auslegung dieser Bestimmung könnte aber die volle Wirksamkeit des in dieser Bestimmung aufgestellten Verbots mindern, da eine solche Auslegung eine Vereitelung des aktiven Beitrags eines Unternehmens zu einer Wettbewerbsbeschränkung nur deshalb nicht ermöglichen würde, weil dieser Beitrag keine wirtschaftliche Tätigkeit auf dem relevanten Markt betrifft, auf dem die Beschränkung eintritt oder eintreten soll.

37      Im vorliegenden Fall hat AC‑Treuhand nach den Feststellungen des Gerichts in Rn. 10 des angefochtenen Urteils bei beiden in Rede stehenden Zuwiderhandlungen eine ähnliche, zentrale Rolle gespielt, indem sie mehrere Zusammenkünfte organisiert hat, bei denen sie anwesend war und sich aktiv beteiligt hat, indem sie Liefermengen der betreffenden Güter erfasst und den Herstellern der Wärmestabilisatoren zur Verfügung gestellt hat, indem sie angeboten hat, bei Spannungen zwischen den betroffenen Herstellern als Moderator aufzutreten, und indem sie diese zu Kompromissen ermutigt hat, und zwar gegen Vergütung.

38      Daraus folgt, dass das Verhalten von AC‑Treuhand unmittelbar Teil der Bemühungen der Hersteller von Wärmestabilisatoren sowohl in Bezug auf die Aushandlung als auch auf die Kontrolle der Umsetzung der von den Herstellern eingegangenen Verpflichtungen im Rahmen der Kartelle war, wobei das Ziel selbst der Dienstleistungen, die AC‑Treuhand aufgrund der mit den Herstellern geschlossenen Dienstleistungsverträge erbracht hat, in der in voller Kenntnis der Sachlage betriebenen Verwirklichung der in Rede stehenden wettbewerbswidrigen Ziele – Preisfestsetzung, Aufteilung von Märkten und Kunden und Austausch wirtschaftlich sensibler Informationen, wie aus Rn. 4 des angefochtenen Urteils hervorgeht – bestand.

39      Vor diesem Hintergrund kann entgegen dem Vorbringen von AC‑Treuhand – auch wenn die Dienstleistungsverträge formal gesondert von den Verpflichtungen geschlossen wurden, die die Hersteller von Wärmestabilisatoren selbst eingegangen waren, und ungeachtet des Umstands, dass AC‑Treuhand ein Beratungsunternehmen ist – nicht davon ausgegangen werden, dass ihr Tätigwerden in dieser Eigenschaft in rein nebensächlichen Dienstleistungen bestand, die nichts mit den von den Herstellern eingegangenen Verpflichtungen und den sich daraus ergebenden Wettbewerbsbeschränkungen zu tun hatten.

40      Was als Zweites die behauptete Verletzung des Grundsatzes der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen durch das Gericht angeht, ist festzustellen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus diesem Grundsatz folgt, dass die Straftaten und die für sie angedrohten Strafen gesetzlich klar definiert sein müssen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Rechtsunterworfene anhand des Wortlauts der einschlägigen Bestimmung und nötigenfalls mit Hilfe ihrer Auslegung durch die Gerichte erkennen kann, welche Handlungen und Unterlassungen seine strafrechtliche Verantwortung begründen (vgl. Urteil Evonik Degussa/Kommission, C‑266/06 P, EU:C:2008:295, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Der Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen darf folglich nicht so verstanden werden, dass er die schrittweise Klärung der Vorschriften über die strafrechtliche Verantwortlichkeit durch richterliche Auslegung von Fall zu Fall untersagt, vorausgesetzt, dass das Ergebnis zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung insbesondere unter Berücksichtigung der Auslegung, die zu dieser Zeit in der Rechtsprechung zur fraglichen Rechtsvorschrift vertreten wurde, hinreichend vorhersehbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, EU:C:2005:408, Rn. 217 und 218).

