Language of document : ECLI:EU:C:2019:794

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

26. September 2019(*)

„Rechtsmittel – Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Institutionelles Recht – Schadensersatzklage – Versäumnis der Europäischen Kommission, geeignete Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass die ungarischen Gerichte die Grundsätze eines fairen Verfahrens einhalten – Unzulässigkeit – Begründungspflicht des Gerichts – Offensichtlich unbegründetes Rechtsmittel“

In der Rechtssache C‑358/19 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 6. Mai 2019,

PITEE Fogyasztóvédelmi Egyesület mit Sitz in Budapest (Ungarn), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt D. Lázár,

Rechtsmittelführerin,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt


DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin C. Toader sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter) und L. Bay Larsen,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1        Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die PITEE Fogyasztóvédelmi Egyesület die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 22. März 2019, PITEE Fogyasztóvédelmi Egyesület/Kommission (T‑566/18, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtener Beschluss, EU:T:2019:187), mit dem das Gericht ihre Klage auf Ersatz des Schadens, der ihr aufgrund eines Verstoßes der Europäischen Kommission gegen deren Überwachungspflicht entstanden sein soll, weil diese es unterlassen habe, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einzuleiten und geeignete Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass die ungarischen Gerichte die Grundsätze eines fairen Verfahrens einhalten, als offensichtlich unzulässig abgewiesen hat.

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss

2        Mit Klageschrift, die am 24. September 2018 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Rechtsmittelführerin eine auf Art. 268 AEUV gestützte Schadensersatzklage gegen die Kommission.

3        Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Gericht diese Klage gemäß Art. 126 seiner Verfahrensordnung als offensichtlich unzulässig abgewiesen.

4        Wie sich aus den Rn. 6 und 7 des angefochtenen Beschlusses ergibt, hat die Rechtsmittelführerin vor dem Gericht geltend gemacht, dass sie, wenn das ungarische Berufungsgericht bestimmte Regelungen der nationalen Rechtsvorschriften nicht auf sie angewandt hätte, im Berufungsverfahren mit ihren Anträgen nicht unterlegen gewesen wäre und folglich nicht die Kosten des Verfahrens hätte tragen müssen, die im vorliegenden Fall 44 100 Euro zuzüglich Zinsen betrügen. Unter diesen Umständen stelle das Versäumnis der Kommission, geeignete Maßnahmen zu treffen oder ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, einen Rechtsverstoß dar, der geeignet sei, die Haftung der Europäischen Union auszulösen.

5        In Rn. 8 des angefochtenen Beschlusses hat das Gericht ausgeführt, wenn die Kommission aufgefordert werde, sich zu einem angeblichen Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Unionsrecht zu äußern, stehe ihr nach dem durch die Verträge errichteten Rechtssystem als einzige Möglichkeit zur Abstellung dieses Verstoßes die Einleitung des in Art. 258 AEUV vorgesehenen Vertragsverletzungsverfahrens gegen den betreffenden Mitgliedstaat zur Verfügung (Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 17. Juli 2008, Pellegrini/Kommission, C‑114/08 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2008:438, Rn. 21).

6        In Rn. 9 des angefochtenen Beschlusses hat das Gericht unter Bezugnahme auf das Urteil vom 18. Dezember 2009, Arizmendi u. a./Rat und Kommission (T‑440/03, T‑121/04, T‑171/04, T‑208/04, T‑365/04 und T‑484/04, EU:T:2009:530, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung), darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung der Kommission, kein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV einzuleiten, mangels einer dahin gehenden Verpflichtung jedenfalls nicht rechtswidrig sei, so dass die außervertragliche Haftung der Union nicht ausgelöst werde.

7        In Rn. 10 des angefochtenen Beschlusses ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass der Antrag der Rechtsmittelführerin auf Feststellung, dass die Kommission unter Verstoß gegen den AEU-Vertrag eine Entscheidung unterlassen habe, indem sie keine geeigneten Maßnahmen getroffen und kein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet habe, als offensichtlich unzulässig abzuweisen sei.

 Anträge der Rechtsmittelführerin vor dem Gerichtshof

8        Die Rechtsmittelführerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss aufzuheben,

–        die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen und

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

9        Nach Art. 181 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof das Rechtsmittel, wenn es ganz oder teilweise offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist, jederzeit auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts ganz oder teilweise durch mit Gründen versehenen Beschluss zurückweisen.

10      Diese Bestimmung ist im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels anzuwenden.

 Vorbringen der Rechtsmittelführerin

11      Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf einen einzigen Grund, mit dem sie einen Verstoß gegen Grundwerte der Union, insbesondere gegen den in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundsatz des fairen Verfahrens, rügt.

12      Mit diesem einzigen Rechtsmittelgrund wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, den angefochtenen Beschluss nicht hinreichend begründet zu haben. Sie macht insbesondere geltend, das Gericht hätte ihr Vorbringen prüfen müssen, wonach die Kommission im Fall einer Verletzung der Grundwerte der Union eine Handlungspflicht treffe und wonach die Bürger eines Mitgliedstaats die Unionsgerichte anrufen könnten, wenn die nationalen Gerichte die Grundwerte der Union missachteten.

