Language of document : ECLI:EU:C:2018:291

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

26. April 2018(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Regionale Abgabe für große Einzelhandelseinrichtungen – Niederlassungsfreiheit – Umweltschutz und Raumordnung – Staatliche Beihilfen – Selektive Maßnahme“

In den Rechtssachen C‑236/16 und C‑237/16

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) mit Entscheidungen vom 10. und 11. März 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 25. April 2016, in den Verfahren

Asociación Nacional de Grandes Empresas de Distribución (ANGED)

gegen

Diputación General de Aragón


erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter C. G. Fernlund, J.‑C. Bonichot (Berichterstatter), A. Arabadjiev und E. Regan,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Asociación Nacional de Grandes Empresas de Distribución (ANGED), vertreten durch J. Pérez-Bustamante Köster und F. Löwhagen, abogados, sowie J. M. Villasante García, procurador,

–        der Diputación General de Aragón, vertreten durch I. Susín Jiménez Ignacio, letrado, und J. A. Morales Hernández-San, procurador,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Gossement, P. Němečková und G. Luengo als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 9. November 2017

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 49 und 54 AEUV sowie von Art. 107 Abs. 1 AEUV.

2        Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Asociación Nacional de Grandes Empresas de Distribución (ANGED) und der Diputación General de Aragón (Regionalregierung von Aragon, Spanien) über die Rechtmäßigkeit einer Abgabe, die für große Einzelhandelseinrichtungen mit Sitz in der Autonomen Gemeinschaft Aragon zu entrichten ist.

 Spanisches Recht

3        Mit der Ley de las Cortes de Aragón 13/2005, de medidas fiscales y administrativas en materia de tributos cedidos y tributos propios de la Comunidad Autónoma de Aragón (Gesetz 13/2005 des Parlaments von Aragon mit Steuer- und Verwaltungsmaßnahmen auf dem Gebiet der übertragenen und der eigenen Abgaben der Autonomen Gemeinschaft Aragon) vom 30. Dezember 2005 (BOA Nr. 154 vom 31. Dezember 2005, im Folgenden: Gesetz 13/2005) wurde zum 1. Januar 2006 eine Abgabe auf die durch große Verkaufsflächen verursachten Umweltschäden (im Folgenden: IDMGAV) eingeführt.

4        Nach Art. 28 des Gesetzes 13/2005 soll mit der IDMGAV die Tätigkeit von Einzelhandelseinrichtungen belastet werden, weil sie zu einem hohen Verkehrsaufkommen führt und sich daher negativ auf die Umwelt und die Landnutzung in der Autonomen Gemeinschaft Aragon auswirkt.

5        Art. 29 des Gesetzes 13/2005 bestimmt, dass eine Einzelhandelseinrichtung über eine große Verkaufsfläche verfügt, wenn die öffentliche Verkaufsfläche mehr als 500 m2 beträgt.

6        Nach Art. 32 des Gesetzes 13/2005 ist abgabepflichtig, „wer die Tätigkeit ausübt und das Geschäft führt, das die der Abgabe unterliegenden Umweltschäden verursacht“.

7        Von der Abgabe befreit sind nach Art. 33 des Gesetzes 13/2005 Einzelhandelseinrichtungen, deren Haupttätigkeit im Verkauf folgender Waren besteht: Maschinen, Fahrzeuge, Werkzeuge und Industriebedarf, Baustoffe, Sanitärgegenstände, Türen und Fenster, die ausschließlich an Gewerbetreibende verkauft werden, Garten- und Ackerbauerzeugnisse in Zuchtbetrieben, Möbel in individuellen, „traditionellen“ und spezialisierten Geschäften, Kraftfahrzeuge in Ausstellungsräumen von Händlern und Reparaturwerkstätten und Kraftstoffe.

