Language of document : ECLI:EU:C:2012:600

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 2. Oktober 2012(1)

Rechtssache C‑399/11

Strafverfahren

gegen

Stefano Melloni

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Constitucional [Spanien])

„Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Europäischer Haftbefehl – Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten – Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der der Betroffene nicht persönlich erschienen ist – Vollstreckung einer in Abwesenheit verhängten Strafe – Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 53“






1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof betrifft die Auslegung und gegebenenfalls Beurteilung der Gültigkeit von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten(2) in der Fassung des Rahmenbeschlusses 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009(3) zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist. Außerdem wird der Gerichtshof darum ersucht, erstmalig die Tragweite von Art. 53 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) zu klären.

2.        Die vorliegende Rechtssache bietet ein gutes Beispiel für die Art und Weise, in der das Nebeneinanderbestehen der verschiedenen Instrumente zum Schutz der Grundrechte zu behandeln ist. Sie hat ihren Ursprung in einer Rechtsprechung des Tribunal Constitucional (Spanien), wonach die Vollstreckung eines zum Zweck der Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils ausgestellten Europäischen Haftbefehls stets an die Bedingung zu knüpfen ist, dass die verurteilte Person im Ausstellungsmitgliedstaat die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann. Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses sieht u. a. vor, dass die Übergabe einer solchen Person, wenn sie Kenntnis von der anberaumten Verhandlung hatte und ein Mandat an einen Rechtsbeistand erteilt hat, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, nicht an eine Bedingung dieser Art geknüpft werden kann.

3.        Das Tribunal Constitucional ersucht den Gerichtshof mit seinen drei Fragen darum, die verschiedenen Auffassungen für die Aufrechterhaltung seiner Rechtsprechung – auch im Rahmen der Umsetzung des Rahmenbeschlusses – zu beurteilen. Somit sind mehrere Ansätze zu verfolgen.

4.        Kann sich die allgemeine Geltung der Bedingung, wonach es zur Vollstreckung eines zum Zweck der Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils ausgestellten Europäischen Haftbefehls erforderlich ist, dass die verurteilte Person im Ausstellungsmitgliedstaat die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann, aus einer wörtlichen, systematischen und teleologischen Auslegung von Art. 4a des Rahmenbeschlusses ergeben?

5.        Falls dies zu verneinen ist: Ist diese Vorschrift mit den Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 2 der Charta vereinbar, die dem Angeklagten das Recht auf ein faires Verfahren und Achtung der Verteidigungsrechte garantieren? Außerdem ist zu fragen, ob das Unionsrecht diesen Grundrechten einen im Vergleich zu dem Schutzniveau, das ihnen die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) garantiert, erweiterten Schutz gewähren muss.

6.        Falls die Prüfung der ersten beiden Fragen ergibt, dass es Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses in Anbetracht von Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 2 der Charta verbietet, dass das Tribunal Constitucional seine Rechtsprechung zum Europäischen Haftbefehl beibehält: Bietet ihm Art. 53 der Charta diese Möglichkeit?

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Primäres Unionsrecht

7.        Art. 47 Abs. 2 der Charta bestimmt:

„Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.“

8.        Art. 48 Abs. 2 der Charta sieht vor:

„Jeder angeklagten Person wird die Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet.“

9.        Art. 52 Abs. 3 der Charta bestimmt:

„Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die [EMRK] garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.“

10.      Art. 53 der Charta lautet:

„Keine Bestimmung dieser Charta ist als eine Einschränkung oder Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen, die in dem jeweiligen Anwendungsbereich durch das Recht der Union und das Völkerrecht sowie durch die internationalen Übereinkommen, bei denen die Union, die Gemeinschaft oder alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien sind, darunter insbesondere die [EMRK], sowie durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden.“

B –    Abgeleitetes Unionsrecht

11.      In Art. 1 des Rahmenbeschlusses heißt es:

„…

(2)      Die Mitgliedstaaten vollstrecken jeden Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses.

(3)      Dieser Rahmenbeschluss berührt nicht die Pflicht, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegt sind, zu achten.“

12.      Art. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 sah vor:

„Die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls durch die vollstreckende Justizbehörde kann nach dem Recht dieses Staates an eine der folgenden Bedingungen geknüpft werden:

1.      Ist der Europäische Haftbefehl zur Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Sicherung ausgestellt worden, die in einem Abwesenheitsurteil verhängt worden ist, und ist die betroffene Person nicht persönlich vorgeladen oder nicht auf andere Weise vom Termin und vom Ort der Verhandlung, die zum Abwesenheitsurteil geführt hat, unterrichtet worden, so kann die Übergabe an die Bedingung geknüpft werden, dass die ausstellende Justizbehörde eine als ausreichend erachtete Zusicherung gibt, wonach die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, die Möglichkeit haben wird, im Ausstellungsmitgliedstaat eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen und bei der Gerichtsverhandlung anwesend zu sein.

…“

13.      Art. 2 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses 2009/299 bestimmt:

„Artikel 5 Absatz 1 [des Rahmenbeschlusses 2002/584] wird gestrichen.“

14.      Als Ersatz für diese gestrichene Vorschrift wurde durch Art. 2 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses 2009/299 ein Art. 4a in den Rahmenbeschluss 2002/584 eingefügt.

15.      Wie Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2009/299 zum Ausdruck bringt, bestehen dessen Ziele darin, „die Verfahrensrechte von Personen, gegen die ein Strafverfahren anhängig ist, zu stärken, zugleich die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zu erleichtern und insbesondere die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern“.

16.      Art. 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2009/299 bestimmt zudem, dass „[d]ieser Rahmenbeschluss … nicht die Verpflichtung zur Achtung der Grundrechte und der allgemeinen Rechtsgrundsätze gemäß Artikel 6 des Vertrags einschließlich des Verteidigungsrechts von Personen [berührt], gegen die ein Strafverfahren anhängig ist; die Verpflichtungen der Justizbehörden in dieser Hinsicht bleiben unberührt“.

17.      In Art. 4a des Rahmenbeschlusses heißt es:

„(1)      Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellten Europäischen Haftbefehls auch verweigern, wenn die Person nicht persönlich zu der Verhandlung erschienen ist, die zu der Entscheidung geführt hat, es sei denn, aus dem Europäischen Haftbefehl geht hervor, dass die Person im Einklang mit den weiteren verfahrensrechtlichen Vorschriften des einzelstaatlichen Rechts des Ausstellungsmitgliedstaats

a)      rechtzeitig

i)      entweder persönlich vorgeladen wurde und dabei von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, die zu der Entscheidung geführt hat, oder auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort dieser Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, und zwar auf eine Weise, dass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass sie von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte,

und

ii)      davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint;

oder

b)      in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an einen Rechtsbeistand, der entweder von der betroffenen Person oder vom Staat bestellt wurde, erteilt hat, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und bei der Verhandlung von diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden ist;

oder

c)      nachdem ihr die Entscheidung zugestellt und sie ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt worden ist, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann:

i)      ausdrücklich erklärt hat, dass sie die Entscheidung nicht anficht;

oder

ii)      innerhalb der geltenden Frist keine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. kein Berufungsverfahren beantragt hat.

oder

d)      die Entscheidung nicht persönlich zugestellt erhalten hat, aber

i)      sie unverzüglich nach der Übergabe persönlich zugestellt erhalten wird und ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt werden wird, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann;

und

ii)      von der Frist in Kenntnis gesetzt werden wird, über die sie gemäß dem einschlägigen Europäischen Haftbefehl verfügt, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. ein Berufungsverfahren zu beantragen.

…“

II – Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

18.      Mit Beschluss vom 1. Oktober 1996 erklärte die Erste Kammer der Sala de lo Penal de la Audiencia Nacional (Strafsenat der Audiencia Nacional) (Spanien) die Auslieferung von Herrn Melloni (im Folgenden: Beschwerdeführer) nach Italien zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen ihn wegen der Handlungen, die in den Haftbefehlen Nrn. 554/1993 und 444/1993 des Tribunale di Ferrara (Italien) vom 13. Mai und 15. Juni 1993 beschrieben waren, für zulässig. Nachdem dem Beschwerdeführer gegen eine Kaution von 5 000 000 ESP, die er am folgenden Tag leistete, die Freilassung gewährt worden war, wurde er flüchtig, so dass er nicht den italienischen Behörden übergeben werden konnte.

19.      Mit Beschluss vom 27. März 1997 stellte das Tribunale di Ferrara das Nichterscheinen des Beschwerdeführers fest und ordnete an, die weiteren Zustellungen an die von diesem bereits benannten Vertrauensanwälte vorzunehmen. Mit Urteil des Tribunale di Ferrara vom 21. Juni 2000, das später durch Urteil der Corte d’appello di Bologna (Italien) vom 14. März 2003 bestätigt wurde, wurde der Beschwerdeführer in Abwesenheit wegen betrügerischen Konkurses zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit Urteil der Fünften Strafkammer der Corte suprema di cassazione (Italien) vom 7. Juni 2004 wurde das Rechtsmittel der Anwälte des Beschwerdeführers zurückgewiesen. Am 8. Juni 2004 stellte der Generalstaatsanwalt bei der Corte d’appello di Bologna den Europäischen Haftbefehl Nr. 271/2004 zur Vollstreckung des vom Tribunale di Ferrara erlassenen Urteils aus.

20.      Nach der Festnahme des Beschwerdeführers durch die spanische Polizei legte das Juzgado Central de Instrucción Nr. 6 (Spanien) den Europäischen Haftbefehl Nr. 271/2004 mit Beschluss vom 2. August 2008 der Sección Primera de la Sala de lo Penal de la Audiencia Nacional vor.

21.      Der Beschwerdeführer widersprach seiner Übergabe an die italienischen Behörden, da er erstens im Berufungsverfahren einen anderen Rechtsanwalt beauftragt und seine beiden früheren Anwälte von ihrem Mandat entbunden habe, die Zustellungen aber gleichwohl weiterhin an diese erfolgt seien, und zweitens das italienische Prozessrecht nicht die Möglichkeit vorsehe, in Abwesenheit ausgesprochene Verurteilungen anzufechten, weshalb der Europäische Haftbefehl in seinem Fall unter die Bedingung gestellt werden müsse, dass die Italienische Republik die Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil gewährleiste.

22.      Mit Beschluss vom 12. September 2008 gestattete die Sección Primera de la Sala de lo Penal de la Audiencia Nacional die Übergabe des Beschwerdeführers an die italienischen Behörden zur Vollstreckung der gegen ihn vom Tribunale di Ferrara wegen betrügerischen Konkurses verhängten Strafe, da nicht erwiesen sei, dass die vom Beschwerdeführer beauftragten Rechtsanwälte ihn seit 2001 nicht mehr vertreten hätten, und seine Verteidigungsrechte gewahrt worden seien, da dem Beschwerdeführer die bevorstehende Durchführung des Gerichtsverfahrens bekannt gewesen sei, er aus freien Stücken nicht vor Gericht erschienen sei und für seine Vertretung und Verteidigung zwei Anwälte benannt habe, die in dieser Eigenschaft in erster Instanz, im Berufungsverfahren und im Kassationsverfahren tätig geworden seien und damit den Rechtsweg ausgeschöpft hätten.

