Language of document : ECLI:EU:C:2019:804

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

1. Oktober 2019(*)

„Rechtsmittel – Institutionelles Recht – Schadensersatzklage – Rechtsverstoß, der darin bestehen soll, dass keine Vertragsverletzungsklage gemäß Art. 258 AEUV erhoben wurde – Ermessen der Europäischen Kommission – Offensichtlich unbegründetes Rechtsmittel“

In der Rechtssache C‑236/19 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 15. März 2019,

István Szécsi, wohnhaft in Szeged (Ungarn),

Nóra Somossy, wohnhaft in Szeged,

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt D. Lázár,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt


DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin C. Toader sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter) und L. Bay Larsen,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1        Mit ihrem Rechtsmittel begehren Herr István Szécsi und Frau Nóra Somossy die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 16. Januar 2019, Szécsi und Somossy/Kommission (T‑331/18, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtener Beschluss, EU:T:2019:11), mit dem das Gericht ihre Klage auf Ersatz des Schadens, der ihnen durch den Verstoß der Europäischen Kommission gegen ihre Überwachungspflicht entstanden sein soll, als unzulässig abgewiesen hat.

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss

2        Mit Klageschrift, die am 31. Mai 2018 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhoben die Rechtsmittelführer eine Klage auf Verurteilung der Kommission, ihnen einen Betrag von 38 330 542,83 ungarischen Forint (HUF) (etwa 115 296 Euro) zuzüglich Zinsen in Höhe von 11,95 % pro Jahr ab dem 20. April 2016 zu zahlen.

3        Sie machten geltend, die Kommission habe ihre Überwachungspflicht verletzt, der sie aufgrund von Art. 17 EUV nachzukommen habe.

4        Zum einen habe die Kommission keine geeigneten Maßnahmen ergriffen, um die Anwendung des Unionsrechts durch die ungarischen Gerichte sicherzustellen. Insbesondere verstoße ihre Verurteilung durch die ungarischen Gerichte zur Rückzahlung des Darlehens, das sie bei einem ungarischen Kreditinstitut aufgenommen hätten, gegen die Bestimmungen des Unionsrechts über den Verbraucherschutz.

5        Zum anderen hätten die ungarischen Gerichte gegen Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoßen.

6        Mit gesondertem Schriftsatz, der am 24. Juli 2018 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Kommission eine Einrede der Unzulässigkeit und der Unzuständigkeit nach Art. 130 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts.

7        Das Gericht hat in Rn. 20 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, der von den Rechtsmittelführern geltend gemachte Schaden könne „nur als Antrag auf Eintritt der Haftung der Union wegen der fehlenden Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV gegen [Ungarn] verstanden werden“.

8        In Rn. 23 des angefochtenen Beschlusses wird darauf hingewiesen, dass die Kommission über ein Ermessen hinsichtlich der Einleitung eines solchen Verfahrens verfüge, das ein Recht Einzelner, von ihr eine Stellungnahme in einem bestimmten Sinn zu verlangen, ausschließe. In Rn. 24 des Beschlusses hat das Gericht infolgedessen festgestellt, dass die Nichteinleitung des Verfahrens durch die Kommission keine außervertragliche Haftung der Union auslösen könne.

9        In Rn. 26 des angefochtenen Beschlusses hat das Gericht hinzugefügt, als schadensverursachendes Verhalten könne nur das Verhalten des betreffenden Mitgliedstaats, also Ungarns, angeführt werden. Es sei allein Sache der nationalen Gerichte, gegebenenfalls nach Vorlage an den Unionsrichter auf der Grundlage von Art. 267 AEUV, über die Haftung zu entscheiden, die sich aus der Rechtswidrigkeit eines Verhaltens eines Mitgliedstaats ergebe. In Rn. 28 des Beschlusses hat es sodann ausgeführt, insoweit sei die der Kommission durch Art. 17 EUV, auf den sich die Rechtsmittelführer gestützt hätten, verliehene Überwachungsbefugnis unerheblich, da es sich bei dieser Bestimmung nicht um eine Rechtsvorschrift handele, die dem Einzelnen Rechte verleihen solle.

10      Das Gericht hat die Klage deshalb in vollem Umfang als unzulässig abgewiesen.

 Rechtsmittelanträge

11      Die Rechtsmittelführer beantragen,

–        den angefochtenen Beschluss aufzuheben;

–        die Kommission zu verurteilen, ihnen als Schadensersatz einen Betrag von 38 330 542,83 HUF (etwa 115 296 Euro) zuzüglich Zinsen auf die Hauptforderung in Höhe von 11,95 % pro Jahr ab dem 20. April 2016 zu zahlen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.


 Zum Rechtsmittel

12      Nach Art. 181 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof das Rechtsmittel, wenn es ganz oder teilweise offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist, jederzeit auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts ganz oder teilweise durch mit Gründen versehenen Beschluss zurückweisen.

13      Diese Bestimmung ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.

14      Die Rechtsmittelführer stützen ihr Rechtsmittel auf einen einzigen Grund, mit dem sie rügen, dass das Gericht den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz verletzt habe.

