Language of document : ECLI:EU:C:2018:20

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 18. Januar 2018(1)

Rechtssache C‑528/16

Confédération paysanne,

Réseau Semences Paysannes,

Les Amis de la Terre France,

Collectif vigilance OGM et Pesticides 16,

Vigilance OG2M,

CSFV 49,

OGM dangers,

Vigilance OGM 33,

Fédération Nature & Progrès

gegen

Premier ministre,

Ministre de l’agriculture, de l’agroalimentaire et de la forêt

(Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État [Staatsrat, Frankreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Landwirtschaft – Richtlinien 2001/18/EG und 2002/53/EG – Auslegung und Gültigkeitsprüfung – Begriff ‚genetisch veränderte Organismen‘ – Gemeinsamer Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten – Neue Verfahren der Mutagenese unter Einsatz gentechnischer Verfahren – Zufällige und gezielte Mutagenese – Anwendungsbereich der Ausnahme – Grad der Harmonisierung – Vorsorgegrundsatz“






I.      Einleitung

1.        Die Richtlinie 2001/18/EG(2) (im Folgenden auch: GVO-Richtlinie) regelt die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen (im Folgenden: GVO) in die Umwelt und ihr Inverkehrbringen in der Union. Die unter diese Richtlinie fallenden Organismen bedürfen einer Zulassung im Anschluss an eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Für sie gelten ferner Verpflichtungen in Bezug auf die Rückverfolgbarkeit, Kennzeichnung und Überwachung.

2.        Nach Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang I B gilt die GVO-Richtlinie nicht für Organismen, bei denen eine genetische Veränderung durch den Einsatz bestimmter Verfahren, u. a. der Mutagenese, herbeigeführt wurde (im Folgenden: Mutagenese-Ausnahme).

3.        Die Mutagenese geht mit der Veränderung des Genoms einer lebenden Art einher. Anders als bei der Transgenese wird grundsätzlich keine Fremd-DNA in einen lebenden Organismus eingefügt. Die Mutageneseverfahren haben sich im Lauf der Zeit infolge des wissenschaftlichen Fortschritts in der Biotechnologie weiterentwickelt. Nach Ansicht der Confédération paysanne u. a. stellen einige der jüngst entwickelten Verfahren Gesundheits- und Umweltrisiken dar. Sie haben daher Klage beim vorlegenden Gericht mit dem Antrag erhoben, eine nationale Bestimmung, die durch Mutagenese gewonnene Organismen von den für GVO geltenden Verpflichtungen ausnimmt, für nichtig zu erklären.

4.        In diesem Kontext wird der Gerichtshof ersucht, den genauen Anwendungsbereich der GVO-Richtlinie, insbesondere die Reichweite, den Sinn und Zweck und die Wirkungen der Mutagenese-Ausnahme, klarzustellen – und möglicherweise ihre Gültigkeit zu überprüfen. Allgemeiner wird der Gerichtshof um Stellungnahme zu einer zeitlichen Frage ersucht, und zwar dazu, welche Rolle Zeitablauf und fortschreitende technische und wissenschaftliche Erkenntnisse für die mit Bedacht auf den Vorsorgegrundsatz vorzunehmende rechtliche Auslegung und Beurteilung der Gültigkeit der unionsrechtlichen Bestimmungen spielen sollten.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

1.      Primärrecht

5.        Art. 191 Abs. 2 AEUV bestimmt:

„Die Umweltpolitik der Union zielt unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Union auf ein hohes Schutzniveau ab. Sie beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip.

Im Hinblick hierauf umfassen die den Erfordernissen des Umweltschutzes entsprechenden Harmonisierungsmaßnahmen gegebenenfalls eine Schutzklausel, mit der die Mitgliedstaaten ermächtigt werden, aus nicht wirtschaftlich bedingten umweltpolitischen Gründen vorläufige Maßnahmen zu treffen, die einem Kontrollverfahren der Union unterliegen.“

2.      Sekundärrecht

a)      GVO-Richtlinie

6.        Der achte Erwägungsgrund der GVO-Richtlinie betont, dass der „Grundsatz der Vorsorge … bei der Ausarbeitung dieser Richtlinie berücksichtigt [wurde] und … bei ihrer Umsetzung berücksichtigt werden [muss]“.

7.        Nach dem 17. Erwägungsgrund „[sollte] [d]iese Richtlinie … nicht für Organismen gelten, die mit Techniken zur genetischen Veränderung gewonnen werden, die herkömmlich bei einer Reihe von Anwendungen angewandt wurden und seit langem als sicher gelten“.

8.        Das Ziel der Richtlinie ist in Art. 1 genannt:

„Entsprechend dem Vorsorgeprinzip ist das Ziel dieser Richtlinie die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten und der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt

–        bei der absichtlichen Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt zu anderen Zwecken als dem Inverkehrbringen in der Gemeinschaft

–        beim Inverkehrbringen genetisch veränderter Organismen als Produkt oder in Produkten in der Gemeinschaft.“

9.        Art. 2 Nr. 2 enthält Begriffsbestimmungen; danach bedeutet

„‚genetisch veränderter Organismus (GVO)‘: ein Organismus mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination nicht möglich ist.

Im Sinne dieser Definition gilt Folgendes:

a)      Zu der genetischen Veränderung kommt es mindestens durch den Einsatz der in Anhang I A Teil 1 aufgeführten Verfahren;

b)      bei den in Anhang I A Teil 2 aufgeführten Verfahren ist nicht davon auszugehen, dass sie zu einer genetischen Veränderung führen“.

10.      Art. 3 regelt Ausnahmen. Nach seinem Abs. 1 „gilt“ die GVO-Richtlinie „nicht für Organismen, bei denen eine genetische Veränderung durch den Einsatz der in Anhang I B aufgeführten Verfahren herbeigeführt wurde“.

11.      Art. 4 regelt allgemeine Verpflichtungen der Mitgliedstaaten. Abs. 1 bestimmt insbesondere, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip dafür Sorge [tragen], dass alle geeigneten Maßnahmen getroffen werden, damit die absichtliche Freisetzung oder das Inverkehrbringen von GVO keine schädlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt hat. …“

12.      Nach Art. 27 „[werden] Anhang II Abschnitte C und D, die Anhänge III bis VI und Anhang VII Abschnitt C … nach dem in Artikel 30 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren mit Kontrolle an den technischen Fortschritt angepasst“.

13.      In Anhang I A sind die Verfahren im Sinne von Art. 2 Nr. 2 aufgeführt. Anhang I A Teil 1 bestimmt:

„Verfahren der genetischen Veränderung im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 Buchst. a) sind unter anderem:

1.      DNS-Rekombinationstechniken, bei denen durch die Insertion von Nukleinsäuremolekülen, die auf unterschiedliche Weise außerhalb eines Organismus erzeugt wurden, in Viren, bakterielle Plasmide oder andere Vektorsysteme neue Kombinationen von genetischem Material gebildet werden und diese in einen Wirtsorganismus eingebracht wurden, in dem sie unter natürlichen Bedingungen nicht vorkommen, aber vermehrungsfähig sind;

2.      Verfahren, bei denen in einen Organismus direkt Erbgut eingeführt wird, das außerhalb des Organismus zubereitet wurde, einschließlich der Mikroinjektion, Makroinjektion und Mikroverkapselung;

3.      Zellfusion (einschließlich Protoplastenfusion) oder Hybridisierungsverfahren, bei denen lebende Zellen mit neuen Kombinationen von genetischem Erbmaterial durch die Verschmelzung zweier oder mehrerer Zellen anhand von Methoden gebildet werden, die unter natürlichen Bedingungen nicht auftreten.“

14.      In Anhang I A Teil 2 sind die Verfahren im Sinne von Art. 2 Nr. 2 Buchst. b aufgeführt, bei denen „nicht davon auszugehen ist, dass sie zu einer genetischen Veränderung führen, unter der Voraussetzung, dass sie nicht mit dem Einsatz von rekombinanten Nukleinsäuremolekülen oder genetisch veränderten Organismen verbunden sind, die aus anderen als den gemäß Anhang I B ausgeschlossenen Verfahren/Methoden hervorgegangen sind:

1.      In-vitro-Befruchtung,

2.      natürliche Prozesse wie Konjugation, Transduktion, Transformation,

3.      Polyploidie-Induktion“.

15.      Schließlich sind in Anhang I B die Verfahren im Sinne von Art. 3 Abs. 1 aufgeführt:

„Verfahren/Methoden der genetischen Veränderung, aus denen Organismen hervorgehen, die von der Richtlinie auszuschließen sind, vorausgesetzt, es werden nur solche rekombinanten Nukleinsäuremoleküle oder genetisch veränderten Organismen verwendet, die in einem oder mehreren der folgenden Verfahren bzw. nach einer oder mehreren der folgenden Methoden hervorgegangen sind:

1.      Mutagenese,

2.      Zellfusion (einschließlich Protoplastenfusion) von Pflanzenzellen von Organismen, die mittels herkömmlicher Züchtungstechniken genetisches Material austauschen können.“

b)      Richtlinie 2002/53

16.      Der 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/53/EG des Rates vom 13. Juni 2002 über einen gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten(3) lautet: „Aufgrund des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts ist es jetzt möglich, Sorten genetisch zu verändern. Bei der Entscheidung, ob genetisch veränderte Sorten im Sinne der Richtlinie 90/220/EWG(4) … zugelassen werden, sollten die Mitgliedstaaten daher etwaige Risiken im Zusammenhang mit der absichtlichen Freisetzung in die Umwelt berücksichtigen. Ferner sind die Voraussetzungen zu schaffen, unter denen derartige genetisch veränderte Sorten zugelassen werden.“

17.      Nach Art. 4 Abs. 4 „[dürfen] [g]enetisch veränderte Sorten im Sinne des Artikels 2 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 90/220/EWG … nur zugelassen werden, wenn alle entsprechenden Maßnahmen getroffen wurden, um nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu vermeiden“.

18.      Art. 7 Abs. 4 dieser Richtlinie bestimmt:

„a)      Genetisch veränderte Sorten im Sinne von Artikel 4 Absatz 4 werden einer Umweltverträglichkeitsprüfung entsprechend der Richtlinie 90/220/EWG unterzogen.

b)      Die Verfahren, mit denen gewährleistet wird, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung und andere einschlägige Elemente den Anforderungen der Richtlinie 90/220/EWG entsprechen, werden auf Vorschlag der Kommission in einer auf die maßgebliche Rechtsgrundlage des Vertrags gestützten Verordnung des Rates eingeführt. Bis zum Inkrafttreten einer solchen Verordnung dürfen genetisch veränderte Sorten nur in einen einzelstaatlichen Katalog aufgenommen werden, wenn sie gemäß der Richtlinie 90/220/EWG für das Inverkehrbringen zugelassen worden sind.

c)      Die Artikel 11 bis 18 der Richtlinie 90/220/EWG sind auf genetisch veränderte Sorten nicht mehr anwendbar, wenn die in Buchstabe [b]) genannte Verordnung in Kraft getreten ist.“

19.      Nach Art. 9 Abs. 5 der GVO-Richtlinie „[sorgen] [d]ie Mitgliedstaaten … dafür, dass zugelassene genetisch veränderte Sorten im Sortenkatalog klar als solche gekennzeichnet werden und dass jeder Marktbeteiligte, der eine solche Sorte in Verkehr bringt, sie in seinem Verkaufskatalog ebenfalls klar als genetisch verändert kennzeichnet“.

B.      Französisches Recht

20.      In Art. L. 531-1 des Code de l’environnement (Umweltgesetzbuch) ist ein genetisch veränderter Organismus definiert als ein „Organismus, dessen genetisches Material auf andere Weise als durch Kreuzen oder natürliche Rekombination verändert worden ist“.

21.      Nach Art. L. 531-2 des Umweltgesetzbuchs „[unterliegen] den Bestimmungen des vorliegenden Titels und den Art. L. 125‑3 und L. 515‑13 genetisch veränderte Organismen nicht, die durch Verfahren, bei denen wegen ihres natürlichen Charakters nicht davon auszugehen ist, dass sie zu einer genetischen Veränderung führen, oder durch herkömmlich verwendete Verfahren, die für die öffentliche Gesundheit und die Umwelt erwiesenermaßen unbedenklich sind, gewonnen wurden. Das Verzeichnis dieser Verfahren wird durch Dekret nach Stellungnahme des Haut Conseil des biotechnologies (Hoher Rat für Biotechnologien) festgelegt.“

22.      Nach Art. D. 531-3 des Umweltgesetzbuchs sind „[d]ie in Art. L. 531‑2 genannten Verfahren, bei denen nicht davon auszugehen ist, dass sie zu einer genetischen Veränderung führen: … 2. Sofern sie nicht mit der Verwendung von genetisch veränderten Organismen als Empfänger- oder Elternorganismen verbunden sind: a) Mutagenese“.

23.      Art. D. 531-3 des Umweltgesetzbuchs ergänzt: „Die in den Art. D. 531‑1 und D. 531‑2 genannten Verfahren und Definitionen sind anhand der Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Gentechnik, Molekulargenetik und Zellbiologie auszulegen und durchzuführen.“

III. Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

24.      Die Confédération paysanne ist ein französischer Landwirtschaftsverband, der die Interessen kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe vertritt. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens sind ihm acht weitere Verbände(5) beigetreten, deren Ziel der Umweltschutz und/oder die Verbreitung von Informationen über die mit GVO verbundenen Gefahren ist (zusammen im Folgenden: Kläger).

25.      Wie sich aus dem Beschluss des vorlegenden Gerichts ergibt, sind durch Transgenese oder Mutagenese herbizidresistente Saatgutsorten gewonnen worden. Insofern werden Sorten, die gegen ein nicht selektives Herbizid (wie etwa Glyphosat) resistent sind, durch Transgenese gewonnen. Bei durch Mutagenese gewonnenen Sorten konnten jedoch auch Resistenzen gegen selektive Herbizide entwickelt werden. In den gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten sind nur durch In-vitro-Zufallsmutagenese entstandene herbizidresistente Sorten aufgenommen worden. So sind 46 herbizidresistente Sonnenblumensorten und sechs herbizidresistente Rapssorten in den gemeinsamen Katalog aufgenommen worden. Bisher ist jedoch noch keine herbizidresistente Saatgutsorte in den gemeinsamen Katalog aufgenommen worden, die mit Verfahren der gezielten Mutagenese erzeugt wurde.