23.      Der Beschwerdeführer hat gegen den Beschluss der Sección Primera de la Sala de lo Penal de la Audiencia Nacional vom 12. September 2008 beim Tribunal Constitucional einen „recurso de amparo“(4) eingelegt. Zur Stützung dieses Rechtsmittels macht er eine Verletzung der sich aus dem in Art. 24 Abs. 2 der spanischen Verfassung verankerten Recht auf ein faires Verfahren ergebenden absoluten Gebote geltend. Denn es sei der Wesensgehalt des fairen Verfahrens in einer Weise beeinträchtigt, die die Menschenwürde antaste, da die Auslieferung in Staaten gestattet worden sei, die in Fällen sehr schwerer Straftaten in Abwesenheit ausgesprochene Verurteilungen für gültig erklärten, ohne dass die Übergabe des Verurteilten unter der Bedingung stehe, dass solche Verurteilungen zur Wahrung der Verteidigungsrechte angefochten werden könnten. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, dass seine Beschwerde besondere verfassungsrechtliche Bedeutung habe, da der Beschluss vom 12. September 2008 von der gefestigten Rechtsprechung des Verfassungsgerichts abweiche, nach der in Fällen von Verurteilungen wegen schwerer Straftaten, die in Abwesenheit des Angeklagten ausgesprochen worden seien, die Auslieferung von der Bedingung abhängig gemacht werden müsse, dass das Urteil einer Überprüfung unterzogen werden könne(5).

24.      Mit Beschluss vom 18. September 2008 erklärte die Erste Kammer des Tribunal Constitucional den „recurso de amparo“ für zulässig und setzte die Vollziehung des Beschlusses vom 12. September 2008 aus. Mit Beschluss vom 1. März 2011 zog das Plenum des Tribunal Constitucional auf Vorschlag der Ersten Kammer dieses Gerichts die Entscheidung über den „recurso de amparo“ an sich.

25.      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es in seinem bereits angeführten Urteil Nr. 91/2000 festgestellt habe, dass der bindende Inhalt der Grundrechte nach außen hin, d. h. in einem grenzüberschreitenden Zusammenhang, stärker begrenzt sei, so dass nur die grundlegendsten und elementarsten Gebote aus Art. 24 der spanischen Verfassung hergeleitet und bei der Beurteilung einer „indirekten“ Verfassungswidrigkeit berücksichtigt werden könnten. Gleichwohl stelle die Entscheidung der spanischen Gerichte, die Auslieferung in Staaten zu gestatten, die in Fällen sehr schwerer Straftaten in Abwesenheit ausgesprochene Verurteilungen für gültig erklärten, ohne die Übergabe der verurteilten Person an die Bedingung zu knüpfen, dass diese die Verurteilung zur Wahrung ihrer Verteidigungsrechte anfechten könne, eine „indirekte“ Verletzung der rechtlichen Anforderungen an ein faires Verfahren dar, da sie den Wesensgehalt eines fairen Verfahrens in einer Weise beeinträchtige, die die Menschenwürde antaste.

26.      Das vorlegende Gericht weist außerdem darauf hin, dass diese Rechtsprechung aus zwei Gründen auch für das durch den Rahmenbeschluss 2002/584 geschaffene Übergabeverfahren gelte: Zum einen gehöre die an die Übergabe eines Verurteilten geknüpfte Bedingung zum Wesensgehalt eines verfassungsmäßigen Rechts auf ein faires Verfahren und zum anderen sehe Art. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584 die Möglichkeit vor, dass die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, der zur Verbüßung einer in Abwesenheit ausgesprochenen Strafe erlassen worden sei, „nach dem Recht des vollstreckenden Mitgliedstaats“ u. a. an die Bedingung geknüpft werden könne, „dass die ausstellende Justizbehörde eine als ausreichend erachtete Zusicherung gibt, wonach die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, die Möglichkeit haben wird, im Ausstellungsmitgliedstaat eine Wiederaufnahme des Verfahrens zur Wahrung der Verteidigungsrechte in diesem Staat zu beantragen und bei der Gerichtsverhandlung anwesend zu sein“ (Urteil Nr. 177/2006 des Tribunal Constitucional).

27.      Schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass es mit seinem Urteil Nr. 199/2009 vom 28. September 2009 einem „recurso de amparo“ gegen einen Beschluss stattgegeben habe, mit dem die Audiencia Nacional die Übergabe des Betroffenen an Rumänien in Vollziehung eines Europäischen Haftbefehls zur Vollstreckung einer Haftstrafe von vier Jahren, die in Abwesenheit des Betroffenen ausgesprochen worden sei, gestattet habe, ohne auf das Erfordernis hinzuweisen, dass die fragliche Verurteilung überprüft werden könne. Dabei habe das Tribunal Constitucional die Argumentation der Audiencia Nacional zurückgewiesen, wonach in Wirklichkeit keine Verurteilung in Abwesenheit vorgelegen habe, da der Betroffene einen Rechtsanwalt beauftragt habe, der in dem Prozess als von ihm privat bevollmächtigter Verteidiger aufgetreten sei.

28.      Nach Ansicht des Tribunal Constitucional rührt die Schwierigkeit daher, dass Art. 5 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 durch den Rahmenbeschluss 2009/299 aufgehoben und ein neuer Art. 4a eingeführt worden sei. Nach diesem Art. 4a sei es unzulässig, „die Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellten Europäischen Haftbefehls [zu] verweigern, wenn die Person nicht persönlich zu der Verhandlung erschienen ist“, sofern sie „in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an einen Rechtsbeistand, der entweder von [ihr] oder vom Staat bestellt wurde, erteilt hat, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und bei der Verhandlung von diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden ist“. In der dem vorliegenden verfassungsgerichtlichen Verfahren zugrunde liegenden Rechtssache sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer ein Mandat an zwei Rechtsanwälte seines Vertrauens erteilt habe, die das Tribunale di Ferrara über die bevorstehende Durchführung der Verhandlung unterrichtet habe, so dass er von dieser Kenntnis gehabt habe. Außerdem sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung im ersten Rechtszug ebenso wie in den späteren Verfahren der Berufung und Kassation von diesen beiden Anwälten tatsächlich verteidigt worden sei.

29.      Für das vorlegende Gericht stellt sich somit die Frage, ob der Rahmenbeschluss es den spanischen Gerichten verbietet, die Übergabe des Beschwerdeführers an die Bedingung zu knüpfen, dass die in Frage stehende Verurteilung überprüft werden kann.

30.      Das Tribunal Constitucional weist in diesem Zusammenhang das Vorbringen des Ministerio Fiscal zurück, wonach ein Vorabentscheidungsersuchen nicht erforderlich sei, weil der Rahmenbeschluss 2009/299 zeitlich auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar sei. Im Ausgangsrechtsstreit gehe es nämlich nicht darum, zu bestimmen, ob der Beschluss vom 12. September 2008 gegen den Rahmenbeschluss 2009/299 verstoße, sondern darum, ob er das durch Art. 24 Abs. 2 der spanischen Verfassung geschützte Recht auf ein faires Verfahren indirekt verletzt habe. Der Rahmenbeschluss 2009/299 sei bei der Bestimmung des Inhalts dieses Rechts, das Auslandswirkungen entfalte, zu berücksichtigen, da er das im Zeitpunkt der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit geltende Unionsrecht darstelle. Seine Berücksichtigung sei auch durch den Grundsatz geboten, wonach das nationale Recht rahmenbeschlusskonform auszulegen sei(6).

31.      Vor diesem Hintergrund hat das Tribunal Constitucional mit Entscheidung vom 9. Juni 2011 beschlossen, das Verfahren über den „recurso de amparo“ auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses dahin auszulegen, dass er die nationalen Gerichte unter den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen daran hindert, die Vollstreckung eines Europäischen Haft- und Auslieferungsbefehls von der Bedingung abhängig zu machen, dass die in Frage stehende Verurteilung überprüft werden kann, um die Verteidigungsrechte der gesuchten Person zu gewährleisten?

2.      Falls die erste Frage bejaht wird: Ist Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses mit den Erfordernissen vereinbar, die sich aus dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und auf ein faires Verfahren gemäß Art. 47 der Charta sowie aus den durch deren Art. 48 Abs. 2 garantierten Verteidigungsrechten ergeben?

3.      Falls die zweite Frage bejaht wird: Gestattet Art. 53 bei seiner systematischen Auslegung in Verbindung mit den in den Art. 47 und 48 der Charta der Grundrechte anerkannten Rechten es einem Mitgliedstaat, die Auslieferung einer in Abwesenheit verurteilten Person von der Bedingung, dass die Verurteilung in dem ersuchenden Staat einer Überprüfung unterworfen werden kann, abhängig zu machen und damit diesen Rechten ein höheres Schutzniveau zu verleihen als das sich aus dem Unionsrecht ergebende, um eine Auslegung zu vermeiden, die ein in der Verfassung dieses Mitgliedstaats anerkanntes Grundrecht einschränkt oder verletzt?

32.      Das Ministerio Fiscal, die spanische, die belgische, die deutsche, die italienische, die niederländische, die österreichische, die polnische und die portugiesische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs, der Rat der Europäischen Union und die Europäische Kommission haben im vorliegenden Verfahren schriftliche Erklärungen eingereicht.

33.      Der Beschwerdeführer, das Ministerio Fiscal, die spanische, die deutsche und die niederländische Regierung, der Rat und die Kommission haben in der Sitzung vom 3. Juli 2012 mündliche Ausführungen gemacht.

III – Würdigung

34.      Bevor die drei Vorlagefragen geprüft werden, ist auf das Vorbringen des Ministerio Fiscal, der belgischen und der deutschen Regierung sowie der Regierung des Vereinigten Königreichs und des Rates zu antworten, die die Auffassung vertreten, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen als unzulässig zu betrachten sei.

A –    Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

35.      Es wurden zwei Hauptargumente vorgebracht, um den Einwand der Unzulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens zu begründen.

36.      Erstens sei der Rahmenbeschluss 2009/299 zeitlich auf das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Übergabeverfahren nicht anwendbar, so dass der Gerichtshof im Rahmen der vorliegenden Rechtssache für seine Auslegung und die Beurteilung seiner Gültigkeit nicht zuständig sei. Denn sowohl der Zeitpunkt, an dem der Europäische Haftbefehl Nr. 271/2004 ausgestellt worden sei (der 8. Juni 2004), als auch derjenige, an dem die Audiencia Nacional beschlossen habe, den Beschwerdeführer den italienischen Behörden zu übergeben (der 12. September 2008), lägen vor dem Zeitpunkt der Annahme des Rahmenbeschlusses 2009/299.

37.      Zweitens spreche der Umstand, dass die Italienische Republik von der Option des Art. 8 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2009/299 Gebrauch gemacht habe, die Anwendung dieses Beschlusses auf die Anerkennung und Durchführung von Entscheidungen der zuständigen italienischen Behörden, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, bei der die betroffene Person nicht anwesend war, bis zum 1. Januar 2014 zu verschieben(7), für den hypothetischen Charakter der gestellten Fragen, so dass deren Beantwortung für die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit nicht von Nutzen wäre.

38.      Es ist daran zu erinnern, dass die Vermutung der Erheblichkeit der von den nationalen Gerichten zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nur in Ausnahmefällen ausgeräumt werden kann, und zwar dann, wenn die erbetene Auslegung der in diesen Fragen erwähnten Bestimmungen des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind. Abgesehen von diesen Fällen ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über die ihm zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zu entscheiden(8).

39.      Vorliegend haben wir es nicht mit einem der Fälle zu tun, in denen ein Vorabentscheidungsersuchen ausnahmsweise zu Recht als unzulässig angesehen werden kann.

40.      Zunächst ist das erste Argument zurückzuweisen, der Rahmenbeschluss 2009/299 sei auf das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Übergabeverfahren zeitlich nicht anwendbar.

41.      Aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2009/299 geht hervor, dass dieser „ab dem [28. März 2011] Anwendung auf die Anerkennung und Durchführung von Entscheidungen [findet], die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, bei der die betroffene Person nicht anwesend war“. Diese Bestimmung ist in dem Sinne zu erweitern, dass die vollstreckende Justizbehörde die einschlägigen Vorschriften des Rahmenbeschlusses 2009/299 ab dem 28. März 2011 anzuwenden hat, wenn sie über die Anerkennung und Durchführung von Entscheidungen befindet, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, bei der die betroffene Person nicht anwesend war, gleich, ob diese Entscheidungen vor oder nach diesem Zeitpunkt ergangen sind.

