Language of document : ECLI:EU:T:2012:478

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

27. September 2012(*)

„Wettbewerb – Kartelle – Niederländischer Straßenbaubitumenmarkt – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Zurechnung des rechtswidrigen Verhaltens – Gemeinsame Kontrolle – Geldbußen – Erschwerende Umstände – Rolle als Anstifter und Anführer – Rückfall – Dauer der Zuwiderhandlung – Verteidigungsrechte – Unbeschränkte Nachprüfung – Verhalten des Unternehmens im Verwaltungsverfahren“

In der Rechtssache T‑343/06

Shell Petroleum NV mit Sitz in Den Haag (Niederlande),

The Shell Transport and Trading Company Ltd mit Sitz in London (Vereinigtes Königreich),

Shell Nederland Verkoopmaatschappij BV mit Sitz in Rotterdam (Niederlande),

Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte O. Brouwer, W. Knibbeler und S. Verschuur, dann Rechtsanwälte Brouwer, Knibbeler und P. van den Berg,

Klägerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch F. Castillo de la Torre als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt L. Gyselen,

Beklagte,

betreffend eine Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung K(2006) 4090 endg. der Kommission vom 13. September 2006 in einem Verfahren gemäß Artikel 81 [EG] (Sache COMP/F/38.456 – Bitumen [Niederlande]), soweit sie die Klägerinnen betrifft, hilfsweise auf Ermäßigung der mit dieser Entscheidung gegen die Klägerinnen verhängten Geldbuße

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Jaeger sowie der Richter N. Wahl und S. Soldevila Fragoso (Berichterstatter),

Kanzler: N. Rosner, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündlichen Verhandlungen vom 25. Mai 2011 und 26. Januar 2012

folgendes

Urteil

 Sachverhalt

1.     Klägerinnen

1        Der Shell-Konzern, zu dem Energie- und Petrochemieunternehmen auf der ganzen Welt gehören, gehörte bis 2005 den beiden Muttergesellschaften des Konzerns, der Koninklijke Nederlandsche Petroleum Maatschappij NV (im Folgenden: KNPM) und der Shell Transport and Trading Company plc (im Folgenden: STT plc). Diesen Gesellschaften gehörten – in Höhe von 60 % bzw. 40 % – die gesamten Anteile von The Shell Petroleum Company Ltd (im Folgenden: SPCo) und der Shell Petroleum NV (im Folgenden: SPNV), einer Holdinggesellschaft, der wiederum die gesamten Anteile der Shell Nederland BV gehörten. Letzterer gehörten 100 % der Anteile der der Shell Nederland Verkoopmaatschappij BV (im Folgenden: SNV), die rechtliche Einheit innerhalb des Shell-Konzerns, die für den Vertrieb von Straßenbaubitumen in den Niederlanden zuständig ist. Shell International BV mit Sitz in den Niederlanden ist eine Konzerngesellschaft, die die Aufgabe hat, für den gesamten Konzern, die Holdinggesellschaften und die Betriebsgesellschaften, Hilfsleistungen zu erbringen, insbesondere rechtliche.

2        Am 20. Juli 2005 erwarb die Royal Dutch Shell plc mit Sitz in Den Haag (Niederlande) alle Aktien der ehemaligen Muttergesellschaften des Konzerns, KNPM und STT plc. KNPM ging ganz in SPNV auf und besteht nicht mehr als rechtliche Einheit. Der Muttergesellschaft Royal Dutch Shell plc gehören nun nahezu alle Aktien von SPNV, der nach wie vor alle Anteile von Shell Nederland und nahezu alle Anteile von The Shell Transport and Trading Company Ltd (im Folgenden: STT) gehören, der Nachfolgerin von STT plc. Shell Nederland ist nach wie vor alleinige Muttergesellschaft von SNV.

2.     Verwaltungsverfahren

3        Mit Schreiben vom 20. Juni 2002 zeigte British Petroleum (im Folgenden: BP) der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an, dass auf dem niederländischen Straßenbaubitumenmarkt ein Kartell bestehe, und beantragte gemäß der Mitteilung der Kommission vom 19. Februar 2002 über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. C 45, S. 3, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit) den Erlass von Geldbußen.

4        Am 1. und 2. Oktober 2002 nahm die Kommission u. a. in den Räumlichkeiten von SNV unangekündigt Nachprüfungen vor. Sie versandte am 30. Juni 2003 an mehrere Gesellschaften Auskunftsverlangen, u. a. an SNV, die darauf am 28. August 2003 antwortete.

5        Am 8. August 2003 wurden Vertreter von Shell International bei Beamten der Kommission vorstellig, um ihnen mitzuteilen, dass sie beabsichtigten, eine interne Untersuchung über die Sache durchzuführen und ihr die Ergebnisse mitzuteilen. Allerdings wurden weder bei noch unmittelbar nach dieser Unterredung irgendwelche Angaben gemacht. Am 10. Oktober 2003 stellte SNV einen Antrag auf Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit. Die Kommission teilte dazu mit, dass es für sie nur dann sachdienlich sei, denjenigen, der die diesem Antrag beigefügte Erklärung abgegeben habe, anzuhören, wenn er Angaben machen könne, die über diejenigen hinausgingen, die bereits in seiner Erklärung enthalten seien. Der betreffende Mitarbeiter wurde schließlich nicht angehört.

6        Am 10. Februar und 5. April 2004 versandte die Kommission weitere Auskunftsverlangen, auf die Shell International am 25. Februar und 27. April 2004 antwortete.

7        Am 18. Oktober 2004 leitete die Kommission ein Verfahren gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1, S. 1) ein und nahm eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an, die sie am 19. Oktober 2004 mehreren Unternehmen, u. a. SNV, SPNV, KNPM und STT plc, übersandte.

8        Am 12. Januar 2005 beantragte SNV, ihr uneingeschränkte Einsicht in alle Schriftstücke zu gewähren, die nach der Versendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte in die Akten der Kommission aufgenommen worden seien, insbesondere in die Antworten der anderen Unternehmen auf diese Mitteilung. Am 22. Februar 2005 lehnte der mit der Sache befasste Anhörungsbeauftragte diesen Antrag im Namen der Kommission ab, mit der Begründung, die im gegenwärtigen Stadium gemachten Angaben seien grundsätzlich nicht Bestandteil der Untersuchungsakte im Sinne der Mitteilung der Kommission über die Regeln für die Einsicht in Kommissionsakten in Fällen einer Anwendung der Artikel 81 [EG] und 82 [EG], der Artikel 53, 54 und 57 des EWR‑Abkommens und der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates (ABl. 2005, C 325, S. 7, im Folgenden: Mitteilung über die Akteneinsicht); jedenfalls könnten sie der Antragstellerin übermittelt werden, wenn die Kommission sie in ihrer Entscheidung verwenden sollte. Am 20. April 2005 stellte SNV ihren Antrag noch einmal, mit der Maßgabe, ihr die Einsicht in die genannten Schriftstücke noch vor den Anhörungen zu gewähren. Am 4. Mai 2005 lehnte der genannte Anhörungsbeauftragte diesen Antrag im Namen der Kommission wieder ab. Die Kommission gewährte am 24. Mai 2006 aber Royal Dutch Shell, SPNV und SNV Einsicht in die Passagen der Antworten der Koninklijke Volker Wessels Stevin (im Folgenden: KWS), auf die sie sich in ihrer Entscheidung stützen wollte; sie betreffen die Kontakte zwischen SNV und KWS vor dem 1. April 1994. Am 12. Juni 2006 erhoben Royal Dutch Shell, SPNV und SNV Einwände gegen die nur teilweise Offenlegung und beantragten noch einmal, ihnen uneingeschränkt Einsicht in alle Antworten zu gewähren.

9        Am 8. Mai 2006 versandte die Kommission ein weiteres Auskunftsverlangen an SNV, SPNV und Royal Dutch Shell, um Auskünfte über ihren Umsatz mit Straßenbaubitumen einschließlich Spezialbitumenerzeugnissen aller Art zu erhalten. Am 23. Mai 2006 teilten diese drei Gesellschaften ihren Umsatz einschließlich Mexphalte C mit; dieses Erzeugnis sei das einzige Spezialbitumen, das mit dem Straßenbau in Verbindung gebracht werden könne, es sei aber nicht Gegenstand des Kartells gewesen.

10      Am 23. Dezember 2005 unterrichtete der Shell‑Konzern die Kommission von der Änderung seiner Struktur; seine Anteile gehörten nämlich fortan zu 100 % Royal Dutch Shell. Am 23. Mai 2006 wies sie die Kommission dann darauf hin, dass Royal Dutch Shell während des Zeitraums der Zuwiderhandlung nicht existiert habe und, da diese Gesellschaft 2002 unter der Firma Forthdeal Ltd gegründet worden sei, ohne damals in irgendeiner Weise zum Shell-Konzern zu gehören, und im Oktober in die Royal Dutch Shell umgewandelt worden sei, nicht als Nachfolgerin einer der Gesellschaften des Shell-Konzerns angesehen werden könne. Außerdem könne die von SNV begangene Zuwiderhandlung Royal Dutch Shell nicht zugerechnet werden, da sie die Gesamtheit der Aktien von SPNV nach dem Zeitraum der Zuwiderhandlung erworben habe.

3.     Angefochtene Entscheidung

11      Nach Anhörung der betroffenen Unternehmen am 15. und 16. Juni 2005 erließ die Kommission am 13. September 2006 die Entscheidung K(2006) 4090 endg. in einem Verfahren gemäß Artikel 81 [EG] (Sache COMP/F/38.456 – Bitumen [Niederlande]) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung), von der eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union vom 28. Juli 2007 (ABl. L 196, S. 40) veröffentlicht ist und die den Klägerinnen, SNV, SPNV und STT, am 25. September 2006 zugestellt wurde.

12      In Art. 1 der angefochtenen Entscheidung stellte die Kommission fest, dass die Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet sei, an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG beteiligt gewesen seien, die darin bestanden habe, dass sie für die betreffenden Zeiträume regelmäßig gemeinsam für Verkäufe und Ankäufe von Straßenbaubitumen in den Niederlanden den Bruttopreis, einen einheitlichen Rabatt auf den Bruttopreis für an dem Kartell teilnehmende Straßenbauunternehmen (im Folgenden: große Straßenbauunternehmen oder W5) und einen niedrigeren Höchstrabatt auf den Bruttopreis für andere Straßenbauunternehmen (im Folgenden: kleine Straßenbauunternehmen) festgelegt hätten.

13      Bei den Klägerinnen wurde festgestellt, dass sie für diese Zuwiderhandlung vom 1. April 1994 bis 15. April 2002 mitverantwortlich gewesen seien; gegen sie wurde eine Geldbuße in Höhe von 108 Mio. Euro festgesetzt, für die sie gesamtschuldnerisch haften.

14      Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße stufte die Kommission die Zuwiderhandlung, obwohl der relevante räumliche Markt begrenzt war, aufgrund ihrer Art als besonders schwer ein (Randnr. 316 der angefochtenen Entscheidung).

15      Um jeweils der spezifischen Bedeutung des rechtswidrigen Verhaltens der einzelnen am Kartell beteiligten Unternehmen und dessen tatsächlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb Rechnung zu tragen, differenzierte die Kommission bei den betroffenen Unternehmen nach der am Marktanteil gemessenen Bedeutung auf dem relevanten Markt und teilte sie in sechs Kategorien ein. Bei den Klägerinnen ergab sich so ein Ausgangsbetrag von 15 Mio. Euro (Randnr. 322 der angefochtenen Entscheidung). Zur Gewährleistung der abschreckenden Wirkung der Geldbuße wurde dieser in Anbetracht der Größe und des Umsatzes des Konzerns noch mit dem Faktor 2 multipliziert (Randnr. 323 der angefochtenen Entscheidung).

16      Zur Dauer der Zuwiderhandlung stellte die Kommission fest, die Klägerinnen hätten eine Zuwiderhandlung von langer Dauer begangen, da diese länger als fünf Jahre gedauert habe, und legte eine Gesamtdauer von acht Jahren, vom 1. April 1994 bis 15. April 2002, zugrunde; sie erhöhte den Ausgangsbetrag daher um 80 % (Randnr. 326 der angefochtenen Entscheidung). Der anhand der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung festgelegte Grundbetrag der Geldbuße wurde bei den Klägerinnen also auf 54 Mio. Euro festgesetzt (Randnr. 335 der angefochtenen Entscheidung).

17      Die Kommission nahm bei den Klägerinnen mehrere erschwerende Umstände an. Als Erstes stellte sie fest, gegen das Unternehmen Shell seien bereits 1986 (Entscheidung der Kommission vom 23. April 1986, Sache IV/31.149 – Polypropylen, ABl. L 230, S. 1, im Folgenden: Entscheidung Polypropylen) und 1994 (Entscheidung der Kommission vom 27. Juli 1994, Sache IV/31.865 – PVC, ABl. L 239, S. 14, im Folgenden: Entscheidung PVC II) frühere Entscheidungen der Kommission in Kartellsachen erlassen worden, so dass der Grundbetrag der Geldbuße wegen Rückfalls um 50 % zu erhöhen sei (Randnrn. 336 bis 338 der angefochtenen Entscheidung). Als Zweites hätten die Klägerinnen bei dem Kartell eine Anstifter- und Anführerrolle gespielt, so dass eine weitere Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße um 50 % gerechtfertigt sei (Randnrn. 342 bis 349 der angefochtenen Entscheidung).

18      Die Kommission stellte im Übrigen fest, dass bei den Klägerinnen kein mildernder Umstand angenommen werden könne; dass die Zuwiderhandlung vor der Einleitung der Untersuchung aufgehört habe, verdiene außer der Begrenzung der Dauer der Zuwiderhandlung keine weitere Belohnung (Randnrn. 361 bis 363 der angefochtenen Entscheidung).

19      Die Kommission wies auch den Antrag der Klägerinnen zurück, ihre aktive Zusammenarbeit, nämlich die Antworten auf die Auskunftsverlangen, die Einräumung des Sachverhalts und das Einschlagen einer entsprechenden Politik der Repression und Prävention als mildernden Umstand anzuerkennen (Randnrn. 367 bis 371 der angefochtenen Entscheidung).

20      Schließlich lehnte es die Kommission ab, die gegen die Klägerinnen verhängte Geldbuße gemäß der Mitteilung über Zusammenarbeit herabzusetzen; die gemachten Angaben hätten keinen erheblichen Mehrwert aufgewiesen (Randnrn. 394 bis 396 der angefochtenen Entscheidung).

 Verfahren und Anträge der Parteien

21      Mit Klageschrift, die am 1. Dezember 2006 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Klägerinnen die vorliegende Klage erhoben.

22      Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Sechste Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und die Parteien im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 64 seiner Verfahrensordnung aufgefordert, bestimmte Unterlagen vorzulegen und Fragen zu beantworten. Die Parteien sind dieser Aufforderung fristgemäß nachgekommen.

23      Die Parteien haben in der Sitzung vom 25. Mai 2011 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

24      Da ein Mitglied der Sechsten Kammer an der weiteren Mitwirkung am Verfahren gehindert war, hat der Präsident des Gerichts gemäß Art. 32 § 3 der Verfahrensordnung sich selbst dazu bestimmt, den Spruchkörper zu vervollständigen.

25      Mit Beschluss vom 18. November 2011 hat das Gericht (Sechste Kammer) in seiner neuen Besetzung die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung angeordnet und den Parteien mitgeteilt, dass sie in einer erneuten mündlichen Verhandlung gehört würden.

26      Diese fand am 26. Januar 2012 statt.

27      SPNV und STT beantragen,

–        die angefochtene Entscheidung, soweit sie sie betrifft, für nichtig zu erklären;

–        hilfsweise, die angefochtene Entscheidung teilweise insoweit für nichtig zu erklären, als die Kommission darin festgestellt hat, dass sie vom 1. April 1994 bis zum 19. Februar 1996 gegen Art. 81 EG verstoßen haben, und die gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen;

–        hilfsweise, die mit der angefochtenen Entscheidung gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen, einschließlich der durch die vollständige oder teilweise Zahlung der Geldbuße oder die Stellung einer Bankbürgschaft entstandenen;

–        alle sonstigen Maßnahmen zu treffen, die das Gericht für zweckmäßig hält.

28      SNV beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung teilweise insoweit für nichtig zu erklären, als die Kommission darin festgestellt hat, dass sie vom 1. April 1994 bis zum 19. Februar 1996 gegen Art. 81 EG verstoßen hat, und die gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen;

–        die mit der angefochtenen Entscheidung gegen sie verhängte Geldbuße herabzusetzen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen, einschließlich der durch die vollständige oder teilweise Zahlung der Geldbuße oder die Stellung einer Bankbürgschaft entstandenen;

–        alle sonstigen Maßnahmen zu treffen, die das Gericht für zweckmäßig hält.

29      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

30      Die Klägerinnen stützen ihre Klage auf vier Klagegründe: Der Kommission seien bei der Zurechnung der durch SNV begangenen Zuwiderhandlung an SPNV und STT (vormals STT plc) Fehler bei der Tatsachenfeststellung oder ‑würdigung und Rechtsfehler unterlaufen; die Kommission habe dadurch, dass sie es abgelehnt habe, ihnen alle Antworten der anderen Unternehmen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte mitzuteilen, eine wesentliche Formvorschrift und die ihnen zustehenden Verteidigungsrechte verletzt; der Kommission seien bei der Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße und der Bestimmung der Dauer der Zuwiderhandlung Fehler bei der Tatsachenfeststellung oder ‑würdigung und Rechtsfehler unterlaufen; schließlich habe die Kommission SNV zu Unrecht als Anstifterin und Anführerin des Kartells angesehen und ihre Geldbuße zu Unrecht wegen erneuter Zuwiderhandlung erhöht.

1.     Zum ersten Klagegrund: Rechts- und Beurteilungsfehler bei der Zurechnung der Zuwiderhandlung an die Muttergesellschaften

 Zu den Rechtsfehlern

 Vorbringen der Parteien

31      Die Klägerinnen machen als Erstes geltend, die Kommission habe dadurch ein Rechtsfehler begangen, dass sie davon ausgegangen sei, dass sie wegen der vom Unionsrichter anerkannten Vermutung (Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2000, Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, C‑286/98 P, Slg. 2000, I‑9925, Randnr. 29), dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer 100%igen Tochtergesellschaft ausübt, nicht zu beweisen brauche, dass die Tochtergesellschaft, die die Zuwiderhandlung begangen habe, auf Weisung der Muttergesellschaft gehandelt habe. Im vorliegenden Fall habe sich die Kommission darauf beschränkt, auf den Begriff der wirtschaftlichen Einheit abzustellen; auf diesen komme es aber bei der Zurechnung der Zuwiderhandlung an andere als die unmittelbar daran beteiligten Unternehmen nicht an. Vielmehr habe die Kommission zu beurteilen, ob die Muttergesellschaft unmittelbar oder mittelbar an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei oder ob sie davon gewusst habe, um ihr diese zurechnen zu können.

32      Als Zweites machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass sie sich bei der Zurechnung der von SNV begangenen Zuwiderhandlung an STT (vormals STT plc) auf die im Urteil Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission (oben in Randnr. 31 angeführt) anerkannte Vermutung gestützt habe. Während des Zeitraums der Zuwiderhandlung sei nämlich STT plc, deren Rechtsnachfolgerin 2005 STT geworden sei, eine der beiden Dachgesellschaften des Shell-Konzerns gewesen; ihr hätten aber nur 40 % der Anteile an der Holdinggesellschaft SPNV gehört, der über Shell Nederland alle Anteile an SNV gehört hätten, die die Zuwiderhandlung unmittelbar begangen habe. Der Unionsrichter beschränke den Anwendungsbereich der genannten Vermutung aber auf Muttergesellschaften, denen 100 % der Anteile an ihrer Tochtergesellschaft gehörten. Dass das Gericht im Urteil vom 27. September 2006, Avebe/Kommission (T‑314/01, Slg. 2006, II‑3085, Randnr. 137), von dieser Vermutung Gebrauch gemacht habe, sei auf die besonderen Umstände des Einzelfalls zurückzuführen; in dem betreffenden Fall seien die beiden Muttergesellschaften nämlich eng in die Führung der Geschäfte der Tochtergesellschaft einbezogen gewesen, die keine eigene Rechtspersönlichkeit besessen habe.

33      Als Drittes wenden sich die Klägerinnen gegen die Auslegung der Vermutung, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer 100%igen Tochtergesellschaft ausübe, die die Widerlegung dieser Vermutung unmöglich mache und nicht mit der Rechtsprechung in Einklang stehe.

34      Nach Auffassung der Kommission ist der erste Teil dieses Klagegrundes zurückzuweisen.

 Würdigung durch das Gericht

35      Die Kommission hat in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass SNV zwar die juristische Person gewesen sei, die unmittelbar an dem Kartell beteiligt gewesen sei, die Mitteilung der Beschwerdepunkte aber auch an SPNV, KNPM und STT plc gerichtet gewesen sei (Randnr. 209 der angefochtenen Entscheidung). Sie hat nämlich festgestellt, dass SNV bis 2005 zu 100 % Shell Nederland gehörte, die selbst zu 100 % SPNV gehörte, der Holdinggesellschaft unter der gemeinsamen Kontrolle von KNPM (60 %) und STT plc (40 %). Sie hat außerdem auf die Bedeutung der Verflechtungen hingewiesen, die zwischen diesen verschiedenen Strukturen bestanden hätten, u. a. durch das Committee of managing directors (Ausschuss der geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats, im Folgenden: CMD), die Abteilung Erdölerzeugnisse des Konzerns in Europa und ab 1998 Shell Europe Oil Products (im Folgenden: SEOP), einer Organisation, unter deren Dach die Mineralölaktivitäten mehrerer Betriebsgesellschaften des Konzerns in Europa vereint waren (Randnrn. 206 bis 208 der angefochtenen Entscheidung). Sie hat dann darauf hingewiesen, dass sie nach den 2005 im Konzern erfolgten organisatorischen Änderungen die angefochtene Entscheidung an SNV und die anderen zum Zeitpunkt der Absendung dieser Entscheidung noch existierenden Unternehmen, an die die Mitteilung der Beschwerdepunkte gerichtet gewesen sei, gesandt habe, d. h. SPNV und STT (vormals STT plc), und dass diese Gesellschaften zusammen das Unternehmen Shell bildeten und gesamtschuldnerisch für die Zuwiderhandlung hafteten (Randnr. 218 der angefochtenen Entscheidung).

–       Zur Vermutung, dass eine Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt

36      Zunächst ist festzustellen, dass das Wettbewerbsrecht der Union die Tätigkeit von Unternehmen betrifft (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 59) und dass der Begriff „Unternehmen“ im Sinne von Art. 81 EG wirtschaftliche Einheiten umfasst, die jeweils in einer einheitlichen Organisation persönlicher, materieller und immaterieller Mittel bestehen, mit der dauerhaft ein bestimmter wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird und die an einer Zuwiderhandlung im Sinne dieser Vorschrift beteiligt sein kann (Urteil des Gerichts vom 25. Oktober 2011, Uralita/Kommission, T‑349/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 35). In diesem Zusammenhang ist unter dem Begriff „Unternehmen“ eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen, selbst wenn diese wirtschaftliche Einheit rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen gebildet wird (Urteil des Gerichtshofs vom 14. Dezember 2006, Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio, C‑217/05, Slg. 2006, I‑11987, Randnr. 40).

37      Das wettbewerbswidrige Verhalten eines Unternehmens, das sein Marktverhalten nicht selbständig bestimmt, sondern vor allem wegen der wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen zu einem anderen Unternehmen im Wesentlichen dessen Weisungen befolgt hat, kann dem anderen Unternehmen zugerechnet werden (Urteile des Gerichtshofs vom 16. November 2000, Metsä-Serla u. a./Kommission, C‑294/98 P, Slg. 2000, I‑10065, Randnr. 27, vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 117, und vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission, C‑97/08 P, Slg. 2009, I‑8237, Randnr. 58). Das Verhalten einer Tochtergesellschaft kann daher der Muttergesellschaft zugerechnet werden, wenn die Tochtergesellschaft ihr Vorgehen auf dem Markt nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt, da diese beiden Unternehmen dann eine wirtschaftliche Einheit bilden (Urteil des Gerichtshofs vom 14. Juli 1972, Imperial Chemical Industries/Kommission, 48/69, Slg. 1972, 619, Randnrn. 133 und 134).

38      Also verleiht nicht ein zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft in Bezug auf die Zuwiderhandlung bestehendes Anstiftungsverhältnis und schon gar nicht eine Beteiligung Ersterer an dieser Zuwiderhandlung, sondern der Umstand, dass sie ein einziges Unternehmen im vorstehend genannten Sinne bilden, der Kommission die Befugnis, ihre Entscheidung an die Muttergesellschaft einer Unternehmensgruppe zu richten. Nach dem Wettbewerbsrecht der Union stellen nämlich verschiedene Gesellschaften, die zum selben Konzern gehören, eine wirtschaftliche Einheit und somit ein Unternehmen im Sinne der Art. 81 EG und 82 EG dar, wenn sie ihr Marktverhalten nicht selbständig bestimmen (Urteil des Gerichts vom 30. September 2003, Michelin/Kommission, T‑203/01, Slg. 2003, II‑4071, Randnr. 290).

39      In dem speziellen Fall, dass eine Muttergesellschaft 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, die eine Zuwiderhandlung begangen hat, kann zum einen diese Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten dieser Tochtergesellschaft ausüben und zum anderen besteht eine widerlegliche Vermutung, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen solchen Einfluss ausübt (vgl. Urteil Akzo Nobel u. a./Kommission, oben in Randnr. 37 angeführt, Randnr. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Unter diesen Umständen genügt es, dass die Kommission nachweist, dass die Muttergesellschaft das gesamte Kapital der Tochtergesellschaft hält, um zu vermuten, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik dieser Tochtergesellschaft ausübt. Die Kommission kann in der Folge die Muttergesellschaft als gesamtschuldnerisch für die Zahlung der gegen die Tochtergesellschaft verhängten Geldbuße haftbar ansehen, sofern die Muttergesellschaft, der die Widerlegung dieser Vermutung obliegt, keine ausreichenden Beweise dafür erbringt, dass ihre Tochtergesellschaft auf dem Markt eigenständig auftritt (Urteile Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, oben in Randnr. 31 angeführt, Randnr. 29, und Akzo Nobel u. a./Kommission, oben in Randnr. 37 angeführt, Randnr. 61).

41      Zwar hat der Gerichtshof in den Randnrn. 28 und 29 des Urteils Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission (oben in Randnr. 31 angeführt) neben dem 100%igen Besitz des Kapitals der Tochtergesellschaft weitere Umstände wie das Nichtbestreiten des von der Muttergesellschaft auf die Geschäftspolitik ihrer Tochtergesellschaft ausgeübten Einflusses und die gemeinsame Vertretung beider Gesellschaften im Verwaltungsverfahren angeführt, doch wurden diese Umstände von ihm nur erwähnt, um die Gesamtheit der Gesichtspunkte aufzuführen, auf die das Gericht seine Argumentation gestützt hatte, und nicht, um die Anwendung der oben genannten Vermutung von der Beibringung zusätzlicher Indizien für die tatsächliche Einflussnahme durch die Muttergesellschaft abhängig zu machen (Urteile des Gerichtshofs Akzo Nobel u. a./Kommission, oben in Randnr. 37 angeführt, Randnr. 62, und vom 20. Januar 2011, General Química u. a./Kommission, C‑90/09 P, Slg. 2011, I‑1, Randnr. 41).

42      Zu den Angaben, die eine Muttergesellschaft machen muss, um die genannte Vermutung, dass tatsächlich ein bestimmender Einfluss auf die 100%ige Tochtergesellschaft ausgeübt wird, zu widerlegen, hat der Unionsrichter entschieden, dass es Sache des Mutterunternehmens ist, der Kommission und gegebenenfalls dem Unionsrichter alle Angaben zur Würdigung vorzulegen, die seiner Ansicht nach dem Nachweis dienen könnten, dass sie keine wirtschaftliche Einheit darstellen, und zwar in Bezug auf die organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verbindungen zwischen ihm und seinem Tochterunternehmen, die von Fall zu Fall variieren und daher nicht abschließend aufgezählt werden können (Urteil Akzo Nobel/Kommission, oben in Randnr. 37 angeführt, Randnrn. 72 bis 74).

