Language of document : ECLI:EU:C:2016:862

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 10. November 2016(1)

Rechtssache C‑488/15

Europäische Kommission

gegen

Republik Bulgarien

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinie 2008/50/EG – Qualität der Umgebungsluft – Konzentration von Feinstaub (PM10) in der Umgebungsluft – Überschreitung der Grenzwerte – Genereller und fortgesetzter Verstoß – Luftqualitätspläne“





I –    Einleitung

1.        Im vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren wendet sich die Kommission gegen die Verletzung der Unionsstandards für die Qualität der Umgebungsluft in Bulgarien. Genauer gesagt geht es um überhöhte Werte für Feinstaub in einer Größenordnung von bis zu 10 μm (im Folgenden: PM10) gemäß der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa.(2) In Bezug auf diesen Schadstoff hat Bulgarien nach der Europäischen Umweltagentur (EEA) die schlechtesten Werte aller Mitgliedstaaten.(3)

2.        Die Luftverschmutzung beeinträchtigt unsere Gesundheit erheblich. Insbesondere unter PM10 leiden sowohl das Herzkreislaufsystem als auch die Atemwege.(4) Nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren im Jahr 2012 weltweit 3 Millionen vorzeitige Todesfälle auf Luftverschmutzung zurückzuführen und in Europa 479 000,(5) davon 8 634 in Bulgarien.(6) Bulgarien weist danach weltweit nach der Ukraine und vor Weißrussland sowie China die zweitgrößte Quote an Todesfällen im Verhältnis zur Bevölkerung auf (118 pro 100 000 Einwohner), obwohl sich diese Quote bei einer Berücksichtigung der jeweiligen Altersstruktur etwas relativiert.(7)

3.        Speziell für PM10 scheinen keine jüngeren Schätzungen vorzuliegen, aber für das Jahr 2005 ging die EEA im Jahr 2009 davon aus, dass in Bulgarien etwa 1 600 vorzeitige Todesfälle auf eine Million Einwohner anzunehmen seien und dass sich diese Zahl bei Beachtung der Grenzwerte auf etwa 1 000 senken ließe. Die entsprechenden Schätzungen für die damaligen 27 Mitgliedstaaten betrugen demgegenüber nur etwa 850 und 650 vorzeitige Todesfälle auf eine Million Einwohner.(8)

4.        Das vorliegende Vertragsverletzungsverfahren ist somit von großer Bedeutung für den Schutz der menschlichen Gesundheit gegenüber nachteiligen Umwelteinflüssen. Beide Parteien sind sich einig, dass Bulgarien die Grenzwerte seit 2007, dem Beginn ihrer Anwendbarkeit, nicht eingehalten hat.

5.        Gleichwohl ist die rechtliche Beurteilung des vorliegenden Verfahrens nicht einfach. Von grundsätzlicher Bedeutung ist die Frage, wie sich die Verpflichtung zur Einhaltung der Grenzwerte dazu verhält, dass bei deren Überschreitung Luftqualitätspläne erstellt werden müssen, die nicht auf die sofortige Herstellung der gebotenen Luftqualität abzielen, sondern nur den Zeitraum der Überschreitung so kurz wie möglich halten sollen.

6.        Daneben stellen sich eine Reihe verfahrensspezifischer Fragen, insbesondere, ob die Kommission die Feststellung eines generellen und fortdauernden Verstoßes erwirken, ob Bulgarien eine vorübergehende Befreiung von den Grenzwerten in Anspruch nehmen und ob die Kommission aus der fortdauernden Verletzung der Grenzwerte ableiten kann, dass die Luftqualitätspläne mangelhaft sind.

II – Rechtlicher Rahmen

7.        Nach Art. 2 des Protokolls über die Bedingungen und Einzelheiten der Aufnahme der Republik Bulgarien und Rumäniens in die Europäische Union(9) sind ab dem Tag des Beitritts – also dem 1. Januar 2007 – insbesondere die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe für Bulgarien und Rumänien verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der Verträge sowie des Protokolls. Eine Ausnahme für die Regelungen über die Qualität der Umgebungsluft wurde nicht vereinbart.

8.        Art. 2 Nr. 18 der Richtlinie 2008/50 definiert den streitgegenständlichen Feinstaub:

„‚PM10’ sind die Partikel, die einen größenselektierenden Lufteinlass gemäß der Referenzmethode für die Probenahme und Messung von PM10, EN 12341, passieren, der für einen aerodynamischen Durchmesser von 10 μm eine Abscheidewirksamkeit von 50 % aufweist“.

9.        Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 verpflichtet zur Einhaltung der Grenzwerte für PM10:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass überall in ihren Gebieten und Ballungsräumen die Werte für Schwefeldioxid, PM10, Blei und Kohlenmonoxid in der Luft die in Anhang XI festgelegten Grenzwerte nicht überschreiten.“

10.      Anhang XI der Richtlinie 2008/50 enthält für PM10 einen Jahresmittelwert von 40 μg/m3 sowie einen täglichen Grenzwert von 50 μg/m3, der höchstens an 35 Tagen im Jahr überschritten werden darf.

11.      Nach Art. 5 Abs. 1 und Anhang III Stufe 1der Richtlinie 1999/30/EG des Rates vom 22. April 1999 über Grenzwerte für Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Stickstoffoxide, Partikel und Blei in der Luft(10) galt die gleiche Verpflichtung bereits ab dem 1. Januar 2005.

12.      Art. 22 der Richtlinie 2008/50 sieht ein Verfahren vor, wonach Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen eine vorübergehende Befreiung u. a. von der Verpflichtung zur Beachtung der Grenzwerte für PM10 bis zum 11. Juni 2011 beantragen können:

„(1)      Können in einem bestimmten Gebiet oder Ballungsraum die Grenzwerte für Stickstoffdioxid oder Benzol nicht innerhalb der in Anhang XI festgelegten Fristen eingehalten werden, so kann ein Mitgliedstaat diese Fristen für dieses bestimmte Gebiet oder diesen bestimmten Ballungsraum um höchstens fünf Jahre verlängern, wenn folgende Voraussetzung erfüllt ist: Für das Gebiet oder den Ballungsraum, für das/den die Verlängerung gelten soll, wird ein Luftqualitätsplan gemäß Art. 23 erstellt; dieser Luftqualitätsplan wird durch die in Anhang XV Abschnitt B aufgeführten Informationen in Bezug auf die betreffenden Schadstoffe ergänzt und zeigt auf, wie die Einhaltung der Grenzwerte vor Ablauf der neuen Frist erreicht werden soll.

(2)      Können in einem bestimmten Gebiet oder Ballungsraum die Grenzwerte für PM10 nach Maßgabe des Anhangs XI aufgrund standortspezifischer Ausbreitungsbedingungen, ungünstiger klimatischer Bedingungen oder grenzüberschreitender Einträge nicht eingehalten werden, so werden die Mitgliedstaaten bis zum 11. Juni 2011 von der Verpflichtung zur Einhaltung dieser Grenzwerte ausgenommen, sofern die in Abs. 1 festgelegten Bedingungen erfüllt sind und der Mitgliedstaat nachweist, dass alle geeigneten Maßnahmen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene getroffen wurden, um die Fristen einzuhalten.

(3)      …

(4)      Ein Mitgliedstaat, der der Ansicht ist, dass Abs. 1 oder Abs. 2 anwendbar ist, teilt dies der Kommission mit und übermittelt ihr den Luftqualitätsplan gemäß Abs. 1 einschließlich aller relevanten Informationen, die die Kommission benötigt, um festzustellen, ob die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Dabei berücksichtigt die Kommission die voraussichtlichen Auswirkungen der von den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen auf die gegenwärtige und die zukünftige Luftqualität in den Mitgliedstaaten sowie die voraussichtlichen Auswirkungen der gegenwärtigen Gemeinschaftsmaßnahmen und der von der Kommission vorzuschlagenden geplanten Gemeinschaftsmaßnahmen auf die Luftqualität.