8        Art. 34 dieses Gesetzes regelt die Modalitäten für die Berechnung der Bemessungsgrundlage und Art. 35 die Modalitäten für die Berechnung der Abgabe. Sie sehen u. a. die Anwendung eines Koeffizienten nach Maßgabe des Sitzes der Einrichtung vor, wenn die Bemessungsgrundlage 2 000 m2 übersteigt. Folglich ist keine Abgabe zu entrichten, wenn die Bemessungsgrundlage 2 000 m2 oder weniger beträgt.

9        Die rechtliche Regelung der IDMGAV wurde später durch das Decreto 1/2007 del Gobierno de Aragón, por el que se aprueba el Reglamento de desarrollo parcial de la Ley 13/2005 (Dekret 1/2007 der Regionalregierung von Aragon zur Genehmigung der Verordnung zur teilweisen Durchführung des Gesetzes 13/2005) vom 16. Januar 2007 (BOA Nr. 8 vom 20. Januar 2007, im Folgenden: Dekret 1/2007) weiter konkretisiert.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10      Im Laufe des Jahres 2007 erhob die ANGED, eine nationale Vereinigung großer Vertriebseinrichtungen, beim Tribunal Superior de Justicia de Aragón (Oberstes Gericht von Aragon, Spanien) eine Klage auf Nichtigerklärung des Dekrets 1/2007. Die Klage schließt an eine Klage an, die die ANGED im Jahr 2006 gegen die Orden del Departamento de Economía, Hacienda y Empleo de la Diputación General de Aragón (Verordnung der Abteilung für Wirtschaft, Finanzen und Arbeit der Regionalregierung von Aragon) vom 12. Mai 2006 (BOA Nr. 57 vom 22. Mai 2006) bei diesem Gericht erhoben hatte. Die Verordnung enthält die Vorschriften, die für die Anwendung der mit dem Gesetz 13/2005 geschaffenen Umweltabgaben erforderlich sind, und genehmigt die Formulare für die Anmeldung, Ratenzahlung und Selbstveranlagung.

11      Das angerufene Gericht setzte seine Entscheidungen in den beiden Rechtssachen bis zur Entscheidung über Klagen aus, die eine Gruppe von Abgeordneten und die spanische Regierung beim Tribunal Constitucional (Verfassungsgerichtshof, Spanien) in Bezug auf das Gesetz zur Einführung der IDMGAV erhoben hatten. Nachdem das Tribunal Constitucional (Verfassungsgerichtshof) die Klagen abgewiesen hatte, wies das Tribunal Superior de Justicia de Aragón (Oberstes Gericht von Aragon) die Klage ab, die die ANGED gegen das Dekret 1/2007 erhoben hatte, und gab der Klage gegen die Verordnung vom 12. Mai 2006 teilweise statt. Daraufhin legte die ANGED gegen diese beiden Urteile eine Kassationsbeschwerde beim Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) ein.

12      Die ANGED hatte zudem bei der Kommission eine Beschwerde wegen der Einführung der IDMGAV eingelegt, mit der sie geltend machte, es handele sich bei der Abgabe um eine staatliche Beihilfe.

13      Mit Schreiben vom 28. November 2014 teilte die Kommission den spanischen Behörden mit, dass nach einer vorläufigen Würdigung der IDMGAV-Regelung die Befreiung, die kleinen Einzelhandelseinrichtungen und bestimmten Fachgeschäften gewährt werde, als mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe angesehen werden könne. Das Königreich Spanien sei gehalten, die Abgabe aufzuheben oder zu ändern.

14      Vor diesem Hintergrund hat das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende – in den Rechtssachen C‑236/16 und C‑237/16 gleichlautende – Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Sind die Art. 49 und 54 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer regionalen Abgabe entgegenstehen, die erklärtermaßen auf die Umweltschäden erhoben wird, die durch die Nutzung von Anlagen verursacht werden, die bei Einzelhandelseinrichtungen, die über eine große Verkaufsfläche und einen großen Kundenparkplatz verfügen, der Geschäftstätigkeit und dem Verkehr dienen, sofern die öffentliche Verkaufsfläche größer als 500 m² ist, aber unabhängig davon fällig wird, ob diese Einzelhandelseinrichtungen außerhalb oder innerhalb des konsolidierten Stadtgebiets liegen, und meist Unternehmen anderer Mitgliedstaaten trifft, wobei zu berücksichtigen ist, dass