26.      Die Kläger bestreiten, dass durch Mutagenese gewonnene Organismen von den nach den Bestimmungen des Umweltgesetzbuchs für GVO vorgesehenen Verpflichtungen ausgenommen seien. Die Mutageneseverfahren hätten sich mit der Zeit weiterentwickelt. Vor Erlass der GVO-Richtlinie im Jahr 2001 seien nur herkömmliche Mutageneseverfahren und In-vivo-Zufallsverfahren, bei denen ionisierende Strahlung eingesetzt oder Pflanzen chemischen Mutagenen ausgesetzt würden, standardmäßig angewandt worden. Später habe der technische Fortschritt zur Entstehung von Mutageneseverfahren geführt, die mit verschiedenen Mitteln (In-vitro-Zufallsmutagenese und gezielte Mutagenese – im Folgenden: neue Mutageneseverfahren) durchgeführt werden könnten. Mit diesen Verfahren könnten gezielte Mutationen durchgeführt werden, um ein nur gegen bestimmte Herbizide resistentes Erzeugnis zu gewinnen.

27.      Die Verwendung durch Mutagenese gewonnener herbizidresistenter Saatgutsorten berge die Gefahr erheblicher schädlicher Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier. Sie führe zu einer Akkumulation von kanzerogenen Molekülen oder endokrinen Disruptoren in Pflanzen, die für Lebensmittel- und Futtermittelzwecke bestimmt seien. Es bestünden ferner Risiken durch unbeabsichtigte Wirkungen wie z. B. unerwünschte oder versehentliche Mutationen in anderen Teilen des Genoms. Diese ergäben sich aus den bei der Veränderung des Genoms in vitro und zur Regeneration der Pflanzen aus den veränderten Zellen verwendeten Verfahren.

28.      Gestützt auf diese Gründe beantragten die Kläger beim Premier ministre (Premierminister), Art. D. 531-2 des Umweltgesetzbuchs(6) aufzuheben und den Anbau und die Vermarktung von herbizidtoleranten Rapssorten zu untersagen.

29.      Der Premierminister reagierte auf den Antrag der Kläger nicht. Nach nationalem Recht gilt dieser somit als vom Premierminister abgelehnt.

30.      Mit am 12. März 2015 beim Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich), dem vorlegenden Gericht, erhobener Klage haben die Kläger beantragt, diese stillschweigende ablehnende Entscheidung des Premierministers für nichtig zu erklären. Sie haben ferner beantragt, dem Premierminister aufzugeben, innerhalb eines Monats alle Maßnahmen zu ergreifen, um ein Moratorium für herbizidtolerante Sorten einzuführen.

31.      Die Kläger haben im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht mehrere Argumente zur Vereinbarkeit von Art. D. 531‑2 des Umweltgesetzbuchs mit der GVO-Richtlinie, der Richtlinie 2002/53 und dem auch in der französischen Verfassung vorgesehenen Vorsorgegrundsatz vorgetragen.

32.      Erstens sei Art. D. 531-2 des Umweltgesetzbuchs mit Art. 2 der GVO-Richtlinie unvereinbar. Durch Mutagenese gewonnene Organismen seien GVO im Sinne der letzteren Bestimmung, auch wenn sie nach Art. 3 und Anhang I B von den für die Freisetzung und das Inverkehrbringen von GVO vorgesehenen Verpflichtungen ausgenommen seien.

33.      Zweitens stehe Art. D. 531-2 des Umweltgesetzbuchs im Widerspruch zu Art. 4 der Richtlinie 2002/53. Nach der letzteren Bestimmung seien durch Mutagenese gewonnene Sorten von den in dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen in Bezug auf die Aufnahme genetisch veränderter Sorten in den gemeinsamen Katalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten nicht ausgenommen.

34.      Drittens verstoße Art. D. 531-2 des Umweltgesetzbuchs gegen den in Art. 5 der Umweltcharta verankerten Vorsorgegrundsatz, der in Frankreich Verfassungsrang habe. Art. D. 531‑2 trage den Risiken für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt nicht hinreichend Rechnung; diese stünden mit der Freisetzung von durch Mutagenese gewonnenem genetisch verändertem Saatgut und dem Inverkehrbringen der Erzeugnisse aus diesen Pflanzen im Zusammenhang. Aufgrund des Ausschlusses der Mutagenese von den Regelungen für GVO gebe es bei diesem Saatgut keine vorbeugenden Maßnahmen, keine vorherige Prüfung und keine Überprüfung nach seiner Vermarktung.

35.      Zum kontextuellen Hintergrund sei darauf hingewiesen, dass das dritte Argument der Kläger dem vorlegenden Gericht offenbar ursprünglich als Frage des nationalen Rechts vorgetragen wurde: Ist Art. D. 531‑2 des Umweltgesetzbuchs, wonach die Mutagenese von den nationalen Regelungen für GVO ausgenommen ist, mit dem in der französischen Verfassung geregelten Vorsorgegrundsatz vereinbar?

36.      In seinem Vorabentscheidungsersuchen hat das vorlegende Gericht die Frage im Sinne einer möglichen (Un‑)Vereinbarkeit der unionsrechtlichen Mutagenese-Ausnahme mit dem unionsrechtlichen Vorsorgegrundsatz formuliert(7). Wie vom vorlegenden Gericht nahegelegt, leitet der Inhalt von Art. D. 531‑2 des Umweltgesetzbuchs, der die nationale Umsetzungsmaßnahme darstellt, sich notwendig aus den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen ab; er soll ihr somit inhaltlich entsprechen. Wird die Ungültigkeit der erstgenannten Regelung geltend gemacht, wird daher mittelbar auch die Ungültigkeit der letztgenannten Regelung geltend gemacht(8). Demensprechend möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in Rede stehende Richtlinie selbst im Hinblick auf den unionsrechtlich geschützten Vorsorgegrundsatz gültig ist(9).

37.      Vor diesem tatsächlichen und rechtlichen Hintergrund hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind durch Mutagenese gewonnene Organismen genetisch veränderte Organismen im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2001/18, obwohl sie nach Art. 3 und Anhang I B der Richtlinie von den Verpflichtungen bezüglich der Freisetzung und des Inverkehrbringens von genetisch veränderten Organismen ausgenommen sind? Können insbesondere Mutageneseverfahren, vor allem die neuen Verfahren der gezielten Mutagenese unter Einsatz gentechnischer Verfahren als in Anhang I A, auf den Art. 2 verweist, aufgeführte Verfahren angesehen werden? Sind die Art. 2 und 3 sowie die Anhänge I A und I B der Richtlinie 2001/18 demzufolge dahin auszulegen, dass sie von den Maßnahmen der Vorsorge, der Verträglichkeitsprüfung und der Rückverfolgbarkeit alle durch Mutagenese gewonnenen genetisch veränderten Organismen und ebensolches Saatgut ausnehmen oder nur diejenigen Organismen, die mit den schon vor Erlass der Richtlinie bestehenden konventionellen Methoden der Zufallsmutagenese durch ionisierende Strahlung oder chemische Mutagene erzeugt wurden?

2.      Stellen durch Mutagenese gewonnene Sorten genetisch veränderte Sorten im Sinne von Art. 4 der Richtlinie 2002/53 dar, die nicht von den in dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen ausgenommen wären? Oder stimmt der Anwendungsbereich dieser Richtlinie vielmehr mit dem sich aus den Art. 2 und 3 sowie Anhang I B der Richtlinie 2001/18 ergebenden überein, und sind durch Mutagenese gewonnene Sorten auch von den Verpflichtungen ausgenommen, die die Richtlinie 2002/53 in Bezug auf die Eintragung genetisch veränderter Sorten in den gemeinsamen Katalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten vorsieht?

3.      Stellen die Art. 2 und 3 sowie Anhang I B der Richtlinie 2001/18 insoweit, als sie die Mutagenese vom Anwendungsbereich der in der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen ausnehmen, eine Maßnahme der vollständigen Harmonisierung dar, die es den Mitgliedstaaten untersagt, durch Mutagenese gewonnene Organismen ganz oder teilweise den in der Richtlinie vorgesehenen oder anderen Verpflichtungen zu unterwerfen, oder verfügten die Mitgliedstaaten bei ihrer Umsetzung über ein Ermessen hinsichtlich der Festlegung der Regelung für durch Mutagenese gewonnene Organismen?

4.      Kann die Gültigkeit der Art. 2 und 3 sowie der Anhänge I A und I B der Richtlinie 2001/18 insoweit, als diese Bestimmungen für durch Mutagenese gewonnene genetisch veränderte Organismen keine Maßnahmen der Vorsorge, der Verträglichkeitsprüfung und der Rückverfolgbarkeit vorsehen, im Hinblick auf das in Art. 191 Abs. 2 AEUV verankerte Vorsorgeprinzip in Frage gestellt werden, wenn man die Entwicklung der gentechnischen Verfahren, die Entstehung neuer Pflanzensorten, die durch diese Verfahren gewonnen werden, und die derzeitigen wissenschaftlichen Unsicherheiten hinsichtlich der Auswirkungen dieser Verfahren und der damit verbundenen potenziellen Risiken für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier bedenkt?

38.      Schriftliche Erklärungen sind von den Klägern, der griechischen, der französischen, der niederländischen, der österreichischen und der schwedischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie vom Europäischen Parlament, vom Rat und von der Europäischen Kommission abgegeben worden. Mit Ausnahme der niederländischen und der österreichischen Regierung haben diese Beteiligten in der Sitzung vom 3. Oktober 2017 mündliche Ausführungen gemacht.

IV.    Würdigung

39.      Die vorliegenden Schlussanträge sind wie folgt aufgebaut. Ich werde zunächst die erste Frage zur Auslegung des Anwendungsbereichs der GVO-Richtlinie und der darin enthaltenen Mutagenese-Ausnahme prüfen (A). Anschließend werde ich mich der dritten Frage nach dem mit der GVO-Richtlinie verwirklichten Harmonisierungsgrad im Hinblick auf die Mutagenese und die damit zusammenhängende Frage der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten zuwenden (B). Sodann werde ich auf die vierte Frage nach der Vereinbarkeit der Mutagenese-Ausnahme mit dem Grundsatz der Vorsorge eingehen (C). Abschließen werde ich mit der zweiten Frage zum Verhältnis zwischen den Anwendungsbereichen der GVO-Richtlinie und der Richtlinie 2002/53 in Bezug auf die Mutagenese-Ausnahme (D).

A.      Erste Frage

40.      Mit der ersten Frage wird im Wesentlichen nach der Auslegung des Begriffs „Mutagenese“ in Anhang I B der GVO-Richtlinie im Allgemeinen und sodann insbesondere im Hinblick auf den Zeitablauf und das Entstehen neuer Techniken unter besonderer Berücksichtigung von Sicherheitserwägungen und/oder des Vorsorgegrundsatzes gefragt.

41.      Bevor ich auf diese Frage eingehe (2), möchte ich einige Vorbemerkungen (1) zur verwendeten Terminologie (a) und zum allgemeinen Verständnis des Vorsorgegrundsatzes im Unionsrecht (b) voranstellen.

1.      Vorbemerkungen

a)      Grundbegriffe: Mutagenese und Transgenese

42.      Es gibt eine Reihe von Methoden, die zur Veränderung des genetischen Erbguts eines lebenden Organismus eingesetzt werden können. Ebenso besteht kein Mangel an möglichen Definitionen der in diesem Kontext verwendeten allgemeinen Begriffe. Die GVO-Richtlinie selbst enthält keine allgemeine Definition dieser Begriffe. Es ist auch nicht die Aufgabe des Gerichtshofs, sich im Kontext eines Vorabentscheidungsverfahrens mit der Aufstellung solcher (gänzlich wissenschaftlichen und tatsächlichen) Definitionen zu befassen. Im Rahmen der vorliegenden Schlussanträge werde ich somit einfach die Arbeitsdefinitionen verwenden, die das vorlegende Gericht sachdienlicherweise mitgeteilt hat.

43.      Transgenese ist ein gentechnisches Verfahren, das darin besteht, in das Genom einer bestimmten Art ein oder mehrere Gene anderer Arten einzufügen. Die GVO-Richtlinie erwähnt den Begriff Transgenese nicht ausdrücklich. Materiell deckt diese Richtlinie jedoch verschiedene Verfahren ab, die normalerweise als solche bezeichnet werden könnten(10).

44.      Mutagenese beinhaltet keinen Transfer von Fremd-DNA in einen lebenden Organismus. Sie geht gleichwohl mit einer Veränderung des Genoms einer lebenden Art einher.

45.      Die Mutageneseverfahren haben sich mit der Zeit verändert. Dem vorlegenden Gericht zufolge gab es vor Erlass der GVO-Richtlinie nur konventionelle oder zufällige Mutagenesemethoden, die in vivo auf ganze Pflanzen angewendet worden seien. Diese Verfahren seien seit Jahrzehnten angewandt worden, offenbar ohne dass Umwelt- oder Gesundheitsrisiken festgestellt worden seien.

46.      Allmählich entstanden neue Verfahren. Wie vom vorlegenden Gericht weiter erläutert, wurden nicht nur Verfahren der Zufallsmutagenese in vitro auf Pflanzenzellen angewandt, sondern es wurden auch gezielte Mutagenesemethoden entwickelt, die neue gentechnische Verfahren, wie die Mutagenese mit Hilfe von Oligonukleotiden (oligonucleotide-directed mutagenesis, ODM)(11) oder die Mutagenese mit Hilfe zielgerichteter Nukleasen (site-directed nucleases, SDN1)(12) verwenden. Während es bei der konventionellen Mutagenese zu zufälligen Mutationen kommt, rufen einige der neuen Verfahren eine bestimmte Mutation in einem Gen hervor.

b)      Der Vorsorgegrundsatz im Unionsrecht

47.      Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Dies dürfte auch für Inhalt, Anwendungsbereich und mögliche Anwendung des Vorsorgegrundsatzes gelten. Im Lauf der Jahre sind, insbesondere von der rechtswissenschaftlichen Lehre und in der politischen Debatte, verschiedene Ansichten dazu vertreten worden, was der Vorsorgegrundsatz ist und wie er anzuwenden ist.

48.      Der Ansatz zum Vorsorgegrundsatz und sein Verständnis in der Rechtsprechung sind, durchaus verständlicherweise, sehr viel eingegrenzter, vielleicht sogar (vorsorglich) zurückhaltend(13). In der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird der Vorsorgegrundsatz in erster Linie dahin verstanden, dass er verschiedenen Akteuren, wie den Mitgliedstaaten, der Kommission oder Unternehmen, erlaubt, vorläufige Maßnahmen zum Risikomanagement zu ergreifen, ohne abwarten zu müssen, bis das Vorliegen und die Schwere der angeblichen Gefahren klar zutage getreten sind(14). In unionsrechtlich harmonisierten Bereichen sind diese Maßnahmen auf der Grundlage sekundärrechtlicher Bestimmungen zu ergreifen, in denen dieser Grundsatz besonderen Ausdruck findet, z. B. aufgrund von Schutzklauseln(15) oder anderen Bestimmungen, die den Umgang mit neuen Informationen über von einem bestimmten Erzeugnis ausgehende Risiken für die Gesundheit oder die Umwelt regeln sollen(16). In Ermangelung einer Harmonisierung kann der Vorsorgegrundsatz auch eigenständig zur Rechtfertigung des Erlasses beschränkender Maßnahmen herangezogen werden. Im letzteren Fall müssen allerdings die übergreifenden unionsrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, insbesondere diejenigen nach den Art. 34 und 36 AEUV, gewahrt bleiben(17).