–       Zur Anwendung der genannten Vermutung auf zwei Muttergesellschaften, die zusammen zu 100 % an ihrer Tochtergesellschaft beteiligt sind

43      Die Klägerinnen machen geltend, unabhängig davon, wie die Vermutung gemäß der durch das Urteil Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission (oben in Randnr. 31 angeführt) begründeten Rechtsprechung ausgelegt werde, könne die Kommission diese Vermutung nicht auf STT (vormals STT plc) anwenden, weil diese Gesellschaft an derjenigen, die die Zuwiderhandlung begangen habe, nur zu 40 % beteiligt gewesen sei, und zwar mittelbar.

44      Zunächst ist festzustellen, dass allein die Tatsache, dass KNPM, der die anderen 60 % der Anteile an SPNV gehörten, 2005 aufgelöst worden ist, für die Anwendung der Vermutung im Sinne der Rechtsprechung Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission (oben in Randnr. 31 angeführt) unerheblich ist, da die Unternehmen Sanktionen nicht einfach dadurch entgehen können, dass durch Umstrukturierungen, Übertragungen oder sonstige Änderungen rechtlicher oder organisatorischer Art ihre Identität geändert wird, um nicht das Ziel zu beeinträchtigen, gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrags verstoßende Verhaltensweisen zu ahnden und ihrer Wiederholung durch abschreckende Sanktionen vorzubeugen (Urteil des Gerichtshofs vom 11. Dezember 2007, ETI u. a., C‑280/06, Slg. 2007, I‑10893, Randnr. 41).

45      Im Übrigen hat der Unionsrichter bereits entschieden, dass die Kommission auf die Vermutung, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft ausübt, zurückgreifen darf, wenn sich zwei Gesellschaften in einer Situation befinden, die mit derjenigen vergleichbar ist, dass einer Gesellschaft allein 100 % der Anteile an ihrer Tochtergesellschaft gehören (Urteil Avebe/Kommission, oben in Randnr. 32 angeführt, Randnr. 138).

46      Entsprechend ist im vorliegenden Fall wegen der Besonderheit der Konzernstruktur zu prüfen, ob sich die beiden Muttergesellschaften KNPM und STT plc (nunmehr STT) in einer Situation befanden, die mit derjenigen vergleichbar ist, dass einer Gesellschaft allein 100 % der Anteile an ihrer Tochtergesellschaft gehören, und nicht was gelten würde, wenn einer Gesellschaft nur ein Teil der Anteile an der Gesellschaft gehören, die die Zuwiderhandlung begangen hat.

47      Wie die Kommission in ihrer Klagebeantwortung ausführt, ohne dass ihr die Klägerinnen widersprochen hätten, ist das Bestehen von zwei Muttergesellschaften beim Shell-Konzern historisch bedingt: Der Konzern ist 1907 durch eine Vereinbarung zwischen der niederländischen Gesellschaft KNPM und der britischen Gesellschaft STT plc entstanden, die 2005 fusionierten, wobei eine Doppelstruktur an der Konzernspitze beibehalten wurde, mit einer Beteiligung von 60 % bzw. 40 %. Aus den Akten, insbesondere aus dem Handbuch über die Organisationsstruktur des Konzerns, geht hervor, dass diesen beiden Gesellschaften, die einen einheitlichen konsolidierten Umsatz auswiesen, die Anteile an den beiden Holdinggesellschaften des Konzerns, SPNV und SPCo, gemeinsam gehörten, sie bei diesen Gesellschaften nach den vertraglichen Bestimmungen, an die sie gebunden waren, die Mitglieder der Unternehmensleitung gemeinsam bestimmten und mit diesen einmal im Monat zusammenkamen, u. a. um über die wesentlichen Entwicklungen im Konzern unterrichtet zu werden.

48      Außerdem haben KNPM und STT plc (nunmehr STT) zwei Auditausschüsse gebildet, nämlich das Group Audit Committee (Konzernauditausschuss, im Folgenden: GAC) und das Remuneration and Succession Review Committee (Ausschuss zur Überprüfung von Vergütungen und Ernennungen, im Folgenden: REMCO), die paritätisch mit drei Mitgliedern des Aufsichtsrats von KNPM und drei Mitgliedern des Verwaltungsrats von STT plc (nunmehr STT) besetzt sind und die Aufgabe haben, die finanziellen Hauptentwicklungen des Konzerns, seine Verfahren der internen Kontrolle und seine externen Audits zu untersuchen bzw. Empfehlungen für die Vergütung und die Ernennung der Mitglieder des Verwaltungsrats des Konzerns abzugeben. Aus den Akten geht auch hervor, dass die Verwaltungsräte der Holdinggesellschaften des Konzerns sich bei ihrem Vorgehen aufeinander abstimmten und zu ihren Mitgliedern Mitglieder der Verwaltungsräte der beiden Muttergesellschaften zählten.

49      Zudem spielte das CMD, ein aus den Mitgliedern des Präsidiums des Verwaltungsrats von SPNV und den geschäftsführenden Mitgliedern des Verwaltungsrats von SPCo gebildetes Organ, die jeweils gleichzeitig Mitglieder des Verwaltungsrats einer der beiden Muttergesellschaften waren, eine entscheidende Rolle im Konzern. Aus den Akten geht nämlich hervor, dass das CMD, obwohl es keine eigene Rechtspersönlichkeit besaß, die Aufgabe hatte, das operative Geschäft und die Unternehmenssteuerung sämtlicher Konzerngesellschaften zu koordinieren.

50      Schließlich stellt auch die Tatsache, dass die beiden Muttergesellschaften 2005 fusioniert haben, ein Indiz für das Bestehen einer einheitlichen Muttergesellschaft bei gleichzeitigem Bestehen zweier gesonderter rechtlicher Einheiten dar.

51      In Anbetracht aller dieser in den vorstehenden Randnrn. 47 bis 50 genannten Tatsachen konnte die Kommission in den Randnrn. 206 bis 218 der angefochtenen Entscheidung nach Auffassung des Gerichts zu Recht annehmen, dass es sich um eine Situation handelt, die mit der vergleichbar ist, dass eine Muttergesellschaft allein ihre Tochtergesellschaft zu 100 % kontrolliert, so dass sie auf die Vermutung zurückgreifen konnte, dass diese Muttergesellschaften tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer gemeinsamen Tochtergesellschaft ausgeübt haben.

52      Schließlich ist das Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen, die Kommission habe dadurch ein Rechtsfehler begangen, dass sie die durch das Urteil Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission (oben in Randnr. 31 angeführt) begründete Rechtsprechung auf STT (vormals STT plc) angewandt habe, weil dieser Gesellschaft zusammen mit KNPM nur über die Holdinggesellschaft SPNV, der die Anteile von Shell Nederland, der Muttergesellschaft von SNV, gehört hätten, 100 % der Anteile von SNV gehört hätten. Der Unionsrichter hat nämlich entschieden, dass das Vorhandensein von Zwischengesellschaften zwischen der Tochtergesellschaft und der Muttergesellschaft keinen Einfluss auf die Möglichkeit hat, von der Vermutung Gebrauch zu machen, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre 100%ige Tochtergesellschaft ausübt (vgl. in diesem Sinne Urteile Akzo Nobel/Kommission, oben in Randnr. 37 angeführt, Randnrn. 78 und 83, und General Química u. a./Kommission, oben in Randnr. 41 angeführt, Randnrn. 86 und 87; Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998, Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, T‑354/94, Slg. 1998, II‑2111, Randnrn. 80 bis 85). Außerdem kann einer Muttergesellschaft eine von einer Tochtergesellschaft begangene Zuwiderhandlung auch dann zugerechnet werden, wenn in einem Konzern eine Vielzahl operativer Gesellschaften existiert (Urteil des Gerichts vom 20. April 1999, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, „PVC II“, T‑305/94 bis T‑307/94, T‑313/94 bis T‑316/94, T‑318/94, T‑325/94, T‑328/94, T‑329/94 und T‑335/94, Slg. 1999, II‑931, Randnr. 989).

–       Zur Widerlegbarkeit der Vermutung, dass eine Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre 100%ige Tochtergesellschaft ausübt

53      Die Klägerinnen vertreten die Auffassung, so wie sie von der Kommission ausgelegt werde, sei die Vermutung, dass eine Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre 100%ige Tochtergesellschaft ausübe, unwiderlegbar.

54      Nach der oben in Randnr. 42 dargestellten Rechtsprechung hat jedoch eine Muttergesellschaft, die 100 % des Gesellschaftskapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, um die Vermutung zu widerlegen, das sie tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf diese ausübt – wie sie von der Kommission ausgelegt wird –, der Kommission und gegebenenfalls dem Unionsrichter alle Angaben in Bezug auf die organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verbindungen zwischen ihr und ihrer Tochtergesellschaft zur Würdigung vorzulegen, die dem Nachweis dienen könnten, dass sie keine wirtschaftliche Einheit bilden (Urteile Akzo Nobel u. a./Kommission, oben in Randnr. 37 angeführt, Randnr. 65, und General Química u. a./Kommission, oben in Randnr. 41 angeführt, Randnrn. 51 und 52). Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen handelt es sich also um eine widerlegbare Vermutung, die zu widerlegen Sache der Klägerinnen ist. Außerdem ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass sich eine Vermutung – selbst wenn sie schwer zu widerlegen ist – innerhalb akzeptabler Grenzen hält, wenn sie im Hinblick auf das verfolgte legitime Ziel angemessen ist, die Möglichkeit besteht, den Beweis des Gegenteils zu erbringen, und die Verteidigungsrechte gewahrt sind (Urteil des Gerichtshofs vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C‑521/09 P, Slg. 2011, I‑8947, Randnr. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Somit hat die Kommission dadurch, dass sie STT (vormals STT plc) und SPNV die von ihrer Tochtergesellschaft SNV begangene Zuwiderhandlung zugerechnet hat, keinen Rechtsfehler begangen.

 Zu den Angaben zur Widerlegung der Vermutung, dass eine Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft ausübt

 Vorbringen der Parteien

56      Die Klägerinnen machen geltend, sie hätten den Nachweis erbracht, dass STT plc (nunmehr STT) und SPNV zu keinem Zeitpunkt Kenntnis von der Zuwiderhandlung gehabt hätten und zu keinem Zeitpunkt an dieser beteiligt gewesen seien, weder unmittelbar noch mittelbar. Nach der Entscheidungspraxis der Kommission und der Rechtsprechung setzte die Zurechnung des Verhaltens einer Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft jedoch voraus, dass die Muttergesellschaft an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei. Im vorliegenden Fall habe die Kommission im Übrigen eingeräumt, dass die Zuwiderhandlung auf das Verhalten des für den Vertrieb von Bitumen zuständigen Managers von SNV beschränkt gewesen sei. Auch die Organisation des Reporting innerhalb des Shell-Konzerns zeige, dass SNV keinerlei Weisungen von STT plc (nunmehr STT) und SPNV erhalten habe. STT plc (nunmehr STT) hätten nur 40 % der Anteile an SPNV gehört, die ihrerseits an über 500 Gesellschaften beteiligt sei, u. a. an Shell Nederland, zu der über 30 Tochtergesellschaften gehörten, u. a. SNV. Ein stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsrats von SNV habe lediglich die Geschäftsführung und den Aufsichtsrat von Shell Nederland bei Quartalssitzungen sehr knapp über wesentliche Punkte der Tätigkeit des Unternehmens, z. B. die Schließung einer Produktionsstätte oder enttäuschende finanzielle Ergebnisse, informiert.

57      Die Kommission macht geltend, es sei den Klägerinnen nicht gelungen, die Vermutung zu widerlegen, dass STT plc (nunmehr STT) und SPNV tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre gemeinsame Tochtergesellschaft ausgeübt hätten.

 Würdigung durch das Gericht

58      In den Randnrn. 206 bis 218 der angefochtenen Entscheidung führt die Kommission im Wesentlichen aus, es greife die Vermutung, dass STT plc (nunmehr STT) und SPNV vom 1. April 1994 bis zum 15. April 2002 tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf SNV ausgeübt hätten, und zwar wegen ihrer Beteiligung (SPNV: 100 %, STT plc [nunmehr STT]: zusammen mit KNPM 100 %) an dieser Gesellschaft. Sie hat sodann hilfsweise ergänzt, dass mehrere Aspekte, die die Hierarchie des Konzerns beträfen, diese Vermutung bestätigten, z. B. die Rolle des CMD, die von SPNV gegenüber ihren Tochtergesellschaften ausgeübten Kontrollfunktionen oder die Mechanismen der Ernennung der Unternehmensleitung der Betriebsgesellschaften.

59      Es ist zu prüfen, ob die Klägerinnen Angaben gemacht haben, die geeignet sind, die Vermutung zu widerlegen, STT plc (nunmehr STT) und SPNV hätten zusammen mit SNV eine wirtschaftliche Einheit gebildet.

60      Wie bereits ausgeführt, ist es nämlich Sache der Parteien, der Kommission und gegebenenfalls dem Unionsrichter alle Angaben zur Würdigung vorzulegen, die ihrer Ansicht nach dem Nachweis dienen könnten, dass Gesellschaften keine wirtschaftliche Einheit darstellen, und zwar in Bezug auf die organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verbindungen zwischen ihnen (vgl. oben, Randnr. 42).

61      Was als Erstes das Vorbringen zum Fehlen einer unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung von STT plc (nunmehr STT) und SPNV an der Zuwiderhandlung angeht, genügt die Feststellung, dass es weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht zutrifft. Die Kontrolle, die die Muttergesellschaft über ihre Tochtergesellschaft ausübt, muss nämlich nicht unbedingt mit der Zuwiderhandlung zusammenhängen (Urteile Akzo Nobel u. a./Kommission, oben in Randnr. 37 angeführt, Randnr. 59, und General Química, oben in Randnr. 41 angeführt, Randnrn. 38, 102 und 103). Es braucht daher nicht geprüft werden, ob STT plc (nunmehr STT) und SPNV tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf die Zuwiderhandlung von SNV ausgeübt haben oder davon Kenntnis hatten.

62      Jedenfalls geht entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen aus bestimmten Aktenstücken hervor, dass Gesellschaften des Shell-Konzerns, die nicht SNV gehörten, von deren wettbewerbswidrigem Verhalten während des Zeitraums der Zuwiderhandlung Kenntnis hatten. So ist ein interner Vermerk vom 14. Juli 2000 über die wettbewerbsrechtliche Situation des niederländischen Bitumenmarkts, der von der Kommission bei ihren Überprüfungen in den Räumlichkeiten von SNV beschlagnahmt wurde, außerhalb dieser Gesellschaft verteilt worden. Erstellt wurde dieser Vermerk, der mit dem Vermerk „streng vertraulich“ versehen ist, von einem Mitarbeiter von SNV und einem Berater der zu Shell International gehörenden Rechtsabteilung des Konzerns nach einem Workshop über die Compliance mit den Wettbewerbsregeln, bei dem der für den Vertrieb von Bitumen verantwortliche Manager die Aufmerksamkeit auf den niederländischen Bitumen- und Straßenbaumarkt gelenkt hatte. Er wurde u. a. an den Leiter der Rechtsabteilung des Konzerns, einen Mitarbeiter von Shell International, an den für die Verkäufe des Konzerns in Europa zuständigen Vizepräsidenten Vertrieb und an den für die Erzeugnisse des Konzerns in Europa zuständigen geschäftsführenden Vizepräsidenten weitergeleitet. Dabei stand Shell International in unmittelbarem Kontakt mit dem CMD, dem Hauptentscheidungsgremium des Konzerns, in dem die Mitglieder des Präsidiums des Verwaltungsrats von SPNV und die geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats von SPCo vertreten waren, die gleichzeitig Mitglieder des Verwaltungsrats einer der beiden Muttergesellschaften waren.

63      In dem genannten Vermerk heißt es, der niederländische Bitumenmarkt sei 1992/93 und im Februar 1995 Gegenstand einer internen Untersuchung gewesen, da alle Bitumenlieferanten in den Niederlanden (im Folgenden: Lieferanten) kollektiv einen Standardpreis mit den W5 ausgehandelt hätten; ein Mitarbeiter von SNV habe sich deshalb dafür ausgesprochen, sich von diesem Markt zurückzuziehen, der Markt sei aber restrukturiert worden und SNV sei dort immer noch vertreten. In dem Vermerk heißt es weiter, bei anderen Bitumenarten komme es offenbar nicht zu einem wettbewerbswidrigen Verhalten von Shell, woraus sich im Umkehrschluss ergibt, dass dem Konzern der wettbewerbswidrige Charakter des Verhaltens von SNV auf dem Straßenbaubitumenmarkt bekannt war. In dem Vermerk wird im Übrigen ausführlich der Mechanismus der Festlegung des Bitumenpreises beschrieben: Habe SNV die Preise erhöhen wollen, habe sie sich vor der Anwendung dieser Preiserhöhung mit KWS, dem bedeutendsten Straßenbauunternehmen, in Verbindung gesetzt. KWS habe sich dann bei allen anderen Lieferanten jeweils einzeln nach dem Preis erkundigt, die genannte Preiserhöhung mit den anderen großen Straßenbauunternehmen besprochen und schließlich das Centrum voor regelgeving en onderzoek in de grond-, water- en wegenbouw en de Verkeerstechniek (CROW, Zentrum für Regulierung und Untersuchungen im Baugewerbe und in der Verkehrstechnik) unterrichtet, eine Organisation ohne Gewinnerzielungsabsicht, deren Aufgabe u. a. darin bestand, monatlich die Straßenbaubitumenpreise zu veröffentlichen, nach denen sich die Entschädigungen richteten, die die Straßenbauunternehmen bei einer Preiserhöhung über einen bestimmten Schwellenwert hinaus von ihren Vertragspartnern erhielten. In dem Vermerk heißt es weiter, SNV habe den W5 wie die anderen Lieferanten auch Rabatte auf den so festgesetzten Preis gewährt. Schließlich kommen die Verfasser des Vermerks zu dem Schluss, dass es ratsam sei, die bilateralen Gespräche mit KWS, dem Wortführer der W5, über die Preiserhöhungen zu beenden und sie durch bilaterale Gespräche jeweils mit den einzelnen Straßenbauunternehmen zu ersetzen.

64      Was als Zweites das Vorbringen angeht, die Unternehmensführung von SNV sei autonom gewesen, weil es zwischen STT plc (nunmehr STT), SPNV und SNV keinen ausreichend starken Reportingmechanismus gegeben habe, ist festzustellen, dass die von den Klägerinnen insoweit beigebrachten Beweismittel nicht für den Nachweis genügen, dass SNV sein Marktverhalten autonom bestimmt und folglich mit STT plc (nunmehr STT) und SPNV keine wirtschaftliche Einheit im Sinne von Art. 81 EG gebildet hätte.

65      Zunächst ist nämlich festzustellen, dass das Vorbringen der Klägerinnen, SPNV und Shell Nederland hätten zahlreiche Tochtergesellschaften gehabt, nicht für den Nachweis genügt, dass STT plc (nunmehr STT) und SPNV SNV genug Autonomie gewährt hätten, um ihr Marktverhalten zu bestimmen.

66      Im Übrigen stellt die Kommission bei der Zurückweisung des Vorbringens der Klägerinnen zur Widerlegung der genannten Vermutung zu Recht auf mehrere Tatsachen ab, auf die sie in der angefochtenen Entscheidung (Randnrn. 207 bis 214 der angefochtenen Entscheidung) und in der Mitteilung der Beschwerdepunkte in Bezug auf die wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Verbindungen zwischen SNV einerseits und STT plc (nunmehr STT) und SPNV andererseits hingewiesen hatte.

67      Der Konzern hat nämlich in einem der Securities and Exchange Commission (Wertpapier- und Börsenausschuss) vorgelegten Bericht vom 13. März 2006 u. a. erklärt, dass „sämtliche Betriebsgeschäfte … von den Tochtergesellschaften von Royal Dutch und Shell Transport durchgeführt [wurden], die wie ein einheitliches wirtschaftliches Unternehmen agierten“. Außerdem bezeichneten die Kunden und Mitbewerber gewöhnlich das gesamte Unternehmen und seine einzelnen rechtlichen Einheiten als „Shell“; SNV wurde also von Dritten und auf dem relevanten Markt als Unternehmen des Shell-Konzerns angesehen.

68      Ferner sind die oben in den Randnrn. 47 bis 50 genannten, die Konzern- und Aktionärsstruktur, insbesondere die Hierarchie und die konzerninternen Reportingmechanismen betreffenden Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

69      In der Mitteilung der Beschwerdepunkte hat die Kommission darüber hinaus folgende Punkte angeführt: es habe eine beachtliche Überschneidung zwischen den in den verschiedenen Ländern von verschiedenen Einheiten erfüllten Aufgaben gegeben, der für Bitumen in den Niederlanden Verantwortliche sei lange Zeit auch für den belgischen Markt verantwortlich gewesen; mehrere interne wettbewerbsrechtliche Untersuchungen des niederländischen Straßenbitumenmarkts seien an verschiedene Einheiten des Konzerns verteilt worden, u. a. an die Rechtsabteilung von Shell International, die in unmittelbarem Kontakt zum CMD gestanden habe; Shell International sei während des gesamten Verwaltungsverfahrens gegenüber der Kommission als Hauptansprechpartner aufgetreten; das geschäftsführende Mitglied des Verwaltungsrats von KNPM sei gleichzeitig Vorsitzender des Verwaltungsrats von SPNV und Mitglied des Aufsichtsrats von Shell Nederland BV gewesen, der unmittelbaren Muttergesellschaft von SNV; die Muttergesellschaften hätten das Recht, die geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats der Betriebsgesellschaften zu ernennen und abzuberufen; sie überwachten die Geschäftsführung der Betriebsgesellschaften, wobei die geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats dieser Gesellschaften verpflichtet seien, jedem Aktionär auf Verlangen Auskunft über die Geschäfte der Gesellschaft zu erteilen und ihm Zugang zu den Büchern und Unterlagen zu gewähren, die er einsehen möchte.

70      Außerdem spielte das CMD, wie oben in Randnr. 49 ausgeführt, eine maßgebliche Rolle im Unternehmen. Die Hierarchie war bis 1998 nämlich geografisch ausgerichtet: Der für Bitumen zuständige Manager von SNV unterstand dem für den Vertrieb zuständigen geschäftsführenden Mitglied des Verwaltungsrats, das dem für das jeweilige Land zuständigen geschäftsführenden Mitglied des Verwaltungsrats unterstand; dieser wiederum unterstand dem Europakoordinator der zu 100 % SPNV gehörenden Shell International Petroleum Maatschappij NV, die unmittelbar den Mitgliedern des CMD unterstand. Von 1998 bis zum Ende der Zuwiderhandlung gehörte SNV zur Bausparte der Abteilung SEOP unter der Leitung des für Europa zuständigen geschäftsführenden Vizepräsidenten des Verwaltungsrats, der dem für Erdölerzeugnisse zuständigen Vorsitzenden des Verwaltungsrats unterstand, der Mitglied des CMD war. Außerdem bestanden über die beiden Auditausschüsse GAC und REMCO Reportingmechanismen zwischen den Muttergesellschaften und ihren Tochtergesellschaften.

71      Die Klägerinnen haben ferner eingeräumt, dass ein stellvertretendes Mitglied des Vorstands von SNV den Vorstand und den Aufsichtsrat von Shell Nederland im Rahmen von gemeinsamen Quartalstreffen dieser Gremien über die wesentlichen Punkte der Tätigkeit von SNV unterrichtet habe. Zwar behaupten die Klägerinnen, diese Unterrichtung sei auf bestimmte wichtige Entscheidungen beschränkt gewesen; diese Behauptung wird aber durch kein Beweismittel gestützt.

72      Schließlich ist zu berücksichtigen, dass bestimmte Gesellschaften des Konzerns die Aufgabe hatten, für alle Tochtergesellschaften unterstützende Dienstleistungen zu erbringen; Shell International z. B. erbrachte für alle Tochtergesellschaften des Konzerns rechtliche Dienstleistungen. Aus dem Vermerk vom 14. Juli 2000 geht im Übrigen hervor, dass er u. a. von SNV verfasst worden und an diese Gesellschaft gerichtet gewesen ist und dass SNV eine dichte Kontrolle über die Aktivitäten der Tochtergesellschaften ausübte, insbesondere im Hinblick auf die Situation des Bitumenmarkts in den Niederlanden.

73      In Anbetracht der Beweismittel, die die Klägerinnen zu der Tatsache, dass STT plc (nunmehr STT) und SPNV von der in Rede stehenden Zuwiderhandlung weder Kenntnis gehabt hätten noch daran beteiligt gewesen seien, noch ihre Tochtergesellschaft angestiftet hätten, sie zu begehen, und zu den Mechanismen des Reporting von SNV an STT plc (nunmehr STT) und SPNV beigebracht haben, und der anderen erheblichen Umstände, die sich aus den Akten ergeben und oben in den Randnrn. 47 bis 50 und 62 bis 72 dargestellt sind, ist somit festzustellen, dass die Kommission durch die Feststellung, dass die von den Klägerinnen beigebrachten Beweismittel nicht bewiesen, dass SNV ihr Verhalten auf dem Markt autonom bestimmt hätte, und daher nicht geeignet seien, die Vermutung zu widerlegen, dass STT plc (nunmehr STT) und SPNV tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten von SNV ausgeübt hätten, keinen Beurteilungsfehler begangen hat.

74      Somit ist der erste Klagegrund in vollem Umfang als unbegründet zurückzuweisen.

2.     Zum zweiten Klagegrund: Verletzung wesentlicher Formvorschriften und der Verteidigungsrechte

 Vorbringen der Parteien

75      Die Klägerinnen vertreten die Auffassung, die Kommission habe dadurch, dass sie es abgelehnt habe, ihr alle Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte mitzuteilen, und dass sie von der Antwort von KWS nur bestimmte Passagen offengelegt habe, gegen Art. 27 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoßen und ihre Verteidigungsrechte verletzt. Hätten sie Kenntnis von diesen Schriftstücken gehabt, hätten sie den Ausgang des Verwaltungsverfahrens beeinflussen und die angefochtene Entscheidung ändern können, insbesondere was ihre Anstifter- und Anführerrolle angeht.

76      Als Erstes machen die Klägerinnen geltend, die Kommission hätte ihrem Antrag auf Zugang zu sämtlichen Antworten der anderen Unternehmen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte stattgeben müssen; diese hätten möglicherweise entlastendes Material zu ihrer Anstifter- und Anführerrolle enthalten können, insbesondere wegen des horizontalen und vertikalen Charakters des Kartells. Im Übrigen habe die Kommission bereits in früheren Verfahren (Sachen COMP/E‑1/37.512 [ABl. L 6, S. 147] und COMP/E‑1/36.490 [ABl. L 100, S. 1]) sämtliche Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte offengelegt gehabt. Jedenfalls sei es nicht Sache der Kommission, selbst zu entscheiden, welche Schriftstücke für die Verteidigung der betroffenen Unternehmen nützlich seien (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 36 angeführt, Randnr. 126); die Mitteilung über die Akteneinsicht sei daher insoweit rechtswidrig, als darin bestimmt sei, dass keine Einsicht in sämtliche Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte gewährt werde.

77      Als Zweites machen die Klägerinnen geltend, die Kommission hätte ihnen Einsicht in die gesamte Antwort von KWS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte geben müssen, insbesondere in die Aussage des Zeugen, auf die die Kommission sich ausschließlich gestützt habe, um sie als Anstifterin und Anführerin des Kartells einzustufen. Der Unionsrichter billige ihnen nämlich das Recht auf Einsicht in alle Beweismittel zu, die die Kommission gegen sie verwertet habe (Urteil des Gerichts vom 15. März 2000, Cimenteries CBR u. a./Kommission, „Zement“, T‑25/95, T‑26/95, T‑30/95 bis T‑32/95, T‑34/95 bis T‑39/95, T‑42/95 bis T‑46/95, T‑48/95, T‑50/95 bis T‑65/95, T‑68/95 bis T‑71/95, T‑87/95, T‑88/95, T‑103/95 und T‑104/95, Slg. 2000, II‑491, Randnr. 386).