a)      sie tatsächlich nicht bei Inhabern mehrerer Einzelhandelseinrichtungen unabhängig von der öffentlichen Verkaufsfläche, die diese insgesamt haben, erhoben wird, wenn keine dieser Einrichtungen eine öffentliche Verkaufsfläche von mehr als 500 m² hat oder, falls eine oder mehrere von ihnen diese Schwelle überschreitet, die Bemessungsgrundlage 2 000 m² nicht übersteigt, während sie aber bei Inhabern einer einzigen Einrichtung mit einer über diesen Schwellenwerten liegenden öffentlichen Verkaufsfläche tatsächlich erhoben wird, und

b)      sie ferner nicht bei Einzelhandelseinrichtungen erhoben wird, die ausschließlich Maschinen, Fahrzeuge, Werkzeuge und Industriebedarf, Baustoffe, Sanitärgegenstände, Türen und Fenster an Gewerbetreibende, Möbel in individuellen, traditionellen und spezialisierten Geschäften und Kraftfahrzeuge in Ausstellungsräumen von Händlern und Reparaturwerkstätten verkaufen sowie bei Gartenpflegebetrieben und Tankstellen, und zwar unabhängig davon, wie groß ihre öffentliche Verkaufsfläche ist?

2.      Ist Art. 107 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass die Nichterhebung der IDMGAV bei Einzelhandelseinrichtungen mit einer öffentlichen Verkaufsfläche von weniger als 500 m² oder bei solchen von mehr als 500 m², deren Bemessungsgrundlage 2 000 m² nicht übersteigt und bei Einzelhandelseinrichtungen, die ausschließlich Maschinen, Fahrzeuge, Werkzeuge und Industriebedarf, Baustoffe, Sanitärgegenstände, Türen und Fenster an Gewerbetreibende, Möbel in individuellen, traditionellen und spezialisierten Geschäften, Kraftfahrzeuge in Ausstellungsräumen von Händlern und Reparaturwerkstätten verkaufen, sowie bei Gartenpflegebetrieben und Tankstellen eine nach dieser Bestimmung verbotene staatliche Beihilfe darstellt?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

15      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 49 und 54 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Abgabe für große Einzelhandelseinrichtungen wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen.

16      Nach ständiger Rechtsprechung soll mit der Niederlassungsfreiheit die Inländerbehandlung der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten und der in Art. 54 AEUV genannten Gesellschaften im Aufnahmemitgliedstaat sichergestellt werden und verbietet sie in Bezug auf die Gesellschaften jede Diskriminierung, die auf den Ort des Sitzes abstellt (vgl. u. a. Urteile vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C‑374/04, EU:C:2006:773, Rn. 43, sowie vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France, C‑170/05, EU:C:2006:783, Rn. 22).

17      Dabei sind nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund des Sitzes der Gesellschaften verboten, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen (Urteil vom 5. Februar 2014, Hervis Sport-és Divatkereskedelmi, C‑385/12, EU:C:2014:47, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

18      Zudem ist eine Pflichtabgabe, die an ein scheinbar objektives Unterscheidungskriterium anknüpft, aber aufgrund ihrer Merkmale in den meisten Fällen die Gesellschaften benachteiligt, die ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten haben und sich in einer vergleichbaren Situation wie die Gesellschaften befinden, die ihren Sitz in dem die Abgabe erhebenden Mitgliedstaat haben, eine nach den Art. 49 und 54 AEUV verbotene mittelbare Diskriminierung aufgrund des Sitzes der Gesellschaften (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Februar 2014, Hervis Sport-és Divatkereskedelmi, C‑385/12, EU:C:2014:47, Rn. 37 bis 41).