Hat die Kommission neun Monate nach Eingang dieser Mitteilung keine Einwände erhoben, gelten die Bedingungen für die Anwendung von Abs. 1 bzw. Abs. 2 als erfüllt.

Werden Einwände erhoben, kann die Kommission die Mitgliedstaaten auffordern, Anpassungen vorzunehmen oder neue Luftqualitätspläne vorzulegen.“

13.      Gemäß Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 müssen die Mitgliedstaaten bei einer Überschreitung der Grenzwerte Luftqualitätspläne erstellen:

„Überschreiten in bestimmten Gebieten oder Ballungsräumen die Schadstoffwerte in der Luft einen Grenzwert oder Zielwert zuzüglich einer jeweils dafür geltenden Toleranzmarge, sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass für diese Gebiete oder Ballungsräume Luftqualitätspläne erstellt werden, um die entsprechenden in den Anhängen XI und XIV festgelegten Grenzwerte oder Zielwerte einzuhalten.

Im Falle der Überschreitung dieser Grenzwerte, für die die Frist für die Erreichung bereits verstrichen ist, enthalten die Luftqualitätspläne geeignete Maßnahmen, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich gehalten werden kann. ...

Diese Luftqualitätspläne müssen mindestens die in Anhang XV Abschnitt A aufgeführten Angaben umfassen ... Diese Pläne sind der Kommission unverzüglich, spätestens jedoch zwei Jahre nach Ende des Jahres, in dem die erste Überschreitung festgestellt wurde, zu übermitteln.

…“

14.      Eine ähnliche Verpflichtung war bereits in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität(11) enthalten:

„Die Mitgliedstaaten erstellen Aktionspläne, in denen die Maßnahmen angegeben werden, die im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte und/oder der Alarmschwellen kurzfristig zu ergreifen sind, um die Gefahr der Überschreitung zu verringern und deren Dauer zu beschränken.“

15.      Anhang XV Abschnitt A der Richtlinie 2008/50 enthält Anforderungen an diese Pläne. Nr. 6 verlangt Angaben zur Analyse der Lage:

„a)      Einzelheiten über Faktoren, die zu den Überschreitungen geführt haben (z. B. Verkehr, einschließlich grenzüberschreitender Verkehr, Entstehung sekundärer Schadstoffe in der Atmosphäre);

b)      Einzelheiten über mögliche Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität.“

16.      Nr. 8 sieht vor, dass die Luftqualitätspläne Angaben über die zur Verminderung der Verschmutzung beschlossenen Maßnahmen oder Vorhaben enthalten:

„a)       Auflistung und Beschreibung aller in den Vorhaben genannten Maßnahmen;

b)       Zeitplan für die Durchführung;

c)       Schätzung der angestrebten Verbesserung der Luftqualität und des für die Verwirklichung dieser Ziele veranschlagten Zeitraums.“

17.      Nach Art. 33 der Richtlinie 2008/50 war sie bis zum 11. Juni 2010 umzusetzen.

18.      Art. 31 der Richtlinie 2008/50 regelt die Aufhebung der Richtlinien 96/62 und 99/30:

„Die Richtlinien 96/62/EG, 1999/30/EG, 2000/69/EG und 2002/3/EG werden mit Wirkung vom 11. Juni 2010 aufgehoben; die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Fristen für die Umsetzung oder Anwendung dieser Richtlinien bleiben hiervon unberührt.

…“

III – Sachverhalt, Vorverfahren und Klageantrag

19.      Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass seit dem Jahr 2007 bis mindestens zum Jahr 2015 in allen Gebieten und Ballungsräumen Bulgariens sowohl die Tagesgrenzwerte als auch die Jahresgrenzwerte für PM10 überschritten wurden. Nur im Gebiet BG0003 Varna wurde im Jahr 2009 der Jahresgrenzwert nicht erreicht.

20.      Wegen dieser Überschreitung der Grenzwerte hat sich Bulgarien bei der Kommission um eine Verlängerung der Fristen für die Einhaltung der Grenzwerte bemüht (dazu unter A), während die Kommission das vorliegende Vertragsverletzungsverfahren betrieben hat (dazu unter B).

A –    Zu den Bemühungen um eine Fristverlängerung

21.      Die Kommission erhielt am 14. April 2009 eine Mitteilung Bulgariens, wonach in den sechs Ballungsräumen des Landes die Grenzwerte für PM10 nicht eingehalten werden könnten. Daher verlängerte dieser Mitgliedstaat die Frist für die Einhaltung der Grenzwerte gemäß Art. 22 der Richtlinie 2008/50.

22.      Allerdings entschied die Kommission am 11. Dezember 2009, Einwände gegen diese Mitteilung zu erheben.

23.      Am 9. Juni 2011 übersandte Bulgarien der Kommission erneut eine Mitteilung mit dem Ziel der Fristverlängerung. Die Kommission wies diese Mitteilung jedoch zurück, weil die Frist höchstens bis zum 11. Juni 2011 verlängert werden konnte und ihr Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 eine Prüfungsfrist von neun Monaten beließ.

B –    Zum Vertragsverletzungsverfahren

24.      Zwischenzeitlich hatte die Kommission Bulgarien am 1. Oktober 2010 aufgefordert, zu einer Verletzung von Art. 13 der Richtlinie 2008/50 Stellung zu nehmen. Diese Aufforderung ergänzte die Kommission am 25. Januar 2013 um den Vorwurf, keine angemessenen Pläne gemäß Art. 23 festgelegt zu haben. Dabei bezog sich die Kommission auf die Jahre 2007 bis 2011.

25.      Bulgarien bestritt die Verletzung der Grenzwerte nicht, vertrat aber die Auffassung, die Überschreitungen nähmen ab.

26.      Die Kommission hielt an Ihren Vorwürfen fest und erließ am 11. Juli 2014 eine entsprechende mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie sich nunmehr zusätzlich auf die Zahlen für das Jahr 2012 stützte und Bulgarien eine letzte Frist von zwei Monaten setzte.

27.      Bulgarien berief sich in seinen Antworten weiterhin darauf, dass sich die Lage schrittweise verbessere. Die Überschreitungen beruhten hauptsächlich auf der Verwendung bestimmter Brennstoffe zur Heizung von Wohnungen während des Winters.

28.      Da die Kommission diese Antworten für unzureichend hielt, reichte sie am 14. September 2015 die vorliegende Klage ein und beantragt,

–        in Bezug auf die systematische und von 2007 bis mindestens einschließlich 2013 andauernde Nichteinhaltung sowohl der Jahres- als auch der Tagesgrenzwerte für PM10 in den folgenden Gebieten und Ballungsräumen: BG0001 Ballungsraum Sofia, BG0002 Ballungsraum Plovdiv, BG0004 Nordbulgarien, BG0005 Südwestbulgarien und BG0006 Südostbulgarien

–        sowie in Bezug auf die systematische und von 2007 bis mindestens einschließlich 2013 andauernde Nichteinhaltung des Tagesgrenzwerts für PM10 und auch die Nichteinhaltung des Jahresgrenzwerts für PM10 in den Jahren 2007, 2008 und von 2010 bis mindestens einschließlich 2013 im Gebiet BG0003 Varna

–        und mangels ergänzender Informationen, die belegen, dass sich an dieser Situation der Nichteinhaltung der Tages- und Jahresgrenzwerte für PM10 in den oben genannten Gebieten und Ballungsräumen etwas geändert hat, festzustellen, dass Bulgarien weiterhin gegen seine Verpflichtungen aus Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang XI der Richtlinie 2008/50 verstößt;

–        im Hinblick darauf, dass ausweislich des letzten Jahresberichts über die Luftqualität für 2013 die Überschreitungen sowohl der Jahres- als auch der Tagesgrenzwerte für PM10 in allen oben genannten Gebieten und Ballungsräumen fortbestehen, ferner festzustellen, dass die Republik Bulgarien ihren Verpflichtungen aus Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 und insbesondere der Verpflichtung, den Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich zu halten, nicht nachgekommen ist und dieser Verstoß noch immer andauert;

–        der Republik Bulgarien die Kosten aufzuerlegen.

