Language of document : ECLI:EU:C:2010:159

Verbundene Rechtssachen C‑236/08 bis C‑238/08

Google France SARL

und

Google Inc.

gegen

Louis Vuitton Malletier SA u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Frankreich])

„Marken – Internet – Suchmaschine – Werbung anhand von Schlüsselwörtern (‚keyword advertising‘) – Anhand von Schlüsselwörtern, die Marken entsprechen, erfolgende Anzeige von Links zu Internetseiten von Mitbewerbern der Inhaber der betreffenden Marken oder Internetseiten, auf denen nachgeahmte Waren dargeboten werden – Richtlinie 89/104/EWG – Art. 5 – Verordnung (EG) Nr. 40/94 – Art. 9 – Verantwortlichkeit des Betreibers der Suchmaschine – Richtlinie 2000/31/EG (‚Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr‘)“

Leitsätze des Urteils

1.        Rechtsangleichung – Marken – Auslegung der Verordnung Nr. 40/94 und der Richtlinie 89/104 – Recht des Inhabers einer Marke, sich der Benutzung eines identischen Zeichens für identische Waren durch einen Dritten zu widersetzen – Benutzung der Marke im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Verordnung und Art. 5 Abs. 1 und 2 der Richtlinie

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 9 Abs. 1; Richtlinie 89/104 des Rates, Art. 5 Abs. 1 und 2)

2.        Rechtsangleichung – Marken – Auslegung der Verordnung Nr. 40/94 und der Richtlinie 89/104 – Recht des Inhabers einer Marke, sich der Benutzung eines identischen Zeichens für identische Waren durch einen Dritten zu widersetzen – Benutzung der Marke im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung und Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 9 Abs. 1 Buchst. a; Richtlinie 89/104 des Rates, Art. 5 Abs. 1 Buchst. a)

3.        Rechtsangleichung – Marken – Auslegung der Verordnung Nr. 40/94 und der Richtlinie 89/104 – Recht des Inhabers einer Marke, sich der Benutzung eines identischen Zeichens für identische Waren durch einen Dritten zu widersetzen – Werbung im Rahmen eines Internetreferenzierungsdienstes

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 9 Abs. 1 Buchst. a; Richtlinie 89/104 des Rates, Art. 5 Abs. 1 Buchst. a)

4.        Rechtsangleichung – Marken – Auslegung der Verordnung Nr. 40/94 und der Richtlinie 89/104 – Recht des Inhabers einer Marke, sich der Benutzung eines identischen Zeichens für identische Waren durch einen Dritten zu widersetzen – Werbung im Rahmen eines Internetreferenzierungsdienstes

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 9 Abs. 1 Buchst. a; Richtlinie 89/104 des Rates, Art. 5 Abs. 1 Buchst. a)

5.        Rechtsangleichung – Elektronischer Geschäftsverkehr – Richtlinie 2000/31 – Verantwortlichkeit der Vermittler

(Richtlinie 2000/31 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 14)

1.        Der Anbieter eines Internetreferenzierungsdienstes, der ein mit einer Marke identisches Zeichen als Schlüsselwort speichert und dafür sorgt, dass auf dieses Schlüsselwort Anzeigen gezeigt werden, benutzt dieses Zeichen nicht im Sinne von Art. 5 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 89/104 über die Marken bzw. Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke.

Es steht fest, dass dieser Anbieter eine kommerzielle Tätigkeit ausübt und einen wirtschaftlichen Vorteil anstrebt, wenn er für bestimmte seiner Kunden mit Marken identische Zeichen als Schlüsselwörter speichert und dafür sorgt, dass anhand dieser Schlüsselwörter Werbeanzeigen erscheinen.

Fest steht auch, dass dieser Dienst nicht nur für Inhaber der fraglichen Marken oder für Wirtschaftsteilnehmer, die zur Vermarktung der Waren oder Dienstleistungen dieser Marken berechtigt sind, sondern ohne Zustimmung der Markeninhaber für deren Mitbewerber oder für Nachahmer erbracht wird.

Auch wenn sich aus diesen Gesichtspunkten ergibt, dass der Anbieter des Referenzierungsdienstes „im Geschäftsverkehr“ handelt, wenn er die Werbenden mit Marken identische Zeichen als Schlüsselwörter aussuchen lässt, diese Zeichen speichert und anhand dieser Zeichen die Werbeanzeigen seiner Kunden einblendet, folgt daraus jedoch noch nicht, dass dieser Anbieter diese Zeichen selbst „benutzt“ im Sinne von Art. 5 der Richtlinie 89/104 und Art. 9 der Verordnung Nr. 40/94.