19      In den Ausgangsverfahren knüpfen die fraglichen Rechtsvorschriften an die Verkaufsfläche der Einrichtung als Kriterium an. Dieses begründet keine unmittelbare Diskriminierung.

20      Den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen ist auch nicht zu entnehmen, dass dieses Kriterium in den meisten Fällen Angehörige anderer Mitgliedstaaten oder Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten benachteiligen würde.

21      Eine solche Feststellung ergibt sich nämlich nicht aus dem von der ANGED in ihren schriftlichen Erklärungen gelieferten Zahlenmaterial, das sich im Übrigen in erster Linie auf die von der Autonomen Gemeinschaft Katalonien eingeführte Abgabe für große Einrichtungen bezieht.

22      Das vorlegende Gericht weist ferner darauf hin, dass ihm „beweiskräftige“ Informationen zum Nachweis einer eventuellen versteckten Diskriminierung fehlten.

23      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Art. 49 und 54 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Abgabe für große Einzelhandelseinrichtungen wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen.

 Zur zweiten Frage

24      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Abgabe wie die in den Ausgangsverfahren fragliche, die für große Vertriebseinrichtungen im Wesentlichen in Abhängigkeit von ihrer Verkaufsfläche erhoben wird, eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, soweit von ihr Einrichtungen, deren Verkaufsfläche 500 m² nicht übersteigt, Einrichtungen, deren Verkaufsfläche diesen Grenzwert übersteigt, aber deren Bemessungsgrundlage unter 2 000 m² bleibt, und Einrichtungen, die Maschinen, Fahrzeuge, Werkzeuge und Industriebedarf, Baustoffe, Sanitärgegenstände, Türen und Fenster für Gewerbetreibende, Möbel in individuellen, traditionellen und spezialisierten Geschäften und Kraftfahrzeuge verkaufen, sowie Gartenpflegebetriebe und Tankstellen ausgenommen sind.

25      Die Einstufung einer nationalen Maßnahme als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV verlangt, dass alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (vgl. u. a. Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group SA u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 53).

26      Zum Merkmal der Selektivität des Vorteils, das vor dem Gerichtshof ausgiebig erörtert wurde, ist darauf hinzuweisen, dass dessen Beurteilung nach ständiger Rechtsprechung die Feststellung verlangt, ob die fragliche nationale Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist, „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die im Wesentlichen als „diskriminierend“ eingestuft werden kann (vgl. u. a. Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group SA u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Insbesondere in Bezug auf nationale Maßnahmen, die einen Steuervorteil verschaffen, ist zu beachten, dass eine Maßnahme dieser Art, die zwar nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden ist, die Begünstigten aber finanziell besser stellt als die übrigen Steuerpflichtigen, den Empfängern einen selektiven Vorteil verschaffen kann und daher eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt. Dagegen stellt ein Steuervorteil aus einer unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbaren allgemeinen Maßnahme keine staatliche Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung dar (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group SA u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 56).