42.      Diese Lösung steht mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs in Einklang, wonach Verfahrensvorschriften im Allgemeinen auf alle bei ihrem Inkrafttreten anhängigen Rechtsstreitigkeiten anwendbar sind, während materiell-rechtliche Vorschriften gewöhnlich so ausgelegt werden, dass sie nicht für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte gelten(9).

43.      Da sich Art. 4a des Rahmenbeschlusses darauf beschränkt, die Bedingungen festzulegen, unter denen die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen ist, zu der die betroffene Person nicht persönlich erschienen ist, nicht verweigert werden darf, sind die Bestimmungen des besagten Art. 4a als verfahrensrechtliche Vorschriften einzuordnen(10).

44.      Art. 4a des Rahmenbeschlusses ist also sehr wohl auf das noch immer anhängige Beschwerdeverfahren im Ausgangsrechtsstreit anwendbar.

45.      Die Erklärung, mit der die Italienische Republik von der durch Art. 8 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2009/299 eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Anwendung dieses Beschlusses auf die Anerkennung und Durchführung von Entscheidungen der zuständigen italienischen Behörden, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, bei der die betroffene Person nicht anwesend war, bis längstens 1. Januar 2014 zu verschieben, kann meines Erachtens nicht schon deshalb zur Unzulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens führen, weil sie für sich betrachtet eine Antwort des Gerichtshofs für die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit überflüssig machen würde.

46.      Es steht nämlich fest, dass Art. 4a des Rahmenbeschlusses in materieller Hinsicht Fälle der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art regeln soll. Außerdem stellt der 1. Januar 2014 den spätestmöglichen Zeitpunkt dar und nichts hindert die Italienische Republik daran, einen früheren Zeitpunkt zu wählen oder gar ihre Erklärung zurückzuziehen.

47.      Somit steht fest, dass die Beantwortung der vom Tribunal Constitucional gestellten Fragen durch den Gerichtshof spätestens am 1. Januar 2014 von Nutzen sein wird, und zwar nicht nur, um es dem Tribunal Constitucional zu ermöglichen, über den bei ihm anhängigen „recurso de amparo“ zu entscheiden, sondern auch, um es der vollstreckenden Justizbehörde zu ermöglichen, im Übergabeverfahren eine Entscheidung zu treffen.

48.      Die Eigenart des beim Tribunal Constitucional anhängigen „recurso de amparo“ spricht ebenfalls stark für die Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens. Denn aufgrund dieser Beschwerde muss dieses Gericht eine Verfassungsmäßigkeitskontrolle vornehmen, bei der das Unionsrecht, insbesondere die Charta, zwingend zu berücksichtigen ist, wie Art. 10 Abs. 2 der spanischen Verfassung vorschreibt. Wie das Tribunal Constitucional in seiner Vorlageentscheidung ausführt, ist das Unionsrecht bei der Bestimmung des verfassungsmäßig geschützten Inhalts des Rechts auf ein faires Verfahren zwingend zu berücksichtigen(11).

49.      Die Kontrolle, die das Tribunal Constitucional vorzunehmen hat, ist vergleichbar mit derjenigen, die ein Verfassungsgericht im Rahmen der Vorabkontrolle der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2009/299 vornehmen könnte. Würde dieses Gericht den Gerichtshof nach der Auslegung oder Gültigkeit dieses Rahmenbeschlusses fragen, um eine solche Kontrolle durchzuführen, würde der Gerichtshof vermutlich eine Antwort geben, auch wenn die Frist für die Umsetzung des genannten Rahmenbeschlusses noch nicht abgelaufen wäre(12).

50.      Da das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen meines Erachtens als zulässig anzusehen ist, werde ich im Folgenden nacheinander die drei vom Tribunal Constitucional gestellten Fragen prüfen.

B –    Zur ersten Frage

51.      Mit seiner ersten Frage möchte das Tribunal Constitucional wissen, ob Art. 4a Abs. 1 Buchst. a und b des Rahmenbeschlusses dahin auszulegen ist, dass er es der nationalen vollstreckenden Justizbehörde verwehrt, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls in den in dieser Vorschrift aufgeführten Fällen an die Bedingung zu knüpfen, dass die Person, gegen die dieser Haftbefehl erlassen wurde, im Ausstellungsmitgliedstaat die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann.

52.      Das Tribunal Constitucional macht zu den Zweifeln, die es hinsichtlich der Beantwortung dieser Frage hat, die folgenden Ausführungen: Erstens könne Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses seinem Wortlaut nach dahin ausgelegt werden, dass er die vollstreckende Justizbehörde an der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls hindere, aber nicht unbedingt an der Verknüpfung der Vollstreckung mit einer Bedingung wie der Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens. Zweitens könne, falls eine solche Auslegung nach dem Wortlaut zurückzuweisen sei, Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses zu diesem Ergebnis führen.

53.      Ich teile die vom Tribunal Constitucional geäußerten Zweifel, welcher Sinn Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses beizumessen ist, nicht. Denn die Prüfung des Wortlauts, der Systematik und des Zwecks dieser Vorschrift zeigt, dass in den Fällen, auf die sie sich bezieht, die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nicht generell an die Bedingung knüpfen darf, dass die Person, gegen die dieser Haftbefehl erlassen wurde, im Ausstellungsmitgliedstaat die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann.

54.      Aus dem Wortlaut von Art. 4a des Rahmenbeschlusses ergibt sich, dass dieser einen fakultativen Grund für die Ablehnung der Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellten Europäischen Haftbefehls vorsieht, wenn die Person nicht persönlich zu der Verhandlung erschienen ist, die zu der Entscheidung geführt hat. Von dieser Möglichkeit bestehen vier Ausnahmen, bei denen die vollstreckende Justizbehörde nicht die Wahl hat, die Vollstreckung des betreffenden Europäischen Haftbefehls abzulehnen.

55.      Wie der sechste Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2009/299 zum Ausdruck bringt, wollte der Unionsgesetzgeber „die Bedingungen fest[legen], unter denen die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen ist, zu der die betroffene Person nicht persönlich erschienen ist, nicht verweiger[t] [werden dürften]. Es handelt sich dabei um alternative Bedingungen; wenn eine der Bedingungen erfüllt ist, gewährleistet die ausstellende Behörde durch das Ausfüllen des entsprechenden Abschnitts des Europäischen Haftbefehls …, dass die Anforderungen erfüllt wurden bzw. erfüllt werden, was für den Zweck der Vollstreckung der betreffenden Entscheidung auf der Grundlage des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung ausreichen sollte“.

56.      Die Fälle, auf die sich Art. 4a Abs. 1 Buchst. a bis d des Rahmenbeschlusses bezieht, lassen sich in zwei Kategorien fassen.

57.      Die erste Kategorie umfasst die Fälle nach den Buchst. a und b dieser Vorschrift. Daraus ergibt sich, dass die vollstreckende Justizbehörde die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls nicht verweigern kann, wenn die betroffene Person entweder persönlich vorgeladen wurde und davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint, oder in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an einen Rechtsbeistand, der entweder von der betroffenen Person oder vom Staat bestellt wurde, erteilt hat, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und bei der Verhandlung von diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden ist.

58.      So wie sich der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens aus der Vorlageentscheidung ergibt, entspricht die Situation des Beschwerdeführers gerade dem Fall, der in Art. 4a Abs. 1 Buchst. b des Rahmenbeschlusses aufgeführt ist. Es ist nämlich daran zu erinnern, dass der Beschwerdeführer zwei Rechtsanwälte seines Vertrauens, die das Tribunale di Ferrara über die bevorstehende Verhandlung unterrichtet hatte, mandatiert hatte, so dass er davon Kenntnis hatte. Außerdem steht fest, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung im ersten Rechtszug ebenso wie in den späteren Verfahren der Berufung und Kassation von diesen beiden Anwälten tatsächlich verteidigt wurde.

59.      Bei der Lektüre von Art. 4a Abs. 1 Buchst. a und b des Rahmenbeschlusses ist festzustellen, dass der Wortlaut dieser beiden Buchstaben in keiner Weise das Erfordernis zum Ausdruck bringt, dass der Betroffene in diesen Fällen die Wiederaufnahme des Verfahrens im Ausstellungsmitgliedstaat beantragen können muss.

60.      Eine Gesamtprüfung der Bestimmungen des Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses zeigt, dass die Fälle, auf die sich die Buchst. c und d dieser Vorschrift, die die zweite Kategorie bilden, beziehen, in Wirklichkeit die einzigen sind, in denen der Betroffene die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann.

61.      Die Art und Weise, in der der Unionsgesetzgeber diese Fälle geregelt hat, unterscheidet sich stark von dem Konzept des Art. 5 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584. Es sei daran erinnert, dass die vollstreckende Justizbehörde nach dieser Bestimmung die Übergabe unter bestimmten Voraussetzungen von der Bedingung abhängig machen konnte, dass die ausstellende Justizbehörde eine als ausreichend erachtete Zusicherung gibt, wonach die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, die Möglichkeit haben wird, im Ausstellungsmitgliedstaat eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen und bei der Gerichtsverhandlung anwesend zu sein. Es war Sache der vollstreckenden Justizbehörde, zu prüfen, ob diese Zusicherung ausreichend war.

62.      Art. 4a Abs. 1 Buchst. c und d des Rahmenbeschlusses hingegen beseitigt den Wertungsspielraum der vollstreckenden Justizbehörde, die sich auf die in dem Europäischen Haftbefehl enthaltenen Informationen verlassen muss. Die vollstreckende Justizbehörde ist somit verpflichtet, den Europäischen Haftbefehl zu vollstrecken, wenn dieser im Wesentlichen entweder zum Ausdruck bringt, dass der Betroffene, nachdem ihm die Entscheidung zugestellt und er ausdrücklich von seinem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens in Kenntnis gesetzt worden ist, ausdrücklich erklärt hat, dass er die Entscheidung nicht anfechte, oder innerhalb der geltenden Frist keine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. kein Berufungsverfahren beantragt hat, oder dass die Person die Entscheidung nicht persönlich zugestellt erhalten hat, aber sie unverzüglich nach der Übergabe persönlich zugestellt erhalten wird und ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens und von der Frist, über die sie verfügt, um ein solches Verfahren zu beantragen, in Kenntnis gesetzt werden wird.

63.      Die Systematik von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses zeigt somit, dass die Buchst. c und d dieser Vorschrift die einzigen sind, die den Fall regeln, in dem der Betroffene die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann, und dass umgekehrt in den Buchst. a und b dieser Vorschrift die Fälle angeführt sind, in denen sich der Betroffene nicht auf dieses Recht berufen kann. Es ist anzumerken, dass der Standpunkt des Unionsgesetzgebers hinsichtlich der beiden letztgenannten Buchstaben eindeutiger ist, sich aber nicht grundsätzlich von dem unterscheidet, den er zu Art. 5 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 vertrat. Denn der Umkehrschluss aus dieser Vorschrift zeigt, dass bereits diese die Möglichkeit ausschloss, die Übergabe von der Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens abhängig zu machen, wenn die betroffene Person persönlich vorgeladen oder auf andere Weise vom Termin und vom Ort der Verhandlung, die zum Abwesenheitsurteil geführt hat, unterrichtet worden war.

64.      In Art. 4a Abs. 1 Buchst. a und b des Rahmenbeschlusses hat der Unionsgesetzgeber im Wesentlichen bestätigt, dass die betroffene Person, wenn sie von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte und davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint, oder in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an einen Rechtsbeistand erteilt hat, sie zu verteidigen, so zu behandeln ist, als habe sie darauf verzichtet, zu der Verhandlung zu erscheinen, so dass ihr die Berufung auf ein Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens verwehrt ist.