42      Die Bedeutung des Begriffs der Vorhersehbarkeit hängt in hohem Maß vom Inhalt der in Rede stehenden Vorschriften, von dem durch sie geregelten Bereich sowie von der Zahl und der Eigenschaft ihrer Adressaten ab. Mit der Vorhersehbarkeit des Gesetzes ist es nicht unvereinbar, dass die betreffende Person gezwungen ist, fachkundigen Rat einzuholen, um unter den Umständen des konkreten Falles angemessen zu beurteilen, welche Folgen sich aus einer bestimmten Handlung ergeben können. Das gilt insbesondere für berufsmäßig tätige Personen, die gewohnt sind, sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit sehr umsichtig verhalten zu müssen. Von ihnen kann daher erwartet werden, dass sie die Risiken ihrer Tätigkeit besonders sorgfältig beurteilen (Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, EU:C:2005:408, Rn. 219 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Vor diesem Hintergrund hätte AC‑Treuhand, auch wenn die Gerichte der Europäischen Union zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlungen, die Anlass der streitigen Entscheidung waren, noch keine Gelegenheit gehabt hatten, sich konkret zu dem Verhalten eines Beratungsunternehmens wie dem von AC‑Treuhand zu äußern, insbesondere unter Berücksichtigung der sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden weiten Bedeutung der Begriffe „Vereinbarung“ und „abgestimmte Verhaltensweise“ nötigenfalls nach Einholung fachkundigen Rates davon ausgehen müssen, dass ihr Verhalten für mit den Wettbewerbsregeln des Unionsrechts unvereinbar erklärt werden könnte.

44      Dieses Ergebnis wird im Übrigen durch die Verwaltungspraxis der Kommission untermauert. Denn die Kommission hat bereits in ihrer Entscheidung 80/1334/EWG vom 17. Dezember 1980 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/29.869 – Gussglas in Italien) (ABl. L 383, S. 19) angenommen, dass ein Beratungsunternehmen, das an der Durchführung eines Kartells beteiligt war, gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen habe. Es gibt keine spätere Entscheidung, aufgrund deren sich behaupten ließe, dass die Kommission von dieser Auslegung des Anwendungsbereichs dieser Bestimmung wieder abgerückt wäre.

45      Die Voraussetzungen für die Feststellung der Verantwortlichkeit von AC‑Treuhand aufgrund ihrer Beteiligung an den in Rede stehenden Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen sind somit vorliegend erfüllt.

46      Aus alledem folgt, dass das Gericht in den Rn. 43 und 44 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt hat, dass das Verhalten von AC‑Treuhand vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG erfasst sei und dass eine solche Auslegung zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlungen hinreichend vorhersehbar war.

47      Der erste Rechtsmittelgrund ist daher unbegründet.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit, den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Begründungspflicht

 Vorbringen der Parteien

48      Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund macht AC‑Treuhand geltend, das Gericht habe gegen den in Art. 49 Abs. 1 der Charta niedergelegten Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen verstoßen, indem es den vierten, auf die Höhe der Geldbußen bezogenen Grund ihrer Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung zurückgewiesen habe, indem es lediglich auf die im angefochtenen Urteil enthaltenen Ausführungen zur Vorhersehbarkeit der Anwendung von Art. 81 EG auf das Verhalten von AC‑Treuhand verwiesen habe. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit gebiete, dass sowohl das Verbot einer bestimmten Handlung als auch das mit ihrer Begehung verbundene Sanktionsrisiko zum Zeitpunkt der Tatbegehung hinreichend vorhersehbar seien. Daher hätte das Gericht diese beiden Aspekte voneinander trennen und gesondert beurteilen müssen.

49      Außerdem habe das Gericht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, als es in Bezug auf die Befugnis der Kommission, von ihrer früheren Entscheidungspraxis hinsichtlich der Bemessung von Geldbußen abzuweichen, festgestellt habe, dass dieses Organ unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache keine symbolischen Geldbußen habe verhängen müssen. AC‑Treuhand führt dazu aus, dass sich das ihr im vorliegenden Fall vorgeworfene Verhalten von demjenigen, das in der Entscheidung Organische Peroxide beanstandet worden sei, mit der die Kommission gegen sie eine symbolische Geldbuße verhängt habe, nicht erheblich unterscheide.

50      Zudem habe das Gericht gegen seine Begründungspflicht verstoßen, da im angefochtenen Urteil nicht angegeben werde, aus welchen objektiven Gründen die unterschiedliche Behandlung der beiden genannten Fälle gerechtfertigt sein solle.