28      Für die Einstufung einer nationalen steuerlichen Maßnahme als „selektiv“ muss in einem ersten Schritt die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder „normale“ Steuerregelung ermittelt und in einem zweiten Schritt dargetan werden, dass die geprüfte steuerliche Maßnahme vom allgemeinen System insoweit abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dieser allgemeinen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden (vgl. u. a. Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group SA u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Ferner ist der rechtliche Bezugsrahmen für die Beurteilung der Selektivität einer Maßnahme nicht zwangsläufig in den Grenzen des Staatsgebiets des betreffenden Mitgliedstaats festzulegen, sondern kann sich auch auf das Gebiet beziehen, in dem eine regionale oder lokale Körperschaft die ihr durch die Verfassung oder durch Gesetz übertragenen Befugnisse ausübt. Das ist der Fall, wenn diese Einrichtung aufgrund ihrer rechtlichen und tatsächlichen Stellung gegenüber der Zentralregierung eines Mitgliedstaats so autonom ist, dass sie – und nicht die Zentralregierung – durch die von ihr erlassenen Maßnahmen eine grundlegende Rolle bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds spielt, in dem die Unternehmen tätig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2008, Union General de Trabajadores de La Rioja [UGT‑Rioja] u. a., C‑428/06 bis C‑434/06, EU:C:2008:488, Rn. 47 bis 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV ist jedoch eine Maßnahme, die eine Unterscheidung zwischen Unternehmen einführt, die sich im Hinblick auf das von der fraglichen rechtlichen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, und damit a priori selektiv ist, wenn der betreffende Mitgliedstaat nachweisen kann, dass diese Unterscheidung gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sie sich einfügt (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group SA u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Eine Maßnahme, die eine Ausnahme von der Anwendung des allgemeinen Steuersystems darstellt, kann durch die Natur und den inneren Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt sein, wenn der betreffende Mitgliedstaat nachweisen kann, dass sie unmittelbar auf den Grund- oder Leitprinzipien seines Steuersystems beruht. Insoweit ist zu unterscheiden zwischen den mit einer bestimmten Steuerregelung verfolgten Zielen, die außerhalb dieser Regelung liegen, und den dem Steuersystem selbst inhärenten Mechanismen, die zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sind (Urteil vom 6. September 2006, Portugal/Kommission, C‑88/03, EU:C:2006:511, Rn. 81).

32      Zwar ist für den Nachweis der Selektivität einer steuerlichen Maßnahme nicht immer erforderlich, dass sie einen von einer als allgemein angesehenen Steuerregelung abweichenden Charakter aufweist, doch ist der Umstand, dass sie einen solchen Charakter aufweist, für diese Zwecke durchweg relevant, wenn sich daraus ergibt, dass zwei Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern unterschieden werden und a priori unterschiedlich behandelt werden, nämlich diejenigen, die unter die abweichende Maßnahme fallen, und diejenigen, die weiterhin unter die allgemeine Steuerregelung fallen, obwohl sich diese beiden Gruppen im Hinblick auf das mit dieser Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Situation befinden (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group SA u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 77).

33      In Bezug auf die in den Ausgangsverfahren fraglichen Rechtsvorschriften ist zunächst darauf hinzuweisen, dass vor dem Gerichtshof nicht bestritten worden ist, dass der räumliche Bezugsrahmen die Autonome Gemeinschaft Aragon sein sollte.

34      Das an die Verkaufsfläche anknüpfende Kriterium scheint zwar nicht formal von einem bestimmten rechtlichen Bezugsrahmen abzuweichen, doch führt es dazu, dass die Einzelhandelseinrichtungen, deren Verkaufsfläche kleiner als der festgelegte Grenzwert ist, vom Geltungsbereich dieser Abgabe ausgenommen sind. Somit kann die IDMGAV nicht von einer regionalen Abgabe unterschieden werden, die Einzelhandelseinrichtungen zu entrichten haben, deren Verkaufsfläche einen bestimmten Grenzwert übersteigt.

35      Art. 107 Abs. 1 AEUV beschreibt die staatlichen Maßnahmen aber nach ihren Wirkungen, unabhängig von den verwendeten Techniken (Urteil vom 22. Dezember 2008, British Aggregates Association, C‑487/06 P, EU:C:2008:757, Rn. 89).

36      Es kann daher nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass ein solches Kriterium in der Praxis zu einer Begünstigung „bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV führen kann.

37      In diesem Zusammenhang ist daher zu klären, ob sich die vom Geltungsbereich der Abgabe ausgenommenen Einzelhandelseinrichtungen in einer vergleichbaren Situation befinden wie die Einrichtungen, die darunter fallen.

38      Dabei ist zu berücksichtigen, dass mangels einer einschlägigen Unionsregelung die Bestimmung der Bemessungsgrundlage und die Verteilung der Steuerbelastung auf die unterschiedlichen Produktionsfaktoren und Wirtschaftssektoren in die Steuerzuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten, die über Steuerautonomie verfügen, fallen (Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732, Rn. 97).