15      Dieser einzige Rechtsmittelgrund umfasst zwei Teile.

16      Erstens tragen die Rechtsmittelführer vor, das Gericht habe weder den Sachverhalt des von ihnen eingeleiteten nationalen Gerichtsverfahrens noch ihr Vorbringen in der Klageschrift berücksichtigt. Außerdem habe das Gericht den angefochtenen Beschluss lediglich mit Bezugnahmen auf die Rechtsprechung begründet.

17      Insoweit ist zunächst festzustellen, dass das Gericht im angefochtenen Beschluss die Situation der Rechtsmittelführer (Rn. 1 bis 5) und ihr Vorbringen (insbesondere Rn. 14 bis 17) dargestellt hat.

18      Sodann hat das Gericht in den Rn. 23 und 24 des angefochtenen Beschlusses dargelegt, aus welchen Gründen es die von den Rechtsmittelführern erhobene Schadensersatzklage für unzulässig hält. Dabei hat es ausgeführt, da die Kommission nicht verpflichtet sei, ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV einzuleiten, könne ihre Entscheidung, kein solches Verfahren einzuleiten, nicht die außervertragliche Haftung der Union auslösen. In Rn. 25 des angefochtenen Beschlusses hat es hinzugefügt, daher seien Schadensersatzklagen von Privatpersonen, die darauf gestützt würden, dass die Kommission kein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV eingeleitet habe, unzulässig.

19      Die Rechtsmittelführer machen aber keine genauen Angaben dazu, welche Bestandteile ihrer Klageschrift das Gericht bei seiner Würdigung nicht berücksichtigt haben soll. Sie beschränken sich auf das Vorbringen, da die ungarischen Gerichte die Bestimmungen der Charta der Grundrechte missachteten, hätte das Gericht ihrer Klage stattgeben müssen. Sie tun jedoch keinen Rechtsfehler des Gerichts dar.

20      Schließlich führen die Rechtsmittelführer aus, es gebe „keinen rechtsstaatlichen Grundsatz, wonach frühere Entscheidungen die Richtigkeit von zukünftigen Entscheidungen begründen“, geben aber nicht an, aus welchen Gründen die Bezugnahme des Gerichts auf die Rechtsprechung im vorliegenden Fall zu einem Begründungsmangel des angefochtenen Beschlusses führen soll.

21      Folglich ist der erste Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes offensichtlich unbegründet, da die Rechtsmittelführer nicht nachgewiesen haben, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen und gegen seine Begründungspflicht verstoßen hat.

22      Zweitens machen die Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe nicht berücksichtigt, dass sie in Ungarn nicht über einen effektiven Rechtsschutz verfügten und dass ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 AEUV in ihrem Fall wirkungslos wäre. Die Kommission hätte andere Maßnahmen wie Gespräche mit ungarischen Juristen ergreifen müssen, um die Beachtung der Grundrechte in Ungarn zu gewährleisten.

23      Insoweit hat das Gericht in Rn. 22 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt: „Wenn die Kommission aufgefordert wird, sich zu einem angeblichen Verstoß gegen das Unionsrecht zu äußern, besteht … die einzige Möglichkeit, über die sie nach dem von den Verträgen eingerichteten Gerichtssystem verfügt, um diesem Verstoß abzuhelfen, darin, ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV gegen den betreffenden Mitgliedstaat einzuleiten …“

24      In den Rn. 24 bis 26 des angefochtenen Beschlusses hat das Gericht zutreffend dargelegt, dass die Kommission bei der Umsetzung dieses Verfahrens über ein Ermessen verfügt, das ein Recht Einzelner, von ihr eine Stellungnahme in einem bestimmten Sinn zu verlangen, ausschließt, und dass ihre Entscheidung, kein solches Verfahren gegen einen Mitgliedstaat wegen dessen rechtswidrigem Verhalten einzuleiten, nicht geeignet ist, die außervertragliche Haftung der Union auszulösen. Wie das Gericht hinzugefügt hat, kann als schadensverursachendes Verhalten nur das Verhalten des betreffenden Mitgliedstaats angeführt werden.

25      Das Vorbringen der Rechtsmittelführer zu den Mängeln des ungarischen Gerichtssystems sowie ihre Argumente zu den Maßnahmen, die die Kommission ihres Erachtens hätte ergreifen müssen, können weder das in den Verträgen vorgesehene Gerichtssystem noch die Vorschriften über die Zuständigkeit der Unionsgerichte in Frage stellen.

26      Folglich ist der zweite Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes offensichtlich unbegründet.

27      Nach alledem ist das Rechtsmittel in vollem Umfang als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.


 Kosten

28      Nach Art. 137 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren anzuwenden ist, wird in dem das Verfahren beendenden Beschluss über die Kosten entschieden.

29      Da der vorliegende Beschluss ergangen ist, bevor die Rechtsmittelschrift der Beklagten im ersten Rechtszug zugestellt worden ist und somit bevor ihr Kosten entstehen konnten, ist zu entscheiden, dass die Rechtsmittelführer ihre eigenen Kosten tragen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) beschlossen:

1.      Das Rechtsmittel wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.

2.      Herr István Szécsi und Frau Nóra Somossy tragen ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 1. Oktober 2019

Der Kanzler

 

Die Präsidentin der Sechsten Kammer

A. Calot Escobar

 

C. Toader


*      Verfahrenssprache: Deutsch.