78      Die Kommission vertritt die Auffassung, sie sei nicht verpflichtet gewesen, die Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte offenzulegen; sie tritt dem Vorbringen der Klägerinnen in vollem Umfang entgegen.

 Würdigung durch das Gericht

79      Nach den Akten hat die Kommission im Verwaltungsverfahren den Antrag der Klägerinnen auf Einsicht in alle nach der Versendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte in die Akten aufgenommenen Schriftstücke, insbesondere in alle Antworten der anderen Unternehmen auf diese Mitteilung, zurückgewiesen. Sie hat den Klägerinnen jedoch Einsicht in diejenigen Passagen der Antwort von KWS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte gewährt, auf die sie sich in der endgültigen Entscheidung stützen wollte und die die Kontakte zwischen SNV und KWS vor dem 1. April 1994 betreffen.

 Allgemeine Grundsätze zur Einsicht in Schriftstücke aus der Zeit nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte

80      In Art. 27 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 ist bestimmt:

„Die Verteidigungsrechte der Parteien müssen während des Verfahrens in vollem Umfang gewahrt werden. Die Parteien haben Recht auf Einsicht in die Akten der Kommission, vorbehaltlich des berechtigten Interesses von Unternehmen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse. Von der Akteneinsicht ausgenommen sind vertrauliche Informationen sowie interne Schriftstücke der Kommission und der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten.“

81      In der Mitteilung über die Akteneinsicht definiert die Kommission in Ziffer 8 die Akte als bestehend aus „sämtlichen Schriftstücken bzw. Dokumenten, die von der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission während des Verfahrens erhalten, erstellt oder zusammengestellt wurden“. In Ziffer 27 dieser Mitteilung heißt es:

„Die Akteneinsicht wird auf Antrag und in der Regel einmalig nach Übermittlung der Mitteilung der Beschwerdepunkte gewährt, damit der Grundsatz der Fairness und die Verteidigungsrechte der Betroffenen gewahrt bleiben. In der Regel wird daher keine Einsicht in die Erwiderungen der übrigen Betroffenen auf die Beschwerdepunkte der Kommission gewährt.

Der Betroffene erhält dagegen Einsicht in Dokumente, die nach Übermittlung der Beschwerdepunkte in einem späteren Verfahrensstadium eingehen, sofern diese Dokumente neues be- oder entlastendes Beweismaterial zu den gegen diesen Betroffenen in den Beschwerdepunkten erhobenen Vorwürfen darstellen können. Dies gilt insbesondere insofern, als sich die Kommission auf neue Beweise zu stützen beabsichtigt.“

82      Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beachtung der Verteidigungsrechte in allen Verfahren, die zu Sanktionen, namentlich zu Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können, einen fundamentalen Grundsatz des Unionsrechts dar, der auch in einem Verwaltungsverfahren beachtet werden muss (Urteile des Gerichtshofs vom 13. Februar 1979, Hoffmann-La Roche/Kommission, 85/76, Slg. 1979, 461, Randnr. 9, und vom 2. Oktober 2003, ARBED/Kommission, C‑176/99 P, Slg. 2003, I‑10687, Randnr. 19). Im Übrigen erhebt Art. 41 der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 364, S. 1, im Folgenden: Charta der Grundrechte) diesen Grundsatz zu einem Grundrecht, indem er ihn als einen Wesensbestandteil guter Verwaltung erklärt. Insoweit sieht die Verordnung Nr. 1/2003 vor, dass den Parteien eine Mitteilung der Beschwerdepunkte übersandt wird, in der alle wesentlichen Tatsachen, auf die sich die Kommission in diesem Stadium des Verfahrens stützt, klar angeführt sein müssen. Eine solche Mitteilung stellt eine Verfahrensgarantie dar, die Ausdruck eines tragenden Grundsatzes des Unionsrechts ist, dem zufolge die Verteidigungsrechte in allen Verfahren beachtet werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 3. September 2009, Papierfabrik August Koehler/Kommission, C‑322/07 P, C‑327/07 P und C‑338/07 P, Slg. 2009, I‑7191, Randnrn. 34 und 35).

83      Der Zweck der Akteneinsicht besteht in Wettbewerbssachen insbesondere darin, es den Adressaten einer Mitteilung der Beschwerdepunkte zu ermöglichen, von den Beweisstücken in den Akten der Kommission Kenntnis zu nehmen, damit sie sinnvoll zu den Schlussfolgerungen Stellung nehmen können, zu denen die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte aufgrund dieser Beweisstücke gelangt ist. Die Akteneinsicht gehört somit zu den Verfahrensgarantien, die die Verteidigungsrechte schützen und insbesondere die effektive Ausübung des Anhörungsrechts sicherstellen sollen (vgl. Urteil des Gerichts vom 30. September 2003, Atlantic Container Line u. a./Kommission, T‑191/98, T‑212/98 bis T‑214/98, Slg. 2003, II‑3275, Randnr. 334 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dieses Recht bedeutet, dass die Kommission dem betroffenen Unternehmen die Möglichkeit geben muss, alle Schriftstücke in der Ermittlungsakte zu prüfen, die möglicherweise für seine Verteidigung erheblich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 2. Oktober 2003, Corus UK/Kommission, C‑199/99 P, Slg. 2003, I‑11177, Randnr. 125, und Urteil des Gerichts vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission, T‑30/91, Slg. 1995, II‑1775, Randnr. 81). Dazu gehören sowohl belastende als auch entlastende Schriftstücke mit Ausnahme von Geschäftsgeheimnissen anderer Unternehmen, internen Schriftstücken der Kommission und anderen vertraulichen Informationen (Urteile Hoffmann-La Roche/Kommission, oben in Randnr. 82 angeführt, Randnrn. 9 und 11, und Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 36 angeführt, Randnr. 68).

84      Nach der Rechtsprechung wird das betroffene Unternehmen erst zu Beginn des kontradiktorischen Abschnitts des Verwaltungsverfahrens durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte über alle wesentlichen Gesichtspunkte informiert, auf die sich die Kommission in diesem Verfahrensstadium stützt. Folglich gehört die Antwort der anderen Parteien auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte grundsätzlich nicht zu den Unterlagen der Ermittlungsakte, die die Beteiligten einsehen können (Urteil des Gerichts vom 30. September 2009, Hoechst/Kommission, T‑161/05, Slg. 2009, II‑3555, Randnr. 163). Wenn sich allerdings die Kommission auf eine Passage in einer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte oder auf eine dieser Antwort beigefügte Anlage stützen will, um in einem Verfahren nach Art. 81 Abs. 1 EG das Bestehen einer Zuwiderhandlung nachzuweisen, muss den anderen Parteien dieses Verfahrens Gelegenheit gegeben werden, sich zu einem solchen Beweismittel zu äußern (vgl. Urteile Zement, oben in Randnr. 77 angeführt, Randnr. 386, und Avebe/Kommission, oben in Randnr. 32 angeführt, Randnr. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dasselbe gilt, wenn sich die Kommission zum Beweis der Anstifter- oder Anführerrolle eines betroffenen Unternehmens auf ein solches Schriftstück stützt.

85      Somit steht Ziffer 27 der Mitteilung über die Akteneinsicht in Einklang mit der Rechtsprechung, nach der die Parteien zwar grundsätzlich kein Recht auf Einsicht in die Antworten der anderen Parteien auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte haben, einer Partei aber Einsicht in diese Antworten gewährt werden kann, wenn diese möglicherweise neues be- oder entlastendes Beweismaterial im Hinblick auf die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte enthaltenen Behauptungen über diese Partei darstellen.

86      Im Übrigen stellt die unterbliebene Übermittlung eines Schriftstücks nach der Rechtsprechung zur Einsicht in die Verwaltungsakte vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte nur dann eine Verletzung der Verteidigungsrechte dar, wenn das betreffende Unternehmen dartut, dass sich die Kommission zur Untermauerung ihres Vorwurfs, dass eine Zuwiderhandlung vorliege, auf dieses Schriftstück gestützt hat (Urteile des Gerichtshofs vom 9. November 1983, Michelin/Kommission, 322/81, Slg. 1983, 3461, Randnrn. 7 und 9, und Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 36 angeführt, Randnr. 71) und dass dieser Vorwurf nur durch Heranziehung des fraglichen Schriftstücks belegt werden kann (Urteile des Gerichtshofs vom 25. Oktober 1983, AEG-Telefunken/Kommission, 107/82, Slg. 1983, 3151, Randnrn. 24 bis 30, und Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 36 angeführt, Randnr. 71; Urteil Solvay/Kommission, oben in Randnr. 83 angeführt, Randnr. 58). Der Gerichtshof unterscheidet insoweit zwischen be- und entlastendem Material. Bei einem belastenden Schriftstück muss das betroffene Unternehmen dartun, dass das Ergebnis, zu dem die Kommission gekommen ist, anders ausgefallen wäre, wenn das Schriftstück ausgeschlossen worden wäre. Wurde dagegen ein entlastendes Schriftstück nicht übermittelt, so muss das betroffene Unternehmen nur nachweisen, dass das Unterbleiben seiner Offenlegung den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung der Kommission zu seinen Ungunsten beeinflussen konnte (vgl. in diesem Sinne Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 36 angeführt, Randnrn. 73 und 74). Diese Unterscheidung gilt auch für Schriftstücke aus der Zeit nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte (Urteil des Gerichts vom 27. September 2006, Jungbunzlauer/Kommission, T‑43/02, Slg. 2006, II‑3435, Randnrn. 351 bis 359). Die Klägerinnen legen Randnr. 383 des Urteils Zement (oben in Randnr. 77 angeführt) also falsch aus, wenn sie behaupten, die Kommission verletzte automatisch die Verteidigungsrechte, wenn sie es ablehne, auf Verlangen eines Unternehmens Schriftstücke aus der Zeit nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu übermitteln. Nach der genannten Rechtsprechung ist eine solche Ablehnung bei einem entlastendem Schriftstück nämlich nur dann rechtswidrig, wenn das betreffende Unternehmen den Nachweis erbracht hat, dass das Unterbleiben der Offenlegung dieses Schriftstücks den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung zu seinen Ungunsten beeinflussen konnte.

87      Ebenso geht, was die Frage angeht, ob ein Schriftstück aus der Zeit nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte, wenn es von der Kommission in ihrer Entscheidung als Beweismittel verwertet wird, vollständig übermittelt werden muss, aus der Rechtsprechung, insbesondere aus Randnr. 386 des Urteils Zement (oben in Randnr. 77 angeführt) hervor, dass die Kommission, um es dem betroffenen Unternehmen zu ermöglichen, sich sachgerecht zu diesem Schriftstück äußern zu können, nur die einschlägige Passage des betreffenden Schriftstücks – in ihrem Kontext, wenn für das Verständnis erforderlich – übermitteln muss.

88      Im Übrigen verstößt die systematische Nichtmitteilung der Antworten der anderen Unternehmen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht gegen den Grundsatz der Beachtung der Verteidigungsrechte. Wie bereits ausgeführt, folgt aus diesem Grundsatz, dass die Kommission den betroffenen Unternehmen im Laufe des Verwaltungsverfahrens alle Tatsachen, Umstände und Unterlagen, auf die sie sich stützt, offenlegen muss, um sie in die Lage zu versetzen, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der behaupteten Tatsachen und Umstände sowie zu den von der Kommission für ihre Behauptungen herangezogenen Unterlagen Stellung zu nehmen. Die Kommission darf ihre Entscheidung nur auf Tatsachen stützen, zu denen die Unternehmen sich äußern konnten.

89      Außerdem können sich die Klägerinnen nicht auf die Rechtsprechung berufen, nach der es nicht allein Sache der Kommission – die die Beschwerdepunkte mitteilt und die Entscheidung über die Verhängung einer Sanktion trifft – sein kann, die für die Verteidigung des betroffenen Unternehmens nützlichen Schriftstücke zu bestimmen (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 36 angeführt, Randnr. 126; Urteile Solvay/Kommission, oben in Randnr. 83 angeführt, Randnrn. 81 und 83, und Atlantic Container Line u. a./Kommission, oben in Randnr. 83 angeführt, Randnr. 339). Diese Erwägung, die sich auf Dokumente bezieht, die in den Akten der Kommission enthalten sind, kann nämlich auf Antworten anderer betroffener Parteien auf die von der Kommission mitgeteilten Beschwerdepunkte keine Anwendung finden.

90      Schließlich ist festzustellen, dass die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen jedenfalls nicht durch ihrer frühere Entscheidungspraxis zur vollständigen Mitteilung der Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte gebunden ist, da für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidungen allein die für sie verbindlichen Rechtsnormen maßgeblich sind, u. a. die Verordnung Nr. 1/2003, die Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel 81 [EG] und 82 [EG] durch die Kommission (ABl. L 123, S. 18) und die Mitteilung über die Akteneinsicht, jeweils in ihrer Auslegung durch den Unionsrichter.

 Anwendung auf den vorliegenden Fall

91      Im vorliegenden Fall hat die Kommission den Klägerinnen am 24. Mai 2006 gestattet, diejenigen Passagen der Antwort von KWS einzusehen, auf die sie die endgültige Entscheidung stützen wollte; diese Passagen betrafen die Kontakte zwischen SNV und KWS vor dem 1. April 1994 und einen KWS übersandten Vorschlag für Vorzugsrabatte für die W5.

92      Was als Erstes das Vorbringen angeht, es hätte Zugang zur vollständigen Antwort von KWS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte gewährt werden müssen, ist zunächst festzustellen, dass entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen aus den Randnrn. 343 bis 348 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, dass sich die Kommission für die Feststellung, dass die Klägerinnen Anstifterinnen und Anführerinnen des Kartells gewesen seien, nicht ausschließlich auf die in Rede stehenden Passagen der Antwort von KWS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte gestützt hat. Jedenfalls ergibt sich aus den den Klägerinnen von der Kommission übermittelten Auszügen aus diesem Schriftstück, dass sie durchaus verständlich und ausführlich sind, ohne dass es erforderlich wäre, sie in einem weiteren Kontext zu betrachten. Die Kommission hat in der angefochtenen Entscheidung nämlich nur zwei der sieben Punkte dieses Schriftstücks verwertet, die den Klägerinnen mitgeteilt worden sind. Was im Übrigen ein Schriftstück von KWS angeht, das sich auf die Aussage eines Zeugen, eines ehemaligen Mitarbeiters dieses Unternehmens, stützt und das der Kommission von KWS aus freien Stücken zu Verteidigungszwecken übermittelt worden ist, wobei die Rolle von SNV als Anstifterin und Anführerin im Kartell hervorgehoben und die eigene heruntergespielt wurde, ist nicht ersichtlich, dass es für SNV irgendwelches entlastendes Beweismaterial hätte enthalten können.

93      Was als Zweites das Vorbringen zur Nichtmitteilung der Antworten der anderen Unternehmen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte angeht, die möglicherweise entlastendes Material enthalten hätten, ist festzustellen, dass es den Klägerinnen nach der oben in Randnr. 86 dargestellten Rechtsprechung oblegen hätte, einen Anfangsbeweis dafür zu liefern, dass die Nichtoffenlegung den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung der Kommission möglicherweise zu ihren Ungunsten beeinflusst hat. Die Klägerinnen haben aber lediglich allgemein und rein ins Blaue hinein behauptet, dass die Antworten der anderen Unternehmen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte ihnen entlastendes Beweismaterial in Bezug auf ihre Rolle als Anstifterin und Anführerin des Kartells hätten liefern können. Abgesehen von dem horizontalen und vertikalen Charakter des Kartells, haben sie im Einzelnen nichts dargetan, was einen entsprechenden Anfangsbeweis darstellen könnte. Außerdem ist es bei einem Kartell, wie die Kommission geltend macht, recht unwahrscheinlich, dass ein Unternehmen Beweismaterial liefert, das die Rolle eines anderen im Kartell herunterspielt, auch wenn im vorliegenden Fall die Tatsache, dass das Kartell von zwei Gruppen mit potenziell teilweise gegensätzlichen Interessen, den großen Straßenbauunternehmen und den Lieferanten, organisiert worden ist, erklärt, dass jede Seite die Tendenz hatte, ihre Rolle zu Lasten der der anderen herunterzuspielen. Jedenfalls kann allein die Tatsache, dass andere Unternehmen in ihren Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die Rolle der Lieferanten zu Lasten der großen Straßenbauunternehmen hätten herunterspielen können, die Klägerinnen nach der Rechtsprechung nicht entlasten (Urteil Jungbunzlauer/Kommission, oben in Randnr. 86 angeführt, Randnrn. 353 bis 356). Die Klägerinnen haben also keinen Anfangsbeweis für die Nützlichkeit einer etwaigen Übermittlung der Antworten der anderen Unternehmen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte erbracht.

94      Nach alledem hat die Kommission es zu Recht abgelehnt, den Klägerinnen sämtliche Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte mitzuteilen, und die Offenlegung der Antwort von KWS zu Recht auf bestimmte Passagen beschränkt. Der zweite Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

3.     Zum dritten Klagegrund: Fehler bei der Tatsachenfeststellung und ‑würdigung und Rechtsfehler bei der Ermittlung des Grundbetrags der Geldbuße und bei der Bestimmung der Dauer der Zuwiderhandlung

 Zur Schwere der Zuwiderhandlung

 Vorbringen der Parteien

95      Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe, als sie die Unternehmen in Kategorien eingeteilt habe, um ihrer wirtschaftlichen Fähigkeit zur erheblichen Schädigung des Wettbewerbs Rechnung zu tragen, dadurch Fehler bei der Tatsachenfeststellung und ‑würdigung und Rechtsfehler begangen, dass sie bei der Bestimmung des Umsatzes des Unternehmens Shell mit Straßenbaubitumen in den Niederlanden den Umsatz mit Mexphalte C zu Unrecht einbezogen habe, jedenfalls habe sie die angefochtene Entscheidung insoweit nicht hinreichend begründet. Sie beantragen daher, ihre Geldbuße herabzusetzen, indem bei der Berechnung die Umsätze mit Mexphalte C unberücksichtigt gelassen werden; es verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit, dass der Grundbetrag ihrer Geldbuße höher sei als der von Kuwait Petroleum, obwohl ihr Marktanteil niedriger gewesen sei als der dieses Unternehmens.

96      Die Kommission habe den Umsatz mit Spezialbitumenerzeugnissen, die beim Straßenbau Verwendung fänden, nämlich nur deshalb – zu Recht – berücksichtigen können, weil deren Preis unmittelbar an den allgemeinen Marktpreis der Standardstraßenbaubitumengrade gekoppelt sei, erhöht um einen Zuschlag. Hingegen hätte die Kommission den Umsatz mit Mexphalte C nicht einbeziehen dürfen; dieses Erzeugnis bestehe nämlich nicht aus Bitumen, sein Preis sei nicht an den von Standardstraßenbaubitumen gekoppelt und es werde, da die beiden Erzeugnisse nicht substituierbar seien, auf einem anderen Markt verkauft als dem für Standardstraßenbaubitumen. Diese Behauptungen beruhten u. a. auf einer Erklärung des Mitglieds des Verwaltungsrats von SNV vom 30. November 2006 und auf einer vergleichenden Tabelle mit den Änderungen der Preise von Standardstraßenbaubitumen und Mexphalte C von 1995–2002.

97      Die Klägerinnen rügen ferner, dass die Kommission in der angefochtenen Entscheidung nicht erläutert habe, warum die Umsätze mit Mexphalte C berücksichtigt worden seien, obwohl sie am 23. Mai 2006 in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen der Kommission vom 8. Mai 2006 angegeben hätten, dass Mexphalte C mit der Zuwiderhandlung überhaupt nichts zu tun habe. Außerdem habe die Kommission im Verwaltungsverfahren zu keinem Zeitpunkt die Absicht geäußert, die Umsätze mit Mexphalte C bei der Berechnung der Geldbuße zu berücksichtigen, und dieses Erzeugnis in der Mitteilung der Beschwerdepunkte an keiner Stelle erwähnt. Einem Schriftstück der Verwaltungsakte zufolge handele es sich bei Mexphalte C aber um ein synthetisches Agglomerat, das für die Herstellung von farbigem Asphalt verwendet werden könne, und nicht um synthetisches Bitumen.

98      Die Kommission tritt dem gesamten Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

 Würdigung durch das Gericht

99      In der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 18. Oktober 2004 (Randnrn. 1 bis 6 der angefochtenen Entscheidung) hat die Kommission ausgeführt, dass Gegenstand des Verfahrens im Straßenbau und für vergleichbare Zwecke (z. B. Runways) verwendetes Bitumen sei; hierzu zählten Bitumen unterschiedlicher Härte, die verschiedene Verwendungen ermöglichten, und unterschiedlichen Grades, u. a. Spezialbitumen, mit denen sich bessere Eigenschaften erzielen ließen, die jedoch aus Standardstraßenbaubitumen hergestellt würden und deren Preis somit von dessen Preis abhänge. Nur zwei Gesellschaften, die BAM NBM Wegenbouw BV und die Hollandsche Beton Groep (im Folgenden: HBG), haben sich in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte dagegen gewandt, dass außer Standardstraßenbaubitumen andere im Straßenbau verwendete Bitumenerzeugnisse einbezogen werden. Hingegen haben sich die Klägerinnen in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte zu diesem Punkt nicht geäußert.

100    Am 8. Mai 2006 versandte die Kommission ein Auskunftsverlangen an SNV, SPNV und Royal Dutch Shell, um Auskunft über deren Umsatz mit Straßenbaubitumen einschließlich aller Spezialbitumenerzeugnisse zu erhalten. Am 23. Mai 2006 teilten diese drei Gesellschaften ihren Umsatz mit, wobei sie Mexphalte C einbezogen, das ihrer Auffassung nach das einzige Spezialbitumenerzeugnis ist, das mit dem Straßenbau in Verbindung gebracht werden könne; sie stellten jedoch klar, dass dieses Erzeugnis nicht Gegenstand des Kartells gewesen sei. In der angefochtenen Entscheidung (Randnrn. 4 bis 6) hat die Kommission an der in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgenommenen Analyse festgehalten; sie hat ausgeführt, die Preise der anderen Bitumenerzeugnisse, die im Straßenbau verwendet würden, seien unmittelbar an den allgemeinen Marktpreis der Standardstraßenbaubitumengrade gekoppelt. Sie hat sich dabei auf die Aussagen von zwei Gesellschaften, BP und ExxonMobil, eines von der Kommission nicht mit Sanktionen belegten Bitumenlieferanten, und auf bei Nachprüfungen, insbesondere bei KWS und SNV, beschlagnahmte Unterlagen gestützt.

101    Die Kommission führt in ihrer Klagebeantwortung aus, sie habe sich bei der Feststellung, dass Mexphalte C zu den Bitumenerzeugnissen zähle, die Gegenstand des Kartells gewesen seien, auf mehrere Beweismittel gestützt. In mehreren Schriftstücken von SNV werde Mexphalte C in der Bitumenpreisliste unter der Rubrik „transparentes Bitumen, das mit Pigmenten versehen werden kann“ aufgeführt; außerdem habe SNV in ihrem Schreiben an die Kommission vom 23. Mai 2006 angegeben, dass das einzige Spezialbitumen, das mit Straßenbaubitumen in Verbindung gebracht werden könne, Mexphalte C sei, und ihren Umsatz 2001 „Verkäufe von Straßenbaubitumen im Einzelverkauf insgesamt, einschließlich Mexphalte C“ mit 12 113 015 Euro beziffert; in einem in der Verwaltungsakte enthaltenen Schriftstück von Shell mit technischen Informationen über Mexphalte C werde dieses Erzeugnis als synthetisches Bitumen, dem Pigmente zugegeben werden könnten, beschrieben; aus einem anderen Schriftstück der Verwaltungsakte gehe hervor, dass der Preisliste für Straßenbaubitumenerzeugnisse, die 2001 von SNV an ihre Kunden versandt worden sei, ein Standardschreiben beigefügt gewesen sei, in dem es heiße, dass die Änderungen der Preise der in dieser Liste aufgeführten Erzeugnisse, u. a. Mexphalte C, auf die Preisentwicklung auf dem Erdölmarkt zurückzuführen seien.

102    Die Klägerinnen haben erstmals vor dem Gericht zwei Schriftstücke vorgelegt, die beweisen sollen, dass die Kommission den Umsatz mit Mexphalte C bei der Bestimmung des Umsatzes von Shell mit Straßenbaubitumen in den Niederlanden nicht hätte berücksichtigen dürfen. Das erste Schriftstück enthält eine Tabelle, in der die Entwicklung der Preise von Normstraßenbaubitumen und Mexphalte C im Zeitraum 1995–2002 gegenübergestellt werden, und Schreiben von SNV aus dieser Zeit, mit denen ihren Kunden mitgeteilt wird, dass diese Preiserhöhungen auf die Entwicklung der Rohstoffpreise zurückzuführen seien. Bei dem zweiten Schriftstück handelt es sich um eine Aussage des Mitglieds des Verwaltungsrats von SNV vom 30. November 2006: Mexphalte C werde nicht aus Bitumen hergestellt; die Entwicklung des Preises dieses Erzeugnisses werde nur in geringem Maße durch den Erdölpreis beeinflusst; der Markt, auf dem dieses Erzeugnis verkauft werde, sei ein anderer als der Straßenbaubitumenmarkt; und SNV sei einziger Lieferant eines solchen Erzeugnisses in den Niederlanden.

103    Auch wenn sich die Klägerinnen zu diesem Punkt nicht klar geäußert haben, ist im vorliegenden Fall ihr Vorbringen nach Auffassung des Gerichts zum einen im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle und zum anderen im Rahmen der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung gemäß Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 zu prüfen.

–       Prüfung des Vorbringens der Klägerinnen im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle

104    Nach ständiger Rechtsprechung ist die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Akts im Rahmen einer Aufhebungsklage an dem Sachverhalt und der Rechtslage zu messen, die zur Zeit des Erlasses des Akts bestanden; insbesondere ist sie anhand der Informationen zu beurteilen, über die das Organ bei Erlass der Entscheidung verfügen konnte (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Februar 1979, Frankreich/Kommission, 15/76 und 16/76, Slg. 1979, 321, Randnr. 7). Niemand kann sich somit vor dem Unionsrichter zum Nachweis der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Rechtsakts auf Tatsachen berufen, die, da sie im Verwaltungsverfahren nicht vorgetragen worden waren, bei Erlass dieses Rechtsakts nicht berücksichtigt werden konnten (vgl. in diesem Sinne Urteil Frankreich/Kommission, Randnr. 7; Urteile des Gerichts vom 11. Juli 2007, Centeno Mediavilla u. a./Kommission, T‑58/05, Slg. 2007, II‑2523, Randnr. 151, und vom 25. Juni 2008, Olympiaki Aeroporia Ypiresies/Kommission, T‑268/06, Slg. 2008, II‑1091, Randnr. 55). Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten, dass die Kommission bei Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht über die oben in Randnr. 102 angeführten Schriftstücke verfügte, die von den Klägerinnen, wie in dieser Randnummer ausgeführt, erstmals vor dem Gericht vorgelegt worden sind.

105    Soweit mit dem vorliegenden Klagegrund die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung begehrt wird, hat seine Prüfung also ohne Berücksichtigung dieser Schriftstücke zu erfolgen.

106    Im Rahmen dieser Prüfung ist festzustellen, dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte eindeutig angegeben hatte, dass sie davon ausgehe, dass Gegenstand des Kartells sämtliche Bitumenerzeugnisse seien, die im Straßenbau und für vergleichbare Zwecke verwendet würden, auch Spezialbitumenerzeugnisse, nicht aber Bitumenerzeugnisse für industrielle Zwecke. Anders als andere Unternehmen haben sich die Klägerinnen in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte zu diesem Punkt aber nicht geäußert. Außerdem haben sie, als sie von der Kommission gebeten wurden, ihren Umsatz mitzuteilen, am 23. Mai 2006 den Umsatz einschließlich des Umsatzes mit Mexphalte C angegeben, wobei sie darauf hingewiesen haben, dass dieses Erzeugnis zwar als solches nicht Gegenstand des Kartells gewesen sei, aber das „einzige Spezialbitumen, das mit dem Straßenbau in Verbindung gebracht werden kann“.