29.      Die Republik Bulgarien beantragt, die Klage entweder als unzulässig oder als unbegründet abzuweisen sowie der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

30.      Die Parteien haben schriftlich und am 29. September 2016 mündlich verhandelt. In dieser Verhandlung hat die Republik Polen Bulgarien als Streithelfer unterstützt.

IV – Rechtliche Würdigung

31.      Die Kommission wirft Bulgarien vor, zwei Verpflichtungen der Richtlinie 2008/50 verletzt zu haben, nämlich zum einen die Pflicht zur Beachtung der Grenzwerte für PM10 (dazu unter A) und zum anderen die Pflicht, wegen der Überschreitung der Grenzwerte Luftreinhaltungspläne zu erlassen, die den Zeitraum der Überschreitung so kurz wie möglich halten (dazu unter B).

A –    Zu Art. 13 der Richtlinie 2008/50 – Verletzung der Grenzwerte

32.      Der erste Klagegrund betrifft die Überschreitung der Grenzwerte für PM10 nach Art 13 und Anhang XI der Richtlinie 2008/50. Dort sind zwei Arten von PM10‑Grenzwerten festgelegt, zum einen der 24-Stunden-Grenzwert von 50 μg/m3, der nicht öfter als 35‑mal im Jahr überschritten werden darf, und zum anderen der Jahresgrenzwert von 40 μg/m3, der überhaupt nicht überschritten werden darf.

33.      Unbestritten wurde seit dem Beitritt Bulgariens nur im Gebiet BG003 Varna in einem einzigen Jahr, dem Jahr 2009, einer dieser Grenzwerte, der Jahresgrenzwert, eingehalten. Im Übrigen wurden beide Grenzwerte kontinuierlich überschritten. Die letzten, im schriftlichen Verfahren genannten Zahlen betreffen das Jahr 2015.

34.      Zwar steht somit die Überschreitung der Grenzwerte außer Streit, doch die präzise Bestimmung des Verfahrensgegenstands in diesem Punkt wirft Schwierigkeiten auf, die auch den Einwänden Bulgariens gegen die Zulässigkeit der Klage zugrunde liegen (dazu unter 1). Außerdem ist zu klären, ob Bulgarien eine vorübergehende Befreiung von den Grenzwerten in Anspruch nehmen kann (dazu unter 2 Buchst. a) und ob die Verpflichtung zur Einhaltung der Grenzwerte eine Ergebnispflicht ist oder nur das Bemühen um die Einhaltung umfasst (dazu unter 2 Buchst. b).

1.      Zum Gegenstand des Verfahrens und zur Zulässigkeit des Vorbringens der Kommission

35.      Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass die Kommission eine Feststellung der Überschreitung der Grenzwerte während der angegebenen Jahre in den betreffenden Gebieten und Agglomerationen begehrt. Wie die Einwände Bulgariens zeigen, wäre ein solcher Klageantrag jedoch zumindest teilweise offensichtlich unzulässig.

36.      Der Gegenstand einer Klage wird nämlich nach Art. 258 AEUV durch das in dieser Bestimmung vorgesehene Vorverfahren eingegrenzt. Daher kann die Klage nicht auf andere als die im Vorverfahren erhobenen Rügen gestützt werden. Denn das Vorverfahren soll dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit geben, zum einen seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und zum anderen seine Verteidigungsmittel gegenüber den Rügen der Kommission wirksam geltend zu machen.(12)

37.      Die Kommission würde diese Grundsätze missachten, wenn sie in der Klage Feststellungen für das Jahr 2013 beantragen würde, in der Replik sogar für das Jahr 2014, obwohl die mit Gründen versehene Stellungnahme 2012 als letztes Jahr nennt. Und schon die mit Gründen versehene Stellungnahme geht um ein Jahr über die ergänzende Aufforderung zur Stellungnahme hinaus.

38.      Gleichwohl halte ich dieses Vorbringen im Prinzip für zulässig.

39.      Gegenstand einer Vertragsverletzungsklage kann nämlich auch eine Verwaltungspraxis sein, bei der es sich um eine in bestimmtem Grad verfestigte und allgemeine Praxis handelt,(13) bzw. eine generelle und fortgesetzte Vertragsverletzung.(14)

40.      In diesem Sinne verstehe ich den Klageantrag der Kommission, soweit sie in Bezug auf die „systematische“ und „andauernde“ Überschreitung der Grenzwerte die Feststellung beantragt, Bulgarien verletze „weiterhin“ Art. 13 und Anhang XI der Richtlinie 2008/50.

41.      Und auch die Bezugnahme der Kommission auf die Überschreitung von Grenzwerten in Jahren, die noch nicht Gegenstand des Vorverfahrens oder der Klageschrift waren, erklärt sich so. Denn Informationen jüngeren Datums sind geeignet, den generellen und fortdauernden Charakter des behaupteten Verstoßes im Stadium des Verfahrens vor dem Gerichtshof zu untermauern.(15)

42.      Eine unzulässige Erweiterung des Klagegegenstands ist darin nicht zu erkennen, denn es geht immer noch um den Vorwurf, Bulgarien missachte fortdauernd die Grenzwerte für PM10.

43.      Allerdings geht mit der Eingrenzung durch das Vorverfahren auch einher, dass das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen ist, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist befand, und dass später eingetretene Änderungen vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden können.(16) Diese Frist endete im vorliegenden Verfahren im September 2014.

44.      Daher kann der Gerichtshof nur Feststellungen treffen, die sich auf den Zeitpunkt vor Ablauf dieser Frist beziehen. Das Vorbringen der Kommission, das sich auf den Zeitraum nach Ablauf der Frist bezieht, ist nur insofern von Interesse, als es Schlussfolgerungen auf den Zustand zuvor erlaubt.

45.      Die bulgarische Rüge einer missverständlichen Formulierung der Klage, mithin eines Verstoßes gegen Art. 120 Buchst. c der Verfahrensordnung, beruht im Wesentlichen darauf, dass Bulgarien die Möglichkeit der Feststellung einer generellen und fortgesetzten Vertragsverletzung verkennt.

46.      Es wäre zwar wünschenswert gewesen, wenn die Kommission den Gegenstand ihres Vorwurfs deutlicher zum Ausdruck gebracht hätte, etwa durch eine Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs, doch lässt sich nicht feststellen, dass der Streitgegenstand nicht erkennbar wäre.

47.      Zu erwähnen ist schließlich, dass die Grenzwerte in den Jahren 2007 bis 2010 auf Art. 5 und Anhang III Stufe 1der Richtlinie 1999/30 beruhten, während die Kommission sich ausschließlich auf die Richtlinie 2008/50 stützt, die damals noch nicht galt.

48.      In einem Verfahren nach Art. 258 AEUV kann die Kommission jedoch nach ständiger Rechtsprechung einen Verstoß gegen diejenigen Verpflichtungen feststellen lassen, die sich aus der ursprünglichen Fassung eines später geänderten oder aufgehobenen Rechtsakts der Union ergeben und durch neue Bestimmungen aufrechterhalten wurden.(17)

49.      Das gilt auch im vorliegenden Fall, denn Art. 13 und Anhang XI der Richtlinie 2008/50 enthalten für PM10 die gleichen Grenzwerte wie Art. 5 und Anhang III Stufe 1der Richtlinie 1999/30 für die Zeit vor dem Inkrafttreten der erstgenannten Richtlinie. Dies bestätigt Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2008/50, wonach Verweisungen auf die aufgehobenen Richtlinien, also insbesondere auf die Richtlinie 1999/30, als Verweisungen auf die neue Richtlinie gelten.

50.      Daher ist es auch nicht notwendig, dass die Kommission in ihrem Klageantrag ausdrücklich die frühere Regelung nennt.(18) Es reicht, dass sie in der Klagebegründung deutlich die kontinuierliche Geltung der Grenzwerte und ihre jeweilige Rechtsgrundlage dargelegt hat.