65.      Würde man es der vollstreckenden Justizbehörde allgemein erlauben, die Übergabe des Betroffenen in diesen Fällen von der Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens abhängig zu machen, liefe dies darauf hinaus, einen weiteren Grund für die Verweigerung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls hinzuzufügen. Dies liefe dem klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Unionsgesetzgebers zuwider, aus Gründen der Rechtssicherheit die Fälle abschließend aufzuführen, in denen die Verfahrensrechte einer Person, die nicht persönlich zu der Verhandlung erschienen ist, als nicht verletzt und der Europäische Haftbefehl somit als zu vollstreckend anzusehen sind.

66.      Die vom Unionsgesetzgeber beim Erlass von Art. 4a des Rahmenbeschlusses verfolgten Ziele bestätigen, dass er den vollstreckenden Justizbehörden nicht die Möglichkeit belassen wollte, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls an die Bedingung zu knüpfen, dass die Person, gegen die dieser Haftbefehl erlassen wurde, im Ausstellungsmitgliedstaat die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann.

67.      Mit dem Erlass des Rahmenbeschlusses 2009/299 wollte der Unionsgesetzgeber die Mängel der Regelung des Art. 5 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 beseitigen und diesen weiterentwickeln, um ein besseres Gleichgewicht zu erreichen zwischen dem Ziel, die Verfahrensrechte von Personen, gegen die ein Strafverfahren anhängig ist, zu stärken, und dem Ziel, die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen zu erleichtern und insbesondere die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern(13).

68.      Wie der dritte Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2009/299 zeigt, ist Ausgangspunkt die Feststellung des Unionsgesetzgebers gewesen, dass der Rahmenbeschluss 2002/584 in seiner ursprünglichen Fassung unter bestimmten Voraussetzungen der vollstreckenden Behörde erlaubt, „[zu] verlangen, dass die ausstellende Behörde eine als ausreichend erachtete Zusicherung gibt, wonach die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, die Möglichkeit haben wird, im Ausstellungsmitgliedstaat eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen und anwesend zu sein, wenn die Entscheidung ergeht“. Der Unionsgesetzgeber weist darauf hin, dass im Rahmen dieser Regelung „[d]ie Frage, ob diese Zusicherung als ausreichend zu erachten ist, … von der vollstreckenden Behörde zu entscheiden [ist], und es … daher schwierig [ist], genau zu wissen, wann eine Vollstreckung verweigert werden kann“.

69.      In Anbetracht dieser Ungewissheiten, die geeignet waren, die Effektivität des Mechanismus der gegenseitigen Anerkennung von in Abwesenheit ergangenen gerichtlichen Entscheidungen zu mindern, hat es der Unionsgesetzgeber für notwendig erachtet, „eine präzise und einheitliche Grundlage für die Nichtanerkennung von Entscheidungen [zu schaffen], die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht persönlich erschienen ist“(14). Mit dem Rahmenbeschluss 2009/299 soll deshalb „[d]iese einheitliche Grundlage … geschaffen werden, damit die vollstreckende Behörde die Entscheidung unter uneingeschränkter Achtung der Verteidigungsrechte der betroffenen Person auch dann vollstrecken kann, wenn die Person nicht zur Verhandlung erschienen ist“(15).

70.      All dies zeigt, dass der Unionsgesetzgeber mit der Aufhebung der Möglichkeit der unter eine Bedingung gestellten Übergabe, die Art. 5 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 vorsah, die gegenseitige Anerkennung von in Abwesenheit ergangenen gerichtlichen Entscheidungen verbessern und zugleich die Verfahrensrechte der Betroffenen stärken wollte. Die Lösung, für die er sich entschieden hat, nämlich abschließend die Fälle zu bestimmen, in denen die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, der zur Vollstreckung einer in Abwesenheit ergangenen Entscheidung erlassen wurde, nicht als Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte anzusehen ist, ist unvereinbar mit der Aufrechterhaltung der Möglichkeit, dass die vollstreckende Justizbehörde diese Vollstreckung an die Bedingung knüpft, dass die in Frage stehende Verurteilung überprüft werden kann, um die Verteidigungsrechte des Betroffenen zu gewährleisten.

71.      In seiner Vorlageentscheidung führt das Tribunal Constitucional an, dass die Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 und 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2009/299 die Aufrechterhaltung dieser Möglichkeit erlauben könnten.

72.      Es ist darauf hinzuweisen, dass aus diesen beiden Vorschriften, die im Wesentlichen denselben Inhalt haben, hervorgeht, dass diese Rahmenbeschlüsse nicht die Pflicht berühren, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Art. 6 EUV niedergelegt sind und zu denen das Verteidigungsrecht von Personen gehört, gegen die ein Strafverfahren anhängig ist, zu achten. Die Auffassung des vorlegenden Gerichts läuft auf die Annahme hinaus, dass die Pflicht zur Achtung der Grundrechte es den vollstreckenden Justizbehörden erlauben könnte, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls auch in den Fällen des Art. 4a Abs. 1 Buchst. a bis d des Rahmenbeschlusses zu verweigern, wenn die betroffene Person nicht die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann. In Wirklichkeit geht es hierbei um die Gültigkeit dieser Vorschrift im Hinblick auf die in der Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechte, da die genannte Vorschrift nur einen unzureichenden Schutz des Rechts auf ein faires Verfahren und der Verteidigungsrechte gewähren könnte, was Gegenstand der zweiten Frage ist.

C –    Zur zweiten Frage

73.      Mit seiner zweiten Frage ersucht das Tribunal Constitucional den Gerichtshof darum, zu entscheiden, ob Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses mit den sich aus den Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 2 der Charta ergebenden Anforderungen vereinbar ist.

74.      Den Erläuterungen zu den beiden letztgenannten Vorschriften zufolge(16) entspricht Art. 47 Abs. 2 der Charta dem Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 48 Abs. 2 der Charta insbesondere dem Art. 6 Abs. 3 EMRK. Nach Art. 52 Abs. 3 der Charta haben die Rechte, die sie enthält, soweit sie den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen werden, wobei diese Bestimmung dem nicht entgegensteht, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt. Ich werde also die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu den Garantien untersuchen, die bei in Abwesenheit ergangenen Urteilen gegeben sein müssen, und danach prüfen, ob das Recht der Union in diesem Bereich einen weiter gehenden Schutz gewährt.

75.      Die allgemeinen Grundsätze zu Abwesenheitsurteilen wurden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 1. März 2006 (Große Kammer), Sejdovic/Italien(17), zusammenfassend dargestellt und jüngst in seinen Urteilen vom 24. April 2012, Haralampiev/Bulgarien, und vom 22. Mai 2012, Idalov/Russland, bestätigt.

76.      Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte „folgt die Möglichkeit für den ‚Angeklagten‘, an der Verhandlung teilzunehmen, aus dem Zweck und dem Ziel des … Art. [6 EMRK] insgesamt“(18). Er geht davon aus, dass „[a]uch wenn ein in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführtes Verfahren nicht als solches mit Art. 6 [EMRK] unvereinbar ist, … gleichwohl eine Rechtsverweigerung vor[liegt], wenn eine in Abwesenheit verurteilte Person nicht später erwirken kann, dass ein Gericht nach ihrer Anhörung über die Begründetheit der Anklage in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht erneut entscheidet, sofern nicht erwiesen ist, dass sie auf ihr Recht zum Erscheinen und zur Verteidigung verzichtet hat … oder die Absicht hatte, sich der Justiz zu entziehen“(19).

77.      Außerdem ist nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte „die Pflicht, dem Angeklagten das Recht auf Anwesenheit im Verhandlungssaal zu garantieren, – sei es in einem ersten Verfahren, sei es in einem Wiederaufnahmeverfahren – eines der Wesensmerkmale von Art. 6 [EMRK] … Deshalb wurde die Ablehnung der Wiederaufnahme eines Verfahrens, das in Abwesenheit des Angeklagten und ohne jeglichen Hinweis darauf, dass er auf sein Recht zum Erscheinen verzichtet hat, durchgeführt wurde, als eine ‚offensichtliche Rechtsverweigerung‘ angesehen, was dem Begriff des ‚offensichtlich gegen die Bestimmungen von Art. 6 [EMRK] oder die darin niedergelegten Grundsätze verstoßenden‘ Verfahrens entspricht“(20).

78.      Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geht außerdem hervor, dass „[w]eder der Wortlaut noch der Geist von Art. 6 [EMRK] eine Person daran [hindert], ausdrücklich oder stillschweigend aus freien Stücken auf die Garantien eines fairen Verfahrens zu verzichten … Um jedoch unter dem Blickwinkel der [EMRK] Berücksichtigung zu finden, müssen der Verzicht auf das Recht auf Teilnahme an der Verhandlung eindeutig festgestellt und seiner Bedeutung entsprechende Mindestgarantien vorgesehen werden … Außerdem darf ihr kein wichtiges öffentliches Interesse entgegenstehen“(21). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat des Weiteren entschieden, dass „ein Angeklagter nur dann so angesehen werden kann, als habe er konkludent durch sein Verhalten auf ein wichtiges Recht aus Art. 6 [EMRK] verzichtet, wenn dargelegt worden ist, dass er die Konsequenzen seines Handelns angemessen abschätzen konnte“(22).

79.      Bei der Prüfung, ob das betreffende nationale Verfahren den Anforderungen an ein faires Verfahren im Sinne von Art. 6 EMRK entspricht, misst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem Umstand große Bedeutung bei, dass die Abwesenheit des Angeklagten im Verfahren nicht durch die Verweigerung des Rechts auf Beistand durch einen Verteidiger sanktioniert wird(23). Denn „[d]as Recht jedes Angeklagten, sich von einem ihm erforderlichenfalls von Amts wegen beizuordnenden Rechtsanwalt tatsächlich verteidigen zu lassen, gehört, auch wenn es nicht absolut gilt, zu den grundlegenden Merkmalen eines fairen Prozesses. Ein Angeklagter verliert dieses Recht nicht bereits dadurch, dass er nicht in der Hauptverhandlung zugegen ist.“(24) Dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zufolge „ist es für die Gerechtigkeit des Strafrechtssystems entscheidend, dass der Angeklagte sowohl in der ersten Instanz als auch in der Berufung angemessen verteidigt wird“(25). Denn „[s]elbst wenn der Gesetzgeber von einem ungerechtfertigten Fernbleiben abschrecken können muss, darf er es nicht durch die Verweigerung des Rechts auf Beistand durch einen Verteidiger sanktionieren“(26), und „[e]s ist Sache der Rechtsprechungsorgane, sicherzustellen, dass ein Verfahren gerecht ist, und folglich darüber zu wachen, dass ein Rechtsanwalt, der offenkundig im Verfahren anwesend ist, um seinen Mandanten in dessen Abwesenheit zu verteidigen, die Möglichkeit erhält, dies zu tun“(27).

80.      Vor diesem Hintergrund bin ich der Auffassung, dass Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses nicht nur den so vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte herausgearbeiteten Anforderungen entspricht, sondern diese auch in geschriebenes Recht umsetzt, um ihre Geltung bei der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls zu gewährleisten, der zur Vollstreckung einer Entscheidung ausgestellt wurde, die im Anschluss an eine Verhandlung erlassen wurde, zu der die Person nicht persönlich erschienen ist.

81.      Somit sind in den Buchst. a und b dieser Vorschrift die Voraussetzungen festgelegt, unter denen davon auszugehen ist, dass der Betroffene aus freien Stücken eindeutig darauf verzichtet hat, dem Verfahren beizuwohnen, so dass er die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht mehr einfordern kann. Art. 4a Abs. 1 Buchst. b des Rahmenbeschlusses stellt eine Abwandlung von dessen Art. 4a Abs. 1 Buchst. a dar, da er den Fall betrifft, in dem die betroffene Person sich in Kenntnis der anberaumten Verhandlung aus freien Stücken dazu entschieden hat, nicht persönlich zu erscheinen, sondern sich durch einen Rechtsbeistand vertreten zu lassen(28), was als Nachweis geeignet ist, dass diese Person darauf verzichtet hat, sich persönlich am Verfahren zu beteiligen, ihr Recht auf Verteidigung dabei aber gewährleistet gewesen ist. Art. 4a Abs. 1 Buchst. c und d des Rahmenbeschlusses schließlich soll die Fälle erfassen, in denen die betroffene Person, die nicht unter die Buchst. a oder b dieser Vorschrift fällt, ein Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren hat.