107    Wie oben in Randnr. 100 ausgeführt, hat sich die Kommission in der angefochtenen Entscheidung bei der Einbeziehung aller Spezialstraßenbaubitumenerzeugnisse in den relevanten Markt auf Schriftstücke von BP, ExxonMobil, KWS und SNV gestützt, aus denen hervorgeht, dass sich die Preislisten, die den Kunden übersandt wurden, auf alle Bitumenerzeugnisse erstreckten, auch die Spezialerzeugnisse, und dass etwaige Preiserhöhungen ebenfalls alle diese Erzeugnisse betrafen. Somit hat die Kommission auf der Grundlage der Informationen, über die sie bei Erlass der angefochtenen Entscheidung verfügte, zu Recht angenommen, dass bei der Berechnung des Umsatzes von Shell mit Straßenbaubitumenerzeugnissen in den Niederlanden die Umsätze mit Mexphalte C zu berücksichtigen sind.

108    Was im Übrigen die Kontrolle der Einhaltung der Begründungspflicht angeht, muss die in Art. 253 EG vorgeschriebene Begründung nach ständiger Rechtsprechung die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 253 EG genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet zu beurteilen ist (vgl. Urteil des Gerichts vom 9. Juli 2003, Cheil Jedang/Kommission, T‑220/00, Slg. 2003, II‑2473, Randnr. 216 und die dort angeführte Rechtsprechung).

109    Was den Umfang der Begründungspflicht in Bezug auf die Berechnung der Höhe einer wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln verhängten Geldbuße anbelangt, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass dieser Pflicht in diesem Zusammenhang eine ganz besondere Bedeutung zukommt und dass die Kommission ihre Entscheidung begründen und u. a. darlegen muss, wie sie die berücksichtigten Faktoren gewichtet und bewertet hat (Urteil des Gerichtshofs vom 8. Dezember 2011, Chalkor/Kommission, C‑386/10 P, Slg. 2011, I‑13085, Randnr. 61). Diese Pflicht ist nach Maßgabe von Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 zu bestimmen, nach dem „[b]ei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße … sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen [ist]“. Insoweit enthalten die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS‑Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen) und die Mitteilung über Zusammenarbeit Regeln über die Beurteilungskriterien, die von der Kommission herangezogen werden, um die Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung zu bemessen (Urteil Cheil Jedang/Kommission, oben in Randnr. 108 angeführt, Randnr. 217). Unter diesen Umständen sind die Anforderungen an das wesentliche Formerfordernis, um das es sich bei der Begründungspflicht handelt, erfüllt, wenn die Kommission in ihrer Entscheidung die Beurteilungskriterien angibt, die sie in Anwendung der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen und gegebenenfalls der Mitteilung über Zusammenarbeit herangezogen hat und die es ihr ermöglicht haben, für die Berechnung der Höhe der Geldbuße Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung zu bemessen (Urteil Cheil Jedang/Kommission, oben in Randnr. 108 angeführt, Randnr. 218).

110    Der Unionsrichter hat ferner entschieden, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Begründungspflicht insbesondere zu berücksichtigen ist, dass die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten. Außerdem verfügt die Kommission bei der Festlegung der Höhe der einzelnen Geldbußen über ein Ermessen und ist nicht verpflichtet, insoweit eine genaue mathematische Formel anzuwenden. Wenn sie in einer Entscheidung eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln feststellt und gegen die daran beteiligten Unternehmen Geldbußen verhängt und wenn sie systematisch bestimmte Grundelemente bei der Festlegung der Höhe der Geldbußen heranzieht, muss die Kommission diese Elemente in der Entscheidung selbst angeben, um es deren Adressaten zu ermöglichen, die Richtigkeit der Höhe der Geldbuße zu überprüfen und festzustellen, ob eine Diskriminierung vorliegt (Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998, Buchmann/Kommission, T‑295/94, Slg. 1998, II‑813, Randnrn. 162 bis 164, 171 und 173).

111    Schließlich hat der Unionsrichter entschieden, dass die Tatsache, dass später – bei einer Pressekonferenz oder im Laufe des gerichtlichen Verfahrens – genauere Informationen als diese Beurteilungskriterien wie die Umsätze der Unternehmen oder der Umfang der Herabsetzung der Geldbußen durch die Kommission bekannt gegeben wurden, nicht in Frage stellen kann, dass die Begründung der Entscheidung ausreichend ist. Nähere Angaben des Autors einer angefochtenen Entscheidung, die eine für sich bereits ausreichende Begründung ergänzen, fallen nämlich nicht unter die eigentliche Begründungspflicht, auch wenn sie für die innere Kontrolle der Entscheidungsgründe durch den Unionsrichter nützlich sein können, da das Organ so die seiner Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen erläutern kann (Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2000, KNP BT/Kommission, C‑248/98 P, Slg. 2000, I‑9641, Randnrn. 41, 42 und 44).

112    Nach Maßgabe dieser Rechtsprechung hat die Kommission die angefochtene Entscheidung ausreichend begründet.

113    Die Kommission hat in der angefochtenen Entscheidung nämlich eine ganze Reihe von Beurteilungskriterien angegeben, die es ermöglichen, die Schwere der Zuwiderhandlung zu bemessen. Sie hat die Art der Zuwiderhandlung berücksichtigt, dargelegt, warum sie die konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt nicht bemessen konnte, sie hat die Größe des relevanten räumlichen Marktes bestimmt, die betroffenen Unternehmen nach ihren Marktanteilen im Jahr 2001, dem letzten vollen Jahr der Zuwiderhandlung, in mehrere Kategorien eingeteilt und schließlich, um eine ausreichend abschreckende Wirkung der Geldbuße zu gewährleisten, den letzten weltweiten Umsatz dieser Unternehmen berücksichtigt (Randnrn. 310 bis 325 der angefochtenen Entscheidung). Außerdem führt die Kommission in Randnr. 319 der angefochtenen Entscheidung aus, dass sie bei der Ermittlung der Marktanteile auf den Umsatz mit Straßenbaubitumen im Jahr 2001 (oder die Käufe von Straßenbaubitumen für die Straußenbauunternehmen) abgestellt habe. In den Randnrn. 4 bis 6 der angefochtenen Entscheidung heißt es aber, dass unter „Straßenbaubitumen“ das Bitumen zu verstehen sei, das im Straßenbau oder für ähnliche Zwecke verwendet werde, d. h. Bitumen unterschiedlicher Härten, die verschiedene Verwendungen ermöglichen, und Bitumen unterschiedlicher Grade, u. a. Spezialbitumen. Die Kommission ist insbesondere auf die Einwände zweier Unternehmen eingegangen, die darauf abzielten, Spezialbitumenerzeugnisse auszunehmen; sie hat sich dabei auf Schriftstücke mehrerer Gesellschaften gestützt (BP, ExxonMobil, KWS und SNV), aus denen hervorgeht, dass sich Änderungen des Preises von Standardstraßenbaubitumen auf die Preise der anderen in diesem Sektor verwendeten Bitumenerzeugnisse ausgewirkt haben. Nach der angefochtenen Entscheidung (Randnr. 6 und Fn. 11) zählten zu diesen Schriftstücken auch diejenigen, die bei den Nachprüfungen in den Räumlichkeiten von SNV beschlagnahmt worden sind. Jedenfalls darf die Kommission nach der oben in Randnr. 111 angeführten Rechtsprechung im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nähere Angaben zur Begründung ihrer Entscheidung machen, die für die innere Kontrolle der Entscheidungsgründe durch den Unionsrichter nützlich sein können, da das Organ so die seiner Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen erläutern kann. Im vorliegenden Fall hat die Kommission auf diese Weise in ihrer Klagebeantwortung nähere Angaben zu bestimmten speziellen Umständen gemacht, auf die sie sich gestützt hat, um Mexphalte C zu den Bitumenerzeugnissen zu zählen, die Gegenstand des Kartells waren (vgl. oben, Randnr. 101).

114    Schließlich haben die Klägerinnen in ihrer Erwiderung gerügt, die Kommission habe dadurch gegen den Gleichheitssatz verstoßen, dass sie nicht den Nachweis erbracht habe, dass sie den Umsatz mit Mexphalte C auch bei der Berechnung des Marktanteils von KWS einbezogen habe. Hierzu ist allerdings festzustellen, dass die Kommission in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, dass relevantes Erzeugnis bei allen Teilnehmern des Kartells im Straßenbau und für vergleichbare Zwecke verwendetes Bitumen, einschließlich Spezialbitumen, sei (Randnrn. 4 bis 6 der angefochtenen Entscheidung) und dass sie zur Bestimmung der Marktanteile der einzelnen betroffenen Unternehmen von diesen Auskünften verlangt habe, anhand deren sie Tabellen mit dem Umsatz der einzelnen Unternehmen mit Straßenbaubitumen im Jahr 2001 in den Niederlanden habe erstellen können, und dass der Umsatz der Straßenbauunternehmen dem Umsatz der Lieferanten entsprochen habe (Randnrn. 29, 319 und 320 der angefochtenen Entscheidung). Da die Klägerinnen im Übrigen nicht dargetan haben, dass die Kommission bei der Bestimmung des Marktanteils von KWS von einer anderen Definition der von dem Kartell betroffenen Erzeugnisse ausgegangen wäre, ist die vorliegende Rüge als unbegründet zurückzuweisen.

115    Somit ist keines der von den Klägerinnen im Rahmen ihrer Nichtigkeitsklage geltend gemachten Argumenten in Bezug auf den Einschluss von Mexphalte C in die vom Kartell betroffenen Erzeugnisse geeignet, die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung zu rechtfertigen.

–       Prüfung des Vorbringens der Klägerinnen im Rahmen der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung

116    Die Rechtmäßigkeitskontrolle wird ergänzt durch die dem Unionsrichter früher durch Art. 17 der Verordnung Nr. 17, jetzt durch Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 gemäß Art. 261 AEUV eingeräumte Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung. Diese Befugnis ermächtigt den Richter über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Sanktion hinaus dazu, die Beurteilung der Kommission durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße oder das verhängte Zwangsgeld aufzuheben, herabzusetzen oder zu erhöhen. Die in den Verträgen vorgesehene Kontrolle bedeutet somit – im Einklang mit den Anforderungen des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gemäß Art. 47 der Charta der Grundrechte –, dass der Unionsrichter sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht eine Kontrolle vornimmt und befugt ist, die Beweise zu würdigen, die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären und die Höhe der Geldbußen zu ändern (Urteile des Gerichtshofs vom 8. Dezember 2011, KME Germany u. a./Kommission, C‑272/09 P, Slg. 2011, I‑12789, Randnrn. 103 und 106, Chalkor/Kommission, oben in Randnr. 109 angeführt, Randnrn. 63 und 67, und KME Germany u. a./Kommission, C‑389/10 P, Slg. 2011, I‑13125, Randnrn. 130 und 133). Im Übrigen gibt es keine unionsrechtliche Vorschrift, die den Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte im Rahmen von Art. 81 EG zwingt, die verschiedenen in dieser Mitteilung enthaltenen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte im Verwaltungsverfahren anzugreifen, um das Recht, dies später im Stadium des Gerichtsverfahrens zu tun, nicht zu verwirken (Urteil des Gerichtshofs vom 1. Juli 2010, Knauf Gips/Kommission, C‑407/08 P, Slg. 2010, I‑6371, Randnr. 89).

117    Es ist somit Sache des Gerichts, im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung zum Zeitpunkt des Erlasses seiner Entscheidung zu beurteilen, ob die gegen die Klägerinnen verhängte Geldbuße der Schwere der in Rede stehenden Zuwiderhandlung angemessen ist (Urteile des Gerichts vom 11. März 1999, Aristrain/Kommission, T‑156/94, Slg. 1999, II‑645, Randnrn. 584 bis 586, vom 27. September 2006, Roquette Frères/Kommission, T‑322/01, Slg. 2006, II‑3137, Randnrn. 51 bis 56 und 293 bis 315, und vom 7. Juni 2011, Arkema France u. a./Kommission, T‑217/06, Slg. 2011, II‑2593, Randnrn. 251 bis 253), insbesondere, ob die Kommission den Umsatz der Klägerinnen mit Straßenbaubitumen in den Niederlanden richtig bestimmt hat.

118    Allerdings ist die Kommission um der Erhaltung der praktischen Wirksamkeit von Art. 18 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 willen berechtigt, ein Unternehmen zu verpflichten, ihr alle erforderlichen Auskünfte über ihm eventuell bekannte Tatsachen zu erteilen und ihr erforderlichenfalls die in seinem Besitz befindlichen Schriftstücke, die sich hierauf beziehen, zu übermitteln; sie darf dem Unternehmen nur nicht die Verpflichtung auferlegen, Antworten zu erteilen, durch die es das Vorliegen einer Zuwiderhandlung eingestehen müsste, für die die Kommission den Beweis zu erbringen hat (Urteil des Gerichtshofs vom 18. Oktober 1989, Orkem/Kommission, 374/87, Slg. 1989, 3283, Randnrn. 34 und 35). Ein Unternehmen, an das die Kommission ein Auskunftsverlangen gemäß Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 richtet, ist somit zu aktiver Mitwirkung verpflichtet; macht es vorsätzlich oder fahrlässig unrichtige oder irreführende Angaben, kann gegen es eine besondere Geldbuße gemäß Art. 23 Abs. 1 dieser Verordnung festgesetzt werden, die bis zu 1 % des Gesamtumsatzes betragen kann. Folglich kann das Gericht im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung die Nichtmitwirkung eines Unternehmens gegebenenfalls berücksichtigen und die wegen eines Verstoßes gegen die Art. 81 EG oder 82 EG gegen es verhängte Geldbuße entsprechend erhöhen, unter der Bedingung, dass dieses Verhalten nicht bereits durch eine besondere Geldbuße gemäß Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 geahndet worden ist.

119    Das käme z. B. in Betracht, wenn ein Unternehmen es in seiner Antwort auf ein entsprechendes Auskunftsverlangen vorsätzlich oder fahrlässig unterließe, im Verwaltungsverfahren maßgebliche Beweismittel für die Festlegung des Betrags der Geldbuße vorzulegen, über die es zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung verfügte oder hätte verfügen können. Das Gericht ist im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung zwar nicht daran gehindert, solche Beweismittel zu berücksichtigen; das Unternehmen, das sie erst im Stadium des gerichtlichen Verfahrens mitteilt und somit den Zweck und den ordnungsgemäßen Ablauf des Verwaltungsverfahrens behindert, muss aber damit rechnen, dass dieser Umstand bei der Bemessung der Geldbuße durch das Gericht berücksichtigt wird.

120    Es ist somit als Erstes zu prüfen, ob die von den Klägerinnen im Stadium des gerichtlichen Verfahrens vorgebrachten Beweismittel für den Nachweis genügen, dass der Umsatz mit Mexphalte C bei der Berechnung der Höhe der Geldbuße nicht hätte berücksichtigt werden dürfen.

121    Das erste Schriftstück mit einer Tabelle, in der die Entwicklung der Preise von Standardstraßenbaubitumen und Mexphalte C im Zeitraum von 1995–2002 verglichen wird, und Schreiben von SNV aus dieser Zeit, mit denen den Kunden mitgeteilt wird, dass diese Preiserhöhungen auf die Entwicklung der Rohstoffpreise zurückzuführen seien, erlauben nur die Feststellung, dass die Erhöhungen des Preises von Mexphalte C hin und wieder mit denen des Standardstraßenbaubitumens zusammenfielen, auch wenn dies nicht stets der Fall war (Parallelität der Preisschwankungen im Mai und Juni 1999, Februar 2000 und April und September 2002), was möglicherweise auf geschäftspolitische Erwägungen zurückzuführen ist (z. B. hat SNV seinen Kunden auf dieses Erzeugnis am 27. Mai 1999 einen Sonderrabatt gewährt, um seine Verwendung zu fördern). In den Schreiben von SNV an ihre Kunden zu den Preiserhöhungen hieß es im Übrigen, dass diese auf die Entwicklung der Preise auf dem Erdölmarkt zurückzuführen seien.

122    Dem zweiten Schriftstück, der Erklärung des Mitglieds des Verwaltungsrats von SNV vom 30. November 2006, lässt sich lediglich entnehmen, dass Mexphalte C aus Harz, Schmierölextrakten und Polymeren hergestellt wird. Außerdem haben die Klägerinnen auf eine schriftliche Frage des Gerichts präzisiert, dass Mexphalte C vor allem aus zwei Stoffen bestehe, BFE und Nevchem 2338, die ihrerseits aus Rohöl gewonnen würden, und zwar in einem anderen Verfahren als Bitumen. Aus diesen Schriftstücken ergibt sich, dass Mexphalte C zwar in einem anderen Verfahren hergestellt wird als Bitumen und seine Bestandteile nicht aus Bitumen gewonnen werden; jedoch ist wie beim Bitumen Erdöl der Rohstoff für die Gewinnung seiner Bestandteile.

123    Im Übrigen haben die Klägerinnen nicht den Nachweis erbracht, dass es für Mexphalte C einen anderen Markt gäbe als denjenigen für Standardstraßenbaubitumen. Sie haben nämlich lediglich behauptet, dass Mexphalte C im Allgemeinen von Kommunen gekauft und nicht für Autobahnen verwendet werde. Sie haben jedoch nicht den Nachweis erbracht, dass die Entwicklung des Preises von Mexphalte C im Zeitraum der Zuwiderhandlung nicht von der Entwicklung des Preises von Standardstraßenbaubitumen abhängig gewesen wäre.

124    Die Klägerinnen haben vor dem Gericht mithin nicht den Nachweis erbracht, dass Mexphalte C nicht zu den Erzeugnissen gehört, die den Markt bilden, der Gegenstand des Kartells ist, obwohl es in mehreren Schriftstücken der Akte heißt, dass der Preis von Mexphalte C eng an den Preis von Standardstraßenbaubitumen gekoppelt gewesen sei. Somit ist es durch nichts gerechtfertigt, den Umsatz mit Mexphalte C von dem bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung zu berücksichtigenden Umsatz der Klägerinnen auszunehmen.

125    Als Zweites ist zu prüfen, ob die Klägerinnen dadurch gegen ihre Verpflichtung zur Mitwirkung im Verwaltungsverfahren verstoßen haben, dass sie die genannten Beweismittel erst im Stadium des Gerichtsverfahrens, und nicht bereits im Verwaltungsverfahren beigebracht haben.

126    Aus dem Schreiben der Klägerinnen an die Kommission vom 23. Mai 2006 geht hervor, dass sie ihren Umsatz einschließlich Mexphalte C angegeben haben, dem einzigen Spezialbitumen, das nach ihrer Auffassung mit dem Straßenbau in Verbindung gebracht werden kann, allerdings als solches nicht Gegenstand des Kartells gewesen sei. Zwar ist diese Formulierung nicht ganz eindeutig und die Klägerinnen haben keine Beweismittel für diese Behauptungen beigebracht; es ist aber unstreitig, dass sie der Kommission mitgeteilt haben, dass nach ihrer Auffassung der Umsatz mit Mexphalte C bei der Festsetzung ihrer Geldbuße nicht berücksichtigt werden dürfe. Da die Kommission an die Klägerinnen insoweit kein ergänzendes Auskunftsverlangen gerichtet hat, haben die Klägerinnen im vorliegenden Fall nicht dadurch gegen ihre Verpflichtung zu loyaler Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren verstoßen, dass sie die oben in den Randnrn. 121 und 122 genannten Schriftstücke nicht vorgelegt haben, obwohl sie im Verwaltungsverfahren hätten vorgelegt werden können.

127    Somit haben die Klägerinnen nicht gegen ihre Verpflichtung zur Mitwirkung gemäß Art. 18 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoßen.

128    Der erste Teil des dritten Klagegrundes ist somit zurückzuweisen.

 Zur Dauer der Zuwiderhandlung

 Vorbringen der Parteien

129    Die Klägerinnen machen geltend, der Kommission sei bei der Feststellung, dass die Zuwiderhandlung am 1. April 1994 begonnen habe, ein Fehler bei der Tatsachenfeststellung oder ‑würdigung unterlaufen. Diese Feststellung beruhe nur auf zwei internen Vermerken von HBG vom 28. März und 8. Juli 1994, aus denen sich jedoch nicht entnehmen lasse, dass zwischen den Lieferanten Preisabsprachen existiert hätten. Die Kontakte mit KWS, von denen in diesen beiden Vermerken die Rede sei, seien nämlich rein bilateral gewesen. Die Kommission habe in der angefochtenen Entscheidung selbst eingeräumt, dass sie für das Jahr 1995 über keine Beweise für wettbewerbswidrige Kontakte zwischen den Lieferanten verfüge. Das Kartell habe mit dem ersten wettbewerbswidrigen Treffen am 19. Februar 1996 begonnen. Jedenfalls müsse im Zweifel zu ihren Gunsten entschieden werden (Urteil des Gerichts vom 5. April 2006, Degussa/Kommission, T‑279/02, Slg. 2006, II‑897, Randnr. 115).

130    Die Kommission vertritt die Auffassung, ihr sei bei der Feststellung, dass die Zuwiderhandlung am 1. April 1994 begonnen und 1995 fortgedauert habe, kein Fehler bei der Tatsachenfeststellung oder ‑würdigung unterlaufen.

 Würdigung durch das Gericht

131    Im vorliegenden Fall hat die Kommission die Auffassung vertreten, die Klägerinnen hätten eine Zuwiderhandlung von langer Dauer begangen, weil diese länger als fünf Jahre gedauert habe; sie hat eine Gesamtdauer von acht Jahren angenommen, nämlich vom 1. April 1994 bis zum 15. April 2002, und den Ausgangsbetrag entsprechend um 80 % erhöht (Randnr. 326 der angefochtenen Entscheidung).

132    Aus der angefochtenen Entscheidung geht hervor, dass die Kommission für die Feststellung, dass das Kartell bereits 1994 begonnen habe, mehrere übereinstimmende Beweismittel herangezogen hat (Randnrn. 93 bis 99 und 175 bis 178 der angefochtenen Entscheidung).

133    Als Erstes hat sich die Kommission auf zwei interne Vermerke von HBG vom 28. März und 8. Juli 1994 gestützt, in denen davon berichtet wird, dass Shell angekündigt habe, den Preis für Bitumen vom 1. April 1994 bis zum 1. Januar 1995 festzulegen, mit einem Höchstrabatt für die W5 (und einem geringeren Rabatt für die kleinen Straßenbauunternehmen), und dass noch vor März 1994 Preisabsprachen zwischen den Mineralölunternehmen und den W5 existiert hätten. Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen ist in diesen beiden Vermerken nicht nur von rein bilateralen Kontakten zwischen Shell und KWS die Rede, sondern eindeutig davon, dass zwischen den Lieferanten und den W5 Absprachen existierten.

134    Als Zweites hat sich die Kommission auf die beiden internen Vermerke von SNV vom 6. und 9. Februar 1995 gestützt. In dem Vermerk vom 6. Februar 1995, in dem die historische Entwicklung des Straßenbaumarkts in den Niederlanden nachgezeichnet wird, ist u. a. von den „Ursprüngen des Kartells“ seit 1980 die Rede, von der Mitverantwortung sowohl der öffentlichen Auftraggeber als auch der Straßenbauunternehmen und Lieferanten für bestimmte Absprachen, vom Ende des Kartells in seiner ursprünglichen Form 1993 und davon, dass die Straßenbauunternehmen 1995 eine größere Preisstabilität gefordert hätten, damit Marktvolumen und ‑anteile wieder etwa das Niveau von 1993 erreichten. In dem Vermerk vom 9. Februar 1995 ist von dem Versuch von SNV die Rede, ihre Teilnahme an dem Kartell ab 1992 zu beenden, was allerdings nicht gelungen sei, und von Preisabsprachen zwischen den W5 und den Lieferanten zum Nachteil der öffentlichen Auftraggeber und der nicht zu den W5 zählenden Unternehmen. In diesem Vermerk werden die verschiedenen Optionen aufgezeigt, wie SNV sich aus dem genannten Kartell zurückziehen könnte, wobei gleichzeitig auf die mit einer solchen Entscheidung verbundenen Schwierigkeiten verwiesen wird. Auch bestätigt die Erklärung eines Mitarbeiters von Kuwait Petroleum vom 9. Oktober 2003, dass die Absprachen zwischen den Lieferanten und den großen Straßenbauunternehmen bereits existierten, als dieser Mitarbeiter im März und April 1994 in der Abteilung „Bitumen“ dieser Gesellschaft begann. Schließlich hat SNV in ihrer Unternehmenserklärung vom 10. Oktober 2003 selbst erklärt, dass die großen Straßenbauunternehmen nach 1993 einen anderen Weg gefunden hätten, um Unregelmäßigkeiten auf dem Straßenbaumarkt zu unterbinden; sie hätten Treffen mit den Lieferanten organisiert (Randnr. 91 der angefochtenen Entscheidung).

135    Als Drittes bestätigen mehrere von der Kommission beschlagnahmte Schriftstücke, dass das System der Rabatte und Sanktionen 1995 angewandt wurde. Die Kommission hat nämlich einen internen Vermerk von HBG vom 7. Juli 1995 beschlagnahmt, in dem es heißt, dass Kuwait Petroleum Nederland BV (im Folgenden: KPN) und die Wintershall AG HBG einen zusätzlichen Rabatt angeboten hätten, und einen internen Bericht von Wintershall vom 4. März 1996 über eine Unterredung mit Heijmans, in dem von dem Betrag des dieser Gesellschaft zustehenden Rabatts die Rede ist (Randnr. 98 der angefochtenen Entscheidung). In diesem Bericht führt Wintershall ferner aus, dass 1995 festgestellt worden sei, dass die Lieferanten den kleinen Straßenbauunternehmen Rabatte gewährt hätten, die diesen nicht zugestanden hätten (Randnr. 82 der angefochtenen Entscheidung).

136    Als Viertes geht auch aus der Antwort von KWS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 20. Mai 2005 hervor, dass die Absprachen zwischen den Lieferanten und den großen Straßenbauunternehmen seit 1993 existierten (Randnrn. 96 und 97 der angefochtenen Entscheidung).

137    Schließlich bestätigen als Fünftes die Anträge von drei Unternehmen auf Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit, dass die Absprachen spätestens seit dem 1. April 1994 existierten. Es handelt sich um die Erklärung von Kuwait Petroleum vom 9. Oktober 2003, die Antwort von Nynas vom 2. Oktober 2003 auf ein Auskunftsverlangen und die Erklärung von BP vom 12. Juli 2002.

138    Zum Jahr 1995 ist festzustellen, dass die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen nicht eingeräumt hat, dass sie über keine Beweise für wettbewerbswidrige Kontakte zwischen den Lieferanten verfüge, sondern lediglich, dass sie über keine Beweise für neue Absprachen im Jahr 1995 und dafür, dass die früheren Absprachen in diesem Jahr eingestellt worden wären, verfüge, und dass sie daraus gefolgert hat, dass die 1994 getroffenen Vereinbarungen bis in das Jahr 1995 wirksam gewesen seien (Randnrn. 98 und 99 der angefochtenen Entscheidung).

139    In Anbetracht aller dieser übereinstimmenden Beweismittel konnte die Kommission somit zu Recht davon ausgehen und hat rechtlich hinreichend nachgewiesen, dass die von den Klägerinnen begangene Zuwiderhandlung am 1. April 1994 begonnen hat. Mithin ist der dritte Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

4.     Zum vierten Rechtsmittelgrund: Fehler bei der Tatsachenfeststellung oder ‑würdigung und Rechtsfehler in Bezug auf die erschwerenden Umstände

140    Zunächst ist festzustellen, dass der Unionsrichter entschieden hat, dass bei der Prüfung der Rolle eines Unternehmens bei einer Zuwiderhandlung zwischen der Anführer- und der Anstifterrolle bei einem Verstoß zu unterscheiden ist, und zwei gesonderte Analysen durchzuführen sind, um zu prüfen, ob das Unternehmen eine dieser Rollen gespielt hat. Während die Anstifterrolle nämlich den Zeitpunkt der Errichtung oder Ausweitung eines Kartells betrifft, geht es bei der Anführerrolle um dessen Funktionsweise (Urteil des Gerichts vom 15. März 2006, BASF/Kommission, T‑15/02, Slg. 2006, II‑497, Randnr. 316).