49.      Solche vorläufigen Maßnahmen zum Risikomanagement dürfen indes nur ergriffen werden, wenn mehrere Voraussetzungen erfüllt sind. Nach ständiger Rechtsprechung erfordert „eine korrekte Anwendung des Vorsorgeprinzips … erstens die Bestimmung der möglicherweise negativen Auswirkungen der betreffenden Stoffe oder Lebensmittel auf die Gesundheit und zweitens eine umfassende Bewertung des Gesundheitsrisikos auf der Grundlage der zuverlässigsten verfügbaren wissenschaftlichen Daten und der neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung“(18). Mit anderen Worten folgt aus diesen beiden Voraussetzungen, dass Schutzmaßnahmen „nicht wirksam mit einer rein hypothetischen Betrachtung des Risikos begründet werden [können], die auf bloße, wissenschaftlich noch nicht verifizierte Vermutungen gestützt wird. Vielmehr können sie ungeachtet ihrer vorläufigen Natur und auch wenn sie Präventivcharakter haben, nur getroffen werden, wenn sie auf eine möglichst umfassende Risikobewertung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des konkreten Falles gestützt sind, die erkennen lassen, dass diese Maßnahmen geboten sind“(19).

50.      Weiter hat der Gerichtshof festgestellt, dass, „[w]enn es sich als unmöglich erweist, das Bestehen oder den Umfang des behaupteten Risikos mit Sicherheit festzustellen, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unzureichend, unschlüssig oder ungenau sind, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die öffentliche Gesundheit jedoch fortbesteht, falls das Risiko eintritt, … das Vorsorgeprinzip den Erlass beschränkender Maßnahmen [rechtfertigt]“(20).

51.      Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dürfen nicht diskriminierende, objektive und verhältnismäßige Schutzmaßnahmen ergriffen werden.

52.      Tatsächlich mag zwar die genaue Schwelle, ab der präventive oder vorübergehende Maßnahmen nach dem Vorsorgegrundsatz geboten sind, insbesondere je nach dem genauen Wortlaut der betreffenden konkreten sekundärrechtlichen Norm verschieden sein(21).

53.      Maßgebend ist in allen diesen Fällen indes, dass zumindest erkennbare, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Risiken bestehen müssen(22). Anders als bei dauerhaften Maßnahmen liegt die Schwelle für die Anwendung des Vorsorgegrundsatzes bei vorläufigen Maßnahmen niedriger. Es müssen jedoch jedenfalls eindeutige Daten zu dem oder den behaupteten Risiken vorliegen, die durch ein Mindestmaß an wissenschaftlichen Daten untermauert werden müssen, die aus einer Mindestanzahl verschiedener zuverlässiger, unabhängiger nationaler oder internationaler Quellen stammen. Die bloße Befürchtung eines durch etwas Neues ausgelösten Risikos oder ein vage und allgemein behauptetes Risiko eines Risikos, soweit nicht abschließend festgestellt werden kann, dass das Neue sicher ist, stellen keine ausreichende Grundlage für eine Anwendung des Vorsorgegrundsatzes dar.

54.      Vor dem Hintergrund dieser Klarstellungen werde ich mich nun der ersten vom vorlegenden Gericht vorgelegten Frage zuwenden: dem Anwendungsbereich der GVO-Richtlinie und der Mutagenese-Ausnahme.

2.      Anwendungsbereich der GVO-Richtlinie und der Mutagenese-Ausnahme

55.      Die erste Frage enthält meines Erachtens tatsächlich zwei Unterfragen. Erstens möchte das vorlegende Gericht den Anwendungsbereich der GVO-Richtlinie geklärt wissen: Welche Organismen fallen unter die Definition eines GVO im Sinne von Art. 2 Nr. 2? Zweitens fragt es nach dem Anwendungsbereich der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang I B der GVO-Richtlinie geregelten Mutagenese-Ausnahme selbst: Umfasst diese Ausnahme alle durch Mutagenese gewonnenen Organismen einschließlich solcher, die durch neue, nach Erlass der GVO-Richtlinie angewendete Mutageneseverfahren gewonnen wurden? Oder nur diejenige Untergruppe von Organismen, die durch bestimmte, nämlich vor Erlass der GVO-Richtlinie bestehende Verfahren gewonnen wurden?

56.      Sofern sie die materiellen Voraussetzungen von Art. 2 Nr. 2 der GVO-Richtlinie erfüllen, stellen durch Mutagenese gewonnene Organismen meines Erachtens GVO im Sinne der GVO-Richtlinie dar (a). Solange das Mutageneseverfahren jedoch nur mit der Verwendung von rekombinanten Nukleinsäuremolekülen oder GVO verbunden ist, die aus einem oder mehreren der in Anhang I B aufgeführten Verfahren hervorgegangen sind, sind diese Organismen nach Art. 3 Abs. 1 der GVO-Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang I B von den Verpflichtungen nach der GVO-Richtlinie ausgenommen (b).

a)      Mutagenese und GVO

57.      In Art. 2 Nr. 2 der GVO-Richtlinie ist ein GVO definiert als „ein Organismus mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination nicht möglich ist“. Nach dieser Bestimmung „[gilt] [i]m Sinne dieser Definition … [ferner] Folgendes: a) Zu der genetischen Veränderung kommt es mindestens durch den Einsatz der in Anhang I A Teil 1 aufgeführten Verfahren; b) bei den in Anhang I A Teil 2 aufgeführten Verfahren ist nicht davon auszugehen, dass sie zu einer genetischen Veränderung führen“.

58.      Die allgemeine Voraussetzung wird somit um zwei Listen ergänzt, die diese Basisdefinition konkretisieren: eine „Positiv“-Liste in Anhang I A Teil 1 und eine „Negativ“-Liste in Anhang I A Teil 2.

59.      Die „Positivliste“ bezeichnet Verfahren, die auf die eine oder andere Weise die Insertion fremden genetischen Materials in den Empfängerorganismus betreffen. Die oben dargestellten(23), durch Transgenese gewonnenen Organismen sind somit wahrscheinlich von dieser Liste umfasst.

60.      Die Mutagenese ist weniger eindeutig eingegrenzt. Ausgehend von der Definition in Art. 2 Nr. 2 allein sehe ich jedoch keinen Grund, warum durch diese Methode gewonnene Organismen, sofern sie die materiellen Kriterien von Art. 2 Nr. 2 der GVO-Richtlinie erfüllen, nicht auch als von dieser Definition umfasst angesehen werden sollten. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut, der inneren Logik und dem weiteren Kontext der GVO-Richtlinie.

61.      Erstens ist nach Art. 2 Nr. 2 eindeutig keine Insertion von Fremd-DNA in einen Organismus erforderlich, damit dieser als GVO eingestuft werden kann. Diese Bestimmung besagt lediglich, dass das genetische Material in einer Weise verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise nicht möglich ist. Aufgrund der offenen Formulierung können durch andere Methoden als Transgenese gewonnene Organismen unter die Definition eines GVO fallen. Was insbesondere die Mutagenese betrifft, geht aus dem Wortlaut von Art. 3 und Anhang I B der GVO-Richtlinie hervor, dass diese grundsätzlich auch als ein „Verfahren der genetischen Veränderung“ anzusehen sein kann.

62.      Zweitens legt der Umstand, dass die Mutagenese von den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen ausgenommen ist, nahe, dass durch diese Methode gewonnene Organismen GVO sein können. Ich stimme daher mit der Kommission darin überein, dass es unlogisch wäre, bestimmte Organismen von der Anwendung der Richtlinie auszunehmen, wenn diese Organismen nicht von vornherein als GVO anzusehen sein könnten. Organismen, die nicht umfasst sind, müssen nicht ausgenommen werden.

63.      Drittens hätte der Unionsgesetzgeber, im weiteren legislativen Kontext betrachtet, wenn er durch Mutagenese gewonnene Organismen von der Definition der GVO nach der GVO-Richtlinie hätte ausschließen wollen, einen solchen Ausschluss auf der Ebene der Definition selbst ausdrücklich vorsehen können, wie er dies in anderen sekundärrechtlichen Rechtsakten über GVO getan hat(24).

64.      Ein durch Mutagenese gewonnener Organismus kann daher meines Erachtens ein GVO im Sinne von Art. 2 Nr. 2 sein, wenn er die in dieser Vorschrift vorgesehenen materiellen Kriterien erfüllt.

65.      Ohne in der GVO-Richtlinie selbst nicht geregelte Definitionen aufstellen zu wollen, um aber das logische Verhältnis zwischen den in der GVO-Richtlinie enthaltenen Begriffen klar zu benennen, gibt es im Wesentlichen, wie von der Regierung des Vereinigten Königreichs in der mündlichen Verhandlung sachdienlich zusammengefasst, drei Variablen. Dabei handelt es sich um den Begriff der Mutagenese, die Definition eines GVO nach Art. 2 Nr. 2 und die Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 und Anhang I B. Aus diesen können sich je nach dem zur Gewinnung des betreffenden Organismus verwendeten genauen Verfahren drei logische Gruppen möglicher Fallgestaltungen ergeben.

66.      Erstens kann es durch Mutagenese gewonnene Organismen geben, die keine GVO im Sinne der GVO-Richtlinie sind, weil sie die Kriterien des Art. 2 Nr. 2 nicht erfüllen. Zweitens kann es durch Mutagenese gewonnene Organismen geben, die die Kriterien erfüllen. Sie wären daher GVO im Sinne der Richtlinie, sind jedoch, sofern sie unter die Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 und Anhang I B fallen, von den in dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen ausgenommen. Drittens kann es durch Mutagenese gewonnene Organismen geben, die die Kriterien des Art. 2 Nr. 2, nicht aber die Voraussetzungen der Ausnahme nach Anhang I B erfüllen. Die dritte Art von Organismus wäre dann von der GVO-Richtlinie voll erfasst.

67.      Im Ergebnis folgt die Einstufung als GVO daher allein aus der (mangelnden) Erfüllung der Kriterien in Art. 2 Nr. 2 der GVO‑Richtlinie. Dass dieser Organismus dann nach Art. 3 Abs. 1 der GVO‑Richtlinie in Verbindung mit deren Anhang I B ausgenommen sein mag, hat keine Auswirkungen auf die rechtliche Einstufung als GVO: Solche Organismen bleiben GVO im Sinne der Richtlinie.

b)      Anwendungsbereich der Mutagenese-Ausnahme

68.      Nach Art. 3 Abs. 1 der GVO-Richtlinie gilt die Richtlinie nicht für Organismen, die durch Einsatz der in Anhang I B aufgeführten Verfahren gewonnen wurden. In Anhang I B ist als erster Punkt „Mutagenese“ aufgeführt. Da die Richtlinie keine gesetzliche Definition der Mutagenese enthält, wird mit dem zweiten Teil der ersten Vorlagefrage im Wesentlichen danach gefragt, ob mit „Mutagenese“ alle Mutageneseverfahren oder nur bestimmte Verfahren gemeint sind. Wenn nur bestimmte gemeint sind, um welche handelt es sich dann?

69.      In den Stellungnahmen gegenüber dem Gerichtshof sind zum Anwendungsbereich der Mutagenese-Ausnahme verschiedene Ansichten vertreten worden.

70.      Am einen Ende des Spektrums sind die Kläger der Ansicht, dass die Mutagenese-Ausnahme im Licht der bei Erlass der GVO-Richtlinie im Jahr 2001 herrschenden Gegebenheiten auszulegen sei. Daher fielen unter die Mutagenese-Ausnahme nur diejenigen Mutageneseverfahren, die zum Zeitpunkt des Erlasses der GVO-Richtlinie standardmäßig angewandt worden seien, nämlich die In-vivo-Zufallsmutagenese, nicht aber alle sonstigen Verfahren, etwa die In-vitro-Zufallsmutagenese, und erst recht nicht die gezielte Mutagenese.

71.      Am anderen Ende des Spektrums sind die griechische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs der Ansicht, dass innerhalb der Mutagenese keine Unterscheidung vorzunehmen sei. Alle nach Erlass der GVO-Richtlinie eingetretenen technischen Entwicklungen müssten in den Anwendungsbereich der Mutagenese-Ausnahme fallen, da 2001 eindeutig vorhersehbar gewesen sei, dass der wissenschaftliche Fortschritt im Bereich der Mutagenese dort nicht zum Abschluss kommen würde.

72.      Die weiteren Beteiligten, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, finden sich zwischen diesen Positionen, wenngleich vielleicht eher derjenigen der griechischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs zuneigend, wieder.

73.      Nach Ansicht der österreichischen Regierung sind alle Mutageneseverfahren, die bei Erlass der GVO-Richtlinie herkömmlicherweise verwendet worden seien, ausgenommen. Neue Verfahren seien auf Einzelfallbasis daraufhin zu prüfen, ob sie unter die Mutagenese-Ausnahme fallen könnten.

74.      Die französische und die niederländische Regierung verfolgen einen ähnlichen Ansatz, wobei sie sich insbesondere auf die Sicherheit konzentrieren. Ihrer Ansicht nach sollten nur Organismen ausgenommen sein, die durch Verfahren gewonnen worden seien, die ebenso sicher seien wie die herkömmlichen Verfahren. Die französische Regierung ist insbesondere der Ansicht, dass der Anwendungsbereich der Mutagenese-Ausnahme im Licht des Vorsorgegrundsatzes zu bestimmen sei.

75.      Die schwedische Regierung betont ebenfalls die Dimension der Sicherheit, kommt davon ausgehend jedoch zu Schlussfolgerungen, die denjenigen der französischen und der niederländischen Regierung widersprechen. Obwohl sich aus der gezielten Mutagenese keine GVO im Sinne des Art. 2 Nr. 2 der GVO-Richtlinie ergäben, sei dieses Verfahren gleichwohl ausgenommen, weil es sogar mit geringeren Risiken verbunden sei als die konventionelle Mutagenese und natürlich vorkommenden spontanen Mutationen ähnele. Durch die Einführung von Fremd-DNA (unter Einsatz von rekombinanten Nukleinsäuremolekülen) gewonnene Organismen fielen jedoch in den Anwendungsbereich der Richtlinie, weil es sich nicht um Mutagenese handle.