82.      Entsprechend den in Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2009/299 festgelegten Zielen ermöglicht Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses somit eine Stärkung der Verfahrensrechte von Personen, gegen die ein Strafverfahren anhängig ist, indem das Unionsrecht an dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Rechtsprechung festgelegten Schutzstandard ausgerichtet worden ist, und zugleich eine Erleichterung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, indem insbesondere die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten verbessert wird.

83.      Ich bin der Auffassung, dass der vom Unionsgesetzgeber zugrunde gelegte Schutzstandard zur Erreichung der vorgenannten Ziele ausreichend und angemessen ist und dass die Beachtung der Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 2 der Charta von ihm keine Entscheidung für einen weiter gehenden Schutz des Rechts auf ein faires Verfahren und der Verteidigungsrechte verlangt, beispielsweise indem das Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu einem absoluten, vom Verhalten der betroffenen Person unabhängigen Gebot erhoben wird.

84.      Abgesehen davon, dass es meines Erachtens keinen Grund gibt, über den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingenommenen ausgewogenen Standpunkt hinauszugehen, könnte sich der Gerichtshof für ein weiter gehendes Schutzniveau nicht auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten berufen. Denn der Umstand, dass der Rahmenbeschluss 2009/299 auf einer Initiative von sieben Mitgliedstaaten beruht und von sämtlichen Mitgliedstaaten angenommen worden ist, erlaubt mit hinreichender Gewissheit die Annahme, dass die überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten nicht die Auffassung teilt, die der Rechtsprechung des Tribunal Constitucional zugrunde liegt(29).

85.      Aus meiner Sicht ist Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses somit nicht zu beanstanden, was die Beurteilung seiner Gültigkeit im Hinblick auf Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 2 der Charta betrifft.

86.      Soweit Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses die Frage nach dem Recht auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Rahmen der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, der zur Vollstreckung einer Entscheidung ausgestellt wurde, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen ist, zu der die Person nicht persönlich erschienen ist, erschöpfend und unter dem Aspekt des Grundrechtsschutzes in befriedigender Weise regelt, dürften im Übrigen die Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584 und 1 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2009/299 es den vollstreckenden Justizbehörden nicht erlauben, die Anwendung von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses zugunsten eines engeren Begriffs des Rechts auf ein faires Verfahren auszuschließen, indem sie systematisch die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens im Ausstellungsmitgliedstaat verlangen, wenn sich aus dem Europäischen Haftbefehl ergibt, dass der Betroffene unter eine der Situationen fällt, auf die sich die Buchst. a bis d der letztgenannten Vorschrift beziehen.

87.      Es gilt nun zu bestimmen, ob Art. 53 der Charta dem Tribunal Constitucional die Möglichkeit bietet, seine Auslegung von Art. 24 Abs. 2 der spanischen Verfassung, wonach die Übergabe einer in Abwesenheit verurteilten Person an die Bedingung zu knüpfen ist, dass die Verurteilung im Ausstellungsmitgliedstaat überprüft werden kann, im Rahmen der Umsetzung des Rahmenbeschlusses aufrechtzuerhalten.

D –    Zur dritten Frage

88.      Mit seiner dritten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof darum, zu entscheiden, ob Art. 53 der Charta es einer vollstreckenden Justizbehörde erlaubt, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gemäß seinem nationalen Verfassungsrecht an die Bedingung zu knüpfen, dass die Person, gegen die dieser Haftbefehl erlassen wurde, im Ausstellungsmitgliedstaat die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann, obwohl Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses die Anwendung einer solchen Bedingung nicht zulässt.

89.      Mit der vorliegenden Frage wird der Gerichtshof mithin darum ersucht, den rechtlichen Inhalt und die rechtliche Bedeutung von Art. 53 der Charta zu konkretisieren.

90.      In seiner Vorlageentscheidung führt das Tribunal Constitucional drei mögliche Auslegungen dieser Vorschrift an.

91.      Die erste Auslegung geht dahin, Art. 53 der Charta einer Klausel gleichzustellen, die eine Mindestschutznorm vorsieht, wie sie dem internationalen Instrumentarium zum Schutz der Menschenrechte eigen und in Art. 53 EMRK enthalten ist(30). Danach würde die Charta zu einem Mindeststandard verpflichten, indem sie es den Mitgliedstaaten erlaubt, den höheren Schutzstandard anzuwenden, der sich aus ihrer jeweiligen Verfassung ergibt, und so eine Minderung des Schutzes der Grundrechte verhindert.

92.      In diesem Fall würde es Art. 53 der Charta einem Mitgliedstaat erlauben, die Vollstreckung eines zur Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils ausgestellten Europäischen Haftbefehls an Bedingungen zu knüpfen, die eine Auslegung verhindern, durch die die von seiner Verfassung anerkannten Grundrechte eingeschränkt oder verletzt würden, ohne dass dieses in diesem Mitgliedstaat geltende höhere Schutzniveau zwingend durch den Gerichtshof, der es in seine Entscheidung einbringen würde, auf die anderen Mitgliedstaaten erstreckt werden müsste. Diese Auffassung läuft auf die Annahme hinaus, dass in einer Situation, in der es der Gerichtshof nicht für nötig erachtet, dass das Unionsrecht einem Grundrecht einen Schutz zukommen lässt, der weiter geht als der sich aus der EMRK ergebende Standard, Art. 53 der Charta einem Mitgliedstaat erlauben würde, ein solches höheres Niveau des Schutzes dieses Grundrechts in Anwendung seiner Verfassung zu garantieren(31).

93.      Nach der zweiten Auslegung besteht der Zweck von Art. 53 der Charta darin, dass er den Anwendungsbereich der Charta insbesondere von dem der Verfassungen der Mitgliedstaaten abgrenzt, indem er wie Art. 51 der Charta darauf hinweist, dass im Anwendungsbereich des Unionsrechts der sich aus der Charta ergebende Standard des Schutzes der Grundrechte anzuwenden ist. Hingegen soll die Charta außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts die Umsetzung des Standards des Schutzes der Grundrechte, wie er in der Verfassung eines Mitgliedstaats vorgesehen ist, nicht hindern. Nach Ansicht des Tribunal Constitucional hat dieses Verständnis von Art. 53 der Charta den Nachteil, dass zum einen dieser Vorschrift kein eigenständiger rechtlicher Gehalt beigemessen würde, so dass er gegenüber Art. 51 der Charta redundant wäre, und dass zum anderen damit anerkannt würde, dass die Charta in den Mitgliedstaaten das Niveau des Schutzes der Grundrechte, die sich aus ihren Verfassungsvorschriften ergäben, herabsetzen würde.

94.      Dieses Verständnis von Art. 53 der Charta hätte zur Folge, dass das Tribunal Constitucional seine Rechtsprechung zur Auslegung von Art. 24 der spanischen Verfassung im Rahmen der Anwendung von Art. 4a des Rahmenbeschlusses anpassen müsste. Hingegen wäre es außerhalb des Anwendungsbereichs des Rahmenbeschlusses frei darin, ein höheres Niveau des Schutzes der Grundrechte anzuwenden.

95.      Die dritte vom Tribunal Constitucional vorgeschlagene Auslegung von Art. 53 der Charta geht dahin, je nach den Besonderheiten des konkreten Problems des Schutzes der betreffenden Grundrechte und des Kontexts, in dem das Schutzniveau, das gelten soll, beurteilt wird, die eine oder die andere der beiden genannten Auslegungen zugrunde zu legen(32).

96.      Nach meiner Auffassung ist die erste vom Tribunal Constitucional vorgeschlagene Auslegung entschieden abzulehnen.

97.      Diese Auslegung verstieße nämlich gegen den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, da sie im jeweiligen Einzelfall dazu führen würde, der Rechtsnorm den Vorrang zu geben, die dem betreffenden Grundrecht den höchsten Schutz einräumt. In bestimmten Fällen würde damit der Vorrang nationaler Verfassungen vor dem Unionsrecht anerkannt.

98.      Nach ständiger Rechtsprechung würde die Anwendung von innerstaatlichem Recht – auch des Verfassungsrechts – mit dem Ziel, die Bedeutung des Unionsrechts zu schmälern, im Ergebnis dessen Einheit und Wirksamkeit beeinträchtigen und kann daher nicht zugelassen werden(33).

99.      Nach meiner Auffassung darf Art. 53 der Charta nicht als eine Klausel verstanden werden, die zum Ziel hat, einen Konflikt zu regeln zwischen einerseits einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts, die, ausgelegt im Licht der Charta, einen bestimmten Standard für den Schutz eines Grundrechts festlegt, und andererseits einer Vorschrift einer nationalen Verfassung, die für dasselbe Grundrecht ein höheres Schutzniveau vorsieht. In solchen Fällen hat diese Vorschrift weder den Zweck noch die Wirkung, der den stärkeren Schutz bietenden Vorschrift aus der nationalen Verfassung Vorrang einzuräumen. Die Anerkennung der gegenteiligen Auffassung liefe darauf hinaus, dass die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Vorrang des Unionsrechts unterlaufen würde.

100. Insoweit weise ich darauf hin, dass sich aus dem Wortlaut von Art. 53 der Charta in keiner Weise ergibt, dass dieser dahin zu verstehen wäre, dass er eine Ausnahme vom Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts begründet. Vielmehr lässt sich sagen, dass der Ausdruck „in dem jeweiligen Anwendungsbereich“ von den Verfassern der Charta gewählt wurde, um nicht gegen diesen Grundsatz zu verstoßen(34). Im Übrigen wurde dieser Grundsatz, wie er sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, in den Erklärungen zur Schlussakte der Regierungskonferenz, die den am 13. Dezember 2007 unterzeichneten Vertrag von Lissabon angenommen hat, bestätigt(35).

101. Die erste vom Tribunal Constitucional vorgebrachte Auslegung würde außerdem die einheitliche und wirksame Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

102. Hinsichtlich der vorliegenden Rechtssache hätte sie insbesondere zur Folge, dass die Einheitlichkeit des in Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses festgelegten Schutzstandards ernstlich in Frage gestellt würde, und sie könnte ein Hindernis für die Vollstreckung von zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen ausgestellten Europäischen Haftbefehlen darstellen.

103. Diese Auslegung würde nämlich dazu führen, dass den Mitgliedstaaten ein beachtlicher Wertungsspielraum hinsichtlich der Verweigerung der Übergabe im Fall von Abwesenheitsurteilen eingeräumt würde. In Anbetracht des Standards des Schutzes des Rechts auf ein faires Verfahren bei Abwesenheitsurteilen, der sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und gerade auch der Annahme des Rahmenbeschlusses 2009/299 ergibt, gewährt die Mehrzahl der Mitgliedstaaten einer in Abwesenheit verurteilten Person das Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens vermutlich nicht, wenn diese Person eindeutig darauf verzichtet hat, zu der Verhandlung zu erscheinen. Die vorgeschlagene Auslegung liefe somit letztlich darauf hinaus, dass die zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen ausgestellten Europäischen Haftbefehle von den spanischen Justizbehörden nicht vollstreckt werden könnten, da die Ausstellungsmitgliedstaaten den betroffenen Personen nicht die Wiederaufnahme des Verfahrens garantieren könnten. Im Übrigen würde die Schaffung eines Systems der variablen Geometrie dieser Art Straftäter ermutigen, in den Mitgliedstaaten Zuflucht zu suchen, deren Verfassungsnormen einen besseren Schutz als die anderer bieten, und somit die Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses beeinträchtigen(36).