 Zur Anstifterrolle von SNV

 Vorbringen der Parteien

141    Nach Auffassung der Klägerinnen hat die Kommission dadurch, dass sie SNV zusammen mit KWS als Anstifterinnen angesehen hat, Rechtsfehler und Fehler bei der Tatsachenfeststellung oder ‑würdigung begangen, die die vollständige oder teilweise Nichtigerklärung der Erhöhung der gegen sie festgesetzten Geldbuße um 50 % rechtfertigen.

142    Die Kommission weist darauf hin, dass der Unionsrichter zwischen Anstifter- und Anführerrolle unterscheide und dass das Gericht, falls es die Beweise für eine der beiden Rollen für nicht ausreichend erachten sollte, dennoch die Erhöhung der Geldbuße um 50 % aufrechterhalten könne (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnrn. 342 bis 349). Zur Einstufung von SNV als Anstifterin macht die Kommission geltend, sie habe sich zum einen auf die Tatsache gestützt, dass SNV KWS vorgeschlagen habe, den großen Straßenbauunternehmen einen Sonderrabatt zu gewähren, und somit eine Rolle bei der Errichtung des Kartells gespielt habe, und zum anderen auf die Tatsache, dass SNV versucht habe, ExxonMobil zu überreden, dem Kartell beizutreten. Die Kommission hat drei übereinstimmende Beweismittel herangezogen: eine Passage eines internen Berichts von Wintershall von 1992, zwei Punkte der Antwort von KWS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und schließlich zwei interne Vermerke von ExxonMobil von 1993. Die Kommission macht schließlich geltend, dass der Unionsrichter von ihr nicht verlange, dass sie bei der Einstufung eines Unternehmens als Anstifter über Beweismittel über die Errichtung oder die Planung der Einzelheiten des Kartells verfüge (Urteile des Gerichts vom 20. März 2002, HFB u. a./Kommission, T‑9/99, Slg. 2002, II‑1487, Randnr. 578, und BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnr. 321).

–       Zu dem KWS gemachten Angebot, den W5 Sonderrabatte zu gewähren

143    Die Klägerinnen vertreten die Auffassung, die Kommission habe sich zum Beweis der Tatsache, dass die Initiative für das Kartell von SNV ausgegangen sei, nur auf eine Aussage einer Mitarbeiterin von KWS gestützt, die mit der Antwort dieser Gesellschaft auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgelegt worden sei und in der es heiße, dass SNV erstmals 1993 vorgeschlagen habe, dass die Lieferanten den W5 Sonderrabatte gewährten. Nachdem SNV diese Aussage übermittelt worden sei, habe der für den Vertrieb von Bitumen zuständige Manager dieses Unternehmens jedoch am 22. November 2006 eine anderslautende eidesstattliche Erklärung abgegeben, in der es u. a. heiße, dass die Initiative für diese Sonderrabatte von den W5 ausgegangen sei, die bereits Sonderrabatte verlangt hätten, als er seine Stelle 1992 angetreten gehabt habe.

144    Die Kommission äußert zunächst Zweifel an der Zulässigkeit der Verwertung der genannten Aussage, die nach ihrer Auffassung kein gültiger Beweis sein kann. Die Klägerinnen machen geltend, der für den Vertrieb von Bitumen zuständige Manager von SNV sei von der Kommission nach dem Antrag von SNV auf Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit nicht angehört worden; die Kommission habe SNV nämlich mitgeteilt, dass diese Anhörung nur erforderlich sei, soweit diese Person ergänzende Informationen liefern könne, was nicht der Fall gewesen sei. So habe die Kommission es nicht für sachdienlich erachtet, den Mitarbeiter im Verwaltungsverfahren anzuhören, obwohl dieser bereit gewesen sei, Angaben zu machen.

145    Die Klägerinnen machen ferner geltend, die Erklärung von KWS sei wenig glaubwürdig; der für den Vertrieb von Bitumen zuständige Manager von SNV habe ihr widersprochen und sie werde durch kein anderes Beweismittel untermauert. Außerdem habe die Kommission dadurch, dass sie die Glaubwürdigkeit der Behauptungen von KWS nicht überprüft habe, ihr Recht auf ein faires Verfahren und eine unparteiische Untersuchung verletzt, und dadurch, dass sie angenommen habe, dass die genannte Erklärung von KWS beweise, dass SNV Anstifterin des Kartells gewesen sei, einen Rechtsfehler und Fehler bei der Tatsachenfeststellung oder ‑würdigung begangen und gegen ihre Begründungspflicht verstoßen.

146    Die Kommission macht geltend, aus ihren Akten gehe nicht hervor, dass die Initiative für das Kartell allein von KWS ausgegangen sei, und die Klägerinnen hätten nicht den Nachweis erbracht, dass SNV sich bemüht hätte, seine Teilnahme an früheren wettbewerbswidrigen Absprachen zu beenden. Vielmehr hätten beide Seiten ein wirtschaftliches Interesse an dem Funktionieren des Kartells gehabt, die Lieferanten auf der Seite des Angebots, die Straßenbauunternehmen auf der Seite der Nachfrage. Die Lieferanten hätten ein Interesse an dem Kartell gehabt, weil es ihnen die Erhöhung und die Stabilität der Preise garantiert und es ihnen ermöglicht habe, das Eintreten eines neuen Lieferanten in den Markt zu verhindern, der den Straßenbauunternehmen individuell niedrigere Preise hätte anbieten und auf diese Weise ihren Marktanteil hätte schmälern können.

147    Die Kommission führt aus, sie habe sich zum Beweis der Tatsache, dass SNV dadurch eine Anstifterrolle gespielt habe, dass sie KWS vorgeschlagen habe, den W5 einen Sonderrabatt zu gewähren, im Einklang mit der Rechtsprechung der Unionsgerichte auf mehrere Schriftstücke aus der Zeit des Kartells und danach gestützt, die die Angaben in der Antwort von KWS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte untermauert hätten (Urteil des Gerichts vom 26. April 2007, Bolloré/Kommission, T‑109/02, T‑118/02, T‑122/02, T‑125/02, T‑126/02, T‑128/02, T‑129/02, T‑132/02 und T‑136/02, Slg. 2007, II‑947, Randnr. 563). Sie habe den internen Bericht von Wintershall vom 20. Februar 1992 herangezogen, in dem von Kontakten zwischen SNV und KWS die Rede sei und davon, dass SNV damit betraut gewesen sei, Vorschläge für die künftige Zusammenarbeit zwischen den Lieferanten und den W5 zu machen, und einen internen Vermerk von HBG vom 28. März 1994 über die Mitteilung der vereinbarten Preise und Rabatte durch SNV.

148    Der Umstand, dass die Aussage von KWS durch weitere Beweismittel untermauert werde, erkläre auch die unterschiedliche Behandlung, die die Kommission ExxonMobil habe zuteilwerden lassen, als diese Gesellschaft durch andere Gesellschaften beschuldigt worden sei.

–       Zu den Versuchen, ExxonMobil zu überreden, dem Kartell beizutreten

149    Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission könne sich zum Beweis der Tatsache, dass SNV versucht habe, ExxonMobil dazu zu überreden, dem Kartell beizutreten, und somit eine Anstifterrolle gespielt habe, nicht allein auf die beiden internen Vermerke des letztgenannten Unternehmens stützen.

150    Nach Auffassung der Kommission genügen die beiden internen Vermerke von ExxonMobil für den Nachweis, dass SNV versucht hat, dieses Unternehmen dazu zu überreden dem Kartell beizutreten, und so eine Anstifterrolle gespielt hat. Die Kommission weist zunächst darauf hin, dass ein Unternehmen, das dem anderen die Zweckmäßigkeit einer Absprache dargelegt oder versucht hat, es von einer solchen Absprache zu überzeugen, nach der Rechtsprechung als Anstifter des Kartells eingestuft werden könne (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnr. 321). Es sei also rechtswidrig, wenn ein Geschäftspartner einen anderen Geschäftspartner über die Preise informiere, die er bei seinen Kunden anwenden wolle. Außerdem habe es sich nicht um einen Einzelfall gehandelt, da der für den Vertrieb von Bitumen zuständige Manager von SNV im März 1993 und im März 1994 mit ExxonMobil Kontakt aufgenommen habe, und der Umstand, angenommen, er wäre erwiesen, dass das Kartell noch nicht durchgeführt worden sei, sei für die Einstufung als Anstifter nicht erheblich. Was schließlich die Behauptung angehe, andere Lieferanten hätten mit ExxonMobil in Kontakt gestanden, so sei diese nicht hinreichend bewiesen.

 Würdigung durch das Gericht

151    Aus der angefochtenen Entscheidung geht hervor, dass die Kommission davon ausgegangen ist, dass SNV auf der Seite der Lieferanten und KWS auf der Seite der W5 wegen ihrer Anstifterrolle eine besondere Verantwortung getragen haben (Randnr. 342 der angefochtenen Entscheidung). Sie hat die Auffassung vertreten, dass zwei Elemente den Schluss zuließen, dass SNV im Kartell eine Anstifterrolle gespielt habe: Zum einen habe SNV KWS vorgeschlagen, den W5 einen Sonderrabatt zu gewähren, und somit eine Rolle bei der Errichtung des Kartells gespielt; zum anderen habe SNV versucht, ExxonMobil zu überreden, dem Kartell beizutreten. Die Kommission hat sich hierbei auf drei Beweismittel gestützt, die sie für übereinstimmend hält: eine Passage eines internen Berichts von Wintershall vom 18. Februar 1992, in dem es heißt, dass KWS diesem Unternehmen mitgeteilt habe, dass sie SNV angesprochen habe, um sie zu bitten, Vorschläge für die Zusammenarbeit zwischen den Lieferanten und den W5 zu machen, und dass SNV ihr 1993 so ein Angebot eines Sonderrabatts für die W5 unterbreitet habe; zwei Punkte der Antwort von KWS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, die bestätigten, dass die Initiative für das Kartell auf diese Weise von SNV ausgegangen sei; schließlich interne Vermerke von ExxonMobil über den Versuch von SNV, sie zu überreden, dem Kartell beizutreten.

–       Allgemeine Grundsätze zur Anstifterrolle

152    Ist eine Zuwiderhandlung von mehreren Unternehmen begangen worden, ist für die Bemessung der Geldbußen die relative Schwere des Tatbeitrags jedes einzelnen Unternehmens zu prüfen (Urteile des Gerichtshofs vom 16. Dezember 1975, Suiker Unie u. a./Kommission, 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Slg. 1975, 1663, Randnr. 623, und Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 36 angeführt, Randnr. 92), wobei insbesondere festzustellen ist, welche Rolle das Unternehmen bei der Zuwiderhandlung während der Dauer seiner Beteiligung an ihr gespielt hat (Urteil des Gerichtshofs vom 8. Juli 1999, Kommission/Anic Partecipazioni, C‑49/92 P, Slg. 1999, I‑4125, Randnr. 150, und Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991, Enichem Anic/Kommission, T‑6/89, Slg. 1991, II‑1623, Randnr. 264).

153    Daraus ergibt sich u. a., dass bei der Bemessung der Geldbuße die von einem oder mehreren Unternehmen im Rahmen eines Kartells eingenommene Rolle als Anstifter oder Anführer berücksichtigt werden muss, da Unternehmen, die eine solche Rolle spielen, im Vergleich zu den anderen Unternehmen eine besondere Verantwortung tragen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 14. Mai 1998, Mayr Melnhof/Kommission, T‑347/94, Slg. 1998, II‑1751, Randnr. 291, und vom 29. April 2004, Tokai Carbon u. a./Kommission, T‑236/01, T‑239/01, T‑244/01 bis T‑246/01, T‑251/01 und T‑252/01, Slg. 2004, II‑1181, „Tokai I“, Randnr. 301).

154    In Einklang mit diesen Grundsätzen wird in Nr. 2 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen unter der Überschrift „Erschwerende Umstände“ eine nicht abschließende Liste der Umstände aufgestellt, die eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße rechtfertigen; dazu gehört u. a. die „Rolle als Anführer oder Anstifter des Verstoßes“ (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnrn. 280 bis 282).

155    Um als Anstifter eines Kartells eingestuft zu werden, muss ein Unternehmen andere Unternehmen gedrängt oder ermuntert haben, das Kartell zu errichten oder ihm beizutreten. Dagegen genügt es nicht, dass das Unternehmen nur zu den Gründungsmitgliedern des Kartells gehörte. Diese Einstufung muss dem Unternehmen vorbehalten bleiben, das die Initiative ergriffen hat, indem es z. B. dem anderen die Zweckmäßigkeit einer Absprache dargelegt oder versucht hat, es von einer solchen Absprache zu überzeugen (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnr. 321). Der Unionsrichter verlangt von der Kommission aber nicht, dass sie über Beweismittel über Einzelheiten der Ausarbeitung oder Konzeption Kartells verfügt. Er hat schließlich präzisiert, dass die Anstifterrolle den Zeitpunkt der Errichtung oder Ausweitung eines Kartells betrifft (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnr. 316), so dass denkbar ist, dass in ein und demselben Kartell mehrere Unternehmen gleichzeitig eine Anstifterrolle spielen.

156    Im Übrigen ist die Kommission entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen grundsätzlich nicht daran gehindert, sich zum Beweis der Tatsache, dass ein Unternehmen in einem Kartell eine Anstifterrolle gespielt hat, nur auf ein Ereignis zu stützen, wenn dieses Beweismittel allein den sicheren Beweis erbringt, dass dieses Unternehmen andere Unternehmen gedrängt oder ermuntert hat, das Kartell zu errichten oder ihm beizutreten. Als Erstes ist nämlich festzustellen, dass die Kommission durch ihre frühere Entscheidungspraxis nicht gebunden ist; für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ihrer Entscheidungen in diesem Bereich sind allein die für sie verbindlichen Rechtsnormen maßgeblich, u. a. die Verordnungen Nrn. 1/2003 und 773/2004 und die Leitlinien, jeweils in ihrer Auslegung durch den Unionsrichter (vgl. oben, Randnr. 90). Als Zweites ist festzustellen, dass sich aus Randnr. 350 des Urteils BASF/Kommission (oben in Randnr. 140 angeführt) lediglich ergibt, dass ein Unternehmen seine Rolle als Anführer einer Zuwiderhandlung nicht dadurch herunterspielen kann, dass es sie einem anderen Unternehmen zuweist, wenn Letzteres ein einziges Mal die Initiative ergriffen hat, eine im Kartell beschlossene Preiserhöhung anzukündigen, wohingegen es selbst solche Erhöhungen unstreitig mehrmals angekündigt hat.

157    Jedenfalls geht aus der angefochtenen Entscheidung (Randnr. 342) hervor, dass sich die Kommission für die Feststellung, dass SNV in dem in Rede stehenden Kartell eine Anstifterrolle gespielt hat, nicht allein auf die Antwort von KWS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte gestützt hat, sondern auch eine Passage eines internen Berichts von Wintershall vom 18. Februar 1992 herangezogen hat, in dem es heißt, dass KWS diesem Unternehmen mitgeteilt habe, dass sie mit SNV Kontakt aufgenommen habe, um sie darum zu bitten, Vorschläge für die Zusammenarbeit zwischen den Lieferanten und den W5 zu machen, und dass SNV ihr so 1993 ein Angebot eines Sonderrabatts für die W5 gemacht habe, sowie auf interne Vermerke von ExxonMobil über den Versuch von SNV, sie dazu zu überreden, dem Kartell beizutreten.

158    Das Gericht hat nach den oben dargestellten Grundsätzen zu beurteilen, ob die Kommission hinreichend bewiesen hat, dass SNV in dem Kartell eine Anstifterrolle gespielt hat.

–       Zulässigkeit der von den Klägerinnen vorgelegten Zeugenaussage

159    Zunächst hat sich das Gericht zur Zulässigkeit der Verwertung der Erklärung des für den Vertrieb von Bitumen zuständigen Managers von SNV vom 22. November 2006 zu äußern, der behauptet, die Initiative für das Kartell sei allein von den W5 ausgegangen. Die Kommission macht nämlich geltend, nach dem Antrag von SNV vom 10. Oktober 2003 auf Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit, der eine Erklärung dieses Mitarbeiters enthalten habe, habe sie diesen anhören wollen, SNV habe sich dem aber widersetzt, und die Erklärung von 2006 stelle eine Umgehung des Verfahrens der Vernehmung von Zeugen gemäß der Verfahrensordnung dar und könne daher kein gültiges Beweismittel darstellen (Urteil des Gerichts vom 21. April 2004, M/Gerichtshof, T‑172/01, Slg. 2004, II‑1075, Randnr. 94).

160    Hierzu ist jedoch festzustellen, dass in diesem Urteil nur präzisiert wird, dass zu unterscheiden ist zwischen einer vom Gericht im Rahmen einer Vernehmung gemäß den Art. 68 bis 76 der Verfahrensordnung eingeholten Zeugenaussage und einer in einem anderen Rahmen eingeholten, die nur ein Beweisangebot darstellt. Im Übrigen kann das Gericht in nicht revisibler Weise beurteilen, welcher Wert den verschiedenen Sachverhaltselementen und Beweismitteln beizumessen ist, die ihm vorgelegt werden oder die es selbst beibringen kann (Beschluss des Gerichtshofs vom 29. Oktober 2004, Ripa di Meana/Parlament, C‑360/02 P, Slg. 2004, I‑10339, Randnr. 28). Keine Bestimmung verbietet es einem Kläger, vor dem Gericht ein Beweisangebot zu machen, das er im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nicht gemacht hat. Allerdings ist das Gericht gehalten, diesen Umstand im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Die in Rede stehende Aussage ist somit als zulässiges Beweismittel anzusehen.

161    Zur Beweiskraft der genannten Zeugenaussage, die von den Klägerinnen vorgelegt worden ist, ist festzustellen, dass für den Gerichtshof und für das Gericht der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt – mit den oben genannten Ausnahmen gemäß der Verfahrensordnung – und dass für die Würdigung der vorgelegten Beweise allein ihre Glaubhaftigkeit maßgeblich ist (Schlussanträge des zum Generalanwalt bestellten Richters Vesterdorf in der Rechtssache T‑1/89, Rhône-Poulenc/Kommission, Urteil vom 24. Oktober 1991, Slg. 1991, II‑867, II‑869). Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass zur Beurteilung des Beweiswerts eines Dokuments als Erstes die Wahrscheinlichkeit der darin enthaltenen Information zu untersuchen ist. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die Herkunft des Dokuments, die Umstände seiner Ausarbeitung und sein Adressat, und es ist die Frage zu beantworten, ob es seinem Inhalt nach vernünftig und glaubhaft erscheint (Urteil Zement, oben in Randnr. 77 angeführt, Randnr. 1838). Außerdem ist festzustellen, dass die Kommission im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zwar nicht die Möglichkeit hat, die Vernehmung von Personen als Zeugen unter Eid zu erzwingen, sie nach Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 aber die Erklärung einer jeden Person entgegennehmen kann, die der Befragung zustimmt.

162    Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten, dass die Kommission nach dem Antrag von SNV vom 10. Oktober 2003 auf Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit, der eine Erklärung ihres für den Vertrieb von Bitumen zuständigen Managers enthielt, bei SNV nachgefragt hat, ob diese Person über die in dieser Erklärung enthaltenen Informationen hinaus weitere Angaben machen könne, was SNV verneint hat, wobei sie darauf hingewiesen hat, dass die Kommission den Mitarbeiter anhören könne, wenn sie dies für erforderlich erachte. Zwar hat die Kommission dann in der Tat nicht darum gebeten, diese Person anhören zu können; der genannte Mitarbeiter von SNV hatte aber in seiner im Rahmen des Antrags von SNV auf Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit abgegebenen Erklärung vom 24. September 2003 angegeben, dass die W5 den Bruttopreis von SNV als Grundlage für die Berechnung von einheitlichen Preiserhöhungen auf dem gesamten Markt wissen wollten und dass er damit betraut gewesen sei, mit KWS in Kontakt zu treten, sobald ein Abstimmungstreffen über Bitumen erforderlich erscheine, obwohl er in seiner nach dem Erlass der angefochtenen Entscheidung abgegebenen Erklärung von 2006 bestreitet, die Einrichtung eines Systems von Sonderrabatten für die W5 vorgeschlagen und sich mit den anderen Lieferanten abgestimmt zu haben. Die Beweiskraft und somit die Glaubwürdigkeit der von den Klägerinnen vorgelegten Zeugenaussage werden durch diese Gesichtspunkte geschmälert.

–       Zu dem den W5 gewährten Sonderrabatt

163    Die Klägerinnen machen zunächst geltend, es sei widersinnig, anzunehmen, dass die Lieferanten an der Errichtung eines solchen Kartells ein Interesse gehabt hätten, was beweise, dass die Initiative für das Kartell allein von den Straßenbauunternehmen ausgegangen sei. Allein diese hätten Vergeltungsmaßnahmen gegen die Lieferanten, die die Absprachen nicht einhielten, getroffen.

164    Aus der angefochtenen Entscheidung (Randnrn. 146 bis 154) geht jedoch hervor, dass beide Seiten ein wirtschaftliches Interesse an dem Funktionieren des Kartells gehabt haben; auf der Seite des Angebots hatten die Lieferanten den Vorteil, dass die Erhöhung ihrer Verkaufspreise (die selbst nach Abzug des den W5 gewährten Rabatts höher waren als in den Nachbarländern) und deren Stabilität gewährleistet und gleichzeitig der Eintritt eines neuen Lieferanten in den Markt verhindert wurde, der den Straßenbauunternehmen individuell niedriger Preise hätte anbieten können. Im Übrigen kann das Vorbringen zum Fehlen eines Interesses der Lieferanten, den W5 einen Vorzugsrabatt zu gewähren, zurückgewiesen werden, weil, wie die Kommission zu Recht in der angefochtenen Entscheidung (Randnr. 149) ausgeführt hat, die von den Lieferanten vorgeschlagenen Erhöhungen der Bruttopreise von den großen Straßenbauunternehmen nur unter der Bedingung akzeptiert worden sind, dass den W5 gleichzeitig ein höherer Rabatt gewährt wird.

165    Die Klägerinnen machen außerdem geltend, SNV könne nicht als Anstifterin des Kartells angesehen werden, wo dieses Unternehmen doch 1993 selbst versucht habe, das Kartell zu beenden. Diese Tatsache ist jedoch nicht hinreichend erwiesen. In dem internen Vermerk vom 6. Februar 1995, auf den sich die Klägerinnen berufen, ist nämlich nur von einem Versuch von SNV die Rede, das Kartell auf Verkäuferseite 1993 zu beenden, der aber offensichtlich nicht gelungen ist, und außerdem davon, dass die Initiative für genau dieses Kartell (und nicht für seine Beendigung) auf der Seite des Angebots von SNV und ExxonMobil ausgegangen sei.

166    Die Klägerinnen machen im Übrigen geltend, die Kommission habe sich zum Beweis der Tatsache, dass SNV Vorschläge für einen Sonderrabatt für die W5 gemacht habe, ausschließlich auf die Antwort von KWS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte gestützt und die Zeugenaussage des Mitarbeiters von KWS in diesem Schriftstück habe nur eine sehr eingeschränkte Beweiskraft gehabt; sie sei nämlich im Rahmen der Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgelegt worden, in der KWS als einziger Initiator des Kartells hingestellt werde, und mit ihr habe somit lediglich die Anstifterrolle einem anderen Unternehmen zugeschoben werden sollen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass die genannte Zeugenaussage zwölf Jahre nach den streitigen Ereignissen gemacht worden sei und dass die Antwort von KWS allgemein wenig glaubwürdig sei, da sie zahlreiche Ungenauigkeiten enthalte. Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen ist allerdings festzustellen, dass sich die Kommission zum Beweis der Tatsache, dass SNV Vorschläge für Sonderrabatte für die W5 gemacht hat, nicht allein auf dieses Schriftstück gestützt hat. Der Randnr. 342 der angefochtenen Entscheidung zufolge hat sich die Kommission bei der Feststellung, dass SNV auf der Seite der Lieferanten bei dem Kartell eine Anstifterrolle gespielt hat, auf fünf Schriftstücke gestützt: den internen Vermerk von Wintershall, die Antwort von KWS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, den internen Vermerk von HBG vom 28. März 1994 (durch Verweis auf Randnr. 175 der angefochtenen Entscheidung) und zwei Schriftstücke von ExxonMobil, die die Versuche von SNV betreffen, sie dazu zu überreden, dem Kartell beizutreten.

167    Aus einigen dieser Beweismittel geht hervor, dass SNV Vorschläge für Sonderrabatte für die W5 gemacht hat. Die Kommission hat zum einen den internen Bericht von Wintershall vom 18. Februar 1992 berücksichtigt, der im Anschluss an einen Besuch von KWS verfasst worden ist und in dem von Kontakten zwischen SNV und diesem Unternehmen die Rede ist und davon, dass SNV als „marketleader“ damit betraut gewesen sei, Vorschläge für eine Zusammenarbeit zwischen den Lieferanten und den W5 zu machen, die einem Einkaufsmonopol entsprochen hätten. Zum anderen hat sie den internen Vermerk von HBG vom 28. März 1994 herangezogen, in dem es heißt, dass SNV den anderen Lieferanten die Bitumenpreise und die mit den W5 vereinbarten Rabatte mitgeteilt habe. Das erste der genannten Schriftstücke bestätigt zwar die Passage in der Antwort von KWS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, in der dieses Unternehmen behauptet, SNV habe Vorschläge für Sonderrabatte für die W5 gemacht; aus dem zweiten geht aber nur hervor, dass SNV mit den W5 verhandelt und HBG das Ergebnis dieser Verhandlungen mitgeteilt hat. Diese Beweismittel genügen somit allein nicht für den Nachweis, dass die Initiative für die Gewährung eines Zusatzrabatts an die W5 von SNV ausgegangen wäre. Es bleibt nämlich zweifelhaft, ob diese Initiative spontan von SNV ausgegangen ist oder ob SNV auf die Bitte von KWS gehandelt hat, wie der Vermerk von Wintershall von 1992 vermuten lässt.

168    Die Klägerinnen machen im Übrigen geltend, die Kommission habe diesen Auszug aus der Antwort von KWS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, aus dem sich lediglich entnehmen lasse, dass SNV die Rolle eines Wortführers der Lieferanten gespielt habe, nicht richtig ausgelegt und dadurch einen Rechtsfehler und einen Fehler bei der Tatsachenfeststellung oder ‑würdigung begangen und die angefochtene Entscheidung insofern nicht ausreichend begründet. Hierzu ist jedoch festzustellen, dass KWS in diesem Schriftstück eindeutig erklärt, dass SNV ihr 1993 durch einen ihrer Mitarbeiter im Namen der Lieferanten einen Preisvorschlag und erstmals einen Vorschlag eines Sonderrabatts für die W5 unterbreitet hat.

169    Die Klägerinnen machen schließlich geltend, die Kommission habe ihr Recht auf ein faires Verfahren und eine unparteiische Untersuchung verletzt; nach der Erklärung ihres Mitarbeiters vom 12. Juni 2006, mit der die Aussagen von KWS in Zweifel gezogen worden seien, hätte sie nämlich deren Glaubwürdigkeit überprüfen müssen, so wie sie es getan habe, als die Erklärungen von Kuwait Petroleum und Nynas über die Beteiligung von ExxonMobil an dem Kartell bei der Anhörung durch andere Unternehmen in Frage gestellt worden seien.