Benutzung eines mit einer Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens durch einen Dritten bedeutet jedenfalls, dass der Dritte das Zeichen im Rahmen seiner eigenen kommerziellen Kommunikation benutzt. Im Fall eines Referenzierungsdienstes lässt dessen Anbieter zu, dass seine Kunden Zeichen benutzen, die mit Marken identisch oder ihnen ähnlich sind, benutzt diese Zeichen jedoch nicht selbst.

Diese Schlussfolgerung kann nicht durch den Umstand entkräftet werden, dass dieser Anbieter für die Benutzung der genannten Zeichen durch seine Kunden eine Vergütung erhält. Die technischen Voraussetzungen für die Benutzung eines Zeichens zu schaffen und sich diese Dienstleistung vergüten zu lassen, bedeutet nicht, dass deren Erbringer dieses Zeichen selbst benutzt.

(vgl. Randnrn. 53-57, 105, Tenor 2)

2.        Es handelt sich um eine Benutzung für Waren oder Dienstleistungen des Werbenden, wenn dieser im Rahmen eines Internetreferenzierungsdienstes ein mit der Marke eines Mitbewerbers identisches Zeichen als Schlüsselwort benutzt, um zu erreichen, dass der Internetnutzer nicht nur die von diesem Mitbewerber angebotenen Waren oder Dienstleistungen, sondern auch die seinen wahrnimmt.

Im Übrigen handelt es sich selbst dann um eine Benutzung „für Waren oder Dienstleistungen“, wenn der Werbende durch die Benutzung des mit der Marke identischen Zeichens als Schlüsselwort nicht seine Waren oder Dienstleistungen den Internetnutzern als Alternative zu denen des Markeninhabers präsentieren will, sondern das Ziel verfolgt, die Internetnutzer über die Herkunft seiner Waren oder Dienstleistungen in die Irre zu führen, indem er sie zu der Annahme verleitet, dass sie vom Markeninhaber oder einem wirtschaftlich mit ihm verbundenen Unternehmen stammen. Eine solche Benutzung liegt nämlich jedenfalls dann vor, wenn der Dritte das mit der Marke identische Zeichen in der Weise benutzt, dass eine Verbindung zwischen dem Zeichen und den vertriebenen Waren oder erbrachten Dienstleistungen hergestellt wird.

Die Benutzung des mit der Marke identischen Zeichens durch den Werbenden als Schlüsselwort im Rahmen eines Internetreferenzierungsdienstes fällt daher unter den Begriff der Benutzung „für Waren oder Dienstleistungen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/104 über die Marken.

(vgl. Randnrn. 71-73)

3.        Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Ersten Richtlinie 89/104 über die Marken und Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke sind dahin auszulegen, dass der Inhaber einer Marke es einem Werbenden verbieten darf, auf ein mit dieser Marke identisches Schlüsselwort, das von diesem Werbenden ohne seine Zustimmung im Rahmen eines Internetreferenzierungsdienstes ausgewählt wurde, für Waren oder Dienstleistungen, die mit den von der Marke erfassten identisch sind, zu werben, wenn aus dieser Werbung für einen Durchschnittsinternetnutzer nicht oder nur schwer zu erkennen ist, ob die in der Anzeige beworbenen Waren oder Dienstleistungen von dem Inhaber der Marke oder einem mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmen oder vielmehr von einem Dritten stammen.

In einer solchen Situation, die im Übrigen dadurch gekennzeichnet ist, dass die fragliche Anzeige sofort erscheint, sobald ein Internetnutzer die Marke als Suchwort eingegeben hat, und zu einem Zeitpunkt gezeigt wird, zu dem die Marke auf dem Bildschirm auch in ihrer Eigenschaft als Suchwort sichtbar ist, kann sich der Internetnutzer nämlich hinsichtlich des Ursprungs der betroffenen Waren oder Dienstleistungen irren. Unter diesen Umständen kann die Benutzung des mit der Marke identischen Zeichens durch den Dritten als Schlüsselwort, das das Erscheinen der Anzeige auslöst, den Eindruck entstehen lassen, dass im geschäftlichen Verkehr eine konkrete Verbindung zwischen den betroffenen Waren oder Dienstleistungen und dem Markeninhaber besteht.

Angesichts der Hauptfunktion der Marke, die auf dem Gebiet des elektronischen Geschäftsverkehrs u. a. darin besteht, es einem Internetnutzer bei der Durchsicht der Anzeigen, die auf eine Suche nach einer bestimmten Marke hin gezeigt werden, zu ermöglichen, die Waren oder Dienstleistungen des Inhabers dieser Marke von denen anderer Herkunft zu unterscheiden, muss dieser Markeninhaber befugt sein, zu verbieten, dass Anzeigen von Dritten gezeigt werden, die von den Internetnutzern fälschlich als von ihm stammend aufgefasst werden könnten.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, im Einzelfall zu würdigen, ob nach dem Sachverhalt des bei ihm anhängigen Rechtsstreits eine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion vorliegt oder vorliegen könnte.