104. Außerdem würde die erste Auslegung von Art. 53 der Charta den Grundsatz der Rechtssicherheit in Frage stellen, da eine Bestimmung des abgeleiteten Rechts, obgleich im Einklang mit den von der Charta garantierten Grundrechten, von einem Mitgliedstaat mit der Begründung, dass sie gegen eine seiner verfassungsrechtlichen Vorschriften verstoße, unbeachtet gelassen werden könnte.

105. Allgemeiner gesagt läuft die erste vom Tribunal Constitucional vorgeschlagene Auslegung den herkömmlichen Methoden zur Bewertung des Schutzniveaus, das für die Grundrechte der Union gewährleistet sein muss, zuwider.

106. Denn auch wenn die Auslegung der von der Charta geschützten Rechte ein hohes Schutzniveau anstreben muss, wie sich aus Art. 52 Abs. 3 der Charta und den entsprechenden Erläuterungen in Art. 52 Abs. 4 der Charta ableiten lässt, ist gleichwohl klarzustellen, dass es sich um ein an das Unionsrecht angepasstes Schutzniveau handeln muss, wie im Übrigen gerade diese Erläuterungen klarstellen.

107. Es handelt sich dabei um einen Hinweis auf einen Grundsatz, der schon seit Langem die Auslegung der Grundrechte innerhalb der Union leitet, dass sich nämlich die Gewährleistung der Grundrechte innerhalb der Union in deren Struktur und Ziele einfügen muss(37). Insoweit ist es nicht unwesentlich, dass die Präambel der Charta die Hauptziele der Union anführt, wozu die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gehört.

108. Es ist also nicht möglich, lediglich in den Begrifflichkeiten eines höheren oder niedrigeren Niveaus des Schutzes der Grundrechte Überlegungen anzustellen, ohne die mit dem Handeln der Union und der Besonderheit des Unionsrechts in Zusammenhang stehenden Vorgaben zu berücksichtigen.

109. Die zu schützenden Grundrechte und das ihnen beizumessende Schutzniveau spiegeln die Entscheidung einer bestimmten Gesellschaft hinsichtlich des angemessenen Gleichgewichts zwischen den Interessen der Einzelnen und denen der Gesamtheit, der diese zugehören. Diese Bestimmung steht in engem Zusammenhang mit Wertungen, die der betreffenden Rechtsordnung zu eigen sind, u. a. entsprechend deren sozialem, kulturellem und historischem Kontext, und ist somit nicht automatisch auf andere Kontexte übertragbar(38).

110. Würde man Art. 53 der Charta dahin auslegen, dass er es den Mitgliedstaaten erlaubt, im Anwendungsbereich des Unionsrechts ihre Verfassungsnormen, die ein höheres Niveau des Schutzes des betreffenden Grundrechts gewährleisten, anzuwenden, würde man außer Acht lassen, dass die Bestimmung des grundrechtlichen Schutzniveaus stark vom Kontext abhängt, in dem er sich abspielt.

111. Selbst wenn ein hohes Schutzniveau der Grundrechte angestrebt werden soll, folgt aus der Besonderheit des Unionsrechts somit, dass das sich aus der Auslegung einer nationalen Verfassung ergebende Schutzniveau weder automatisch auf die Ebene der Union übertragbar ist noch der Anwendung des Unionsrechts entgegengehalten werden kann.

112. Bei der Bewertung des grundrechtlichen Schutzniveaus, das innerhalb der Rechtsordnung der Union gewährleistet sein muss, sind die spezifischen Interessen zu berücksichtigen, die das Handeln der Union leiten. Dies gilt insbesondere für die notwendige Einheitlichkeit der Anwendung des Unionsrechts und die Vorgaben im Zusammenhang mit der Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Diese spezifischen Interessen führen zu einer Anpassung des grundrechtlichen Schutzniveaus entsprechend den verschiedenen in Betracht kommenden Interessen.

113. Der Rahmenbeschluss 2009/299 zeigt deutlich, dass das grundrechtliche Schutzniveau nicht abstrakt festzulegen ist, sondern vielmehr an die Vorgaben im Zusammenhang mit der Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts anzupassen ist.

114. Insoweit besteht ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen der Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der Rechte Einzelner in Strafverfahren und der Stärkung des gegenseitigen Vertrauens zwischen diesen Staaten.

115. Gemäß dem zehnten Erwägungsgrund „[ist] Grundlage für den Mechanismus des Europäischen Haftbefehls … ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten“. Darüber hinaus hat der Gerichtshof klargestellt, dass der Rahmenbeschluss darauf ausgerichtet ist, die justizielle Zusammenarbeit zu erleichtern und zu beschleunigen und somit zur Erreichung des der Union gesetzten Ziels, sich zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu entwickeln, beitragen soll, indem er auf ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten gründet(39).

116. Unter diesem Aspekt ist die Bestimmung eines gemeinsamen hohen Standards des Schutzes der Verteidigungsrechte auf Unionsebene geeignet, das Vertrauen, das die vollstreckende Justizbehörde in die Qualität des im Ausstellungsmitgliedstaat geltenden Verfahrens setzt, zu stärken.

117. Wie die spanische Regierung zu Recht anmerkt, soll der Rahmenbeschluss 2009/299 das Problem lösen, das sich aufgrund der Existenz zweier verschiedener Schutzniveaus im Rahmen der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls bei einer Verurteilung in Abwesenheit stellt. Dieser Rahmenbeschluss ist Teil der Maßnahmen, die den Zweck haben, eine europäische Verfahrensordnung zu schaffen, die unerlässlich ist, um die Mechanismen der justiziellen Zusammenarbeit innerhalb der Union wirksamer zu gestalten. Denn ohne eine Harmonisierung der Verfahrensgarantien kann die Union nur schwerlich bei der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung und beim Aufbau eines wirklichen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts voranschreiten. Aus diesem Grund übrigens sieht Art. 82 Abs. 2 AEUV vor, dass, „[s]oweit dies zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension erforderlich ist, … das Europäische Parlament und der Rat … Mindestvorschriften festlegen [können]“, wobei diese sich insbesondere auf die Rechte des Einzelnen in Strafverfahren beziehen können.

118. Der Rahmenbeschluss 2009/299 reiht sich in diese Linie ein, indem er nicht nur die Vollstreckung Europäischer Haftbefehle bei Verurteilungen in Abwesenheit, sondern auch einen ausreichenden Schutz der Grundrechte der betroffenen Personen wie des Rechts auf ein faires Verfahren und der Verteidigungsrechte sicherstellen soll.

119. Um diese Ziele miteinander in Einklang zu bringen, hat der Unionsgesetzgeber das betreffende grundrechtliche Schutzniveau in der Weise festgelegt, dass die Wirksamkeit des Mechanismus des Europäischen Haftbefehls nicht beeinträchtigt wird.

120. Ich teile insoweit die Auffassung der spanischen Regierung, die geltend macht, dass es zwar erforderlich sei, die Vollstreckung von in anderen Mitgliedstaaten ergangenen gerichtlichen Entscheidungen sicherzustellen, und zwar unter umfassender Wahrung der Grundrechte der Angeklagten im Rahmen eines Strafverfahrens, dass jedoch die Verfahrensgarantien, die Letzteren zustehen, nicht zu dem einzigen Zweck geltend gemacht werden dürften, sich dem Zugriff der Justiz zu entziehen. Zwar geht es darum, die Grundrechte zu wahren, zugleich aber auch darum, dafür zu sorgen, dass die Verfahrensgarantien im Rahmen der grenzüberschreitenden Dimension, d. h. der des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, nicht zur Verhinderung der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen geltend gemacht werden.

121. Art. 4a des Rahmenbeschlusses erfüllt genau diese Aufgabe, eine bessere Vollstreckung von zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen ausgestellten Europäischen Haftbefehlen sicherzustellen und zugleich die Verfahrensrechte der betroffenen Personen in einer diesem Ziel angepassten Weise zu stärken.

122. Eine Auslegung von Art. 53 der Charta, die es einer vollstreckenden Justizbehörde erlauben würde, in Anwendung einer nationalen Verfassungsnorm die Vollstreckung eines zum Zweck der Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils ausgestellten Europäischen Haftbefehls generell der Bedingung zu unterwerfen, dass die Person, gegen die sich der Haftbefehl richtet, im Ausstellungsmitgliedstaat die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann, würde das so durch Art. 4a des Rahmenbeschlusses erreichte Gleichgewicht zerstören und ist daher unzulässig.

123. Es ist außerdem darauf hinzuweisen, dass der zwölfte Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses nicht als eine Bestätigung der ersten vom Tribunal Constitucional vorgeschlagenen Auslegung verstanden werden kann. Nach diesem Erwägungsgrund belässt der Rahmenbeschluss „jedem Mitgliedstaat die Freiheit zur Anwendung seiner verfassungsmäßigen Regelung des Anspruchs auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren“. Nach meiner Auffassung ist dieser Erwägungsgrund in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses zu lesen. Wie vorstehend aufgezeigt, wurde dieser Vorschrift ein Großteil ihrer praktischen Wirksamkeit genommen, da für die Vollstreckung eines zur Vollstreckung eines Abwesenheitsurteils ausgestellten Europäischen Haftbefehls der Standard des Schutzes des Rechts auf ein faires Verfahren mit dem Erlass von Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses innerhalb der Union einheitlich festgelegt wurde.

124. Über die Auslegung von Art. 53 der Charta hinaus führt die vom Tribunal Constitucional gestellte dritte Frage in Wirklichkeit zu der Frage nach dem Handlungsspielraum, über den die Mitgliedstaaten bei der Festlegung des grundrechtlichen Schutzniveaus verfügen, das sie im Rahmen der Umsetzung des Unionsrechts gewährleisten wollen. Insoweit sind die Situationen, in denen der Grad an Schutz, der hinsichtlich eines Grundrechts im Rahmen der Umsetzung einer Handlung der Union auf Unionsebene gewährleistet sein muss, festgelegt ist, von den Situationen zu unterscheiden, in denen dieses Schutzniveau nicht einheitlich festgelegt wurde.

125. Im ersten Fall steht die Festlegung des Schutzniveaus, wie gezeigt wurde, in engem Zusammenhang mit den Zielen der entsprechenden Handlung der Union. Sie spiegelt ein Gleichgewicht zwischen der Notwendigkeit, die Wirksamkeit des Handelns der Union sicherzustellen, und der Notwendigkeit eines ausreichenden Schutzes der Grundrechte wider. In dieser Situation ist offensichtlich, dass die spätere Berufung eines Mitgliedstaats auf sein höheres Schutzniveau die Zerstörung des vom Unionsgesetzgeber erreichten Gleichgewichts zur Folge hätte und somit die Anwendung des Unionsrechts beeinträchtigen würde.

126. Im Kontext des Rahmenbeschlusses ist dessen Art. 4a Abs. 1 Ausdruck einer Übereinkunft zwischen sämtlichen Mitgliedstaaten, wann eine in Abwesenheit verurteilte Person übergeben werden muss, ohne dass dies gegen ihr Recht auf ein faires Verfahren und ihre Verteidigungsrechte verstößt. Dieser Konsens zwischen den Mitgliedstaaten lässt keinen Raum für die Anwendung abweichender nationaler Schutzstandards.

127. Im zweiten Fall hingegen verfügen die Mitgliedstaaten über einen größeren Handlungsspielraum, um im Anwendungsbereich des Unionsrechts das grundrechtliche Schutzniveau anzuwenden, das sie innerhalb ihrer Rechtsordnung gewährleisten wollen, und zwar so lange, wie dieses Schutzniveau mit der ordnungsgemäßen Umsetzung des Unionsrechts vereinbar ist und nicht gegen andere, unionsrechtlich geschützte Grundrechte verstößt(40).

128. Nach diesen erläuternden Ausführungen ist nun die Funktion zu ermitteln, die Art. 53 der Charta innerhalb der Charta zukommt.