51      Die Kommission tritt dem Vorbringen von AC‑Treuhand entgegen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

52      Aus der Prüfung der dem Gerichtshof unterbreiteten Akten geht hervor, dass sich AC‑Treuhand gemäß ihrem im ersten Rechtszug vorgetragenen vierten Klagegrund vor dem Gericht mit der Behauptung begnügt hat, dass die Kommission gegen sie nur symbolische Geldbußen hätte verhängen dürfen, da die Anwendung von Art. 81 EG auf ihr Verhalten zum Zeitpunkt der Begehung der betreffenden Zuwiderhandlungen nicht vorhersehbar gewesen sei. AC‑Treuhand hat sich damit zum einen darauf beschränkt, auf ihr Vorbringen zur Neuartigkeit der Auslegung zu verweisen, nach der das Verhalten eines Beratungsunternehmens unter diesen Artikel fällt. Zum anderen hat AC‑Treuhand vorgetragen, die Entscheidung der Kommission, eine nicht symbolische Geldbuße zu verhängen, verstoße gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit, da die von dieser Entscheidung erfassten Zuwiderhandlungen zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung Organische Peroxyde, mit der die Kommission gegen sie nur eine symbolische Geldbuße verhängt habe, bereits beendet gewesen seien. Hingegen hat AC‑Treuhand nicht geltend gemacht, dass diese Vorgehensweise auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße.

53      Folglich erhebt AC‑Treuhand im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittelgrundes neue Rügen, mit denen sie unabhängig von der Frage, ob die Anwendbarkeit von Art. 81 EG auf ihr Verhalten vorhersehbar war, die Unvorhersehbarkeit des hohen Betrags der im vorliegenden Fall gegen sie verhängten Geldbußen und einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz geltend macht.

54      Nach ständiger Rechtsprechung könnte eine Partei, wenn ihr erlaubt wäre, vor dem Gerichtshof erstmals Angriffs- oder Verteidigungsmittel und Argumente geltend zu machen, die sie vor dem Gericht nicht geltend gemacht hat, den Gerichtshof, dessen Befugnisse im Rechtsmittelverfahren beschränkt sind, im Ergebnis mit einem weiter reichenden Rechtsstreit befassen, als ihn das Gericht zu entscheiden hatte. Im Rechtsmittelverfahren ist die Zuständigkeit des Gerichtshofs daher auf die Prüfung beschränkt, wie das Gericht die vor ihm erörterten Klagegründe und Argumente gewürdigt hat. Die genannten Rügen sind daher als unzulässig zurückzuweisen.

55      Zu der von AC‑Treuhand erhobenen Rüge einer mangelnden Begründung in Bezug auf die Erfordernisse, die sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben, genügt die Feststellung, dass dem Gericht nicht vorgeworfen werden kann, über einen Klagegrund nicht entschieden zu haben, der ihm nicht unterbreitet worden ist (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Chalkor/Kommission, C‑386/10 P, EU:C:2011:815, Rn. 70). Diese Rüge ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

56      Folglich ist der zweite Rechtsmittelgrund als teilweise unzulässig und teilweise unbegründet zurückzuweisen.

 Zum dritten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003, die Leitlinien von 2006 sowie die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit

 Vorbringen der Parteien

57      Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund macht AC‑Treuhand geltend, dass das Gericht gegen Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 und die Leitlinien von 2006 verstoßen habe, indem es bei der Prüfung des fünften Klagegrundes festgestellt habe, dass AC‑Treuhand keinen Verstoß gegen die Leitlinien geltend machen könne und die Kommission die Geldbußen auf der Grundlage von Ziff. 37 der Leitlinien pauschal habe festsetzen dürfen, statt sich dabei auf den Wert der Honorare zu stützen, die AC‑Treuhand für die den Herstellern erbrachten Dienstleistungen erhalten habe. Da AC‑Treuhand wegen ihrer Beteiligung an den verfolgten Kartellen haftbar gemacht worden sei, seien diese Honorare ein Umsatz, der mit den Verstößen in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang stehe und somit nach Ziff. 13 der Leitlinien von 2006 als Grundlage für die Berechnung der Geldbuße dienen könne. Darüber hinaus verletze die pauschale Festsetzung der verhängten Geldbußen die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit.