39      Wie nämlich die Kommission in Rn. 156 ihrer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. 2016, C 262, S. 1) ausgeführt hat, steht es „[d]en Mitgliedstaaten … frei, ihre wirtschaftspolitischen Maßnahmen nach eigenem Ermessen [im Einklang mit dem Unionsrecht] festzulegen und insbesondere die Steuerlast gemäß ihren Vorstellungen auf die verschiedenen Produktionsfaktoren zu verteilen …“.

40      Aus den Angaben des vorlegenden Gerichts ergibt sich, dass mit der in den Ausgangsverfahren fraglichen Abgabe ein Beitrag zum Umweltschutz und zur Raumordnung geleistet werden soll. Es gehe nämlich darum, die Folgen der Tätigkeit der großen Einzelhandelseinrichtungen für die Umwelt und die Raumplanung im betreffenden Gebiet, die sich insbesondere aus dem verursachten Verkehrsaufkommen ergäben, dadurch zu korrigieren und auszugleichen, dass diese einen Beitrag zur Finanzierung von Umweltaktionsplänen und Infrastrukturverbesserungen leisten müssten.

41      Unbestreitbar hängen die Umweltauswirkungen von Einzelhandelseinrichtungen weitgehend von ihrer Größe ab. Je größer nämlich ihre Verkaufsfläche ist, desto größer ist der Andrang der Öffentlichkeit, wodurch Umweltbeeinträchtigungen entstehen. Daraus folgt, dass ein Kriterium, das an einen flächenbezogenen Grenzwert anknüpft, wie es in den nationalen Rechtsvorschriften, um die es in den Ausgangsverfahren geht, vorgesehen ist, um Unternehmen nach ihren mehr oder weniger großen Auswirkungen zu unterscheiden, mit den angestrebten Zielen vereinbar ist.

42      Ebenso ist offensichtlich, dass die Ansiedlung solcher Einrichtungen unabhängig von ihrem Standort eine besondere Herausforderung für die Raumordnungspolitik darstellt (vgl. entsprechend Urteil vom 24. März 2011, Kommission/Spanien, C‑400/08, EU:C:2011:172, Rn. 80).

43      Zur Festlegung der Höhe des Grenzwerts und der Modalitäten für die Berechnung der Bemessungsgrundlage ist festzustellen, dass sie im Ermessen des nationalen Gesetzgebers liegt und außerdem auf komplexen technischen Beurteilungen beruht, die der Gerichtshof nur eingeschränkt gerichtlich überprüfen kann.

44      Darüber hinaus scheint der Umstand, dass die in den Ausgangsverfahren fraglichen Rechtsvorschriften nicht vorsehen, dass für die Berechnung der Abgabe die Flächen der Einzelhandelseinrichtungen desselben Inhabers zusammengerechnet werden, nicht mit den vom nationalen Gesetzgeber verfolgten Zielen unvereinbar zu sein.

45      Unter diesen Umständen führt ein Kriterium für die Abgabenpflicht, das wie das in den Ausgangsverfahren fragliche an die Verkaufsfläche des Unternehmens anknüpft, dazu, dass Gruppen von Einrichtungen unterschieden werden, die sich im Hinblick auf diese Ziele nicht in einer vergleichbaren Situation befinden.

46      Mithin ist davon auszugehen, dass die Abgabenbefreiung für Einzelhandelseinrichtungen mit Sitz im Gebiet der Autonomen Gemeinschaft Aragon, deren Verkaufsfläche 500 m2 nicht übersteigt, und für Einrichtungen, deren Verkaufsfläche diesen Grenzwert übersteigt, aber deren Bemessungsgrundlage unter 2 000 m² bleibt, diesen Einrichtungen keinen selektiven Vorteil verschafft und somit auch keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV sein kann.