129. Dabei darf meines Erachtens der politische und symbolische Wert dieser Vorschrift nicht unterschätzt werden(41). Im Übrigen ist diese Vorschrift nach meiner Auffassung in engem Zusammenhang mit den Art. 51 und 52 der Charta zu sehen, die sie ergänzt.

130. Nach den Erläuterungen zu Art. 53 der Charta „[ist d]er Zweck dieser Bestimmung … die Aufrechterhaltung des durch das Recht der Union, das Recht der Mitgliedstaaten und das Völkerrecht in seinem jeweiligen Anwendungsbereich gegenwärtig gewährleisteten Schutzniveaus. Aufgrund ihrer Bedeutung findet die EMRK Erwähnung.“

131. Die Verfasser der Charta konnten die Existenz einer Vielzahl von die Mitgliedstaaten bindenden Quellen für den Schutz der Grundrechte nicht außer Acht lassen und mussten somit regeln, wie die Charta neben diese treten sollte. Dies ist das Hauptziel von Titel VII der Charta, der die allgemeinen Bestimmungen über ihre Auslegung und Anwendung enthält. Aus diesem Blickwinkel ergänzt Art. 53 der Charta die in den Art. 51 und 52 angeführten Grundsätze, indem er zum einen darauf hinweist, dass in einem System, in dem eine Vielfalt an Quellen zum Schutz der Grundrechte herrscht, die Charta nicht dazu bestimmt ist, das ausschließliche Instrument zum Schutz dieser Rechte zu werden, und zum anderen darauf, dass sie nicht die Wirkung haben kann, für sich allein das sich aus diesen verschiedenen Quellen in ihren jeweiligen Anwendungsbereichen ergebende Schutzniveau zu beeinträchtigen oder zu verringern.

132. Die Charta stellt kein isoliertes und von den anderen Quellen zum Schutz der Grundrechte losgelöstes Instrument dar. Sie selbst sieht vor, dass bei der Auslegung ihrer Bestimmungen anderen Rechtsquellen, nationalen wie internationalen, gebührend Rechnung zu tragen ist. Daher macht Art. 52 Abs. 3 der Charta die EMRK zu einem Mindeststandard, den das Unionsrecht nicht unterschreiten darf, und nach Art. 52 Abs. 4 der Charta werden, soweit in der Charta Grundrechte anerkannt werden, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, sie im Einklang mit diesen Überlieferungen ausgelegt(42).

133. Art. 53 der Charta ergänzt diese Vorschriften, indem er klarstellt, dass die Charta im Rahmen des Nebeneinanderbestehens der verschiedenen Quellen des Grundrechtsschutzes selbst nicht zu einer Verringerung des Niveaus des Schutzes dieser Rechte in den verschiedenen Rechtsordnungen führen kann. Diese Vorschrift soll somit bekräftigen, dass die Charta nur im Anwendungsbereich des Unionsrechts das Schutzniveau der Grundrechte vorgibt.

134. Die Charta kann somit nicht zur Folge haben, dass die Mitgliedstaaten gezwungen werden, das von ihren nationalen Verfassungen garantierte Schutzniveau der Grundrechte in Fällen zu senken, die außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts liegen. Art. 53 der Charta bringt außerdem den Gedanken zum Ausdruck, dass ihr Erlass einem Mitgliedstaat nicht als Vorwand dienen darf, den Schutz der Grundrechte im Anwendungsbereich des nationalen Rechts zu verringern.

135. Insoweit soll der Ausdruck „in dem jeweiligen Anwendungsbereich“ insbesondere den Mitgliedstaaten die Gewissheit geben, dass die Charta nicht dazu bestimmt ist, ihre nationalen Verfassungen zu ersetzen, wenn es um das Schutzniveau geht, das diese Verfassungen im Anwendungsbereich des nationalen Rechts gewährleisten(43). Zugleich bedeutet diese Formulierung, dass Art. 53 der Charta nicht den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts beeinträchtigen kann, wenn die Ermittlung des Schutzniveaus der Grundrechte im Rahmen der Umsetzung des Unionsrechts vorgenommen wird.

136. In Anbetracht dieses Verständnisses von Art. 53 der Charta schlage ich somit dem Gerichtshof vor, für Recht zu erkennen, dass diese Vorschrift dahin auszulegen ist, dass sie es der vollstreckenden Justizbehörde nicht erlaubt, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls in Anwendung ihres nationalen Verfassungsrechts an die Bedingung zu knüpfen, dass die Person, gegen die dieser Haftbefehl erlassen wurde, im Ausstellungsmitgliedstaat die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann, da Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses die Anwendung einer solchen Bedingung nicht gestattet.

137. Ergänzend ist anzumerken, dass bei dem Standpunkt, den ich dem Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache vorschlage, nicht die Notwendigkeit geleugnet werden soll, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen, zu der ganz gewiss die Verfassungsidentität gehört(44).

138. Ich bin mir bewusst, dass die Union nach Art. 4 Abs. 2 EUV verpflichtet ist, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten, „die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen … zum Ausdruck kommt“(45). Es ist außerdem anzumerken, dass in der Präambel der Charta darauf hingewiesen wird, dass die Union bei ihrem Handeln die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten hat.

139. Wäre ein Mitgliedstaat der Auffassung, dass eine Vorschrift des abgeleiteten Rechts seine nationale Identität verletzt, könnte er sie somit unter Berufung auf Art. 4 Abs. 2 EUV anfechten(46).

140. Allerdings liegt im Rahmen der vorliegenden Rechtssache eine solche Situation nicht vor. Insoweit führen mich sowohl die Erörterungen vor dem Tribunal Constitucional als auch die vor dem Gerichtshof zu der Überzeugung, dass die Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren und der Verteidigungsrechte bei Abwesenheitsurteilen nicht geeignet ist, die nationale Identität des Königreichs Spanien zu beeinträchtigen.

141. Denn abgesehen davon, dass die Frage nach dem „Wesensgehalt“ des Rechts auf Verteidigung beim Tribunal Constitucional weiterhin diskutiert wird, hat das Königreich Spanien in der mündlichen Verhandlung unter Berufung auf die im spanischen Recht vorgesehenen Ausnahmen von der Durchführung eines neuen Verfahrens nach einem Abwesenheitsurteil selbst angegeben, dass die Beteiligung des Angeklagten am Verfahren nicht in den Bereich der Verfassungsidentität des Königreichs Spanien fällt.

142. Außerdem ist meines Erachtens das, was unter einen anspruchsvollen Begriff des Grundrechtsschutzes fällt, nicht mit einer Beeinträchtigung der nationalen Identität oder genauer der Verfassungsidentität eines Mitgliedstaats zu verwechseln. Zwar handelt es sich im vorliegenden Fall um ein durch die spanische Verfassung geschütztes Grundrecht, dessen Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, was aber nicht bedeutet, dass hier die Anwendung von Art. 4 Abs. 2 in Erwägung zu ziehen wäre.

143. Außerdem ist klarzustellen, dass die Berücksichtigung der Unterschiede, die die nationalen Rechtsordnungen charakterisieren, zu den Grundsätzen zählt, von denen sich die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts leiten zu lassen hat.

144. Art. 67 Abs. 1 AEUV bestimmt nämlich, dass „[d]ie Union … einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts [bildet], in dem die Grundrechte und die verschiedenen Rechtsordnungen und ‑traditionen der Mitgliedstaaten geachtet werden“. Im Übrigen sieht Art. 82 Abs. 2 AEUV vor, dass bei den Mindestvorschriften, die das Parlament und der Rat u. a. in Bezug auf die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren erlassen können, „die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und ‑traditionen der Mitgliedstaaten berücksichtigt [werden]“. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass Art. 82 Abs. 3 AEUV bestimmt, dass wenn „ein Mitglied des Rates der Auffassung [ist], dass ein Entwurf einer Richtlinie nach Absatz 2 grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung berühren würde, … es beantragen [kann], dass der Europäische Rat befasst wird“, wodurch das Gesetzgebungsverfahren gehemmt wird und was bei fortdauernder Uneinigkeit zu einer verstärkten Zusammenarbeit führen kann.

145. Der Erlass von Art. 4a des Rahmenbeschlusses durch den Unionsgesetzgeber zeigt, dass die Mitgliedstaaten einen gemeinsamen Ansatz für die Vollstreckung von zur Vollstreckung von Abwesenheitsurteilen ausgestellten Europäischen Haftbefehlen festlegen wollten und dass dieser gemeinsame Ansatz mit der Vielfalt der Rechtstraditionen und ‑ordnungen der Mitgliedstaaten vereinbar ist.

IV – Ergebnis

146. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Tribunal Constitucional wie folgt zu antworten:

1.      Art. 4a Abs. 1 Buchst. a und b des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es der nationalen Vollstreckungsbehörde verwehrt, in den Fällen, auf die sich diese Vorschrift bezieht, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls von der Bedingung abhängig zu machen, dass die Person, gegen die dieser Haftbefehl erlassen wurde, im Ausstellungsmitgliedstaat die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann.

2.      Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung ist mit den Art. 47 Abs. 2 und 48 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar.

3.      Art. 53 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erlaubt es der vollstreckenden Justizbehörde nicht, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls in Anwendung ihres nationalen Verfassungsrechts an die Bedingung zu knüpfen, dass die Person, gegen die dieser Haftbefehl erlassen wurde, im Ausstellungsmitgliedstaat die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen kann, da Art. 4a Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584 in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung die Anwendung einer solchen Bedingung nicht zulässt.


1 – Originalsprache: Französisch.


2–      ABl. L 190, S. 1.


3–      ABl. L 81, S. 24, im Folgenden: Rahmenbeschluss.


4 – Dabei handelt es sich um eine Beschwerde, die die Gewährleistung des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten zum Gegenstand hat. Diese Beschwerde dient u. a. dem Schutz der in den Abschnitten I und II von Kapitel II des Titels I der spanischen Verfassung niedergelegten Rechte wie des allgemeinen Gleichheitsrechts (Art. 14), der Grundrechte und Grundfreiheiten nach den Art. 15 bis 29 dieser Verfassung und des Rechts auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen (Art. 30 Abs. 2) vor Verletzungen durch die öffentliche Gewalt (Art. 53 Abs. 2).


5 – Der Beschwerdeführer führt hierzu die Urteile des Tribunal Constitucional vom 30. März 2000, Nr. 91/2000, und vom 5. Juni 2006, Nr. 177/2006, an.


6–      Vgl. Urteil vom 16. Juni 2005, Pupino (C‑105/03, Slg. 2005, I‑5285, Randnr. 43).


7 – Vgl. Erklärung zu Artikel 8 Absatz 3 des Rahmenbeschlusses 2009/299 (ABl. L 97, S. 26).


8 – Vgl. u. a. Urteil vom 28. Juni 2007, Dell’Orto (C‑467/05, Slg. 2007, I‑5557, Randnr. 40), und zur Beurteilung der Gültigkeit einer Vorschrift des Unionsrechts Urteil vom 8. Juli 2010, Afton Chemical (C‑343/09, Slg. 2010, I‑7027, Randnrn. 13 und 14).


9–      Vgl. u. a. Urteil vom 12. August 2008, Santesteban Goicoechea (C‑296/08 PPU, Slg. 2008, I‑6307, Randnr. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).


10 – Vgl. entsprechend Urteil vom 1. Juli 2004, Tsapalos und Diamantakis (C‑361/02 und C‑362/02, Slg. 2004, I‑6405, Randnr. 20). Um mit den Worten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu sprechen, nimmt das Verfahren des Europäischen Haftbefehls „nicht Bezug auf die Begründetheit einer strafrechtlichen Anklage“, und „die Übergabe des Beschwerdeführers an die [zuständigen] Behörden [ist] keine dem Betroffenen für die Begehung einer Straftat auferlegte Strafe …, sondern ein Verfahren, das die Vollstreckung eines Urteils ermöglichen soll“ (vgl. EGMR, Entscheidung vom 7. Oktober 2008, Monedero Angora/Spanien). Mit anderen Worten: Das Verfahren des Europäischen Haftbefehls hat keine Auswirkungen auf die individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit, sondern soll die Vollstreckung einer gegen eine verurteilte Person ergangenen Entscheidung erleichtern.