58      Zudem habe das Gericht zu Unrecht angenommen, dass die Kommission ihre Entscheidung in Bezug auf die Kriterien, anhand deren sie die verhängten Geldbußen festgesetzt habe, rechtlich hinreichend begründet habe.

59      Die Kommission tritt dem Vorbringen von AC‑Treuhand entgegen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

60      Zunächst ist festzustellen, dass die Rügen, mit denen AC‑Treuhand einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit geltend macht, aus den in Rn. 54 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen als unzulässig zurückzuweisen sind. Aus der Prüfung der dem Gerichtshof übermittelten Akten geht nämlich hervor, dass diese Rügen erstmals im vorliegenden Rechtsmittelverfahren vorgetragen worden sind, da sich AC‑Treuhand im ersten Rechtszug darauf beschränkt hat, mit ihrem fünften Klagegrund geltend zu machen, dass die vorliegende Rechtssache keine Besonderheit aufweise, die eine pauschale Festsetzung der Geldbußen rechtfertigen könne.

61      Was das Vorbringen betrifft, wonach das Gericht unzutreffend festgestellt habe, dass sich AC‑Treuhand nicht auf einen Verstoß gegen die Leitlinien von 2006 habe berufen können, genügt der Hinweis, dass das Gericht in den Rn. 298 und 299 des angefochtenen Urteils im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Rechtswirkungen der von der Kommission für die Berechnung von Geldbußen erlassenen Leitlinien (vgl. insbesondere Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, EU:C:2005:408, Rn. 209 bis 213) auf die von AC‑Treuhand insoweit erhobenen Rügen geprüft hat, ob die Kommission im vorliegenden Fall von den Leitlinien von 2006 abweichen durfte.

62      Soweit AC‑Treuhand geltend macht, das Gericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Kommission nicht verpflichtet gewesen sei, die verhängten Geldbußen auf der Grundlage der Honorare, die sie erhalten habe, festzusetzen, ist darauf hinzuweisen, dass bei der Festsetzung der Geldbuße sowohl der Gesamtumsatz des Unternehmens, der – wenn auch nur annähernd und unvollständig – etwas über dessen Größe und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Teil dieses Umsatzes berücksichtigt werden darf, der mit den Waren, hinsichtlich deren die Zuwiderhandlung begangen wurde, erzielt worden ist und der somit einen Anhaltspunkt für das Ausmaß dieser Zuwiderhandlung liefern kann (vgl. u. a. Urteil LG Display und LG Display Taiwan/Kommission, C‑227/14 P, EU:C:2015:258, Rn. 50).

63      Ziff. 13 der Leitlinien von 2006 sieht vor, dass die Kommission „[z]ur Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße … den Wert der von dem betreffenden Unternehmen im relevanten räumlichen Markt innerhalb des EWR verkauften Waren oder Dienstleistungen [verwendet], die mit dem Verstoß in einem unmittelbaren oder mittelbaren … Zusammenhang stehen“. In Ziff. 6 der Leitlinien wird klargestellt, dass „[d]ie Verbindung des Umsatzes auf den vom Verstoß betroffenen Märkten mit der Dauer [des Verstoßes] … eine Formel dar[stellt], die die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung und das jeweilige Gewicht des einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmens angemessen wiedergibt“.

64      Ziff. 13 dieser Leitlinien zielt somit darauf ab, bei der Berechnung der gegen ein Unternehmen verhängten Geldbuße grundsätzlich einen Betrag als Ausgangspunkt festzulegen, der die wirtschaftliche Bedeutung der Zuwiderhandlung und das jeweilige Gewicht dieses Unternehmens an dieser wiedergibt (Urteil LG Display und LG Display Taiwan/Kommission, C‑227/14 P, EU:C:2015:258, Rn. 53).

65      Nach Ziff. 37 der Leitlinien von 2006 allerdings wird „[i]n diesen Leitlinien … die allgemeine Methode für die Berechnung der Geldbußen dargelegt; jedoch können die besonderen Umstände eines Falles oder die Notwendigkeit einer ausreichend hohen Abschreckungswirkung ein Abweichen von dieser Methode … rechtfertigen“.