47      Das vorlegende Gericht wirft auch zu den weiteren Merkmalen der in den Ausgangsverfahren fraglichen Abgabe Fragen auf. Es möchte wissen, ob die vollständige Befreiung für Einzelhandelseinrichtungen, die ihre Tätigkeit im Bereich des Verkaufs von Maschinen, Fahrzeugen, Werkzeugen und Industriebedarf, Baustoffen, Sanitärgegenständen, Türen und Fenstern für Gewerbetreibende, Möbeln in individuellen, traditionellen und spezialisierten Geschäften und Kraftfahrzeugen ausüben, sowie für Gartenpflegebetriebe und Tankstellen eine Begünstigung dieser Einrichtungen darstellt.

48      Es ist festzustellen, dass diese Maßnahme eine Ausnahmeregelung zu dem durch die besondere Abgabe gebildeten Bezugsrahmen darstellt.

49      Die Autonome Gemeinschaft Aragon trägt in ihren schriftlichen Erklärungen vor, die Tätigkeiten der betreffenden Einzelhandelseinrichtungen erforderten zwar große Verkaufsflächen, doch beeinträchtigten sie die Umwelt und die Raumordnung weniger als die Tätigkeiten der Einrichtungen, die dieser Abgabe unterlägen.

50      Ein solcher Gesichtspunkt kann geeignet sein, die in den Rechtsvorschriften, die in den Ausgangsverfahren in Streit stehen, vorgenommene Unterscheidung zu rechtfertigen, die dann nicht zu einem selektiven Vorteil für die betreffenden Einzelhandelseinrichtungen führen würde. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies in den bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten tatsächlich der Fall ist.

51      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass eine Abgabe wie die in den Ausgangsverfahren fragliche, die für große Vertriebseinrichtungen im Wesentlichen in Abhängigkeit von ihrer Verkaufsfläche erhoben wird, keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, soweit von ihr diejenigen dieser Einrichtungen, deren Verkaufsfläche 500 m² nicht übersteigt, sowie Einrichtungen ausgenommen sind, deren Verkaufsfläche diesen Grenzwert übersteigt, aber deren Bemessungsgrundlage unter 2 000 m² bleibt. Eine solche Abgabe stellt auch insoweit keine staatliche Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung dar, als von ihr Einrichtungen, die ihre Tätigkeit im Bereich des Verkaufs von Maschinen, Fahrzeugen, Werkzeugen und Industriebedarf, Baustoffen, Sanitärgegenständen, Türen und Fenstern für Gewerbetreibende, Möbeln in individuellen, traditionellen und spezialisierten Geschäften und Kraftfahrzeugen ausüben, sowie Gartenpflegebetriebe und Tankstellen ausgenommen sind, sofern sie die Umwelt und die Raumordnung nicht so stark beeinträchtigen wie die anderen Einrichtungen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 Kosten

52      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Art. 49 und 54 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Abgabe für große Einzelhandelseinrichtungen wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen.

2.      Eine Abgabe wie die in den Ausgangsverfahren fragliche, die für große Vertriebseinrichtungen im Wesentlichen in Abhängigkeit von ihrer Verkaufsfläche erhoben wird, stellt keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dar, soweit von ihr diejenigen dieser Einrichtungen, deren Verkaufsfläche 500 m² nicht übersteigt, sowie Einrichtungen ausgenommen sind, deren Verkaufsfläche diesen Grenzwert übersteigt, aber deren Bemessungsgrundlage unter 2 000 m² bleibt. Eine solche Abgabe stellt auch insoweit keine staatliche Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung dar, als von ihr Einrichtungen, die ihre Tätigkeit im Bereich des Verkaufs von Maschinen, Fahrzeugen, Werkzeugen und Industriebedarf, Baustoffen, Sanitärgegenständen, Türen und Fenstern für Gewerbetreibende, Möbeln in individuellen, traditionellen und spezialisierten Geschäften und Kraftfahrzeugen ausüben, sowie Gartenpflegebetriebe und Tankstellen ausgenommen sind, sofern sie die Umwelt und die Raumordnung nicht so stark beeinträchtigen wie die anderen Einrichtungen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Spanisch.