13      In Rn. 9 des angefochtenen Beschlusses habe das Gericht, ohne ihr Vorbringen inhaltlich zu prüfen, auf die bestehende Rechtsprechung Bezug genommen, um die bei ihm erhobene Klage als offensichtlich unzulässig abzuweisen. Damit habe es seinen Beschluss auf ein „Totschlagargument“ gestützt. Eine solche Begründung stehe nicht im Einklang mit den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aufgestellten Anforderungen und verletze deshalb das in Art. 47 der Charta der Grundrechte verankerte Recht der Rechtsmittelführerin auf ein faires Verfahren.

 Würdigung durch den Gerichtshof

14      Nach ständiger Rechtsprechung müssen aus der Begründung des angefochtenen Urteils oder Beschlusses die Überlegungen des Gerichts klar und eindeutig hervorgehen, so dass die Betroffenen die Gründe für die Entscheidung des Gerichts erkennen können und der Gerichtshof seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (vgl. u. a. Urteile vom 26. Mai 2016, Rose Vision/Kommission, C‑224/15 P, EU:C:2016:358, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 13. Dezember 2018, Europäische Union/Kendrion, C‑150/17 P, EU:C:2018:1014, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).

15      Im vorliegenden Fall hat das Gericht in Rn. 8 des angefochtenen Beschlusses unter Bezugnahme auf den Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 17. Juli 2008, Pellegrini/Kommission (C‑114/08 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2008:438), ausgeführt, dass der Kommission nach dem durch die Verträge errichteten Rechtssystem als einzige Möglichkeit, um einen angeblichen Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Unionsrecht abzustellen, die Einleitung des in Art. 258 AEUV vorgesehenen Vertragsverletzungsverfahrens gegen den betreffenden Mitgliedstaat zur Verfügung stehe.

16      In Rn. 9 des angefochtenen Beschlusses hat das Gericht, gestützt auf das Urteil vom 18. Dezember 2009, Arizmendi u. a./Rat und Kommission (T‑440/03, T‑121/04, T‑171/04, T‑208/04, T‑365/04 und T‑484/04, EU:T:2009:530, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung), erläutert, dass eine Entscheidung der Kommission, kein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV einzuleiten, mangels einer dahin gehenden Verpflichtung nicht rechtswidrig sein könne. Es hat daraus geschlossen, dass eine solche Entscheidung auch nicht dazu führen könne, dass die außervertragliche Haftung der Union eintrete.

17      Das Gericht hat die Unzulässigkeit der bei ihm erhobenen Klage somit in rechtlich hinreichender Weise begründet. Aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses gehen die Überlegungen des Gerichts klar und eindeutig hervor, so dass die Rechtsmittelführerin die Gründe erkennen kann, aus denen das Gericht ihre Klage als offensichtlich unzulässig abgewiesen hat, und der Gerichtshof über hinreichende Anhaltspunkte verfügt, um seine Kontrollaufgabe wahrzunehmen.

18      Dass sich das Gericht im vorliegenden Fall zur Begründung seiner Entscheidung auf die Rechtsprechung gestützt hat, ohne das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zu prüfen, wonach die Kommission im Fall einer Verletzung der Grundwerte der Union eine Handlungspflicht treffe und wonach die Bürger eines Mitgliedstaats die Unionsgerichte anrufen könnten, wenn die nationalen Gerichte die Grundwerte der Union missachteten, ändert nichts daran, dass seine Begründung ausreichend und angemessen ist.

19      Insoweit ist hinzuzufügen, dass sich eine Begründungspflicht, die über das in den vorstehenden Randnummern genannte Maß hinausgeht, auch nicht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt, auf die die Rechtsmittelführerin in ihrer Rechtsmittelschrift Bezug nimmt.

20      Nach dieser Rechtsprechung hängt der Umfang der Begründungspflicht von den Umständen des Einzelfalls ab und kann je nach der Art der fraglichen Entscheidung variieren. Ein Gericht muss zwar seine Entscheidungen so begründen, dass die Bürger von ihrem Rechtsbehelf wirksam Gebrauch machen können, aber es muss nicht auf alle Argumente der Parteien detailliert antworten (vgl. u. a. EGMR, 9. Dezember 1994, Hiro Balani gegen Spanien, CE:ECHR:1994:1209JUD001806491, § 27, 9. Dezember 1994, Ruiz Torija gegen Spanien, CE:ECHR:1994:1209JUD001839091, § 30, und 27. September 2001, Hirvisaari gegen Finnland, CE:ECHR:2001:0927JUD004968499, Rn. 30).

21      Folglich ist das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

 Kosten

22      Nach Art. 137 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, wird über die Kosten in dem das Verfahren beendenden Beschluss entschieden. Da der vorliegende Beschluss ergeht, bevor die Rechtsmittelschrift der anderen Partei des Verfahrens zugestellt wurde und ihr Kosten entstehen konnten, ist zu entscheiden, dass die PITEE Fogyasztóvédelmi Egyesület ihre eigenen Kosten trägt.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) beschlossen:

1.      Das Rechtsmittel wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.

2.      Die PITEE Fogyasztóvédelmi Egyesület trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 26. September 2019

Der Kanzler

 

Die Präsidentin der Sechsten Kammer

A. Calot Escobar

 

C. Toader


*      Verfahrenssprache: Deutsch.