Wird in der Anzeige des Dritten suggeriert, dass zwischen diesem Dritten und dem Markeninhaber eine wirtschaftliche Verbindung besteht, wird auf eine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion zu schließen sein.

Wird in der Anzeige das Bestehen einer wirtschaftlichen Verbindung zwar nicht suggeriert, ist sie aber hinsichtlich der Herkunft der fraglichen Waren oder Dienstleistungen so vage gehalten, dass ein normal informierter und angemessen aufmerksamer Internetnutzer auf der Grundlage des Werbelinks und der ihn begleitenden Werbebotschaft nicht erkennen kann, ob der Werbende im Verhältnis zum Markeninhaber Dritter oder vielmehr mit diesem wirtschaftlich verbunden ist, wird ebenfalls auf eine Beeinträchtigung der herkunftshinweisenden Funktion zu schließen sein.

(vgl. Randnrn. 84-85, 87-90, 99, Tenor 1)

4.        Angesichts der im geschäftlichen Verkehr angebotenen Vielfalt an Waren und Dienstleistungen mag der Inhaber einer Marke mit dieser nicht nur auf die Herkunft seiner Waren oder Dienstleistungen hinweisen, sondern sie auch für Zwecke der Werbung einsetzen wollen, um den Verbraucher zu informieren und zu überzeugen.

Der Inhaber einer Marke darf es daher verbieten, dass ohne seine Zustimmung ein mit seiner Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch sind, für die die Marke eingetragen ist, wenn durch diese Benutzung seine Möglichkeit, die Marke als Element der Verkaufsförderung oder Instrument der Handelsstrategie einzusetzen, beeinträchtigt wird.

Benutzen Werbende im Internet ein mit einer Marke eines anderen identisches Zeichen als Schlüsselwort für die Anzeige von Werbebotschaften, ist es offensichtlich, dass diese Benutzung geeignet ist, auf die Möglichkeit für den Inhaber der Marke, sie für Werbung einzusetzen, und auf seine Handelsstrategie Auswirkungen zu entfalten.

Angesichts des hohen Stellenwerts der Internetwerbung im geschäftlichen Verkehr ist es nämlich plausibel, dass der Markeninhaber bei dem Anbieter des Referenzierungsdienstes seine eigene Marke als Schlüsselwort registriert, um in der Rubrik „Anzeigen“ eine Anzeige erscheinen zu lassen. Tut er dies, wird er möglicherweise einen höheren Preis-pro-Klick als andere Wirtschaftsteilnehmer zahlen müssen, wenn er will, dass seine Anzeige vor den Anzeigen dieser Wirtschaftsteilnehmer erscheint, die ebenfalls seine Marke als Schlüsselwort ausgewählt haben. Zudem hat der Markeninhaber, selbst wenn er bereit ist, einen höheren Preis-pro-Klick als jene Dritten zu zahlen, die seine Marke ebenfalls als Schlüsselwort ausgewählt haben, keine Gewissheit, dass seine Anzeige vor den Anzeigen dieser Dritten erscheint, da sich die Reihenfolge der Anzeigen auch nach anderen Gesichtspunkten bestimmt.

Diese Auswirkungen der Benutzung eines mit der Marke identischen Zeichens durch Dritte stellen jedoch für sich allein keine Beeinträchtigung der Werbefunktion der Marke dar.

(vgl. Randnrn. 91-95)

5.        Art. 14 der Richtlinie 2000/31 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) ist dahin auszulegen, dass die darin aufgestellte Regel auf den Anbieter eines Internetreferenzierungsdienstes Anwendung findet, wenn dieser keine aktive Rolle gespielt hat, die ihm eine Kenntnis der gespeicherten Daten oder eine Kontrolle über sie verschaffen konnte. Hat dieser Anbieter keine derartige Rolle gespielt, kann er für die Daten, die er auf Anfrage eines Werbenden gespeichert hat, nicht zur Verantwortung gezogen werden, es sei denn, er hat die Informationen nicht unverzüglich entfernt oder den Zugang zu ihnen gesperrt, nachdem er von der Rechtswidrigkeit dieser Informationen oder Tätigkeiten des Werbenden Kenntnis erlangt hat.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die Rolle dieses Anbieters insofern neutral ist, als sein Verhalten rein technischer, automatischer und passiver Art ist und er weder Kenntnis noch Kontrolle über die weitergeleitete oder gespeicherte Information besitzt.

(vgl. Randnrn. 114, 119-120, Tenor 3)