51.      Der Klagegrund hinsichtlich der Verletzung der Grenzwerte und das Vorbringen der Kommission hinsichtlich der Verstöße bis zum Ablauf der Frist der mit Gründen versehenen Stellungnahme im September 2014 sind somit zulässig.

2.      Zur Begründetheit des ersten Klageantrags

52.      Der Vorwurf der Kommission ist jedenfalls für die im Antrag der Klageschrift genannten Jahre von 2007 bis 2013 auch begründet.

53.      In Bulgarien wurden die Grenzwerte für PM10 in diesem Zeitraum mit einer Ausnahme während eines Jahres in allen Ballungsräumen und Gebieten überschritten, also seitdem diese Grenzwerte in Bulgarien nach dem Protokoll über den Beitritt gelten. Der Verstoß ist somit sowohl generell als auch fortdauernd.

54.      Was dagegen das im Antrag der Erwiderung zusätzlich genannte Jahr 2014 angeht, so lief die Frist der mit Gründen versehenen Stellungnahme schon im September dieses Jahres ab. Die Grenzwerte beziehen sich aber auf das ganze Jahr, nämlich auf die Zahl der Überschreitungen des Tagesgrenzwerts während des Jahres und auf den Jahresmittelwert. Die Kommission legt nicht dar, ob bereits aufgrund der bis zu diesem Zeitpunkt erhobenen Messdaten eine Verletzung der Grenzwerte festgestellt werden kann. Selbst wenn es möglich wäre, die Grenzwerte auf den bis zum Ablauf der Frist vergangenen Zeitraum des Jahres umzurechnen, bedürfte es doch entsprechenden Vorbringens der Kommission zu dieser Frage. Daran fehlt es jedoch. Daher kann ein Verstoß für das Jahr 2014 nicht festgestellt werden und die Klage ist insoweit abzuweisen.

a)      Zu den Anträgen auf vorübergehende Befreiung

55.      Dem Vorwurf der Kommission würde allerdings weitgehend die Grundlage entzogen, wenn Bulgarien erfolgreich gemäß Art. 22 der Richtlinie 2008/50 eine vorübergehende Befreiung von der Verpflichtung zur Beachtung der Grenzwerte für PM10 bis zum 11. Juni 2011 erwirkt hätte. Denn damit wären alle Überschreitungen der Grenzwerte unerheblich, die zum Zeitpunkt der ergänzenden Aufforderung zur Stellungnahme vorlagen.(19)

56.      Es steht außer Streit, dass der Antrag Bulgariens aus dem Jahr 2009 eine Befreiung nicht auslösen konnte. Denn die Kommission hat dem Antrag rechtzeitig widersprochen, so dass Bulgarien gemäß Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 3 der Richtlinie 2008/50 einen geänderten Antrag hätte einreichen müssen.

57.      Bulgarien vertritt aber die Auffassung, dass sein Antrag vom 9. Juni 2011 ein solcher geänderter Antrag war, dem die Kommission nicht wirksam widersprochen habe.

58.      Die Kommission hat zwar keine formelle Entscheidung erlassen, dem Antrag zu widersprechen, aber in ihrem Schreiben vom 11. Juli 2011 unzweideutig kundgetan, dass er ihrer Meinung nach verspätet war.

59.      In diesem Schreiben liegt eine Ablehnung, die Bulgarien nicht angefochten hat. Bulgarien macht auch zu Recht nicht die Inexistenz dieser Entscheidung geltend, da die Feststellung der Inexistenz aus Gründen der Rechtssicherheit ganz außergewöhnlichen Fällen vorbehalten bleibt.(20) Der vorliegende Fall illustriert im Übrigen die Risiken für die Rechtssicherheit, die mit einer Feststellung der Inexistenz verbunden wären. Folglich muss Bulgarien die Ablehnung seiner Mitteilung im vorliegenden Verfahren gegen sich gelten lassen. Schon daher ist eine Befreiung gemäß Art. 22 der Richtlinie 2008/50 auszuschließen.

60.      Aus dem gleichen Grund muss im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden, ob die Kommission ihre Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV verletzt hat, indem sie den Antrag vom 9. Juni 2011 nicht inhaltlich geprüft hat. Dieses Vorbringen Bulgariens wäre zwar möglicherweise geeignet gewesen, die Rechtmäßigkeit des Schreibens vom 11. Juli 2011 in Frage zu stellen. Da Bulgarien aber diese Mitteilung nicht angegriffen hat, durfte dieser Mitgliedstaat nicht davon ausgehen, von seiner Verpflichtung befreit zu sein, die Grenzwerte zu respektieren.(21)

61.      Sollte der Gerichtshof dieser Auffassung nicht folgen, so wäre zu prüfen, ob die Kommission den Antrag zu Recht als verspätet zurückgewiesen hat.

62.      Die Kommission ist der Auffassung, die Zurückweisung sei gerechtfertigt, weil sie nicht rückwirkend einen richtlinienwidrigen Zustand legalisieren könne.

63.      Art. 22 der Richtlinie 2008/50 schließt allerdings eine rückwirkende Befreiung nicht aus. Im Gegenteil, diese Bestimmung ist gerade für PM10 auf Rückwirkung angelegt. Denn die entsprechenden Grenzwerte gelten seit dem Jahr 2005, doch erst im Jahr 2008 wurde die Möglichkeit einer Befreiung eingeräumt. Darüber hinaus ist ein berechtigtes Interesse an einer rückwirkenden Befreiung nicht auszuschließen, etwa um Schadensersatzansprüchen jede Grundlage zu entziehen.

64.      Richtig ist jedoch, dass eine Befreiung nur möglich ist, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen. Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 verlangt aber, dass der Mitgliedstaat einen Luftqualitätsplan einreicht, der aufzeigt, wie die Einhaltung der Grenzwerte vor dem Ablauf der neuen Frist, für PM10 spätestens am 11. Juni 2011, erreicht werden soll.(22)

65.      Der Antrag vom 9. Juni 2011 müsste also dargelegt haben, dass die Grenzwerte spätestens zwei Tage später eingehalten würden. Dieses Ergebnis ist aufgrund der tatsächlich mitgeteilten Werte auszuschließen. Vielmehr wurden in den Gebieten und Ballungsräumen Bulgariens vor und nach Antrag die Grenzwerte fast durchgehend überschritten. Und die einzige Unterschreitung des jährlichen Grenzwerts in dem Gebiet Varna einige Jahre zuvor war von zu vielen Überschreitungen des täglichen Grenzwerts begleitet.

66.      Es ist daher ausgeschlossen, dass der Antrag Bulgariens die Voraussetzungen einer Befreiung erfüllte. Folglich hätte die Kommission auch bei einer umfassenden Prüfung zu Recht dem Antrag Bulgariens widersprochen.

67.      Selbst wenn Bulgarien jedoch eine Befreiungsmitteilung mit der Ankündigung einer Einhaltung der Grenzwerte ab dem 11. Juni 2011 eingereicht hätte, wäre es rechtsmissbräuchlich, dass dieser Mitgliedstaat sich heute, angesichts ihrer fortdauernden Überschreitung, auf diese beruft.

68.      Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass Bulgarien nicht bis zum 11. Juni 2011 von der Verpflichtung zur Einhaltung der Grenzwerte für PM10 befreit wurde.

b)      Zur Natur der Verpflichtung zur Einhaltung der Grenzwerte

69.      Des Weiteren versucht Bulgarien, den Vorwurf der Kommission durch seine Bemühungen um eine Verbesserung der Luftqualität und ihre angebliche Verbesserung sowie die wirtschaftliche Lage des Landes zu entkräften.