76.      Die Kommission(25) weist darauf hin, dass seit den 1960er Jahren, als konventionelle Mutagenese erstmals eingesetzt worden sei, nicht von damit verbundenen besonderen Problemen berichtet worden sei. Es gebe keinen wirklichen Unterschied zwischen der In-vitro- und der In-vivo-Mutagenese. Die In-vitro-Mutagenese habe es sogar schon vor Erlass der GVO-Richtlinie und, in geringerem Maß, vor Erlass ihrer Vorgängerregelung gegeben(26).

77.      Aufgrund der Verwendung des allgemeinen Begriffs Mutagenese in Anhang I B könne Art. 3 Abs. 1 der GVO-Richtlinie auch die neuen Verfahren ausnehmen. Der Unionsgesetzgeber habe im Jahr 2001 den technischen Fortschritt nicht außer Acht lassen können. Hieraus sei zu folgern, dass seiner Absicht nach alle Mutageneseverfahren unter die Ausnahme fallen sollten. So habe es der Unionsgesetzgeber bewusst bei der allgemeinen Bezeichnung belassen, jedoch das Verbot des Einsatzes von rekombinanten Nukleinsäuremolekülen hinzugefügt, um die Bandbreite der in den Genuss der Ausnahme kommenden Verfahren einzugrenzen.

78.      Um zu bestimmen, ob durch Mutagenese gewonnene Organismen ausgenommen werden könnten, sei, so die Kommission, eine Einzelfallprüfung anhand der verschiedenen zur Veränderung des genetischen Materials verwendeten Prozesse, einschließlich des möglichen Einsatzes von rekombinanten Nukleinsäuremolekülen oder nicht ausgenommenen GVO, vorzunehmen. Durch konventionelle Mutagenese (einschließlich In-vitro-Verfahren) und durch neue Verfahren gewonnene Organismen seien ausgenommen, sofern sie die Voraussetzungen nach Anhang I B erfüllten.

79.      Wie die Kommission bin ich der Ansicht, dass es nur eine relevante Unterscheidung gibt, die zur Klärung des Anwendungsbereichs der Mutagenese-Ausnahme vorzunehmen ist: der Vorbehalt in Anhang I B, nämlich, ob das Mutageneseverfahren „nur solche rekombinanten Nukleinsäuremoleküle oder [GVO] verwendet, die [aus] Mutagenese [oder] Zellfusion … von Pflanzenzellen von Organismen, die mittels herkömmlicher Züchtungstechniken genetisches Material austauschen können[, hervorgegangen sind]“ (im Folgenden: Vorbehalt nach Anhang I B) (1). Weitere Unterscheidungen dürfen – oder können – rechtlich nicht vorgenommen werden (2).

1)      Der Vorbehalt nach Anhang I B

80.      Der Vorbehalt nach Anhang I B wurde 2001 eingeführt. Zuvor waren nach der Vorläuferregelung (Richtlinie 90/220) durch Mutagenese gewonnene Organismen allein unter der Voraussetzung ausgenommen, dass „sie nicht GVO als Empfänger- oder Ausgangsorganismen verwenden“(27).

81.      Wie von der Kommission vorgetragen, entschied sich der Unionsgesetzgeber bewusst dafür, im Rahmen der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Mutagenese-Ausnahme keine Unterscheidung zwischen den Verfahren vorzunehmen. Zugleich nahm er praktisch eine Eingrenzung der Ausnahme vor, um fortlaufenden technischen Entwicklungen Rechnung zu tragen, indem er den auf dem Einsatz von rekombinanten Nukleinsäuremolekülen aufbauenden Vorbehalt hinzufügte. Es wurde davon ausgegangen, dass dieser Vorbehalt der Entstehung neuer Mutageneseverfahren hinreichend Rechnung tragen würde.

82.      Somit ist schon auf der Ebene des Wortlauts recht klar, dass die Annahme unzutreffend ist, dass es nach der GVO-Richtlinie eine direkte und uneingeschränkte Ausnahme für sämtliche Mutageneseverfahren gebe. Im Gegenteil: Der Vorbehalt nach Anhang I B schränkt diese erheblich ein.

83.      Eine kontextuelle Auslegung der GVO-Richtlinie bestätigt die Bedeutung dieser Ergänzung von 2001. Der Einsatz von rekombinanten Nukleinsäuremolekülen wird nämlich in Anhang I A Teil 1 als ein Verfahren der genetischen Veränderung im Sinne von Art. 2 Nr. 2 Buchst. a – der Positivliste – ausdrücklich erwähnt. Der Einsatz dieser Moleküle kann sogar zur Widerlegung der Vermutung führen, dass bei den in Anhang I A Teil 2 aufgeführten Verfahren (nämlich In-vitro-Befruchtung, natürliche Prozesse und Polyploidie-Induktion) nicht davon auszugehen ist, dass sie zu einer genetischen Veränderung führen.

84.      Dementsprechend folgt hieraus, dass Mutageneseverfahren, die die Kriterien nach Art. 2 Nr. 2 erfüllen, von den Verpflichtungen der GVO-Richtlinie ausgenommen sind, sofern sie nur solche rekombinanten Nukleinsäuremoleküle oder GVO verwenden, die aus Mutagenese oder Zellfusion von Pflanzenzellen von Organismen, die mittels herkömmlicher Züchtungstechniken genetisches Material austauschen können, hervorgegangen sind. Ist die letztere, in Anhang I B enthaltene Voraussetzung nicht erfüllt, gelten sämtliche Verpflichtungen der Richtlinie.

85.      Abschließend mag ein ergänzender Punkt erwähnenswert sein. Es ist unstreitig, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, alle Bestimmungen einer Richtlinie, einschließlich ihrer Anhänge, ordnungsgemäß umzusetzen(28). Auch wenn dies nicht unmittelbar Gegenstand der vorliegenden Rechtssache ist, entspricht die Fassung des (auf der nationalen Ebene angefochtenen) Art. D. 531‑2 des Umweltgesetzbuchs offenbar noch der Vorläuferregelung von Anhang I B der Richtlinie 90/220. Diese nationale Umsetzungsregelung spiegelt den nach 2001 eingefügten Vorbehalt nach Anhang I B offenbar nicht wider. Es bleibt gleichwohl allein Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob dies tatsächlich der Fall ist und welche Schlussfolgerungen sich gegebenenfalls aus dieser Feststellung im Hinblick auf die ordnungsgemäße Umsetzung der GVO-Richtlinie in das nationale Recht ergeben.

2)      Weitere Unterscheidungen?

86.      Sollten außer der sich aus Anhang I B ergebenden Unterscheidung weitere Unterscheidungen zwischen Mutageneseverfahren vorgenommen werden?

87.      Die Kläger, die französische und die niederländische Regierung und in gewisser Weise auch die schwedische Regierung sind im Wesentlichen der Ansicht, dass eine Unterscheidung zwischen Mutageneseverfahren nach dem Maß ihrer Sicherheit vorgenommen werden sollte. Insbesondere sprechen sich die Kläger ebenso wie die französische Regierung für eine Auslegung des Anwendungsbereichs der Mutagenese-Ausnahme im Licht des 17. Erwägungsgrundes der GVO-Richtlinie und des Vorsorgegrundsatzes aus. Ihrer Ansicht nach sollte dies zu einer Eingrenzung der Mutagenese-Ausnahme im Wege der Auslegung ausschließlich auf solche Verfahren führen, die im Jahr 2001 „bewährt“ und somit sicher waren.

88.      Dieses Vorbringen weist zwei zeitliche Ebenen auf. Sie sollten aus Gründen der Übersichtlichkeit voneinander getrennt werden: Erstens wird vertreten, dass der Unionsgesetzgeber ungeachtet dessen, was er schriftlich festgelegt habe, im Jahr 2001 nur sichere Verfahren habe ausnehmen wollen. Zweitens sollten, selbst wenn dies damals nicht der Fall gewesen sei, nach diesem Zeitpunkt eingetretene Sicherheitserwägungen etwa 17 Jahre später heute de facto zum selben Ergebnis führen, nämlich im Jahr 2018 die Mutagenese-Ausnahme auf die Verfahren zu begrenzen, die im Jahr 2001 bekannt gewesen und verwendet worden seien.

89.      Beiden Annahmen kann ich mich nicht anschließen. Meines Erachtens dürfte der Gesetzgeber im Jahr 2001 eindeutig gemeint haben, was er schriftlich festgelegt hat (i). Aus einer Reihe von – verfassungsrechtlichen und auch praktischen – Gründen ist es sicherlich nicht Aufgabe des Gerichtshofs, Definitionen und Kategorien, die in einem hochgradig technischen und komplexen Rechtsakt des Sekundärrechts enthalten sind, im Wege der Rechtsprechung neu zu fassen (ii).

i)      Wille des Gesetzgebers

90.      Die Kläger und mehrere weitere Beteiligte haben sich in hohem Maße auf den 17. Erwägungsgrund gestützt und insoweit die Ansicht vertreten, dass der Unionsgesetzgeber lediglich eine Ausnahme für sichere Mutageneseverfahren beabsichtigt habe.

91.      Dem vermag ich nicht zu folgen. Weder der Wortlaut noch der historische Kontext, noch die innere Logik der GVO-Richtlinie sprechen für diese Annahme.

92.      Erstens hält, was den Wortlaut angeht, der 17. Erwägungsgrund fest, dass „[d]iese Richtlinie … nicht für Organismen gelten [sollte], die mit Techniken zur genetischen Veränderung gewonnen werden, die herkömmlich bei einer Reihe von Anwendungen angewandt wurden und seit langem als sicher gelten“. Eine ausdrückliche Erwähnung der Mutagenese enthält der Erwägungsgrund nicht. Gewiss wird je nach den genauen Grenzen der dem Begriff „genetische Veränderung“ zugrunde gelegten Definition die Mutagenese (zumindest in einigen ihrer Formen) wahrscheinlich von diesem weiteren Begriff umfasst sein. Der 17. Erwägungsgrund ist jedoch eindeutig nicht konkret auf die Mutagenese ausgerichtet und stützt somit nicht die Annahme, dass die konkrete Ausnahme im Licht des 17. Erwägungsgrundes eingeführt wurde.

93.      Ferner nehmen weder Art. 3 noch Anhang I B (die die Mutagenese-Ausnahme regeln) in irgendeiner Weise auf den 17. Erwägungsgrund Bezug, indem sie etwa seinen Wortlaut übernehmen oder seine Kategorien verwenden würden. In keiner dieser Bestimmungen wird die Ausnahme auf der Grundlage geregelt oder begründet, dass ausgenommene Organismen „seit langem als sicher gelten“. Der Wortlaut des 17. Erwägungsgrundes findet somit in den Kategorien und Definitionen, die die GVO-Richtlinie vorsieht, keine eindeutige Entsprechung.

94.      Zweitens, und vielleicht ist das noch wichtiger, zeigt die Entstehungsgeschichte dieses Erwägungsgrundes und der Mutagenese-Ausnahme eindeutig, dass der 17. Erwägungsgrund für die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 und Anhang I B schlicht nicht herangezogen werden kann. Mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der Richtlinie 90/220, die der GVO-Richtlinie voranging, wurde der 17. Erwägungsgrund von der Kommission formuliert und eingefügt, bevor die Mutagenese-Ausnahme zu einem späteren Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens überhaupt Gegenstand der Beratungen war(29). Mit anderen Worten wurde die Mutagenese-Ausnahme erst später und unabhängig vom 17. Erwägungsgrund eingefügt.

95.      Drittens folgt aus dem allgemeinen System der GVO-Richtlinie, dass der Unionsgesetzgeber offenbar nicht beabsichtigte, die Kategorie der Mutagenese nach dem verwendeten genauen Verfahren und seinem angenommenen Maß an Sicherheit abzugrenzen. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission erklärt, dass der 17. Erwägungsgrund eine bloße Feststellung sei, während der Rat bestätigt hat, dass der Unionsgesetzgeber unabhängig von der Sicherheit der Mutageneseverfahren nicht beabsichtigt habe, diese zu regulieren.

96.      Darüber hinaus hat der Unionsgesetzgeber innerhalb der GVO-Richtlinie in den Anhängen I A und I B bereits eine Reihe von Unterscheidungen zwischen verschiedenen Methoden vorgenommen. Es liegt somit nahe, dass die Unterscheidungen, die der Unionsgesetzgeber vornehmen wollte, tatsächlich ausdrücklich formuliert wurden. In diesem Kontext lässt sich kaum vertreten, dass der Unionsgesetzgeber außer diesen eindeutigen Unterscheidungen ferner beabsichtigt haben sollte, der Gesamtstruktur eine neue Ebene der Komplexität hinzuzufügen, indem er eine weitere stillschweigende Unterscheidung zwischen den verschiedenen Mutageneseverfahren auf der Grundlage eines gesetzgeberisch nicht ausgesprochenen Kriteriums der Sicherheit vorgesehen hätte.

97.      Ich habe somit keinen Zweifel, dass der Gesetzgeber im Jahr 2001 das formuliert hat, was er meinte: Durch Mutageneseverfahren gewonnene Organismen sind von den Verpflichtungen nach der GVO-Richtlinie ausgenommen, soweit sie nicht unter den Vorbehalt nach Anhang I B fallen.

ii)    „Eingefrorene“ oder dynamische Auslegung?

98.      Neben ihrem Vorbringen dazu, was der Unionsgesetzgeber im Jahr 2001 gemeint hat, bringen die Kläger im Wesentlichen vor, dass die Mutagenese-Ausnahme im Jahr 2018 im Licht der tatsächlichen Gegebenheiten auszulegen sei, die im Jahr 2001 bestanden hätten. Daher fielen unter die Mutagenese-Ausnahme nur diejenigen sicheren Verfahren, die zum Zeitpunkt des Erlasses der GVO-Richtlinie standardmäßig angewandt worden seien. Als Grund für diese Auslegung wird der Vorsorgegrundsatz angeführt.