170    Vorab ist darauf hinzuweisen, dass zu den Garantien, die das Unionsrecht für Verwaltungsverfahren vorsieht, u. a. der in Art. 41 der Charta der Grundrechte verankerte Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung gehört, der die Verpflichtung des zuständigen Organs umfasst, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen (Urteil Atlantic Container Line u. a./Kommission, oben in Randnr. 83 angeführt, Randnr. 404).

171    Allerdings verpflichtet weder die Verordnung Nr. 1/2003 noch die Verordnung Nr. 773/2004 noch sonst ein Rechtsakt die Kommission, neue Anhörungen durchzuführen oder neue Auskunftsverlangen zu versenden, wenn im Verwaltungsverfahren die Behauptungen eines Unternehmens durch die eines anderen in Zweifel gezogen werden. Die einzige Verpflichtung, der die Kommission unterliegt, ist die Wahrung der Verteidigungsrechte während des Verfahrens, wie durch Art. 27 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 in Erinnerung gerufen wird. Der Unionsrichter hat bereits entschieden, dass die Kommission einen Ermessensspielraum bei der Entscheidung darüber hat, ob eine Anhörung der Personen, deren Aussage für die Ermittlung des Sachverhalts wichtig sein kann, möglicherweise von Interesse ist (Urteil des Gerichtshofs vom 17. Januar 1984, VBVB und VBBB/Kommission, 43/82 und 63/82, Slg. 1984, 19, Randnr. 18; Urteile des Gerichts vom 28. Februar 2002, Compagnie générale maritime u. a./Kommission, T‑86/95, Slg. 2002, II‑1011, Randnr. 468, und HFB u. a./Kommission, oben in Randnr. 142 angeführt, Randnr. 383), da der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verlangt, dass die Kommission von den Betroffenen benannte Zeugen anhört, wenn sie den Sachverhalt für hinreichend geklärt hält (Urteil des Gerichtshofs vom 16. Mai 1984, Eisen und Metall/Kommission, 9/83, Slg. 1984, 2071, Randnr. 32, und Urteil HFB u. a./Kommission, oben in Randnr. 142 angeführt, Randnr. 383). Außerdem verfügt die Kommission, wenn die Rechtsvorschriften und ihre eigenen Mitteilungen es ihr ermöglichen, unter den theoretisch relevanten Arten von Anhaltspunkten oder Beurteilungsgrundlagen zu wählen, über eine weitgehende Handlungsfreiheit (Urteil des Gerichts vom 14. Dezember 2005, General Electric/Kommission, T‑210/01, Slg. 2005, II‑5575, Randnr. 519).

172    Die Kommission hat auf dieses Vorbringen der Klägerinnen erwidert, indem sie auf den Grundsatz der Gleichbehandlung abgestellt hat, der ein Grundprinzip des Unionsrechts darstellt; nach diesem Grundsatz dürfen vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden, es sei denn, dass eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre (Urteil des Gerichtshofs vom 21. Februar 1990, Wuidart u. a., C‑267/88 bis C‑285/88, Slg. 1990, I‑435, Randnr. 13). Die Klägerinnen haben nämlich, ohne sich auf diesen Grundsatz zu berufen, geltend gemacht, die Kommission habe sie anderes behandelt als Kuwait Petroleum und Nynas, deren Aussagen über die Beteiligung von ExxonMobil am Kartell von anderen Unternehmen bei der Anhörung in Zweifel gezogen worden seien und mit denen sie insoweit wieder Kontakt aufgenommen habe. Wie die Kommission zu Recht geltend macht, war die Situation dieser beiden Unternehmen anders als die von SNV. Die Kommission hat nämlich an Kuwait Petroleum und Nynas nach der Anhörung deshalb ein weiteres Auskunftsverlangen gerichtet, weil diese Unternehmen bei der Anhörung nicht in der Lage waren, auf die Behauptungen mehrerer anderer Unternehmen, mit denen ihre Erklärungen zu ExxonMobil bestritten wurden, zu reagieren. Im Fall von SNV waren nach Auffassung der Kommission nach dem Erhalt der Erklärung des Mitarbeiters von SNV vom 12. Juni 2006, mit der die Aussagen von KWS in Zweifel gezogen worden sind, hingegen keine besonderen Maßnahmen veranlasst, da die Beweismittel in der Antwort von KWS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte durch andere Beweismittel über die Rolle von SNV im Kartell untermauert worden seien. Die Kommission hat im vorliegenden Fall also nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen.

173    Jedenfalls kann eine Verletzung der Verteidigungsrechte nur dann zur Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung führen, wenn ohne diese Verletzung eine, wenn auch beschränkte, Möglichkeit bestanden hätte, dass die Klägerinnen hätten erreichen können, dass das Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis geführt hätte (Urteile des Gerichts vom 17. Dezember 1991, Hercules Chemicals/Kommission, T‑7/89, Slg. 1991, II‑1711, Randnr. 56, und Zement, oben in Randnr. 77 angeführt, Randnr. 383). Die Klägerinnen haben dies aber in keiner Weise dargetan.

174    Somit ist festzustellen, dass die von der Kommission herangezogenen Beweismittel zwar den Schluss erlauben, dass SNV Vorschläge für einen Sonderrabatt für die W5 gemacht hat; sie genügen aber allein nicht für den Nachweis, dass die Initiative für die Gewährung eines solchen Rabatts von SNV ausgegangen wäre oder dass dieses Unternehmen dies auf Verlangen von KWS getan hätte. Um die Rolle von SNV als Anstifterin im Kartell zu beurteilen, sind somit die Beweismittel zu prüfen, die die Versuche von SNV betreffen, andere Unternehmen dazu zu überreden, dem Kartell beizutreten.

–       Zu den Versuchen, ExxonMobil zu überreden, dem Kartell beizutreten

175    Bei der Feststellung, die Initiative für das Kartell sei von SNV ausgegangen, hat sich die Kommission als Zweites auf den Versuch von SNV gestützt, ExxonMobil zu überreden, dem Kartell beizutreten. Zum Beweis dieser Tatsache hat sie interne Schriftstücke von ExxonMobil herangezogen, die diese beiden Vorfälle betreffen.

176    Zunächst ist festzustellen, dass eines dieser beiden Schriftstücke, nämlich das vom 11. April 2004, von der Kommission weder in der angefochtenen Entscheidung noch in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich angeführt wurde, dass es aber Bestandteil der Verwaltungsakte der Kommission war, zu der die Klägerinnen nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte Zugang hatten und dass es folglich vom Gericht im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung berücksichtigt werden darf (Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2000, SCA Holding/Kommission, C‑297/98 P, Slg. 2000, I‑10101, Randnr. 55, und Urteil Tokai I, oben in Randnr. 153 angeführt, Randnr. 165, und, im Zusammenhang mit der Anführerrolle, Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnr. 354).

177    Die erste Gruppe von Schriftstücken betrifft ein Treffen der beiden genannten Unternehmen am 22. März 1993, bei dem der Vertreter von SNV die für den 1. April 1993 geplante Erhöhung des Bitumenpreises inzident erwähnt hat, wozu Exxon Mobil erklärt hat, dass es darauf nicht reagiert habe, und einen Anruf dieses Mitarbeiters von SNV am selben Tag bei dem Mitarbeiter von ExxonMobil, mit dem Ersterer Letzteren noch einmal von seiner Absicht unterrichtete, die Preise zum 1. April 1993 zu erhöhen, um „das CROW-Preissystem zu sprengen“, worauf dieser ihn gebeten hat, es zu unterlassen, ihm Informationen über wettbewerbswidrige Praktiken zu übermitteln.

178    Diese beiden Beweismittel erlauben zwar die Feststellung, dass ein Mitarbeiter von SNV wettbewerbswidrige Praktiken über eine abgestimmte Erhöhung des Bitumenpreises im Jahr 1993 angesprochen hat; es ist aber fraglich, ob sie das Kartell betreffen, das Gegenstand der angefochtenen Entscheidung ist. Die Vorschläge von SNV zielten nämlich offenbar darauf ab, den CROW-Preisfestsetzungsmechanismus zu zerschlagen, obwohl die Mitglieder des W5 der angefochtenen Entscheidung zufolge ein starkes Interesse an der Beibehaltung dieses Mechanismus hatten (Randnr. 26 der angefochtenen Entscheidung). Außerdem hat die Kommission in der angefochtenen Entscheidung schließlich festgestellt, dass ExxonMobil an dem in Rede stehenden Kartell nicht teilgenommen hat.

179    Die zweite Gruppe von Schriftstücken betrifft das Jahr 1994. Ein Vermerk vom 28. März 1994 berichtet von dem Anruf eines Mitarbeiters von SNV, der sich als Verantwortlicher für Bitumenfragen vorgestellt und ExxonMobil vorgeschlagen habe, ein Treffen zu organisieren, um u. a. über die „Strategie gemeinsame Kunden“ zu reden. In einem anderen Vermerk vom 11. April 2004 ist von einem Treffen am 8. April 1994 mit eben diesem Mitarbeiter „im Rahmen einer Nabit-Tagung“ (Nabit ist der Name des Verbands der Bitumenunternehmen in den Niederlanden) die Rede, bei dem ExxonMobil ihn gebeten habe, es zu unterlassen, gewisse Themen anzusprechen, die „sowohl nach der Unternehmenspolitik von Esso als auch diejenige von Shell verboten“ seien. Daraus folgt, dass sich anhand dieser Schriftstücke, deren Inhalt recht vage ist, nicht feststellen lässt, ob SNV auf das in Rede stehende Kartell Bezug nahm.

180    Zwar kann bei diesen Schriftstücken entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen nicht angenommen werden, dass sie sich im Rahmen des üblichen rechtmäßigen bilateralen Austauschs zweier Unternehmen bewegen; allerdings ist festzustellen, dass die vier Schriftstücke recht vage sind und nicht unbedingt das in Rede stehende Kartell bezeichnen. Im Übrigen hat sich die Kommission selbst dafür entscheiden, die beiden Schriftstücke von 1994 in der angefochtenen Entscheidung nicht anzuführen, obwohl in der Mitteilung der Beschwerdepunkte (Randnr. 204) von diesem Zwischenfall im Jahr 1994 die Rede war.

181    Folglich lassen die von der Kommission vorgelegten Beweismittel nicht zweifelsfrei den Schluss zu, dass SNV bei der Errichtung des in Rede stehenden Kartells insbesondere gegenüber ExxonMobil eine Anstifterrolle gespielt hat.

–       Ergebnis zur Anstifterrolle

182    Somit ist festzustellen, dass die Feststellung der Kommission in der angefochtenen Entscheidung, SNV habe bei der in Rede stehenden Zuwiderhandlung eine Anstifterrolle gespielt, unzureichend untermauert ist.

183    Da die Kommission zum Beweis der Rolle von SNV als Anstifterin bei der in Rede stehenden Zuwiderhandlung vor dem Gericht zu den in Randnr. 342 der angefochtenen Entscheidung dargelegten Tatsachen kein weiteres Beweismittel vorgebracht hat, wird sich die Prüfung des Gerichts auf die Rolle von SNV als Anführerin bei der in Rede stehenden Zuwiderhandlung konzentrieren.

 Zur Anführerrolle von SNV

 Vorbringen der Parteien

184    Die Klägerinnen vertreten die Auffassung, die Kommission habe durch die Einstufung von SNV als Anführerin des Kartells Rechtsfehler und Fehler bei der Tatsachenfeststellung oder ‑würdigung begangen, die die vollständige oder teilweise Nichtigerklärung der Erhöhung der gegen sie festgesetzten Geldbuße um 50 % rechtfertigten. Nach der Rechtsprechung müsse die Kommission, um ein Unternehmen als Anführer einstufen zu können, beweisen, dass dieses konkrete Handlungen, die der Durchführung der wettbewerbswidrigen Absprachen einen entscheidenden Impuls gegeben hätten, unternommen und sich so klar von den anderen Teilnehmen der Absprache unterschieden habe (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnr. 348), was ihr bei ihr nicht habe gelingen können.

185    Im vorliegenden Fall hat sich die Kommission bei der Einstufung von SNV als Anführerin des Kartells auf fünf Handlungen dieses Unternehmens gestützt: die Rolle, die SNV in den ersten Jahren des Kartells 1994 und 1995 gespielt habe, als sie im Namen der Lieferanten mit den W5 verhandelt habe; ab 1996, als die Treffen zur Abstimmung über Bitumen begonnen hätten, die Tatsache, dass von ihr die Initiative ausgegangen sei, KWS bilateral die geplanten Preiserhöhungen mitzuteilen, und sie dann mit diesem Unternehmen erörtert habe, ob es zweckmäßig sei, ein Treffen der Lieferanten und der großen Straßenbauunternehmen zu organisieren; ihre maßgebliche Rolle bei den Vortreffen der Lieferanten; ihre wesentliche Rolle als Wortführer der Lieferanten bei den Treffen zur Abstimmung mit den großen Straßenbauunternehmen und schließlich ihre Aufgabe, die Einhaltung der Absprachen zu überwachen.

–       Zur Rolle, die SNV spielte, als sie 1994 und 1995 im Namen der Lieferanten mit KWS verhandelte

186    Die Klägerinnen vertreten zunächst die Auffassung, die Kommission habe dadurch, dass sie auf der Grundlage der beiden internen Vermerke von HBG vom 28. März und 8. Juli 1994 festgestellt habe, dass SNV die Rolle einer Anführerin des Kartells gespielt habe, Rechtsfehler und Fehler bei der Tatsachenfeststellung oder ‑würdigung begangen. In diesen beiden Vermerken könne es nämlich nur um rein bilaterale Kontakte zwischen SNV und KWS gehen. Außerdem lasse sich ihnen nicht entnehmen, dass über SNV und KWS Absprachen zwischen den großen Straßenbauunternehmen und den Lieferanten existiert hätten, da sie nur bewiesen, dass HBG ein Sonderpreis angeboten worden sei; sie seien nicht von jemandem verfasst worden, der unmittelbar bei den Verhandlungen zugegen gewesen sei, sondern von dem für Ausschreibungen zuständigen Manager von HBG, seien nicht durch andere Beweismittel untermauert worden und schließlich sei ihnen durch die eidesstattliche Erklärung des für den Vertrieb von Bitumen zuständigen Managers von SNV vom 22. November 2006 widersprochen worden. Die Kommission hätte also beweisen müssen, dass eine horizontale Preisabsprache zwischen den Lieferanten existiert habe, die die bilateral von SNV und KWS ausgehandelten Bedingungen gebilligt hätten. Schließlich sei in der Mitteilung der Beschwerdepunkte von dieser Theorie von Verhandlungen, die 1994 und 1995 zwischen den großen Straßenbauunternehmen und den Lieferanten, vertreten durch KWS bzw. SNV, stattgefunden haben sollen, keine Rede gewesen.

187    Die Kommission hingegen vertritt die Auffassung, in diesen beiden Vermerken von HBG sei eindeutig von einer Absprache zwischen den Lieferanten und den W5 die Rede, und sie bewiesen, dass SNV die Aufgabe gehabt habe, die Lieferanten zu vertreten; es heiße darin nämlich u. a., dass Letztere die Absicht gehabt hätten, sich nicht mehr an die mit den großen Straßenbauunternehmen getroffene Absprache zu halten, indem sie ihre Preise erhöhten. Außerdem seien diese Vermerke von dem Mitarbeiter von HGB verfasst worden, der für den Vertrieb von Bitumen zuständig gewesen sei und eng mit dem Mitarbeiter zusammengearbeitet habe, der an den Abstimmungstreffen über Bitumen teilgenommen habe; jedenfalls vertrete der Unionsrichter die Auffassung, dass es für die Beweiskraft eines Schriftstücks unerheblich sei, dass es zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung von einer Person verfasst worden sei, die bei einem Treffen nicht anwesend gewesen sei (Urteil des Gerichts vom 10. März 1992, Shell/Kommission, T‑11/89, Slg. 1992, II‑757, Randnr. 86). Durch eine nachträgliche Erklärung eines Mitarbeiters von SNV könnten diese Beweise in Form von Schriftstücken aus der Zeit der Zuwiderhandlung nicht in Frage gestellt werden. Und anders als die Klägerinnen meinten, komme es bei der Feststellung, dass jemand eine Anführerrolle gespielt habe, nicht darauf an, dass das Verhalten des Anführers automatisch für die anderen Mitglieder des Kartells verbindlich sei, sondern darauf, dass das Unternehmen im Kartell eine hinreichend aktive Rolle gespielt habe. Schließlich sei von der Theorie der Existenz dieser Verhandlungen zwischen SNV und KWS im Namen ihrer jeweiligen Gruppen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte an mehreren Stellen die Rede gewesen und die Klägerinnen hätten darauf im Übrigen am 20. Mai 2005 geantwortet.

–       Zur Tatsache, dass SNV ab 1996 zusammen mit KWS vorab darüber entschieden hat, ob es zweckmäßig ist, eine Zusammenkunft der Lieferanten und der W5 zu organisieren

188    Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe durch die Annahme, die bilateralen Kontakte zwischen SNV und KWS seit 1996 hätten ein Indiz für die Rolle von SNV als Anführerin im Kartell dargestellt, Fehler bei der Tatsachenfeststellung oder ‑würdigung begangen. Diese Treffen hätten nämlich zu einer Zeit stattgefunden, als der Erdölpreis und der Dollarwechselkurs instabil gewesen seien; die W5 hätten den Bitumenpreis mit ihren Lieferanten in regelmäßigen Zeitabständen neu verhandeln und eine gewisse Preisstabilität erreichen wollen, wobei erhebliche Senkungen vermieden und Erhöhungen kollektiv erfolgen sollten, was es ermöglicht habe, den von der niederländischen Regierung für öffentliche Aufträge eingeführten Preismechanismus zur Abwälzung der Preisschwankungen auf den Besteller auszulösen. Die Klägerinnen behaupten also, es habe sich um normale Kontakte zwischen Lieferant und Kunde gehandelt und die Initiative für die Bitumentreffen sei allein von KWS ausgegangen. Zu Kontakten zwischen den Mitarbeitern von SNV und dem Sekretariat von KWS sei es so erst gekommen, als KWS ein solches Treffen einberufen habe. Die Erklärungen von Kuwait Petroleum, auf die sich die Kommission bei der Feststellung, dass diese bilateralen Kontakte ein Beweis für ihre Anführerrolle seien, gestützt habe, beruhten auf schlichtem Hörensagen. Und aus der Erklärung des Mitarbeiters von SNV gehe lediglich hervor, dass dieser sich bei Preisschwankungen der Rohstoffe für Bitumenerzeugnisse mit KWS in Verbindung gesetzt habe.

189    Die Kommission macht geltend, es habe sich um ein bilaterales Kartell gehandelt; die Klägerinnen verschwiegen, dass auch die Lieferanten ein Interesse an der Erhöhung des Bitumenpreises gehabt hätten. Sie habe sich bei der Feststellung, dass Shell und KWS untereinander vorab prüften, ob ein Treffen von Lieferanten und großen Straßenbauunternehmen zweckmäßig sei, auf mehrere Erklärungen von Unternehmen gestützt, u. a. die von SNV, die deren Antrag auf Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit beigefügt gewesen sei. Die Erklärung von Kuwait Petroleum stamme von jemandem, der regelmäßig an den multilateralen Abstimmungstreffen über Bitumen teilgenommen habe.

–       Zur maßgeblichen Rolle von SNV bei den Vortreffen der Lieferanten

190    Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission verfüge für die Feststellung, dass SNV bei den Vortreffen der Lieferanten eine maßgebliche Rolle gespielt habe, über kein einziges Beweismittel. An der Organisation, der Logistik und der Leitung dieser Treffen seien mehrere Unternehmen beteiligt gewesen. Die entsprechende Aussage von BP sei eine reine Unterstellung, die durch kein anderes Beweismittel untermauert werde. Vielmehr heiße es in anderen Aussagen von BP und Kuwait Petroleum, dass diese Treffen nicht nur von einem einzigen, sondern von mehreren Lieferanten geleitet und organisiert worden seien. Jedenfalls könne allein die Aussage von BP, deren Richtigkeit von ihnen bestritten werde, nach der Rechtsprechung keinen hinreichenden Beweis darstellen (Urteile des Gerichts vom 14. Mai 1998, Enso-Gutzeit/Kommission, T‑337/94, Slg. 1998, II‑1571, Randnr. 91, und vom 8. Juli 2004, JFE Engineering/Kommission, T‑67/00, T‑68/00, T‑71/00 und T‑78/00, Slg. 2004, II‑2501, Randnr. 219). Das interne Schriftstück von HBG vom 23. April 2001 habe keine Beweiskraft; jedenfalls habe es in der angefochtenen Entscheidung nicht verwertet werden dürfen, wenn nicht ihre Verteidigungsrechte hätten verletzt werden sollen, da es der Mitteilung der Beschwerdepunkte nur beigefügt gewesen, darin aber nicht erwähnt worden sei (Urteil Shell/Kommission, oben in Randnr. 187 angeführt, Randnrn. 55 und 56). Schließlich lasse nichts die Annahme zu, dass SNV den Lieferanten, die nicht an den Besprechungen über Bitumen teilgenommen hätten, davon unterrichtet hätte; dieses Argument sei im Übrigen in der angefochtenen Entscheidung nicht enthalten.

191    Die Kommission weist darauf hin, dass sie sich zum Beweis der Tatsache, dass SNV die Vortreffen eröffnet und geleitet habe, auf eine Aussage in dem Antrag von BP auf Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit und einen internen Vermerk von HBG von April 2001 gestützt habe. Sie habe hingegen zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass SNV eine besondere Rolle bei der Einberufung dieser Vortreffen oder deren konkreter Organisation gespielt hätte, noch in Zweifel gezogen, dass die Ergebnisse, zu denen die Teilnehmer dieser Zusammenkünfte gekommen seien, nicht von SNV diktiert worden seien, sondern das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den Teilnehmern gewesen seien. Schließlich könne das Gericht im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung neue Beweismittel heranziehen, die im gerichtlichen Verfahren geprüft worden seien (vgl. Urteil Tokai I, oben in Randnr. 153 angeführt, Randnr. 165 und die dort angeführte Rechtsprechung). Jedenfalls hätte SNV der Mitteilung der Beschwerdepunkte entnehmen können, dass sie den ihr beigefügten internen Vermerk von HBG als Beweis für ihre Anführerrolle verwenden könnte.

–       Zur Rolle von SNV als Wortführer der Lieferanten bei den Abstimmungstreffen über Bitumen

192    Die Klägerinnen machen geltend, SNV habe bei den Abstimmungstreffen, bei denen die großen Straßenbauunternehmen, insbesondere KWS, den Ton angegeben hätten, keine Anführerrolle gespielt. Außerdem handele es sich bei der Aussage des Mitarbeiters von Kuwait Petroleum, dass SNV bei diesen Treffen der Gegenpart von KWS gewesen sei, nur um eine indirekte Zeugenaussage, wie die Kommission in der angefochtenen Entscheidung (Randnr. 78) eingeräumt habe, die daher eine eingeschränkte Beweiskraft habe und nicht den Schluss zulasse, dass SNV für die Lieferanten die Leitung der Zusammenkünfte übernommen hätte. Vielmehr sei SNV lediglich von den W5 zu den Schwankungen der Preise der Rohstoffe für Straßenbaubitumen befragt worden, die sie habe erläutern sollen; ihre Rolle sei auf die des Wortführers der Lieferanten beschränkt gewesen, die sich von der bestimmenden Rolle eines Anführers unterscheide. Der Unionsrichter vertrete aber die Auffassung, dass ein solches Verhalten nicht genüge, um das betreffende Unternehmen als Anführer des Kartells einzustufen (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnr. 427). Schließlich habe die Kommission eingeräumt, dass bei der Unterrichtung der anderen Unternehmen von den Ergebnissen der Unterredungen kein bestimmter Bitumenlieferant eine Anführerrolle gespielt habe, sondern dass sich mehrere Unternehmen darum gekümmert hätten.

193    Die Kommission weist darauf hin, der Unionsrichter habe bereits entschieden, dass ein Kartell zwei Anführer haben könne (Urteil des Gerichts vom 27. September 2006, Archer Daniels Midland/Kommission, T‑59/02, Slg. 2006, II‑3627, Randnrn. 299 bis 301). Im vorliegenden Fall gehe aus den Erklärungen eines Mitarbeiters von SNV vom 24. September 2003 und eines Mitarbeiters von Kuwait Petroleum hervor, dass SNV die nicht anwesenden Lieferanten vertreten habe, im Allgemeinen die Treffen im Namen aller Lieferanten eröffnet und die Rolle des Gegenparts von KWS gespielt habe. Die Erklärung des Mitarbeiters von Kuwait Petroleum habe einen hohen Beweiswert, weil dieser unmittelbar mit dem Mitarbeiter zusammengearbeitet habe, der an allen diesen Treffen teilgenommen habe, und es von ihm hin und wieder heiße, dass er selbst bei diesen Treffen anwesend gewesen sei. Außerdem sei die Tatsache, dass die Lieferanten vor jedem Treffen einen von ihnen im Voraus festgelegten Plan gehabt hätten, unerheblich für die Einstufung als Anführer, da der Unionsrichter für die Feststellung, dass ein Anführer existiere, nicht verlange, dass dieser das Verhalten der anderen bestimme (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnr. 374). Was im Übrigen die nachträgliche Unterrichtung der Lieferanten, die nicht unmittelbar an den Treffen teilgenommen hätten, angehe, so sei dieser Vorgang für die Einstufung als Anführer bei einem bilateralen Kartell nicht entscheidend. Schließlich beruhe ihre Feststellung, dass SNV in allen Stadien des Kartells eine Anführerrolle gespielt habe, auf mehreren Beweismitteln, und nicht allein auf der Tatsache, dass SNV die Treffen eröffnet und als Wortführer der Lieferanten agiert habe.

–       Zur Überwachung der Durchführung des Kartells

194    Die Kommission macht geltend, sie habe in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass SNV auch bei der Überwachung der Durchführung des Kartells als Anführerin agiert habe; sie habe sich dabei auf das interne Schriftstück von HBG vom 23. April 2001 (Randnr. 347 der angefochtenen Entscheidung) und auf einen internen Vermerk von KWS (Randnr. 352 der angefochtenen Entscheidung) gestützt.

 Würdigung durch das Gericht

195    Der angefochtenen Entscheidung zufolge ist die Kommission davon ausgegangen, dass SNV auf der Seite der Lieferanten und KWS auf der Seite der W5 wegen ihrer jeweiligen Rolle als „Anführer“ des Kartells während dessen gesamter Dauer eine besondere Verantwortung getragen hätten (Randnrn. 343 bis 349 der angefochtenen Entscheidung).

–       Allgemeine Grundsätze zur Anführerrolle

196    Nach ständiger Rechtsprechung ist, wenn eine Zuwiderhandlung von mehreren Unternehmen begangen wurde, im Rahmen der Bemessung der Geldbuße ihre jeweilige Rolle bei der Zuwiderhandlung während der Dauer ihrer Beteiligung daran zu ermitteln (Urteile Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 152 angeführt, Randnr. 150, und Enichem Anic/Kommission, oben in Randnr. 152 angeführt, Randnr. 264). Daraus folgt u. a., dass die von einem oder mehreren Unternehmen gespielte Rolle des „Anführers“ im Rahmen eines Kartells bei der Bemessung der Geldbuße zu berücksichtigen ist, da die Unternehmen, die eine solche Rolle gespielt haben, im Verhältnis zu den anderen Unternehmen eine besondere Verantwortung tragen müssen (Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2000, Finnboard/Kommission, C‑298/98 P, Slg. 2000, I‑10157, Randnr. 45).

197    Im Einklang mit diesen Grundsätzen enthält Nr. 2 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen unter der Überschrift „Erschwerende Umstände“ eine nicht abschließende Aufzählung von Umständen, die zu einer Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße führen können; dazu gehört die „Rolle als Anführer oder Anstifter des Verstoßes“ (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnrn. 280 bis 282).