70.      Diese Argumente können die Feststellung einer generellen und fortdauernden Missachtung der Grenzwerte nicht in Frage stellen. Der Gerichtshof hat nämlich wiederholt festgestellt, dass schon die bloße Überschreitung der Grenzwerte Art. 13 und Anhang XI der Richtlinie 2008/50 verletzt,(23) falls nicht höhere Gewalt nachgewiesen wird.(24) Es handelt sich somit um eine Ergebnispflicht (obligation de résultat) und nicht um eine Pflicht, sich nur darum zu bemühen, die Grenzwerte einzuhalten.

71.      Der Annahme einer Ergebnispflicht steht auch nicht entgegen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 nicht verpflichtet sind, Maßnahmen zu ergreifen, um jede Überschreitung der Grenzwerte zu verhindern oder sofort zu beenden, sondern sie nur so kurz wie möglich halten müssen.

72.      Wenn man Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 dahin gehend verstehen würde, dass diese Verpflichtung zur Erstellung von Luftqualitätsplänen die einzige Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Luftqualitätsstandards festlegt, wäre an einer Ergebnispflicht zu zweifeln. Denn darin läge eine Abmilderung gegenüber der allgemeinen unionsrechtlichen Verpflichtung, Verstöße gegen das Unionsrecht so schnell wie möglich zu beenden und unter bestimmten Bedingungen Schäden zu ersetzen.(25) Auch die Bedeutung der Dauer des Verstoßes würde relativiert. Denn die Planungsobligation impliziert, dass ein Verstoß in der Regel nicht sofort, sondern nur über einen gewissen Zeitraum beendet werden kann. Diese Lesart liegt nahe wegen der Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Luftqualitätsstandards, die auch die Novellierung der Luftqualitätsrichtlinie prägten.

73.      Wie der Gerichtshof jedoch zu Recht festgestellt hat, gibt nur Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 einem Mitgliedstaat ausdrücklich die Möglichkeit, die in Anhang XI dieser Richtlinie festgelegte Frist für die Einhaltung der in diesem Anhang vorgesehenen Grenzwerte zu verlängern.(26) Es wäre widersprüchlich, neben dieser ausdrücklich vorgesehenen Fristverlängerung, die strengen Bedingungen und Grenzen unterliegt,(27) eine weitere, lediglich implizierte, aber zeitlich unbegrenzte(28) Ausnahme in die Verpflichtung zur Erstellung von Luftqualitätsplänen nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 hineinzulesen. Darin läge eine Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit der Luftqualitätsstandards,(29) die schon aufgrund ihrer großen Bedeutung für die menschliche Gesundheit nicht hinzunehmen ist.

74.      Die Richtlinie 2008/50 enthält im Übrigen auch Luftqualitätsziele, die eindeutig nicht als Ergebnispflicht ausgestaltet sind. Gemäß Art. 15 Abs. 1 und Art. 16 Abs. 1 treffen die Mitgliedstaaten nämlich nur die erforderlichen Maßnahmen, die keine unverhältnismäßigen Kosten verursachen, um die Einhaltung der Expositionsziele gegenüber PM2,5, also noch kleineren Partikeln, zu erreichen. Wenn der Gesetzgeber die Grenzwerte für PM10 nicht als Ergebnispflicht hätte festlegen wollen, hätte er eine ähnliche Formulierung gewählt.

75.      Die Richtlinie 2008/50 begründet daher in Bezug auf PM10 zwei miteinander verbundene, aber verschiedene Pflichten: einerseits die vorbeugende und unbedingte Ergebnispflicht zur Einhaltung der Grenzwerte und andererseits die nachsorgenden Pflichten im Fall der Überschreitung.

76.      Gleichwohl ist anzunehmen, dass die Rechtsfolgen der Verletzung der Grenzwerte von den Luftqualitätsplänen berührt werden. Insbesondere spricht viel dafür, dass ein den Anforderungen der Richtlinie 2008/50 genügender Luftqualitätsplan und seine getreue Umsetzung das Gewicht des Verstoßes mindern kann. Ein solcher Plan könnte möglicherweise sogar den Verzicht auf die Verhängung eines Zwangsgelds in einem Verfahren nach Art. 260 AEUV rechtfertigen oder die schadensersatzrechtliche Qualifikation(30) des Verstoßes gegen die Grenzwerte ausschließen. Im vorliegenden Verfahren müssen diese Fragen zwar noch nicht entschieden werden, doch vor diesem Hintergrund kommt dem zweiten Klagegrund der Kommission zusätzliches Gewicht zu.

77.      Die Auslegung der Verpflichtung zur Einhaltung der Grenzwerte als Ergebnispflicht wird auch nicht durch die etwas unklare Formulierung des Urteils ClientEarth in Frage gestellt. Dort betonte der Gerichtshof, in Bezug auf Schwefeldioxid, PM10, Blei und Kohlenmonoxid sei in Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/50 vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten „sicherstellen“, dass die Grenzwerte nicht überschritten werden, dass aber nach Unterabs. 2 dieser Bestimmung diese Grenzwerte in Bezug auf Stickstoffdioxid und Benzol von dem dort festgelegten Zeitpunkt an „nicht mehr überschritten werden [dürfen]“, was einer Ergebnisverpflichtung entspreche.(31)

78.      Nach meinem Verständnis wollte der Gerichtshof damit keinen Gegensatz zwischen den Verpflichtungen in Bezug auf Schwefeldioxid, PM10, Blei und Kohlenmonoxid einerseits sowie Stickstoffdioxid und Benzol andererseits herstellen. Vielmehr handelt es sich um eine etwas missverständliche Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung. Die beiden Formulierungen bringen mit unterschiedlichen Worten die gleiche Verpflichtung zum Ausdruck.(32)

79.      Im Übrigen wird die Feststellung einer generellen und fortgesetzten Verletzung der Grenzwerte auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass in einem von sechs Gebieten, dem Gebiet Varna, im Jahr 2009 einer der beiden Grenzwerte nicht überschritten wurde. Vielmehr handelt es sich offensichtlich um einen atypischen Fall, der nur durch besondere Umstände zu erklären ist. Danach wurde schließlich auch dieser Grenzwert in diesem Gebiet wieder überschritten. Und der tägliche Grenzwert wurde dort auch im Jahr 2009 zu oft überschritten.

3.      Zwischenergebnis

80.      Folglich ist festzustellen, dass Bulgarien in Bezug auf PM10 von 2007 bis 2013 generell und fortgesetzt in allen Ballungsräumen und Gebieten des Landes gegen seine Verpflichtungen aus Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang XI der Richtlinie 2008/50 über Luftqualität und saubere Luft für Europa verstoßen hat.

B –    Zu Art. 23 der Richtlinie 2008/50 – Luftqualitätspläne

81.      Der zweite Klagegrund der Kommission betrifft die Verpflichtung zur Erstellung von Luftqualitätsplänen gemäß Art. 23 der Richtlinie 2008/50.

82.      Überschreiten in bestimmten Gebieten oder Ballungsräumen die Schadstoffwerte in der Luft einen Grenzwert, sorgen gemäß Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/50 die Mitgliedstaaten dafür, dass für diese Gebiete oder Ballungsräume Luftqualitätspläne erstellt werden, um die entsprechenden Grenzwerte einzuhalten. Nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 enthalten die Luftqualitätspläne im Fall der Überschreitung dieser Grenzwerte, für die die Frist für die Erreichung bereits verstrichen ist, geeignete Maßnahmen, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich gehalten werden kann. Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 3 Satz 1 sieht vor, dass diese Luftqualitätspläne mindestens die in Anhang XV Abschnitt A aufgeführten Angaben umfassen müssen.

83.      Seit der Überschreitung der Grenzwerte ist Bulgarien folglich nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2008/50 verpflichtet, Luftqualitätspläne zu erstellen. In Ermangelung einer Befreiung von der Verpflichtung zur Einhaltung, mussten diese Pläne gemäß Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 geeignete Maßnahmen enthalten, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich gehalten werden kann.