99.      Ich bin anderer Ansicht.

100. Allgemein gesagt muss die Auslegung des Rechts, und insbesondere der in Rechtsvorschriften enthaltenen unbestimmten Begriffe, dynamisch sein. Sie muss auf gesellschaftliche Entwicklungen, sowohl technischer als auch sozialer Art, reagieren. Insoweit entwickeln sich moralische Kategorien mit der Zeit weiter: Der Begriff „unmenschliche Behandlung“ wurde im Jahr 1818 wahrscheinlich mit einer durchaus anderen Bedeutung verbunden, als sie ihm im Jahr 2018 zukommt. Das Gleiche gilt für eher technische Definitionen, wie etwa die eines „Fahrzeugs“ oder eines „Kommunikationsmittels“. Die Annahme, dass die Auslegung solcher Begriffe in den tatsächlichen oder sozialen Gegebenheiten „eingefroren“ sein sollte, die zu dem Zeitpunkt herrschten, als diese Begriffe in Rechtsvorschriften überführt wurden, wäre ein extrem originalistischer Ansatz zur Rechtsauslegung, der auf dieser Seite des Atlantiks nicht häufig anzutreffen ist.

101. Im Einzelnen sollte in der vorliegenden Rechtssache eine allgemeine Kategorie mit der Bezeichnung „Mutagenese“ somit folgerichtig alle Verfahren umfassen, die zum gegebenen, für den betreffenden Fall maßgeblichen Zeitpunkt als Bestandteil dieser Kategorie verstanden werden, was auch neue Verfahren einschließt.

102. Vor diesem Hintergrund wird der von den Klägern angeführte Vorsorgegrundsatz offenbar als eine immanente Ausnahme vom übergreifenden Grundsatz der dynamischen Auslegung des Rechts verstanden. Von den Bereichen oder Fragen, die unter diesen Grundsatz fallen, soll vermutlich eine Momentaufnahme gemacht werden, die sie zeitlich starr festhalten würde.

103. Lässt man für einen Moment die Frage außer Acht, ob der Vorsorgegrundsatz in der vorliegenden Rechtssache auf der Grundlage der dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen und Angaben zur Anwendung kommen könnte(30), dürfte der Vorsorgegrundsatz meines Erachtens, soweit man sich auf den Bereich der rechtlichen Auslegung beschränken will, wahrscheinlich eine andere Rolle spielen. Ebenso wie in anderen Fällen der rechtlichen Auslegung kann dieser Grundsatz zur Auslegung unbestimmter Begriffe oder Kategorien herangezogen werden, soweit ihre Bedeutung im Rahmen vertretbarer semantischer Grenzen des Wortlauts – bei mehreren (gleichermaßen plausiblen) Möglichkeiten – in Zweifel steht. Er kann jedoch nicht zu einer Neufassung(31) der Bestimmungen der Regelung gegen ihren Wortlaut, d. h. contra legem, führen(32).

104. Dies ist im Kern das sich aus den von den Klägern vertretenen Ansichten ergebende verfassungsrechtliche Problem. Was die Kläger letztlich begehren, ist nicht eine Auslegung der GVO-Richtlinie, sondern deren Umgestaltung durch die Rechtsprechung, insbesondere die Umgestaltung des Anwendungsbereichs der Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 und Anhang I B, gegen den Wortlaut der Bestimmungen, indem im Wege der Rechtsprechung Kategorien eingeführt werden sollen, die in den Bestimmungen selbst eindeutig nicht vorgesehen sind.

105. Das wiederum zeigt, dass sich aus der Ansicht der Kläger eine Reihe von praktischen Problemen ergeben, die nur weiter unterstreichen, warum eine solche Bewertung durch den sachkundigen Gesetzgeber und nicht durch die Gerichte vorgenommen werden muss. Um anstatt einer abschließenden Stellungnahme nur eines zu benennen: Nach dem von den Klägern vertretenen Kriterium für eine solche Umgestaltung der jetzigen Regelungen durch die Rechtsprechung soll der neu gestaltete Anhang I B nur Verfahren, die im Jahr 2001 sicher waren und bereits standardmäßig angewandt wurden, umfassen. Wie jedoch sollen diese Verfahren genau definiert werden? Wären sie tatsächlich bestimmbar? Was würde für Verfahren gelten, die 2001 existierten und sicher waren, aber nur in ausgewählten Laboratorien (und nicht standardmäßig) angewendet wurden? Was wäre, wenn ein Verfahren, das 2001 existierte, im Jahr 2005 leicht verändert wurde und die dieser Veränderung oder Erweiterung vorangegangene Forschung gleichwohl bereits in die 1980er Jahre zurückreicht? Was würde für ein Verfahren gelten, das 2001 existierte und standardmäßig angewandt wurde und damals für sicher gehalten wurde, bei dem sich aber erst später herausstellte, dass es nicht vollkommen sicher ist? Könnten im Übrigen solche späteren Entwicklungen überhaupt in einem Umfeld berücksichtigt werden, in dem nur der zum Zeitpunkt des Erlasses der Rechtsvorschriften gegebene Erkenntnisstand für ihre Auslegung maßgebend sein soll?

106. Es wird gelegentlich, vielleicht nicht uneingeschränkt als Kompliment, gesagt, wenn man zwei Juristen in einen Raum setze, bekomme man es mit drei verschiedenen Rechtsansichten zu tun. Es darf indes angenommen werden, dass bei derart gefassten Kriterien das Gleiche leicht auch für (Bio‑)Wissenschaftler und erst recht für nationale Regulierungsstellen gelten könnte, die diese Kriterien anwenden sollten.

107. Demzufolge schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste Frage wie folgt zu beantworten:

–        Sofern sie die materiellen Kriterien nach Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2001/18 erfüllen, stellen durch Mutagenese gewonnene Organismen genetisch veränderte Organismen im Sinne dieser Richtlinie dar.

–        Unter die Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/18 in Verbindung mit deren Anhang I B fallen alle durch Mutageneseverfahren gewonnenen Organismen unabhängig von ihrer Anwendung zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Richtlinie, sofern sie nur solche rekombinanten Nukleinsäuremoleküle oder genetisch veränderten Organismen verwenden, die aus einer oder mehreren der in Anhang I B aufgeführten Methoden hervorgegangen sind.

B.      Dritte Frage

108. Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die GVO-Richtlinie im Hinblick auf durch Mutagenese gewonnene Organismen eine Maßnahme der vollständigen oder teilweisen Harmonisierung darstellt. Diese Frage zielt konkret darauf ab, zu klären, ob die Mitgliedstaaten für die Mutagenese (nationale) Regelungen erlassen dürfen, obwohl sie von den nach der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen ausgenommen ist, und/oder ob sie im Rahmen der Umsetzung der GVO-Richtlinie die in der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen auch auf die Mutagenese anwenden könnten.

109. Die Kommission hat in ihren schriftlichen Erklärungen die Ansicht vertreten, dass diese Frage unzulässig sei. Ich bin anderer Ansicht und werde zunächst erläutern, warum ich diese Frage für zulässig halte, und sodann, warum den Mitgliedstaaten grundsätzlich eine Regulierung durch Mutagenese gewonnener Organismen freisteht.

110. Was die Zulässigkeit angeht, hält die Kommission die dritte Frage für hypothetisch. Mit der beim vorlegenden Gericht erhobenen Klage wird die Rechtmäßigkeit von Art. D. 531‑2 des Umweltgesetzbuchs in Frage gestellt, soweit diese Bestimmung durch Mutagenese gewonnene Organismen von den Verpflichtungen ausnimmt, die nach den die GVO-Richtlinie umsetzenden nationalen Regelungen vorgesehen sind. Nach Ansicht der Kommission zielen die Kläger nicht darauf ab, diese nationale Bestimmung für ungültig erklären zu lassen, soweit sie über die Anforderungen der Richtlinie hinausgehe, indem sie Verpflichtungen vorschreibe, die in dieser nicht vorgesehen seien. Vor diesem Hintergrund sei die Frage, ob die Mitgliedstaaten den Spielraum hätten, die Mutagenese zu regulieren, hypothetischer Art.

111. Dieser Ansicht bin ich nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit von Vorlagefragen der nationalen Gerichte(33). In der vorliegenden Rechtssache spricht meines Erachtens sicherlich nichts dafür, dass diese Vermutung widerlegt wäre, ganz im Gegenteil.

112. Im Ausgangsverfahren haben die Kläger beim vorlegenden Gericht beantragt, ein Moratorium für durch Mutagenese gewonnene herbizidtolerante Sorten zu verhängen. Auch wenn es nicht Sache des Gerichtshofs ist, darüber zu entscheiden, ob das vorlegende Gericht die notwendigen Befugnisse zur Verhängung solcher Maßnahmen hat, erscheint die dritte Frage des vorlegenden Gerichts für die Entscheidung relevant, ob die Mitgliedstaaten tatsächlich über die GVO-Richtlinie hinausgehen und sich dafür entscheiden können, durch Mutagenese gewonnene Organismen den nach der Richtlinie oder rein nationalen Regelungen vorgesehenen Verpflichtungen zu unterstellen.

113. Ob und inwieweit die Mitgliedstaaten über einen Spielraum verfügen, hängt vom Grad der durch eine Richtlinie bewirkten Harmonisierung eines bestimmten Gebiets ab. Bei vollständiger Harmonisierung eines Rechtsgebiets ist den Mitgliedstaaten eine Regelung dieses Bereichs verwehrt, da das Unionshandeln für ihn vollständig vorgreiflich ist. Die Mitgliedstaaten haben keine materielle Autonomie und kein materielles Ermessen zum Erlass allgemeiner Maßnahmen mehr(34). Ihr Regelungsspielraum geht nicht über das hinaus, was ihnen infolge der Harmonisierungsmaßnahme verblieben ist. Andererseits steht es den Mitgliedstaaten bei teilweiser Harmonisierung weiterhin frei, allgemeine Maßnahmen zu erlassen, solange sie die Verpflichtungen aus dem Primärrecht der Union allgemein einhalten(35).

114. Unter diesem Blickwinkel und natürlich ohne in irgendeiner Weise der internen Zuständigkeitsverteilung innerhalb des Mitgliedstaats vorzugreifen, kann ich nachvollziehen, warum ein nationales Gericht eine solche Frage stellt. Die dritte Frage ist daher zulässig.

115. Was die materielle Seite dieser Frage angeht, geht es insoweit im Wesentlichen darum, welche gesetzgeberische Entscheidung der Unionsgesetzgeber im Hinblick auf die Mutagenese getroffen hat. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie die Mutagenese-Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 der GVO-Richtlinie und deren Anhang I B ausgelegt werden könnte.

116. Zum einen könnte die Ansicht vertreten werden, dass der Unionsgesetzgeber im Hinblick auf die Mutagenese eine gesetzgeberische Entscheidung getroffen hat. Er hat eine Bewertung vorgenommen und ist auf deren Grundlage zu dem Ergebnis gekommen, dass alle Mutageneseverfahren auszunehmen sind, weil sie sicher sind. Wäre dies der Fall, hätte der Unionsgesetzgeber die Mutagenese nicht nur von den Verpflichtungen nach der Richtlinie ausgenommen, sondern den Mitgliedstaaten folgerichtig auch verwehrt, durch diese Methode gewonnene Organismen auf der nationalen Ebene zu regeln. In diesem Fall wäre der Unionsgesetzgeber einem Architekten vergleichbar, der sich dafür entschieden hat, in seinem Haus einen Raum mit dem Namen „Mutagenese“ zu schaffen, ihn aber zugleich leerstehen zu lassen.

117. Zum anderen ließe sich auch die Ansicht vertreten, dass der Unionsgesetzgeber mit der Aufnahme der Mutagenese-Ausnahme keine Aussage zu deren Sicherheit getroffen hat. Der Ausschluss bedeutete einfach, dass der Unionsgesetzgeber diesen Bereich nicht auf Unionsebene regulieren wollte. Dies würde dann bedeuten, dass dieser Bereich unausgefüllt bleibt und die Mitgliedstaaten, sofern sie ihre übergreifenden unionsrechtlichen Verpflichtungen wahren, im Hinblick auf durch Mutagenese gewonnene Organismen gesetzgeberisch tätig werden können. In diesem Fall hätte sich der Architekt dafür entschieden, diesen Raum mit dem Namen „Mutagenese“ außerhalb seines Hauses zu belassen.

118. Meines Erachtens ist das zweite Verständnis der Mutagenese-Ausnahme zutreffend.

119. Erstens spricht, wie bereits erläutert, im Wortlaut der GVO-Richtlinie textlich oder entstehungsgeschichtlich nichts klar für die Annahme, dass die Mutagenese-Ausnahme konkret deshalb aufgenommen worden wäre, weil der Unionsgesetzgeber zu dem festen Schluss gekommen wäre, dass alle Mutageneseverfahren sicher gewesen seien(36). Es gibt somit keinen Hinweis auf eine insoweit vorgenommene ausdrückliche gesetzgeberische Wertung.

120. Zweitens kann, auf einer abstrakteren Ebene und wie vom Europäischen Parlament in der mündlichen Verhandlung treffend bemerkt, kaum angenommen werden, dass ein vernünftiger Gesetzgeber jemals en bloc und für die Zukunft sollte bestimmt haben wollen, dass etwas in einem solchen Maße sicher ist, dass es überhaupt keiner Regelung bedarf, sei es auf Unionsebene oder auf der Ebene der Mitgliedstaaten.

121. Drittens hat der Rat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass, soweit aus der spärlichen, aus diesem Zeitraum verfügbaren schriftlichen Dokumentation ersichtlich, er (als das Organ im Gesetzgebungsverfahren, das die Mutagenese-Ausnahme tatsächlich in den Text einfügte(37)) nicht beabsichtigt habe, alle Mutageneseverfahren für sicher zu erklären.

122. Schließlich sei, eher ergänzend, aber in voller Übereinstimmung mit dem skizzierten dynamischen Ansatz zur rechtlichen Auslegung(38), auch darauf hingewiesen, dass es zu den jüngsten Entwicklungen im Bereich der GVO-Gesetzgebung in der Union eher schlecht passen würde, wenn die Mitgliedstaaten an einem gesetzgeberischen Tätigwerden auf der Basis einer unwiderleglichen Vermutung für die Sicherheit der Mutagenese gehindert wären. Heute gestattet die Richtlinie (EU) 2015/412(39) den Mitgliedstaaten praktisch, die Freisetzung und das Inverkehrbringen von unter die GVO-Richtlinie fallenden Erzeugnissen zu untersagen. Dies dürfte auf eine gewisse Renationalisierung der Zuständigkeiten auf dem Gebiet der GVO hinweisen. In diesem Kontext wäre es eher überraschend, wenn Mutagenese von einer Entwicklung, die für GVO im Allgemeinen gilt, ausgenommen wäre.

123. Vor diesem Hintergrund haben die Mitgliedstaaten meines Erachtens die Befugnis zur Regelung von durch Mutagenese gewonnenen Organismen, sofern sie ihre übergreifenden unionsrechtlichen Verpflichtungen, seien sie sekundärrechtlichen oder primärrechtlichen Ursprungs, wie etwa aus den Art. 34 und 36 AEUV, einhalten.