66      Im vorliegenden Fall steht fest, dass von den festgestellten Zuwiderhandlungen nur die Märkte für Zinn- und ESBO/Ester-Wärmestabilisatoren betroffen sind, auf denen AC‑Treuhand als Beratungsunternehmen nicht tätig war. Folglich kann kein Teil des von diesem Unternehmen erzielten Umsatzes aus Waren stammen, die Gegenstand dieser Zuwiderhandlungen waren. Unter solchen Umständen würde die Bestimmung der verhängten Geldbußen auf der Grundlage der Honorare, die AC‑Treuhand für die den Herstellern erbrachten Dienstleistungen erhalten hat, zur Berücksichtigung eines Wertes führen, der zwar einen Hinweis auf die Höhe des Gewinns liefert, den sie aus den Zuwiderhandlungen gezogen hat, jedoch entgegen dem mit Ziff. 13 der Leitlinien von 2006 verfolgten Zweck weder die wirtschaftliche Bedeutung der fraglichen Zuwiderhandlungen noch das Gewicht der individuellen Beteiligung von AC‑Treuhand an diesen angemessen widerspiegeln würde.

67      Folglich hat das Gericht in den Rn. 302 bis 305 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Kommission den Grundbetrag der verhängten Geldbußen zu Recht abweichend von der in den Leitlinien von 2006 vorgesehenen Berechnungsmethode für Geldbußen nach Ziff. 37 dieser Leitlinien pauschal festgesetzt hat. Daher ist die Rüge von AC‑Treuhand, mit der sie insoweit einen Verstoß gegen die Leitlinien von 2006 geltend macht, als unbegründet zurückzuweisen.

68      Soweit AC‑Treuhand beanstandet, das Gericht habe unzutreffend festgestellt, dass die Kommission ihre Entscheidung in Bezug auf die Kriterien, anhand deren sie den Betrag der verhängten Geldbuße festgesetzt habe, hinreichend begründet habe, ist festzustellen, dass die Kommission bei der Bestimmung des Betrags der wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbuße ihrer Begründungspflicht genügt, wenn sie in ihrer Entscheidung die Beurteilungsgesichtspunkte angibt, die es ihr ermöglichten, Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung zu ermitteln; sie ist nicht verpflichtet, bezifferte Angaben zur Berechnungsweise der Geldbuße zu machen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Telefónica und Telefónica de España/Kommission, C‑295/12 P, EU:C:2014:2062, Rn. 181).

69      Im vorliegenden Fall ist insbesondere festzustellen, dass in den Erwägungsgründen 747 bis 750 der streitigen Entscheidung die Faktoren bezüglich Schwere und Dauer der von AC‑Treuhand begangenen Zuwiderhandlungen genannt werden, die von der Kommission zur Berechnung der gegen dieses Unternehmen verhängten Geldbußen herangezogen wurden. Daraus folgt, dass dem Gericht nicht vorgeworfen werden kann, in den Rn. 306 und 307 des angefochtenen Urteils festgestellt zu haben, dass die Kommission den Anforderungen, die sich aus der ihr obliegenden Begründungspflicht ergeben, genügt habe. Folglich ist diese Rüge unbegründet.

70      Infolgedessen ist der dritte Rechtsmittelgrund als teilweise unzulässig und teilweise unbegründet zurückzuweisen.

 Zum vierten Rechtsmittelgrund: Verstoß gegen Art. 261 AEUV, den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes sowie Art. 23 Abs. 3 und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003

71      Mit ihrem vierten Rechtsmittelgrund macht AC‑Treuhand geltend, das angefochtene Urteil sei rechtsfehlerhaft, da das Gericht seine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nicht in einer Weise ausgeübt habe, die einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz im Sinne von Art. 47 Abs. 1 der Charta gewährleiste.