11 – Vgl. hierzu E. Guillén López: „The impact of the European Convention of Human Rights and the Charter of Fundamental Rights of the European Union on Spanish Constitutional law: make a virtue of necessity“ in: Human rights protection in the European legal order: the interaction between the European and the national courts, Intersentia, 2011, S. 309, wo er u. a. ausführt: „with the authorisation for the ratification of the Lisbon Treaty, organic law 1/2008 … states in Article 2 that: ‚Under the provisions of paragraph 2 of Article 10 of the Spanish constitution and paragraph 8 of Article 1 of the Treaty of Lisbon, the rules relating to fundamental rights and freedoms recognized by the constitution shall be interpreted in accordance with the provisions of the Charter of Fundamental Rights‘“, S. 334.


12 – Vgl. entsprechend zu einer beim Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Administrative Court) (Großbritannien), erhobenen Klage auf gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit, mit der die Umsetzung einer Richtlinie beanstandet wurde, obwohl die für die Umsetzung der Richtlinie vorgesehene Frist bei Klageerhebung noch nicht abgelaufen und keine nationale Maßnahme zur Umsetzung der Richtlinie erlassen worden war, Urteile vom 3. Juni 2008, Intertanko u. a. (C‑308/06, Slg. 2008, I‑4057, Randnrn. 33 bis 35), und Afton Chemical, Randnrn. 15 bis 17.


13–      Vgl. Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2009/299.


14 – Vgl. den vierten Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2009/299.


15–      Ebd.


16–      Vgl. Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17).


17–      Recueil des arrêts et décisions 2006-II.


18 – Vgl. EGMR, Urteile Sejdovic/Italien, Randnr. 81, und Haralampiev/Bulgarien, Randnr. 30.


19 – Vgl. EGMR, Urteil Sejdovic/Italien, Randnr. 82.


20 – Vgl. EGMR, Urteile Sejdovic/Italien, Randnr. 84, und Haralampiev/Bulgarien, Randnr. 31.


21 – Vgl. EGMR, Urteile Sejdovic/Italien, Randnr. 86, und Haralampiev/Bulgarien, Randnr. 32. Vgl. auch EGMR, Urteil Idalov/Russland, Randnr. 172.


22 – Vgl. EGMR, Urteil Idalov/Russland, Randnr. 173. Vgl. in diesem Sinne auch EGMR, Urteile Sejdovic/Italien, Randnr. 87, und Haralampiev/Bulgarien, Randnr. 33.


23 – Vgl. u. a. EGMR, Urteil vom 14. Juni 2001, Medenica/Schweiz, Recueil des arrêts et décisions 2001-VI, in dem dieser Gerichtshof zum Fall des Betroffenen, der rechtzeitig über das gegen ihn eingeleitete Verfahren und den Zeitpunkt der Verhandlung informiert wurde, ausführt, dass „[seine] Verteidigung in der Verhandlung … durch zwei Rechtsanwälte seiner Wahl sichergestellt [war]“ (Randnr. 56).


24 – Vgl. u. a. EGMR, Urteil vom 13. Februar 2001, Krombach/Frankreich, Recueil des arrêts et décisions 2001-II, Randnr. 89. Vgl. auch EGMR, Urteil Sejdovic/Italien, Randnr. 91.


25 – Vgl. u. a. EGMR, Urteil Sejdovic/Italien, Randnr. 91.


26 – Vgl. u. a. EGMR, Urteile vom 21. Januar 1999, Van Geyseghem/Belgien, Recueil des arrêts et décisions 1999-I, Randnr. 34, Krombach/Frankreich, Randnr. 89, sowie im selben Sinne EGMR, Urteil Sejdovic/Italien, Randnr. 92.


27 – Vgl. u. a. EGMR, Urteil Sejdovic/Italien, Randnr. 93.


28–      Vgl. den zehnten Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2009/299.


29 – Oder mit den Worten des Gerichtshofs in Randnr. 74 seines Urteils vom 14. September 2010, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission (C‑550/07 P, Slg. 2010, I‑8301): Die Erörterungen vor dem Gerichtshof in diesem Verfahren haben „keine überwiegende Tendenz“ in den Rechtsordnungen der 27 Mitgliedstaaten zugunsten der vom Tribunal Constitucional vertretenen Auslegung ergeben.


30–      Nach Art. 53 EMRK ist „[d]iese Konvention … nicht so auszulegen, als beschränke oder beeinträchtige sie Menschenrechte und Grundfreiheiten, die in den Gesetzen einer Hohen Vertragspartei oder in einer anderen Übereinkunft, deren Vertragspartei sie ist, anerkannt werden“.


31 – Das Tribunal Constitucional bezieht sich insoweit auf die Urteile vom 12. Juni 2003, Schmidberger (C‑112/00, Slg. 2003, I‑5659, Randnr. 74), vom 11. Dezember 2007, International Transport Workers’ Federation und Finnish Seamen’s Union (C‑438/05, Slg. 2007, I‑10779, Randnr. 45), und vom 18. Dezember 2007, Laval un Partneri (C‑341/05, Slg. 2007, I‑11767, Randnr. 93). Aus den angeführten Randnummern dieser Urteile geht hervor, dass der Grundrechtsschutz ein berechtigtes Interesse ist, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung der Verpflichtungen zu rechtfertigen, die nach dem Unionsrecht, auch kraft einer durch den Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit wie des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs, bestehen.


32 – Das Tribunal Constitucional führt insoweit die Urteile vom 14. Oktober 2004, Omega (C‑36/02, Slg. 2004, I‑9609, Randnrn. 37 und 38), und Pupino, Randnr. 60, an.


33 – Vgl. u. a. Urteile vom 17. Dezember 1970, Internationale Handelsgesellschaft (11/70, Slg. 1970, 1125, Randnr. 3), vom 2. Juli 1996, Kommission/Luxemburg (C‑473/93, Slg. 1996, I‑3207, Randnr. 38), und vom 8. September 2010, Winner Wetten (C‑409/06, Slg. 2010, I‑8015, Randnr. 61).


34 – Vgl. in diesem Sinne C. Ladenburger, „European Union Institutional Report“, in: The Protection of Fundamental Rights Post-Lisbon: The Interaction between the Charter of Fundamental Rights of the European Union, the European Convention on Human Rights and National Constitutions, Tartu University Press, Berichte des XXV. FIDE-Kongresses, Tallinn 2012, Vol. 1, S. 141, insbesondere S. 175 und Fn. 124.


35–      Vgl. die 17. Erklärung zum Vorrang.


36 – Vgl. A. Tinsley, „Note on the reference in case C‑399/11 Melloni“, in: New Journal of European Criminal Law, Vol. 3, Ausg. 1, 2012, S. 19, insbesondere S. 28. Der Autor bezieht sich auf einen Aufsatz von M. Arroyo Jiménez mit dem Titel „Sobre la primera cuestión prejudicial planteada por el Tribunal Constitucional – Bases, contenido y consecuencias“ in: Revista Para el Análisis del Derecho, Barcelona, Oktober 2011.


37–      Urteil Internationale Handelsgesellschaft, Randnr. 4.


38 – Vgl. A.-M. Widmann, „Article 53: undermining the impact of the Charter of Fundamental Rights“, in: Columbia journal of European law, Vol. 8, 2002, Nr. 2, S. 342, insbesondere S. 353, sowie C. Van De Heyning, „No place like home – Discretionary space for the domestic protection of fundamental rights“ in: Human rights protection in the European legal order: the interaction between the European and the national courts, S. 65, insbesondere S. 81.


39–      Vgl. u. a. Urteil vom 28. Juni 2012, West (C‑192/12 PPU, Randnr. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).


40 – Zu Beispielen von Grundrechten, die in bestimmten Mitgliedstaaten im Vergleich zu dem Schutzniveau, das sich aus der EMRK und aus dem Unionsrecht ergibt, ein höheres Schutzniveau haben, siehe L. F. M. Besselink, „General Report“, in: The Protection of Fundamental Rights Post-Lisbon: The Interaction between the Charter of Fundamental Rights of the European Union, the European Convention on Human Rights and National Constitutions, S. 63, insbesondere S. 70. Vgl. auch C. Ladenburger, a. a. O., der die Auffassung vertritt, dass „where Union law leaves several ways of implementation without its effectiveness being undermined, then it is hard to see why the national authority should not be authorised to select only such modes of implementation that respect its own constitution“, S. 173.


41 – Vgl. J. Bering Liisberg, „Does the EU Charter of Fundamental Rights Threaten the Supremacy of Community Law? – Article 53 of the Charter: a fountain of law or just an inkblot?“, in: Jean Monnet Working Paper Nr. 4/01, S. 18 und 50.


42 – Die Aussage des Art. 52 Abs. 4 der Charta fasst C. Ladenburger, a. a. O., S. 179, wie folgt zusammen:


      „[T]he step of incorporating a written catalogue into primary law should not lead to construing Union fundamental rights in complete abstraction from the Member States’ constitutional traditions and laws.“


      Art. 52 Abs. 6 der Charta, wonach „[d]en einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten …, wie es in dieser Charta bestimmt ist, in vollem Umfang Rechnung zu tragen [ist]“, liegt auf derselben Linie.


43 – Vgl. J. Bering Liisberg, a. a. O., S. 16 und 35. In den Mitgliedstaaten sind die nationalen Gerichte in der Lage, je nach dem bei ihnen anhängigen Fall und dem anwendbaren Recht zu unterscheiden, welcher Schutzstandard anzuwenden ist. Vgl. hierzu L. F. M. Besselink, a. a. O., der anmerkt, dass „in federal states courts are acquainted with the distinction between areas of competence and the differentiated standards which accompany each. At the same time there is little doubt that the various ‚layers‘ overlap“, S. 77.


44 – Vgl. hierzu u. a. D.Simon, „L’identité constitutionnelle dans la jurisprudence de l’Union européenne“, in: L’identité constitutionnelle saisie par les juges en Europe, Éditions A. Pedone, Paris, 2011, S. 27; V. Constantinesco, „La confrontation entre identité constitutionnelle européenne et identités constitutionnelles nationales, convergence ou contradiction? Contrepoint ou hiérarchie?“, in: L’Union européenne: Union de droit, Union des droits – Mélanges en l’honneur de Philippe Manin, Éditions A. Pedone, Paris, 2010, S. 79, und – in demselben Sammelband – J.-D. Mouton, „Réflexions sur la prise en considération de l’identité constitutionnelle des États membres de l’Union européenne“, S. 145.


45 – Auf diese Vorschrift hat sich der Gerichtshof in seinen Urteilen vom 22. Dezember 2010, Sayn-Wittgenstein (C‑208/09, Slg. 2010, I‑13693, Randnr. 92), vom 12. Mai 2011, Runevič-Vardyn und Wardyn (C‑391/09, Slg. 2011, I‑3787 Randnr. 86), und vom 24. Mai 2011, Kommission/Luxemburg (C‑51/08Slg. 2011, I‑4231, Randnr. 124) bezogen. Vgl. auch Nr. 59 der Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen in der Rechtssache Las (C‑202/11, beim Gerichtshof anhängig) sowie Nrn. 60 ff. des Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache JS (C‑253/12, beim Gerichtshof anhängig).


46 – Vgl. L. F. M. Besselink, a. a. O., der darauf hinweist, dass „divergent fundamental rights standards may not be resolved explicitly via provisions like Article 53 of the Charter and of the ECHR, but by reference to Article 4(2) EU. Reliance on divergent fundamental rights standards is then made dependent on whether it forms part of the constitutional identity of a Member State“, S. 136.