124. Ich schlage daher vor, die dritte Frage wie folgt zu beantworten: Die Richtlinie 2001/18 hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, Maßnahmen zur Regelung der Mutagenese zu erlassen, sofern sie dabei die sich aus dem Unionsrecht ergebenden übergreifenden Verpflichtungen beachten.

C.      Vierte Frage

125. Die vierte Frage betrifft die Gültigkeit der Mutagenese-Ausnahme der GVO-Richtlinie. Sie geht von der Annahme aus, dass der Vorsorgegrundsatz für den Fall, dass er nicht wirksam herangezogen werden kann, um die Mutagenese-Ausnahme so auszulegen, dass sich ihre Vereinbarkeit mit dem Vorsorgegrundsatz vertreten lässt, dann herangezogen werden kann, um die Gültigkeit der Richtlinie im Hinblick auf den Anwendungsbereich der Ausnahme anzufechten.

126. In seinem Vorabentscheidungsersuchen unterscheidet das nationale Gericht zwischen Mutageneseverfahren danach, ob sie vor oder nach dem Erlass der GVO-Richtlinie bestanden. Was die älteren Verfahren angeht, ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass der Klagegrund, mit dem geltend gemacht wird, dass die GVO-Richtlinie zum Zeitpunkt ihres Erlasses gegen das Vorsorgeprinzip verstoßen habe, zurückgewiesen werden könne, weil konventionelle Methoden der Zufallsmutagenese seit Jahrzehnten angewandt würden, ohne dass Umwelt- oder Gesundheitsrisiken festgestellt worden seien. Zu den jüngeren Verfahren stellt das vorlegende Gericht fest, dass nach dem Erlass der Richtlinie neue herbizidresistente Sorten durch In-vitro-Zufallsmutagenese und Verfahren der gezielten Mutagenese gewonnen worden seien. Die Entwicklung neuer Verfahren führe zu einer Zunahme der Veränderungen des Erbguts, die in keinem Verhältnis zur Häufigkeit der auf natürlichem Weg oder zufällig auftretenden Veränderungen stehe.

127. Es bestünden derzeit wissenschaftliche Unsicherheiten hinsichtlich der Auswirkungen der neuen Verfahren und der damit verbundenen potenziellen Risiken für die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier. Es gebe keine Risikobewertung vor der Vermarktung nicht transgener Sorten und auch keine Überwachung und Rückverfolgbarkeit nach ihrem Inverkehrbringen. Die einzigen Bewertungen bei herbizidtoleranten Sorten seien im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für das Inverkehrbringen durchgeführt worden.

128. Das vorlegende Gericht hat ferner ausgeführt, dass sich in Anbetracht der mangelnden Bewertung und Überwachung Risiken aus unbeabsichtigten Wirkungen des verwendeten Verfahrens der genetischen Veränderung auf das Genom oder aus den Eigenschaften der Pflanze, die gewonnen werden könne, ergeben könnten. Diese Risiken bezögen sich auf die Auswirkungen des Anbaus herbizidresistenter genetisch veränderter Sorten auf die Umwelt und die Gesundheit von Mensch und Tier. Sie seien teilweise mit denjenigen vergleichbar, die mit transgenem Saatgut verbunden sein könnten. Da sich mit der unmittelbaren Veränderung des Genoms die gleichen Wirkungen erzielen ließen wie mit der Einführung eines fremden Gens, bestehe die Gefahr, dass die Eigenschaften der so gewonnenen Pflanze schädliche Auswirkungen haben könnten.

129. Somit lasse sich in Anbetracht der Entstehung neuer Pflanzensorten, die durch neue Mutageneseverfahren gewonnen würden, und der Unmöglichkeit, mit Sicherheit festzustellen, ob und welche Risiken damit verbunden seien, die Gültigkeit der GVO-Richtlinie im Hinblick auf den Vorsorgegrundsatz in Frage stellen, da die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens fortbestehe, falls die geltend gemachten Risiken einträten.

130. Zu betonen ist zunächst, dass es ungeachtet dessen, dass man Zweifel an manchen Feststellungen des vorlegenden Gerichts haben mag, nicht Aufgabe des Gerichtshofs ist, in eine Tatsachenerörterung einzutreten. Ich möchte jedoch ein Schlüsselelement skizzieren, das sich erkennbar durch das Vorabentscheidungsersuchen (und im Übrigen auch durch das Vorbringen der Kläger) hindurchzieht. Es wird angeführt, dass in Anbetracht einer mangelnden Bewertung und Überwachung der durch Mutagenese gewonnenen Organismen die Gefahr eines Risikos bestehe, aufgrund dessen der Vorsorgegrundsatz Anwendung finden solle. Mit anderen Worten soll die mangelnde Überwachung in Verbindung mit fehlenden abschließenden wissenschaftlichen Daten, die die Sicherheit durch Mutagenese gewonnener Organismen belegen, einen Verstoß gegen den Vorsorgegrundsatz darstellen, der möglicherweise die Nichtigerklärung der Art. 2 und 3 der GVO-Richtlinie sowie ihrer Anhänge I A und I B rechtfertigt.

1.      Prüfungsmaßstab für die Gültigkeit: „Einfrieren, zum Zweiten“?

131. Bevor ich zur eigentlichen Gültigkeitsprüfung in der vorliegenden Rechtssache komme, sollte das dieser Prüfung zugrunde liegende zeitliche Element geklärt werden. Der Gerichtshof wird um eine Prüfung der Gültigkeit der Art. 2 und 3 der GVO-Richtlinie in Verbindung mit ihren Anhängen I A und I B unter den derzeitigen Gegebenheiten, d. h. im Licht der aktuellsten Entwicklungen im Bereich der Mutagenese, ersucht.

132. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Gültigkeit eines Rechtsakts des Sekundärrechts allerdings grundsätzlich anhand der zum Zeitpunkt seines Erlasses gegebenen Tatsachen und Umstände zu beurteilen. Eine Beurteilung anhand der zu einem späteren Zeitpunkt gegebenen Tatsachen und Umstände ist die Ausnahme(40).

133. Diese Aussage, auf die sich die Kommission und der Rat in der vorliegenden Rechtssache berufen, bedarf meines Erachtens einer Feinabstimmung anhand der Art der angefochtenen Maßnahme und der Gründe der Anfechtung.

134. Was die Art der angefochtenen Unionsmaßnahme angeht, wird an die Beurteilung individueller Maßnahmen (Verwaltungsentscheidungen) und gesetzgeberischer Maßnahmen wahrscheinlich unterschiedlich herangegangen. Erstere sind naturgemäß eher retrospektiv: Sie legen die Rechte und Pflichten eines bestimmten Personenkreises für einen bestimmten Zeitpunkt fest. Eine solche Festlegung von Rechten und Pflichten wird sicherlich auch in der Zukunft relevant sein. Maßgebend für diese Entscheidung waren aber in der Tat die Tatsachen und Rechtsvorschriften zum Zeitpunkt ihres Erlasses. Dagegen sind echte gesetzgeberische Maßnahmen ihrer Natur nach eher prospektiv: Sie sollen eine unbestimmte Zahl von zukünftigen Fallgestaltungen regeln. Für gesetzgeberische Maßnahmen ist die spätere Fortentwicklung der sozialen und tatsächlichen Wirklichkeit wichtiger(41).

135. Dies führt zu den Gründen der Anfechtung, was bei gesetzgeberischen Maßnahmen besonders relevant ist. Wie in der vorliegenden Rechtssache klar sichtbar wird, können sich diese Gründe auf i) Tatsachen oder Gründe, die der Unionsgesetzgeber zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme hätte berücksichtigen sollen, und/oder ii) solche, die nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind, beziehen.

136. Die vorliegende Anfechtung ist hauptsächlich letzterer Art. Bei dieser Art von Anfechtung wird selbstverständlich nicht davon ausgegangen, dass der Unionsgesetzgeber im Jahr 2001 hätte hellsichtig sein und die Zukunft vorhersagen müssen. Für die im Jahr 2001 getroffenen gesetzgeberischen Entscheidungen bleiben natürlich die Tatsachen und Rechtsvorschriften des Jahres 2001 der Prüfungsmaßstab.

137. Der Grund der Anfechtung ist etwas anderer Natur: Es wird letztlich geltend gemacht, dass der Unionsgesetzgeber es nach dem Erlass der Maßnahme unterlassen habe, auf neue wichtige technische und wissenschaftliche Fortentwicklungen durch Änderungen oder sonstige Anpassungen zu reagieren. Wenn jedoch für ein solches Begehren die Standardformel bestätigt wird, dass die Gültigkeit eines „Rechtsakts des Sekundärrechts grundsätzlich anhand der zum Zeitpunkt seines Erlasses gegebenen Tatsachen und Umstände zu beurteilen ist“, würde für die Frage der Gültigkeit des Unionsrechtsakts jede spätere Fortentwicklung irrelevant.

138. Ein solcher Ansatz wäre meines Erachtens nicht richtig. Dynamik muss im Recht folgerichtig in beide Richtungen gehen: Wenn die technische oder soziale Fortentwicklung in die Auslegung unbestimmter Begriffe und Kategorien einfließen darf(42), dann müssen diese Faktoren auch im Rahmen einer späteren gerichtlichen Überprüfung der Gültigkeit relevant sein.

139. Meines Erachtens entspricht es einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung, dass Rechtsvorschriften in dem Sinne relevant sein müssen, dass sie in technischer und sozialer Hinsicht auf ihre Zeit bezogen sind, und dass sie soweit angesichts einer späteren Fortentwicklung erforderlich, aktualisiert werden müssen. Wie es bereits Generalanwalt Mischo einleuchtend umschrieben hat(43) und auch andernorts in anderem Zusammenhang Wiederhall gefunden hat(44), ist der Gesetzgeber verpflichtet, seine Regelung angemessen aktualisiert zu halten. Dies bedeutet, zumal in einer auf Einzelermächtigungen gründenden Rechtsordnung, nicht zwangsläufig, dass es eine Pflicht zur Gesetzgebung, eine Pflicht zur Erschließung neuen Geländes gäbe. Aber es gibt sicherlich eine Pflicht, bereits erschlossenes Gelände zu pflegen(45).

140. Eine solche Anfechtung der Gültigkeit hat also genau genommen nicht „die Unterlassung, zum Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Instruments etwas Bestimmtes zu berücksichtigen“, sondern letztlich „die Unterlassung einer nachfolgenden Aktualisierung dieses Instruments“ zum Gegenstand. Wird diese Verpflichtung nicht erfüllt, könnte dies, in extremen Fällen einer technischen oder sozialen Bezugslosigkeit, zu einer möglichen Ungültigerklärung der konkreten Rechtsvorschriften wegen Untätigkeit, d. h. wegen der unterlassenen Änderung, führen. Betont sei der besondere Ausnahmecharakter eines solchen Vorgangs, der nur in Fällen einer eindeutigen und hervorstechenden Diskrepanz zwischen veränderter Wirklichkeit und praktisch überholten Rechtsvorschriften in Betracht kommen könnte.

141. Die gesetzgeberische Verpflichtung zur Aktualisierung gilt meines Erachtens allgemein. Sie hat jedoch nicht auf allen möglichen Regelungsgebieten die gleiche Intensität. Die konkrete Funktion und der konkrete Wert des Vorsorgegrundsatzes sind, dass diese Verpflichtung in den unter diesen Grundsatz fallenden Bereichen und Fragestellungen entscheidend wird. In den unter diesen Grundsatz fallenden sensiblen Bereichen ist besondere Umsicht und Wachsamkeit gefordert, die sich als Notwendigkeit regelmäßiger Aktualisierungen und einer regelmäßigen Überprüfung durch den Gesetzgeber ausprägt.

142. Daher bin ich, in Erwiderung auf die vom Rat und von der Kommission vertretenen Ansichten, nicht der Auffassung, dass die Gültigkeit einer unionsrechtlichen Maßnahme, zumal bei prospektiv geltenden Rechtsvorschriften allgemeiner Natur, ausschließlich anhand der Tatsachen und Erkenntnisse zu beurteilen ist, die zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Rechtsvorschriften vorlagen. Wenn die Gründe für eine Anfechtung der Gültigkeit in einer unterlassenen Berücksichtigung von Tatsachen oder Umständen liegen, die zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Rechtsvorschriften bereits bekannt waren, „gefriert“ eine Momentaufnahme dieser Beurteilung dies natürlich so. Es gibt jedoch einen anderen Grund für eine mögliche Anfechtung der Gültigkeit, den ich im vorliegenden Abschnitt skizziert habe. Sein Fokus bewegt sich naturgemäß hin zu den gegenwärtigen Gegebenheiten: die gerichtliche Überprüfung der Beachtung der Verpflichtung zur angemessenen Aktualisierung von Rechtsvorschriften, mit besonderem Augenmerk auf dem Vorsorgegrundsatz, was unvermeidlich bedeutet, dass diese Überprüfung ex post stattfindet.

2.      Vorliegender Fall

143. In der vorliegenden Rechtssache sehe ich keine Gründe, die sich aus der allgemeinen Verpflichtung zur Aktualisierung von Rechtsvorschriften, die vorliegend durch den Vorsorgegrundsatz verstärkt wird, ergeben und die Gültigkeit der Mutagenese-Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 der GVO-Richtlinie und deren Anhang I B in Frage stellen könnten.

144. Erstens kann dem Unionsgesetzgeber sicherlich nicht vorgeworfen werden, sein Ermessen im Bereich GVO nicht ausgeübt zu haben, weder allgemein noch konkret im Hinblick auf die Mutagenese-Ausnahme. Die GVO-Richtlinie und die Regulierung dieses Bereichs waren vielmehr regelmäßig Gegenstand der Beratungen und wurden aktualisiert. Die GVO-Richtlinie von 2001 ist nicht nur selbst das Ergebnis einer Änderung der vorangegangenen Richtlinie 90/220, sondern wurde 2008 erneut geändert(46). Bis 2015 wurde die Regelung erneut modifiziert, indem den Mitgliedstaaten gestattet wurde, den Anbau von GVO in ihrem Hoheitsgebiet aus mehreren unterschiedlichen Gründen zu untersagen(47). Außerdem sieht die GVO-Richtlinie ihre eigene Anpassung vor, indem sie in Art. 27 für mehrere Anhänge eine Anpassung an den technischen Fortschritt vorschreibt, wenngleich nicht für die Anhänge I A und I B.