84.      Die Parteien sind sich darüber einig, dass Bulgarien Luftqualitätspläne erstellt hat.

85.      Die Kommission folgert aber aus der fortbestehenden Überschreitung der Grenzwerte, dass Bulgarien versäumt hat, den Zeitraum der Nichteinhaltung so kurz wie möglich zu halten. Bulgarien habe nicht alle notwendigen und wissenschaftlich möglichen Maßnahmen ergriffen, um die Überschreitung der Grenzwerte zu beenden. Darüber hinaus beanstandet die Kommission, dass vorgesehene Maßnahmen noch nicht ergriffen worden seien und dass die bulgarischen Pläne bestimmte Angaben nicht enthalten würden.

86.      Auch in Bezug auf diesen Klagegrund ist zunächst der Verfahrensgegenstand zu präzisieren (dazu unter 1), bevor das Beweisvorbringen der Kommission (dazu unter 2) und die Qualität der bulgarischen Luftqualitätspläne erörtert werden (dazu unter 3).

1.      Zum Gegenstand des Klageantrags und zur Zulässigkeit des Vorbringens der Kommission

87.      Für die Zulässigkeit dieses Klagegrundes gilt prinzipiell das Gleiche wie für die Zulässigkeit des ersten Klagegrundes. Die Kommission beschränkt ihr Vorbringen zwar nicht auf Informationen, die bereits Gegenstand der Aufforderung zur Stellungnahme und der mit Gründen versehenen Stellungnahme waren, doch die späteren Umstände sind lediglich zusätzliche Belege einer fortdauernden und generellen Praxis bei der Erstellung und Durchführung von Luftqualitätsplänen.

88.      Auch der zulässige Gegenstand dieses Klagegrundes wird jedoch zeitlich durch die Frist der mit Gründen versehenen Stellungnahme begrenzt, den 11. September 2014.

89.      Außerdem stellt sich die Frage, ob auch dieser Klageantrag die Verletzung der vor der Richtlinie 2008/50 geltenden Verpflichtungen einschließt. Sie ergaben sich aus der Richtlinie 96/62 in Verbindung mit der Richtlinie 99/30.

90.      Insofern ist die Lage anders als bei den Grenzwerten. Hier kann dahin stehen, ob die früheren Regelungen ähnliche Anforderungen enthielten wie sie heute in Art. 23 Abs. 1 und Anhang XV Abschnitt A der Richtlinie 2008/50 niedergelegt sind. Denn die Kommission vertritt selbst die Auffassung, Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 sei strenger als die Richtlinie 96/62. Letztere verlange nur, die Grenzwerte innerhalb einer vernünftigen Frist einzuhalten, nach Ersterer müsse diese Frist so kurz wie möglich bleiben. Eine Verschärfung von Anforderungen schließt die Kontinuität jedoch aus.

91.      Daher kann sich die Kommission nicht auf die kontinuierliche Fortgeltung der Planungspflichten der Richtlinie 96/62 berufen. Vielmehr kann ein Verstoß gegen Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 erst mit Ablauf der Umsetzungspflicht dieser letztgenannten Richtlinie festgestellt werden, also frühestens ab dem 11. Juni 2010.

92.      Nur in diesem Umfang ist das Vorbringen der Kommission somit zulässig.

2.      Zur Dauer der Überschreitung der Grenzwerte

93.      Der Schluss der Kommission von der Dauer der Überschreitung auf ein Versäumnis, diese so kurz wie möglich zu halten, impliziert, dass die Überschreitung innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu beenden ist. Ein solcher bestimmter Zeitraum ist jedoch weder ausdrücklich in der Richtlinie 2008/50 niedergelegt noch lässt er sich aus ihr ableiten.

94.      Vielmehr hat der Gerichtshof bislang zu den Luftqualitätsplänen nur festgestellt, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 bei der Festlegung der zu erlassenden Maßnahmen zwar über einen gewissen Wertungsspielraum verfügen, es aber jedenfalls ermöglichen müssen, dass der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte so kurz wie möglich gehalten wird.(33)

95.      Diese Feststellung ist im Licht des früheren Urteils Janecek zu den kurzfristig zu erlassenden Aktionsplänen wegen einer drohenden Überschreitung der Grenzwerte nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 zu sehen. Der Gerichtshof stellte fest, es folge aus dem Aufbau der Richtlinie, die eine integrierte Verminderung der Umweltverschmutzung bezweckt, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen zu ergreifen haben, die geeignet sind, die Gefahr einer Überschreitung und ihre Dauer unter Berücksichtigung aller zur gegebenen Zeit vorliegenden Umstände und der betroffenen Interessen auf ein Minimum zu reduzieren.(34) Und in diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof anerkannt, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung des Ermessens neben dem Ziel, die Überschreitung zu minimieren, auch den Ausgleich, der zwischen diesem Ziel und den verschiedenen betroffenen öffentlichen und privaten Interessen sicherzustellen ist, berücksichtigen müssten.(35)

96.      Auch die Luftqualitätspläne nach Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 können nur auf der Grundlage eines solchen Interessenausgleichs erlassen werden. Die große Bedeutung der Luftqualität für den Schutz von Leben und Gesundheit lässt zwar nur sehr wenig Raum für die Berücksichtigung anderer Interessen. Sie erfordert daher auch eine strenge Überprüfung der getroffenen Abwägung.(36) Doch gibt es unbestreitbar überwiegende Interessen, die bestimmten geeigneten Maßnahmen entgegenstehen können.

97.      So ist nach dem Vorbringen Bulgariens die winterliche Heizung von Wohnungen mit Festbrennstoffen, insbesondere Holz und Kohle, die Hauptursache der Überschreitung der Grenzwerte. Daher erschiene ein Verbot solcher Heizungen geeignet, die Einhaltung der Grenzwerte herbeizuführen. Diese Maßnahme verbietet sich jedoch, solange keine anderen Heizmethoden bereitstehen, denn ohne Heizung wären noch größere Beeinträchtigungen der menschlichen Gesundheit zu erwarten.

98.      Bulgarien betont folglich zu Recht, dass die Feststellung, welche Zeitspanne „so kurz wie möglich“ ist, nur aufgrund einer Einzelfallprüfung getroffen werden kann. Allein die Dauer der Überschreitung reicht dafür nicht aus, denn sie allein erlaubt keinen Rückschluss darauf, ob der Ausgleich mit anderen Interessen fehlerhaft war.

99.      Daher greift das zentrale Argument der Kommission nicht unmittelbar durch. Ob die Grenzwerte für eine bestimmte Anzahl von Jahren überschritten wurden, seien es sieben, acht oder neun Jahre, kann allein nicht ausschlaggebend dafür sein, ob diese Zeitspanne noch „so kurz wie möglich“ war.

100. Daraus folgt allerdings nicht, dass dieses Vorbringen der Kommission unerheblich ist.

101. Vielmehr sollte der Gerichtshof sich an seiner Rechtsprechung zum Abfallrecht orientieren. In diesem Bereich gilt die heute in Art. 13 der Abfallrichtlinie(37) niedergelegte übergreifende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass die Abfallbewirtschaftung ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung der Umwelt erfolgt. Das Fortbestehen einer tatsächlichen Situation, die mit diesem Ziel unvereinbar ist, etwa einer illegalen Abfalldeponie, deutet auf eine Verletzung dieser Pflichten hin, namentlich wenn dies zu einer signifikanten Beeinträchtigung der Umwelt über einen längeren Zeitraum führt, ohne dass die zuständigen Behörden eingreifen.(38)

102. Das Gleiche gilt im vorliegenden Verfahren. In Bulgarien werden seit Längerem die Grenzwerte für PM10 verletzt, was schwerwiegende Folgen für die Gesundheit der bulgarischen Bevölkerung hat. Darin liegt ein gewichtiges Indiz dafür, dass Bulgarien seiner Verpflichtung nach Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 nicht nachgekommen ist.

103. Zwar vertritt Bulgarien die Auffassung, die Überschreitung der Grenzwerte könne nicht gleichzeitig eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 und von Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 begründen, da die Verletzung der erstgenannten Verpflichtung die letztgenannte Verpflichtung erst auslöse.