72      Aus Rn. 308 des angefochtenen Urteils gehe hervor, dass sich das Gericht darauf beschränkt habe, bei der Prüfung der Angemessenheit der Höhe der Geldbußen die Schwere der festgestellten Zuwiderhandlungen zu berücksichtigen. Das Gericht hätte aber auch die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung heranziehen müssen, da diese Grundsätze im vorliegenden Fall der Verhängung von Geldbußen entgegenstünden, die über einen symbolischen Betrag hinausgingen oder auf einer anderen Grundlage als den Honoraren berechnet seien, die AC‑Treuhand für die den Herstellern erbrachten Dienstleistungen erhalten habe. Jedenfalls obliege es dem Gericht, die Gründe darzulegen, die die unterschiedliche Behandlung des vorliegenden Falles und desjenigen Falles rechtfertige, der Anlass für die Entscheidung Organische Peroxyde und das Urteil AC‑Treuhand I gewesen sei. Das Gericht hätte außerdem die Dauer der in Rede stehenden Zuwiderhandlungen berücksichtigen müssen.

73      Die Kommission tritt dem Vorbringen von AC‑Treuhand entgegen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

74      Bei der gerichtlichen Kontrolle von Entscheidungen der Kommission, eine Geldbuße oder ein Zwangsgeld wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln zu verhängen, verfügt der Unionsrichter über die in Art. 263 AEUV vorgesehene Rechtmäßigkeitskontrolle hinaus über eine ihm durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 im Einklang mit Art. 261 AEUV eingeräumte Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung, die ihn ermächtigt, die Beurteilung der Kommission durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen (vgl. in diesem Sinne Urteil Schindler Holding u. a./Kommission, C‑501/11 P, EU:C:2013:522, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

75      Es ist jedoch zu beachten, dass die Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung gemäß Art. 261 AEUV und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 nicht einer Prüfung von Amts wegen entspricht und dass das Verfahren vor den Unionsgerichten ein streitiges Verfahren ist. Mit Ausnahme zwingenden Rechts, das der Richter von Amts wegen zu berücksichtigen hat, ist es daher Sache des Klägers, gegen die streitige Entscheidung Klagegründe geltend zu machen und für die Klagegründe Beweise beizubringen (vgl. Urteil Telefónica und Telefónica de España/Kommission, C‑295/12 P, EU:C:2014:2062, Rn. 213 und die dort angeführte Rechtsprechung).

76      Dagegen hat der Unionsrichter, um den Erfordernissen des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes im Sinne von Art. 47 Abs. 1 der Charta zu genügen und angesichts des Umstands, dass nach Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 die Höhe der Geldbuße anhand der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung festzusetzen ist, bei der Ausübung der Befugnisse nach den Art. 261 AEUV und 263 AEUV jegliche Rechts- oder Sachrüge zu prüfen, mit der dargetan werden soll, dass die Höhe der Geldbuße nicht der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung angemessen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Parker Hannifin Manufacturing und Parker-Hannifin, C‑434/13 P, EU:C:2014:2456, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

77      Was die vorliegende Rechtssache betrifft, geht aus den Rn. 52, 53 und 60 des vorliegenden Urteils hervor, dass die Rügen von AC‑Treuhand bezüglich eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung im ersten Rechtszug nicht erhoben worden sind. Nach der in Rn. 75 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs kann dem Gericht aber nicht vorgeworfen werden, diese Rügen nicht von Amts wegen im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung geprüft zu haben.

78      Im Übrigen ist festzustellen, dass das Gericht in den Rn. 268 bis 314 des angefochtenen Urteils alle von AC‑Treuhand in Bezug auf die Festsetzung der Höhe der verhängten Geldbußen vorgetragenen Rügen einschließlich der Rüge einer fehlerhaften Beurteilung der Dauer der betreffenden Zuwiderhandlungen geprüft hat und auf die vorgetragenen Argumente rechtlich hinreichend eingegangen ist. Damit hat das Gericht seine richterliche Kontrolle der streitigen Entscheidung im Einklang mit den Erfordernissen des in Art. 47 Abs. 1 der Charta niedergelegten Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ausgeübt.

79      Infolgedessen ist der vierte Rechtsmittelgrund unbegründet.

80      Da die Gründe, auf die AC‑Treuhand ihr Rechtsmittel stützt, teilweise unzulässig und teilweise unbegründet sind, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

 Kosten

81      Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist.

82      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach Art. 184 Abs. 1 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da AC‑Treuhand mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      Die AC‑Treuhand AG trägt die Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.