198    Um als Anführer eines Kartells eingestuft werden zu können, muss ein Unternehmen eine wichtige Antriebskraft für das Kartell gewesen sein oder eine besondere, konkrete Verantwortung für dessen Funktionieren getragen haben. Dieser Umstand ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung des Kontexts des betreffenden Falls zu bewerten (Urteile des Gerichts BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnrn. 299, 300, 373 und 374, und vom 18. Juni 2008, Hoechst/Kommission, T‑410/03, Slg. 2008, II‑881, Randnr. 423). Sein Vorliegen ist u. a. daraus zu folgern, dass das Unternehmen dem Kartell durch punktuelle Initiativen spontan einen grundlegenden Impuls gegeben hat (Urteile BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnrn. 348, 370 bis 375 und 427, und Hoechst/Kommission, Randnr. 426). Er lässt sich auch aus einer Gesamtheit von Indizien schließen, die das Bestreben des Unternehmens zeigen, die Stabilität und den Erfolg des Kartells zu sichern (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnr. 351).

199    Dieser Fall liegt vor, wenn das Unternehmen an den Treffen des Kartells im Namen eines anderen Unternehmens teilgenommen hat, das dabei nicht anwesend war, und dieses von den Ergebnissen dieser Treffen unterrichtet hat (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnr. 439). Das Gleiche gilt, wenn erwiesen ist, dass das betroffene Unternehmen im Rahmen der konkreten Betätigung des Kartells eine zentrale Rolle etwa dadurch spielte, dass es zahlreiche Treffen organisierte, die Informationen innerhalb des Kartells entgegennahm und verteilte und die meisten Vorschläge zur Arbeitsweise des Kartells machte (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 8. November 1983, IAZ International Belgium u. a./Kommission, 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, Slg. 1983, 3369, Randnrn. 57 und 58, und Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnrn. 404, 439 und 461).

200    Außerdem stellt die Tatsache, dass ein Unternehmen aktiv die Einhaltung der im Rahmen des Kartells getroffenen Absprachen überwacht hat, ein maßgebliches Indiz für die Rolle eines Unternehmens als Anführer dar (Urteil HFB u. a./Kommission, oben in Randnr. 142 angeführt, Randnr. 577).

201    Hingegen ist es nicht zwingend Voraussetzung für die Einstufung eines Unternehmens als Anführer eines Kartells, dass das Unternehmen Druck ausgeübt oder sogar das Verhalten der anderen Kartellmitglieder bestimmt hat (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnr. 374). Auch die Marktstellung eines Unternehmens oder seine Ressourcen können keine Indizien für eine Rolle als Anführer des Verstoßes darstellen, auch wenn sie zum Kontext gehören, unter dessen Berücksichtigung solche Indizien zu bewerten sind (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 9. Juli 2003, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, T‑224/00, Slg. 2003, II‑2597, Randnr. 241, und BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnr. 299).

202    Schließlich ist festzustellen, dass das Gericht bereits entschieden hat, dass die Kommission davon ausgehen durfte, dass in einem Kartell mehrere Unternehmen eine Anführerrolle gespielt haben (Urteil Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, oben in Randnr. 201 angeführt, Randnr. 239).

203    Das Gericht hat somit nach Maßgabe der dargestellten Grundsätze zu beurteilen, ob die von der Kommission vorgebrachten Beweismittel für den Beweis genügen, dass SNV im Kartell eine Anführerrolle gespielt hat.

204    Die Kommission hat sich bei der Feststellung, dass SNV einer der Anführer des Kartells gewesen sei, auf folgende fünf Handlungen gestützt:

–        erstens die Rolle, die das Unternehmen 1994 und 1995 gespielt habe, als es im Namen der Lieferanten mit KWS verhandelte;

–        zweitens, die Tatsache, dass das Unternehmen ab 1996 vorab mit KWS darüber entschieden habe, ob es zweckmäßig sei, ein Treffen der Lieferanten und der W5 zu organisieren;

–        drittens seine maßgebliche Rolle bei den Vortreffen der Lieferanten;

–        viertens seine Hauptrolle als Wortführer der Lieferanten bei den Treffen mit den W5;

–        fünftens seine Aufgabe, die Durchführung des Kartells zu überwachen.

205    Zum Beweis dieser fünf Handlungen hat sich die Kommission auf bei den Nachprüfungen beschlagnahmte Schriftstücke aus der Zeit der Zuwiderhandlung und auf Erklärungen der Klägerinnen und anderer Kartellteilnehmer gestützt (Randnrn. 343 bis 349 der angefochtenen Entscheidung).

–       Zur Rolle, die SNV 1994 und 1995 spielte, als sie im Namen der Lieferanten mit KWS verhandelte

206    Zum Beweis der Tatsache, dass die Absprachen in den ersten beiden Jahren des Kartells im Wege bilateraler Kontakte zwischen SNV und KWS erfolgten, hat sich die Kommission auf die beiden internen Vermerke von HBG vom 28. März und 8. Juli 1994 gestützt. In diesen beiden Vermerken ist von Absprachen vom März 1994 die Rede, die von KWS im Namen der W5 und SNV im Namen der Mineralölgesellschaften über den Bitumenpreis getroffen worden seien, der bis zum 1. Januar 1995 habe unverändert bleiben sollen. Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen können diese Schriftstücke nicht dahin ausgelegt werden, dass in ihnen lediglich von rein bilateralen Kontakten zwischen SNV und KWS die Rede wäre. Im ersten Vermerk ist nämlich von „der Abmachung, die die Bitumenlieferanten mit den [W5] getroffen haben“ die Rede, im zweiten auch von einer im März getroffenen Vereinbarung „zwischen den [W5] (Herr H./KWS) und den Ölgesellschaften (Herr E./SNV)“. Auch kann dieser zweite Vermerk nicht bedeuten, dass die Lieferanten HBG Sonderpreise angeboten hätten; aus ihm geht lediglich hervor, dass die Erdölgesellschaften im Juli 1994 das Risiko eingegangen sind, die mit den W5 im März 1994 getroffenen Vereinbarungen zu brechen, indem sie ihre Preise erhöhten. Schließlich haben die Schriftstücke, die die Klägerinnen der Erwiderung beigefügt haben, um zu zeigen, dass KWS 1987 und 1988 von Smid und Hollander verlangt haben, sich an die zwischen KWS und SNV vereinbarten Preise und Rabatte zu halten, keine Beweiskraft, weil sie einen Zeitraum betreffen, der weit vor dem der Zuwiderhandlung liegt.

207    Die Klägerinnen ziehen ferner die Beweiskraft dieser beiden Vermerke in Zweifel; sie machen geltend, sie seien vom für Ausschreibungen zuständigen Manager von HBG verfasst worden, der, da er nie an einer Verhandlung über Bitumen teilgenommen habe, nur ein indirekter Zeuge der geschilderten Ereignisse gewesen sei. Der Unionsrichter hat hingegen entschieden, dass es für ihre Beweiskraft ohne Bedeutung ist, dass Informationen aus zweiter Hand stammen (Urteil Shell/Kommission, oben in Randnr. 187 angeführt, Randnr. 86) und dass es nach den allgemeinen Beweisregeln als sehr bedeutsam angesehen werden muss, dass Dokumente in unmittelbarem Anschluss an die entsprechenden Treffen und offenkundig ohne den Gedanken daran, dass sie Unbefugten zur Kenntnis gelangen könnten, ausgearbeitet worden sind (Schlussanträge des zum Generalanwalt bestellten Richters Vesterdorf in der Rechtssache Rhône-Poulenc/Kommission, oben in Randnr. 161 angeführt). Im vorliegenden Fall war der betreffende Mitarbeiter für den Kauf von Bitumen für HBG zuständig und arbeitete eng mit dem Mitarbeiter zusammen, der direkt an den Abstimmungen mit den W5 und dann an den Kartelltreffen teilgenommen hat. Somit haben die von dem für Ausschreibungen zuständigen Manager von HBG zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung verfassten Vermerke einen hohen Beweiswert. Folglich durfte sich die Kommission auf diese Vermerke stützen, ohne andere Beweismittel vorbringen zu müssen, die ihren Inhalt untermauern; ihr Beweiswert wird allein durch die Erklärung des für den Vertrieb von Bitumen zuständigen Managers von SNV vom 22. November 2006 nicht in Frage gestellt. Diese Erklärung ist nämlich nach dem Erlass der angefochtenen Entscheidung verfasst worden, und der Verfasser war zu dem Zeitpunkt, als sie verfasst wurde, Angestellter der Klägerinnen.

208    Im Übrigen machen die Klägerinnen geltend, die Kommission habe zu ihrer Theorie, dass KWS und SNV im Namen ihrer jeweiligen Gruppe verhandelt hätten, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nichts ausgeführt. Dieses Vorbringen trifft aber in tatsächlicher Hinsicht nicht zu. Aus den Randnrn. 111, 139 und 201 der Mitteilung der Beschwerdepunkte geht nämlich hervor, dass die Kommission die Unternehmen bereits von dieser Analyse unterrichtet hatte.

209    Somit konnte die Kommission zu Recht feststellen, dass die Absprachen 1994 und 1995 im Wege bilaterale Kontakte zwischen SNV und KWS erfolgten.

210    Auch wenn SNV somit in diesen ersten beiden Jahren eine besondere Rolle beim Funktionieren des Kartells gespielt hat, sind für die Feststellung ihrer Anführerrolle die anderen von der Kommission herangezogen Beweismittel zu prüfen, die sich auf den gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung beziehen.

–       Zur Tatsache, dass SNV ab 1996 vorab mit KWS darüber entschied, ob es zweckmäßig sei, eine Zusammenkunft der Lieferanten und der W5 zu organisieren

211    Zum Beweis der Tatsache, dass SNV ab 1996 nach Beginn der multilateralen Abstimmungstreffen KWS die geplanten Preiserhöhungen von sich aus bilateral mitgeteilt habe und dass sie dann gemeinsam beurteilt hätten, ob es zweckmäßig sei, ein Treffen der Lieferanten und der großen Straßenbauunternehmen zu organisieren, hat sich die Kommission auf vier Schriftstücke gestützt (Randnrn. 344 und 345 der angefochtenen Entscheidung).

212    Es handelt sich erstens um die Antwort der Klägerinnen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 20. Mai 2005, in der diese eingeräumt haben, dass SNV wegen ihrer Stellung als wichtigster Bitumenlieferant auf dem niederländischen Markt häufig das erste Unternehmen war, das an KWS herangetreten sei, um die Zustimmung zu einer Preiserhöhung zu erbitten. Hierzu ist jedoch festzustellen, dass sich diesem Schriftstück nur entnehmen lässt, dass SNV mit KWS Kontakt aufgenommen hat, um die Zustimmung zu einer Preiserhöhung zu erbitten; es enthält keine Angaben zu der Rolle dieses Unternehmens bei der Einberufung der Kartelltreffen.

213    Was zweitens die dem Antrag der Klägerinnen vom 10. Oktober 2003 auf Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit beigefügte Erklärung des Mitarbeiters von SNV vom 24. September 2003 angeht, so heißt es darin, dass „der für den Vertrieb von Bitumen zuständige Manager [von SNV] von den Straßenbauunternehmen gebeten wurde, Änderungen der vorgelagerten Produktpreise KWS mitzuteilen; dies hat in einer Reihe von Fällen zur Folge gehabt, dass KWS die betreffenden Unternehmen zu einer Zusammenkunft einlud“. Dieser Erklärung lässt sich aber nicht entnehmen, dass SNV und KWS zusammen beurteilt hätten, ob es zweckmäßig sei, ein Kartelltreffen zu organisieren.

214    Was drittens die Erklärung von Kuwait Petroleum vom 1. Oktober 2003 angeht, in der es heißt, dass „[g]ewöhnlich … [Mitarbeiter von Shell] und [Mitarbeiter von KWS] in einem Vortreffen [klärten], ob hinreichender Anlass für eine Sitzung bestand“, ist festzustellen, dass diese Erklärung, da Kuwait Petroleum ein Interesse daran gehabt haben könnte, seine Rolle beim Funktionieren des Kartells herunterzuspielen, nur dann zur Stützung der These von der Anführerrolle von SNV herangezogen werden kann, wenn sie durch andere Schriftstücke untermauert wird.

215    Schließlich lässt sich viertens auch dem bei der Nachprüfung bei KWS beschlagnahmten Vermerk über die Tätigkeit des Sekretariats der Direktion, in dem es heißt, dass „[i]n dieser Zusammensetzung … gelegentlich eine Zusammenkunft mit den Bitumenlieferanten statt[gefunden] [habe]“ und dass „[d]ie Initiative … von [SNV] aus[gegangen] [sei]“, nicht entnehmen, dass SNV und KWS zusammen beurteilt hätten, ob es zweckmäßig sei, ein Kartelltreffen zu organisieren.

216    Die Klägerinnen machen geltend, die genannten bilateralen Treffen seien von den Straßenbauunternehmen in kollektive Verhandlungen umfunktioniert worden und KWS habe eine maßgebliche Rolle bei der Entscheidung gespielt, sie zu organisieren. Die Mitarbeiter von SNV hätten sich nämlich nur dann mit dem Sekretariat von KWS in Verbindung gesetzt, wenn KWS ein solches Treffen einberufen gehabt habe. In der Tat erlauben die von der Kommission herangezogenen Beweismittel mit Ausnahme der oben in Randnr. 214 genannten Erklärung von Kuwait Petroleum lediglich die Feststellung, dass SNV als Erste mit KWS Kontakt aufgenommen hat, um die Zustimmung zu Preiserhöhungen zu erbitten; aus ihnen geht aber nicht hervor, ob KWS allein oder zusammen mit SNV über die Organisation der Kartelltreffen entschieden hat. Daher ist trotz des bilateralen Charakters des Kartells (vgl. oben Randnr. 164) und der Tatsache, dass die Lieferanten auch ein Interesse an der Erhöhung des Bitumenpreises hatten, festzustellen, dass die von der Kommission herangezogenen Beweismittel für den Beweis, dass die Initiative für die Kartelltreffen von SNV ausgegangen wäre, allein nicht ausreichen.

217    Um die Rolle von SNV als Anführerin des Kartells zu beurteilen, sind daher die anderen von der Kommission herangezogenen Beweismittel zu prüfen.

–       Zur maßgeblichen Rolle von SNV bei den Vortreffen der Lieferanten

218    Die Kommission hat in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass SNV die Vortreffen der Lieferanten eröffnet und geleitet habe; sie stützt sich hierbei auf zwei Beweismittel. Wie die Kommission geltend macht, hat sie jedoch zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass SNV eine besondere Rolle bei der Einberufung und Organisation dieser Zusammenkünfte gespielt hätte, noch dass sie dabei ihre Schlussfolgerungen diktiert hätte.

219    Die angefochtene Entscheidung ist auf die Erklärungen von BP vom 12. Juli 2002 gestützt, in denen es heißt, dass SNV das Treffen eröffnet und geleitet habe, und auf das interne Schriftstück von HBG vom 23. April 2001, in dem SNV als „Anführer“ bezeichnet wird. Die Klägerinnen stufen die Erklärung von BP als rein hypothetisch ein; sie sei durch kein anderes Beweismittel untermauert und könne als Beweis für eine Anführerrolle nicht ausreichen. Außerdem könne das Schriftstück von HBG, da die Kommission es in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht erwähnt, sondern dieser einfach nur beigefügt habe, nicht als gültiges Beweismittel angesehen werden, wenn nicht ihre Verteidigungsrechte verletzt werden sollten.

220    Was als Erstes das Schriftstück von HBG vom 23. April 2001 angeht, ist festzustellen, dass das Gericht in Ausübung seiner ihm durch Art. 261 AEUV und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 eingeräumten Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung zu beurteilen hat, ob die Höhe der Geldbußen angemessen ist, wobei es sich u. a. auf zusätzliche Informationen stützen kann, die nicht in der Mitteilung der Beschwerdepunkte oder der Entscheidung der Kommission erwähnt sind (Urteil SCA Holding/Kommission, oben in Randnr. 176 angeführt, Randnr. 55; Urteil Tokai I, oben in Randnr. 153 angeführt, Randnr. 165, und, im Zusammenhang mit der Anführerrolle, Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 140 angeführt, Randnr. 354).

221    Bei dem genannten Schriftstück handelt es sich um einen Austausch HBG‑interner E‑Mails, in dessen Rahmen ein regelmäßiger Teilnehmer an den Abstimmungstreffen über Bitumen einem Kollegen antwortet, der ihn auf ein Problem bei der Festsetzung der Bitumenrabatte im Norden des Landes hingewiesen hatte, und ihm vorschlägt, das Problem beim nächsten Kartelltreffen anzusprechen; er weist darauf hin, dass es nützlich sei, insoweit einen Termin mit Herrn E., einem Mitarbeiter von SNV, zu vereinbaren, der als „Anführer“ bezeichnet wird.

222    Jedoch geht erstens aus den Akten hervor, dass HBG, ein großes Straßenbauunternehmen und Verfasser des in Rede stehenden Schriftstücks, in seiner Antwort vom 23. September 2003 auf ein Auskunftsverlangen der Kommission selbst ausführt, dass mit der Bezeichnung des Mitarbeiters von SNV als „Anführer“ lediglich die Marktführerschaft von SNV gemeint sei. Zweitens kann dieses Schriftstück zwar einen Beweis für die Rolle von SNV bei der Überwachung der Durchführung des Kartells sein; es ist aber für die Beurteilung der Rolle von SNV bei den Vortreffen der Lieferanten offenbar nicht erheblich.

223    Als Zweites ist das andere Beweismittel zu prüfen, das von der Kommission zum Beweis der Rolle von SNV bei den Vortreffen der Lieferanten herangezogen worden ist.

224    Aus der Erklärung von BP vom 12. Juli 2002 geht hervor, dass auf die Frage, wer die Preisvorschläge gemacht habe und wer die Vortreffen der Lieferanten geleitet habe, der Mitarbeiter von BP, der an diesen Besprechungen teilgenommen hatte, mehrfach Herrn E., einen Mitarbeiter von SNV, angab. Da es sich um eine Erklärung eines anderen Lieferanten handelt, der ein Interesse daran gehabt haben könnte, seine eigene Rolle beim Funktionieren des Kartells herunterzuspielen, ist festzustellen, dass dieses Beweismittel nur dann zum Beweis der Anführerrolle von SNV herangezogen werden kann, wenn es durch andere Beweismittel untermauert wird. Der angefochtenen Entscheidung zufolge hat sich die Kommission zwar auf andere Beweismittel gestützt, um SNV als Anführerin des Kartells einzustufen (oben Randnr. 204); aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich jedoch, dass die Kommission kein anderes Beweismittel beigebracht hat, das die besondere Rolle, die SNV bei den Vortreffen des Kartells gespielt haben soll, bewiese.

225    Zur Beurteilung der Rolle von SNV als Anführerin des Kartells sind daher die anderen von der Kommission herangezogen Beweismittel zu prüfen.

–       Zur Rolle von SNV als Wortführer bei den Bitumengesprächen

226    Zunächst ist festzustellen, dass die Kommission in der Klagebeantwortung bestätigt hat, dass sie die Tatsache, dass SNV wie die anderen Unternehmen gewöhnlich die bei den Sitzungen nicht anwesenden Lieferanten informiert hat, nicht als Indiz für ihre Anführerrolle herangezogen hat.

227    Hingegen hat die Kommission unter Berufung auf die Erklärungen von Kuwait Petroleum vom 1. und 9. Oktober 2003 festgestellt, dass SNV „für die Lieferanten die einleitenden Worte [sprach] und … die Rolle des Gegenparts [übernahm]“, „in führender Stellung innerhalb der Gruppe der Lieferanten“ (Randnr. 347 der angefochtenen Entscheidung).

228    Allerdings können die Erklärungen eines anderen Lieferanten, der ein Interesse daran gehabt haben könnte, seine eigene Rolle im Kartell herunterzuspielen, nur dann zur Bestätigung der Annahme, dass SNV eine Anführerrolle gespielt habe, herangezogen werden, wenn sie durch andere Schriftstücke untermauert werden. Der angefochtenen Entscheidung zufolge hat sich die Kommission zwar auf andere Beweismittel gestützt, um SNV als Anführerin des Kartells einzustufen (oben, Randnr. 204); nach den vorstehenden Erwägungen hat die Kommission aber kein anderes Beweismittel beigebracht, das die besondere Rolle, die SNV bei den Abstimmungstreffen über Bitumen gespielt haben soll, bewiese.

229    Zur Beurteilung der Rolle von SNV als Anführerin des Kartells sind also die anderen von der Kommission herangezogenen Beweismittel zu prüfen.

–       Zur Überwachung der Durchführung des Kartells

230    Die Kommission weist darauf hin, dass sie in der angefochtenen Entscheidung (Randnrn. 347 bis 352) ausgeführt habe, dass SNV auch bei der Überwachung der Durchführung des Kartells als Anführerin agiert habe; der Unionsrichter habe entschieden, dass die Tatsache, dass ein Unternehmen aktiv die Einhaltung der im Rahmen des Kartells getroffenen Absprachen überwacht, ein maßgebliches Indiz für die Anführerrolle eines Unternehmens darstelle (Urteil HFB u. a./Kommission, oben in Randnr. 142 angeführt, Randnr. 577).

231    Die Kommission hat sich hierbei zum einen auf das interne Schriftstück von HBG vom 23. April 2001 (oben Randnrn. 221 und 222) gestützt, das ein Problem der Festlegung der Rabatte durch bestimmte Lieferanten betrifft und in dem davon die Rede ist, dass es hilfreich sei, sich an SNV zu wenden, um dieses Problem zu lösen, und zum anderen auf einen internen Vermerk von HBS (Randnr. 352 der angefochtenen Entscheidung), in dem es heißt, dass bestimmte Lieferanten die vorgesehenen Rabatte nicht eingehalten hätten und SNV reagiert habe und dies als „gerechte Strafe für das Ausscheren der Lieferanten“ bezeichnet habe.

232    Hierzu ist festzustellen, dass dieses interne Schriftstück von HBG vom Gericht bei der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung berücksichtigt werden kann (vgl. oben Randnr. 220).

233    Die beiden genannten Schriftstücke erlauben zwar die Feststellung, dass SNV ein aktives Mitglied des Kartells war; sie genügen jedoch nicht für den Nachweis, dass dieses Unternehmen tatsächlich die Einhaltung der im Rahmen des Kartells getroffenen Absprachen überwacht hätte oder dies auf eine besonders aktive Weise getan hätte.

–       Ergebnis zur Anführerrolle von SNV

234    Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich insgesamt, dass SNV in den ersten beiden Jahren des Kartells eine besondere Rolle gespielt hat; die von der Kommission vorgebrachten Beweismittel lassen hingegen nicht zweifelsfrei den Schluss zu, dass dieses Unternehmen ab dem multilateralen Funktionieren des Kartells eine Anführerrolle gespielt hätte.

235    Daher ist unter den besonderen Umständen des Falles festzustellen, dass die Feststellung der Kommission in der angefochtenen Entscheidung, dass SNV eine Anführerrolle bei der in Rede stehenden Zuwiderhandlung gespielt habe, nicht hinreichend untermauert ist.

236    Da die Kommission vor dem Gericht zum Beweis der Rolle von SNV als Anführerin der in Rede stehenden Zuwiderhandlung keine weiteren Beweismittel in Bezug auf die in den Randnrn. 343 bis 348 der angefochtenen Entscheidung angeführten Tatsachen vorgebracht hat, ist festzustellen, dass die bei den Akten befindlichen Schriftstücke es nicht ermöglichen, SNV als Anführerin einzustufen.

237    Folglich ist die Erhöhung des Grundbetrags der gegen die Klägerinnen festgesetzten Geldbuße insoweit aufzuheben, als sie die Rolle von SNV als Anstifterin (vgl. oben, Randnr. 182) und als Anführerin (vgl. oben, Randnrn. 233 und 234) betrifft. Die Schlüsse, die hieraus für die Festsetzung der Höhe der Geldbuße zu ziehen sind, werden unten in den Randnrn. 277 ff. untersucht werden.

 Zum Rückfall

 Vorbringen der Parteien

238    Die Klägerinnen machen geltend, die Kommission habe dadurch, dass sie ihre Geldbuße, weil gegen das Unternehmen Shell über seine Tochtergesellschaft Shell International Chemicals Co. Ltd (im Folgenden: SICC) bereits die Entscheidungen Polypropylen und PVC II ergangen seien, wegen Rückfalls um 50 % erhöht habe (Randnrn. 336 bis 338 der angefochtenen Entscheidung), einen Rechtsfehler begangen und seine Entscheidung nicht ausreichend begründet.

239    Der Unionsrichter habe bei Rückfällen darauf abgestellt, dass die Gesellschaften, die an verschiedenen Zuwiderhandlungen beteiligt seien, derselben Muttergesellschaft angehören müssten, die tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das rechtswidrige Verhalten ihrer Tochtergesellschaften ausgeübt haben müsse (Urteil Michelin/Kommission, oben in Randnr. 38 angeführt, Randnr. 290). Eine Erhöhung der Geldbuße wegen Rückfalls dürfe daher nur erfolgen, wenn die verschiedenen Zuwiderhandlungen derselben Muttergesellschaft hätten zugerechnet werden können. Im vorliegenden Fall seien die beiden früheren Zuwiderhandlungen aber SICC zugerechnet worden, deren Anteile zu 100 % SPCo gehörten, einer Holdinggesellschaft, die sich von SPNV unterscheide, der die Anteile von SNV gehörten. Hingegen habe die Kommission es ausgeschlossen, sie den Muttergesellschaften STT plc (nunmehr STT) und KNPM zuzurechnen. Das in dem Urteil Michelin/Kommission (oben in Randnr. 38 angeführt) aufgestellte Kriterium sei daher im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

240    Außerdem enthalte die angefochtene Entscheidung keine Ausführungen dazu, dass die Zuwiderhandlungen, die Gegenstand der Entscheidungen Polypropylen und PVC II gewesen seien, STT (vormals STT plc) hätten zugerechnet werden können und dass diese letztgenannte Gesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das rechtswidrige Verhalten von SICC ausgeübt hätte, der Tochtergesellschaft, die die Zuwiderhandlungen, die Gegenstand der genannten Entscheidungen gewesen seien, begangen habe.

241    Die Klägerinnen machen hilfsweise geltend, die Erhöhung um 50 % wegen Rückfalls sei unverhältnismäßig, weil niemand aus der Unternehmensführung an dieser Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei, der an dem vorliegenden Kartell beteiligte Mitarbeiter von SNV nicht an den beiden früheren Kartellen teilgenommen gehabt habe und die so festgesetzte Geldbuße höher sei als der Gewinn, den SNV im Jahr in den Niederlanden mit Bitumen erwirtschafte.

242    In der mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 2012 haben die Klägerinnen darüber hinaus geltend gemacht, die Kommission habe dadurch ihre Verteidigungsrechte verletzt, dass sie ihnen keine Gelegenheit gegeben habe, die Vermutung zu widerlegen, dass STT plc (nunmehr STT) und KNPM auf ihre Tochtergesellschaften, die wegen der beiden früheren Zuwiderhandlungen mit einer Sanktion belegt worden seien, tatsächlich einen bestimmenden Einfluss ausgeübt hätten.

243    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen. Sie hat im Übrigen in der mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 2012 darauf hingewiesen, dass ihre Entscheidung vom 29. November 2006, mit der eine gegen SPNV und zwei andere Gesellschaften des Unternehmens Shell festgesetzte Geldbuße in Anbetracht der bereits gegen das Unternehmen Shell ergangenen Entscheidungen Polypropylen und PVC II wegen Rückfalls erhöht worden sei, vom Gericht am 13. Juli 2011 bestätigt worden sei (Urteil des Gerichts vom 13. Juli 2011, Shell Petroleum u. a./Kommission, T‑38/07, Slg. 2011, II‑4383).

 Würdigung durch das Gericht

244    Die Kommission hat in den Randnrn. 336 bis 338 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass die Geldbuße bei Shell, da gegen dieses Unternehmen bereits die Entscheidungen Polypropylen und PVC II ergangen seien, wegen Rückfalls um 50 % zu erhöhen sei.