145. Auch die Mutagenese-Ausnahme ist regelmäßig geändert worden, etwa im Jahr 2001, als die Einschränkung nach Anhang I B eingegrenzt wurde, indem die Voraussetzung hinzugefügt wurde, wonach die Mutagenese nur ausgenommen sein sollte, wenn sie nur solche rekombinanten Nukleinsäuremoleküle oder GVO verwendet, die aus einem oder mehreren der in Anhang I B aufgeführten Verfahren hervorgegangen sind(48). Es lässt sich daher sicherlich nicht die Ansicht vertreten, dass der Unionsgesetzgeber es unterlassen habe, die relevanten Rechtsvorschriften zu aktualisieren.

146. Zweitens liegen, was die Anwendung des Vorsorgegrundsatzes angeht, ausgehend von den dem Gerichtshof vorgetragenen Angaben, in der vorliegenden Rechtssache offenbar eher begrenzte Erkenntnisse zu konkreten Risiken für die Gesundheit oder die Umwelt vor.

147. Es sei daran erinnert(49), dass der Gerichtshof bereits eindeutig festgestellt hat, dass Schutzmaßnahmen „nicht wirksam mit einer rein hypothetischen Betrachtung des Risikos begründet werden [können], die auf bloße, wissenschaftlich noch nicht verifizierte Vermutungen gestützt wird. Vielmehr können sie ungeachtet ihrer vorläufigen Natur und auch wenn sie Präventivcharakter haben, nur getroffen werden, wenn sie auf eine möglichst umfassende Risikobewertung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des konkreten Falles gestützt sind, die erkennen lassen, dass diese Maßnahmen geboten sind“(50).

148. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt, dass nach dem Vorsorgegrundsatz die „Ungewissheit von Risiken“ nicht bloße allgemeine Zweifel bedeutet. Es müssen konkrete Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt ermittelt werden, die sich auf einen Mindestbestand seriöser und unabhängiger wissenschaftlicher Forschungsergebnisse stützen. Die Befürchtung eines Risikos oder das Risiko eines Risikos genügt nicht.

149. Die Rolle des Gerichtshofs ist insoweit zwangsläufig begrenzt. Es ist sicherlich nicht seine Aufgabe, wissenschaftliche Argumente zu vergleichen und zu prüfen. Dies ist Aufgabe des Unionsgesetzgebers oder der Exekutive. Auch wenn die verschiedenen Sensibilitäten und Bedenken, die die allgemeinere Frage der GVO aufwirft, anzuerkennen und zu beachten sind, sind die dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen meines Erachtens weit davon entfernt, eine eindeutige Diskrepanz zwischen den geltenden Rechtsvorschriften und den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu belegen, durch die der Gerichtshof, in den oben skizzierten extremen Fallgestaltungen, zu einem Einschreiten veranlasst sein könnte(51).

150. Drittens finden, wie sich aus der Antwort auf die dritte Frage ergibt(52), die sich aus der GVO-Richtlinie ergebenden Verpflichtungen auf die (oder auf einige Arten der) Mutagenese keine Anwendung. Die Mutagenese-Ausnahme hindert die Mitgliedstaaten gleichwohl nicht daran, Maßnahmen zur Regelung dieses Teilbereichs zu erlassen. Erst recht können von den Mitgliedstaaten vorläufige Schutzmaßnahmen auf der Grundlage des Vorsorgegrundsatzes oder entsprechender Regelungen nach nationalem Recht getroffen werden.

151. Dieser dritte Gesichtspunkt ist recht bedeutsam: Es besteht natürlich in Bereichen, in denen die Union ihre Zuständigkeit ausübt, und in Bereichen, in denen auch die Mitgliedstaaten selbst zur Gesetzgebung befugt sind, ein unterschiedliches Maß an Verantwortung im Rahmen der Verpflichtung zur Vornahme relevanter gesetzgeberischer Aktualisierungen. Im erstgenannten Fall ist diese Verpflichtung eindeutig gegeben: Wer eine Ausschließlichkeit für eine bestimmte Tätigkeit für sich in Anspruch nimmt, muss diese Tätigkeit dann wirklich wahrnehmen, sofern dies notwendig ist. Umgekehrt wird diese Verpflichtung viel schwächer oder entfällt sogar ganz, wenn eine Partei, die sich betroffen fühlt, dies auch selbst tun kann.

152. Aus diesen Gründen schlage ich dem Gerichtshof eine Beantwortung dahin vor, dass die Prüfung der vierten Vorlagefrage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Art. 2 und 3 der GVO-Richtlinie sowie ihrer Anhänge I A und I B berühren könnte.

D.      Zweite Frage

153. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 der GVO-Richtlinie und deren Anhang I B auch im Kontext der Richtlinie 2002/53 gilt. Der Grund für die Frage ist, dass die Richtlinie 2002/53 in ihrem Art. 4 Abs. 4 auf Definitionen der GVO verweist, die lediglich in Art. 2 Nr. 1 und Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 90/220 (der Vorgängerregelung der derzeitigen GVO-Richtlinie) enthalten sind, ohne auf die Mutagenese-Ausnahme in Art. 3 Abs. 1 zu verweisen. Die Richtlinie 2002/53 enthält ferner selbst keine Ausnahme für die Mutagenese.

154. Meines Erachtens ist die Richtlinie 2002/53 im Licht der in der GVO-Richtlinie enthaltenen Mutagenese-Ausnahme dahin auszulegen, dass sie eine mittelbare Anwendung der GVO-Richtlinie auf durch Mutagenese gewonnene Sorten landwirtschaftlicher Pflanzenarten ausschließt. Ich werde zunächst darstellen, welche Ergebnisse sich aus einer reinen Wortlautauslegung der Richtlinie 2002/53 ergeben würden, und dann erläutern, warum die Richtlinie 2002/53 im Einklang mit der GVO-Richtlinie auszulegen ist.

155. Die Richtlinie 2002/53 legt allgemeine Verpflichtungen für Sorten landwirtschaftlicher Pflanzenarten fest: Sie müssen insbesondere eine amtliche Prüfung durchlaufen, bevor sie in den Gemeinsamen Katalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten aufgenommen werden dürfen. Zugleich enthält die Richtlinie 2002/53, wie sich aus ihrem Art. 4 Abs. 4 ergibt, besondere Verpflichtungen für solche Sorten landwirtschaftlicher Pflanzenarten, die im Sinne von Art. 2 Nr. 1 und Art. 2 Nr. 2 der Vorgängerrichtlinie 90/220 genetisch verändert sind. Insbesondere muss nach Art. 7 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2002/53 die Umweltverträglichkeitsprüfung derjenigen nach der Richtlinie 90/220 entsprechen.

156. Eine Ausnahme, die für durch Mutagenese gewonnene Organismen gelten würde, wird indes in der Richtlinie 2002/53 nicht erwähnt. Die Kläger machen daher geltend, dass durch Mutagenese gewonnene Sorten genetisch veränderte Sorten im Sinne der Richtlinie 2002/53 seien und nach Art. 7 Abs. 4 Buchst. a „einer Umweltverträglichkeitsprüfung entsprechend“ der GVO-Richtlinie unterliegen müssten.

157. Prima facie ist die Schlussfolgerung der Kläger auf der Grundlage des Wortlauts zutreffend. Es ist oben festgestellt worden(53), dass durch Mutagenese gewonnene Organismen GVO im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der GVO-Richtlinie darstellen können, sofern sie die in dieser Bestimmung genannten materiellen Kriterien erfüllen. Als solche müssten diese Organismen daher auch die nach Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2002/53 vorgeschriebene strengere Risikoprüfung durchlaufen.

158. Eine solche reine Wortlautauslegung der Richtlinie 2002/53 ist jedoch kaum vertretbar. Sie würde zu einem systematisch befremdlichen Ergebnis führen, indem bestimmte Verpflichtungen der GVO-Richtlinie (eine ähnliche Art der Umweltverträglichkeitsprüfung) mittelbar für Organismen gelten würden, die von allen Verpflichtungen aus dieser letzteren Richtlinie ausgenommen sind.

159. Somit ist die Richtlinie 2002/53 meines Erachtens im Licht der GVO-Richtlinie auszulegen, so dass durch Mutagenese gewonnene Organismen, auch wenn sie genetisch veränderte Sorten darstellen, von den besonderen Verpflichtungen nach der Richtlinie 2002/53 ausgenommen sind.

160. Für eine solche Auslegung der Richtlinie 2002/53 im Einklang mit der GVO-Richtlinie sprechen zwei systematische Argumente.

161. Erstens muss innerhalb der Richtlinie 2002/53 innere Widerspruchsfreiheit herrschen. So muss Art. 4 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 4 Buchst. a dieser Richtlinie gesehen werden. Wie insbesondere von der französischen Regierung vorgetragen, wäre es widersprüchlich, für genetisch veränderte Sorten im Sinne der Richtlinie 2002/53 im Hinblick auf die Umweltverträglichkeitsprüfung die gleiche Art von Verpflichtungen vorzuschreiben, wohingegen sie von diesen nach der GVO-Richtlinie ausdrücklich ausgenommen sind. Die Mutagenese-Ausnahme muss daher auch im Kontext der Richtlinie 2002/53 gelten.

162. Zweitens muss auch äußere Widerspruchsfreiheit zwischen der Richtlinie 2002/53 und sekundärrechtlichen Instrumenten zur Regelung von GVO herrschen. Anders als die GVO-Richtlinie und andere sekundärrechtliche Instrumente, die die Mutagenese von ihrem Anwendungsbereich ausdrücklich ausnehmen(54), betrifft die Richtlinie 2002/53 nicht in erster Linie GVO. Sie regelt Sorten landwirtschaftlicher Pflanzenarten im Allgemeinen. Sie dient sicherlich nicht an erster Stelle der Regelung von GVO, sondern behandelt sie lediglich am Rande, um ihre Besonderheit und den Umstand zu betonen, dass sie besonderen Regelungen unterliegen, die den allgemeinen Regelungen vorgehen sollen.

163. Die Richtlinie 2002/53 kann somit gegenüber der GVO-Richtlinie nicht als lex specialis angesehen werden. Es ist vielmehr umgekehrt. Die Richtlinie 2002/53 gilt als lex generalis für eine ganze Gruppe von Sorten landwirtschaftlicher Pflanzenarten, einschließlich genetisch veränderter Sorten. Es erscheint kaum vorstellbar, dass Erzeugnisse, die von den Verpflichtungen nach den speziellen, GVO-spezifischen Rechtsvorschriften ausgenommen sind, entsprechenden materiellen Verpflichtungen aus einer Rechtsnorm der Union unterliegen sollten, die in erster Linie einen anderen Bereich regelt und GVO nur am Rande behandelt.

164. Aus demselben Grund sollten keine zu weitreichenden Schlüsse daraus gezogen werden, dass die Richtlinie 2002/53, anders als die vorgenannten sekundärrechtlichen Instrumente zur Regelung von GVO, durch Mutagenese gewonnene Organismen von der Definition der genetisch veränderten Sorten nach ihrem Art. 4 Abs. 4 nicht ausdrücklich ausnimmt. Wiederum regelt diese Richtlinie nicht in erster Linie GVO. Sie enthält in erster Linie allgemeine Verpflichtungen zur Prüfung, die auch für durch Mutagenese gewonnene Organismen gelten, nicht als genetisch veränderte Sorten, sondern als eine Untergruppe von Sorten landwirtschaftlicher Pflanzenarten.

165. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist die Richtlinie 2002/53 meines Erachtens unter Berücksichtigung des Anwendungsbereichs der GVO-Richtlinie auszulegen, und es ist davon auszugehen, dass die in der GVO-Richtlinie geregelte Ausnahme auch für die Richtlinie 2002/53 gilt. Durch Mutagenese gewonnene Organismen unterliegen somit den allgemeinen Verpflichtungen nach der Richtlinie 2002/53, die für alle Arten von Sorten landwirtschaftlicher Pflanzenarten gelten, die in den Gemeinsamen Katalog aufgenommen werden sollen. Sie unterliegen jedoch nicht den besonderen Verpflichtungen für genetisch veränderte Sorten.

166. Eine abschließende Bemerkung mag angezeigt sein, insbesondere was den im vorliegenden Verfahren wiederholt vorgetragenen Punkt angeht, dass durch Mutagenese gewonnene Organismen keiner Kontrolle und Aufsicht unterlägen. Es sei daran erinnert, dass, wie von der Kommission angeführt, durch Mutagenese gewonnene Organismen, einschließlich solcher, die nicht unter die Einschränkung nach Anhang I B fallen und somit nicht der GVO-Richtlinie unterliegen, gegebenenfalls Verpflichtungen aus anderen sekundärrechtlichen Regelungen der Union unterliegen können, wie etwa den Rechtsvorschriften der Union über Saatgut(55) oder Rechtsvorschriften über Pestizide(56). Es ist somit klar, dass neben den Verpflichtungen, die sich aus der Richtlinie 2002/53 ergeben, für durch Mutagenese gewonnene Organismen auch Verpflichtungen aus verschiedenen anderen sekundärrechtlichen Instrumenten der Union gelten können.

167. Demzufolge schlage ich dem Gerichtshof vor, die zweite Vorlagefrage wie folgt zu beantworten: Die Richtlinie 2002/53 ist dahin auszulegen, dass sie durch Mutagenese gewonnene Sorten von den dort geregelten besonderen Verpflichtungen in Bezug auf die Aufnahme genetisch veränderter Sorten in den Gemeinsamen Katalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten ausnimmt.

V.      Ergebnis

168. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die ihm vom Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.      Sofern sie die materiellen Kriterien nach Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates erfüllen, stellen durch Mutagenese gewonnene Organismen genetisch veränderte Organismen im Sinne dieser Richtlinie dar.

Unter die Ausnahme nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/18 in Verbindung mit deren Anhang I B fallen alle durch Mutageneseverfahren gewonnenen Organismen unabhängig von ihrer Anwendung zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Richtlinie, sofern sie nur solche rekombinanten Nukleinsäuremoleküle oder genetisch veränderten Organismen verwenden, die aus einer oder mehreren der in Anhang I B aufgeführten Methoden hervorgegangen sind.

2.      Die Richtlinie 2002/53/EG des Rates vom 13. Juni 2002 über einen gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten ist dahin auszulegen, dass sie durch Mutagenese gewonnene Sorten von den dort geregelten besonderen Verpflichtungen in Bezug auf die Aufnahme genetisch veränderter Sorten in den Gemeinsamen Katalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten ausnimmt.

3.      Die Richtlinie 2001/18 hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, Maßnahmen zur Regelung der Mutagenese zu erlassen, sofern sie dabei die sich aus dem Unionsrecht ergebenden übergreifenden Verpflichtungen beachten.

4.      Die Prüfung der vierten Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/18 sowie ihrer Anhänge I A und I B berühren könnte.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates (ABl. 2001, L 106, S. 1).