104. Dieses Vorbringen verkennt aber, dass die Verletzung der Grenzwerte den Verstoß gegen Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 nicht begründet, sondern nur ein Indiz dafür ist, dass die Luftqualitätspläne den Anforderungen nicht genügen. Dies kann zwar nicht aus der erstmaligen Überschreitung abgeleitet werden, aber je länger die Überschreitungen anhalten, desto mehr zeigen sie, wie wirksam – oder unwirksam – die bereits getroffenen Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität waren.

105. Bei der Gewichtung dieses Indizes sind im Übrigen die unstreitigen Verstöße nach Ablauf der Frist der mit Gründen versehenen Stellungnahme, d. h. in den Jahren 2014 und 2015, ebenfalls von Interesse. Sie bestätigen, dass die vor Ablauf der Frist bestehenden Luftqualitätspläne noch nicht einmal ausreichten, um den Grenzwerten zu einem späteren Zeitpunkt zu genügen.

106. Die Bedeutung der Dauer der Überschreitung wird auch nicht dadurch gemindert, dass nur die seit dem 11. Juni 2010 bestehende Verpflichtung Gegenstand des Verfahrens ist. Denn Bulgarien war nicht erstmals seit diesem Zeitpunkt verpflichtet, gegen die Luftverschmutzung vorzugehen, sondern bereits seit dem Beitritt im Januar 2007 als Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62 anwendbar wurde. Die Wirksamkeit der zwischen dem 11. Juni 2010 und dem 11. September 2014 ergriffenen Maßnahmen muss daher vor dem Hintergrund von mehr als drei Jahren früheren Bemühens um die Verbesserung der Luftqualität gewürdigt werden. Da diese Anstrengungen nicht ausreichten, bestand umso mehr Anlass, nach dem 11. Juni 2010 wirksame Maßnahmen zu ergreifen.

107. Es obliegt folglich Bulgarien, dieses durch die fortdauernde Überschreitung der Grenzwerte gesetzte Indiz zu entkräften. Dafür müsste dieser Mitgliedstaat insbesondere darlegen, dass seine Luftqualitätspläne den Anforderungen von Art. 23 Abs. 1 und Anhang XV Abschnitt A der Richtlinie 2008/50 genügen.

3.      Zur Qualität der bulgarischen Luftqualitätspläne

108. Nach dem Vorbringen von Bulgarien und der Kommission sind die bisherigen Pläne aber mangelhaft.

109. Es steht außer Streit, dass diese Pläne zwar verschiedene Zieldaten für die Einhaltung der Grenzwerte enthielten, aber diese Ziele nicht erreicht wurden. Die Kommission trägt auch unwidersprochen vor, dass nicht die volle Breite möglicher Maßnahmen in Erwägung gezogen worden ist, etwa strengere Qualitätsvorgaben für Festbrennstoffe zur Wohnungsheizung oder Einschränkungen im Straßenverkehr.

110. Daneben leiden die bulgarischen Pläne an strukturellen Defiziten.

111. Denn die Kommission trägt außerdem vor, Bulgarien habe keine Angaben zum genauen örtlichen Anwendungsbereich der Pläne, zum zeitlichen Ablauf ihrer Verwirklichung, zu den aufgrund der geplanten Maßnahmen erwarteten Verbesserungen der Luftqualität sowie zum Zeitpunkt der Einhaltung der Grenzwerte gemacht.

112. Damit bezieht sich die Kommission auf die nach Anhang XV Abschnitt A der Richtlinie 2008/50 erforderlichen Angaben. Insbesondere sind nach Nr. 6 Buchst. b dieses Abschnitts Einzelheiten über mögliche Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität anzugeben. Auch verlangt Nr. 8 eine Auflistung und Beschreibung aller in den Vorhaben genannten Maßnahmen (Buchst. a), einen Zeitplan für die Durchführung (Buchst. b) und die Schätzung der angestrebten Verbesserung der Luftqualität und des für die Verwirklichung dieser Ziele veranschlagten Zeitraums (Buchst. c).

113. Diese Angaben sind von zentraler Bedeutung, denn erst sie erlauben es, zu erörtern, ob diese Luftqualitätspläne tatsächlich gewährleisten, dass der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte so kurz wie möglich bleibt. Aufgrund dieser Angaben lässt sich prüfen, ob der Mitgliedstaat alle Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität identifiziert und welche er ausgewählt hat. Zugleich lässt sich danach abschätzen, wie stark und in welchem Zeitraum die Luftqualität verbessert wird. In letzter Konsequenz ergibt sich daraus, ob und bis wann nach diesen Plänen die Grenzwerte eingehalten werden können.

114. Bulgarien beschreibt zwar viele Maßnahmen und Pläne, bestreitet jedoch nicht, dass die oben genannten Angaben im Wesentlichen fehlen.

115. Allerdings zeigt Bulgarien einen Widerspruch im Vorbringen der Kommission auf. Denn die Kommission behauptet einerseits, Bulgarien habe nicht angegeben, wann mit der Einhaltung der Grenzwerte zu rechnen sei, kritisiert aber andererseits, dass einige Pläne solche Daten enthielten, die jedoch verstrichen seien, ohne dass die Grenzwerte unterschritten wurden.

116. Dieser Widerspruch hat jedoch keine entscheidende Bedeutung, da eine Ankündigung der Einhaltung von Grenzwerten, die nicht verwirklicht wird, nur ein weiterer Beleg für die Defizite eines Luftqualitätsplans ist.

117. Folglich genügen die von Bulgarien erstellten Luftqualitätspläne zur Reduzierung der Luftverschmutzung durch PM10 nicht den Anforderungen von Art. 23 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2008/50 und enthalten insbesondere nicht alle nach Anhang XV Abschnitt A der Richtlinie 2008/50 erforderlichen Angaben.

118. Bulgarien konnte somit auch nicht zeigen, dass es trotz der fortdauernden Überschreitung der Grenzwerte die notwendigen Maßnahmen ergriffen hat, damit diese Überschreitung so kurz wie möglich bleibt.

4.      Zwischenergebnis

119. Zusammenfassend ist zum zweiten Klagegrund festzustellen, dass Bulgarien vom 11. Juni 2010 bis zum 11. September 2014 generell und fortgesetzt in allen Ballungsräumen und Gebieten des Landes nicht seiner Verpflichtung aus Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 nachgekommen ist, Luftqualitätspläne gemäß Anhang XV Abschnitt A zur Reduzierung der Luftverschmutzung durch PM10 zu erstellen und durchzuführen, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte nach Art. 13 Abs. 1 und Anhang XI so kurz wie möglich gehalten werden konnte.

V –    Kosten

120. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission im Wesentlichen obsiegt, sind Bulgarien die Kosten aufzuerlegen.

121. Allerdings tragen nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Daher trägt Polen seine eigenen Kosten.

VI – Ergebnis

122. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, wie folgt zu entscheiden:

1)      Die Republik Bulgarien hat in Bezug auf PM10 von 2007 bis 2013 generell und fortgesetzt in allen Ballungsräumen und Gebieten des Landes gegen seine Verpflichtungen aus Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang XI der Richtlinie 2008/50 über Luftqualität und saubere Luft für Europa verstoßen.

2)      Die Republik Bulgarien ist vom 11. Juni 2010 bis zum 11. September 2014 generell und fortgesetzt in allen Ballungsräumen und Gebieten des Landes nicht seiner Verpflichtung aus Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50 nachgekommen, Luftqualitätspläne gemäß Anhang XV Abschnitt A zur Reduzierung der Luftverschmutzung durch PM10 zu erstellen und durchzuführen, damit der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte nach Art. 13 Abs. 1 und Anhang XI so kurz wie möglich gehalten werden konnte.

3)      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4)      Die Republik Bulgarien trägt die Kosten, mit Ausnahme der Kosten der Republik Polen, die diese selbst trägt.






1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – ABl. 2008, L 152, S. 1.