245    Hierzu ist zu beachten, dass ein etwaiger Wiederholungsfall bei der Prüfung der Schwere der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen ist (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 36 angeführt, Randnr. 91). Denn unter dem Gesichtspunkt der Abschreckung ist der Rückfall ein Umstand, der eine erhebliche Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße rechtfertigt, da er beweist, dass die zuvor verhängte Sanktion nicht abschreckend genug war (Urteil Michelin/Kommission, oben in Randnr. 38 angeführt, Randnr. 293).

246    Im Einklang mit diesen Grundsätzen enthält Nr. 2 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen unter der Überschrift „Erschwerende Umstände“ eine nicht abschließende Liste von Umständen, die zu einer Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße führen können, darunter „erneuter, gleichartiger Verstoß des/derselben Unternehmen(s)“.

247    Der Begriff des Rückfalls zielt auf die Fälle ab, in denen ein und dasselbe Unternehmen, nachdem es für eine Zuwiderhandlung bestraft worden ist, eine neue, ähnliche Zuwiderhandlung begeht (Urteil Michelin/Kommission, oben in Randnr. 38 angeführt, Randnr. 284).

248    Nach der Rechtsprechung darf die Kommission, da nach dem Wettbewerbsrecht der Union verschiedene Gesellschaften, die zum selben Konzern gehören, eine wirtschaftliche Einheit und somit ein Unternehmen im Sinne der Art. 81 EG und 82 EG darstellen, wenn sie ihr Marktverhalten nicht selbständig bestimmen und dies zur Folge hat, dass die Kommission wegen der Praktiken der konzernzugehörigen Gesellschaften eine Geldbuße gegen die Muttergesellschaft verhängen kann, von einem Rückfall ausgehen, wenn eine der Tochtergesellschaften eine Zuwiderhandlung begeht, die der gleichen Art ist wie eine Zuwiderhandlung, für die bereits eine andere Tochtergesellschaft bestraft worden ist (Urteil Michelin/Kommission, oben in Randnr. 38 angeführt, Randnr. 290).

249    Die Klägerinnen machen als Erstes geltend, im vorliegenden Fall seien die Voraussetzungen der Rechtsprechung nach dem Urteil Michelin/Kommission (oben in Randnr. 38 angeführt) nicht erfüllt, da die Muttergesellschaft, der die Zuwiderhandlungen zugerechnet worden seien, die Gegenstand der Entscheidungen Polypropylen und PVC II gewesen seien, nicht dieselbe sei wie diejenige, die an der von SNV begangen Zuwiderhandlung beteiligt sei. In den beiden früheren Sachen sei die Zuwiderhandlung nämlich SICC zugerechnet worden, deren Anteile zu 100 % STT plc und KNPM gehörten, während die vorliegende Zuwiderhandlung weder STT (vormals STT plc) noch der nicht mehr existierenden KNPM zugerechnet werden könne.

250    Hierzu ist festzustellen, dass SICC, gegen die die Entscheidungen Polypropylen und PVC II ergangen sind, und SNV, gegen die die angefochtene Entscheidung ergangen ist, Tochtergesellschaften sind, deren Anteile mittelbar zu 100 % denselben Muttergesellschaften gehören, nämlich STT (vormals STT plc) und KNPM.

251    Wie bereits oben in den Randnrn. 36 und 37 ausgeführt, betrifft das Wettbewerbsrecht der Union die Tätigkeit von Unternehmen, wobei unter dem Begriff des Unternehmens im Sinne von Art. 81 EG und der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen eine wirtschaftliche Einheit zu verstehen ist, selbst wenn diese wirtschaftliche Einheit rechtlich aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen gebildet wird (Urteil Akzo Nobel u. a./Kommission, oben in Randnr. 37 angeführt, Randnr. 55). Das wettbewerbswidrige Verhalten eines Unternehmens, das sein Marktverhalten nicht selbständig bestimmt, sondern vor allem wegen der wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen zu einem anderen Unternehmen im Wesentlichen dessen Weisungen befolgt hat, kann dem anderen Unternehmen zugerechnet werden (Urteil Akzo Nobel u. a./Kommission, oben in Randnr. 37 angeführt, Randnr. 58).

252    Außerdem hat der Unionsrichter entschieden, dass, da für die Kommission die Möglichkeit, jedoch nicht die Verpflichtung besteht, der Muttergesellschaft eine Zuwiderhandlung zuzurechnen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 24. September 2009, Erste Group Bank u. a./Kommission, C‑125/07 P, C‑133/07 P, C‑135/07 P und C‑137/07 P, Slg. 2009, I‑8681, Randnr. 82, und Urteil des Gerichts vom 14. Dezember 2006, Raiffeisen Zentralbank Österreich u. a./Kommission, T‑259/02 bis T‑264/02 und T‑271/02, Slg. 2006, II‑5169, Randnr. 331), der bloße Umstand, dass die Kommission eine solche Zurechnung in einer früheren Entscheidung nicht vornahm, keine Verpflichtung der Kommission impliziert, in einer späteren Entscheidung die gleiche Beurteilung vorzunehmen (Urteile des Gerichts PVC II, oben in Randnr. 52 angeführt, Randnr. 990, vom 17. Mai 2011, Elf Aquitaine/Kommission, T‑299/08, Slg. 2011, II‑2149, Randnr. 60, und Arkema France/Kommission, T‑343/08, Slg. 2011, II‑2287, Randnr. 100).

253    Dass sich die Kommission in den genannten Sachen dafür entschieden hat, die Zuwiderhandlung SICC, einer 100%igen Tochtergesellschaft von SPCo, deren Anteile wiederum zu 100 % STT plc (nunmehr STT) und KNPM gehören, zuzurechnen, und nicht diesen beiden letzteren Gesellschaften, hindert sie also nicht daran, gemäß der Rechtsprechung über den Rückfall vorzugehen.

254    Außerdem hat die Kommission, wie oben aus den Randnrn. 35 bis 52 hervorgeht, im vorliegenden Fall die Zuwiderhandlung zu Recht STT (vormals STT plc) zugerechnet.

255    Zu dem Vorbringen in Bezug auf das Verschwinden von KNPM ist festzustellen, dass, zu verhindern ist, dass Unternehmen Sanktionen einfach dadurch entgehen könnten, dass durch Umstrukturierungen, Übertragungen oder sonstige Änderungen rechtlicher oder organisatorischer Art ihre Identität geändert wird, da anderenfalls das Ziel, gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrags verstoßende Verhaltensweisen zu ahnden und ihrer Wiederholung durch abschreckende Sanktionen vorzubeugen, beeinträchtigt würde (Urteile des Gerichtshofs vom 15. Juli 1970, ACF Chemiefarma/Kommission, 41/69, Slg. 1970, 661, Randnr. 173, vom 29. Juni 2006, Showa Denko/Kommission, C‑289/04 P, Slg. 2006, I‑5859, Randnr. 61, vom 7. Juni 2007, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, C‑76/06 P, Slg. 2007, I‑4405, Randnr. 22, und ETI u. a., oben in Randnr. 44 angeführt, Randnr. 41). Daher kann das Verschwinden von KNPM keinen Einfluss auf die Möglichkeit haben, auf das Unternehmen, das weiter existiert, die Regeln über den Rückfall anzuwenden.

256    Somit ist festzustellen, dass die Klägerinnen zu Unrecht geltend machen, die Voraussetzungen gemäß der durch das Urteil Michelin/Kommission (oben in Randnr. 38 angeführt) begründeten Rechtsprechung seien nicht erfüllt. Der Kommission ist also dadurch, dass sie angenommen hat, dass bei den Klägerinnen ein Rückfall vorliegt, kein Rechtsfehler unterlaufen.

257    Die Klägerinnen machen als Zweites hilfsweise geltend, die Kommission sei wegen ihrer Begründungspflicht verpflichtet gewesen, in der angefochtenen Entscheidung die Beweismittel vorzubringen, die bewiesen, dass die Zuwiderhandlungen, die Gegenstand der Entscheidungen Polypropylen und PVC II gewesen seien, STT (vormals STT plc) hätten zugerechnet werden können und dass diese Gesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das rechtswidrige Verhalten von SICC ausgeübt habe, der Tochtergesellschaft, die die Zuwiderhandlungen, die Gegenstand dieser Entscheidungen gewesen seien, begangen habe.

258    Hierzu ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung die in Art. 253 EG vorgeschriebene Begründung die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann, und das Begründungserfordernis nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu beurteilen ist, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 253 EG genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet zu beurteilen ist (vgl. die oben in den Randnrn. 108 bis 111 angeführte Rechtsprechung).

259    Außerdem kommt der Begründungspflicht im Hinblick auf die Festsetzung einer wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbuße eine ganz besondere Bedeutung zu (Urteil Chalkor/Kommission, oben in Randnr. 109 angeführt, Randnr. 61). So muss die Kommission, wenn sie zur Anwendung des erschwerenden Umstands der erneuten Zuwiderhandlung auf den Begriff des Unternehmens im Sinne von Art. 81 EG zurückgreifen will, hierfür substantiierte und genaue Anhaltspunkte anführen.

260    Im vorliegenden Fall hatte die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausgeführt, dass sie die Tatsache, dass bei denselben Unternehmen früher ähnliche Zuwiderhandlungen festgestellt worden seien, als erschwerenden Umstand betrachtet (Randnr. 336 der angefochtenen Entscheidung). In ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte hatten die Klägerinnen lediglich geltend gemacht, dass die rechtlichen Einheiten, gegen die die früheren Entscheidungen der Kommission gerichtet gewesen seien, keinen Bezug zu den Geschäften mit Straßenbaubitumen in den Niederlanden hätten.

261    In der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission festgestellt, dass gegen das Unternehmen Shell über seine Tochtergesellschaft SICC bereits die früheren Verbotsentscheidungen Polypropylen und PVC II ergangen seien (Randnrn. 336 bis 338 der angefochtenen Entscheidung). Sie hat im Übrigen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zu prüfen sei, ob diese verschiedenen Zuwiderhandlungen von demselben Unternehmen begangen worden seien, dass die rechtlichen Einheiten innerhalb eines Unternehmens, die Erzeugnisse und die Mitarbeiter bei allen diesen Entscheidungen nicht unbedingt identisch sein müssten und dass sie im vorliegenden Fall in dem Kapitel über die Haftung nachgewiesen habe, dass die rechtlichen Einheiten von Shell, die an der in Rede stehenden Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien, zu demselben Unternehmen gehörten, das auch an den früheren Zuwiderhandlungen beteiligt gewesen sei (Randnr. 337 der angefochtenen Entscheidung).

262    Die Kommission hat in Randnr. 213 der angefochtenen Entscheidung nämlich u. a. festgestellt, dass in der Entscheidung PVC II und in dem diese Entscheidung betreffenden Urteil PVC II (oben in Randnr. 52 angeführt, Randnr. 312) eindeutig festgestellt worden sei, dass SICC Teil des einheitlichen Unternehmens Shell gewesen sei, das die Zuwiderhandlung begangen habe, auch wenn die Kommission damals die Entscheidung nicht an die Muttergesellschaften des Konzerns gerichtet gehabt habe. In der Sache Polypropylen habe die gegen SICC verhängte Sanktion für den gesamten Shell-Konzern gegolten (Randnr. 196 der angefochtenen Entscheidung). Im vorliegenden Fall sei es anders als in den beiden früheren Sachen nicht möglich gewesen, für den gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung eine einzige rechtliche Einheit, die eine koordinierende und strategisch-planende Rolle gespielt habe, unterhalb der höchsten Konzernebene als verantwortlich zu bestimmen. Außerdem hatte die Kommission in der Entscheidung PVC II (Randnrn. 44 und 46) festgestellt, dass „[i]m Falle eines großen Industriekonzerns … gewöhnlich alle Entscheidungen an die Holding-Gesellschaft des Konzerns oder an die Konzernzentrale gerichtet [würden], obwohl das Unternehmen selbst als eine von der Muttergesellschaft und allen ihren Tochtergesellschaften gebildeten Einheit [bestehe]“, sie sich wegen der besonderen Doppelspitzestruktur von Shell und mangels eines einheitlichen Sitzes, an den die Entscheidung hätte gesandt werden können, aber dafür entschieden habe, die Entscheidung an SICC zu richten.

263    Was die Rüge der Klägerinnen angeht, die Kommission habe nicht den Nachweis erbracht, dass STT (vormals STT plc) tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das rechtswidrige Verhalten von SICC ausgeübt hätte, der Tochtergesellschaft, die die Zuwiderhandlungen, die Gegenstand der Entscheidungen Polypropylen und PVC II gewesen seien, begangen habe, ist festzustellen, dass die Kommission nach den oben in den Randnrn. 36 bis 52 dargelegten Grundsätzen nicht verpflichtet war, solche Beweismittel zu benennen, da die Anteile an SICC zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlungen zu 100 % STT plc (nunmehr STT) und KNPM zusammen gehörten und dies von den Klägerinnen zu keinem Zeitpunkt bestritten worden ist.

264    Nach alledem ist die Begründung der Kommission gemäß den Anforderungen der Rechtsprechung hinreichend substantiiert und genau, da die Klägerinnen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen konnten und das Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Die Erwägungen, von denen sich Kommission bei der Feststellung hat leiten lassen, dass die drei in Rede stehenden Zuwiderhandlungen von demselben Unternehmen begangen worden seien, waren für die Klägerinnen nämlich eindeutig nachvollziehbar.

265    Die Klägerinnen machen als Drittes geltend, der Grad der Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen Rückfalls sei mit 50 % unverhältnismäßig, da niemand aus der Unternehmensführung von Shell an dieser Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei, der daran beteiligte Mitarbeiter von SNV hingegen nicht an den beiden früheren Zuwiderhandlungen beteiligt gewesen sei und der Gewinn von SNV gegenüber der Höhe der Geldbuße geringfügig sei.

266    Zunächst ist festzustellen, dass aus dem Vorbringen der Klägerinnen nicht klar hervorgeht, ob sie mit dieser Rüge eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch die Kommission geltend machen oder das Gericht darum ersuchen, im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung, zu beurteilen, ob der Grad der Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen Rückfalls, den die Kommission in der angefochtenen Entscheidung angewandt hat, verhältnismäßig ist.

267    Jedenfalls hat der Unionsrichter bereits entschieden, dass die Kommission bei der Bemessung der Geldbuße sicherstellen muss, dass ihr Vorgehen die notwendige abschreckende Wirkung hat (Urteil des Gerichts vom 7. Oktober 1999, Irish Sugar/Kommission, T‑228/97, Slg. 1999, II‑2969, Randnr. 245) und dass der Wiederholungsfall ein Umstand ist, der eine erhebliche Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße rechtfertigt, da er ein Beweis dafür ist, dass die zuvor verhängte Sanktion nicht abschreckend genug war (Urteil Michelin/Kommission, oben in Randnr. 38 angeführt, Randnr. 293). Ebenso ist die Verhängung einer Geldbuße gegen ein Unternehmen, die nicht im Verhältnis zu seiner Größe auf dem relevanten Markt steht, nicht auf eine offensichtlich überzogene Betrachtungsweise des Rückfallkontextes zurückzuführen, sondern auf eine Reihe von Erwägungen, die die Kommission bei der Bemessung der Geldbuße zu Recht berücksichtigen konnte; die Schwere der Zuwiderhandlungen ist nämlich anhand zahlreicher Gesichtspunkte zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (Urteil des Gerichts vom 25. Oktober 2005, Groupe Danone/Kommission, T‑38/02, Slg. 2005, II‑4407, Randnrn. 368 und 369).

268    Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission bei der Festsetzung eines Erhöhungssatzes unter dem Gesichtspunkt der wiederholten Zuwiderhandlung die Anhaltspunkte berücksichtigen kann, die eine Neigung des betreffenden Unternehmens zur Verletzung der Wettbewerbsregeln bestätigen, einschließlich des zwischen den betreffenden Verstößen verstrichenen Zeitraums (Urteil des Gerichts vom 6. Mai 2009, Outokumpu und Luvata/Kommission, T‑122/04, Slg. 2009, II‑1135, Randnr. 62). Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass die in Rede stehende Zuwiderhandlung zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung die dritte derselben Art war, bei der die Kommission gegen das Unternehmen Shell eine Entscheidung erlassen hat. Insbesondere ist festzustellen, dass es bei den Zuwiderhandlungen, die Gegenstand der Entscheidungen Polypropylen und PVC II gewesen sind, wie bei der Zuwiderhandlung, die Gegenstand des vorliegenden Falles ist, um die Festlegung von Preiszielen oder die Aufteilung des Markts ging. Im Übrigen hat das Gericht bereits entschieden, dass eine Erhöhung um 50 % gerechtfertigt ist, wenn zwischen den verschiedenen Zuwiderhandlungen weniger als zehn Jahre verstrichen sind, wie im vorliegenden Fall, in dem das Kartell 1994 begonnen hat (Urteil Groupe Danone/Kommission, oben in Randnr. 267 angeführt, Randnrn. 354 und 355). Schließlich ist festzustellen, dass die Kommission mit einer Entscheidung vom 29. November 2006 festgestellt hat, dass das Unternehmen Shell gegen Art. 81 EG verstoßen hat, indem es mit anderen Unternehmen vom 20. Mai 1996 bis 31. Mai 1999 eine Absprache getroffen hat mit der Vereinbarung, Preisziele festzulegen, Kunden durch Nichtangriffsvereinbarungen aufzuteilen und sensible Geschäftsinformationen über Preise, Wettbewerber und Kunden im Kautschuk- und im Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk-Sektor auszutauschen (Entscheidung C[2006] 5700 endg. der Kommission vom 29. November 2006 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR‑Abkommen [Sache COMP/F/38.638 – Butadien‑Kautschuk und Emulsionsstyrol‑Butadienkautschuk]).

269    Unter diesen Umständen erlaubt keiner der von den Klägerinnen geltend gemachten Gesichtspunkte die Feststellung, dass die Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße um 50 %, um sie zur Beachtung der Wettbewerbsregeln anzuhalten, unverhältnismäßig wäre. Daher ist diese Rüge zurückzuweisen, zum einen, weil die Kommission mit ihrem Vorgehen nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen hat, und zum anderen, weil das Vorbringen der Klägerinnen keine andere Beurteilung durch das Gericht als durch die Kommission rechtfertigt.

270    Als Viertes und Letztes haben die Klägerinnen erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 2012 geltend gemacht, die Kommission habe dadurch ihre Verteidigungsrechte verletzt, dass sie ihnen nicht Gelegenheit gegeben habe, die Vermutung zu widerlegen, dass STT plc (nunmehr STT) und KNPM auf ihre Tochtergesellschaften, die wegen der beiden früheren Zuwiderhandlungen mit Sanktionen belegt worden seien, tatsächlich einen bestimmenden Einfluss ausgeübt hätten.

271    Dazu ist festzustellen, dass sich aus Art. 44 § 1 Buchst. c in Verbindung mit Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung ergibt, dass die Klageschrift u. a. eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss und im Übrigen neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden können, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Ein Angriffsmittel, das eine Erweiterung eines bereits vorher – unmittelbar oder implizit – in der Klageschrift vorgetragenen Angriffsmittels darstellt und einen engen Zusammenhang mit diesem aufweist, ist jedoch für zulässig zu erklären (Beschluss des Gerichtshofs vom 13. November 2001, Dürbeck/Kommission, C‑430/00 P, Slg. 2001, I‑8547, Randnr. 17).

272    Im Übrigen kann der Richter im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel oder neues Vorbringen nur unter zwei Voraussetzungen zulassen, nämlich dass sie für seine Entscheidung erheblich sind und nicht auf einen Nichtigkeitsgrund gestützt sind, der nicht in der Klageschrift geltend gemacht worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 14. Oktober 1999, Atlanta/Europäische Gemeinschaft, C‑104/97 P, Slg. 1999, I‑6983, Randnrn. 27 bis 29).

273    Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Klägerinnen im schriftlichen Verfahren keinen Klagegrund geltend gemacht haben, dass ihre Verteidigungsrechte durch die mangelnde Gelegenheit zur Widerlegung der Vermutung verletzt worden seien, dass STT plc (nunmehr STT) und KNPM tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaften ausgeübt haben, die wegen der früheren Zuwiderhandlungen mit Sanktionen belegt worden sind. Die Klägerinnen haben im Übrigen auch nicht dargelegt, dass dieses Angriffsmittel auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt wäre, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Schließlich kann dieses Angriffsmittel entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 2012 auch nicht als Erweiterung des in der Klageschrift geltend gemachten Klagegrundes, mit dem ein Verstoß gegen die Begründungspflicht gerügt wird, angesehen werden.

274    Somit ist dieses Angriffsmittel als unzulässig zurückzuweisen.

275    Jedenfalls geht aus den Akten hervor, dass die Klägerinnen im vorliegenden Fall im Verwaltungsverfahren Gelegenheit hatten, zum Beweis der Tatsache, dass das Unternehmen, das wegen der ersten beiden Zuwiderhandlungen mit Sanktionen belegt worden ist, nicht dasselbe gewesen ist wie dasjenige, das die vorliegende Zuwiderhandlung begangen hat, Beweismittel vorzubringen; die Kommission hat in der Mitteilung der Beschwerdepunkte (Randnrn. 93 und 283) nämlich unter Verweis auf die Entscheidungen Polypropylen und PVC II und das Urteil Shell/Kommission (oben in Randnr. 187 angeführt) festgestellt, dass das Unternehmen Shell bereits in der Vergangenheit wegen Zuwiderhandlungen gegen Art. 81 EG verurteilt worden sei.

276    Nach alledem war die Kommission berechtigt, den Grundbetrag der Geldbuße wegen Rückfalls um 50 % zu erhöhen; das Gericht hält diese Erhöhung für angemessen.

 Ergebnis in Bezug auf die erschwerenden Umstände

277    Wie oben in den Randnrn. 140 bis 237 ausgeführt, hat die Kommission nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen, dass SNV bei der in Rede stehenden Zuwiderhandlung eine Anstifter- und Anführerrolle gespielt hätte. Nach Auffassung des Gerichts genügt diese Feststellung dafür, dass das Gericht, was die Beurteilung der von SNV bei der in Rede stehenden Zuwiderhandlung gespielten Rolle angeht, von seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung Gebrauch macht. Insoweit ist in Erinnerung zu rufen, dass die Kommission bei den Klägerinnen eine einheitliche Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen des erschwerenden Umstands gemäß Nr. 2 dritter Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen vorgenommen hat.

278    Nach Auffassung des Gerichts ist diese Erhöhung, die bei den Klägerinnen vorgenommen worden ist, aufzuheben.

279    Das Gericht folgert aus dieser Abänderung, dass die gegen die Klägerinnen in Art. 2 Buchst. l der angefochtenen Entscheidung festgesetzte Geldbuße auf 81 Mio. Euro herabzusetzen ist.

 Kosten

280    Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Art. 87 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt und teils unterliegt.

281    Da die Klägerinnen im vorliegenden Fall mit ihren Anträgen zu einem erheblichen Teil unterlegen sind, erscheint es bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles geboten, zu entscheiden, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt.

282    Im Übrigen ist der im Rahmen der Kostenanträge gestellte Antrag der Klägerinnen, der Kommission die durch die Zahlung der Geldbuße oder die Stellung einer Bankbürgschaft entstandenen Kosten aufzuerlegen, zurückzuweisen. Nach ständiger Rechtsprechung stellen solche Aufwendungen nämlich keine Verfahrenskosten dar (vgl. in diesem Sinne Urteil Zement, oben in Randnr. 77 angeführt, Randnr. 5133 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Art. 2 Buchst. l der Entscheidung K(2006) 4090 endg. der Kommission vom 13. September 2006 in einem Verfahren gemäß Artikel 81 [EG] (Sache COMP/F/38.456 – Bitumen [Niederlande]) wird insoweit für nichtig erklärt, als darin die gegen die Shell Petroleum NV, The Shell Transport and Trading Co. Ltd und die Shell Nederland Verkoopmaatschappij BV verhängte Geldbuße auf 108 Mio. Euro festgesetzt wird.

2.      Die durch Art. 2 Buchst. l der genannten Entscheidung gegen die Shell Petroleum NV, The Shell Transport and Trading Co. Ltd und die Shell Nederland Verkoopmaatschappij BV verhängte Geldbuße wird auf 81 Mio. Euro herabgesetzt.

3.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4.      Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Jaeger

Wahl

Soldevila Fragoso

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. September 2012.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis


Sachverhalt

1.  Klägerinnen

2.  Verwaltungsverfahren

3.  Angefochtene Entscheidung

Verfahren und Anträge der Parteien

Rechtliche Würdigung

1.  Zum ersten Klagegrund: Rechts- und Beurteilungsfehler bei der Zurechnung der Zuwiderhandlung an die Muttergesellschaften

Zu den Rechtsfehlern

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

–  Zur Vermutung, dass eine Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt

–  Zur Anwendung der genannten Vermutung auf zwei Muttergesellschaften, die zusammen zu 100 % an ihrer Tochtergesellschaft beteiligt sind

–  Zur Widerlegbarkeit der Vermutung, dass eine Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre 100%ige Tochtergesellschaft ausübt

Zu den Angaben zur Widerlegung der Vermutung, dass eine Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft ausübt

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

2.  Zum zweiten Klagegrund: Verletzung wesentlicher Formvorschriften und der Verteidigungsrechte

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

Allgemeine Grundsätze zur Einsicht in Schriftstücke aus der Zeit nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte

Anwendung auf den vorliegenden Fall

3.  Zum dritten Klagegrund: Fehler bei der Tatsachenfeststellung und ‑würdigung und Rechtsfehler bei der Ermittlung des Grundbetrags der Geldbuße und bei der Bestimmung der Dauer der Zuwiderhandlung

Zur Schwere der Zuwiderhandlung

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

–  Prüfung des Vorbringens der Klägerinnen im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle

–  Prüfung des Vorbringens der Klägerinnen im Rahmen der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung

Zur Dauer der Zuwiderhandlung

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

4.  Zum vierten Rechtsmittelgrund: Fehler bei der Tatsachenfeststellung oder ‑würdigung und Rechtsfehler in Bezug auf die erschwerenden Umstände

Zur Anstifterrolle von SNV

Vorbringen der Parteien

–  Zu dem KWS gemachten Angebot, den W5 Sonderrabatte zu gewähren

–  Zu den Versuchen, ExxonMobil zu überreden, dem Kartell beizutreten

Würdigung durch das Gericht

–  Allgemeine Grundsätze zur Anstifterrolle

–  Zulässigkeit der von den Klägerinnen vorgelegten Zeugenaussage

–  Zu dem den W5 gewährten Sonderrabatt

–  Zu den Versuchen, ExxonMobil zu überreden, dem Kartell beizutreten

–  Ergebnis zur Anstifterrolle

Zur Anführerrolle von SNV

Vorbringen der Parteien

–  Zur Rolle, die SNV spielte, als sie 1994 und 1995 im Namen der Lieferanten mit KWS verhandelte

–  Zur Tatsache, dass SNV ab 1996 zusammen mit KWS vorab darüber entschieden hat, ob es zweckmäßig ist, eine Zusammenkunft der Lieferanten und der W5 zu organisieren

–  Zur maßgeblichen Rolle von SNV bei den Vortreffen der Lieferanten

–  Zur Rolle von SNV als Wortführer der Lieferanten bei den Abstimmungstreffen über Bitumen

–  Zur Überwachung der Durchführung des Kartells

Würdigung durch das Gericht

–  Allgemeine Grundsätze zur Anführerrolle

–  Zur Rolle, die SNV 1994 und 1995 spielte, als sie im Namen der Lieferanten mit KWS verhandelte

–  Zur Tatsache, dass SNV ab 1996 vorab mit KWS darüber entschied, ob es zweckmäßig sei, eine Zusammenkunft der Lieferanten und der W5 zu organisieren

–  Zur maßgeblichen Rolle von SNV bei den Vortreffen der Lieferanten

–  Zur Rolle von SNV als Wortführer bei den Bitumengesprächen

–  Zur Überwachung der Durchführung des Kartells

–  Ergebnis zur Anführerrolle von SNV

Zum Rückfall

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

Ergebnis in Bezug auf die erschwerenden Umstände

Kosten


* Verfahrenssprache: Englisch.