3      ABl. 2002, L 193, S. 1.


4      Richtlinie des Rates vom 23. April 1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt (ABl. 1990, L 117, S. 15).


5      Réseau Semences Paysannes, les Amis de la Terre France, Collectif Vigilance OGM et Pesticides 16, Vigilance OG2M, CSFV 49, OGM dangers, Vigilance OGM 33 und Fédération Nature & Progrès.


6      Wiedergegeben oben in Nr. 22.


7      Zu einem früheren Beispiel zu anderen Frankreich betreffenden Grundsätzen vgl. Urteil vom 16. Dezember 2008, Arcelor Atlantique et Lorraine u. a. (C‑127/07, EU:C:2008:728).


8      Dies dürfte somit der Fallgestaltung entsprechen, mit der der Gerichtshof im Urteil vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli (C‑188/10 und C‑189/10, EU:C:2010:363, Rn. 54 bis 56), befasst war.


9      Insoweit stellt das vorlegende Gericht fest, dass „der in den Bestimmungen des Art. 191 Abs. 2 AEUV verankerte Vorsorgegrundsatz eine Reichweite hat, die die Wirksamkeit der Wahrung des Verfassungsgrundsatzes gewährleistet, gegen den nach Ansicht der Kläger verstoßen worden sein soll“.


10      Anhang I A Teil 1 führt, nicht abschließend, drei verschiedene Verfahren auf, die alle in irgendeiner Weise mit einem künstlichen Transfer von Erbgut in einen Wirtsorganismus mittels unter natürlichen Bedingungen nicht auftretender Methoden einhergehen.


11      Beim ODM-Verfahren wird offenbar eine kurze DNA-Sequenz in Zellen eingeführt, die dort dieselbe Mutation hervorruft, wie sie das Oligonukleotid trägt.


12      Beim SDN1-Verfahren werden verschiedene Arten von Proteinen (Zinkfingernukleasen, TALEN, CRISPR/Cas9) eingesetzt, die die DNA schneiden oder bearbeiten können.


13      Zu einer eingehenden Erörterung der Rechtsprechung der Unionsgerichte vgl. z. B. Da Cruz Vilaça, J. L., „The Precautionary Principle in EC Law“, in EU Law and Integration: Twenty Years of Judicial Application of EU Law, Hart Publishing, 2014, S. 321 bis 354.


14      Vgl. im Kontext eines Ausbruchs von BSE (bovine spongiforme Enzephalopathie) Urteil vom 5. Mai 1998, National Farmers’ Union u. a. (C‑157/96, EU:C:1998:191, Rn. 63).


15      Vgl. z. B. Art. 23 der GVO-Richtlinie und Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten (ABl. 1997, L 43, S. 1). Vgl. dazu, dass die letztere Verordnung als besondere Ausprägung des Vorsorgeprinzips anzusehen ist, insbesondere Urteil vom 9. September 2003, Monsanto Agricoltura Italia u. a. (C‑236/01, EU:C:2003:431, Rn. 110).


16      Vgl. z. B. Art. 8 und 20 der GVO-Richtlinie (und zur Vorläuferrichtlinie) Urteil vom 21. März 2000, Greenpeace France u. a. (C‑6/99, EU:C:2000:148, Rn. 44), oder Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie 2000/29/EG des Rates vom 8. Mai 2000 über Maßnahmen zum Schutz der Gemeinschaft gegen die Einschleppung und Ausbreitung von Schadorganismen der Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse (ABl. 2000, L 169, S. 1). Vgl. im Zusammenhang mit der letztgenannten Richtlinie Urteil vom 9. Juni 2016, Pesce u. a. (C‑78/16 und C‑79/16, EU:C:2016:428).


17      Vgl. z. B. Urteile vom 23. September 2003, Kommission/Dänemark (C‑192/01, EU:C:2003:492, Rn. 42 bis 54), vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich (C‑333/08, EU:C:2010:44, Rn. 85 bis 93), und vom 19. Januar 2017, Queisser Pharma (C‑282/15, EU:C:2017:26, Rn. 45 bis 47).


18      Vgl. z. B. Urteile vom 2. Dezember 2004, Kommission/Niederlande (C‑41/02, EU:C:2004:762, Rn. 53), vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich (C‑333/08, EU:C:2010:44, Rn. 92), und vom 19. Januar 2017, Queisser Parma (C‑282/15, EU:C:2017:26, Rn. 56).


19      Vgl. z. B. Urteile vom 8. September 2011, Monsanto u. a. (C‑58/10 bis C‑68/10, EU:C:2011:553, Rn. 77), und vom 13. September 2017, Fidenato u. a. (C‑111/16, EU:C:2017:676, Rn. 51).


20      Vgl. z. B. Urteile vom 2. Dezember 2004, Kommission/Niederlande (C‑41/02, EU:C:2004:762, Rn. 54), vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich (C‑333/08, EU:C:2010:44, Rn. 93), und vom 19. Januar 2017, Queisser Pharma (C‑282/15, EU:C:2017:26, Rn. 57).


21      Zu einer vergleichenden Prüfung von Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. 2002, L 31, S. 1) und Art. 34 der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel (ABl. 2003, L 268, S. 1) vgl. z. B. meine Schlussanträge in der Rechtssache Fidenato (C‑111/16, EU:C:2017:248).


22      Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Queisser Pharma (C‑282/15, EU:C:2016:589, Nrn. 53 und 54).


23      Siehe oben, Nr. 43.


24      Vgl. insbesondere Art. 2 Nr. 5 der Verordnung Nr. 1829/2003 und Art. 3 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1946/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2003 über grenzüberschreitende Verbringungen genetisch veränderter Organismen (ABl. 2003, L 287, S. 1).


25      Das Europäische Parlament und der Rat haben nur zur Frage der Gültigkeit der GVO-Richtlinie Erklärungen abgegeben.


26      Richtlinie 90/220.


27      Anhang I B der Richtlinie 90/220.


28      Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteile vom 23. April 2009, Kommission/Belgien (C‑287/07, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:245, Rn. 71 bis 80), und vom 27. Oktober 2011, Kommission/Polen (C‑311/10, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:702, Rn. 64 und 69).


29      Der Inhalt des 17. Erwägungsgrundes fand sich, wenn auch in etwas anderem Wortlaut, bereits im siebten Erwägungsgrund des ursprünglichen Vorschlags der Kommission, der schließlich Grundlage für die Richtlinie 90/220 war (KOM[88] 160 endg.). Soweit ersichtlich wurde die Mutagenese-Ausnahme jedoch erst in die endgültige Fassung dieser Richtlinie durch den Rat eingefügt, möglicherweise auch auf Betreiben des Wirtschafts- und Sozialausschusses, der den Begriff Mutagenese und die Notwendigkeit einer Ausnahme erstmals erwähnte (vgl. Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses 89/C 23/15, ABl. 1989, C 23, S. 45, Ziff. 2.2.2).


30      Siehe allgemein oben, Nrn. 48 bis 53, und ferner unten, Nrn. 146 bis 148.


31      Ob und inwieweit jedoch Fragen der Auslegung (und der Unmöglichkeit, innerhalb der Grenzen des Wortlauts der betreffenden Bestimmung zu einer zufriedenstellenden Auslegung zu gelangen) auf die Frage der Gültigkeit ausstrahlen können, wird unten im Zusammenhang mit der vierten Frage (Nrn. 130 bis 141 der vorliegenden Schlussanträge) erörtert.


32      Vgl. z. B. entsprechend zu den Grenzen der unionsrechtskonformen Auslegung Urteile vom 15. April 2008, Impact (C‑268/06, EU:C:2008:223, Rn. 100), oder vom 15. Januar 2014, Association de médiation sociale (C‑176/12, EU:C:2014:2, Rn. 39).


33      Vgl. z. B. Urteile vom 6. Oktober 2015, Târșia (C‑69/14, EU:C:2015:662, Rn. 12), und vom 27. Juni 2017, Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania (C‑74/16, EU:C:2017:496, Rn. 25).


34      Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteile vom 25. März 1999, Kommission/Italien (C‑112/97, EU:C:1999:168, Rn. 55 bis 58), und vom 8. Mai 2003, ATRAL (C‑14/02, EU:C:2003:265, Rn. 44 bis 45).


35      Vgl. z. B. Urteil vom 16. Dezember 2008, Gysbrechts und Santurel Inter (C‑205/07, EU:C:2008:730, Rn. 34 ff.). Impliziter auch Urteil vom 30. Mai 2013, F. (C‑168/13 PPU, EU:C:2013:358).


36      Siehe oben, Nrn. 90 bis 97. Zur Klarstellung möchte ich betonen, dass diese Aussage keinesfalls bedeuten soll, dass der Unionsgesetzgeber bei der Formulierung der GVO-Richtlinie als solcher die Sicherheit oder Naturwissenschaft nicht berücksichtigt hätte. Die hier getroffene Aussage ist viel präziser und enger und geht dahin, dass es insoweit keinen konkreten und ausdrücklichen Zusammenhang zwischen dem 17. Erwägungsgrund und Art. 3 Abs. 1 sowie Anhang I B gibt.


37      Siehe oben, Fn. 29.


38      Siehe oben, Nr. 100.


39      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015 zur Änderung der Richtlinie 2001/18 zu der den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeit, den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen (ABl. 2015, L 68, S. 1).


40      „In Bezug auf die Möglichkeit, sich auf neue, nach dem Erlass eines Gemeinschaftsrechtsakts eingetretene Gesichtspunkte zu berufen, um dessen Rechtmäßigkeit zu bestreiten, ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts auf jeden Fall anhand der Sach- und Rechtslage zu beurteilen ist, die zum Zeitpunkt seines Erlasses bestand“; vgl. Urteile vom 7. Februar 1979, Frankreich/Kommission (15/76 und 16/76, EU:C:1979:29, Rn. 7), und vom 22. Oktober 2002, National Farmers’ Union (C‑241/01, EU:C:2002:604, Rn. 37). Allerdings „[kann] die Gültigkeit eines Aktes in bestimmten Fällen anhand neuer, nach seinem Erlass eingetretener Gesichtspunkte beurteilt werden“; vgl. Urteile vom 17. Juli 1997, SAM Schiffahrt und Stapf (C‑248/95 und C‑249/95, EU:C:1997:377, Rn. 47), und vom 1. Oktober 2009, Gaz de France – Berliner Investissement (C‑247/08, EU:C:2009:600, Rn. 50).


41      In seinem Urteil vom 22. Oktober 2002, National Farmers’ Union (C‑241/01, EU:C:2002:604, Rn. 38), hat der Gerichtshof lediglich die Möglichkeit anerkannt, in der Fallgestaltung eines von der Kommission unterlassenen Erlasses einer neuen Verwaltungsentscheidung im Kontext der Dringlichkeitsmaßnahmen während der BSE-Krise eine Untätigkeitsklage zu erheben. Die unterbliebene (möglicherweise erforderliche) Aktualisierung allgemeiner Rechtsvorschriften ist jedoch eine ganz andere Fallgestaltung.


42      Siehe oben, Nr. 100.


43      Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache National Farmers’ Union (C‑241/01, EU:C:2002:415, Nr. 51), wo er ausführt, dass „im Bereich des Rechts nichts unveränderlich ist und das, was heute gerechtfertigt erscheint, es vielleicht morgen nicht mehr sein wird, woraus sich die Verpflichtung des Gesetzgebers ergibt, fortlaufend oder zumindest von Zeit zu Zeit die von ihm gesetzten Rechtssätze darauf zu überprüfen, ob sie den Bedürfnissen der Gesellschaft noch entsprechen, und jene Rechtssätze zu ändern oder aufzuheben, die jede Rechtfertigung verloren haben und dem neuen Kontext, in dem sie ihre Rechtswirkungen entfalten, nicht mehr angemessen sind“.


44      In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Lidl (C‑134/15, EU:C:2016:169, Nr. 90) habe ich vorgetragen, „dass das weite Ermessen, das die Organe der Union in bestimmten Bereichen genießen, nach meiner Auffassung nicht als eine Art zeitlich unbegrenzter Blankoscheck verstanden werden kann, aufgrund dessen frühere Regelungsentscheidungen für die Marktorganisation als immerwährende und ausreichende Rechtfertigung ihrer fortdauernden Anwendung in einem erheblich gewandelten Markt und sozialen Umfeld angesehen werden können. Um es bildhaft auszudrücken: Der Gesetzgeber muss ähnlich einem Förster den gesetzgeberischen Aufwuchs regelmäßig pflegen. Er hat nicht nur die Aufgabe, neue Bäume zu pflanzen, sondern er muss auch in regelmäßigen Abständen den Wald ausdünnen und Totholz beseitigen. Tut er dies nicht, darf er sich nicht wundern, wenn sich ein anderer zum Einschreiten veranlasst sieht.“


45      Vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 12. Januar 2006, Agrarproduktion Staebelow (C‑504/04, EU:C:2006:30, Rn. 40).


46      Richtlinie 2008/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2008 zur Änderung der Richtlinie 2001/18 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt im Hinblick auf die der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. 2008, L 81, S. 45).


47      Richtlinie 2015/412.


48      Siehe oben, Nrn. 81 und 82.


49      Wie oben skizziert, Nrn. 48 bis 53.


50      Vgl. z. B. Urteile vom 8. September 2011, Monsanto u. a. (C‑58/10 bis C‑68/10, EU:C:2011:553, Rn. 77), und vom 13. September 2017, Fidenato u. a. (C‑111/16, EU:C:2017:676, Rn. 51). Hervorhebung nur hier.


51      Siehe auch oben, Nrn. 139 bis 142.


52      Siehe oben, Nrn. 108 bis 124.


53      Siehe oben, Nrn. 57 bis 67.


54      Vgl. Art. 2 Nr. 5 der Verordnung Nr. 1829/2003 und Art. 3 Nr. 2 der Verordnung Nr. 1946/2003.


55      Richtlinie 98/95/EG des Rates vom 14. Dezember 1998 zur Änderung der Richtlinien 66/400/EWG, 66/401/EWG, 66/402/EWG, 66/403/EWG, 69/208/EWG, 70/457/EWG und 70/458/EWG über den Verkehr mit Betarübensaatgut, Futterpflanzensaatgut, Getreidesaatgut, Pflanzkartoffeln, Saatgut von Öl- und Faserpflanzen, Gemüsesaatgut und über den gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzen, und zwar hinsichtlich der Konsolidierung des Binnenmarkts, genetisch veränderter Sorten und pflanzengenetischer Ressourcen (ABl. 1999, L 25, S. 1).


56      Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Februar 2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs und zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG des Rates (ABl. 2005, L 70, S. 1); Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates (ABl. 2009, L 309, S. 1).