3 – Air quality in Europe - 2015 report, EEA Report No 5/2015, S. 22.


4 – WHO European Centre for Environment and Health, Bonn, WHO Regional Office for Europe, Review of evidence on health aspects of air pollution – REVIHAAP Project, Technical Report (2013), S. 35.


5 – WHO, Ambient air pollution: A global assessment of exposure and burden of disease (2016), http://www.who.int/iris/bitstream/10665/250141/1/9789241511353-eng.pdf, S. 40.


6 – WHO, Ambient air pollution: A global assessment of exposure and burden of disease (2016), http://www.who.int/iris/bitstream/10665/250141/1/9789241511353-eng.pdf, S 98.


7 – WHO, Ambient air pollution: A global assessment of exposure and burden of disease (2016), http://www.who.int/iris/bitstream/10665/250141/1/9789241511353-eng.pdf, S. 65 bis 67.


8 – Spatial assessment of PM10 and ozone concentrations in Europe (2005), EEA Technical report No 1/2009, S. 20.


9 – ABl. 2005, L 157, S. 29.


10 – ABl. 1999, L 163, S 41.


11 – ABl. 1996 L 296, S. 55.


12 – Siehe etwa Urteile vom 22. September 2005, Kommission/Belgien (C‑221/03, EU:C:2005:573, Rn. 36 und 38), und vom 15. März 2012, Kommission/Zypern (C‑340/10, EU:C:2012:143, Rn. 21).


13 – Urteile vom 29. April 2004, Kommission/Deutschland (C‑387/99, EU:C:2004:235, Rn. 42), und vom 26. April 2005, Kommission/Irland (C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 28).


14 – Urteile vom 26. April 2005, Kommission/Irland (C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 170, 171, 184 und 193), vom 26. April 2007, Kommission/Italien (C‑135/05, EU:C:2007:250, Rn. 45), und vom 2. Dezember 2014, Kommission/Italien (C‑196/13, EU:C:2014:2407, Rn. 33).


15 – Urteile vom 26. April 2005, Kommission/Irland (C‑494/01, EU:C:2005:250, Rn. 37), und vom 2. Dezember 2014, Kommission/Italien (C‑196/13, EU:C:2014:2407, Rn. 33).


16 – Siehe etwa die Urteile vom 6. November 2014, Kommission/Belgien (C‑395/13, EU:C:2014:2347, Rn. 39), und vom 28. Januar 2016, Kommission/Portugal (C‑398/14, EU:C:2016:61, Rn. 49).


17 – Urteile vom 9. November 1999, Kommission/Italien („San Rocco“, C‑365/97, EU:C:1999:544, Rn. 36), vom 17. Juni 2010, Kommission/Frankreich (C‑492/08, EU:C:2010:348, Rn. 31), und vom 19. Dezember 2013, Kommission/Polen (C‑281/11, EU:C:2013:855, Rn. 37).


18 – Urteil vom 14. Januar 2016, Kommission/Bulgarien („Kaliakra“, C‑141/14, EU:C:2016:8, Rn. 83). Vgl. zum Vorabentscheidungsersuchen das Urteil vom 16. April 2015, Gruber (C‑570/13, EU:C:2015:231, Rn. 26 bis 28).


19 – Vgl. zu den Konsequenzen für die Zulässigkeit der Klage die Urteile vom 27. Oktober 2005, Kommission/Luxemburg (C‑23/05, EU:C:2005:660, Rn. 7), und vom 21. Juli 2016, Kommission/Rumänien (C‑104/15, EU:C:2016:581, Rn. 35, siehe aber auch Rn. 36 und 37).


20 – Urteile vom 5. Oktober 2004, Kommission/Griechenland (C‑475/01, EU:C:2004:585, Rn. 20), und vom 18. Oktober 2012, Kommission/Tschechische Republik (C‑37/11, EU:C:2012:640, Rn. 49).


21 – So verstehe ich insbesondere das von Bulgarien zitierte Urteil vom 1. Juni 1999, Kortas (C‑319/97, EU:C:1999:272, Rn. 36). Vgl. auch das Urteil vom 15. Dezember 2011, Kommission/Spanien (C‑560/08, EU:C:2011:835, Rn. 75).


22 – Vgl. Urteil vom 19. November 2014, ClientEarth (C‑404/13, EU:C:2014:2382, Rn.  45 und 47).


23 – Urteile vom 24. März 2011, Kommission/Slowenien (C‑365/10, EU:C:2011:183, Rn. 24), vom 10. Mai 2011, Kommission/Schweden (C‑479/10, EU:C:2011:287, Rn. 13 bis 16), und vom 15. November 2012, Kommission/Portugal (C‑34/11, EU:C:2012:712, Rn. 52). Siehe auch das Urteil des EFTA-Gerichtshofs vom 2. Oktober 2015, EFTA-Überwachungsbehörde/Norwegen (E-7/15, EFTA Court Reports 2015, 568, Rn. 33 bis 36).


24 – Urteil vom 19. Dezember 2012, Kommission/Italien (C‑68/11, EU:C:2012:815, Rn. 41 und 59 bis 66).


25 – Vgl. Urteile vom 19. November 1991, Francovich u. a. (C‑6/90 und C‑9/90, EU:C:1991:428, Rn. 35), vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame (C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79, Rn. 31), und vom 25. November 2010, Fuß (C‑429/09, EU:C:2010:717, Rn. 45).


26 – Urteil vom 19. November 2014, ClientEarth (C‑404/13, EU:C:2014:2382, Rn. 43).


27 – Urteil vom 19. November 2014, ClientEarth (C‑404/13, EU:C:2014:2382, Rn. 44 und 45).


28 – Urteil vom 19. November 2014, ClientEarth (C‑404/13, EU:C:2014:2382, Rn. 48).


29 – Urteil vom 19. November 2014, ClientEarth (C‑404/13, EU:C:2014:2382, Rn. 44).


30 – Vgl. etwa das Urteil vom 25. November 2010, Fuß (C‑429/09, EU:C:2010:717, Rn. 51 und 52).


31 – Urteil vom 19. November 2014, ClientEarth (C‑404/13, EU:C:2014:2382, Rn. 30).


32 – So im Ergebnis auch das Urteil des EFTA-Gerichtshofs vom 2. Oktober 2015, EFTA-Überwachungsbehörde/Norwegen (E-7/15, EFTA Court Reports 2015, 568, Rn. 36).


33 – Urteil vom 19. November 2014, ClientEarth (C‑404/13, EU:C:2014:2382, Rn. 57).


34 – Urteil vom 25. Juli 2008, Janecek (C‑237/07, EU:C:2008:447, Rn. 45).


35 – Urteil vom 25. Juli 2008, Janecek (C‑237/07, EU:C:2008:447, Rn. 46).


36 – Siehe in diesem Sinne für die Kontrolle schwerwiegender Eingriffe in die Privatsphäre und das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten die Urteile vom 8. April 2014, Digital Rights Ireland u. a. (C‑293/12 und C‑594/12, EU:C:2014:238, Rn. 48), und vom 6. Oktober 2015, Schrems (C‑362/14, EU:C:2015:650, Rn. 78).


37 – Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien, ABl. 2008 L 312, S. 3.


38 – Siehe z. B. die Urteile vom 9. November 1999, Kommission/Italien („San Rocco“, C‑365/97, EU:C:1999:544, Rn. 68), vom 18. November 2004, Kommission/Griechenland (C‑420/02, EU:C:2004:727, Rn. 22), vom 4. März 2010, Kommission/Italien (C‑297/08, EU:C:2010:115, Rn. 97), vom 11. Dezember 2014, Kommission/Griechenland (C‑677/13, EU:C:2014:2433, Rn. 78), vom 16. Juli 2015, Kommission/Slowenien (C‑140/14, EU:C:2015:501, Rn. 69), und vom 21. Juli 2016, Kommission/Rumänien (C‑104/15, EU:C:2016:581, Rn. 81).